Читать книгу Perry Rhodan 2648: Die Seele der Flotte - Christian Montillon - Страница 5

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1.

Im Kalten Raum

»Perry!«

Die Stimme verwehte, irgendwo in weiter Ferne, und sie war voller Schmerzen.

»Du musst ...«

Mehr hörte Perry Rhodan nicht. Er tauchte aus einer dunklen Tiefe auf. Er fror, und es gelang ihm nicht, die Augen zu öffnen. Die Kälte quälte nicht nur den Körper, sondern drang bis in die Seele vor.

War die Stimme nur ein Teil dieser Qual gewesen? Er konnte sie niemandem zuordnen. Ein Schauer rann durch seine Gedanken. Er war ohnmächtig geworden, nachdem ...

Ja, nachdem ... was?

Er erinnerte sich nicht mehr. Oder doch? Langsam schälte sich die Erkenntnis aus dem Dunkeln. Schwärze war über ihn gekommen, nachdem eine mentale Stimme – eine andere als die, die er gerade gehört hatte – Ramoz' Namen genannt und ihm gegenüber Bereitschaft erklärt hatte. Was immer das bedeuten mochte.

Wie lange war das her? Sekunden? Minuten? Rhodans Zeitgefühl versagte. Er setzte all seine Willenskraft ein, und seine Augenlider hoben sich flatternd, wie gegen Widerstand von außen.

Er lag mit dem Gesicht auf einem kalten, harten Grund. Sein Atem strich darüber, eine deutlich sichtbare Wolke in der Kälte, die eine winzige Schicht Reif auf dem bronzefarbenen Boden hinterließ.

Die Schulter, mit der er auflag, schmerzte. Er rollte sich zur Seite, stemmte sich mühsam in die Höhe, wenigstens in eine sitzende Position.

Er blickte sich um, und was er sah, gefiel ihm gar nicht. Es hatte sie hart erwischt – offenbar alle. Niemand in MIKRU-JONS Zentrale hatte das Eindringen in das mysteriöse Versteck mitten im freien Weltraum in der Nähe der grünen Sonne unbeschadet überstanden.

In der Zentrale des Obeliskenraumers herrschte Stille. Der Raum durchmaß zehn Meter bei etwa fünf Metern Höhe. Der einzige dauerhafte Zugang bestand in der Öffnung des Antigravschachtes, der in die Tiefe führte. Die sonst ständig sichtbare langsame Bewegung des bronzefarbenen Materials von Wänden und Boden war wie erstarrt; alles wirkte weniger organisch als sonst. Als sei das Schiff erfroren.

Mondra Diamond lag zusammengekrümmt neben dem Báalol Rynol Cog-Láar, dessen Arme ausgestreckt waren, als würde er noch in diesem Zustand versuchen, sein geliebtes Musikinstrument zu erreichen, das eine Handspanne von seinen Fingerspitzen entfernt auf dem Boden zu sehen war.

Weder Mondra noch der Báalol rührten sich. Sie waren ohnmächtig. Hoffentlich nur das.

Gucky stand auf beiden Füßen, aber der Körper des kleinen Mausbibers zitterte, und der Kopf hing schlaff auf die Brust. Der Mausbiber presste den platten Biberschwanz dicht an den Körper. Der Anblick erinnerte Rhodan daran, wie ein Terraner die Arme um sich selbst schlang, um sich zu wärmen.

Langsam hob Gucky eine Hand, deutete an Rhodan vorbei. »Perry? Wo ... wo sind wir hier?« Sein Atem ging schwer. »Was bei allen Universen ist das?«

Der Blick des Terraners folgte der ausgestreckten Hand des Mausbibers.

Ein Holo in der Zentrale zeigte die Umgebung des Schiffs – das, was sich nur wenige Meter entfernt jenseits der Außenhülle des Obeliskenraumers befand: das Innere jenes seltsamen Phänomens im Raum, in das sie sich mit MIKRU-JON »eingefädelt« hatten. Das Versteck mitten im freien Weltraum. Das Innere jenes Gebildes, das wohl ein eigenständiges Miniaturuniversum bildete, in das sie nur mit großer Mühe hatten eindringen können.

Von außen hatte es die Gestalt eines Knäuels aus hauchdünnen, nur von Quistus erkennbaren hyperphysikalischen Linien gezeigt; ein gigantisches Etwas von 85 Millionen Kilometern Durchmesser. Im Verbund mit MIKRU-JON hatte auch Rhodan als Pilot des Schiffes die verworrenen Linien wahrnehmen können, während er eingeflogen war – ein Höllenritt durch Verwerfungen im Raum-Zeit-Gefüge, durch Strukturerschütterungen und Instabilitäten.

Im Inneren sah dieses Gebilde nicht länger aus wie ein Stück des Weltraums, eher als würden sie in einer bläulich schimmernden Masse treiben, einer Art zähflüssigem Nebel von gigantischem Umfang.

Ein zweites Holo flackerte neben dieser optischen Darstellung ihrer Umgebung und löste sich auf. Es hatte die Schleuse ins Innere jenes Schiffes in diesem Nebel gezeigt, an das MIKRU-JON kurz vor Rhodans plötzlicher Ohnmacht angedockt hatte; eine von vielen Einheiten, die inmitten des Verstecks trieben, wie hinter einer dichten Wolke aus Kristallstaub verborgen.

Vor dem aktiven Umgebungsholo stand der Stardust-Terraner Nemo Partijan. Rhodan revidierte seine erste Einschätzung – offenbar hatte es nicht alle so schwer erwischt wie ihn. Der Wissenschaftler sah kaum mitgenommen aus. Er betrachtete das dreidimensionale Abbild, schüttelte hin und wieder den Kopf und murmelte unablässig so leise etwas vor sich hin, dass Rhodan kein Wort verstehen konnte.

Partijans schlanker Körper hob sich wie ein Scherenschnitt vor dem glitzernden Etwas ihrer kosmischen Umgebung ab. Er streckte die Hände aus, fast als wolle er sie in die Wiedergabe tauchen, um sie zu erspüren. »Alles ... schaut euch das an, alles ist voller Hyperkristalle!«

Diese Feststellung hatte Partijan vor Rhodans Ohnmacht schon einmal getroffen, schien es aber noch immer nicht glauben zu können. Kein Wunder – es war unglaublich.

»Es ist das Paradies für dich, was?«, fragte Gucky bemüht lässig. Rhodan hörte ihm genau an, dass er sich dazu zwingen musste, einen seiner üblichen Scherze zu reißen. Die ganze Körperhaltung des Kleinen sprach Bände – er rang um neue Kraft, und es schien ihm zu gelingen.

Auch Rhodan fühlte, wie die Schwäche von ihm abfiel. Während er zu Mondra ging und seitlich am Hals nach ihrem Puls tastete, ergänzte der Mausbiber: »Mir ist es entschieden zu kalt!«

Es klang fast kleinlaut.

»Kalt?«, fragte Partijan beiläufig. »Ist mir gar nicht aufgefallen.« Er fuhr sich über die Stirn, als wolle er Schweißtropfen wegwischen.

Erleichtert fühlte Rhodan, dass Mondras Herzschlag regelmäßig ging. Ihr Atem strich über sein Handgelenk.

»Es ist dir nicht aufgefallen?«, wiederholte Gucky die Worte des Wissenschaftlers. »Perry, lebt der in einer anderen Welt als wir? In der Dimension der Simsalabim-Topologen?«

»Quintadim«, verbesserte Partijan beiläufig, etwa in dem Tonfall, wie man einem kleinen Kind erklären mochte, dass zwei und zwei nicht fünf ist.

»Weiß ich doch«, stellte der Mausbiber klar.

»Warum sagst du es dann falsch?« Nemo Partijan, der sein Leben der Erforschung von Hyperkristallen verschrieben hatte, schüttelte den Kopf. »Aber haben wir wirklich nichts Besseres zu tun?«

Doch, hatten sie, und das wussten sie alle, auch Gucky, der zweifellos nur auf seine ganz eigene Art die Unsicherheit angesichts dieser seltsamen Umgebung zu überspielen versuchte. Doch für derlei Feinheiten schien Nemo Partijan keinen Sinn zu haben. Nicht in seinem Paradies, das ihn völlig gefangen nahm. Diese Einschätzung fand Rhodan durchaus treffend.

Partijan war Wissenschaftler durch und durch und fand sich nun plötzlich an einem Ort wie diesem wieder: in einem fast perfekt entrückten Versteck im All, nahe einer grünen Sonne, dessen eigentliche Natur sich nicht ergründen ließ und der bis in den letzten Winkel mit Hyperkristallstaub und -splittern gefüllt zu sein schien.

An mögliche Gefahren dachte ein Mann wie er in einem solchen Moment selbstverständlich nicht. Warum ausgerechnet er den Übergang so gut überstanden hatte, blieb darüber hinaus ein Rätsel. Worum handelte es sich bei diesem Versteck? Um eine Art Hyperraumfalte? Oder um ein eigenständiges, den Blicken verborgenes Miniaturuniversum, wie Ennerhahl behauptet hatte, der mit seiner Lichtzelle zurückgeblieben war?

MIKRU-JON hatte nur dank ihrer speziellen Technologie in dieses Versteck vorstoßen können. Auch die paranormalen Navigationsfähigkeiten des Iothonen Quistus, der reglos in seiner Umweltkapsel lag, hatten dabei eine Rolle gespielt.

Das Versteck stand offenbar in einer geheimnisvollen Verbindung zu Ramoz. Dieses Wesen, das sie seit einiger Zeit begleitete, war bis vor Kurzem in einer Tiergestalt gefangen gewesen, inzwischen aber in sein eigentliches Aussehen zurückverwandelt worden. Er sah nun aus wie ein Humanoide und hatte damit angeblich seine ursprüngliche Gestalt wieder angenommen. Alles, was damit zu tun hatte, blieb bislang ein ungeklärtes Rätsel.

Rhodan selbst hatte MIKRU-JON als Pilot in diese mysteriöse Verwerfung geführt, indem er sich in die Strukturen eingefädelt hatte, die ein riesiges Gebiet im All umfassten. Sie ähnelten verborgenen energetischen Linien, wie ein Knäuel aus hauchdünnen, ineinander verwobenen Fäden; ein Geflecht aus hyperphysikalischen Phänomenen, wie weder Rhodan noch MIKRU-JON sie je zuvor beobachtet hatten.

Eine mentale Stimme hatte sich direkt nach ihrer Ankunft im Inneren des Verstecks zu Wort gemeldet. Rhodan hatte antworten wollen, war jedoch barsch zurückgewiesen worden. Stattdessen hatte der Fremde Ramoz mit Namen begrüßt, ehe er erklärte, dass sie zu dessen Verfügung stünden – was immer damit gemeint sein mochte.

Seitdem schwieg die Stimme, und Ramoz saß in sich zusammengekauert auf dem Metallboden der Zentrale, die Hände vors Gesicht geschlagen. Nur der bizarre Metallstab, der ihm als Dorn aus dem rechten Auge ragte, stach zwischen den Fingern hervor.

Rhodan versuchte Ramoz anzusprechen, erntete aber keine Reaktion.

Stattdessen wurde Ramoz' Gemurmel lauter. »Es ist meine Flotte«, murmelte er, wieder und wieder. »Meine Flotte!«

Damit konnte er nur die vielen Schiffe meinen, die sie in dem bläulich schillernden Nebel umrissartig erkannt hatten, ehe sie an eines davon andockten und die mentale Stimme ertönt war.

Ob Ramoz selbst von der Entwicklung der Dinge überrascht worden war oder nur perfekt schauspielerte, konnte Rhodan nicht beurteilen. Die hyperphysikalischen Emissionen seines Augendorns hatten ihnen den Weg zu der grünen Sonne gewiesen. Was nun geschah, verstärkte nicht gerade sein Vertrauen zu Ramoz.

Was wusste der geheimnisvolle Fremde? Welches Schicksal verband ihn mit diesem Versteck?

Und wie sollte es nun weitergehen? MIKRU-JON hatte an einem der unbekannten Schiffe angedockt, woraufhin eine gedankliche Stimme Kontakt zu ihnen aufgenommen hatte. Rhodan und die meisten anderen sanken in eine Ohnmacht, erwachten und ... nichts geschah?

Der Terraner spürte die belebenden Impulse seines Zellaktivators, die die Schwäche mehr und mehr vertrieben. Nur gegen die schneidende Kälte vermochten auch sie nicht vorzugehen.

Je mehr sich seine Gedanken klärten, umso mehr reifte der Entschluss, endlich aktiv zu werden. In diesem Fall hieß das nichts anderes, als in das fremde Schiff einzudringen.

*

Mondra stöhnte plötzlich, ihr Gesicht verzog sich. Die Hände tasteten nach den Schläfen, und der ganze Körper spannte sich an. Sie riss die Augen auf.

Rhodan beugte sich über sie. »Bleib ruhig«, raunte er ihr zu. »Es gibt keine direkte Gefahr.«

Sie nickte matt.

»Kopfgroß!«, rief Nemo Partijan unvermittelt. »Ramol-4! Das ist ...« Er brach mitten im Satz ab, schlug sich mit einer Geste, die bei jedem anderen eher wie eine Karikatur gewirkt hätte, gegen die Stirn und ging geradewegs durch das frei im Raum schwebende Holo.

Lichter tanzten über das Gesicht des Wissenschaftlers, während er die Hände senkte und sich über das Kreuz rieb. »Verflixte Schmerzen! Ich ... ich muss es mir genauer ansehen!«, sagte er dabei, wohl mehr an sich selbst als an einen der anderen gerichtet.

Mit diesen Worten verließ er die Zentrale, indem er sich scheinbar achtlos in den Antigravschacht fallen ließ.

Rhodan ließ ihn gewähren; wahrscheinlich wusste Partijan, was er tat, und Rhodan war ohnehin nicht in der Stimmung, sich eine hyperphysikalische Abhandlung anzuhören. Nemo Partijans Gedanken gingen bisweilen ihre eigenen Wege.

Wichtiger war momentan ohnehin Ramoz. Der Atem, der zwischen dessen Fingern hindurchströmte, kondensierte in der Eiseskälte zu kleinen Wolken.

Perry Rhodan konnte es kaum länger ertragen. Die Kälte schien ihm in die Knochen zu kriechen und sie von innen zu sprengen. Die Gesichtshaut schmerzte, als würde sie von tausend winzigen Schnitten malträtiert.

Nun erst fiel ihm auf, was dies alles unwirklich machte. Wieso schützte ihn der SERUN angesichts der rapide fallenden Temperaturen nicht automatisch? Er versuchte, mit einem Sprachbefehl den Helm zu schließen, doch der Schutz- und Kampfanzug reagierte nicht. Nicht einmal vom Anzug der Universen kam irgendeine Reaktion.

Der Terraner wollte die Finger bewegen, doch es fiel ihm schwer; sie waren steif vor Kälte. Nur mühsam krümmte er sie, ballte die Hände zu Fäusten, streckte sie wieder. Parallel bewegte er die Arme und trat auf der Stelle.

Aus dem Augenwinkel sah er den Umwelttank des Iothonen Quistus. Eine Schicht aus glitzerndem Reif überzog die transparente, eiförmig gewölbte Kuppel aus glasartigem Material.

»Mikru!«, rief er.

»Sie ist nach wie vor verschwunden, Perry«, sagte Gucky. »Seit wir in dieses ... was auch immer eingedrungen sind.«

Rhodan versuchte, direkt auf MIKRU-JONS Steuermechanismen zuzugreifen, doch auch dies gelang nicht. Das Schiff blieb tot, als wären sämtliche Systeme ausgefallen.

Kalt und tot, dachte er, und der Gedanke trug nicht gerade zu seiner Beruhigung bei. Wie eine Leiche mitten in diesem lebensfeindlichen kristallinen Dunst, die bereit ist, für immer eingefroren zu werden.

Gucky deutete auf das Umgebungsholo, das inzwischen ein exakteres Bild zeigte. »Schau dir das an!«

In der bläulich schimmernden Nebelmasse zeichneten sich die Umrisse etlicher Raumschiffe ab. Das hatten sie zuvor schon erkannt; deshalb hatten sie an eines der Schiffe angedockt.

Die Orter gaben mittlerweile allerdings weitere Details preis. Es gab Einheiten aller Größen und Formen, sicher Dutzende insgesamt.

Sein Blick wanderte über einen schwarzen Würfel von den Ausmaßen eines Beiboots, das vor einem gigantischen Oval schwebte, das halb von einem Schiff verdeckt wurde, welches an eine Speerspitze erinnerte, deren Ende im Rand des Holos verschwand.

Rhodan stutzte, als er dort, genau über der Darstellung des spitzen Raumers, die kleine Messzahl bemerkte. Dutzende Schiffe? Mit dieser Einschätzung hatte er sich gewaltig getäuscht.

Es gab Tausende in diesem Versteck!

3472 momentan, und die Zahl erhöhte sich im Sekundentakt, weil die Orter immer mehr Raumer wahrnahmen.

Dies jedoch nicht, weil neue Einheiten materialisierten – im Gegenteil: Alle standen bewegungslos und strahlten keinerlei Energiesignaturen ab. Es wirkte, als würden sie schon seit Ewigkeiten in diesem kristallenen Eisnebel treiben, leer und verlassen.

In eisiger Stasis für die Ewigkeit eingefroren, dachte der Terraner, und ein Schauer rann ihm über den Rücken. Dies ist ein Raumschiffsfriedhof. Und uns droht genau das gleiche Schicksal.

Die Kälte sickerte ihm weiter ins Fleisch, durchdrang ihn. Er lief schneller auf der Stelle, hielt sich in Bewegung. Seine Lippen schmerzten. Unwillkürlich fuhr er mit der Zunge darüber – sie fühlten sich hart an, wie Eis.

»Mondra!«, rief er. »Versuch Cog-Láar zu wecken. Und du, Ramoz, steh auf! Wir müssen in Bewegung bleiben.«

Mondra rollte sich auf die Seite. Als sie sich hochstützte, zitterten ihre Armmuskeln. Sie kroch auf allen vieren zu dem Báalol, rüttelte ihn.

Cog-Láar ächzte.

»Wach auf«, forderte sie. »Schnell!«

Danach drehte sie den Kopf, schaute Rhodan an. Er las ihn ihren Augen die Aufforderung, sich selbst um den Báalol zu kümmern. Sie kannten einander lange und intensiv genug, um in einer Situation wie dieser nicht viele Worte verlieren zu müssen.

Mondra erhob sich und wankte zu Ramoz, mit dem sie nach wie vor eine enge Beziehung verband – zumindest behauptete er das.

Zu sehen, wie sie ihm die Hand auf die Schulter legte und ihn leicht rüttelte, versetzte Rhodan einen Stich. Wie hat Nemo Partijan eben gesagt?, ging es ihm durch den Sinn. Als hätten wir sonst keine Probleme ...

Doch er vermochte das spontane Gefühl der Ablehung im ersten Moment nicht zu verdrängen. Er rief sich selbst zur Ordnung und setzte den Verstand über diesen verwirrenden, ablenkenden Impuls der Eifersucht, der alles andere als angebracht war. Weniger noch als Guckys müde Scherze.

Im selben Moment dröhnte die mentale Stimme wieder auf. Sie schnitt in seine Gedanken, als wolle sie sein Inneres zerreißen. Gucky ächzte; als starker Telepath empfand er sie womöglich als noch lauter und durchdringender.

»Ramoz! Ich warte auf deine Erklärung!«

Der Humanoide richtete sich aus seiner kauernden Haltung auf. Er blieb sitzen, allerdings streckte sich der Oberkörper. »Meine ... meine Flotte«, sagte er wieder, doch sein Gesicht, aus dem der bizarre Augendorn wie ein umgekehrter Pfeil ragte, blieb leer und ausdruckslos.

Rhodan bekam mehr und mehr den Eindruck, dass Ramoz mit dieser gesamten Situation nichts anzufangen wusste und völlig überfordert war. Also war es offenbar kein Schauspiel. Ramoz hatte sie wohl nicht nur ausgenutzt, um mit ihrer Hilfe in dieses mysteriöse Versteck zu gelangen.

Zwei Holos entstanden plötzlich nebeneinander.

Das eine zeigte wieder die Schleuse des unbekannten Schiffes, an das MIKRU-JON andockte: eine Nische von etwa zehn auf zehn Metern Durchmesser. Dieses äußerliche Detail war gut zu erkennen, doch beim Blick in die Nische versagte die Optik völlig.

Auch die Orter lieferten keinerlei Daten. Sie konnten keine Tiefe anmessen, und alles hinter der Öffnung blieb grau. Rhodan blinzelte verwirrt, als könnte er so den leichten Schwindel vertreiben, der ihm das Gleichgewicht raubte, sobald er in die Schleuse hineinzusehen versuchte. Doch es half nichts.

Das zweite Holo stammte offenbar nicht aus der Auswertung von MIKRU-JONS Sensoraufzeichnungen. Eine Gestalt schaute ihm daraus entgegen – genauer gesagt richtete sie ihren Blick nicht auf ihn, sondern auf Ramoz.

Das Abbild war zu verschwommen, um genaue Gesichtszüge erkennen zu können, doch die völlig ausgezehrte, knochige Grundform kam klar heraus. Das Wesen trug eine Kutte aus dunklem Stoff, die ihm bis zu den Füßen reichte. Eine große Kapuze bedeckte den dürren Schädel fast völlig.

Eine knochige, gichtig verkrümmte Hand hob sich, und der Stoff der Kutte raschelte; dieser Laut wurde als erster Ton übertragen. Hatte dieses Wesen zuvor auf mentalem Weg zu ihnen gesprochen?

Die ganze dürre, skelettartige Erscheinung erinnerte Rhodan an einen Oracca, wie er sie im Verzweifelten Widerstand kennengelernt hatte. Der Oracca Högborn Trumeri hatte von sich behauptet, der heimliche Anführer des Widerstands zu sein. Wer ihm nachfolgte, strebte danach, QIN SHI aktiv zu bekämpfen und nicht so zögerlich zu bleiben, wie es der Iothone Regius handhabte, der als offizieller Anführer des Widerstands fungierte. Was er von dieser Behauptung halten sollte, wusste Rhodan bis zum heutigen Tag nicht.

Allerdings waren Oracca Rhodans Kenntnis nach wesentlich kleiner als diese holografisch projizierte Gestalt. Rhodan hatte bislang nur Vertreter dieses Volkes getroffen, die etwa 1,20 Meter maßen. Aber dieses Volk, das vor langer Zeit beschlossen hatte, unsterblich zu werden, und die gemeinsame Vergeistigung anstrebte, schien noch für einige Überraschungen gut zu sein.

Außerdem konnte die Holografie eines Oracca wesentlich größer sein als das Original. Eine bildliche Darstellung ließ sich leicht manipulieren.

»Hörst du, Ramoz?«, rief der Kuttenträger. »Ich verlange, dass du antwortest! Sofort!«

Ramoz atmete schwer und richtete sich endlich zu voller Größe auf. Er wankte mit zögerlichen Schritten auf das Holo zu. »Ich ... ich bin hier.«

Wieder raschelte die Kutte, als sich die skelettartig dürre Gestalt umwandte. »Es ist gut, dass du gekommen bist. Nach all der Zeit.«

Rhodan beobachtete das Geschehen gespannt – wie würde Ramoz reagieren? Was wusste er?

Der hünenhafte Oracca musterte sein Gegenüber, der Blick blieb auf dem Augendorn hängen. Die verschrumpelten Augäpfel schienen fast aus den Höhlen kullern zu wollen. Die dürren Lippen, kaum mehr als blutleere Hautlappen, zogen sich über den Zähnen zurück. Die Musterung ging weiter, bis das holografische Wesen schließlich ein Seufzen von sich gab. »Du bist befleckt.«

»Ich ...« Ramoz brach ab, rang sichtlich nach Worten. »Wie auch immer, aber ich bin zurück.« Ein tiefer Atemzug, dann: »Zurück bei meiner Flotte.«

Rhodans Einschätzung nach klang er unsicher, sprach ins Leere. Er pokert.

»Du bist der Erste seit langer Zeit«, sagte der Oracca. »Die Alten sind uralt geworden.«

Ramoz schwieg.

Rhodan vermutete, dass sich die letzte, scheinbar zusammenhanglose Äußerung auf das Volk der Oracca bezog. Högborn Trumeri hatte von den Oracca als von Uralten gesprochen, Überbleibseln des Plans, als Volk die Unsterblichkeit zu erringen. Allerdings hatte er sich in dieser Hinsicht recht bedeckt gehalten. Vielleicht stand die Aussage des Kuttenträgers damit auch in keinem Zusammenhang; der Terraner konnte sich mit dieser Einschätzung ebenso gut täuschen.

»Es ist viel zu lange her«, fuhr der Oracca fort. »Wie hast du den Kalten Raum gefunden?«

Der Kalte Raum – eine überaus treffende Bezeichnung für dieses Versteck im All. Gebannt vom Auftauchen des Holos, hatte Rhodan es vernachlässigt, in Bewegung zu bleiben. Die Kälte stach wie mit Eisnadeln in Haut und Fleisch. Als er sich bewegte, schienen die Muskeln vor Schmerz zu zerreißen. »Kannst du etwas tun«, fragte er das Holo, »um uns zu ...«

»Schweig, Kretin!«, herrschte der Oracca ihn an, um mit sanfter Stimme fortzufahren: »Ramoz, wieso bist du mit ihm gekommen und mit den anderen? Das war ein Fehler!«

»Ich bin ... befleckt«, wiederholte der Humanoide die eigenartige Aussage des Oracca.

Befleckt durch den Augendorn?, fragte sich Rhodan. Oder durch unwürdige Begleiter? Möglicherweise auch auf eine völlig andere Art, die sie bislang nicht verstehen konnten. Durch fehlende Erinnerung etwa.

»Noch einmal – wie hast du den Kalten Raum gefunden?«

Ramoz schwieg. Ihm blieb nichts anderes übrig; er wusste keine Antwort.

Ennerhahl, der mit seiner Lichtzelle außerhalb des Verstecks geblieben war, hatte diesen Kalten Raum als eigenständiges Miniaturuniversum beschrieben. Seiner Einschätzung nach war es entstanden, weil sich eine der unzähligen Feldlinien des natürlichen Psionischen Netzes aufgebläht und auf diese Weise einen Raum neben dem Raum geschaffen hatte.

Es ließ sich grundsätzlich mit einer Raum-Zeit-Nische vergleichen, die man auf normalem Weg nicht erreichen konnte, freilich stellte dieses Miniaturuniversum ein wesentlich komplexeres Phänomen dar. Selbst Ennerhahl konnte mit all seinen »Mitteln und Möglichkeiten«, die er so gern unverbindlich in Gespräche einstreute, nicht in das Versteck eindringen.

Rhodan erschauerte, als er daran dachte, dass er sich gewissermaßen im Psionischen Netz befand – oder dahinter. Seine menschliche Vorstellungskraft versagte, obwohl er schon viel erlebt hatte und die Norm- ebenso wie Präferenzstränge des Psionischen Netzes aus seiner Zeit als Gänger des Netzes gut kannte. Doch das lag lange zurück, und auch damals war ihm etwas wie dieses Versteck niemals begegnet.

»Du schweigst?« Die holografische Gestalt klang verächtlich.

»Wie lange war niemand hier?«, fragte Ramoz unvermittelt.

»Eine eigenartige Frage.« Der Oracca hob eine Hand, um damit die Kapuze der Kutte weiter über das Gesicht zu ziehen, sodass es fast völlig im Schatten verschwand. Nun leuchteten die Augen im Dunkeln rot wie die einer Katze, die das letzte Umgebungslicht brachen und reflektierten. »Und das von dir, Ramoz?«

»Ich ...«

»Schweig! Wir müssen herausfinden, wer du wirklich bist.«

»Aber das weißt du. Du hast mich erkannt und kennst meinen Namen.«

»Das genügt nicht. Du kennst dein Ziel.« Ein Flackern lief durch das Holo, und es löste sich auf.

Mittlerweile war der gesamte Metallboden der Zentrale von einer Schicht aus glitzerndem Reif überzogen, nur nicht dort, wo die Füße des Oracca ihn berührt hatten.

»Nein«, flüsterte Ramoz. »Ich kenne es nicht ...« Sein Blick wanderte rundum, blieb an Mondra hängen. »Ich kenne es nicht«, wiederholte er.

»Er will, dass wir in das Schiff eindringen, an das wir angedockt haben«, gab sich Perry Rhodan überzeugt.

Nur war dies völlig utopisch. Sie konnten sich kaum bewegen vor Kälte, und weder der SERUN noch die Bordtechnologie von MIKRU-JON schienen helfen zu können, nicht einmal der Anzug der Universen.

Eine Gestalt stieg plötzlich aus der Öffnung des Antigravschachts.

Nemo Partijan, dessen Unbeschwertheit inzwischen ebenfalls verschwunden war, hielt sich den Rücken, als litte er dort entsetzliche Schmerzen, und ging nach vorne gekrümmt. »Die Kristalle«, presste er hervor. »Ich spüre es buchstäblich im Kreuz – die Kristalle sind der Schlüssel!«

Der Wissenschaftler aus dem Stardust-System ging einen letzten Schritt, ehe er zusammenbrach und sich auf dem Boden wand.

Fast wäre die zweite Gestalt über ihn gestolpert, die nur Sekunden nach ihm aus dem Antigravschacht trat, doch Mikru wich im letzten Moment aus.

Der Anblick der holografischen Projektion der jungen Frau, über die MIKRU-JON mit seinen Passagieren kommunizierte, versetzte Rhodan einen Schock. Die scheinbar menschliche, zerbrechliche Frau, die ihm nur bis zur Schulter reichte, starrte ihn aus geröteten Augen an.

Aus der Nase rann Blut in einem steten Strom; es verschmierte bereits den gesamten Mund. Dicke Tropfen fielen vom Kinn und lösten sich auf, ehe sie den Boden erreichten – sie waren nicht real, hatten nur aufgrund von Prallfeld-Technologie berührbare Gestalt.

Und doch litt Mikru sichtlich unter Schmerzen und ... zerfiel.

»Wir müssen etwas tun, Perry!« Mikru ächzte, hob die Hand, wischte sich Blut vom Mund. Als sie dabei die Haare über der Schläfe berührte, fiel ein ganzes Büschel aus. »Du musst etwas tun, mein Pilot!«

Rhodan eilte Mikru entgegen, so schnell es sein eigener, geschwächter Zustand zuließ. Wir sind schöne Helden, dachte er beiläufig. Kaum genug Kraft, um uns auf den Beinen zu halten ...

Ehe er Mikru erreichte, fiel die zierliche Frau im wahrsten Sinne des Wortes in sich zusammen. Sie stürzte zu Boden, und ihre Gliedmaßen brachen ab. Wie eine Puppe zerfiel sie in ihre Einzelteile. Ein Bein rollte zur Seite. Aus der Bruchstelle schlugen irisierende Funken aus blendendem Licht.

Rhodan schnürte es vor Grauen die Kehle zusammen.

Arme und Beine Mikrus flimmerten und lösten sich auf, der Rumpf folgte. Bis zuletzt blieben die Augen, die in einem bizarren Nichts schwebten, umgeben von blutigen Fasern, und ihn flehentlich anstarrten: Rette mich!

Schließlich verschwanden auch sie, und mit einem Mal schien es noch kälter zu werden.

Perry Rhodan 2648: Die Seele der Flotte

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