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Begegnungen

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9.Januar 2007

Jürgen Köhler, der Chefredakteur einer der größten deutschen Zeitungsverlage in München, bekommt am 9. Januar 2007 um Punkt 10 Uhr einen Anruf durchgestellt, an dessen Ende sich ein Herr mit durchdringender Stimme ein Treffen erbittet. Jürgen Köhler, der erst vorgestern seinen achtunddreißigsten Geburtstag feiern konnte, hat an diesem Tag seinen ersten Arbeitstag nach den Weihnachtsferien begonnen. Köhler ist durchschnittlich groß, hager und hat schwarze dichte Haare die auf dem ganzen Kopf bereits von grauen Strähnen durchzogen sind. Er hat markante Gesichtszüge, bereits früh haben sich tiefe Furchen in sein Gesicht gegraben. Er fühlt sich trotz seines noch jugendlichen Alters oft tagelang wie ausgebrannt. Besonders die ersten Tage nach einem Urlaub fordern ihn besonders. Es gibt wie immer eine Menge Arbeit, die er in kurzer Zeit bewältigen muss. Es bleibt eben viel liegen, während seiner Abwesenheit. Er ist deshalb nicht erfreut über diesen aufdringlichen Anrufer.

„Hallo, H a l l o…“ plärrt der Unbekannte in das Telefon.

“Köhler.”

“Ah. Gott sei Dank. Sie sind es also wirklich. War gar nicht so einfach. Hören sie, sie müssen sich mit mir treffen. Unerhört wichtig. Es muss sein. Ich habe d i e Sensation für Sie. Glauben Sie mir. Geben sie mir zehn Minuten und sie werden mir auf Füssen danken. Ich will kein Geld, verstehen Sie?“

„Was dann?“

„Nicht am Telefon, Herr Köhler.“

Der viel beschäftigte Journalist Jürgen Köhler hat allerdings wenig Lust sich mit einem nervigen Unbekannten zu treffen, da er erstens keine Zeit und zweitens keinerlei Ambitionen hegt sich von irgendeinem Wichtigtuer voll zu schwafeln lassen. Es ist ihm außerdem ein Rätsel wie manche Leute eigentlich geheime Telefonnummern ausfindig machen können.

Er legt grußlos wieder auf und beschließt auch nicht mehr ranzugehen. Den ganzen restlichen Vormittag ignoriert er das hartnäckige Klingeln. Es ist ihm egal wer auch immer ihn anruft.

Doch am Nachmittag desselben Tages um pünktlich um 14 Uhr nervt der Anrufer schon wieder. Beschwörend redet der Mann am anderen Ende auf ihn ein. Er tut als hätte er den Stein der Weisen entdeckt.

Köhler bietet ihm an, einen Mitarbeiter zu schicken, dem er sein Anliegen erzählen könne. Der Unbekannte ist darauf hin nur einen kurzen Moment sprachlos. Dann ködert er ihn mit dem Versprechen das Treffen sei rein wissenschaftlicher Natur.

Jürgen Köhler hat wie schon so oft die Mittagspause verpasst. Sein Magen knurrt, er hat grausamen Hunger und möchte sich eine bisschen die Füße vertreten, so dass er dem hartnäckigen Anrufer ein Café in der Nähe vorschlägt. Der Fremde ist begeistert und willigt sofort ein, bedingt sich aber aus, dass Köhler alleine kommt.

Köhler schnappt sich sein braunes Cordsakko. Natürlich kommt allein. Wen hätte er auch mitnehmen sollen? Seine Mutter?

In dem als Treffpunkt vereinbartem Café um die Ecke, sitzt ein dicklicher Mann der aussieht als wäre er um die Fünfzig. Seinen Kopf ziert ein rotbrauner Haarkranz. An den Schläfen ist er bereits angegraut und er winkt ihm aufgeregt mit einer Zeitung aus seinem eigenem Verlag.

‚Woher weiß der denn wie ich aussehe’ denkt sich Köhler.

Er setzt sich zu Ihm und muss sogleich feststellen, dass ihm alles an dem Unbekannten unsympathisch ist und er nach einem großen Café und einem Hefeteilchen oder Sandwich gleich wieder verschwinden will.

Friedrich Proper mein Name, stellt sich der Dicke vor. ’Meister Proper’ Köhler kann es nicht fassen. Fehlt nur die vollkommene polierte Glatze. Aber die Glatze Propers hat Flecken, Flecken auch an den Händen. Überall. Bei dem Gedanken an Flecken und Meister Proper muss Köhler grinsen. Proper grinst auch.

„Sehen sie, jetzt freuen sie sich doch. Gott sei Dank sind sie gekommen Herr Köhler – oder – darf ich Jürgen sagen. Ich bin eigentlich lieber der Fritz. Hihi, ich mag meinen Nachnamen nicht so gern. Das passt irgendwie nicht so gut zusammen.“

‚Er merkt`s sogar selber der Dickwanst’ Jürgen muss weiter unwillkürlich grinsen. Fast hätte er laut losgelacht.

„Naja, was sich Eltern halt so ausdenken. Aber Fritz und Jürgen, das passt. Du wirst sehen, wir werden ein wunderbares Team und unsere Zusammenarbeit wird grandios.“

‚Oje, jetzt duzt er mich doch tatsächlich auch noch.’

Köhler schüttelt unwillkürlich den Kopf. Dann merkt er erst, was der Dicke gemeint hat.

„Moment: Zusammenarbeit? Sie haben mir etwas von ungewöhnlichen Erkenntnissen erzählt. Auf wissenschaftlicher Basis. Von Zusammenarbeit war nicht die Rede!“

Jürgen ignoriert die ihm angebotene Vertraulichkeit.

Der Kaffee und sein Sandwich werden serviert. Nichtsdestotrotz will Köhler so schnell wie möglich wieder gehen. Der Dicke hat sich nichts weiter bestellt, sondern hat nur sein kleines Wasser vor sich. Er beugt sich nach vorne und setzt einen ernsten Blick auf, was in dem feisten Gesicht irgendwie lustig wirkt.

Köhler muss schon wieder grinsen.

„Jürgen, lass dich nicht von meinem Äußeren täuschen – ich kann mir vorstellen was du dir denkst.“

Köhler ist nun etwas unwohl in seiner Situation. ‚Der beobachtet sehr genau dieser Proper.’

„Jürgen, du willst wissen warum ich dich angerufen habe und dich belästige? Ich hab dich aus deinem schönen Büro gelockt. Und wer sitzt da? Ein dicker hässlicher Kerl der aussieht als könnte er nicht bis drei zählen? Und mit dem sollst du dich unterhalten?“

Köhler beißt in sein Sandwich und nickt, er will nur schnell wieder weg. Das war keine gute Idee sich mit dem Mann hier zu treffen.

„Jürgen, hör gut zu: Du musst dich jetzt mit der Vorstellung vertraut machen, dass mein Geist sehr viel älter ist als du und deine Mitmenschen. Dadurch habe ich auch sehr viel mehr an Menschenkenntnis angesammelt. Ich kann auf Erfahrungen und Erlebnisse zurückgreifen, die du dir in deinen kühnsten Träumen überhaupt nicht vorstellen kannst…“

Bei diesen Worten hält ihm dieser Unsympath, Daumen und Zeigefinger vor die Nase.

‚So ein blöder Schwätzer’ Jürgen kann es nicht fassen.

Er würgt an seiner belegten Riesensemmel.

„…deshalb, lieber Jürgen, deshalb solltest du nun gut zuhören.“

Köhler spuckt einen Teil des Brotes in seinen Kaffee, als ihm Fritz nun leise zuflüstert, er sei mit Sicherheit mehr als Hunderttausend Jahre alt.

Köhler starrt ihn total entgeistert an.

„Fritz, tut mir leid aber du bist ein Depp! Ein, ein, ach du Vollidiot!“

Jürgen ist mit einem mal unglaublich wütend. Er wirft das angebissene Sandwich auf den Teller, steht auf und macht Anstalten zu gehen.

Doch Fritz hält blitzschnell und mit unerwartet kräftigem Griff seinen Arm fest. Er redet sehr schnell und mit scharfer, richtig bösartig klingender Stimme.

„Jürgen du musst mir helfen. Ich kann es dir beweisen. Du kennst die richtigen Leute. Sie werden mir glauben. Und du wirst mir auch glauben. Ich werde sie überzeugen. Ich werde dich überzeugen. Das garantiere ich dir. Mein absolutes Ehrenwort. Und wenn du jetzt wieder gehst und die Experten anrufst und Termine vereinbarst, dann erwähne nicht meinen Namen und keine Details. Sie tun absolut nichts zur Sache. Außerdem werden sie dich sonst nur auslachen.“

Köhler langt`s jetzt:

„Lassen Sie sofort meinen Arm los Herr Friedrich Proper. Sonst rufe ich noch die Polizei...“

Fritz wird wieder ganz freundlich und lächelt so unverfänglich wie es nur geht.

„Aber, aber, Jürgen. So brauchst du nicht reagieren. Denk doch erst mal drüber nach. Glaubst du vielleicht, ich weiß nicht wie blöd sich das anhört? Glaub mir doch, ich kann es beweisen. Du wirst wahre Bauklötze staunen.“

Fritz hat den Griff ein wenig gelockert. Er ist auch aufgestanden. Sehr leise, fast geflüstert hat er die letzten Sätze. Sein Blick ist wieder sehr ernst. Jürgen kann in den hellgrauen klaren Augen, die so gar nicht in das Mondgesicht passen, nichts erkennen. Plötzlich ist ihm richtig unbehaglich. Was ist das für ein Verrückter? Er redet Hochdeutsch mit bayerischem Einschlag, aber irgendein anderer Dialekt steckt noch hinter seiner Sprache. Jürgen ist fest davon überzeugt dass der Dicke kein gebürtiger Bayer ist.

Aber er muss zugeben, der unbekannte Fettsack hat etwas überzeugendes, geheimnisvolles Wesen hinter diesem biederen Äußeren. Was also tun?

Jürgen seufzt. Resigniert schüttelt er Friedrichs grobe Hand weg. Er reibt sich den Arm von dessen groben Griff und setzt sich wieder.

„Also Herr Proper, gut, was stellen sie sich denn vor? Einen Kongress vielleicht?“

Auch Fritz lässt sich wieder auf den filigranen Bistrostuhl plumpsen. Der Stuhl knarrt dabei bedrohlich.

„Wir waren schon beim Du, Jürgen. Ganz einfach. Du suchst ein paar Experten aus. Sagen wir für alte Sprachen, wie Latein. Ein paar Spezialisten, Anthropologen, Historiker solche Leute eben. Nicht zu viele. Sechs bis acht Leute reichen fürs Erste völlig. Wenn es zu viele sind, wird nur blöd rumgequatscht. Ich bin kein Freund von endlosem sinnlosem Rumgequatsche. Kurz und sachlich ist meine Devise. Dann setzen wir uns in aller Ruhe gemütlich zusammen und reden über alles. Du kannst absolut nichts verlieren, glaub mir. Ich helfe dir, sollte uns einer von denen blöd kommen. Vertrau mir. Ich bin kein Anfänger.“

„Und was willst du von denen? Sollen die dir ein Zeugnis ausstellen? Du machst dich und mich einfach nur lächerlich.“

Jürgen hat das vertrauliche ‚Du’ jetzt scheinbar akzeptiert.

„Ich sagte schon, zuerst stelle ich mich einer kleinen exklusiven Runde. Du wirst sehen, wenn sie die Beweise für meine lange Existenz überprüft haben, werden sie restlos überzeugt sein. Es gibt viel zu entdecken in dieser Welt. Viele kleine und große Geheimnisse. Ich bin in der glücklichen Lage, von einigen Rätseln den Schleier zu lüften. Und ich…ich habe eine sehr wichtige Botschaft. Du wirst sehen.“

„Eine Botschaft?“

Jürgen verzieht das Gesicht.

Mit dem Begriff ‚Botschaft’ verknüpft er verkommenes Sendungsbewusstsein. Leute die eine Botschaft verbreiten wollen, haben für ihn alle eine Macke.

„Lass dich überraschen. Zuerst die Fachleute. o.k.?“

Doch Köhler lässt nicht locker.

„Was meinst du mit ‚Botschaft’. Woher soll deine Botschaft kommen? Hast du dir da was ausgedacht? Das möchte ich schon genauer wissen.“

Fritz holt tief Luft.

„Ich habe mir nichts ausgedacht. Eine Botschaft die seit Menschengedenken weiter getragen wird. Diese Botschaft, diese Mitteilung habe ich mir nicht ausgedacht. Ich bin nur der Überbringer. Nur, ohne bestätigte Glaubwürdigkeit, ist jede noch so wichtige Botschaft wertlos. Verstehst du? Ich erkläre es dir wenn ihr euch über meine Echtheit überzeugt habt. Einverstanden?“

Köhler der erfahrene Chefredakteur sitzt mit hängenden Schultern da und ist nur noch ratlos. Fritz ist nicht zu greifen, er ist glitschig wie ein Aal. Er merkt, dass seine eigene Abgebrühtheit wie weggeblasen ist. Wie kann sich jemand einer Gruppe von hochgebildeten Leuten stellen und denen einen dermaßenden Bären aufbinden? Ein Masochist? Oder einfach nur ein Verrückter. Er beschließt noch einen Versuch um Fritz etwas zu entlocken.

„Darf ich mal deinen Ausweis sehen?“

„Meinen was? Meinen Ausweis? Wozu das denn?“

„Ganz einfach. Ich möchte wissen mit wem ich es zu tun habe. Du könntest, bei dem was du mir erzählst, genauso gut aus der Klapse entflohen sein. Oder was meinst du?“

„I c h aus der Klapse? Was denkst du dir denn? Aber bevor du dir nun einen abbrichst, hier bitte…“

Fritz ist sichtlich empört, aber er reicht ihm dennoch seinen täuschend echt gefälschten deutschen Personalausweis.

„..damit erspar ich dir die mühevolle Arbeit mich zu googeln, ha? Würde dir auch nichts bringen wenn du Nachforschungen anstellen würdest.“

Fritz drohte ihm mit dem Zeigefinger und grinst.

„Nun gib schon wieder her. Begnüg dich mit meinem Namen und den Informationen die da draufstehen. Mehr musst du nicht wissen. Für die Botschaft, die ich zu übermitteln habe genügen die Daten vollkommen. Ich bin kein Verrückter. Aber ein Mindestmass an Privatsphäre wirst du mir schon zugestehen wollen, oder?“

„Ok. Ich tu dir den Gefallen. Ich telefonier mal ein bisschen umher. Wie kann ich dich erreichen? Hast du eigentlich eine Telefonnummer? Wie heißt du noch mal genau?“

„Besser ich ruf dich an, Jürgen. Gib mir mal zur Sicherheit deine Handynummer. Wie lange wirst du etwa brauchen?“

Jürgen schreibt ihm wortlos seine Handynummer auf einen kleinen Post-it-zettel, den er aus seiner Tasche zieht. Er zuckt mit den Achseln.

„Keine Ahnung, ich hab schließlich noch anderes zu tun. Und bitte, geh sparsam mit meiner Nummer um. Nicht wegen jedem Scheißdreck anrufen. Ich hab wirklich eine Menge Arbeit. Das darfst du mir glauben.“

„Das kann warten. Mein Anliegen hat höchste Dringlichkeitsstufe. Lass dir also nicht zu viel Zeit. Sagen wir maximal vierzehn Tage. Ich ruf dich nächste Woche mal an. Dann können wir schon mal die Termine absprechen. Du wirst sehen, die Zeit läuft uns davon wie nichts. Ach, und mach dir keine Sorgen wegen der Rechnung. Hab ich schon mal bezahlt. Servus Jürgen und vielen Dank für deine Hilfe. Du wirst es nicht bereuen, glaub mir.“

Fritz steckt rasch seinen Ausweis wieder ein und steht auf. Mit seinem Bauch hätte er um ein Haar den Tisch umgeworfen. Sein kariertes Hemd, das zwar perfekt gebügelt ist, aber aussieht als hätte er es auf einem Siebzigerjahre Flohmarkt gekauft, hängt ihm aus der Hose.

Fritz drängt Jürgen seine blasse, fleischige Hand entgegen. Sein Händedruck ist unerwartet kräftig. Jürgen muss dabei an den festen Griff von vorhin denken.

„Ich muss jetzt leider, Jürgen. Ich wünsche dir noch einen schönen Tag und viel Erfolg. Tschüss. Und Danke schon mal!“

Jürgen lässt sich von ihm kraftlos die Hand zerquetschen. Fritz müht sich elegant zwischen den Stühlen heraus und mit zwei, drei Schritten ist er an der Tür.

Der korpulente Friedrich dreht sich noch mal um, winkt ihm und mit ungewöhnlicher Schnelligkeit ist er aus dem Cafe verschwunden. Jürgen sitzt da wie ein begossener Pudel. Was für ein schlimmer, schlimmer erster Arbeitstag. Jürgen überlegt, ob er diesen komischen Kerl mit seinen seltsamen Ambitionen einfach kurzerhand vergessen kann. Vielleicht meldet er sich nicht mehr. Oder versucht es bei einer anderen Zeitung. Amüsiert denkt er an die riesige Schlagzeile eines Boulevardblattes. Das wäre doch ein gefundenes Fressen für die. Aber warum ausgerechnet ich. Warum quält er mich mit so einem Unsinn. Hunderttausend Jahre alt. Wie will er denn so eine irre Behauptung beweisen? Jürgen beschließt das nächste Mal einen Psychologen hinzuzuziehen. Der Mann hat doch bestimmt einen Knall.

Jürgen muss plötzlich lauthals lachen. Die restlichen Gäste in dem Café drehen sich nach ihm um. Klar, ein Scherz seiner Kollegen. Warum bin ich nicht gleich darauf gekommen. Weil ich immer alles so bierernst nehme. Deshalb. Die können was erleben. Seine Stimmung bessert sich. Aber er beschließt sich nichts anmerken zu lassen. Seine Kollegen sollen ruhig ein bisschen schmoren.

Mit wesentlich besserer Laune tritt er den Rückweg ins Büro an. Er grüßt alle überschwänglich. Reißt ein paar Witze. Doch seine Kollegen und Mitarbeiter reagieren nicht darauf. Jürgen rätselt, ob sich die eventuell verstellen. Er geht in sein Büro, hängt sein braunes Sakko über den Stuhl und starrt erst mal die Glastür seines Zimmers an. Nichts tut sich. Den ganzen Nachmittag spricht ihn niemand auf sein mittägliches Treffen an. Doch kein Scherz seiner Kollegen? Da ist sie wieder diese Unsicherheit, die ihn bereits in dem Café wie eine Keule getroffen hat. Wieso kann ich das nicht nüchtern betrachten, so fragt er sich. Es wäre eigentlich der Zeitpunkt mit jemanden darüber zu reden. Doch Jürgen hat Bedenken sich verspotten zu lassen. Zumindest wollte er im Verlag mit niemanden darüber sprechen.

Jürgen Köhler hat sich noch etwas Arbeit mit nach Hause genommen. Aber auch nach dem Abendessen bringt er keine Kraft auf, sich damit zu beschäftigen. Verena, seine Frau spürt dass ihn etwas umtreibt. Sie beschließt ihn vorsichtig zum Reden zu bewegen. Jürgen wird weich und beginnt seiner Frau von dem Vorfall in dem Café zu erzählen. Er vertraut ihr. Sie ist auch Journalistin. Für die Kinder hat sie ihre Festanstellung aufgegeben. Momentan arbeitet sie freiberuflich. Gelegentlich nimmt sie kleinere Aufträge an. Verena hat meist einen ungetrübten Blick auf das Wesentliche. Ihre Analysen sind oft messerscharf. Ihren Rat wird Jürgen befolgen.

Verena kann wunderbare Stirnfalten erzeugen. Das macht sie auch jetzt. Dann hält sie die Hand vor den Mund und prustet los. Sie kann sich kaum mehr halten vor Lachen.

„Hör auf. Hörst du auf.“

Die Anspannung in Jürgen löst sich langsam. Herzlich schüttelt er seine Frau. Sie legt die Arme um ihn und kichert weiter.

„Ach, Jürgen du musst schon entschuldigen, aber so was ist schon urkomisch. Hunderttausend Jahre? Nimmst du mich das nächste Mal mit wenn du ihn triffst? D e n Kerl möchte ich auch sehen.“

„Verena du wirst enttäuscht sein. Das ist es ja gerade. Dieser Mensch ist dick und schmuddelig. Aber er ist so überzeugt. So bestimmt. Wenn er einen Scherz mit mir treibt, dann kann er sich gut verstellen oder ist ein Schauspieler. Irgendwas in der Art. Wenn du verstehst was ich meine.“

„Jürgen, Schatz, Niemand ist so alt. So was gibt es nicht.“

„Er behauptet sein Geist wird immer wieder geboren.“

„Dann spinnt er eben. Ganz einfach.“

„Mal angenommen, nur ein Teil seiner Behauptung stimmt. Was kann ich verlieren wenn ich, sagen wir mal ein paar Freunde einlade, mit der Bitte sie sollen sich das anhören was er zu erzählen hat. Was meinst du?“

„Mhmm, da solltest du schon vorsichtig sein. An wen denkst du denn da? Du weißt Freunde und Kollegen sind nicht dasselbe.“

Da hat sie Recht. Er muss aufpassen. Im Verlag wäre ein Deal mit einem Spinner sein Ende. Er dachte sofort an diese unselige Geschichte mit den Hitlertagebüchern. Superpeinlich war damals diese Story für alle Beteiligten. Er muss höllisch aufpassen.

„Ich denke mal an einen Art Vorcheck. Weißt du, wie eine grundsätzliche objektive Einschätzung seiner Glaubwürdigkeit. Wir sollten ein kleines Psychogramm von ihm erstellen.“

„Das wäre keine schlechte Idee. Ich würde eine Kamera mitlaufen lassen. Da kann man später noch in aller Seelenruhe Mimik und Gestik analysieren.“

„Wen ruf ich an? Wem kann ich vertrauen?“

„Kennst du Sarah noch? Sarah Bolling? Sie ist Psychologin. Sie ist mit mir in die Schule gegangen. Wir haben uns noch lange danach getroffen. Ich habe erst kürzlich mit ihr telefoniert. Ich kann sie fragen wenn du willst?“

„O.k. aber sag ihr vorerst nicht um was es konkret geht.“

„Ich werde sie bitten eine Expertise über einen noch lebenden Menschen aus der Steinzeit anzufertigen.“

„Dann wird Sarah die längste Zeit deine Freundin gewesen sein.“

„Jürgen. Ganz blöd bin ich auch nicht!“

Verena grinste und ging zum Telefon. Sarah ist eine wenig beschäftigte junge Frau. Ihre Praxis läuft nicht so gut. Ihre Eltern sind steinreich. Deshalb ist es ihr egal was sie tut. Sie braucht kein Geld zu verdienen. Verena verabredet sich mit ihr, um sie zu einer Einschätzung von Fritz zu bitten. Sarah freut sich auf das Treffen, das ein wenig Abwechslung bringen wird. Verena bietet ihr auch an, eine Rechnung schreiben zu dürfen. Sie erntet herzhaftes Gelächter.

Wie angekündigt meldet sich Fritz Proper eine Woche später bei Jürgen Köhler. Frech erkundigt er sich nach dem Stand seiner Forderung an Jürgen. Doch Jürgen hat inzwischen wieder Mut gefasst und serviert ihn kühl ab. Fritz, wird darauf hin stinksauer. Wütend sagt er dem kleinen Treffen mit Sarah und Jürgen zu. Sie verabreden sich für denselben Abend bei Jürgen zu Hause.

Um 20 Uhr sitzen Verena, Sarah und Jürgen im Wohnzimmer und warten auf Friedrich Proper.

Wenig später steht er keuchend vor der Tür.

„Wo wohnst du denn, Jürgen? Am Arsch der Welt. Mann, das ist vielleicht schwer zu finden. Tut mir echt leid, dass sich zu spät bin. Soll ich die Schuhe…“

„Komm rein. Mach dir keine Sorgen wegen den Schuhen.“

Ekke marschiert mit schnellen Schritten ins Wohnzimmer. Überschwänglich begrüßt er seine Frau Verena und Sarah. Für jede hat er einen kleinen Blumengruß mitgebracht. Jürgen ist überrascht. Ekke lässt sich gleich auf einen freien Platz der Couch plumpsen und beginnt sofort das Gespräch mit den beiden Frauen. Ekke hat gar nicht abgewartet vorgestellt zu werden.

„Ich weiß ja nicht was euch mein lieber Freund Jürgen über mich erzählt hat, aber ich hoffe mal nur Gutes. Ich bin ja mal gespannt, wie lange er noch braucht um ein paar Fachleute zusammen zu trommeln. Was meint ihr?“

Keiner sagt etwas. Jürgen hat inzwischen neben seiner Frau Platz genommen.

„Na gut. Keine Antwort ist auch eine Antwort. Wissen sie, ich bin alles nur kein Verrückter. Man braucht oft Jahre, um dahinter zu kommen. Ja, ich bin es. Verstehen Sie? Man kommt nicht auf die Welt und die ersten Worte sind: Na endlich. Das ist ein Prozess, der sich entwickelt. Aber je älter man wird umso mehr Vertrautheit entsteht. Ich brauchte vieles nicht neu zu lernen. Ich kann es abrufen…“

Ekke tippt sich an die Stirn.

„…Wie ein Lexikon. Ein Lexikon das mit jedem Leben dicker und umfangreicher wird. Aber es gibt einen bedeutenden Unterschied. Meine motorischen Fähigkeiten. Hier klafft zwischen Theorie und Praxis ein großer Unterschied. Alles Körperliche kann man nicht mitnehmen. Alles muss neu erlernt und trainiert werden. Der Körper muss es lernen. Und nicht jeder Körper eignet sich für die Ausübung der geistigen Fähigkeiten. Sie verstehen mich?“

Ekke grinst und Sarah räuspert sich.

„Ah. Ja klar. Wann haben sie das erste Mal bemerkt, das etwas nicht stimmt mit Ihnen?“

Ekke grinst noch breiter.

„Etwas nicht stimmt mit Ihnen! Hören Sie. Ich kann Altfranzösisch. Lesen und Sprechen. Das habe ich nie gelernt. Meine Erinnerungen sagen mir, da oder dort hat sich dieses oder jenes zugetragen. Ich gehe ins Museum und siehe da! Es stimmt. Als wäre ich dabei gewesen. Mit solchen Eindrücken müssen sie erst mal fertig werden. Das muss man verarbeiten können. Und was noch viel viel wichtiger ist: Es sein Leben lang für sich behalten. Ich kann ihr Schmunzeln gut verstehen.“

Die beiden Frauen sehen sich an und unterdrücken mühsam ihr Lachen.

„Jürgen hat mir erzählt sie hätten eine wichtige Botschaft. Nur deshalb würden sie sich an die Öffentlichkeit wenden.“

„Da ist was dran. Aber um gehört zu werden, um wahrgenommen zu werden, braucht man unerschütterliche Glaubwürdigkeit. Nur renommierte wissenschaftliche Experten können dies beurteilen und dementsprechend untermauern.“

„Die Botschaft?“

„Die Botschaft nicht. Den Überbringer.“

„Die Botschaft ist nicht von ihnen?“

„Botschaften sind Nachrichten. Sie bestehen aus Informationen. Überlebenswichtige Mitteilungen. Keine Angst, ich stelle mich nicht hin und sage: Gott ist groß oder Jesus liebt dich.“

„Was dann?“

„Es macht keinen Sinn, Grundsätzliches einzelnen Menschen wie ihnen Dreien vorzubeten. Die Menschheit insgesamt muss Kursänderungen vornehmen. Glauben sie mir das?“

„Was wollen sie den Leuten denn sagen? Esst kein Fleisch!“

„Sie werden mir nur glauben wenn sie überzeugt davon sind, dass ich authentisch bin. Darum geht es.“

Sarah fängt plötzlich an sich wie ein Terrier festzubeißen. Doch Ekke schüttelt sie jedes Mal locker ab.

„Mal angenommen, es stimmt weitgehend was sie uns weismachen. Glauben sie die Leute liegen ihnen darauf hin zu Füssen und verehren Sie? Sind wir doch ehrlich. Außer ein paar Wissenschaftlern und Altertumsforschern interessiert das doch keine Sau.“

„Sehe ich aus als würde ich verehrt werden wollen? Liebe Sarah, es geht mir nicht um ein paar Wissenschaftler. Ihre Einschätzung von mir ist völlig falsch. Sie liegen kilometerweit daneben.“

Ekke spürt wie eine Wut, eine unzähmbare Wut in ihm beginnt empor zu kriechen. Er muss sehen hier weg zu kommen, bevor er sich verplappert und ausrastet. Nur mühsam kann er sich beherrschen. Am liebsten würde der saublöden eingebildeten Kuh an die Gurgel gehen. Gewaltphantasien machen sich in ihm breit. Der Drang ihre langen Haare zu greifen, sie zu richtig daran zu schütteln bis sie schreit wie am Spieß. Und ihren Kopf, Gesicht voraus, mit voller Wucht auf den Tisch zu knallen. Bis das Blut spritzt und die Wiederherstellung ihrer Edelvisage richtig Zeit und Geld kostet. Ekke atmet für die anderen unbemerkt mehrmals tief durch. Eine Technik die er lange geübt hat. Sie hilft ihm für kurze Zeit ruhig zu bleiben und gewisse Reflexe zu unterdrücken. Ekke stützt sich mit beiden Händen auf und müht sich aus der tiefen Couch.

„Oh, tut mir jetzt echt Leid, aber ich muss unser kleines exklusives Treffen beenden.“

Während er sich mit seinem extrem kräftigen Handschlag verabschiedet, grinst er zuckersüß. So schnell es sein massiger Körper zulässt verschwindet er aus dem Haus von Köhler. Die drei setzen sich wieder.

„Und, was meinst du?“

„Na, der ist mir ausgewichen. Was er genau will? Kann ich dir nicht sagen. Das war zu kurz. Aber der Mann ist plötzlich geflüchtet. Ich bin mir sicher. Der wäre fast geplatzt vor Wut.“

„Echt. Warum?“

Jürgen ist es nicht aufgefallen.

„Er mag es nicht in die Enge getrieben zu werden. Wenn du mich fragst, lad ihn ein. Fünf, sechs qualifizierte Fachleute dazu und ihr wisst in einer halben Stunde ob er was zu bieten hat oder nicht.“

„Am Anfang war er so sicher. Das Nachbohren mag er überhaupt nicht. Da kann ich dir nur beipflichten, Sarah.“

„Na gut, ihr habt recht. Viel kann wirklich nicht passieren. Morgen mach ich mich mal ans Werk. Ein paar richtige Bluthunde auftreiben. Die sollen ihn dann genüsslich zerfleischen. Und dabei soll er sich so abgrundtief blamieren, dass ihm diese Tour mit dem ewigen Dasein vergeht.“

Während die Drei sich einig sind, ein Treffen kann nicht viel Schaden anrichten, steht Ekke draußen am Gartenzaun und pinkelt genüsslich an die Gartentüre und den Briefkasten.

„Ihr blöden Schweine! Du scheißblöde Kuh. Ihr werdet schon noch sehen.“

Flüstert er dabei. Finster grinst er vor sich hin.

Der Steinzeitmensch

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