Читать книгу Das nackte Wort - Christian Uetz - Страница 8
2. Kapitel
ОглавлениеIN DER NACH DER Dominatrübung uns nur umso entspannter geschenkten Heiterkeit kaufte ich ein Buch über das Glück der einer Frau dienenden Liebe und da Liv die ihr daraus vorgelesenen Stellen gut fand, schrieb ich ihr gleich ein paar Zeilen: Das Bemerkenswerteste an Destroying the Taboo ist mir, dass der Cunnilingus zur Basis des Liebesverhältnisses wird. Das ist ja wie für uns geschrieben. Der jederzeit praktizierbare Cunnilingus als Schlüssel zum Himmel für beide. Der Cunnilingus, bei dem sich beide nur immer lustvoller, entspannter, selbstbewusster, beglückter erfahren. Dies mystische Gebet begeistert mich als ein Geschenk von dir, nicht als ein Dienst von mir. Von deiner Mitte aus strömt das erotische Meer, das ich im Cunnilingus in Wellen, die den ganzen Leib durchfluten, als Paradies erfahre.
März 2020
Noch weichen viele Frauen davor zurück, die Rolle der Herrin anzunehmen, doch sie werden sie als ihre Zukunft erkennen. Frauen sind nicht nur der sich in alle Dinge einschreibenden, subjektiven Objektivität der Sprache näher und hüten sich davor, der diese Dinge zum Objekt versachlichenden Verfügbarkeitssicht zu verfallen; überdies ist jeder Mensch primär feminin, also ein ebenso allmächtiges wie zugleich ohnmächtiges Wortwesen, das nicht auf erektives Hervorragen und Herausragen und auf ein möglichst sichtbares Groß-Werden und auf Protzen und Zerstören angewiesen ist. Da auch er in der Sprache Göttin ist, erkennt der Mann nicht durch die fleischliche Potenz, sondern durch sein Empfangen und Zeugen von Worten sein Wesen. Und ob als Mann, Frau oder Trans, als Homo, Hetero oder Queer, ist das sprachhabende Tier ein Gott im Anbeten. Solange aber ein diesen kleinen Vor-teil Habender sich auch heute noch ins Vorurteil verbohrt, das allgemeine Oberhaupt zu sein, soll Judith ihn mit Recht enthaupten und entmannen. Die sprachliche Macht gegen die brachialstumpfe Leibesüberlegenheit kann die jahrtausendlange Männerherrschaft beenden. Nietzsche verherrlichte zwar die scheinbar männliche Macht der befehlenden und beherrschenden Härte bis zur völligen Vernichtung alles Femininen, und doch wird an ihm evident, wie göttlich und darin größer die Lust ist, milde und anbetend und dienend zu sein und als Mann auch Frau und als Frau auch Mann und weder noch sein zu dürfen. Wohl hat Nietzsche alles Weibliche als weichlich, schwächlich, kränklich, erbärmlich, dekadent, morbid, christlich und das christliche Dienen als lakaienhaft, rachsüchtig, ekelhaft und die christliche Seele als Sklavenseele verabscheut. Und doch nennt er den Übermenschen auch Cäsar mit der Seele Christi und lässt seinen Gott Dionysos voll femininer Ekstase sein.
Dann kam Corona auf. Mit den Mädchen wurde es durch den Lockdown zunächst fast noch schöner. Rosa und Eva spielten nachgerade wundervoll miteinander, so dass wir nur staunen konnten, wie harmonisch und zeitlos sie die Tage verbrachten. Sie spielten pausenlos Rollenspiele, zu jener Zeit das Dschungelbuch, das ich ihnen vorgelesen und das sie auch als Film gesehen hatten. In unzähligen Variationen erfanden sie Szenen, in denen sie entweder selber die Rolle von Mogli, Balu, Baghira, Raschka, Kaa oder Shir Khan einnahmen, oder sie spielten mit Plüsch- und Schleichtieren nachgestellte und selbst erdachte Drehbücher. Ich war wegen der erzwungenen Schulschließung die ganze Zeit über in Weimar. Wir fuhren täglich mit dem Rad in den Wald, wo die Mädchen ihr Dschungelbuch weiterspielten und es gern mit anderen Szenen, wie Feuerwehr- und Polizeieinsätzen mischten. Doch mich selbst machte der am 13. März verkündete und am 16. März umgesetzte Lockdown so dystopisch, dass ich den Krieg gegen das Virus zum Vorboten eines tatsächlichen dritten Weltkriegs dämonisierte. Am Montag, dem 30. März, nach genau zwei Wochen öffentlichen Stillstands und privater Kontaktsperre, nachdem mich wieder die in ganz Deutschland mit Flatterbändern abgesperrten Spielplätze elend fühlen ließen, meinte ich den tieferen Grund der Corona-Krise zu erkennen.
–Ich will es dir noch bestimmter sagen, Liv. Heute haben wir eine medizinische Überlebensmöglichkeit, welche das nichtmenschliche Leben so fatal ausbeutet, dass mit ihm auch wir daran zugrunde gehen.
–Es gibt eben nur dieses Leben.
–Das nur profane Leben aber wird immer mehr ein Spontanitätstod und ein Tod der Natürlichkeit in unserem von der Natur völlig entfernten Geist.
–Sind wir Menschen nicht Natur wie die Tiere auch, ein Tier mit Vernunftfähigkeit?
–Ja, es ist eine zentrale Erkenntnis, und doch unterscheiden wir uns von der Natur. Denn wir verwandeln die Natur bereits in eine genetisch mutierte, und unsere leibliche Natur ist vom Fötus bis zum Grab technisch und medizinisch und pharmazeutisch durchsetzt, und in all dem sind wir uns immer schon fremd, da wir uns mit der Sprache zugleich in einer anderen Welt bewegen als nur der natürlichen, wie wir sie uns bei den Tieren denken. Und allein, dass wir darüber reden können und sagen, dass wir uns nicht von den Tieren unterscheiden, unterscheidet uns von den Tieren. Ich halte die Rede davon, dass wir ein Tier wie jedes andere sind, für ein Wegstehlen von der Verantwortung durch die Sprache, von der Verantwortung durch das Wort Verantwortung, welches ein Gottwort ist in uns wie kaum ein anderes. Das Wort Verantwortung unterscheidet uns um eine Dimension von den Tieren, die die Verantwortung nicht übernehmen können und auch den Tierschutz und die Tierrechte nicht selber durchsetzen können. Denn es ist etwas anderes, ob man als Alphatier einer Herde über die Herde herrscht, oder ob man durch die Sprache die Möglichkeit hat, für alles, worüber überhaupt gesprochen werden kann, Verantwortung zu übernehmen und damit auch Verantwortungslosigkeit und Missbrauch.
–Was willst du damit sagen Georg?
–Indem wir den natürlichen Tod praktisch ausschließen und das Leben medizinisch und technisch immer weiter verlängern, sind wir der Tod der Natur und das Ende der Erde, das sage ich damit. Daraus wird demnächst ein dritter Weltkrieg.
–Das ist unerträglich fanatisch Georg. Dein Zustand ist eine Zumutung auch für Rosa und Eva, die du mit diesem Denken nur verstörst. Ich bitte dich, nach Zürich zu fahren.
April 2020
Corona verdeutlicht den seit zweitausend Jahren im menschlichen Geist zunehmenden Gott und Tod. Seit dem Kinder Gottes ist der Mensch ein Gott und ein Ende und braucht dazu keinen Gott. Denn sowohl in der Bejahung des Unser Vater als auch in der Verneinung davon lässt sich das Denken von nichts aufhalten, von nichts einschüchtern und schreckt vor nichts zurück. Aber durch die Verkündigung des Kinder Gottes und des ewigen Lebens wird mit dieser für den Verstand unhaltbaren Absurdität zugleich Gott so absurd, dass der Tod umso zwanghafter des Menschen Maß wird und absolut verhindert werden will. Da Sterben das über alles zu Vermeidende und Leben das möglichst ins Unendliche zu Verlängernde ist, wird es auch immer sicherer, abgesicherter, vorsichtiger, risikofreier, steriler, immunisierter, immunschwächer, abwehrärmer, allergischer, krankheitsanfälliger, medikamentenabhängiger, medizinbeherrschter, chemiebelasteter, kontrollierter, überwachter, misstrauischer, gehässiger, gereizter, gekränkter, konsumgieriger, berechnender, handlungsgebremster, entscheidungsgelähmter, ordnungskomplexer, vorschriftsblockierter, angstgehemmter, leerer, tot. Lass die Toten ihre Toten begraben. Aber zurzeit können nicht einmal die Toten die Toten begraben, ohne zu Mördern am Leben zu werden. Umgekehrt spricht Rilke vom Totsein, welches gelernt sein will, als Innewerden des Engels, ohne Begegnung, ohne Tun, ohne Veränderung. Und das Totsein ist mühsam und voller Nachholn. Der Verzicht auf jeden Kontakt, der Verzicht auch auf den Namen und die eigene Bedeutung. Nur wird dieses Totsein jetzt nur zum Überleben praktiziert und es wird digital im Ersatz. Und wie es sachlich selbstverständlich ist, mit den Küsschen, den Umarmungen, dem Händeschütteln aufzuhören, so wird es auch selbstverständlich, sich nur digital zu begegnen, mit technisch immer vollkommeneren digitalen Begegnungsmöglichkeiten: schärfer, farbiger, intensiver, näher.
Auch Depression kann als ein das Leben lähmender, todähnlicher Zustand bezeichnet werden. Auch Angst ist ansteckend und auch Angst macht krank. Der Satz Und Gott war das Wort hingegen heißt für die darin sich erhellende Inexistenz, das Leben von der Begeisterung ob der Göttlichkeit der Sprache her zu verstehen, von der Verzückung ob der jede Sekunde Unglaublichkeit des Lebens her, von der Ekstase der Liebe her, vom Lachen, vom Übermut her, von dem Erwachen her durch die herzzerreißende Traurigkeit des Todes hindurch zu noch herzzerreißenderer Freude, Pathos und Glaubensheldentum hin oder her. Aber auch ohne das Sterben zu verklären, ist auch nur eine Sekunde gelebt zu haben ein Wunder, und wenn von der völligen Unwahrscheinlichkeit ausgegangen wird, überhaupt zu leben, hängt ein erfülltes Leben weniger von der Länge als von der Art der Gegenwart ab, so dass auch mit sechzig oder vierzig oder zwanzig zu sterben die Unglaublichkeit, gelebt zu haben, nicht widerlegt. Umgekehrt macht die durch die Säkularisierung unvermeidliche Verabsolutierung des Lebens die so unfassbar hoch gestiegene Lebenserwartung in ebenso unfassbar großer Selbstverständlichkeit deutlich, dass vielleicht auch ein Hundertjähriger bald nicht mehr sterben kann, ohne elend vor der Zeit gestorben zu sein. Jünger sterben, überhaupt sterben ist ein Skandal. Es ist nicht nur seit Camus der Skandal schlechthin, woran wiederum nur der darum erst recht nicht existieren dürfende Gott schuldig sein kann. Und spricht auch das Nichtsein nicht gegen den zusehends weiblichen Engel, und ist das nichtseiende Licht auch eine Sie, die Herrin Sprache, und ist diese Herrin auch alle Sprechenden selber, und ist das Sterben in der Sprache auch ein immer neues Geborenwerden, so wird deren Göttlichkeit doch sogleich als völlig jenseitig erledigt.