Читать книгу Das Projekt Gott - Christian Manhart - Страница 4
Die Armee
ОглавлениеDr. Klaus Timmen hatte intensive Vorarbeit geleistet. Er hatte schon vor längerer Zeit, Dokumente zugespielt bekommen, in denen zu Lesen stand, dass sich Militärstrategen über neue Wege in den Waffentechnologien ausgetauscht hatten. Die Geheimakten erzählten von den Visionen der Kriegsforscher. Eines dieser Gedankenspiele hatte seine besondere Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Dieses Kriegsszenario handelte von vernetzten, biologischen Elementen die die Soldaten benutzten. Computerchips, die den Soldaten eingepflanzt wurden und sündhaft teuere Technik, spielte dabei eine große Rolle.
An diesem speziellen Thema blieb Klaus hängen. Immer wieder musste er bei biologischen Elementen an Johann denken. Das ganze Durcheinander mit Johann, Karin Grodberg und dem verkleinerten Winston, der Verlust seiner geliebten Carol, all diese Ereignisse hatten ihm kurzzeitig den Blick auf das Wesentliche versperrt.
Und das Wesentliche war der geschäftliche Erfolg. Klaus träumte davon so erfolgreich und unsterblich zu werden, wie der inzwischen verstorbene Steve Jobs, das geniale Gehirn von Apple. Gerade das Schicksal von Steve Jobs zeigte ihm, dass er keine Zeit zu verlieren hatte. Das Leben konnte schnell eine unangenehme Wendung nehmen, davor war niemand gefeit.
Zu diesem frühen Zeitpunkt wusste Klaus allerdings noch nicht, wie er an Johann herankommen könnte. Der Zufall wollte es, dass sich Karin Grodberg an ihn wandte, mit der Bitte, er, Klaus Timmen, möge sie vor Johann zu schützen. Dieser war offensichtlich nach einem Experiment durchgedreht und fühlte sich verfolgt und bedroht.
Es hatte sich wieder einmal gezeigt, dass man einfach Glück haben musste im Leben. Diese Frau Grodberg hatte sich ohnehin als ein schlechter Umgang für Johann erwiesen. Johann Schellberg war ein sonderbarer Einzelgänger und Eigenbrötler. Er war nicht geschaffen für eine Lebensgemeinschaft oder einer Beziehung zu einer Frau. Das war nicht seine primäre Aufgabe, sich mit Partnerschaftsproblemen herumzuschlagen. Besser war es, ihn unter eine besondere Aufsicht zustellen und ihn Tag und Nacht arbeiten zu lassen. So wie damals in Tübingen, wo er wirklich Großes geleistet hatte. Doch diesmal drängte die Zeit.
So hatte er über seine Firma die ,Prometheus‘ in Blaue hinein der US Regierung ein Angebot gemacht. Das war riskant, da er noch nicht wusste, ob sich der Gesundheitszustand von Johann dauerhaft bessern würde. Er liess trotzdem durchblicken, dass er wissenschaftliche Kapazitäten beschäftigte, die den Militärs und Sicherheitskräften ihre Wünsche nach mehr Einbindung von biologischen Elementen in die Waffentechnik erfüllen könnten. Timmen hatte in der Folge Kontakte um Kontakte geknüpft. Immer wieder bemühte er Nick Messco und bearbeitete ihn, seine Beziehungen zu den Machtzirkeln in der US-Regierung spielen zu lassen.
Mit Hilfe von Johann, den er schon am Krankenbett ständig aushorchte und in aufforderte, Großes und Einzigartiges zu leisten, liess er über seine Firmen weitere Expose`s erstellen. In diesen schilderte er eine völlig neue Welt. Sicherheit auf biologischer Basis. Billige organische Produkte sollten die Polizeien und Armeen unterstützen. Klaus Timmen liess sogar durchblicken, seine Forschungsabteilung wäre in der Lage eine Art Chimäre herzustellen. Ein Lebewesen, das der Soldat von morgen werden könnte. Einfach konstruiert. Ohne Persönlichkeit. Ohne eigene Meinung. Ohne trauernde Eltern oder Familienangehörige. Einfach und leicht zu züchten und abzurichten.
Es dauerte nicht lange und einige einflussreiche Herren hatten tatsächlich angebissen. Die Geheimdienste und Armeeoffiziere begannen ernsthaft über derartige Neuerungen nachzudenken. Allen ethischen und moralischen Bedenken zum Trotz, spielten sie derartige, eventuelle Szenerien durch, in denen Soldaten nur noch in geringer Stärke auftraten.
Einziger Wermutstropfen dieser gesamten Überlegungen war die Abhängigkeit der USA. Niemand aus den Kreisen der Militärs wollte, dass in diesem sensiblen Bereich, unkontrolliert geforscht wurde. Das denkbare Ziel war, wenn es denn eine Forschungsgruppe geben sollte, diese unter eine rein amerikanische Führung zu stellen. Längst wussten die USA von der Existenz eines Johann Schellbergs und dessen genialer Performance. Es war allen Beteiligten klar, dass es auf absehbare Zeit keinen Wissenschaftler geben würde, der ihm folgen oder ersetzen könnte.
Das war der große und einzige Trumpf in der Hand von Klaus Timmen. Und dieser dachte nicht im Traum daran Schellberg wieder herzugeben. Er erhöhte den Druck, indem er durchblicken liess, auch ohne die Unterstützung der US-Regierung forschen zu können. Er war sich allerdings bewusst, dass das ein Spiel mit dem Feuer war. Vor allem die Geheimdienste der USA waren nicht zu unterschätzen.
Klaus hatte sich bei den folgenden Gesprächskreisen für eine überschaubare Anzahl an Teilnehmern ausgesprochen. Es war nicht in seinem Sinne, vor großem Publikum die Details auszubreiten und Johann der Gefahr auszusetzen, von allen möglichen Offerten belagert zu werden. Ein kleiner, eloquenter Kreis von Spezialisten, sollte über das Für und Wider von bioorganischer Waffentechnologie entscheiden. Klaus war sich sicher, das Prometheus, mit diesem Auftrag, die wertvollste und teuerste Firma der Welt werden würde. Denn Niemand außer ihm hatte einen Johann Schellberg. Noch während Johann halb tot im Krankenbett lag, hatte Klaus Timmen, ein erstes Treffen organisiert, bei denen ausgelotet werden sollte, was Machbar und Sinnvoll sein würde.
Kaum hatte sich Johann soweit erholt, dass er transportfähig war, gab Klaus grünes Licht für das erste ernsthafte Sondierungsgespräch im Pentagon. Timmen und Schellberg flogen zusammen nach New York. Johann hatte von den Ärzten ein leichtes Beruhigungsmittel bekommen. So schlief er fast die ganze Reise über. Klaus hatte ein vornehmes Hotel in der Nähe des Central Parks gebucht. Seit jenem verhängnisvollen Abend an dem Klaus die letzte Zeugin, von verkleinerten Menschen getötet hatte, umsorgte er Johann weiterhin wie ein kleines Kind.
Um für ein wenig für Ablenkung zu sorgen hatte er Opernkarten besorgt. In der Metropolitan Opera wurde ,Der Barbier von Sevilla‘ gespielt. Ein wenig Abwechslung und Zerstreuung tat ihnen Beiden gut. Der morgige Tag würde hart genug werden. Die Vertreter der Militärs und Sicherheitskräfte mussten von ihnen Beiden gierig gemacht werden. Gierig und hungrig nach neuen biologischen Technologien. Der Opernabend war ein voller Erfolg. Johann war entspannt und ruhig wie schon lange nicht mehr. Er gestand Klaus auf der Heimfahrt, dass er das erste Mal in seinem Leben in einer Opernaufführung gewesen war.
Nach einem ausgiebigen Frühstück im Hotel fuhren sie mit einer gemieteten Limousine nach Washington. Die Besprechung war für 14 Uhr angesetzt. Genug Zeit also für die Fahrt und ein kleines leichtes Mittagessen. Der Nachmittag würde lange genug werden.
Im Pentagon, dem riesenhaften Gebäude mit zehntausenden von Büros wurden sie freundlich empfangen, mit Ausweisen ausgestattet und von zwei hübschen Damen zu den vorbereiteten Räumen geleitet. Klaus Timmen schob Johann vor sich her. Wer konnte schon von sich behaupten, einmal im Pentagon eingeladen gewesen zu sein. Die nächste Stufe in der Gesellschaft, da war sich Klaus sicher, würde das Weisse Haus sein. Wenn seine Hoffnungen durch Johann erfüllt wurden, war eine Unterredung mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika nicht mehr weit. Das würde einen vorläufigen Höhepunkt in seinem beruflichen und gesellschaftlichen Leben darstellen. Schon bei dem Gedanken daran dem Präsidenten freundschaftlich die Hand schütteln zu können wurde er ganz kribbelig.
Sie kamen zu einer Art Lobby. Die Damen stellten sich links und rechts neben einer breiten glänzenden Edelholztüre und machten eine Geste doch einzutreten.
Klaus beugte sich zu Johann hinunter und flüsterte ihm etwas zu. Dann winkte er eine der Damen zu sich.
„Professor Schellberg wartet einstweilen hier. Leisten sie ihm doch bitte ein wenig Gesellschaft.“
„Sehr gerne Mr. Timmen.“
Klaus Timmen betrat sodann alleine den kleinen Konferenzraum. Er wurde dominiert von einem ovalen Tisch dessen Oberfläche auf Hochglanz poliert war. Er war aus sehr dunklem, fast schwarzen und sehr edlem Holz gefertigt.
Es sassen zwölf Männer an dem Tisch. Nur die beiden Stirnseiten waren noch frei. Jeder der Teilnehmer hatte ein kleines Potpourri an Getränken vor sich stehen.
Klaus kannte sich mit Uniformen nicht aus, aber anhand der vielen Sterne und Abzeichen ging er von hochrangigen Vertretern der US-Army und der Bundespolizei aus. Nur drei der Teilnehmer waren in normale dunkle Anzüge gekleidet.
Klaus stellte seine Aktentasche neben den freien Stuhl an der Stirnseite des Tisches. Die leisen Gespräche verstummten allmählich. Klaus zog es vor, gleich stehen zu bleiben. Es war sein Tag. Er nickte in die Runde und fing an, laut zu sprechen.
„Sehr verehrte Herren, meine Name ist Dr. Klaus Timmen. Ich bin Vorsitzender der Gesellschaft Prometheus. Ich bedanke mich für die Einladung.
Das Thema dieser heutigen Sitzung trägt den Arbeitstitel :
,Neue Wege in der Kriegsführung.‘
Was bedeutet dies konkret? Was müssen wir uns darunter in einer hochtechnisierten Welt vorstellen?
Nun, in verschiedenen Gremien und Gesprächskreisen, wurde nicht nur einmal der Wunsch geäußert, über neue, intelligente und wirkungsvolle Waffensysteme zu verfügen. Einige Vertreter vor allem der Armee und Polizei und anderer Sicherheitskräfte, bedauerten schon seit längerem, dass die Entwicklung von herkömmlichen Waffensystemen, wie die gebräuchlichen Schusswaffen, an ihrem Ende angelangt sei.
Ein kurzer Blick in den derzeitigen Status Quo:
Immer wieder gibt es Neuentwicklungen, wie Teaser und EMP Impulswaffen, oder sogar Hyperschallsysteme. Aber der Anwender, der Träger dieser Waffen ist immer noch der Mensch. In der Regel sind das sehr teuer ausgebildete Soldaten oder Polizisten. Menschen sind und bleiben aber fehlbar. Ihre teuren Waffensysteme wenn in die falschen Hände gelangen oder in die des Feindes, schrumpft die technische Überlegenheit auf eine Minimum.
Mittels GPS gesteuerte Präzisionswaffen sind in der Lage, nahezu jedes bekannte Ziel punktgenau zu zerstören. Ein gravierender Nachteil dieser Technologie wird jedoch immer deutlicher sichtbar. Sie ist auf Dauer und bei größeren Konflikten, unbezahlbar! Eine einzige Lenkwaffe kostet mehrere Hunderttausend Dollar. Und was wird mit diesen Waffen zerstört? Vielleicht mal eine Radarstation, ein Lastwagen oder ein Pick up mit einem darauf montiertem Maschinengewehr. Manchmal auch der Teil eines Gebäudes oder Waffendepot. Was tun sie aber gegen Zehntausende von diesen genannten Zielen?
Sie wissen es besser als ich, einen Krieg, einen bewaffneten Konflikt gewinnt man mit diesen Hightech Waffen noch nicht. Es reihen sich nur mehr oder weniger bedeutende, zerstörte Dinge aneinander. Ohne das Kampfgebiet mit eigenen Soldaten in Augenschein zu nehmen, lässt sich eine genaue Beurteilung der Lage nicht sagen.
Um es auf den Punkt zu bringen: Im angehenden 21. Jahrhundert nähert sich die Zeit der Explosionswaffen dem Ende zu. Etwas völlig Neues wird die kommenden Konflikte dominieren.
Eine weitere Frage, die sie möglicherweise alle intensiv beschäftigt, wird sein:
Was tun wir gegen eine kleine Gruppe gut vernetzter Terroristen, Soldaten, Rebellen oder Verbrecherbanden? Die verschiedenen Kommunikationsebenen abschalten? Mehrere neue unabhängige Netze aufbauen? Selbst wenn dies gelänge, wie schützt man sich vor Hackerangriffen? Das dürfte in unserer modernen technisierten Welt eine gewaltige Hürde darstellen. Bei den Konfliktherden in der jüngsten Vergangenheit hatten die Behörden nicht die Macht z.B. über das Internet oder die Spezialdienste der Mobilphonhersteller. Sogar totalitäre Problemstaaten hatten große Schwierigkeiten mit dem Kappen der Leitungen. Nahezu alle Staaten verfügen über keine sekundäre Netze um den Sicherheitskräften ausreichende und abhörsichere Kommunikation zu ermöglichen.
Meine Herren wir brauchen deshalb eine neue Technologie. Meine Gesellschaft, die Prometheus, kann ihnen das bieten, mit dem sie ihre Strategien in der Zukunft neu ausrichten können. Die Technologie des 21. Jahrhunderts nennt sich Molekularbiologie. Das bedeutet, mit Gentechnik werden wir in der Lage sein Wege zu beschreiten, die aus der heutigen Sicht eines herkömmlichen Polizisten oder Soldaten ziemlich abstrakt sein wird.
Ich werde ihnen aber dazu einige der heute schon verfügbaren Technologien näher erläutern.
In Afghanistan und auch in Libyen werden zahlreiche Drohnen verwendet, um Aufzuklären oder eine Bombe abzuwerfen. Auch unbemannte Drohnen sind ein sehr teures Kriegsgerät. Ein weiterer großer Nachteil unserer technischen Geräte ist die Versorgung mit Energie. Eine Drohne braucht einen Antrieb und damit Treibstoff. Sie braucht elektrische Energie für die Elektronik zur Navigation und Steuerung. Diese Technik ist sehr aufwändig und mitunter auch anfällig für gewollte oder ungewollte Störeinflüsse.
Stellen sie sich vor, das bräuchten sie alles nicht mehr...“
Ein Raunen ging durch die Runde. Klaus Timmen spürte die Spannung und steigende Erwartungshaltung seiner Zuhörer.
„Dazu ein simples Beispiel: Ein Vogel ist in der Lage Hunderte von Kilometern zu fliegen. Wenn es sein muss völlig ohne Nahrungsaufnahme. Bevor sie abwinken, ich weiss, dass man Brieftauben schon für Spionagezwecke missbraucht hat. Doch solche Versuche haben nichts mit moderner Molekularbiologie zu tun. Stellen sie sich doch einmal vor, man könnte Lebewesen erschaffen, wie zum Beispiel solche Vögel, deren einziger Lebenszweck dazu dient, etwas auszukundschaften oder tödliche Ladungen zu überbringen. Ich gehe noch weiter: Ein Hieb mit einem Giftschnabel würde genügen... Oder sie schicken Schwärme von künstlich hergestellten Insekten in ein Krisengebiet... Am Ende der Entwicklung wird aber ein absolut jovialer, auf die wesentlich notwendigen Funktionen reduzierter Organismus stehen, dessen einziger Lebenszweck es ist, einen Auftrag auszufüllen. Das wird der Soldat der Zukunft werden.
Sie glauben nicht, dass solche Szenerien möglich sind?
Bitte begrüßen sie mit mir den bedeutendsten Wissenschaftler der Molekularbiologie Professor Dr. Johann Baptist Schellberg. Bitte meine Herren, stellen sie ihre Fragen an ihn.“
Die Tür ging auf und Johann wurde von einer der Damen in den Raum geschoben. Sie rollte ihn auf die gegenüberliegende Stirnseite des edlen Tisches. Zwölf Augenpaare verfolgten ihn dabei aufmerksam. Die junge Frau verliess den Konferenzsaal wieder. Timmen wartete bis die Türe wieder geschlossen war und meldete sich noch einmal zu Wort.
„Professor Schellberg wurde bei einem hinterhältigen Anschlag auf sein ehemaliges Institut in Tübingen schwer verletzt. Er verlor dabei beide Beine. Momentan laboriert er noch an einer Stoffwechselstörung. Er ist aber bereits wieder auf dem Weg der Genesung. Die Krankheit hindert ihn aber nicht, seine hervorragenden Kenntnisse in dem Bereich der Gentechnik für die Gesellschaft Prometheus zur Verfügung zu stellen. Ich darf sie bitten Professor Schellberg, ihren Zuhörern einen Überblick zum momentanen Entwicklungsstand zu verschaffen.“
Johann fühlte sich gut. Er hatte ausgezeichnet geschlafen. Auch seine Magenschmerzen und das Unwohlsein war verschwunden. Er freute sich auf neue Aufgaben. Damit konnte er die Vergangenheit ausblenden.
„Guten Tag, meine Herren. Sie wissen ja bereits wer ich bin. Ich werde ihnen anschließend alle Fragen beantworten, die sich im Verlauf meiner Ausführungen für sie ergeben.
Dr. Timmen hat ihnen bereits angedeutet, dass es für uns Menschen durchaus sinnvoll sein kann, die Bausteine der Natur neu zusammenzusetzen. Die Bausteine des Lebens sind unsere Gene. Die ungeheure Vielfalt der Pflanzen und Lebewesen auf dieser Erde hat mich inspiriert, genauer hinzusehen. Alles was sie an Lebenden auf diesem Planeten sehen, geht auf eine kleine Kombination von Nukleinsäuren zurück, die in Dreiergruppen, Tripletts genannt organisiert sind. Alle Lebewesen benutzen in Grundzügen denselben genetischen Code. Die Aminosäuren werden von den 4³ = 64 möglichen Codons kodiert. In diesen Codons werden jede der 20 kanonischen, in der Translation verwendeten Aminosäuren kodiert...“
Johann blickte zwar in aufmerksame, aber doch ratlose Gesichter. Er beschloss nicht weiter über sein Spezialgebiet zu referieren, sondern den Zuhörern praktische Beispiele aus der Welt der Genetik vorzustellen.
„...Ich möchte sie aber nicht mit Details dieser sehr komplexen Wissenschaft langweilen. Vielmehr sind es die theoretischen Aussichten auf eine Beherrschung der Natur, wie es in der Vergangenheit nicht denkbar war, die ich ihnen näher bringen will. Die Natur hält für uns einen umfangreichen Baukasten bereit, in den wir mittels unseres Wissens und unserer Technologie nur hineingreifen brauchen.
Ein Großteil dieser Organismen unterscheiden sich in ihrem Bauplan nur unwesentlich. Bemerkenswert ist nämlich, dass der genetische Code im Prinzip bis auf wenige Ausnahmen für alle Lebewesen gleich ist, alle Lebewesen sich also der gleichen „genetischen Sprache“ bedienen. Gene von Mensch und Maus sind daher in weiten Teilen völlig identisch. Der Mensch ist also im Grunde nicht so einzigartig wie wir immer alle glauben. Warum also nicht auf diesen Schatz zurückgreifen und etwas Neues daraus erschaffen? Tiere und Pflanzen, die uns dienen und helfen. Schnell und einfach zu produzieren, enorm billig im Unterhalt, hocheffektiv in ihrem Einsatzgebiet.
Dazu stelle ich ihnen ein vereinfachtes Modell vor, wie sich dieser unerschöpfliche Vorrat an einzelnen Genen in der Praxis benutzen lässt:
Insekten werden von Pheromenen gesteuert. Diese Duftstoffe lenken sie an ihr Ziel. Das bedeutet in der Regel Fortpflanzung oder Nahrungsaufnahme, Angriff, Verteidigung oder Flucht. Mit meinen Kenntnissen über den Bauplan von Insekten, ist es durchaus vorstellbar, darauf genetischen Einfluss zu nehmen. Insekten verfügen über organische Sensoren mit denen sie Pheromene erfassen können. Pheromene von Pflanzenblüten bestehen wiederum aus einer festen Molekularstruktur. Würde es gelingen die organischen Sensoren auf ein anderes Spektrum einstellen, so wird das Insekt genau diesem Geruch folgen. Unbeirrbar.
Ich denke da an die Duftstoffe und den Geruch von Sprengstoffen, Rauschgifte oder Brandbeschleuniger. Im Labor haben wir Gene, die für die Ausbildung von Antennen, wie sie Bienen üblicherweise benutzen bereits entschlüsselt. Bei Versuchen ist es gelungen, diese Antennen auf eine einzige Blütenart zu programmieren. Natürlich muss das fertige Tier mit dieser neuen Situation auch leben können, oder mit der Erfassung von nicht lebensnotwendigen Molekularstrukturen eine Reaktion zeigen können.
Ist man aber soweit, ist es nur ein kleiner Schritt zur gewünschten Reaktion des Versuchstieres. Zubeissen, zustechen oder eine Form von Signal abgeben, der Fantasie sind eigentlich keinerlei Grenzen gesetzt...“
Ein grau melierter Uniformträger mit dem gleichen kantigen und strengen Gesicht, wie alle Uniformträger in dem Sitzungsraum, hob seinen Kugelschreiber. Johann hatte sich bereits auf die ersten Fragen eingestellt.
„Dr. Schellberg, mein Name ist Georg Hallyban, ich vertrete das FBI. Ich bin zuständig für den Einkauf und Einsatz von Waffentechnologien. Es ist richtig, wir haben schon vor längerer Zeit Kontakt zu Dr. Timmen aufgenommen. Wir wollten erfahren, ob es Hilfsmittel aus dem Bereich der Medizin und Natur gibt, die uns bei der Bekämpfung von Terroristen und Bandenkriminalität helfen kann.
Mein Frage bezieht sich auf die Steuerbarkeit der eingesetzten Tiere. Wie bringe ich die Tiere zu ihrem Einsatzort? Über welche Art der Kommunikation verfügen wir?“
„Angenommen sie wollen die Anlieferung und Verteilung von Drogen in einem bestimmten Einsatzgebiet überwachen. Sie setzen einige Hundert von extra produzierten Insekten aus, deren Sinnesorgane selbst gut versteckte und verpackte Rauschgifte riechen können. Dafür senden sie Beispielsweise bei Kontakt mit diesen Stoffen, einen unhörbaren, hochfrequenten Pfeifton ab. Den können sie mit normaler Funktechnik empfangen und auswerten. Sie sind in der Lage ein Bewegungsprofil zu erstellen, ohne dass es die Verdächtigen merken. Mittels eines weiteren Lockstoffes sammeln sie die Tiere wieder ein. Sie kehren ohne ihr weiteres Zutun wieder zu ihnen zurück.“
Die Herren waren mucksmäuschen still.
„Wenn Insekten in Massen auftreten werden die Menschen unruhig. Das fällt doch auf. Sie machen außerdem durch ihr Flügelschlagen einen Höllenlärm... Können sie auch bei Dunkelheit und Kälte fliegen? “
Johann hatte den Kommentator nicht gesehen, reagierte aber sofort. Er lächelte freundlich in die Runde.
„Nein, es müssen natürlich keine herkömmlich bekannten Insekten sein. Es gibt genügend Insekten die vorzugsweise nachtaktiv und sehr leise und damit unauffällig sind. Ich spreche im Übrigen auch nicht von herkömmlichen Fliegen oder Faltern. Bienen wären sehr gut geeignet für diese Zwecke. Eine normale Honigbiene wäre sozusagen nur die Rohkarosserie für eine völlig neue, innere Funktion.“
Nun rührte sich ein ranghoher Militärangehöriger mit einer Vielzahl von Auszeichnungen auf der Brust.
„Dr. Schellberg, bei allem Respekt! Mit Bienen gewinnt man gewiss keine Kriege. Unsere Feinde sind in der Regel schwer bewaffnet. Sie fahren mit Sprengstoffbeladenen Autos und Fuhrwerken umher. Sie sitzen in Panzern, Lastkraftwagen und verstecken sich mit Panzerabwehrwaffen in Gebäuden oder auf Bäumen. Was sollen mir da ein paar Bienen nutzen? Im Übrigen habe ich den Eindruck sie wollen wieder zurückkehren zu den vorindustriellen Zeiten in den der Mensch mit Tieren in den Krieg zog. Das Pferd und das Maultier haben doch schon lange ausgedient. Sie sind sich im Klaren darüber, dass ein Pferd etwa Zehn Kilo am Tag Nahrung benötigt. In der heutigen Zeit eine logistische Herausforderung.“
„Sie haben völlig Recht. Ein Pferd ist ein vom Menschen domestiziertes Haustier. Jahrhundertelang diente es als Transportmittel. Pferde waren zu allen Zeiten kostbare Tiere. Doch wir werden kein 500 Kilo schweres Tier herstellen. Wir wollen die Genetik nutzen um Lebewesen zu produzieren, deren einziger Lebenszweck es sein wird spezielle Aufgaben zu erledigen. Die Idee Insekten zu benutzen soll ihnen als anschauliches Beispiel für die Verwendung von Genetik dienen. Natürlich bietet sich die Möglichkeit auf wesentlich einfachere, fast unsichtbare biologische Helfer zu setzen. Stichwort Bakterien. Nur ist der Einsatz von Bakterien meines Wissens verboten. Das würde unter die Kategorie Biowaffen fallen. Ich halte auch persönlich nicht viel von manipulierten Bakterien.
Zur sicheren Aufklärung von gefährlichem Terrain würde ihnen ein kleines Insekt bereits ausreichen. Insekten sind sichtbare Tiere. Ohne ausreichende Nahrung sterben sie ohne weiteres Zutun.
Aus Afghanistan wissen wir alle, ihre Hauptfeinde verstecken sich am Strassenrand und legen Bombenfallen. Für das Aufspüren und unschädlich machen derartiger Zeitgenossen könnte man den Soldaten genoptimierte tierische Begleiter mitgeben. Soweit ich informiert bin, sind ihre eingesetzten Drohnen ziemlich auffällig und werden früh bemerkt. Dadurch werden sie häufig abgeschossen oder abgelenkt. Oder bin ich falsch informiert?“
Der Offizier wiegte den Kopf auf die Seite und lächelte gequält. Er hatte aber nicht vor sich geschlagen zu geben:
„Und wenn sich diese ,Tiere‘ verselbständigen oder sich gegen den jeweiligen Anwender stellen? Welche Mittel können sie zur Verfügung stellen um sich selbst zu schützen?“
„Wie ich schon sagte: Die Natur erscheint komplizierter als sie es ist. Aber das Einzige Lebewesen, das von sich einigermaßen behaupten kann, es hat einen freien Willen, ist der Mensch. Alle anderen werden durch Hormone und Duftstoffe gelenkt. Sie können gar nicht anders. Aber ich gebe zu, Krankheiten und Missbildungen könnten einen Verlauf nehmen, in dem sich die gewünschte Steuerung des Organismus nicht mehr an die genetischen Vorgaben hält. Mit diesem Risiko werden sie allerdings leben müssen. Bioorganische Begleiter werden übrigens ohne Geschlechtsorgane hergestellt. Ihre Lebenszeit wird sehr kurz konzipiert werden. Wenn sie verloren gehen, sterben sie nach kurzer Zeit.“
Kaum hatte Johann geendet, begannen die Konferenzteilnehmer alle durcheinander zu reden. Dr. Timmen stand wieder auf und klopfte bedächtig mit der Faust auf den Tisch, beugte sich etwas nach vorne und mit lauter Stimme rief er in die Runde:
„Meine Herren, ich denke wir machen eine kleine Pause.“
Augenblicklich wurden Stühle gerückt und aufgeregt diskutierend verliessen die Männer den Raum. Johann blieb in seinem Rollstuhl sitzen. Er spürte seine Kraft langsam wieder zurückkehren. Bald würde er wieder in der Lage sein den Rollstuhl selber zu bewegen.
Es hatten sich mehrere Gruppen gebildet. Die Angehörigen von Militär, Polizei und Geheimdienst blieben jeweils unter sich. Die drei Herren des CIA, in dunkle Anzüge gekleidet, standen sogar noch ein gutes Stück abseits der anderen. Sie redeten sehr leise miteinander. Einer der Herren, ein weisshaariger bulliger Mann mit einem aufgeschwemmten Gesicht, mit lässig vergrabener Hand in der Hosentasche hörte sich offenbar die Meinung der anderen beiden an. Sein Körper schien förmlich aus dem Anzug platzen zu wollen. Er war der Chef einer ganz speziellen Abteilung die sich FCG nannte. Sein Name war Colin Marker. Er war schon über sechzig Jahre alt, wurde aber wegen seines Fachverstandes sehr geschätzt. Wenn er sprach, dann meist in einem sehr sonoren Singsang, der gar nicht so zu seinem Äußeren passte.
„Was haltet ihr davon? Phil? Freddi?“
Phil Kowalzki und Frederik Mikka kannten ihren Chef seit vielen Jahren. Die drei bildeten ein Team für ihre stets geheimen Operationen. Sie wussten, dass Colin stets zu allererst die Meinung der anderen hören wollte, bevor er sich selber äußerte.
Phil Kowalzki strich sich mit der Hand über sein Gesicht, fühlte die Bartstoppeln, die seit dem Morgen bereits wieder zahlreich gewachsen waren. Er hatte seit der Pubertät unter einem sehr starken Bartwuchs zu leiden. Bei Abendterminen musste er sich zweimal täglich rasieren. Er war ein Typ wie Johann, groß und sehr schlank, aber durch und durch trainiert. In diversen Bars und Clubs wurde er hin und wieder Opfer seines ungezügelten Alkoholkonsums. Wenn er einmal angefangen hatte Alkohol zu trinken, war er meistens nicht mehr zu bremsen. Es kostete ihn jedes mal eine Menge an Beherrschung den diversen Feiern und damit auch Besäufnissen fernzubleiben. Phil war zweiundvierzig Jahre alt und die Karriereleiter schnell empor gestiegen. Beim Ausscheiden von Colin war er als sein Nachfolger vorgesehen.
Freddi Mikka hingegen verkörperte den gemütlichen Beamten. Niemals würde jemand auf die Idee kommen, dass Freddi bei einer streng geheimen Abteilung des CIA arbeitete. Er war fünfzig Jahre alt, mittelgroß, hatte schüttere blonde Haare und ein freundliches helles Gesicht. Wenn er sich aufregte bekam er eine Menge roter Flecken darin. Freddi redete gerne und viel. Er hatte nur darauf gewartet endlich nach seiner Meinung gefragt zu werden. Heftig gestikulierend erklärte er seine Meinung zu dem Thema.
„Also wenn ihr mich fragt, dann sind das Phantasten. Du kannst Tiere vielleicht dressieren, aber ein Tier so ganz nach deinen Wünschen herstellen, ...das halte ich mit Verlaub, für ganz schön gewagt...“
„...Freddi, alter Miesepeter, wart es nur mal ab! Ich kann mich noch an deine Bedenken erinnern, wie du dich gegen die automatisierte Nutzung von Handydaten aufgeregt hast. Und heute? Du treibst deine Teams zu einer wahren Sammelsucht an.“
„O.K. Damals habe ich die weltweite und rasante Verbreitung der Geräte unterschätzt. Mal ehrlich, ich hätte nicht gedacht, dass sich der Aufbau des UMTS Netzes für die Betreiber rentiert und sie das viele Geld ins Blaue hinein investieren. Deshalb ist eine gesunde Skepsis, denke ich, bei solchen neuen Technologien immer angebracht. Wir brauchen uns auch nicht jeden Scheiss andrehen zu lassen. Wisst ihr noch die Sache mit den MMId`s? Das klang bei der ersten Vorstellung auch so schön. Die Industrievertreter haben uns alles in den schönsten Farben geschildert. Aber bei den Praxistests wollte nichts klappen. Damals hatte ich recht, Leute, oder etwa nicht?“
Phil diskutierte liebend gerne mit Freddie. Er konnte sich wunderbar aufregen und versuchte sich pausenlos zu rechtfertigen.
„Na hör mal. Wer von uns will sich auch schon chipen lassen? Da kam uns die Lust auf die kleinen Technikwunder schon sehr entgegen. Das Beste daran ist doch, dass die Leute die Geräte freiwillig nutzen...“
„...Und auch noch einen Haufen Geld dafür hinlegen.“
„Du musst natürlich zugeben, so ein iPhone oder die sagenhafte Berrywelt, da hätten wir vor fünfundzwanzig Jahren nicht mal davon geträumt. Und wir hatten damals schon eine Menge an Prototypen gesehen.“
Endlich war der Zeitpunkt gekommen an dem sich Colin einmischte.
„Spätestens jetzt hättet ihr merken müssen, dass wir uns an einem weiteren Scheidepunkt befinden. Die Einbindung von organischen, und biologischen Elementen in neue Technologien ist ein weiterer Schritt in unserer Evolution. Sie wird sich nicht aufhalten lassen. Wir müssen die Ersten sein, die sich auf diesem Gebiet tummeln. Wir müssen unsere Vormachtstellung halten. Dieser Schellberg darf uns keinesfalls entwischen. Wisst ihr eigentlich was diesem Phantast gelungen war? Nein? Er hat in einem Forschungslabor Menschen gezüchtet die nur ein Viertel unserer Größe hatten. Das Schlechte daran? Wir wussten nichts davon. Leider wissen nur sehr wenig Menschen überhaupt von diesem Projekt. Klaus Timmen ist einer davon. Aber er will partout nichts darüber erzählen. Schellberg war jedenfalls das Gehirn dieser Arbeit. Wir sollten versuchen mehr darüber heraus zu bekommen. Wenn es diesem Kerl gelungen war, ein kleines funktionierendes Menschenexemplar zu züchten, dann traue ich ihm alles Mögliche zu, versteht ihr?“
Phil und Freddi nickten ehrfürchtig. Colin kannte sich bestens aus. Er nutzte Kontakte von denen sie beide nur träumen konnten. Phil war in solchen Augenblicken ganz froh darüber, dass Colin noch einige Jahre im Dienst bleiben wollte. Er hatte im Grunde Angst davor in diesem wichtigen Amt zu versagen und seine Aufgaben nicht wie gewünscht zu erfüllen.
Die Uniformierten machten sich wieder auf den Weg in den edlen Konferenzraum. Colin machte keine Anstalten es ihnen gleichzutun. Also warteten sie zu dritt, bis sie allein waren. Colin neigte sich nach vorne und instruierte seine Mitarbeiter eindringlich:
„Keine Fragen! Hört gut zu, macht euch von mir aus Notizen, aber haltet euren Mund! Wir warten bis zum Ende und schnappen uns Schellberg und Timmen wenn die anderen weg sind. Ich will ihn alleine sprechen.“
Colins Anweisungen waren mehr als deutlich.
Auch Johann und Klaus hatten sich währenddessen leise unterhalten. Klaus hatte Johann beschwört, sich auf keinen Fall in ethische oder moralische Diskussionen einzulassen. Das war nicht das heutige Thema. Über Ethik und Moral sollten Politiker bestimmen, keine Geschäftsleute oder Wissenschaftler. Klaus wollte, dass Johann ihren zuvor besprochenen Plan zur Revolutionierung der Waffentechnik vortrug und sich nicht durch eventuell aufkommende kritische Fragen beirren zu lassen.
Nachdem wieder alle ihre Plätze eingenommen hatten, begann Johann wieder zu sprechen. Er redete bewusst leise, um die ganze Aufmerksamkeit der Zuhörer auf seine Ausführungen zu lenken.
„Meine Herren, wenn man erst die gesamten Zusammenhänge kennt, ist es ein Einfaches an den richtigen Rädchen zu drehen.
Um Tiere und Pflanzen für den Menschen besser nutzbar zu machen, war man seit jeher auf Züchtungen angewiesen. Man konnte gar nicht anders, als auf einen glücklichen Zufall der Natur zu warten. Auf den Zufall von positiven Mutationen, die man weiter züchten konnte.
Das wird mit der neuen Technik, die sich immer mehr in der Molekularbiologie etabliert, überflüssig werden. Wenn sie an einem bestehenden Organismus etwas ändern wollen, wird das in sehr naher Zukunft ein Kinderspiel sein. Vorausgesetzt natürlich, man kennt den Bauplan in und auswendig. Wie sie wissen, ist der Bauplan selbst von einfachen Organismen außerordentlich umfangreich. Deshalb hört sich das alles viel, viel einfacher an, als es in der Realität der Fall ist.
Während meines Informatikstudiums habe ich eine Software entwickelt, die mir hilft die Eingangs erwähnten Codons zu entschlüsseln. Leider wurde ein Großteil meiner umfangreichen Datenbank, die ich schon vor Jahren angelegt hatte, bei dem Brand im Labor zerstört. Es hatte viele Monate gedauert bis die bisherigen Entschlüsselungen rekonstruiert werden konnten. Aber um etwas umgestalten zu können muss man noch viel mehr wissen und deuten können als Codons zu entschlüsseln oder einzelne Gene einer Bestimmung zuzuordnen.
Selbstverständlich vereinfache ich daher die wirkliche komplizierte Arbeit die dahintersteckt...“
Ein Offizier mittleren Alters unterbrach Johann, ohne darauf zu warten bis dieser geendet hatte.
„...Wenn ich sie recht verstanden habe, so behaupten Sie, den Menschen oder Tiere so manipulieren zu können, dass sein ursprünglicher Zweck entfällt. Seine vorgegebene Funktion wird durch eine andere ersetzt. Ein Insekt, dessen einziger Lebenszweck sein wird, von Drogen angezogen zu werden... ohne Nahrung- und Geschlechtstrieb? Ein Mensch wäre nach ihrer Behandlung kein von Gott geschaffenes Individuum mehr, sondern nur noch ein... ein... eine Fleisch und Knochenmasse...? Warum dieser gravierender Eingriff?... Nur weil wir absolute Sicherheit und Kontrolle wollen? Aber wer garantiert uns dass wir die volle Kontrolle über unsere Geschöpfe behalten?
Wenn ihnen das, was sie uns hier präsentieren, in diesem Umfang gelingen sollte, würde das bedeuten, Sie Dr. Schellberg, wären Gottgleich und könnten beliebig nach ihren Wünschen die Natur verändern.“
Im ersten Moment fühlte sich Johann bei den letzten Worten geschmeichelt. Doch in dem Gesichtsausdruck des Polizeioffiziers las er blankes Entsetzen. Vermutlich war er einer von den streng gläubigen puristischen Amerikanern mit ihrer bekannten Doppelmoral. Johann begann sich augenblicklich zu ärgern. Doch dann besann er sich auf die Warnung von Klaus.
„Wenn Gott wollte, dass wir nichts tun, würde er uns daran hindern, davon bin ich überzeugt, Sir. Ich möchte sie an einen berühmten Satz erinnern, der von einem großartigen Wissenschaftler ihres Landes stammt. Dieser Satz hat sich mir eingeprägt. Er ist eine Leitthese für uns Molekularbiologen. Professor Nikolas Messco sagte:
„Aber Gott hat uns die Instrumente gegeben, um sein Werk nicht untergehen zu lassen.“
Verstehen sie? Das ist es, was auch mich antreibt. Denn was wir können, was wir wissen, sollten wir auch nutzen und es tun. Es kann gar nicht falsch sein. Die Natur ist unser größtes Kapital auf dieser Erde. Unser technischer Fortschritt ist gigantisch, aber die Rückbesinnung auf natürliche Kräfte schont unsere Ressourcen. Die Natur ist einfach um viele Faktoren besser als jede Technik.“
„Sie machen es sich zu einfach Dr. Schellberg. Ich vertraue nun Mal nicht darauf, dass mir jemand erzählt, er könne die Natur umfassend kontrollieren. Die Schöpfung Gottes ist etwas einmalig Kostbares. Sie ist ein Geschenk Gottes. Wir sollten sehr vorsichtig sein, was unseren Umgang damit betrifft. Ich bin überzeugt, dass Gott es nicht für gut heissen wird, sich dermaßen an diesem Gesamtwerk zu versündigen.“
„Ich habe nicht von umfassender Kontrolle gesprochen. Wenn sie eine Dressur vornehmen, haben sie auch nicht die umfassende Kontrolle. Doch wenn ich ein Tier genetisch zu einem bestimmten Zweck vorbestimme, gibt es keinen Kontrollverlust. Weil ich vorher alle Eventualitäten ausgeschlossen habe. Ich habe es sozusagen protokolliert. Schwarz auf weiss.“
„Verstehen sie mich nicht falsch. Ich bin beileibe kein Gegner von massvoll eingesetzter Gentechnik. Aber zwischen Tomaten, Mais und wie immer auch gearteten, weil veränderten Tieren, oder gar Menschen... oder noch schlimmer: Mischwesen, besteht für mich schon ein entscheidender Unterschied.“
„Und der wäre?“
„Pflanzen bleiben erstens da wo sie sind...“
„...Da liegen sie schon falsch Sir. Ihre Samen und Pollen verbreiten sich über weite Gebiete. Sofern es die klimatischen Verhältnisse zulassen, können sie weder Pflanze noch Tier daran hindern sich auszubreiten...“
Dr. Timmen reichte es. Er stand auf und sah Johann ernst in die Augen.
„Meine Herren ...Ich denke wir sollten die Besprechung wieder versachlichen! Professor Schellberg, fahren sie bitte fort mit ihren Ausführungen.“
Klaus Timmen gefiel die Richtung welche das Wortgefecht nahm überhaupt nicht. Grundsatzdiskussionen waren hier fehl am Platz. Bedenkenträger konnte er nicht brauchen. Der Polizeioffizier schloss den Mund zu einem schmalen Schlitz und klappte seine Mappe, die vor ihm lag, nervös auf und zu. Klaus Timmen notierte sich vorsichtshalber seinen Namen. Auf solche Leute musste er aufpassen. Sie konnten sich ohne großen Aufwand Gehör verschaffen. In Amerika gab es viele religiöse Fundamentalisten. Die üblichen Heuchler, die nach außen hin ein christliches Leben vorgaben und abseits der Kameras keine Moral kannten.
Von den anderen wurde der Einwand von Timmen wohlwollend zur Kenntnis genommen. Militärs und Geheimdienst hatten andere Wertvorstellungen wie Polizisten.
Johann wollte gerade wieder mit seinen Ausführungen fortfahren, da ergriff Klaus nochmals das Wort. Er nickte Johann freundschaftlich, aber bestimmt zu. Soll heissen: Das ist meine Veranstaltung.
„Die biologischen Begleiter, die unsere Gesellschaft für militärische Zwecke entwickeln kann, werden folgende Merkmale aufweisen: Sie besitzen keinen eigenen Geschlechtsapparat. Sie sind deshalb weder männlich noch weiblich und daher nicht in der Lage sich fortzupflanzen. Ihre natürlichen, vorhandenen Triebe werden eingesetzt um sie für unsere Zwecke zu nutzen und auswerten zu können. Das funktioniert auch bei anderen Tieren und nicht nur bei Insekten. Die Suche nach Futter ist eines der Basiselemente, welches uns zur Steuerung zur Verfügung steht.
Um zu einem Ergebnis zu kommen, schlage ihnen drei in ihren Aufgaben getrennte Lebewesen als Forschungsaufgaben vor:
Gruppe 1: Mit biologischen Sensoren ausgerüstete Kleintiere, Insekten oder auch weiterentwickelte Formen von Bakterien zur Aufklärung und Information über die Lage, oder das jeweilige Einsatzgebiet.
Gruppe 2: Verfolgung und Identifizierung der Gegner.
Gruppe 3: Angriff und Vernichtung von Feinden.
Professor Schellberg ist ein Mann der Wissenschaft, deshalb gehört die letzte Gruppe eigentlich nicht zu seinen favorisierten Forschungsaufgaben. Sie können sich vorstellen, dass es hierzu noch ein weiter Weg ist. Aber um überhaupt einsteigen zu können in diese sensible Materie, benötigen wir ein hochentwickeltes Equipment. Professor Schellberg wird ihnen die Details dieser Forschungsarbeit genauer darstellen.
Johann, der die Hände in den Schoß gelegt hatte, rückte sich auf seinem Rollstuhl zurecht.
„Im Grunde besteht die Gentechnik aus Analysen des Vorhandenen. Ich habe spezielle Algorithmen entwickelt, die es mir erlauben, die Milliarden von Genen zu sortieren und ihre Funktionen zu erkennen. Dazu sind Hochleistungsrechner erforderlich. Die Rechenleistung die bei den einzelnen Sequenzen abverlangt wird, würde bei herkömmlichen Systemen sonst Tage oder Wochen dauern.
Das Risiko bei einer Manipulation besteht in der Ungewissheit, was am Ende tatsächlich herauskommt. Viele Versuchsreihen sind daher vonnöten um an das gewünschte Ergebnis zu kommen.
Als Einstieg in Gruppe 1, bleibe ich dabei, es zuallererst mit Bienen zu versuchen. Sie sind die idealen Versuchsobjekte. Bakterien, wie von Dr. Timmen noch einmal angesprochen lehne ich ab. Auch wenn es Bakterien gibt die bei Kontakt mit bestimmten Stoffgruppen reagieren können. Zum Beispiel fluoreszierendes Licht abgeben... aber wie gesagt, das funktioniert mit Insekten zuverlässiger und für den Anwender sicherer.
Für die Gruppe 2 würden sich flugfähige Tiere wie Vögel anbieten oder kleine Säuger, wie Nagetiere. natürlich bieten sich hier auch Mutanten an, also Kreuzungen und Einbindungen von Funktionen einer anderen Tierart.
Dr. Timmen hatte es schon angedeutet, mit der Gruppe 3 habe ich so meine Probleme. Dennoch glaube ich, sind sie mit einer Version von Kapuzineräffchen hervorragend bedient. Das sind intelligente Primaten, die mancherorts sogar als Haushaltshilfen eingesetzt werden. Ihr überaus starkes Gebiss gibt ihnen die Möglichkeit auch den dicksten Finger abzubeissen. Gegen eine Horde dieser Primaten haben auch gut geschützte und bewaffnete Soldaten kaum eine reelle Chance.
Mit menschlichen Elementen kombiniert liesse sich hier durchaus ein Soldat der Zukunft erschaffen.
Ich bin aber wie schon von Dr. Timmen erwähnte, kein Freund von Militär und Kriegsgerät. Doch ist mir natürlich bewusst, dass die Menschen ohne starke Sicherheitskräfte nicht zusammenleben können. Faustrecht ist das Letzte was sie und ich wollen.
Bei alledem was ich ihnen erläutert habe, bedenken sie bitte, dass wir erst am Anfang stehen und nur wenn wir kleine Erfolge haben, uns noch weitere Optionen zur Verfügung stehen werden. Namentlich würde am Ende der Entwicklung die Erschaffung eines eigenen Geschöpfes stehen. Vielleicht sogar einer Kreatur ganz nach unseren Wünschen und Vorstellungen. Schließlich stehen wir nicht umsonst an der Spitze der Evolution und der Nahrungskette.
Ich hoffe ihnen einen Ausblick auf die nahe Zukunft der Gentechnik gegeben zu haben. Wenn sie Fragen haben stehe ich ihnen anschließend gerne zur Verfügung. “
Die Männer klopften leise mit den Fäusten auf den polierten Tisch. Ein Raunen ging durch die Runde. Die Teilnehmer begannen sich zueinander zu drehen und eine lebhafte Unterhaltung erfüllte den Konferenzraum. Nur der Offizier, der einige unangenehme Fragen gestellt hatte, war ohne Gesprächspartner. Er sass still und mit käseweissem im Gesicht an seinem Platz. Ohne weitere Notiz von den anderen zu nehmen stand er auf und ging eilig zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um und sah Johann direkt in die Augen. Johann spürte eine tiefe Verachtung in seinem Blick.
Johann war etwas irritiert. So ein Ignorant der Wissenschaft war irgendwie unter seinem Niveau. Nicht im intellektuellen Sinne, sondern in der Anschauung der Dinge. Was glaubte der Mann? Die Entwicklung konnte er ohnehin nicht stoppen. Es war doch viel besser die Evolution selber zu steuern, als sich dem Zufall hinzugeben. Der Mensch wäre niemals so weit gekommen,wenn er nicht so konsequent sein Potential ausgeschöpft hätte. Johann beschloss sich nicht weiter über den Quertreiber zu ärgern und rollte zu den Offizieren die ihn schon erwarteten und mit kompetenten und interessanten Fragen löcherten.
Die offizielle Unterredung verlief nach den kleinen Diskussionsrunden weitgehend im Belanglosen. Die Militärs waren einigermaßen zufrieden mit den angebotenen Aussichten auf Biologische Helfer. Die Vertreter der Bundespolizei hatten unzählige Sonderwünsche auf ihrer Wunschliste.
Einzig der Vertreter der State Police, der vorzeitig die Diskussion verlassen hatte, war es ganz und gar nicht. Der Offizier hiess Marty Gredder. Er war ein überzeugter Police Offizier mit einer grundsoliden Lebenseinstellung. Seine Sichtweisen waren klar unterteilt in Gut und Böse.
Gredder arbeitete als Koordinierungsbeamter. Er war seit einigen Jahren dafür zuständig, die Polizeidepartements der Städte und Gemeinden über Neuentwicklungen von Sicherheitstechniken zu informieren und deren Beschaffung zu befürworten und auch zu ermöglichen. Dazu reisten er und seine Leute ständig in den ganzen USA umher. Gredder war ursprünglich bei der Spurensicherung tätig. Nach ein paar Jahren Polizeidienst war er zur Akademie gewechselt und dort für die Ausbildung von jungen Offizieren zuständig. Sein Spezialgebiet lag damals schon im Bereich der neuesten Kriminaltechnik. Durch seine ausgezeichneten Kenntnisse in der Kriminaltechnik wurde die Bundesbehörde auf ihn aufmerksam. So wechselte er vor acht Jahren zu dieser Behörde. Inzwischen war er zum Chef dieser kleinen Abteilung aufgestiegen. Unter seiner Leitung hatten die jeweiligen Polizeidepartements neue Waffen-und Kommunikationssysteme angeschafft. Die Ausrüstung der Sheriffs mit Teasern und Navigationsgeräten, aber auch Laserpistolen zur Verkehrsüberwachung gehörte zu seinem Aufgabenbereich.
Gredder kam aus Dixon im Bundesstaat Illinois. Er war 47 Jahre alt, verheiratet und hatte zweiDixon Söhne. Sein Frau Melinda war Lehrerin an einer Highschool in Washington. Seit seiner Ernennung zum Abteilungsleiter wohnte und arbeitete die Familie in Washington.
Gredder und seine Frau waren streng religiös erzogen und hatten daher ein festes unverrückbaren Weltbild mit urchristlichen Fundament. Er war ob des Ansinnens von Schellberg nicht nur entsetzt. Er war außer sich, dass ausgerechnet seine Landsleute auch nur die Möglichkeit in Betracht zogen, derartige Techniken zu Hilfe zu nehmen. In seinen Augen war das eine Form von Blasphemie. Diesen Kurs konnte er keinesfalls unterstützen. Um nicht aufzufallen, liess er sich aber nichts weiter anmerken. Er bereute es bereits, unangenehme Fragen gestellt zu haben. Dennoch verspürte er keine Ambitionen an der abschließenden Diskussion teilzunehmen. Er hatte es natürlich registriert, dass sich Timmen seinen Namen notiert hatte.
Gredder machte sich innerlich keine große Hoffnung darauf, weiter an diesem Projekt mitwirken zu können. Wenn ihn seine Vorgesetzten davon abzogen war es ihm nur recht. Im Grunde gefiel es ihm in Washington sowieso nicht besonders.
Die drei CIA Leute warteten nach der Verabschiedung auf ihre Chance. Diese Art der Befragungen machten sie nicht zum ersten Mal. Es kam dabei ganz darauf an, ihr ,Opfer‘ nicht entwischen zu lassen, sondern im rechten Augenblick abzufangen und mit den richtigen Fragen zu konfrontieren. Ohne dabei von unerwünschten Zuhörern belauscht zu werden. Die drei mimten deshalb nur Zuhörer bei den Gesprächen die in kleinen Grüppchen geführt wurden. Erst als sich die Konferenzteilnehmer entschieden zu gehen war ihr Auftritt gekommen.
Phil machte dabei den Anfang. Kaum waren alle aufgestanden und machten Anstalten den Raum zu verlassen, umrundete er den Tisch und baute sich hinter Johann auf. Er packte die beiden Griffe des Rollstuhls und beugte sich nach vorne, ohne seinen Blick von den anderen Teilnehmern abzuwenden. Immer die Kontrolle behalten, war das eiserne Gebot von Geheimdienstlern.
„Darf ich ihnen behilflich sein, Professor Schellberg? Ihr Ausführungen waren mehr als faszinierend. Zu gerne würde ich mehr darüber erfahren.“
Johann war über den Überfall gar nicht erbaut. Die Gespräche hatten ihn doch ein wenig erschöpft. Klaus Timmen auf der gegenüberliegenden Seite war leider mit der Verabschiedung der Offiziere beschäftigt. Er konnte ihm jetzt nicht zur Seite springen. Also liess er sich notgedrungen auf ein Gespräch ein.
„Mit wem habe ich das Vergnügen?“
„Phil Kowalski. Ich bin Vertreter des CIA.“
„Ah, das dachte ich mir bereits. Ich hoffe sie sind nicht einer von denen, die sich von mir eine geheime, unsichtbare Kampfmaschine wünschen? Wir sollten die bioorganischen Methoden nämlich mit großer Sorgfalt einsetzen.“
„Da bin ich völlig ihrer Meinung, Doktor. Ich habe schon viel von ihnen gehört. Sie hatten ja sensationelle Erfolge bei einem Projekt mit... sagen wir einer Größenoptimierung der Spezies Mensch. Darüber würde ich gerne mehr erfahren, wenn sie es gestatten.“
„Woher wollen Sie...? ...Ich muss Sie enttäuschen, Mr. Kowalski, über ein derartiges Projekt ist mir nichts bekannt.“
„Schade. Darf ich Sie hinausbegleiten?“
„Ja, äh, das heisst nein. Fahren Sie mich bitte zu Dr. Timmen.“
„Gerne.“
Phil machte Colin und Frederik ein Zeichen mit den Augen, will heissen: Fehlanzeige. Colin machte sich auf den Weg nach draussen.
Johann wurde von Phil wunschgemäß neben Dr. Timmen abgestellt. Klaus räumte noch seine Papiere zusammen. Einige der Offiziere nickten ihm nur zu, andere verabschiedeten sich per Handschlag. Phil verliess schnell den Raum um Frederik ans Werk zu lassen. Der hatte nur darauf gewartet endlich loslegen zu können.
„Ich muss sagen Professor Schellberg, ich bin schwer beeindruckt von ihrer Arbeit. Das sind endlich einmal Perspektiven, die unsere Sicherheitstechnik einen großen Schritt voranbringen wird.“
Johann reagierte überhaupt nicht auf das Gesprächsangebot. Dafür blickte Klaus von seinen Papieren auf und musterte Frederik. Sein Augen blieben an dem Ausweiskärtchen hängen, das Frederik, wie alle Teilnehmer der Konferenz, an seinem Revers trug.
„Aha, CIA. Mr. Mikka, womit können wir ihnen helfen?“
„Sie sind Dr. Timmen, sehr erfreut sie persönlich kennen zu lernen. Wie gesagt, aus unserer Sicht, eine äußerst positive Entwicklung. Wobei ich dazu noch ein paar spezielle Fragen hätte...“
Der Raum hatte sich inzwischen geleert. Colin wartete draussen bei den Aufzügen auf die letzte Gelegenheit, sollte Freddi keinen Erfolg haben.
„Sie werden verstehen, dass Professor Schellberg Rücksicht auf seine angeschlagene Gesundheit nehmen muss. Die bevorstehende Arbeit erfordert seine ganze Kraft.“
„Selbstverständlich, es ist nur so... Wie wär`s mit einem Essen im kleinen Kreis..., heute Abend? Es gibt eben noch ein paar Fragen, die sich ergeben haben. Kann ich mit ihnen rechnen?“
Klaus zögerte. Johann schien müde zu sein. Er hatte die Augen geschlossen und sich zurückgelehnt. Aber der CIA war eine interessante Organisation. Es war bestimmt nicht schlecht, sich mit den Herren zu treffen.
„Na gut. Was schlagen sie vor?“
„Wo wohnen sie?“
„Im Hilton City, DuPont Circle.“
„Ich lasse sie abholen, Einverstanden, 8 Uhr?“
„In Ordnung.“
Marty Gredder ging mit schnellen Schritten zum Parkplatz. Sein hellgraues, neutrales Dienstfahrzeug der Marke Ford Crown Victoria blitzte in der Abendsonne. Er legte seine Aktentasche sorgfältig auf den Rücksitz und schlüpfte aus seiner Uniformjacke. Er liess sich in das Polster des Fahrersitzes sinken und schloss die schwere Tür der Limousine.
,Das sind doch lauter Verrückte‘ schoss es ihm durch den Kopf.
„Nein, nein und nochmals nein.“
Er schrie in das Armaturenbrett hinein und trommelte mit den Fäusten auf des Lenkrad. Er keuchte und konnte sich kaum beruhigen. Diese Konferenz hatte ihm zum ersten Mal in seiner beruflichen Laufbahn vor Augen geführt mit welchen Leuten er es zu tun hatte. Den Leuten von der Army war scheinbar jedes Mittel recht. Sie besassen keinen Funken an Moral. Nie hätte er es für möglich gehalten, dass es derartige Unterschiede zwischen Polizisten und Soldaten gibt.
Polizisten töteten nicht. Wenn sie das tun, dann nur in Notwehr oder weil es kein anderes Mittel gibt, die Gewalt zu stoppen. Aber Polizisten greifen niemanden an. Sie schützen die Menschen voreinander. Aus diesem Grund war Marty Gredder Polizist geworden. Um Gutes zu tun. Um mitzuhelfen Verbrechen aufzuklären. Darin sah er seine Aufgabe.
Natürlich dienten Soldaten und Polizisten mit Hingabe ihrem Land. Aber bei diesen gottesverachtenden Experimenten wollte Marty Gredder nicht mitmachen. Um keinen Preis der Welt.
Er lehnte sich zurück und faltete die Hände. Leise murmelte er ein Gebet vor sich hin und bekreuzigte sich anschließend. Seine Anspannung war aus seinem Gesicht gewichen. Beten hatte ihn schon immer beruhigt. Er wartete noch bis seine Erregung abgeklungen war. Erleichtert, dass er durch das Gebet seine Beherrschung wieder gewonnen hatte, startete er den Motor und fuhr nach Hause.
Trotzdem wanderten seine Gedanken während der Fahrt wieder zu dem ungeheuerlichen Vorhaben. An dieser ganzen Sache gab es nur einen Punkt der ihn bekümmerte. Das war die vereinbarte strikte Geheimhaltung. Er durfte Niemanden von diesem Nachmittag erzählen. Er musste diese gottesverachtenden Experimente, die die beiden Deutschen beabsichtigen zu tun, alle für sich behalten. Das war sehr schwer für Marty.
Am Abend wurden Klaus und Johann von einer überlangen Limousine abgeholt und zu einem vornehmen italienischen Restaurant kutschiert.
Colin Marker und Frederik Mikka erwarteten sie bereits. Phil Kowalski hatte es vorgezogen dem Treffen lieber fern zu bleiben. Professor Schellberg hatte ihn abblitzen lassen und so etwas nahm ihm der erfahrene Agent übel. Colin war über den Umstand, dass ihn Freddie zum Abendessen begleitete ganz zufrieden. Phil schätzte er zwar sehr, aber sein Temperament verleitete ihn oftmals zu einer gewissen aggressiven Reaktion. Freddie war einfach der bessere Gesprächspartner für diese heikle Angelegenheit.
Die Begrüßung verlief dennoch unerwartet frostig für die beiden CIA Beamten.
Klaus hatte Johann noch im Hotel für das Essen dementsprechend eingestimmt. Klaus wusste, diese Agenten waren mit Vorsicht zu geniessen. Bei ihnen konnte man sich nie sicher sein, welchen Umfang ihr Kenntnisstand hatte. Die Neugierde kam nicht von ungefähr. Deshalb musste Klaus höllisch aufpassen, dass sie Johann nicht in ihre Finger bekamen. Klaus betrachtete Johann weiterhin als sein persönliches Eigentum. Denn er hatte ihn gerettet und Johann war ihm einiges schuldig dafür. Andererseits arbeitete in Johann irgendetwas. Es war wie ein Feuer das in ihm loderte. Er konnte es kaum erwarten mit seiner Arbeit loszulegen. An diesem Abend hatte er Klaus ernsthaft damit bedrängt, er solle ihm wieder seine Prothesen besorgen. Er hatte Klaus unmissverständlich erklärt, wieder unabhängiger werden zu wollen. Sie hatten sich darauf geeinigt, damit zu warten, bis sie wieder in der Schweiz waren.
Sie sassen alle vier um den Tisch, der abseits von den anderen platziert war. Colin pflegte diesen Ort immer für seine speziellen Unterredungen zu nutzen.
„Professor Schellberg,“ begann Colin mit seinen Begrüßungsworten.
„Ich darf mich glücklich schätzen, dass Sie und Dr. Timmen noch Zeit gefunden haben, sich mit uns zu einem kleinen Arbeitsessen zu treffen. Mein Name ist Colin Marker, leitender Chief Inspektor, der Abteilung neue Technologien beim Secret Service. Das ist mein Kollege und Mitarbeiter Frederik Mikka.
Ich will nicht lange herumreden. Konkret geht es mir darum, von ihnen zu erfahren, ob sich ihre Erfahrungen bei der Nutzung von genoptimierten Biomaterial, auch auf den Menschen anwenden lassen. Ich habe gehört sie waren in der jüngeren Vergangenheit ziemlich erfolgreich bei einem ungewöhnlichen Experiment. Es ging, soweit ich informiert bin, um Menschen die sie drastisch in ihrer Größe verändert haben.“
Johann hasste es ausgefragt zu werden. Er zog es deshalb vor nicht auf die Frage zu antworten, sondern Klaus das Feld zu überlassen. Aus den Augenwinkeln studierte er den Gesichtsausdruck von Klaus. Doch dieser blieb völlig ungerührt. Aber dann schmunzelte er die zwei Herren freundlich an und erwiderte treuherzig.
„Sie mal einer an. Der CIA glaubt doch tatsächlich immer alles zu wissen. Aber diesmal liegen sie falsch meine Herren. Das Experiment, auf das sie anspielen, war ein simulatives Experiment. Bei dem Projekt, das übrigens auch von ihrer Regierung gefördert wurde, untersuchte das Team von Professor Schellberg inwieweit der Fortbestand der Menschheit auch bei einer extremen Überpopulation garantiert werden kann. Professor Schellberg regte damals an, mittels zukünftiger Gentechnologie, auf unser aller Größenwachstum Einfluss zu nehmen. Übrigens ein sehr interessanter Denkansatz.“
Johann war erstaunt über diese, wie aus der Pistole geschossene, verlogene Erklärung von Timmen. Klaus klopfte ihm auf den Arm. Er stimmte seiner Aussage zu:
„Über die reinen theoretischen Machbarkeitsstudien kam das Projekt allerdings nicht hinaus. Auch fürchtete man die manglende Akzeptanz in der Bevölkerung.“
„Ich weiss, es ist schwer für Sie, Professor Schellberg, aber uns würden auch die Umstände des heimtückischen Anschlages in ihrem Institut in Tübingen interessieren. Es ging um Wirtschaftsspionage, richtig? Wurde damals tatsächlich dieses geheimnisvolle ,Theoretische‘ Projekt komplett eingeäschert? Blieb nichts davon übrig?“
Klaus musste laut lachen. Es hätte nicht viel gefehlt und er hätte sich auf die Schenkel geklopft vor Vergnügen. Johann sah ihm irritiert dabei zu. Die beiden Agenten fanden das aber gar nicht lustig.
„Meine Herren...ha ha, das darf doch wohl nicht wahr sein...ha ha, entschuldigen sie bitte...aber sie fragen uns ernsthaft nach einem geheimen Forschungsprojekt? Ich dachte sie haben überall ihre Leute?“
„Ein weit verbreiteter Irrglaube, Dr. Timmen. Aber vielleicht können sie uns dazu etwas mehr erzählen Professor?“
Colin holte ein dickes Kuvert aus der Tasche und schüttete den Inhalt auf den Tisch. Es waren eine ganze Menge an Hochglanzfotografien in allererster Qualität und Auflösung. Sie zeigten Johann und Karin und den kleinen Winston in allen nur denkbaren Aufnahmewinkeln. Johann schluckte. Klaus grinste überlegen. Damit konnten sie bei ihm nicht punkten.
„Ah, wie nett. Den armen kleinen Winston habt ihr also auch fotografiert. Johann, sag es ihnen.“
„Karin Grodberg, eine ehemalige Mitarbeiterin hatte sich eingebildet, sich dem Kind anzunehmen. Hallermann-Streiff-Syndrom, schon mal gehört? Wir hofften ihm helfen zu können.“
Colin packte seine Fotos wieder zusammen und die Enttäuschung war ihm sichtlich ins Gesicht geschrieben.
„Ich sehe schon, ihre Gesprächsbereitschaft hält sich in sehr engen Grenzen. Über ihr plötzliches Verschwinden aus San Francisco wollen sie mir natürlich auch nichts verraten, habe ich recht?“
Johann musste nun auch schmunzeln. Die Situation war auch zu komisch. Alle wussten sie voneinander, nur wollte es keiner zugeben. Colin drückte die Finger auf den Tisch bis die Knöchel weiss wurden. Ihm war gar nicht mehr zu Spassen zumute. Er fuhr fort:
„Ja, meine Herren, es wird sie doch nicht wirklich überraschen - natürlich beobachten wir ausländischen Wissenschaftler. Das ist unsere Aufgabe. Die USA ist ständigen Bedrohungen ausgesetzt. Der 11. September 2001 hat sich uns allen tief ins Bewusstsein gegraben. Wir müssen wissen mit wem wir es zu tun haben. Und wir wollen es auch jetzt wissen. Nicht dass sie glauben, alles wäre schon in trockenen Tüchern. Die Regierung verlangt von mir eine Stellungnahme. Also arbeiten sie mit uns zusammen? Sie haben nichts zu befürchten. Im Gegenteil. Ich garantiere ihnen Sie umfassend zu unterstützen und sie vor eventuellen Gefahren zu warnen.“
Timmen faltete seine manikürten Hände vor dem Gesicht. Beide Zeigefinger berührten seine Lippen und tippten mehrmals darauf.
„Mr. Marker. Ich bin Geschäftsmann. Ich verkaufe Hochtechnologie auf dem Gebiet der Molekulargenetik. Ein gigantischer Zukunftsmarkt wie sie noch sehen werden. Sie wird die heutige Elektronikindustrie ablösen. Mein Freund, Professor Johann Schellberg ist ein Pionier auf diesem noch jungen Terrain. Er arbeitet und forscht bei meiner Gesellschaft seit vielen Jahren. Er hat bei mir alle Freiheiten. Kein politischer oder geschäftlicher Druck beeinflusst ihn. Das wird auch so bleiben. Er kann nicht in einer Organisation arbeiten, die ihn misstrauisch beäugt. Es ist nicht zwingend notwendig sich in den Schutz einer Geheimdienstorganisation zu begeben. Aber ich kann ihnen versichern, dass die Ergebnisse seiner Forschung, ihre Regierung voll zufrieden stellen werden. Sie hat die Exklusivrechte und ich denke nicht daran ein falsches Spiel zu spielen. Sind wir uns nun einig?“
Nun war es an Colin die Lage zu entspannen. Er lächelte und nahm sein Weinglas in die Hand. Freddie tat es ihm nach.
„Mr. Timmen, Professor Schellberg, denken sie nicht schlecht von mir oder unserer Organisation. Es ist unsere ureigene Aufgabe Schaden von den Vereinigten Staaten abzuwenden. Ein gesundes Misstrauen ist sozusagen unser Geschäft. Wenn sie das Gefühl hatten, wir würden sie bedrängen, entschuldige ich mich dafür. Ich hoffe auf eine gute Zusammenarbeit mit der USA und wünsche ihnen viel Erfolg bei den Forschungen...“
Sie stiessen mit ihren Weingläsern an. Es klirrte lautstark. Colin nippte am Glas und fuhr fort.
„...Aber täuschen sie sich dennoch nicht. Es gibt unter Umständen noch andere ungebetene Mitspieler auf dem Markt. Wenn sie auch nur leisesten Verdacht haben, sie werden bedroht und sie könnten Hilfe benötigen... Meine Leute und ich sind jederzeit für sie da. Haben sie Vertrauen. Wir ziehen an demselben Strang.“
Klaus sah zu Johann und bemerkte dessen leeren Blick. Johann war nur mehr körperlich anwesend. Es interessierte ihn nicht was hier gesprochen wurde. Er hatte auch völlig mechanisch mit seinem Glas angestossen. Es wurde Zeit den Abend zu beenden. Für den immer noch geschwächten Johann war es ein anstrengender Tag gewesen.
„Natürlich, Mr. Marker werde ich sie über eventuelle Bedrohungen informieren. Aber über Details unserer Forschung werden sie kein Sterbenswörtchen erfahren. Das wird in einem sehr, sehr kleinen Kreis bleiben, das kann ich ihnen versichern. In diesem Sinne möchte ich mich für das Abendessen bedanken. Verstehen sie bitte, dass der Professor noch nicht zu Hundert Prozent genesen ist. Sie sehen ja, er ist noch sehr geschwächt. Er braucht seine Ruhe.
Mr. Marker, Mr. Mikka, wir bedanken uns für die Einladung und das Gespräch. Wir wünschen ihnen noch einen schönen Abend.“
Wenig später sassen Colin und Freddie alleine am Tisch und tranken den teuren Wein zu Ende.
„Ein ausgekochter Mistkerl dieser Timmen. Freddie: jetzt erst recht. Wir dürfen uns nicht abhängen lassen. Ich werde in jedem Fall intervenieren. Mir gefällt die unverschämte Heimlichtuerei von diesem Mann nicht.“
Freddie war froh endlich ausgiebig seine Meinung los zu werden. Mühsam hatte er sich zurückgehalten. Aber wenn Colin eine Unterredung ansetzte mochte er es nicht wenn Freddie sich einmischte.
„Völlig richtig, Colin. Er blockt ab, wo es nur geht. Der lässt sich nicht in die Karten schauen... Nicht zu fassen, lacht uns tatsächlich aus der Kerl. Der hat nicht mal gezuckt, als er die Fotos gesehen hatte. Nur der Professor hat gestaunt. Wenn, dann müssen wir bei ihm ansetzen. Er mag eine Genie sein... Aber er ist eine schwache manipulierbare Persönlichkeit. Hast du gesehen, am Ende wäre er fast eingeschlafen. Ob ihn Timmen unter Drogen hält? Ich meine, Schellberg benimmt sich wie ein hilfloses Baby, das ist doch nicht normal, oder? Also wenn du mich fragst, die pfeifen auf unsere Zusammenarbeit.“
„Im Grunde geht es jetzt darum, dass die Forschung von uns überwacht wird. Ich werde morgen mit dem Chef sprechen. Er muss verhindern, dass uns die Prometheus eines Tages in der Hand hat. Und eines Tages, sage ich dir Freddie, wird Timmen etwas ganz, ganz Schlimmes passieren. Er springt auf dünnem Eis... der Scheisskerl.“