Читать книгу Einführung in die philosophische Anthropologie - Christian Thies - Страница 6
Vorwort
ОглавлениеEinführungen in philosophische Disziplinen gleichen gewöhnlich Besichtigungen: Ein Experte zeigt einem interessierten Publikum die Besonderheiten eines komplexen, historisch gewachsenen Gebildes, erläutert dessen Grundstrukturen und schwierige Einzelheiten. Entweder handelt es sich um ein wertvolles Kulturdenkmal, das heute noch benutzt und bewohnt wird – so kann man in die Sprachphilosophie oder die Ethik einführen, in die Kerndisziplinen der Philosophie, in denen sich wenige Grundpositionen und zentrale Argumente herausgeschält haben. Oder man macht einen Rundgang über ein Trümmerfeld: Das scheint bei der Anthropologie der Fall zu sein. Diese Disziplin trägt zwar einen ehrwürdigen Namen, „Lehre vom Menschen“, aber trotz einiger Blütezeiten hat sie sich nicht etablieren können; kaum ein philosophisches Teilgebiet kämpft mit solchen Identitätsproblemen wie die Anthropologie. Bei einem Rundgang würden die Leser und Leserinnen nur die Ruinen früherer Zeiten oder bestenfalls isoliert nebeneinander stehende Bauhütten kennenlernen. Das mag ein informatives und sogar unterhaltsames Unternehmen sein, eine gedankliche Herausforderung für unsere Gegenwart ist es nicht.
Verfahrensweise
Deshalb wurde hier ein drittes Verfahren gewählt: Zunächst wird das Trümmerfeld freigeräumt, dann der Grundriss für ein neues Gebäude gezeichnet. Mangels allgemein akzeptierter Vorgaben muss der Autor selbst die Grenzen festsetzen und einen eigenen Konstruktionsplan zugrunde legen. Um das Fundament zu sichern, ist es sogar sinnvoll, pointiert Stellung zu beziehen. An vielen Stellen konnten ältere Bruchstücke eingesetzt werden; als fast unerschöpfliche Fundgrube erwiesen sich die philosophischen Klassiker und die deutsche Philosophische Anthropologie. Hinzu kommen neue Bausteine aus anderen Gebieten, nämlich den empirischen Wissenschaften vom Menschen. Die Verfahrensweise ist also nicht philosophiegeschichtlich, auch nicht analytisch im eigentlichen Sinne, sondern eher synthetisch und konstruktiv. Das Resultat ist sicherlich kein erdbebensicheres Gebäude, zudem soll es zu weiteren Um- und Anbauten anregen.
Aufbau
Das Buch gliedert sich in drei Teile: Der erste Teil dient dazu, die Idee einer philosophischen Anthropologie zu profilieren, in Auseinandersetzung mit anderen Auffassungen aus der Philosophiegeschichte und aus den Humanwissenschaften, vor allem unter Zurückweisung wichtiger Einwände gegen diese Disziplin. Im dritten Kapitel dieses Teils lassen sich die Umrisse der philosophischen Anthropologie schon gut erkennen. Auf dieser Grundlage werden im zweiten Teil die wichtigsten anthropologischen Kategorien systematisch erörtert; als Leitfaden dienen die klassischen Menschenbilder. Im dritten Teil greife ich einige der zentralen Kontroversen des anthropologischen Denkens auf. Ein wichtiges Thema früherer Zeiten, das Leib-Seele-Problem, wird man vielleicht vermissen; man wird ihm in einem anderen Band dieser Reihe, der Einführung in die Philosophie des Geistes, begegnen.
Hinweise zur Benutzung
Noch einige Ratschläge zum Umgang mit diesem Buch: Werfen Sie vor der Lektüre der einzelnen Kapitel einen Blick auf die Arbeitsaufgaben am Ende. Die erste Frage dient jeweils der eigenen Vorverständigung; deshalb sollte man sich ihr vor dem Studium des Kapitels widmen. Auch die als Motto vorangestellten Zitate eignen sich sicherlich als Diskussionseinstieg. Buchtitel oder Autorennamen, auf die der Text allgemein verweist, werden nicht gesondert belegt, sondern können im systematisch untergliederten Literaturverzeichnis nachgeschlagen werden.
Hilfreiche Hinweise verdanke ich Beatrix Gotthold, Michael Großheim, Heiner Hastedt und Dieter Schönecker sowie vor allem Niko Strobach. In einem anderen Sinne habe ich mich bei meinen Eltern zu bedanken; denn ohne sie wäre ich nicht der Mensch, der über Menschsein und Menschlichkeit nachdenkt. Ihnen sei deshalb dieses Buch gewidmet.