Читать книгу Perry Rhodan 3052: Terra - Christian Montillon - Страница 8
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Ein Gespräch unter Freunden und ein einsamer Onryone
»Du wolltest mich sprechen?« Jindo Kubertin stand in der offenen Tür.
Ghizlane Madouni betrachtete ihn. »Du hast ein wenig zugelegt, Jin.«
Tatsächlich hatte er sehr zugelegt. Nicht dass er fett wäre – kein Kommandant einer Raumjägerstaffel könnte fett sein. Doch man sah ihm überdeutlich an, dass er seinen Posten vor allem hinter dem Schreibtisch erledigte.
»Du nicht, Lane«, konterte er. »Drahtig wie immer, aber zu dürr, um wirklich sexy zu sein.«
»Charmant«, sagte sie.
»So bin ich eben.«
Er bat sie einzutreten und schloss die Tür, aber sie setzten sich nicht, sondern blieben im Flur stehen. Ein schmaler verspiegelter Schrank stand an der Seite, gegenüber hing eine kleine Garderobe, an der nur eine einzige Jacke baumelte – oder vielmehr ein exzentrisches Sakko, blau mit einem antiquiert wirkenden rötlich-braunen ornamentalen Blumenmuster.
»Weißt du, dass mich seit Jahren niemand mehr Lane genannt hat?«, fragte sie.
»Ach komm, so lange ist es noch nicht her, dass wir zum letzten Mal zusammen waren.«
»Vier Jahre, sechs Monate, siebzehn Tage.«
»Seit wann glänzt du denn mit einem eidetischen Gedächtnis?«
»Ich habe damals Tagebuch geführt und nachgesehen«, behauptete sie. »Außerdem hast du den Begriff falsch gebraucht.«
»Ich bin Militärangehöriger, kein Sprachwissenschaftler.«
Ghizlane hatte beim Kommandanten der Lunaren Flotte um ein Gespräch gebeten. Jindo Kubertin stand einer Raumjägerstaffel vor, die im Ylatorium stationiert war, wie es das Positronische Konkordat bestimmte, das NATHANS Rechte und Pflichten regelte.
Sie kannten einander schon jahrzehntelang, seit dem gemeinsamen Beginn ihrer militärischen Ausbildung auf der AMALIA SERRAN. Den Kontakt hatten sie vor allem in den ersten Jahren ihrer Karriere gepflegt, einschließlich einer fast zwanzig Monate dauernden Beziehung, die vor allem im Bett stattfand. Ob Liebe im Spiel gewesen war, fragte sich Ghizlane seitdem häufig, fand aber keine Antwort. In Sachen Liebe war sie kaum die richtige Ansprechpartnerin.
Illustration: Swen Papenbrock
Jindo führte sie ins Wohnzimmer, deutete auf die bequem aussehende Couch, ein breites Ungetüm aus schwarzem Kunstleder mit abgewetzten Sitzflächen. Seine Wohnung lag an der Außenwand des riesigen Kelchbaus und hatte kein simuliertes, sondern ein echtes Fenster – mit Aussicht auf das Einzige, das es rundum gab: das Meer der Bronzehütten, die einen matten Lichtschein in die Mondnacht emittierten.
Sie setzte sich. »Lädst du alle, die eine offizielle Anfrage an dich richten, in dein privates Wohnzimmer ein?«
»Nur die, die ich nackt gesehen habe.«
»Charmant und direkt.« Sie lächelte, aber es fühlte sich ein wenig verunglückt an. »Da könnte ich fast wieder schwach werden.«
»Lane, worum geht es?«, fragte er unvermittelt ernst. »Ich glaube kaum, dass du nur zum Plaudern gekommen bist, ausgerechnet an dem Tag, an dem du Perry Rhodan höchstpersönlich nach Luna bringst.«
»Du weißt davon?«
»Gerüchte verbreiten sich schnell, und dem Kommandanten der Lunaren Flotte entgeht sowieso nichts.« Er öffnete eine Kommode und holte etwas Salzgebäck heraus. »Elend geschmackloses Zeug. Ich habe sonst nichts hier. Ich muss schließlich auf mein Gewicht achten.« Er ließ sich neben Ghizlane fallen und reichte ihr die Packung.
Sie ignorierte es. »Was hast du gehört?«
»Rhodan ist genau dort angekommen, wo Jathao Vanoth es vor Jahrhunderten prophezeit hat. Sein Schiff drohte abzustürzen, Hanko Lee hat ihn mit der CISTOLO KHAN gerettet.« Er atmete tief durch, ehe er weitere Fakten herunterratterte. »Eine Vanothin in Lees Besatzung hat einen Anschlag auf Rhodan verübt, du hast ihn auf die ANDOLFI geholt und hierhergebracht. Ein Ylant hat euch eine Sightseeingtour spendiert – und zack, schon wieder wollte jemand unseren prominenten Gast erledigen.«
»Du bist gut informiert«, sagte Ghizlane beeindruckt.
»KLF.« Jindo klopfte sich selbst auf die Schulter.
»Die Abkürzung ist mir neu.«
»Ich versuche es schon immer als offizielle Amtsbezeichnung durchzusetzen, aber auf mich hört ja keiner. Kommandant der Lunaren Flotte.«
»Es geht mir um den Anschlag auf Luna.« Ghizlane blieb ernst. »Ich war für Rhodan verantwortlich.«
»Darum nimmst du es persönlich?«
»Erstens das, und zweitens will ich dafür sorgen, dass es sich nicht wiederholt. Ihm darf nichts zustoßen.«
»Er hat dich schwer beeindruckt, wie ich sehe.«
»Ob es uns gefällt, spielt keine Rolle, aber er ist hier, und das bringt die Dinge durcheinander. Jindo, wie stehst du zu den Vanothen?«
»Ich halte mich in dieser Sache neutral.«
»Sagt wer? Der KLF? Oder ... du?«
»Ich.« Er nahm einen der runden Salzcracker und drehte ihn nachdenklich zwischen den Fingern. »Das Thema ist nicht mehr aktuell. Die meisten Menschen haben sich damit abgefunden, dass wir hier leben. Schon generationenlang! Dass es die Vanothen noch immer gibt, ist erstaunlich genug.«
»Aber seit Rhodan aufgetaucht ist, liegt neue Brisanz in der Sache!«, stellte Ghizlane klar. »In Hanko Lees Schiff hat ein Besatzungsmitglied, das nie zuvor negativ aufgefallen ist, ihn gesehen und spontan versucht, ihn umzubringen. Jemand hat den Tunnel zerstört und wollte nicht nur Rhodan töten, sondern auch seine Begleiter.«
»Unter anderem dich.«
Sie stimmte zu. »Und deswegen, Jindo, ist das Thema nicht tot und war es nie. Zwei Vorfälle in so kurzer Zeit, dazu das Ultimatum der Topsider, die Rhodans Auslieferung verlangen.«
Der Cracker zerbrach zwischen seinen Fingern, und er ließ ihn achtlos fallen. »Was willst du von mir?«
»Mir liegen Unterlagen des TLD vor.«
»Und?«
»Etwa zwanzig Angehörige der Raumjägerpiloten unter deinem Kommando sympathisieren mit den Vanothen, waren auf Demonstrationen oder ...«
»Du beschuldigst meine Leute?«, fragte er.
»Ich beschuldige niemanden, sondern versuche herauszufinden, wer das Attentat verübt haben könnte.«
»Du kennst diese zwanzig Namen. Befrag sie!«
»Das könnte ich. Aber ich will von dir wissen, wem du es zutraust.«
Jindo Kubertin stand auf. Crackerkrümel fielen von seiner Hose. Er ging im Zimmer auf und ab, genau wie früher als junger Mann, sobald er sich unsicher gefühlt hatte.
Sie ließ ihm Zeit, und als sie an die gemeinsame Vergangenheit dachte, versetzte es ihr einen Stich. Vielleicht hätte sie bei ihm bleiben sollen.
»Wenn die Frage nicht ausgerechnet von dir käme, Lane, würde ich dich vor die Tür setzen.«
»Danke.«
Er schüttelte den Kopf. »Zeig mir die Liste.«
Doch er kam nicht dazu, sie sich anzusehen, denn ein Alarm heulte und ein Funkanruf ging ein.
*
Jindo war wie verwandelt. Er straffte seine Haltung und drehte sich zum Fenster. »Annehmen!«, befahl er der Zimmerpositronik.
»Die Absenderin hat das Gespräch auf hohe Sicherheitsstufe codiert, und du hast Besuch, sodass ...«
»Annehmen!«, unterbrach er.
Ein Holo formte sich vor ihm in der Luft. Das dreidimensionale Abbild zeigte Oberkörper und Kopf einer Frau in der Uniform einer Raumjägerpilotin. Ihr Gesicht war angespannt, und sie eilte durch einen Korridor. Die Aufnahme stammte offenbar von einer Sonde, die sie in geringem Abstand begleitete. »Kommandant, einer der Raumjäger ist entwendet worden. Die Kameras haben den Dieb aufgezeichnet. Es ist Eccpre Allocnar.«
»Wie kann er ...«
»Ich kann mir nicht erklären, wie er den Jäger überhaupt erreichen konnte, und schon gar nicht, wieso er in der Lage ist, ihn zu fliegen. Ich starte in einer Minute und verfolge ihn. Ich werde ihn einholen. Erwarte deine Anweisungen.«
»Fang ihn ab. Zwing ihn anzuhalten.«
Die Pilotin erreichte einen MASCER-Jäger, der auf dem Landefeld seitlich neben dem Kelchbau parkte. Die meisten der kleinen Schiffe waren auf einem Raumhafen jenseits des Ylatoriums stationiert.
»Autorisierst du Gewalt?«, fragte sie.
»Schieß ihn manövrierunfähig. Weitere Anweisungen bekommst du, sobald du ihn eingeholt hast. Ich schicke dir Verstärkung.«
»Ove Heller hat sich schon auf den Weg gemacht. Er kann kurz nach mir starten. Schöman Ende.« Das Holo zeigte noch, wie sie unter die Maschine rannte und dort den Einstieg öffnete, dann brach die Aufnahme ab.
»Verdammt!«, kommentierte Jindo, nahm Kontakt mit einem Unterstaffelführer auf, der das Kommando über zehn Raumjäger führte, und befahl ihm, die beiden Piloten, die bereits unterwegs waren, zu unterstützen.
Danach eilte er ins Badezimmer, um seine Uniform anzuziehen. Die Tür ließ er offen, sodass er und Ghizlane sich unterhalten konnten.
»Wer ist dieser Allocnar?«, fragte Ghizlane laut.
»Eccpre Allocnar«, antwortete er, »ist ein Eremit. Der einzige Onryone im Ylatorium.«
»Ein Onryone? Ich dachte, die wenigen, die es noch gibt, hätten sich in ihre Enklave in Neu-Atlantis zurückgezogen.«
»Alle«, stimmte Jindo zu, »bis auf einen – Eccpre Allocnar. Er bezeichnet sich selbst als Überbleibsel.«
»Du weißt viel von ihm.«
»Er ist ein Kuriosum, über das man hin und wieder redet. Bis eben ging ich davon aus, dass er völlig harmlos ist.« Er verließ dem Sanitärbereich. Die Uniform saß tadellos. »Ich glaube nicht an einen Zufall. Allocnar hat nicht ohne Grund ausgerechnet jetzt den Jäger entwendet. Du hattest den richtigen Riecher ... es hängt mit Rhodan zusammen, da bin ich mir sicher. Komm mit!«
Während sie den Raum verließen, sagte Ghizlane: »Aber Perry ist längst zur Erde unterwegs oder sogar schon dort angekommen. Warum stiehlt der Onryone zu diesem Zeitpunkt einen Raumjäger?«
Jindos zentrales Büro, ausgestattet mit aller nötigen Technologie, lag nur wenige Meter entfernt hinter einer energetischen Sicherheitsschleuse.
»Orterbild meiner Schiffe!«, befahl er der Positronik, und ein Holo baute sich auf.
Ghizlane fand sich mühelos zurecht – als Kommandantin des Flaggschiffs hatte sie Tausende schematische Bilder wie dieses gesehen.
Die Erde und der Mond bildeten die Fixpunkte der Darstellung. Ein kleines rotes Kreuz, weiter von Luna entfernt als die vergleichbaren Symbole, stand zweifellos für den gestohlenen Raumjäger in der Gewalt des Onryonen. Demnach war er auf einem Kurs in den Leerraum – zumindest lag kein solarer Planet auf seinem direkten Weg.
Eccpre Allocnar war vor mittlerweile zwölf Minuten gestartet und beschleunigte konstant mit sehr hohen Werten. Folglich blieben mindestens sechsundzwanzig weitere Minuten, um die halbe Lichtgeschwindigkeit zu erreichen und in den Linearraum einzutauchen.
Sollte ihm das gelingen, wurde eine Verfolgung schwierig bis unmöglich. Allerdings waren für eine Linearraumetappe Berechnungen nötig, der Einsatz von LOOKOUT-Sonden, der die Eisberge des aktuellen Linearlabyrinths kartografierte, der eine sichere Passage erst ermöglichte. Diese Hindernisse veränderten ständig ihre Position, und eine Etappe ohne vorherige Absicherung bedeutete ein großes Risiko. Wobei die für den Nahkampf optimierten Raumjäger ohnehin nur eine extrem geringe Reichweite besaßen.
Was in aller Welt plante der Onryone? Glaubte er wirklich, er könnte fliehen und entkommen?
Etwas stimmte nicht. Ghizlane überkam ein ganz mieses Gefühl.
Das Holo zeigte auch die Verfolger, in unterschiedlicher Entfernung.
Am nächsten kam die Pilotin, die die erste Meldung gebracht hatte – Nigella Schöman, wie Jindo sie informierte. Der von ihr erwähnte Ove Heller flog in wenigen Lichtsekunden Abstand, die danach alarmierte Staffel blieb wiederum abgeschlagen.
Jindo vergrößerte den Maßstab, bildete bald das gesamte Solsystem bis zur Plutobahn ab. Die Verfolgungsjagd spielte sich in diesem Gesamtbild noch nah an Terra und Luna ab, momentan näherte sie sich der Marsbahn an. Dieses Bild diente der groben Gesamtorientierung und der Anzeige weiterer im System stationierter Schiffe, ein zweites Holo zeigte den aktiven Ausschnitt in starker Vergrößerung.
»Sie können ihn tatsächlich einholen«, gab sich Jindo überzeugt. »Sämtliche Raumjäger haben dieselbe Leistung, aber meine Piloten sind besser. Vor allem Schöman und Heller. Sie werden ihre Jäger überlasten, gerade so weit, dass sie keinen echten Schaden davontragen.«
»Wieso ziehst du nicht Einheiten von außerhalb dazu?«
»Es stehen Schiffe bei Terra und momentan in Höhe des Saturn, aber auf der gegenüberliegenden Seite der Sonne. Außerdem einige an den Grenzen des Solsystems. Allocnar fliegt in eine andere Richtung. Meine Leute kommen zurecht.«
»Sicher?«
Er sah sie wütend an. »Bei einem Vorfall in deiner ORATIO ANDOLFI werde ich dir auch nicht reinreden, Lane!«
Tatsächlich zeigte das Orterholo, dass Schöman aufholte. Sie nahm außerdem Funkkontakt mit dem Onryonen auf, was sie gleichzeitig zu Jindo übertrug. Sie sprach eine Warnung aus, befahl Allocnar, sich zu stellen, und drohte massiven Beschuss an.
Ghizlane konzentrierte sich auf das Holo.
Etwas stimmte nicht. Sie übersah ein Detail, da war sie sicher. Irgendetwas ...
Sie fluchte. »Jindo! Erweitere die Darstellung über die Plutobahn hinaus!«
»Was ...«
»Jenseits des Pluto steht ein Topsiderschiff! Die OCHVRUR von Kommandantin Hokkno! Sie hat das Auslieferungsultimatum gestellt und erwartet an dieser Position, dass wir ihr Rhodan übergeben!«
»Glaubst du etwa, dass ...«
»Erweitere den Radius!«
Er gab einen entsprechenden Befehl.
Das Holo rechnete einige Sekunden, ehe es ein klares Bild lieferte.
Es gab keinen Zweifel: Eccpre Allocnar raste mit dem gestohlenen Raumjäger direkt auf die OCHVRUR zu.