Читать книгу Elisabeth, Erbin von Toggenburg. Oder Geschichte der Frauen von Sargans in der Schweiz - Christiane Benedikte Naubert - Страница 9

Оглавление

____________

Zweyter Abschnitt.

____________

Noria Venosta, von ihr selbst verzeichnet.

Es ist schön, am Abend des Lebens rückwärts zu blicken, und den Weg zu mustern, der uns zu der stillen Herberge führte, die wir nun fast erreicht haben. Zwar nur unvollkommen ist diese Uebersicht, denn die Kühle der herannahenden Nacht benimmt uns fast den Begriff von den Beschwerlichkeiten, die uns die Glut der Mittagssonne verursachte, und unser Auge gleitet über die Gebürge, die wir zu übersteigen hatten, über die tiefen Thäler, in denen wir uns zu verirren dachten, sanft hinweg. Wir erblicken nichts, als eine glatte Ebene; die Ferne des zurückgelegten Weges und die immer dichter werdende Dämmerung täuscht unsere Augen. Auch die Freuden unserer Pilgerschaft sind für uns verloren, so wie ihre Mühseligkeiten, wir erblicken nicht mehr die Blumen des Thals, bey welchem wir verweilten, noch den rieselnden Bach, der uns labte. Wir haben von dem Ganzen kein andres Gefühl, als daß es vorbey ist, und wundern uns bey flüchtiger Erinnerung oft nicht wenig, wie all diese Kleinigkeiten uns in solchem Grad rühren konnten. Dies sind die Gefühle des hohen Alters, die Ihr, für die ich schreibe, du Ursula, und du Kunigunde, zur bestimmten Zeit auch erfahren werdet. Ach bis dahin ist noch ein langer mühseliger Weg für euch zurück zu legen, und ich fühle, ich bin es auch schuldig, den Pfad, den ich gegangen bin, noch einmal zu übersehen, und euch durch Erzählung dessen, was ich auf demselben erfuhr, den eurigen zu erleichtern.

Der Frühling meines Lebens war schön und glänzend. Ich wuchs unter den edelsten Jungfrauen meiner Zeit auf und nannte Fürstentöchter meine Gespielen. Graf Habsburgs Töchter lebten mit mir wie Schwestern und unser Freundschaftsbund ward nicht getrennt; als Rudolf Kaiser ward, und ihnen die Erhöhung ihres Vaters eine Aussicht auf die ersten Fürstenstühle Europens eröffnete. Was kümmert sich Unschuld und unerfahrne Jugend um Hoheit und Größe? Dinge dieser Art, waren nur der Gegenstand unsers Scherzes; wir ließen die jungen und alten Fürsten, die sich um des Kaisers Töchter bewarben, der Reihe nach, die Musterung paßiren, wir vertheilten sie unter uns, und hatten darob unser Gelächter. Es waren ihrer gerad sieben, und da ich und die Prinzeßinnen zusammen eine gleiche Anzahl ausmachten, so ging ich nie leer bey der Vertheilung aus.

Aus dem Scherze ward Ernst, der Herzog von Sachsen, welcher bisher alle seine Wünsche auf die älteste Prinzeßinn Mathilde eingeschränkt hatte, begunnte zu sehen, daß ihre Gespielin Noria auch schön seye, und weil ich von mehrern, wegen der Gleichheit, die in allem unter uns eingeführt war und wegen unserer Unzertrennlichkeit, für die Schwestern meiner Freundinnen gehalten wurde, so hielt er es für keine große Sache, zwey Töchter eines Vaters um einander zu vertauschen, und verheelte seine Gesinnungen so wenig, daß – ich vom Hof entfernt wurde, ehe ein entscheidender Schritt in dieser bedenklichen Sache gethan werden konnte. Mein Vater war in den letzten baselschen Unruhen geblieben, meine Mutter hatte ich nie gekannt, und ich fiel der Vormundschaft meines Oheims zu, welcher große Ländereyen in Räthien gekauft hatte, und daselbst frey von dem Geräusch des Hofs das Leben der Freyheit lebte.

Graf Zirio Venosta empfing mich mit offnen Armen, und ich, so schmerzlich mir auch die Trennung von meinen Freundinnen war, konnte doch bald einsehen, welche Vorzüge die Unabhängigkeit von den Ketten des Hoflebens habe, sollten sie auch noch so leicht geschlungen seyn wie die meinigen gewesen waren. Die Luft der Freyheit wehte mir hier überall entgegen, die Räthier, welche die Fesseln ihrer Beherrscher allgemach abzuschütteln begunnten, feyerten überall Feste der Befreyung, und luden die benachbarten Walliser ein, Theil an ihrem Glück zu nehmen. Was für Scenen für ein junges fühlendes Herz, und doch hatte ich nicht Erfahrung genug das Schöne und Seltene derselben ganz einzusehen. Nicht oft wird Freyheit anders als mit Blut erkauft, und die Freude über das erlangte Gut, ist also immer mit trauriger Erinnerung verknüpft; hier war sie die Folge der Mäßigkeit und Arbeitsamkeit, welcher es endlich gelungen war, das Joch der Schwelgerey und des Übermuths zu zerbrechen. Ritter und Geistliche, die bisherigen Beherrscher dieser Gegenden, fröhnten lange Zeit sorglos den Wollüsten, bis sie die Schuldner ihrer Knechte wurden, welche indessen durch Fleiß und Nüchternheit in Sitten emporgewachsen waren, und denen die Stirne bieten konnten, deren Vasallen sie ehemals waren. Die verarmten Schwelger konnten hiezu nichts thun als sauer sehen und sich das, was sie Fügung des Glücks nannten, gefallen lassen.

Aber mein Oheim Zirio war nicht unter diesen herabgekommenen Großen; sein Wohlstand wuchs mit jedem Tage, seine Ländereyen vermehrten sich durch den Ankauf dessen, was seine Nachbaren ihren Schulden aufopfern mußten, auch seufzte das Land nicht unter seiner Macht; er gönnte seinen Vasallen gern eine Art von Unabhängigkeit, welche sie nach keiner mehrern Freiheit lüstern werden ließ. Er gab seinen Dienstleuten eigene Ländereyen ein, und überließ ihnen beynahe den Vollgenuß ihres Ertrags, auch behielt er viele von den fremden Gästen, den Wallisern im Lande, und ersetzte ihnen durch Anweisung manches fruchtbaren, bisher ungebrauchten Stück Landes, was sie in ihrem damals so unruhigen Vaterlande verliessen. O Kinder, es ist ein Geschäft, das uns der Gottheit ähnlich macht, gleichsam aus dem Nichts blühende Gegenden emporsteigen zu lassen, und ihnen glückliche Menschen zu Bewohnern zu geben. Ich bin Zeuge solcher Verwandlungen gewesen, die den Fürsten dieser Erde so leicht seyn würden, wenn sie wollten. Sie vermöchten dadurch die Allgewalt und Milde des Schöpfers zu kopiren, aber sie ahmen lieber seiner strafenden Gerechtigkeit nach, verwandeln die Wohnungen der Menschen in Steinhaufen, und lassen fruchtbare Thäler in Blut schwimmen.

Unter den Großen des Landes, deren Besitzungen jetzt den Grafen von Venosta Herr nannten, waren die Grafen von Vatz die vornehmsten. Graf Walter der letzte, so viel wir wußten, Abkömmling dieses Hauses, hatte von seinem Vater nicht den zehnten Theil von demjenigen geerbt, was seine Vorfahren ehemals ihr Eigenthum nannten. Gram und Mißmuth drückten den jungen Mann nieder, er suchte sein Glück in fremden Kriegsdiensten, fand es nicht, und kam traurend zurück, die verfallnen Schlösser, welche noch sein waren, zu stützen, und die Trümmern seiner gesunkenen Größe zusammen zu suchen. Er litt unverschuldet, und doch färbte die Erwegung seines Zustands seine Wangen mit einer Schaamröthe, die er besonders vor denen zu verbergen suchte, welche auf den Ruinen der Vatzischen Hoheit ihr Glück erbaut hatten. Er vermied den Umgang meines Oheims absichtlich; bey keiner Gelegenheit, wo sonst Ritter und Edle zusammen kommen, ließ er sich finden, wenn dieser gegenwärtig war, und so geflissen auch Zirio die Gelegenheit suchte, den jungen Ritter kennen zu lernen, der ihn auf mehr als eine Art interessirte, so würde doch wahrscheinlich sein Bestreben immer fruchtlos, geblieben seyn, wenn sich nicht eine Begebenheit zugetragen hätte, welche die Gegenwart beyder erforderte, und dadurch ein Band knüpfte, welches – soll ich sagen, besser ungeknüpft geblieben wäre? – Doch die Fügungen der ewigen Weisheit sind untadelhaft, ich lege den Finger auf den Mund und schweige.

Im Schlosse eines friedlichen Thals, am Ufer des Rheins, erhoben sich die Mauern eines Klosters, das bey den großen dazugehörigen Ländereyen nur den Besitzungen der Züricher großen Frau, und den Mönchen zu Sankt Nosus8 in Solothurn, an Macht und Reichthum weichen muß. Seit undenklichen Zeiten waren die Herren von Vatz Eigenthümer dieser Distrikte, und sie kannten den Werth derselben so gut, daß sie fast das einige waren, was sie nur Pfandsweise aus der Hand gelassen hatten. Schon lange hatte mein Oheim mit Graf Werner, Walters Vater, hierüber Unterhandlungen gepflogen, und nach dessen Tode seinen Sohn eben so entschieden gefunden, sich von dem Kleinod des Landes (so pflegte man das Kloster am Walde zu nennen) nicht ganz zu trennen. Tausend Mittel waren meinem Oheim, selbst von den Klosterherren, an die Hand gegeben worden, die Hartnäckigkeit des alten Eigenthümers zu besiegen, aber Zirios zartes Gewissen fand sie widerrechtlich, und alles blieb wie es war. Laßt dem jungen Manne die Hoffnung, sagte er oft, wenn von Graf Waltern die Rede war, durch die Ansprüche an dieses reizende Stück Landes in seinem ehemaligen Erbteil festen Fuß zu behalten, ich will es nicht seyn, der ihn aus demselben verdrängt, will eher ihm die Hand zu Erfüllung seiner Wünsche bieten, wenn er ganz derjenige ist, für den ich ihn halte. Er weide sich an den Sagen von hier vergrabenen Schätzen, und an all den Chimären, mit welchen man auch mich mehrmahls zu täuschen und anzutreiben suchte, mit gewaffneter Hand das zu suchen, wozu mir nur Walters freye Einwilligung ein entscheidendes Recht geben kann.

Nur gar zu wahr war es, daß man es an nichts ermangeln ließ, den Grafen Venosta gegen Waltern aufzubringen, der an seiner Seite ähnlichen Einhauchen hinterlistiger Verräther ein geneigtes Ohr liehe. Die Fehde wär erklärt gewesen, und die Wohnungen der Ruhe hätten längst in Blut geschwommen, wenn Zirio nicht immer großmüthig nachgegeben hätte. – Das Verlangen über diese und ähnliche Dinge, einmal, nur einmal mit Waltern selbst zu sprechen, war der Grund, warum mein Oheim ihn überall aufsuchte, und die Ursach, warum jener jede nähere Erklärung floh, konnte eben so wohl in stolzer Schaam vor dem großen Grafen Venosta, oder in Verhetzung böser Leute, als in irgend einem schlimmen Zuge seines Charakters liegen. Mein Oheim und ich hatten es uns zur Regel gemacht, gut von Graf Waltern zu denken – Zwar hatten wir beyde lang am Hofe, dem Geburtsort des argwöhnischen Mißtrauens, gelebt, aber er sowohl, als ich, liessen beym ersten Eintritt in das treuherzige Helvetien diesen Feind der ländlichen Ruhe zurück, und waren entschlossen ganz das zu seyn, was der Charakter unsers neuen Vaterlands von uns heischte.

Die Begebenheit, welche meinen Oheim und Graf Waltern endlich zusammen brachte, war eine Streitigkeit zwischen den Mönchen von Churwalde und ihrem Abte, die nach und nach so überhand nahm, daß sich der Lehnsherr darein mischen mußte. Und wer war dieser Lehnsherr? Zirio, der Innhaber dieser Gegenden? oder Walter, welcher sich das volle Recht auf dieselben noch immer vorbehielt? – Die Mönche appellirten lange von einem an den andern, und es war schlechterdings eine Zusammenkunft beyder nöthig, die Sache ins Gleiche zu bringen.

Nie verstattete mir Zirio, mich in Dinge zu mischen, welche außer der Sphäre des Weibes liegen, aber wie hätte er mir wehren können, hier eine Parthie zu nehmen, da es auf die Ehre und das Wohl einiger Personen ankam, die ich nach meinem Oheim am meisten schätzte.

Der verfolgte Abt von Churwalde, Konrad, der erste dieses Namens, war mein Beichtiger, der Prior Lüttger, der den unverschuldeten Haß der Mönche mit ihm theilte, mein Lehrer in der Kräuterkunde, die auf den Rhätischen Gebürgen mein Lieblingsstudium war, ich kannte die Redlichkeit beyder, und wandte alle Kräfte der Ueberredung an, welche in weiblichen Bitten und Thränen liegen, den Grafen Venosta immer auf der Seite meiner Freunde zu erhalten. Auch war es mir unmöglich, meinen Oheim allein nach dem Orte reisen zu lassen, welcher zur Zusammenkunft zwischen ihm und Graf Waltern bestimmt war. Auch diesen, von welchem man sagte, daß er sich gewaltig auf die Seite der Verfolger der Unschuld lenkte, wolle ich von der wahren Lage der Sache zu unterrichten suchen, und ich glaubte nichts weiter nöthig zu haben, als dieses, um alles für die Bedrängten zu erhalten; ich wußte noch nicht, daß es möglich sey, gegen die klarste Ueberzeugung zu handeln.

Man sagt, bittende Schönheit, welche sich selbst vergißt, um nur für andre thätig zu seyn, sey unwiderstehlich. Der Vortrag meines Oheims an Waltern war zu Ende, und mir ward erlaubt, einige Worte hinzu zu thun. Ihrer waren wenig, aber sie waren voll Nachdruck, und ich glaubte in Walters Augen zu lesen, daß sie ihres Endzwecks nicht verfehlten. Er antwortete nichts, aber sein Blick ruhte mit einem Ausdruck auf meinem Gesicht, welcher machte, daß ich bestürzt zur Erde sahe, meinen Schleyer fallen ließ und mich zurück zog. Graf Venosta, sagte Walter, Eure Hand! Thut in der Sache, was Euch gefällt! Ein so schönes und tugendliches Fräulein kann nicht die Seite der Verbrecher halten. Unsere streitsüchtigen Mönche behalten ihren Abt, und dieser hat nichts zu thun, als seine mächtige Vorsprecherinn auch zu ihnen mit dem ihr eignen Ton der Ueberredung sprechen zu lassen, um sich ihrer Unterthänigteit auf ewig zu versichern. Mich dünkt, der Mann könne auf diese Art Herr der ganzen Welt werden, und sich, wär er auch der größte Sünder, durch den Mund seiner Heiligen selbst in den Himmel stehlen.

Ich fand diese Reden so kühn als schmeichelhaft; ein Wink meines Oheims sagte mir, daß auch er etwas anstößiges in denselben fand, und ich verließ das Zimmer voll Verlegenheit und Beschämung.

Ich hatte die Freude, meine Freunde gerettet und ihren Verfolgern zum Trotz in ihrer Würde bestätigt zu sehen, und die Kränkung, allerley nachtheilige Folgen meiner gutherzigen Vorbitte zu erfahren. Die erste derselben war ein ziemlich heftiger Verweis vom Grafen Venosta, wegen dem Feuer, – Zudringlichkeit nannte er es, – mit welcher ich zu Graf Waltern gesprochen hatte. Wär Noria ein einfältiges Alpenmädchen, sagte er, das in dem vaterländischen Gebürge nie etwas von den kühnen Erwartungen stolzer Männer bey dem geringsten Grad weiblicher Freundlichkeit gehört hätte, so wollte ich ihr die Freyheit, mit welcher sie sprach, und den Ausdruck ihrer bittenden Blicke verzeihen; aber Noria, an einem Kaiserhofe erzogen, hätte behutsamer seyn sollen. Walters sittenloses Anschauen und seine Worte voll kühner Schmeicheley gefielen mir nicht, und ich mag seinetwegen bisher noch so vortheilhafte Gedanken gehabt haben, so sind sie durch diese Dinge mehr als halb getilget.

Ich beantwortete Zirios warnende Rede mit Stillschweigen, und Selbstvorwürfe folgten hintennach, doch wußte ich kaum, was ich mir vorwerfen sollte: mein Herz war unschuldig, meine Absicht rein, nur die Folgen konnten mich belehren, daß ich in irgend etwas gefehlt hatte.

Walter von Vatz, er, der sich Jahre lang nirgend finden ließ, so sehr mein Oheim nach seiner Bekanntschaft strebte, er, der noch jetzt seine Gesellschaft nicht allzu eifrig suchte, kam von nun an mir, nur mir fast jeden Tag vor die Augen. Ging ich zur Kirche, so war sein Weg der nemliche, stand ich auf meinem Balkon, so ritt er vorüber, war ich bey einem der ländlichen Feste, zu denen es unsern Vasallen nie an Veranlassung fehlte, und bey welchen ich nie mangeln durfte; so bot er mir beym Tanze die Hand, ja das Schicksal wollte sogar, daß ich ihm in der Folge Dank schuldig werden mußte. Ein bunter Aufzug ländlicher Hochzeiter, welcher von wilder schwärmender Musik begleitet war, durchkreutzte einst meinen Weg des Abends im Zweylichten; die dicht vor den Augen meiner Pferde geschwungenen weißen Brautfahnen, und die schwirrenden Zimbeln, die man ihnen in die Ohren tönen ließ, machten sie scheu, sie gingen mit mir durch, und würden vielleicht mit mir den jähen Abhang hinunter gestürzt seyn, aber Graf Walter war bey der Hand, rettete mich, ehe ich noch fast Gefahr ahndete, und genoß dafür das Glück, wie er es nannte, mich nach Hause zu begleiten, und mir in einem seltsamen Tone von Liebe vorzureden, auch kam einst des Nachts in meinem Vorzimmer ein Feuer aus, welches schnell genug überhand nahm, um mich in Schrecken und Ohnmacht zu stürzen. Beym Erwachen fand ich mich in Walters Armen, welcher mir von Flucht vor der Gefahr vorredete, und bereit war, mich davon zu führen, aber da ich jetzt Besonnenheit genug hatte keine dringende Noth zu diesem Schritt zu sehen, so ging die Flucht nicht weiter, als in die Zimmer meines Oheims, in welche ich gebracht zu werden verlangte. Zirio dankte meinem Retter mit ziemlicher Kälte, und hängte seinem Dank die Frage an: welcher Zufall ihn so schnell und so zu gelegener Zeit herbeygebracht habe? Walter sprach von Geistern, welche für die Geliebten des Himmels wachen, und mein Oheim entließ mich, als sich Walter entfernt hatte, mit mancher ernsten Warnung. Die Begebenheit, welche jüngst meine Pferde scheu machte, und das Feuer, das mich in Walters Arme lieferte, konnte, wie er meynte, beydes von ihm selbst angelegtes Maschienenwerk seyn, ihn mir theuer zu machen; wenigstens war so viel gewiß, daß jener Brautzug nach angerichtetem Unglück wie verschwunden war, und dieses Feuer nichts weiter gethan, als einiges Tapetenwerk verzehrt hatte. Hat der Graf von Vatz Ursachen, deine Gewogenheit zu wünschen, fuhr Zirio fort, warum geht er nicht den geraden Weg? Warum bewirbt er sich nicht bey mir um dich? Es war eine Zeit, wo ich dich ihm nicht versagt haben würde, wo ich gemeynt hätte, durch seine Verbindung mit der künftigen Erbinn von Vatz und Sargans eine Handlung der Gerechtigkeit auszuüben.

Ich weiß nicht, welche Nachrichten oder Beobachtungen meinen Oheim, ihn, der von jedermann gut dachte, so schnell geneigt gemacht hatten, Graf Waltern von der schlimmern Seite zu betrachten; ich glaubte den größten Theil dessen, was er sagte, nur halb, und suchte Entschuldigungen für denjenigen, der, so oft ich ihn sah, einen tiefern Eindruck auf mich machte, und mich immer unfähiger ließ, Arges von ihm zu denken.

Walter von Vatz war unglücklich, war des größten Theils der Rechte seiner Geburt beraubt, schon dieses wär hinlänglich gewesen, mir ihn interessant zu machen; aber er brauchte die wenige Macht, die er besaß, noch dazu, andern Nothleidenden Schutz zu gewähren, und sich dadurch mächtige Feinde auf den Hals zu ziehen; konnte etwas edler und großmüthiger gedacht werden? und war es möglich, daß ein solcher Mann den geringsten Anschein von Verdacht verdiente?

Hedwig, Gräfinn von Rappersweil, mußte vor ihrem Feinde, dem herrschsüchtigen Abte von Sankt Gallen, fliehen. Sie war Wittwe, und der Argwohn war nicht klein, daß ein Gifttrunk aus dem Keller des geistlichen Herrn sie in diesen Stand gesetzt hatte. Gern hätte seine Bosheit auch die verlassene Dame aufgeopfert, die seinen Hoffnungen um desto furchtbarer war, da das Land einen Erben von ihr erwartete, welcher in die Rechte seines Vaters treten konnte. Hedwig mußte fliehen, sie war dem Augenblick ihrer Niederkunft nahe, die Feinde waren dicht hinter ihr, sie konnte ihr Schicksal errathen, wenn sie in ihre Hände fiel. Sie ermannte sich in der namlosen Angst, welche sie von allen Seiten bestürmte, und faßte unter der schützenden Hülle der Nacht den einigen Entschluß, der sie retten konnte. Sie verließ den Wagen, dessen keuchende Rosse dem fernen Zufluchtsort, den sie gewählt hatte, vergebens entgegen eilten, ohne eine andere Begleiterin mit sich zu nehmen, als ihre unmündige Tochter Elisabeth. Sie gebot ihren Leuten, den Weg, so gut sie könnten, fortzusetzen, und dadurch ihre Verfolger irre zu leiten. Sie dachte sich in den dichten Gebüschen zu verstecken, oder irgend ein ruhiges Bauerhaus zu finden, wo sie sich von ihrer Angst erholen und einem unglücklichen vaterlosen Kinde das Leben geben könne, sicher, von den treuherzigen Bewohnern dieser Gebürge, den Feinden der Unterdrücker, ihrem Tyrannen nicht verrathen zu werden.

Die Gegend rund umher war öde, ein einsamer Reuter kam den Abhang herauf und begegnete der beklagenswürdigen Dame, welche, von der schwachen Hand der jungen Elisabeth unterstützt, sich kaum mehr aufrecht erhalten konnte. Es war Graf Walter, der von der Jagd kam, und seine Leute bereits vorausgeschickt. Die Gräfinn von Rappersweil brauchte sich ihm weder als eine Hülfsbedürftige zu melden, noch ihren Namen zu nennen, er war ungefordert zur Hülfe bereit. Sein schallendes Horn versammelte sein ganzes Gefolg um ihn her. Schnell ward ein leichter Jagdwagen herbeygeschafft, und ehe eine Stunde verging, befanden sich die Verfolgten in den friedlichen Mauern eines Schlosses, welches vor des Feindes Ueberfall, wär ein solcher zu befürchten gewesen, hinlänglich gesichert war.

Der Graf Venosta war diesen Tag ebenfalls auf die Jagd geritten, es war weit nach Mitternacht, und ich sah ihm beym Spinnrocken mit meinen Dirnen ängstlich harrend entgegen. Allerley Gedanken durchkreutzten sich in meinem Gehirn, an welchen, wie gewöhnlich, Graf Walter auch seinen Antheil hatte. Da öffneten sich schnell die Flügelthüren meines Zimmers, und der, an welchen ich dachte, stand fast außer Athem vor mir.

Fräulein, rief er, ich bitte euch um eine Gnade. Mir ist ein Gast gekommen, und keine Dame ist in meinem Hause, ihn zu bewirthen; vor dem Schloßthor wartet ein Wagen, laßt euch gefallen einzusteigen und mich nach meiner Burg zu begleiten.

Graf! welche Bitte!

Die kühnste, unverzeihlichste, welche sich denken läßt! aber schließt aus der Unvorsichtigkeit, mit welcher ich sie euch vortrage, auf die Eil, mit welcher ich sie erfüllt zu sehen wünsche.

Walter hatte nicht die günstigste Zeit gewählt, irgend eine Gnade, besonders eine von so seltsamer Art von mir zu bitten. Ich hatte in der Einsamkeit an die Warnungen meines Oheims gedacht. Die gescheuchten Pferde und die Feuersbrunst waren mir in den Sinn, gekommen, und der Unmuth, in welchem ich mich diesen Abend befand, hatte mich nicht geneigt gemacht, diese Dinge mit dem mir gewöhnlichen Vorurtheil zu betrachten. Ich sahe mit Graf Venostas Augen, und man kann also leicht schliessen, daß der gegenwärtige Antrag mir als die plumpeste List, mich in meines Liebhabers Gewalt zu bringen, vorkam, die sich denken läßt.

Ihr zürnt? rief Walter, der den Unwillen auf meiner Stirne sah. Gut, ich muß mich um einen Vorsprecher bemühen. – Er eilte mit diesen Worten ins Vorzimmer und kam mit einem kleinen reizenden Mädchen zurück, welches durch die Miene der Angst und des Kummers und durch ihr holdes mit Thränen überschwemmtes Gesicht den Eindruck vermehrte, den ihre plötzliche Erscheinung auf mich machen mußte.

Gutes, liebes Fräulein! rief die Kleine, indem sie meine Knie umfaßte, ich bitte euch, thut alles, was dieser Ritter euch sagt. Wir, meine Mutter und ich, sind in einem Hause, wo man nichts sieht, als bärtige, wilde Männer, und meine Mutter ist so sehr krank, und sie fragte, ob denn keine Dame vorhanden war, die ihr zu rathen wüßte, da sprach unser Retter, dieser Herr, er kenne eine, die er wie seine Schwester liebte, und er wolle sie wohl herbey holen, wenn sie folgen wollte, und da nahm er mich mit sich, euch erbitten zu helfen, und ihr werdet euch erbitten lassen, ich sehe es, weil ihr mich so freundlich anblickt.

Ich küßte die kleine Bittende ohne genau zu wissen, was sie wollte, und sah Waltern mit fragendem Blick an. Er erzählte mir das Abentheuer mit der Gräfinn von Rappersweil auf eine so interessante Art, daß ich nicht zweifelhaft hätte bleiben können, was zu thun war, und wenn auch nicht das Schicksal dieser unglücklichen Dame, von welchem in dieser Gegend alles voll war, schon vorher manch trauriges Nachdenken und mancher Wunsch ihr zu helfen, in mir erregt hätte.

Ich vergaß jede Bedenklichkeit, die ich haben konnte, und warf mich, in Begleitung meiner Amme, einer verständigen Frau, die der Gräfinn wahrscheinlich mehr Trost zu bringen vermochte, als ich, in den wartenden Wagen, dessen Eil ich zu beflügeln wünschte; denn ich war so ganz mit meinen Gedanken bey der Nothleidenden, daß ich kaum ans Walters zärtliche Danksagungen, und auf die Reden meiner Amme achtete, welche mit einigem Murren erwieß, daß wir uns übereilt hatten, daß eigentlich meine Gegenwart hier ganz unnöthig, nur die ihrige erforderlich sey, und daß der Graf Venosta Ursach habe, bey seiner Heimkunft zu zürnen, daß ich in seiner Abwesenheit mit einem Ritter in tiefer Nacht bey Sturm und fallendem Schnee davon gezogen sey.

Wir kamen an. Unser Anblick verbreitete auf dem Gesicht der schwachen Gräfinn, welche hier unter lauter Männern schlecht genug bedient war, neues Leben. Sie umarmte mich, und nannte mich Schwester. Ich ließ sie in den Händen meiner Amme, und ging hinaus, um zu ihrer Verpflegung Anstalten zu machen und Befehle zu geben, als wenn ich hier zu gebieten hätte. Die Angst um sie, machte mich geschäftig, mir kam in meiner seltsamen Lage nichts wunderbar vor, und ich konnte nicht begreifen, warum mich Graf Walters Leute so mit wundernden Augen betrachteten, und warum er selbst immer in so einem Uebermaaß von Entzücken an meiner Seite war, und mich mit Danksagungen überhäufte, welche unmöglich alle auf die Rechnung der Gräfinn von Rappersweil zu schreiben waren.

Hedwig ward in dieser Nacht die Mutter eines Sohnes, und das Entzücken, mit welchem sie ihn an die Brust drückte, war mit dem, was andere Mütter in solchen Augenblicken fühlen mögen, nicht zu vergleichen. Sie umschloß in diesem neugebornen Kinde den Ueberwinder ihrer Feinde, den Retter seines Hauses, nichts war nöthig, als seine Geburt, um den feindseligen Abt von Sankt Gallen zu demüthigen, und ihn in die Gränzen eines Lehnsmannes zurück zu weisen. Auch ermangelte Graf Walter nicht, die Nachricht von der Geburt eines jungen Grafen von Rappersweil in der ganzen Gegend kund zu machen, und Freund und Feind durch seine Herolde einladen zu lassen, sich von dem Daseyn des jungen Herrleins durch eigene Augen zu überzeugen.

Graf Venosta war durch die Nachricht von meiner nächtlichen Verschwindung, deren Grund man ihm nur sehr unvollkommen angeben konnte, zu seltsamen Besorgnissen verleitet worden; er mußte sich selbst von der Wahrheit unterrichten, und der erste Morgenstrahl sah ihn, unter der Begleitung seines ganzen Jagdgefolgs, das, auf den ärgsten Fall schnell zu ernstlicher Fehde bewaffnet worden war, auf Walters Schlosse einreiten. Der Graf von Vatz war in Geschäften, welche das Abentheuer vergangener Nacht nothwendig machte, ausgeritten, und mich traf mein Oheim an dem Bette der erlauchten Kindbetterinn, deren inniger Dank für die Hülfe, die sie durch meine Vermittelung erlangt haben wollte, jede Furche von seiner Stirne hinweghauchte, und die Strafrede, welche mir zugedacht war, kaum zum kleinen Verweis wegen einiger Uebereilung werden ließ.

Graf Walter kam zurück; er, nebst mir, dem Grafen Venosta, und der Schwester des Neugebornen, waren Taufzeugen des Kindes, und gaben ihm den Namen seiner Väter Rudolf. Wohlstands9 wegen wurde darauf angetragen, die Kindbetterinn, welche sich nicht von mir trennen wollte, nach dem Schlosse meines Oheims bringen zu lassen, aber sie war zu einer solchen Reise zu schwach, und ich mußte mir gefallen lassen, noch einige Zeit lang, auf Graf Walters Schlosse die Stelle der Hausfrau zu vertreten.

In dieser Epoche geschah das, worauf die ganze Sache von Graf Waltern angelegt war. Ohne Zweifel hätte er zu Bewirthung seines schönen Gasts andere Anstalten treffen können, aber nutzte schnell die dargebotne Gelegenheit, mich in eine Verbindung zu ziehen, welche mich ihm näher brachte, er suchte mir einen stillschweigenden Beweis vorzüglicher Achtung zu geben, und sich zugleich ein Recht auf die meinige zu erwerben, indem er mich zur täglichen Zeuginn der edeln Behandlung machte, welche eine Person bey ihm fand, die ihm ganz fremd war, welche sich ihm durch nichts empfahl als Hülflosigkeit, und ihm zur Belohnung für seine Milde nichts gewähren könnte, als Verstrickung in ihre eignen verdrüßlichen Händel.

Walter erreichte seine Absicht bey mir vollkommen, und auch mein Oheim begunnte ihn mit günstigern Augen anzusehen. Beyde interessirten sich gleich stark für die Gräfinn, und schwuren alles zu thun, sie und ihren neugebornen Sohn, in den noch immer von dem Abt zu Sankt Gallen bestrittenen Rechten zu schützen. Einerley Endzwecke machten sie vertraut, und Walter war hinlänglich auf seiner Hut, um bey dieser Vertraulichkeit nicht zu verlieren. Schon glaubte er der Erreichung seines nie wörtlich gestandenen Endzwecks, des Besitzes meiner Hand nahe zu seyn, als mein Oheim einen neuen Beweis gab, daß eine Verlobung mit ihm gegenwärtig gar nicht dasjenige sey, was er suchte oder wünschte.

Die Geschichte meiner nächtlichen Reise – Entweichung war das Wort, dessen man sich bediente – war nicht verschwiegen geblieben. Die Lage der Gräfinn von Rappersweil erforderte es, viel Fremde zu sehen, und man fand mich immer an ihrer Seite, sah, daß ich in Graf Walters Hause die Wirthinn10 spielte und machte daraus seine Schlüsse. Einige nannten mich die Braut des Grafen von Vatz, andere setzten aus bekannten und unbekannten Umständen eine Geschichte zusammen, welche zu anstößig war, um von mir nacherzählt zu, werden, und die, als sie zu meines Obeims Ohren kam, den Entschluß, mich aus meiner wunderbaren Lage zu reissen, schnell zur Ausführung brachte. Die Kindbetterinn war jetzt stark genug, eine Veränderung der Wohnung zu ertragen, und der Aufenthalt in dem Hause des mächtigen Grafen Venosta, den ihr die Freundschaft anbot, konnte ihr die Sicherheit, die sie bey Waltern fand, in weit höherm Grade gewähren.

Mein Oheim und der Graf von Vatz sahen finster, ich trauerte und die schöne Hedwig von Rappersweil gab dem, was keines dem andern gestehen wollte, Worte. O Schicksal! rief sie beym Abschied von ihrem bisherigen Beschützer, indem sie meine und Walters Rechte fest in der ihrigen zusammendruckte, verbinde die beyden edelsten Seelen, die du bildetest, mit einander, dies ist der beste Lohn, den du der Großmuth und uneigennützigen Freundschaft, die ich hier fand, ertheilen kannst! Hedwigs sprechende Augen waren gen Himmel gerichtet, und wir beyde sahen einander erröthend an, ohne ein Wort vorbringen zu können. Mich dünkte, Walter hätte nicht stumm seyn sollen, aber – er schwieg.

Die Gräfinn lebte lang in unserm Hause, es kam mit ihren Beschützern und dem halsstarrigen Abt von Sankt Gallen zur offenen Fehde, in welcher jener immer unterlag, ohne ganz überwunden zu werden. Gott weiß, welches die Quellen unüberwindbarer Macht sind, welche man in unsern Tagen immer bey den geistlichen Fürsten findet. Feige Herzen, schwache Arme, sorglose Unthätigleit, welche Gegner für ritterliche Stärke und Heldenmuth! – Ohne Zweifel schlingt eine unsichtbare Kette alle Söhne der Kirche insgeheim zusammen, und wird das Mittel, sie immer den Weltlichen überlegen zu erhalten, so oft sie auch von ihnen besiegt werden.

Hedwig war schön und eine Wittwe, und mein Oheim ein Mann, der sich dem Alter mit so langsamen zögernden Schritten näherte, daß man bey seinem Anblick seine Jahre zu zählen vergaß. Ich war vielleicht nicht die erste, welche auf den Gedanken fiel, eine Verbindung zwischen ihnen könne gegenseitiges Glück hervorbringen. Ich merkte bald, daß meine Vorschläge von beyden mit Wohlgefallen gehört wurden, und ich triumphirte in dem Gedanken, meine Freundinn und meinen Wohlthäter bald den Weg des häuslichen Glücks von neuem beginnen zu sehen.

Graf Walter, welcher in unserm Hause kein seltner Gast war, hörte meine Plane mit Erstaunen aus meinem Munde. Nie hatte ich zuvor einen so sonderbaren Zug in seinem Gesicht gesehen, als in diesem Augenblicke. Fräulein! schrie er, wache oder träume ich? Eine Verbindung, die euch um alle eure Hoffnungen betrügt? die eine Fremde in alle Rechte, welche euch zukommen, einsetzt? – und diese Verbindung euer Werk? –

Kann Graf Walter den geringsten Gedanken von Eigennutz in meiner Seele ahnden? fragte ich mit einem Erstaunen, welches dem seinigen wenigstens gleich kam. Sollte es möglich seyn, daß ähnliche Gesinnungen in seinem Busen Platz finden? Oder ist vielleicht das Ganze ein Versuch, seine Freundinn auf die Probe zu stellen?

Er biß sich auf die Lippen und schwieg. Meine Augen waren fest auf ihn gerichtet und er erholte sich erst spät, um die Miene zu verändern, und mir zu erweisen, wie er bey einer Sache, welche weiter gar keine Beziehung auf ihn haben könne, blos um mich sorge, und wie das edelste, uneigennützigste Herz, bey Freundesangelegenheiten, wohl Betrachtungen stattgeben könne, die bey eigenen aus dem Sinn geschlagen würden.

Ich glaubte alles, was Walter mir sagte, und also auch dieses, und er war im Gegentheil so gefällig, auch meine Vorstellungen gelten zu lassen, und mir am Ende einzuräumen, daß eine Verbindung zwischen dem Grafen Venosta und Graf Rudolfs Wittwe allerdings eine höchst annehmliche und selbst für mich vortheilhafte Sache seyn müsse, auch versprach er mir, so bald die nächste Unternehmung wider den Abt von Sankt Gallen geglückt seyn würde, auf meine Seite zu treten und das Glück meiner Lieben durch Bitten und Überredungen beschleunigen zu helfen.

Der Heerzug gegen den gemeinschaftlichen Feind betraf die Einnahme einer der Burgen, welche er dem rechtmäßigen Erben vorenthielt, und man machte sich des andern Tages früh vor Aufgang der Sonne auf, durch List und Waffen den Sieg zu erstreiten, den man schon fast in den Händen zu haben glaubte.

Meine Freundinn und ich hatten unsere Helden schon zu oft von ihren Unternehmungen glücklich zurückkehren gesehen, als daß wir ihnen Seufzer oder ängstliche Wünsche hätten nachschicken sollen; wir hatten die Zeit ihrer Rückkunft genau ausgerechnet, und den Anschlag gemacht, sie mit den zurück gebliebenen Kriegsleuten wie im Siegsgepränge einzuholen, dem fröhlichen Zuge voraus sollte eine mit Denksprüchen und Sinnbildern gezierte Fahne wehen, welche noch unter unserer Nadel war, und die wir uns mit der größten Emsigkeit zur bestimmten Zeit zu fertigen mühten. Unserer Gespräche bey dieser lieblichen bald vollendeten Arbeit waren mancherley, ich nannte die reizende Hedwig scherzend meine Tante, und diese lohnte mir damit, daß sie meinen Namen mit dem Namen Graf Walters verschlungen in ein leeres Wappenfeld setzte. Unsere Unterhaltung ward ernsthafter. Sie bezeugte mir über das, was mich vorlängst befremdete und bekümmerte, über Walters schweigende Liebe ihre Verwunderung, und betheuerte eben, daß sie nur darum Gräfinn Venosta zu werden wünschte, um den blöden11 Ritter, so nannte sie Waltern, zum Sprechen zu bringen, und sein und mein Glück mit Nachdruck zu befördern, als ein Geräusch im Schloßhof unser Gespräch und unsere Arbeit unterbrach; wir sprangen auf, der Hufschlag von Pferden würde uns die Wiederkunft unserer Geliebten haben ahnden lassen, wenn eine so schleunige Endigung des Streites möglich gewesen wär. Wir schickten unsere Dirnen hinaus, um Erkundigung einzuholen, und flogen selbst an die Fenster, um uns durch eigne Augen zu belehren.

Die Gräfinn stürzte mit einem lauten Geschrey zurück, und mich versetzte der Anblick eines einigen blutenden Reuters, mit etlichen leeren Handpferden fast in den nemlichen Zustand. Ists Friede? rief ich mit halb erstorbener Stimme vom Altan herab. Ach Gott, Fräulein, erwiederte der Bote mit stammelnder Zunge, meine Herren! – Der Hinterhalt dort im Gebürge! – Beyde, Beyde gefangen! – O schleunige, schleunige Hülfe! –

Schon waren unsere Leute beschäftigt, dem tödlich Verwundeten, der sich kaum mehr aufrecht erhalten konnte, beyzustehen, und mich machte das Entsetzen, anstatt mich in die Vernichtung wie meine Freundinn zu stürzen, stark genug, hinaus zu eilen, um Anstalt zur Rettung zu treffen. Ueberall war ich selbst gegenwärtig, und ehe eine Stunde verging, stand alles, was dieses Schloß von Mannschaft in sich hatte, in Waffen, und ich selbst in einer leichten Rüstung meines Oheims eilte zu der kranken Gräfinn von Rappersweil, die ich unter den Händen ihrer Frauen verlassen hatte, um mich mit ihr zu letzen12, und sie mit der Hoffnung glücklicher Wiederkunft zu trösten.

Auch du, auch du eilst von mir? schrie Hedwig – Gott, was wird aus mir werden! Nimm mich mit dir, oder töde mich! Unglücksahndnng beklemmt mein Herz! nicht genug an alle dem Schrecklichen, was wir bereits erfahren haben, mich dünkt auch, wir werden uns nicht wiedersehen.

Ich drückte meine schwache Freundinn an mein Herz, empfahl sie ihren Leuten und flog dahin, wo mich weit weniger Muth und Entschlossenheit, als Verzweiflung und dringende Noth riefen. Wir jagten mit verhängtem Zügel die Ebene hindurch und stiessen in den ersten Krümmungen des Gebürgs auf die Stelle, wo Tapferkeit hinterlistiger Bosheit unterlag. Ein schrecklicher Anblick! Eine im Blute schwimmende Wahlstatt13! Tausend Gegenstände, bey welchen das Mitleiden gern verweilt hatte, um noch vielleicht einige zu retten, aber wichtigere Betrachtungen hiessen uns die Ohren vor dem Gewimmer der leidenden Menschheit verschliessen, und den Weg ungesäumt fortsetzen. Doch schickte ich einige von meinen Leuten zurück, um das zu verrichten, was ich lieber selbst gethan hatte, und gebot dem einen von ihnen, wenn irgend aus dem Munde eines noch lebenden Nachrichten von Wichtigkeit zu erforschen wären, mir sie eilig nachzubringen.

Durch dieses Mittel erfuhr ich den Weg, den die dreymal grössere Mannschaft des Abts von Sankt Gallen mit den gefangenen Helden genommen hatte, und langte noch vor Abends bey der Veste an, welche man mir als den Kerker meiner Freunde bezeichnet hatte.

Wir rüsteten uns zum Sturm. Ich hatte erfahrne Krieger unter meinen Leuten, welche meiner Unwissenheit in Dingen dieser Art zu Hülfe kamen, und die dagegen durch meinen Muth, den Muth eines Weibes, doppelte Stärke erhielten. Nicht lange, so sahen wir von der Burg die weisse Fahne wehen, und mit gehöriger Vorsicht für die Sicherheit seiner theuren Person, kam auf der Zinne der Räuber meiner Lieben, der Unterdrücker der Unschuldigen, der abscheuliche Abt von Sankt Gallen zum Vorschein.

Ich hatte meinen Helm abgesetzt, um mein glühendes Gesicht zu kühlen, und meine Locken, noch mit jungfräulichem Blumenschmuck geziert, den ich in der Eile abzulegen vergessen hatte, flatterten im Winde. Willkommen schönes Fräulein, rief der hämisch lächelnde Mönch, der mich kannte, zu mir herab. Die Freunde, welche ihr sucht, sind nicht mehr in diesen Mauren, darum höret auf, wider die Unschuldigen zu wüthen. Legt die schwere Rüstung ab, welche eurem Geschlecht so wenig ziemt, und kommt herein, ein friedliches Abendmahl mit mir zu theilen.

Schon rüstete ich mich zu einer Antwort, wie sie der frechen Anrede gebührte, aber die Worte erstarben auf meinen Lippen. In meinen Ohren tönte aus hundert Kehlen das Wort: Verrätherey! ich sah zurück, und sah rund umher Feindes Schwerdter blinken, sah meine Leute zurückweichen und fallen, sah den Weg zu mir eröffnet, und das Kriegsvolk des heimtückischen Abts, das hinter uns in großem Haufen aus einem alten Gemäuer hervor stürzte, von weiten zu mir einstürmen. Mir vergingen die Sinne, und ich weis nicht, was aus mir geworden wäre, wenn nicht meine getreue Dirne, Mechtild, die mir unerschrocken in den Streit gefolgt war, mich aufrecht erhalten hätte. Mein unbehelmtes Haupt und das bleiche jungfräuliche Gesicht machte mich kenntlich, sie deckte es mit der Sturmhaube eines feindlichen Kriegsknechts, der nicht weit von uns gefallen war, hüllte mich in seinen Wappenmantel und zog mich aus dem Gedränge auf eine Seite, von welcher sich jetzt der Streit hinweg wandte.

Die Nacht begünstigte unsere Flucht. Mechtild bewieß mir, indem wir unsern Pferden zueilten, daß meine Gegenwart hier, da es meinen Leuten nicht an Anführern fehlte, unnöthig, und meine Gefangenschaft bey dem kleinsten Zögern gewiß sey, auch war ich durch die letzte schreckliche Ueberraschung, und die heftige Anstrengung würklich zu sehr geschwächt, um etwas anders, als das beste Rettungsmittel des Weibes, die Flucht, übrig zu haben.

Mehr tod als lebendig brachte mich meine Retterinn durch die öde nächtliche Gegend nach dem Schlosse zurücke, das ich, unbekannt mit meinen Kräften und der Stärke und Hinterlist meiner Feinde mit so großen Hoffnungen verlassen hatte. Von der Wahlstatt, bey welcher wir vorüber mußten, tönte es uns wie Röcheln der Sterbenden nach, und die Haare streubten sich auf unsern Häuptern empor. Die weibliche Schwäche behauptete von neuem ihre Rechte, und diejenigen, welche sich vor kurzer Zeit mitten unter die Schwerdter der Feinde gewagt hatten, zitterten jetzt vor einem Schatten, vor einem Hauch, den ihnen die erhitzte Phanthasie vorstellte.

Wir fanden die Burgthore verschlossen, und die Zugbrücke aufgezogen, kein Zeichen, das wir geben konnten, vermochte uns Eingang zu verschaffen. Alles schien im Schloß wie ausgestorben zu seyn. Kein Schimmer von Licht ließ sich in den hochgewölbten Fenstern erblicken, und wir waren genöthigt, in einem kleinen verlassenen Gebäude diesseit des Grabens, zu übernachten.

Ueberzeugt, daß nur die Furcht vor feindlichen Ueberfall unsere Zurückgelassenen zu dieser hartnackigen Vorsichtigkeit hatte bewegen können, sahen wir dem Morgen ängstlich harrend entgegen. Wer wußte, ob der Feind hinter uns nicht den Sieg davon getragen hatte? wer wußte, ob er nicht, denselben vollkommen zu machen, die Flüchtigen hieher verfolgen, und sich zum Meister dieses Schlosses machen würde? – Ich hatte die Gräfinn von Rappersweil in schlechtem Schutz gelassen. Die Begierde meinen Oheim und meinen Geliebten zu retten, hatte gemacht, daß außer unsern Frauen niemand im Schloß zurück geblieben war, als der alte Hausverwalter, der Thurmwächter und wenige Bedienten.

Der erste war es, der uns bey Anbruch des Tages den Zugang zum Ort der Sicherheit eröffnete, wir hielten unsern traurigen Einzug, und wurden von dem schwachen Greise mit allen Merkmalen des Entsetzens empfangen. Unsre einsame Zurückkunft, und sein entstelltes Ansehen war der Gegenstand unserer ersten gegenseitigen Fragen, die von beyden Theilen unbeantwortet blieben. Ich eilte über den Burghof, um mich in die Arme meiner Freundinn zu werfen, und mit ihr die Maßregeln zu unserer künftigen Sicherheit zu nehmen, aber das erste, was sich meinen Augen am Eingange darbot, war ein Haufen blutender Leichname. Ich fuhr mit Entsetzen zurück, um zu fragen, was für schreckliche Dinge hier vorgegangen wären, aber das Entsetzen hemmte meine Worte, auch wurde ich durch die um Hülfe rufende Stimme meiner Begleiterinn unterbrochen, unter deren Händen der Schloßvogt, welcher vermuthlich bey Eröffnung der Pforten seine letzten Kräfte zugesetzt hatte, ohnmächtig geworden war.

Doch warum beschreibe ich bey dem Ueberfluß von traurigen Scenen, die meiner Feder bevorstehen, die erste so umständlich? Nichts also von dem, wie wir nach und nach hinter das fürchterliche Geheimniß kamen, sondern lieber sogleich den ganzen Vorgang.

Das einzige Gut, welches ich nach dem, Verlust meines Geliebten und meines Oheims noch besaß, meine Freundinn, meine Hedwig, auch sie war mir während meiner Abwesenheit entrissen worden. Unbekannte Feinde waren bald nach unserm Abzuge hereingedrungen, hatte die wenigen männlichen Bewohner des Schlosses theils getödet, theils tödlich verwundet, unsere Frauen, gebunden, die Gräfinn von Rappersweil mit ihren Kindern davon geführt, die Schloßpforten hinter sich verschlossen, die Zugbrücke aufgezogen, und die grauliche Einsamkeit zurückgelassen, welche ich hier fand. Der Thurmwächter und der Schloßvogt waren die einigen von den Männern, deren Wunden nicht den Tod nach sich gezogen hatten, und indessen der erste nach langsamer Erholung hinaufgegangen war, nach dem Zustand in den Gemächern zu sehen, hatte der andere der Hülfe von aussen den Zugang eröffnet.

Die entfesselten Weiber stürzten mir jetzt voll Verzweiflung entgegen und forderten von mir die Gräfinn, die ich hier, ach so unvorsichtig, so schlecht beschützt, zurückgelassen hatte! Unsere Furcht vor einiger weitern Gefahr wurde durch die Empfindung unsers Verlusts verschlungen, und wir wären eine leicht eroberte Beute unsres Feindes gewesen, wenn er sich des gegenwärtigen Augenblicks zu bedienen gewußt hätte.

Gegen den Mittag kamen einige Leute aus der benachbarten Gegend, und brachten die junge Elisabeth zurück, welche sie verirrt und weinend im Gebürge gefunden hatten. Ach! schrie sie, indem sie sich in meine Arme warf, ach gutes Fräulein! was ist aus meiner Mutter geworden! Ich konnte ihr nur mit meinen Thränen antworten, und auch sie war so außer sich, daß ich erst spät so viel erfuhr, wie man sie anfangs mit ihrer Mutter davon geführt, dann sie wegen ihres unablässigen Schreyens und Weinens lästig gefunden, und in dem Gebürge zurückgelassen hätte. Man stelle sich die Empfindung der Mutter bey der Trennung von der Tochter vor! Nichts als die Drohung, ihr auch ihren kleinen Sohn vom Busen zu reissen, hatte sie endlich Ergebung in den Willen ihrer Entführer lehren können!

Es war erst spät gegen den Abend, als ich Besonnenheit genug hatte, einige Anstalten zu unserer Sicherheit zu machen, und einige Nachfragen zu thun, welche mir nöthig dünkten. Die Burg ward gesperrt, die Toden, weil unsere Arme zu schwach zu ordentlicher Beerdigung waren, in den verfallnen Brunnen eines abgelegenen Hinterhofs geworfen, und alle Muthmassungen gesammelt, wer der Urheber unsres Unglücks seyn möchte. Der Hausverwalter, vor dessen Bette die Berathschlagung gehalten wurde, behauptete mit unumstößlichen Gründen, der Abt von Sankt Gallen, auf dessen Rechnung wir alles Unheil zu schreiben bereit waren, sey hier unschuldig, und er gab nicht undeutlich zu verstehen, daß er andere Muthmassungen habe. Die kleine Elisabeth, welche nie von meiner Seite ging, und die wir diesmal gar nicht bemerkt hatten, erhob ihre zarte Stimme, um zu versichern, sie habe unter den Entführern ihrer Mutter ein Gesicht erblickt, das Graf Waltern nicht ungleich gesehen habe, auch habe sie sich erkühnt, bittend seinen Namen zu nennen, aber ein unfreundlicher Stoß, und bald darauf die Zurücklassung im Gebürge sey der Lohn ihres Vorwitzes gewesen. –

Du irrest, mein Kind, sagte ich, denn alles andere abgerechnet, welches es unmöglich macht, daß unser Freund unser Verfolger seyn könne, so ist auch der Graf von Vatz ja der Theilnehmer der unglücklichen Gefangenschaft meines Oheims: hast du vergessen, was der Unglücksbote gestern bey seiner Ankunft aussagte?

Ja, wollte Gott, rief der kranke Greis, wir hätten diesen Unglücksboten genauer befragt oder scharfer bewacht. Doch wer konnte Mißtrauen in ihn setzen oder ihn bey der Todenschwäche, in welcher er zu seyn schien, der Flucht fähig halten?

Der Flucht? rief ich, der Bote ist geflohen, und wenn und warum geschahe dieses? –

Mittlerweile wir Anstalt machten ihm die Wunden zu verbinden, die unser keiner gesehen hat, und ihn auf einige Augenblicke verlassen hatten, entkam er. Die Zurüstung zum Aufbruch machte, daß wir ihn aus der Acht liessen, er hätte in der Zeit, da wir ihn verlassen hatten, sterben können, wär er so schwach gewesen, als er schien; wir suchten ihn, aber er war nirgend zu finden und wir meynten, unzeitige Tapferkeit und Treue könne ihn wohl veranlaßt haben, den Rettern seines Herrn zu folgen, und einen Weg zu unternehmen, dessen Ende für ihn der Tod seyn mußte.

Und wäre dies nicht möglich? rief ich, Werner war immer ein treuer Diener seines Grafen.

Der Hausvogt versicherte, daß ihm bey dem bald darauf folgenden Ueberfall Dinge vorgekommen wären, welche seiner Flucht eine andere Auslegung gäben, und wollte sich eben deutlicher hierüber erklären, als der Schall der Trompeten von aussen, uns alle aufschreckte, und einen jeden an den Posten trieb, welchen Pflicht und Neigung ihn anweisen. Der Thurmwächter stieg auf die Warte, meine Frauen versteckten sich, und ich mit der kleinen Elisabeth eilte auf die untere Zinne, um mich von der Beschaffenheit der Gefahr zu unterrichten.

Gott! schrie ich, beym ersten Anblick der Reisigen14, welche das Feld vor der Burg bedeckten, Graf Walters Leute! – Meines Oheims Fahnen! – Wache oder träume ich? Graf Venosta ritt jetzt hervor, um dem Thurmwächter, der von seiner Höhe herab die gewöhnlichen Fragen that, selbst zu antworten, aber mir fehlte die Geduld dieses abzuwarten. Die Burgpforten öffneten sich, die Zugbrücke flog nieder und ich lag in den Armen meines theuern geretteten Oheims, ehe ich noch den Gedanken von seiner Befreyung mit Wahrscheinlichkeit und Möglichkeit zusammen räumen konnte.

Ja, ich bin frey, meine Tochter! rief Graf Zirio, als ich aus dem ersten Taumel des Entzückens zu mir selbst kam, und weißt du, wem du und ich Glück und Leben zu danken haben? Hier diesem Helden, den ich insgeheim so lang verkannte und ihm die Belohnung, die er längst verdiente, mißtrauisch vorenthielt.

Graf Walter? schrie ich, er, der selbst gefangen war?

Zum Glück war er es nicht, erwiederte mein Oheim. Als wir vom Hinterhalte des Abts im Gebürge überfallen wurden, entkam er, sammelte alle Reisigen, die er in seiner Burg zurückgelassen hatte, und heute am Morgen war er und die Rettung vor der Thür. O Noria! hilf mir vergelten, was wir diesem edeln Manne, schuldig sind! doch du allein kannst es. Hier Graf Walter, die Hand der Erbinn aller der Gegenden, die eure Vorfahren ehemals Herr nannten, die Hand eurer Geliebten, um die ihr so lange schweigend bittet! – nun, was zögert ihr? schlagt ein in die Hand, die sich euch mit so wenig Zögern darbietet.

Graf, erwiederte Walter, der mit einer seltsamen Geberde dastand, die Linke ans Schwerd, die Rechte auf die Brust gelegt, sprach ich euch um die Hand der Erbinn von Sargans an?

Ha ihr zielt auf meine Vermählung mit der Gräfinn von Rappersweil, aber, ich kann meine Gemahlinn und meine Nichte bedenken, ohne eine von ihnen zurückzusetzen.

Hiervon ist nicht die Rede! Ich frage euch, bat ich euch jetzt, mich zum Gemahl der schönen Noria zu machen?

Nein, und ich weiß die Ursach, warum ihr schweiget, Stolz und Furcht vor Abschlag, doch was ist das unter mir und euch? Ich biete euch aus Dankbarkeit meinen liebsten Schatz an, und ihr liebt zu stark, um ihn auszuschlagen.

Ja, Graf Venosta, ich liebe. Aber mir liegt daran, daß alle Welt es wisse, wie euer freyer Wille, ohne Rücksicht auf meine anderweitige Lage, ohne Drang von meinen Bitten mich zu euren Neffen machte.

Was für Bedenklichkeiten! Nun so wisse es alle Welt, bey meinem Eide, ich biete meine Nichte dir Waltern von Vatz freywillig an, und erwarte deine Antwort.

Und ihr Fräulein? fragte Walter.

Ich schwieg und sah erröthend vor mir nieder. O dieser edle Stolz, mit welchem Walter, um jeden Verdacht von Eigennutz zu vermeiden, zögerte sein Glück anzunehmen, hätte jetzt mein Herz für ihn gewonnen, wär es nicht längst das Seinige gewesen. – Mein Oheim war der Erklärer meiner Blicke, ich widersprach nicht, mein Geliebter schloß mich zum erstenmal in seine Arme und nannte mich mit dem Namen, der mir auf der Welt der liebste war.

Himmlisch wären diese Augenblicke gewesen, wenn nicht dicht hinter ihnen die bitterste Kränkung hergeschlichen wär. Mein Oheim wandte sich von der Scene unserer Liebe, und fragte nach der Gräfinn von Rappersweil. O Himmel, welche Entdeckung! wie soll ich den Zustand meines Oheims schildern, als er den Verlust der schönen Hedwig erfuhr.

Ein Held äußert Gram und Entsetzen auf andere Art als wir Frauen. Hedwigs Rettung und nicht müssige Klagen waren die Folgen meiner Erzählung. Die ermüdete Mannschaft mußte von neuem aufsitzen um die Gegenden rund umher, nach der Entführten zu durchziehen, ich stimmte nur gar zu willig in die Unternehmungen meines Onkels ein, aber Graf Walter, der mehr Besonnenheit hatte als wir andern, fragte, ob wir schon wüßten, welchen Weg wir zu Befreyung der Gräfinn zu nehmen hätten? Ohne Zweifel, sagte mein Oheim, zu der nächsten der Vesten unsers Feindes des heimtückischen Abts, dessen Hand bey diesem Bubenstück nicht zu verkennen ist. Ich brachte die Zweifel vor, die ich wider diese Muthmassung aus dem Munde des kranken Hausmeisters gehört hatte, und bat, ihn vor dem Abzuge näher hierüber zu befragen, weil er mehr von diesen Dingen zu wissen geschienen hätte; aber die Nachricht von seinem Tode kam uns entgegen, und der Graf Venosta, der in der Verzweiflung, in welcher er war, lieber aufs ungewisse handeln als müssig seyn wollte, drang auf den Anfang einer Untersuchung, die in verschiedenen Monaten erst geendigt, oder vielmehr aus Verzweiflung als fruchtlos aufgegeben wurde. In dieser unruhigen Zeit, da mein Oheim und Graf Walter fast nicht aus der Rüstung kamen, ward meine Vermählung gefeyert; eine traurige angstvolle Feyer, das Vorzeichen der Tage, welche folgen sollten.

Ich war die Gemahlinn meines Geliebten, und genoß das Glück, das unsere meisten Frauen an der Seite ihrer kriegerischen Gatten geniessen; eine rauhe wilde Liebe, deren Aeußerungen oft den Wirkungen des Hasses ähnlich sehen. Ich hatte mir die Seeligkeit der Ehe freylich anders geträumt, aber welches Mädchen träumt nicht so, und welche wird nicht getäuscht!

Die Gräfinn von Rappersweil war und blieb verloren. Der Abt von Sankt Gallen behauptete hartnäckig seine vermeynten Rechte, und der Graf Venosta bewies durch den dumpfen Trübsinn, der Besitz von seiner Seele nahm, daß er die theure Verlorne stärker geliebt hatte, als er sich vor dem, ihr und sich selbst zu gestehen wagte.

Kinder, sagte er, eines Tages zu mir und meinem Gemahl, Hedwig und die Freuden des Lebens sind für mich verloren. Es war Thorheit zu wähnen, noch am Rande des Grabes würde mir das Glück begegnen, zu hoffen, die Hand der Liebe würde dereinst meine Augen schliessen. Ich habe für diese Thorheit gebüßt. Ich fühle die Abnahme meiner Lebenskräfte, fühle den nahen Tod im Herzen. Laßt mich die letzten Abendstunden vor der Nacht des Grabes der Ruhe und Einsamkeit weihen. Alles was ich besitze, ist euer Eigenthum; ich behalte mir nur das angenehme Münsterthal15, und mein Schloß Oberhelbstein16 am Rhein gelegen, zum Eigenthum vor, jene entlegene Gegenden; sollen mich in meinen ernsten traurigen Stunden beherbergen, und dieses will ich besuchen, wenn heiterere Augenblicke mich eure nähere Gegenwart wünschen lassen.

Ich widersetzte mich der Entschliessung meines Oheims, aber mein Gemahl fand sie vortheilhaft für uns, und ich hatte seit einiger Zeit häufige Beweise, daß Walter gegen eignen Nutzen nicht unempfindlich war. Er fand nichts übermäßig, das der Graf Venosta für uns that, er eilte nun, seine Verfügungen zu unserm Besten rechtskräftig zu machen, und schien nebenbey zu bedauern, daß er uns nicht alles überlassen hatte. Die wehenden Schatten des Münsterthals und das stolze Schloß am Rhein dünkten ihm noch einmal so reizend, seit sich Zirio den Besitz davon ausschliessend vorbehielt, und zuweilen merken ließ, daß er dasselbe dereinst nicht uns zu hinterlassen, sondern für diejenige aufzuheben gedächte, deren Wiederfindung er noch immer zu hoffen schien.

Graf Venosta, der offne redliche Mann, welcher besonders im Umgange mit uns, seinen Kindern, keine Zurückhaltung kannte, liebkoßte einst die junge Elisabeth, die er besonders liebte, und Walter merkte an, daß sie schon die völlige Miene des Standes habe, den sie einst in der Welt führen würde. Welches Standes? fragte Zirio, und Elisabeth, welche täglich ihr künftiges Schicksal aus dem Munde meines Gemahls hörte, antwortete mit ihrer gewöhnlichen Naivetät: Was hat ein armes Fräulein ohne Eltern für andre Aussicht, als das Kloster? Du arm? schrie Zirio, indem er sie fester an seine Brust drückte, du ohne Eltern, so lange Venosta noch lebt? Nein, mein Kind, ich weiß, was ich dem Andenken deiner edeln Mutter schuldig bin: von mir sollst du nicht verlassen seyn, ob alle dich verliessen.

Graf Walter hatte das Fräulein von Rappersweil nie sonderlich geliebt, und von diesem Tage an begunnte er sie zu hassen.

Auch sie schien einen heimlichen Widerwillen gegen ihn zu hegen, dessen Aeußerungen nur durch eine unbegränzte Furcht vor ihm zurückgehalten wurde.

Ach Gräfinn, sagte sie eines Tages zu mir, als sie mich über neue Ausbrüche seiner schlechten Denkungsart, die sich täglich mehrten, weinen fand, ihr wißt es noch nicht ganz, was für ein böser, böser Mann er ist. Kaum wage ich es, euch eine Sache zu wiederholen, die ehemals so wenig von euch beachtet wurde; aber Graf Walter ist gewiß, ganz gewiß der Räuber meiner Mutter. Wie wär es möglich, daß meine Augen mich dergestalt hätten trügen sollen? aber ich schweige, denn ich denke noch immer an die harte Begegnung, die ich von ihm erfahren mußte, als ich in jener Nacht seinen Namen nannte.

Ich kannte denjenigen, des ich mir vordem als einen Engel träumte, jetzt besser, und Elisabeths Reden fanden in diesem Augenblicke würklich mehrern Eingang bey mir, als zur Zeit verblendeter Liebe; doch war das, was das junge Mädchen vorbrachte, fast zu schrecklich, um ganz geglaubt zu werden und ich hielt es also für gut, ihr wenigstens äußerlich zu widersprechen. Aber in wenig Tagen erhielt ich Beweise, daß mein Gemahl mancher Handlung fähig war, die ich sonst mit einem Eide auf mein Gewissen von ihm abgelehnt haben würde, und daß es also wenigstens nicht unmöglich sey, daß er an jener, deren ihm seine unschuldige Anklägerinn zeihete17, Antheil gehabt haben könne.

Die Männer, welche die erste Veranlassung zu einer Bekanntschaft mit dem Grafen von Vatz gaben, welche ich bereits als mein Unglück anzusehen begunnte, der Abt und der Prior des Klosters Kurwalde, hatten bisher, von meinem Oheim bey ihren Rechten geschützt, mit ihren Mönchen in gutem Frieden gelebt, aber als dieses Kloster durch die Milde des Grafen Venosta unter die Herrschaft Graf Walters kam, da begunnte sich Unruh und Meuterey unter den ausgelassenen Klosterherren, die der Zucht eines tugendhaften Obern nicht gehorchen wollten, wieder im Verborgenen zu regen, und Abt Konrad that mir oft im Beichtstuhl ein Gegenbekenntniß seiner geheimen Leiden und der traurigen Aussichten für die Zukunft, die mein ganzes Herz bewegte; aber ich war zu schwach zu helfen, mein Gemahl taub gegen meine Bitten, und Graf Venosta zu fern, um mich an ihn zu wenden.

Ich saß einst weit nach Mitternacht, die Rückkunft meines Gemahls von einem Zechgelag zu erwarten, und mich auf die in solchen Fällen gewöhnlichen Auftritte zu bereiten, als Mechthild mit ängstlicher Geberde eintrat, und mir meldete, wie sie im Garten einige dunkle Gestalten wahrgenommen habe, die durch den blendenden neugefallnen Schnee ein noch fürchterlicheres Ansehen gewönnen, und wie sie, um die Wahrheit zu erkunden, hinab geeilt sey, und diejenigen mit sich gebracht habe, die sie in vergebliches Schrecken gesetzt hätten. Arme hilfsbedürftige Geister! setzte sie hinzu, die euch um Rettung anflehen. Ich kannte die Art der muthigen Mechthild, unangenehmen Dingen durch den Ton ihrer Erzählung das Schreckliche zu benehmen und erwartete den Eintritt der Fremden nicht ohne Herzklopfen. Aber wie ward mir, als ich den redlichen Abt Konrad, den ehrwürdigen Lüttger und noch einige andere Mönche eintreten sah; deren entstelltes Ansehen noch mehr als ihre Worte meinen Beystand forderte. O gute Gräfinn! schrie Konrad, alles ist für uns verloren. Das gefürchtete Unglück ist endlich ausbrochen, und wir sind alle Opfer des Todes, wenn ihr uns nicht zu schützen vermöget. Heute vor dem Altar nahm man mich und diese Männer im Namen unsers Grundherrn, Graf Walters, gefangen. Ein scheußliches Loch ward unser Gefängniß. Unsere Appellation an den Bischof von Chur ward verlacht, und einige Worte unserer Kerkermeister gaben uns zu verstehen, daß unser Schicksal auf immer entschieden seyn würde, ehe unsere Appellation an eine höhere Macht gelangen könne. Uns ist bekannt, was in Klöstern möglich ist. Todesahndung umschwebte uns. Das Geräusch der Schwelgerey, welches diesen ganzen Tag hindurch über uns ertönte, vermehrte unsere Besorgnisse. Welche Unthaten sind bereits von trunkenen Mönchen verübt worden! Einer meiner heimlichen Freunde fand Mittel, sich zu uns in den Kerker zu stehlen, und uns die Wahrheit unserer Besorgnisse vor Augen zu legen. Die Feinde der Ordnung und Tugend werden von dem Grafen von Vatz geschützt; er selbst ist gegenwärtig im Kloster, und wir würden wahrscheinlich schon nicht mehr seyn, wenn uns unser Kundschafter nicht heimlich davon geholfen hätte und mit uns geflohen wär. Unser Leben steht nun in eurer Hand, rettet uns durch Vorbitte oder Verbergung, ihr seyd die einige Zuflucht, die uns nahe genug war, vor der Ankunft unserer Feinde erreicht zu werden.

Vorbitte? rief ich, indem ich eine Thür meines Kabinets aufschloß, welche zu meinen Bädern hinab führte, Vorbitte bey Graf Waltern? Augenblickliche Flucht ist das einige Rettungsmittel! Folgt mir ohne Verweilen! Ich ging voran, die Männer folgten mir nach, und wir gingen einen weiten unterirdischen Weg, der mir allein bekannt war, und der einen Ausgang ins Gebürg hatte, wo ich meine Geretteten verließ, überzeugt, daß sie durch Lüttgers Hülfe, welcher in diesen Gegenden, die er mit mir beym Kräutersuchen so oft durchstrichen hatte, wohl bekannt war, sich leicht würden zurecht finden können.

Die Hälfte der Nacht war über dieser Begleitung verflossen. Ich fand den wüthenden Walter in meinem Zimmer, und ein fürchterliches Ungewitter brach über mich los. Ueberzeugt, daß meine Freunde nun geborgen seyn müßten, leugnete ich ihm nichts, ich beantwortete seine Schmähungen mit Vorwürfen wegen des Worts, das er mir ehemals gab, den bedrängten Konrad immer bey seinen Rechten zu schützen, und das er nun so schändlich gebrochen hatte. Meine Worte hatten Wahrheit und Nachdruck für sich, aber ich war die schwächere. Niemand war, der mich hören und zwischen mir und Graf Waltern richten konnte, mir wiederfuhr die unwürdigste Begegnung, und mein Zimmer ward mein Gefängniß.

Das Volk, das mich liebte, schrie über Gewaltthat, als Mechtild Mittel fand, das was ich erlitt, auszubringen, aber der Graf von Vatz sprach lauter als sie. Ein schimpfliches Verständniß mit dem vertriebenen Abt des Klosters Kurwalde, das man mir schuld gab, beschönigte die Härte, mit welcher man mich behandelte, und man sah es ohne sonderliche Bewegung, als ich in wenig Tagen unter starker Bedeckung, niemand wußte wohin, abgeführt, und mir so gar der Trost geraubt wurde, meine Mechtild und das junge Fräulein von Rappersweil zu Begleiterinnen zu haben. Nur Heinrich von Melchthal, einer der vornehmsten Einwohner der Gegend, ein Mann, in welchem ganz der Geist helvetischen Muths und ächter Freyheitsliebe athmete, wagte es, laut wider meinen Tyrannen zu murren, und Gefühle des Unwillens unter seinen Gefärthen zu verbreiten, welche mich hätten retten können, wenn man nicht zu sehr geeilt hätte, mich dem Volke aus den Augen zu bringen.

Jenseit dem Hasliberge18, ob dem Thuner See, liegt ein altes Schloß, der Familie von Uspunnen gehörig, welche seit undenklichen Zeiten mit den Grafen von Vatz und Sargans im Bunde stand. Gegenwärtig lag es wüste, der Eigenthümer lebte im fernen Italien, und hatte seinem Freunde, Graf Waltern, den er in diesen Gegenden sehr gut gekannt hatte, den freyen Gebrauch eines Orts überlassen, welcher schwerlich zu etwas anders dienen konnte, als dazu, wozu er jetzt gebraucht ward, zur Einkerkerung unschuldiger Personen.

Der Weg nach dieser Gegend, den man mich führte, war lang und grauenvoll, aber der Ort meiner Bestimmung selbst übertraf alle Schrecknisse, die ich in den fürchterlichen Gebürgen gefunden hatte, bey weitem. Ein uraltes Felsennest, das zu Zeiten Karls des Großen gebaut war, und bey dem unaufhörlichen Reissen der Stürme und Wühlen der Ströme, längst dem Einsturz drohte, nahm mich auf. Ich sah es von weitem an einer steilen Felsenklippe hängen, und bebte, da man mir es als meine künftige Wohnung nannte. Ich Thörinn! Mit Entzücken floh ich einst in Walters Arme, wo ich den Himmel zu finden dachte, und ward getäuscht. Mit Todesahndung nahte ich mich den Ruinen des Schlosses Uspunnen19, und ward ebenfalls getäuscht. Wird denn der kurzsichtige Sterbliche nie begreifen lernen, daß das Wesen einer Sache und ihre Außenseite meistens verschieden sind? Doch ein oder zwey Erfahrungen dieser Art machen uns weise und ruhig, und lehren uns jenen Gleichmuth, welcher uns über das Lächeln und Drohen des Glücks erhebt, uns gleich stark gegen thörichte Wünsche und unnöthige Besorgnisse macht.

Ich war in der That in den ersten Wochen meines Gefängnisses höchst elend. Meine Lage ward durch Mangel an den nöthigsten Bedürfnissen und Bequemlichkeiten erschwert, und durch die graulichste Einsamkeit fast unerträglich gemacht. Ich sehnte mich nach Gesellschaft, sollte es auch eine solche seyn, welche mich dem äußerlichen Anschein nach weder Unterhaltung noch Trost hoffen lassen konnte. Ich sah oft aus meinem vergitterten Fenster in den verwilderten Garten, welchen zu besuchen mir nicht vergönnt war, einen drey- bis vierjährigen Knaben spielen, dessen unschuldige Fröhlichkeit einen Eindruck auf mich machte, welcher oft die Thränen aus meinen Augen trieb.

Holdes unschuldiges Geschöpf! sagte ich bey mir selbst, diese Gegend ist dir ein Paradies, weil du keine andre kennst! du bist arm, verlassen, vielleicht tausend Gefahren ausgesetzt, ohne es zu fühlen. Das Andenken an die Vergangenheit bekümmert dich so wenig, als die Sorge für die Zukunft, und schwerlich könnte dich ein König glücklicher machen, als du gegenwärtig bist. O daß ich dich in meine Arme schliessen, mich an deinen holden Lächeln weiden und von dir die Kunst im Kerker glücklich zu seyn lernen könnte.

Ich eröffnete meinen Wunsch meinen Aufsehern, und nach einigen Weigerungen ward es mir vergönnt, den kleinen Rudolf zuweilen auf meiner Kammer zu sehen.

Rudolf? sagte ich, als er mir zuerst seinen Namen nannte, Rudolf? wiederholte ich, als ich seine Gesichtszüge untersuchte und Aehnlichkeiten in denselben entdeckte, welche mich in Erstaunen setzten. Und wie ward mir erst, als der liebenswürdige Kleine, ach ein alter Bekannter von mir! seine Mutter mit dem Namen, Hedwig von Rappersweil, nannte.

Ja, diese theure, längst aufgegebene Freundinn theilte diesen Ort des Schreckens mit mir, ich athmete mit ihr einerley Luft, konnte hoffen, sie jeden Tag zu sehen, und die Freude hierüber ließ mich nicht zur Ueberlegung kommen, daß der Entschluß Graf Walters, mich an einerley Ort mit dieser hinterlistig Geraubten zu bringen, mir das Unterpfand ewiger Gefängniß sey. – Seine Ursach, ihr und mir mit solcher Härte zu begegnen, mochte nun seyn welche sie wollte, so blieb so viel gewiß, daß keine von uns die Freyheit wieder geniessen durfte, um seine Grausamkeiten nachzusagen, oder ihrer Unglücksgefärthinn ebenfalls aus dem Kerker zu helfen.

Erwegungen von dieser Art waren in diesen Augenblicken fern von mir, ich fühlte nichts als die Seligkeit des Wiedersehens, die ich hoffte. Ach Gott, es würde mir Trost gewesen seyn hier die gemeinste menschliche Seele zu finden, wenn ich sie nur zur Theilnehmerinn, zur Vertrauten meiner Leiden hätte machen können, aber auf Hedwigs Umarmungen hoffen zu können, wer kann mir sagen, wie vielfache Freuden für, mich in diesem einzigen Gedanken lagen!

Leider war die Ausführung meines Wunsches nicht so leicht als ich wähnte. Die Gräfinn von Rappersweil ward so eingeschränkt gehalten als ich, und unser Aufseher blieb hartnäckig bey dem Entschlusse von der Instrucktion seines grausamen Herrn keinen Schritt abzuweichen. Mich dünkt, dieser Mann war nicht böse, es kränkte ihn vielleicht, uns hart behandeln zu müssen, aber es war ihm Gewissenssache nicht in dem kleinsten Punkte von dem abzugehen was er, wie er uns oft auf unsere Klagen antwortete, dem Grafen von Vatz hatte zuschwören müssen. Ihr seht, sagte er, ich bin in allen Stücken billig, wo ich es seyn kann, ich habe keinen besondern Befehl zu Einkerkerung des Kindes, das mir zugleich mit seiner Mutter übergeben ward, und ich laß es also all derer Vortheile geniessen, die ich ihr nicht gewähren darf. Auch ward mir nie verboten, der Gräfinn von Rappersweil alle Beschäftigung für ihren Geist und für ihre nimmer müssigen Hände zu geben, die sie wünschte, sie hat daher Bücher, sie hat ihre Spindel und die Weberspuhle, jetzt mag sie diese hinlegen und sich mit der Feder beschäftigen; eben dieser Vortheil soll euch zugestanden werden, und mich dünkt, es kann am Ende einerley seyn, ob ihr einander das, was ihr euch zu sagen habt, schriftlich oder mündlich mittheilt.

Unser Aufseher eröffnete uns hier einen Weg zur angenehmsten Unterhaltung, der uns nicht eingefallen war, wir dankten ihm und vergassen nicht, uns desselben zu bedienen. Jeden Tag schrieben wir einander, und weil der treue Diener des Grafen von Vatz zu gewissenhaft war, unsere Briefe selbst zu bestellen, so ging alles durch die Hand des kleinen Rudolfs, der mich schnell liebgewann, gern meine enge Kammer besuchte, und außer den schriftlichen, allemal noch tausend mündliche Aufträge erhielt, die in seinem kindischen Munde oft so eine seltsame Gestalt gewannen, daß sie seiner Mutter und mir das herzlichste Lachen abnöthigten. Himmel wir lachten! Hätte unser Tyrann wohl denken können, daß seine Gefangenen Muse zum Lachen hätten?

Hedwigs Briefe enthielten manche Aufklärung über mir bisher unbegreifliche Dinge, noch sind sie alle in meiner Gewalt, diese theuren Denkmale heiliger Freundschaft. Ihr, meine Töchter, für die ich schreibe, werdet sie nach meinem Tode als Beylage bey dieser Schrift finden. O was werdet ihr denken, wenn ihr aus denselben sehet, wie Walter nie derjenige war, für den wir Verblendete ihn hielten! wie er uns vom Anfang täuschte!

Ja, er liebte mich einst, oder vielmehr die Güter, die ich zu hoffen hatte, er suchte, er hoffte und wünschte meine Verbindung, aber Betrachtungen, über die selbst Hedwig mir kein Licht zu geben vermochte, nöthigten ihn, sich nie wörtlich darüber zu erklären, und sich am Ende meine Hand von meinem Oheim fast aufdringen zu lassen. Seine Furcht, meine Aussichten auf Glück und Größe, und also auch die Seinigen möchten durch eine zweyte Vermählung meines Oheims verdunkelt werden, waren Ursach an Hedwigs Entführung. Er hatte die Zeit zu derselben künstlich gewählt. Ein geheimes Verständniß mit dem Abt von Sankt Gallen, dessen Feind er sich äußerlich nannte, brachte jenes mal den Grafen Venosta in seine Hände, lockte mich aus der Burg, überließ die Gräfinn von Rappersweil seiner Gewalt, gab ihm zugleich Gelegenheit, sich durch die Befreyung meines Oheims fest in seine Gunst zu setzen, und ihm das Geschenk, das er ihm mit meiner Hand machte, ungebeten abzunöthigen. Wer kann das ganze Gewebe unergründlicher Bosheit durchspähen, das unser Verfolger hier mit so viel List als Glück angelegt hatte? Er betrog den Abt von Sankt Gallen um seinen Gefangenen, den er ihm erst selbst in die Hände gespielt hatte; den Grafen Venosta um seine Güter, um seine Geliebte, und um mich; die Gräfinn von Rappersweil um ihre Freyheit, und mich um das ganze Glück meines Lebens.

Graf Walter fühlte nie redliche Liebe gegen mich, der Hauptgegenstand seiner Wünsche waren meine Güter; nachdem er sich in den Besitz derselben festgesetzt hatte, nachdem ihm der Anblick meiner Schönheit gewöhnlich, der Umgang einer tugendhaften Gattinn lästig ward, so ergriff er die erste Gelegenheit sich von mir zu trennen, und vergaß nicht, meinem guten Namen einen Schandflecken anzuhängen, der mich jeder Hülfe, selbst der Hülfe meines gütigen Oheims, unwürdig darstellen mußte.

Die Gräfinn von Rappersweil hatte den größten Theil der vorgemeldeten Dinge, die sie mir in ihren Briefen mittheilte, aus dem Munde der kürzlich verstorbenen Kastellaninn dieses Schlosses, einer gutherzigen Frau, welche durch ihren Sohn, der in Graf Walters Diensten stand, genaue Nachrichten von jedem seiner Schritte hatte. Ihr Umgang erleichterte der Gräfinn ihre lange Gefangenschaft, auch fehlte es dieser Frau nicht an Mitteln die Gewissenhaftigkeit ihres Mannes zu hintergehen, und der edeln Gefangnen manche kleine Erleichterung ihrer Leiden zu gewähren, welche jetzt nach ihrem Tode wegfiel. O hätte sie bey meiner Ankunft zu Uspunnen noch gelebt, was hätte sich von ihrer Hülfe hoffen lassen! was wäre drey einverstandenen Frauen, von denen die eine einige Macht, die andere Verstand und die dritte einen guten Theil von Muth besaß, was wär ihnen unmöglich gewesen! Selbst unsere Freyheit zu bewürken, würde uns leicht geworden seyn, wenigstens würde man mir das Glück, meine Hedwig zu umarmen, nicht so lang versagt haben.

Wir trauerten oft in unsern schriftlichen Unterhaltungen über das, was wir an ihr verloren hatten; die Gräfinn tröstete sich denn mit dem Vergnügen, mich in ihrer Nähe, mich an einem Orte zu wissen, wo sie mich sicherer und glücklicher hielt, als in den Armen meines bösen Gemahls, und ich – hoffte auf bessere Zeiten.

Und bessere Zeiten erschienen. Längst hatten wir Muthmassungen gehabt, daß wir nicht die einigen Gefangenen zu Uspunnen wären, und jetzt erhielten wir hievon Gewißheit, ohne jedoch unsere Neugier ganz befriediget zu sehen.

In einer stürmischen Nacht, deren es hier, auf einer der höchsten Felsenklippen, welche allen Winden des Himmels zum Ziel diente, nicht wenig gab, kam in einem entfernten Flügel des Schlosses Feuer aus, der Wind trieb die Flammen bis nach unserer Wohnung, ihre Spitzen leckten an unsere eisernen Gitter, die Gefahr nahm überhand, und doch schienen wir ganz vergessen zu seyn. Niemand dachte darauf unsere Kerker zu öffnen, niemand die kleinste Anstalt zu unserer Rettung zu machen, alle Hülfe zog sich nach der östlichen Seite der Burg, welche in vollen Flammen stand. Unsere Angst war unbeschreiblich! doch wahrscheinlich verglich sich die meinige nicht mit Hedwigs Empfindungen, welche nicht nur für ihr eignes Leben, nein für etwas zu sorgen hatte, welches ihr unendlich theurer war, für das Leben ihres Sohnes.

Sie wagte das Aeußerste; sie sah, daß sein Untergang unvermeidlich mit dem ihrigen verbunden war, und dachte nur ihn zu retten. Durch eine Oeffnung der Hintermauer, die nur eben weit genug war, seiner kleinen Gestalt den Ausweg zu verstatten, ließ sie ihn, an ihre Betttücher gebunden, hinab, und gebot ihm, sobald er den Boden erreicht haben würde, sich loszumachen und zu fliehen oder sich zu verstecken, bis die Gefahr vorüber sey. Welch ein Entschluß, den nur die äußerste Verzweiflung rechtfertigen konnte!

Hedwigs Besorgnisse für das zarte Leben ihres Sohnes waren nicht vergeblich gewesen. Die zunehmende Hitze, (denn jetzt fingen endlich die Balken am benachbarten Gebäude Feuer), und der eindringende Rauch stürzten sie bald, nachdem sie ihren liebsten Schatz geborgen hatte, ohnmächtig zu Boden. Mir ging es in meiner Zelle nicht anders, und waren wir beide bey dem Hinsterben aller Kräfte noch eines Gedankens fähig, so war es sicher kein anderer, als der, an ein frohes Erwachen in einer bessern Welt; ein Gedanke, dessen Erfüllung wir zu glauben geneigt waren, als wir uns, da wir jetzt die Augen wieder aufschlugen, an einem hellen geräumigen Ort in freyer Luft, und die Freundinn, die wir liebten, nach der wir uns so lang vergeblich gesehnt hatten, an unserer Seite erblickten. O Hedwig! o Noria! riefen wir beyde aus einem Munde, indem wir einander in die Arme sanken! Was ist aus uns geworden? sind wir ins irrdische Leben gerettet, oder von den Banden des Körpers befreyet? wo sehen wir uns? auf der Erde, unsern Kerker, oder genseit20 des Grabes?

Unsere Zweifel wurden bald gehoben. Wir fühlten nur gar zu schnell, daß wir gerettet, aber nicht frey waren. Die rauchenden Aschenhaufen, in der Ferne sagten uns, daß wir uns noch im Bezirk unsers Kerkers befänden, und die genaue Aufmerksamkeit, mit welcher man uns bewachte, ließ uns wahrnehmen, daß der einige Vortheil, den wir von unserm veränderten Zustande hatten, das Vergnügen war, uns zu sehen und zu umarmen. Aber wie sehr ward uns dieses Vergnügen verbittert! Hedwig weinte um ihren Sohn, und warf sich vor, ihn in der Verzweiflung von sich gelassen zu haben, da er doch so wohl als sie hätte gerettet werden können, und ich fühlte den Verlust dieses geliebten Kindes fast so stark als sie.

Man hörte wenig auf unsere Klagen, unsere Wächter beschäftigten sich mit nichts, als mit den Vorgängen vergangner Nacht, und wir erfuhren aus ihren Gesprächen so viel, daß das Feuer von der gefangenen Dame in der östlichen Seite des Schlosses angelegt worden sey, daß sie wahrscheinlich ihre Rettung dadurch habe bewürken wollen, aber von einem gefährlichen Sprunge aus dem Fenster und dem nachstürzenden Gesims so viel gelitten habe, daß sie schwerlich den Abend erleben werde. Auch der Aufseher des Gefängnisses, der sich bey der Rettung jener Gefangenen, auf welche hier mehr anzukommen schien, als auf uns, zu kühn gewagt hatte, lag in den letzten Zügen, wir verlangten zu ihm gebracht zu werden, er bat uns mit stammelnder Zunge um Verzeihung wegen des Unrechts, das er uns gezwungen habe zufügen müssen, blieb aber auch sterbend dabey, daß er, durch fürchterliche Eyde gebunden, nicht anders habe handeln können; auch dachte er nicht daran, unsern nunmehrigen Hütern Milde und Schonung anzubefehlen, die, vermuthlich beeydigt wie er, es für Pflicht hielten, uns so streng zu halten, als zuvor. Nichts konnten wir von ihnen zu Milderung unsers Kummers erhalten, als das Glück, nicht von einander getrennt zu werden, und die Erlaubniß, jene Dame zu sehen, von welcher wir heute zum erstenmale deutlich sprechen hörten, die sich zu ihrer Befreyung eines so schrecklichen Mittels bedient hatte, und nun, wie man uns sagte, im Begriff war, unter den Folgen ihrer verzweifelten That den Geist aufzugeben.

Neugier, Hoffnung oder Furcht eine Bekannte zu finden, Wunsch, einer sterbenden Leidensgefärthinn Trost oder Linderung bringen zu können, Gott weis, welches von allem es war, das uns zu diesem traurigen Besuch antrieb. Man versicherte uns, er würde uns wenig Milderung unsers Kummers bringen, und wie man gesagt hatte, so geschah es.

Man führte uns zu einer Person, die wir nicht kannten, und, deren Anblick jedes Gefühl des Mitleids, jenes peinlichen21 Mitleids, das keine Hülfe weis, in uns rege machte. Sie wandte ihre halb erstorbenen Augen nach uns, und bot uns mit einem schmerzhaften Lächeln die Hand. Wir beschäftigten uns um sie, ihr mit den armseligen Mitteln, die in unserer Gewalt waren, einige Linderung zu verschaffen, und unsere Thränen zeugten von den Gefühlen unsers Herzen. Verzeihet, sagte sie, als sie sich nach einigen Stunden ein wenig erholte, ich wollte mich retten, und hätte euch bald in ähnliches Unglück, wie mich, gestürzt, aber langes Leiden ist die Mutter der Verzweiflung! – Bald darauf rechnete sie in halber Phantasie die Jahre her, in welchen sie nun hier in diesem abscheulichen Kerker von ihren Tyrannen gefangen gehalten würde, und sprach viel von ihrem Sohne, auf dessen rettende Hand sie so lang vergeblich gewartet hätte.

Gegen die Nacht rühmte sie, wie sie jetzt von allen Schmerzen frey sey, und wandte sich mit einem Anschein von Heiterkeit zu uns, nach unsern Namen zu fragen. Die Gräfinn nannte sich, und erhielt einen liebreichen mitleidenden Blick zum Lohn. Hedwig von Rappersweil? sagte die Kranke. O ich kenne euch aus dem Gerücht, auch ihr habt gelitten, zwar nicht so viel als ich, doch wißt ihr wohl was Verfolgung ist. – Und ihr, fuhr sie fort, indem sie sich zu mir wandte. Noria von Vatz! erwiederte ich.

Noria von Vatz? wiederholte sie, indem sie mit fürchterlicher Geberde die Hände zusammenschlug. Noria? Walters zweyte Gemahlinn? O Schicksal! das fehlte noch mich ganz elend zu machen! Hinweg von mir Verworfene! Urheberinn meines Elends! Hinweg! laß mich allein sterben! Aber Rache sey dir geschworen! Rache nach meinem Tode! du sollst nicht ungestraft über mich triumphiren!

Ich stand fast meiner Sinnen beraubt an dem Bette der Leidenden, und nur die Vorstellung, sie spreche in der Hitze der Phantasie, konnte mich aufrecht erhalten. Besinnet euch, edle Frau! rief ich, indem ich mich bemühte, eine ihrer Hände zu fassen. Ich kannte, ich beleidigte euch ja nie, ich bin die unglückliche Noria Venosta, die von einem grausamen Gemahl verstossen, unschuldig mit Schande gebrandmarkt, hier zu ewigen Fesseln verdammt ward, welche die Flammen voriger Nacht vergebens zu brechen suchten.

So? sprach sie mit milderer Stimme, bist du Walters verstoßnes Weib? Nun so komm in meine Arme! wir sind Schwestern!

Schon beugte ich mich zu ihrer Umarmung herab, aber Hedwig riß mich zurück, denn das Gesicht der Unglücklichen verwandelte sich von neuem, und ließ meine Freundinn Gefahr für mich in ihren Liebkosungen besorgen. Auch war der Verstand der beklagenswürdigen Unbekannten, von diesem Augenblick an, ganz hin. Ihre Augen voll Wuth waren beständig auf mich gerichtet, sie schäumte und drohte, und ich war genöthigt mich zu entfernen, um ihr Ruhe zu schaffen.

Mir waren diese Dinge ein schreckliches Räthsel, ich beklagte die Unglückliche, indem zugleich ein heimliches Entsetzen vor ihr Besitz von meiner Seele nahm. Ich weinte und ängstigte mich, ich wußte nicht warum, ich machte mir selbst Vorwürfe und konnte mich nicht besinnen, was ich verbrochen hatte. In diesem traurigen Zustande brachte ich den Morgen heran, da die Gräfinn von Rappersweil kam, mir die Nachricht von dem Tode der Unbekannten zu bringen. Sie war ganz erschöpft von den schrecklichen Auftritten dieser Nacht, ich fragte sie, ob sie keine Entdeckungen gemacht habe, die unsere Zweifel über diese seltsamen Dinge auflösen könnten, aber sie konnte oder wollte mir keine Auskunft geben. Wir wohnten in trauriger Stille der Beerdigung unserer elenden Mitgefangenen bey, sie ward in einen von den Höfen unsers Gefängnisses eingescharrt, und man führte uns von ihrem Grabe nach einer engen Wohnung in den vom Feuer verschonten Theil des Schlosses, welche derjenigen, aus welcher uns die Flammen getrieben hatten, fast ähnlich war; die wenige Freyheit, welche wir des vorigen Tages genossen hatten, war schon zu viel für die Härte unserer Hüter gewesen.

Wir sanken einander in die Arme und weinten, trösteten uns, einander wieder zu haben, und weinten wieder, suchten uns von der traurigen Gegenwart durch Andenken an die Vergangenheit oder Hoffnungen für die Zukunft loszureissen, und fanden auch da wenig Beruhigung. Unser schrecklichster Gedanke war das Schicksal unsers kleinen Lieblings. Gott, was mochte aus ihm geworden seyn, wenn er auch dem Feuer entgangen war, das bald nach seiner Trennung von seiner Mutter hier so unaufhaltsam zu wüthen begunnte! Wir hatten des vorigen Tages die Stelle besehen, wo Hedwig ihn hinab ließ; die kleine Oeffnung war nicht hoch von der Erde, aber dicht von dem Platze, auf welchen er hernieder kam, senkte sich eine fürchterlich steile Klippe in die Tiefe hinab, und uns schauerte die Haut, wenn wir weiter dachten!

Ich kann die Zeit nicht benennen, die wir in dem kläglichsten Zustande, durch nichts als gegenseitige Freundschaft getröstet, hier zubrachten, aber wie ich schon zuvor gesagt habe, Linderung und Hülfe war uns nahe.

Unsere Hüter brachten uns eines Tages die Nachricht, der Graf von Vatz habe einen neuen Aufseher über dieses halb in Asche verwandelte Schloß herüber geschickt, und wir möchten nun zusehen, ob wir unter seinem Regiment nicht unser bisheriges Schicksal, den Gegenstand unserer unabläßigen Klagen zurückwünschen würden. Wir zitterten bey dieser prophetischen Warnung. Verdruß und Unwille über den neuen Diener von Graf Walters Rache lag sichtbar in den Zügen unserer bisherigen Kerkermeister, und doch getraueten sie sich kaum laut wider ihn zu murren; was für Aussichten für uns! Was mußte das für ein Mann seyn, welcher selbst jenen Unmenschen Furcht und Schrecken einjagen konnte!

Er erschien wenig Stunden nach dieser Ankündigung, von unsern alten Hütern begleitet, in unserm Kerker, und wir wußten nicht, was wir aus ihm machen sollten. Walter Fürst, so hieß der künftige Gebieter über unser Schicksal, hatte ein Gesicht, welches Ehrfurcht und Zutrauen einzuflösen vermögend war, aber ein finsterer Zug entstellte es. Er würdigte uns kaum eines Anblicks, sondern sagte uns mit harter Stimme; wir sollten uns gefaßt machen gegen künftige Nacht diesen Ort zu verlassen, welcher für Gefangene unserer Art nicht mehr fest und sicher genug wär. Wir wollten einige Bitten um künftige gute Begegnung einschieben, aber er kehrte uns den Rücken, und ließ, wie uns dünkte, unsere Thür siebenmal fester als zuvor verriegeln.

Doch gelang es dem Haupt unserer bisherigen Wächter, der sich, wie es schien, sein trauriges Amt ungern rauben ließ, zu uns zurück zu kehren, und unsere ohnedem genug beängstigte Herzen mit schrecklichen Erwartungen anzufüllen. Ich rathe euch, sagte er, euch diesem eingedrungenen Aufseher auf das möglichste zu widersetzen. Nichts als Verschlimmerung eures Schicksals kann eurer warten, wir wollen alle auf eure Seite treten, und euch hier zu behalten suchen. Was für Macht hat Fürst über uns oder über euch? Weigert er sich nicht so gar uns den Befehl des Grafen von Vatz zu dem, was er sich unterfängt, vorzuzeigen? – Und wer sind seine Begleiter? eine Handvoll schlecht bewaffnete Leute, die wir wenigstens durch unsere Menge überwiegen können!

Der Mann, welcher uns vordem nur selten gewürdiget hatte, Worte mit uns zu wechseln, sprach noch lang in diesem Ton, und wir wußten nicht, was wir denken, oder welche Entschliessung wir fassen sollten, doch behielt endlich, als wir allein darüber zu rathe gingen, die Vorstellung die Oberhand, daß in einer Lage, wie die unsrige, jede Veränderung Verbesserung sey. Neue Gegenstände, andre Aussichten, vielleicht Gelegenheit zur Flucht, was ließ sich nicht alles von diesen Dingen erwarten! Wir waren einig unserm Schicksal nicht zu widerstehen, und Walter Fürst fand uns, als er um Mitternacht in unser Gefängniß trat uns abzuholen, bereit ihm zu folgen.

Unser Widerstand hatte vielleicht das Signal für die Feinde des neuen Aufsehers seyn sollen, gegen ihn loszubrechen; wir fanden unser Vorgemach von ihnen erfüllt, alle waren bewaffnet, und ihre drohenden Blicke zeigten, was sie vorhatten, aber als sie uns gutwillig folgen sahen, so schien ihr Muth zu sinken, einige zuckten zwar die Schwerder, sich zu widersetzen, aber Fürsts Leute hatten auch gelernt, die Waffen zu gebrauchen, und unser Zug ward bald ungehindert fortgesetzt.

Zittert, schrie unser Führer beym Abzug, zittert ihr Rebellen vor meiner Wiederkunft; ich werde den Willen meines Herrn bey euch geltend zu machen, euch zu zeigen wissen, daß ich das Amt, das Graf Walter mir anvertraute, behaupten kann.

Man brachte uns, sobald der steile Bergweg zurück gelegt war, auf einen bequemen Wagen, und ich entdeckte meiner Freundinn, daß ich nicht wisse, was von dem ganzen Abendtheuer zu halten sey, weil mich gar eigen22 dünke, unter Fürsts Begleitern Henrichen von Melchthal erkannt zu haben. Hedwig kannte diesen Mann, den ich schon im Vorhergehenden genannt habe, gar wohl. Er war einer der redlichsten und muthigsten Männer im ganzen Zehngerichtenkreiß23, einer der treusten Unterthanen des Grafen Venosta, dem er noch jetzt, da diese Gegend in den Händen des Grafen von Vatz war, sowohl als mir mit vollem Herzen anhing. Henrich von Melchthal? rief die Gräfinn, o ist dieser in unserer Nähe, so sind wir mehr als halb gerettet; nur Gelegenheit, uns ihm kenntlich zu machen, die uns nicht fehlen kann, und er wird nicht ermangeln, unsere Fesseln zu brechen! Ich wollte ihr eben zu Stärkung ihrer süssen Hoffnungen sagen, wie dieser Mann der einige gewesen sey, der bey meiner Abführung nach Uspunnen es gewagt habe, laut zu murren, und wie ich festiglich glaube, er befinde sich nicht von ohngefehr unter unsern Begleitern, als Walter Fürst, mit einem ganz andern Wesen, als er zu Uspunnen annahm, an den Wagen kam, und uns mit ehrerbietigem Ton anredete. Edle Frauen, sagte er, ihr seyd gerettet, und hier ist derjenige, dem ihr eure Rettung zu verdanken habt. Es war dunkel, wir fühlten mehr als wir sahen, daß uns bey diesen Worten, nach welchen sich der Sprechende sogleich, ohne Antwort zu erwarten, entfernte, noch eine dritte Person auf unsern Wagen geliefert ward, aber wie konnten wir zweifelhaft seyn, wer es sey, als Hedwig ihren Nacken von ein paar zarten Armen umschlungen fühlte, und den Namen Mutter in ihre Ohren schallen hörte.

Der Name des verlornen Kindes, das nun so unvermuthet wieder in unsern Armen lag, tönte zugleich aus unserm Munde. Die Gräfinn verlor vor Entzücken auf einige Augenblicke Sprache und Besonnenheit, und ich dachte bey der Freude, das verlorne Kind gerettet wieder zu sehen, und so nachdrückliche Winke von unsrer eigenen Rettung zu haben, kaum daran, meiner Freundinn zu Hülfe zu kommen. Als wir uns beyde erholten, ließen wir die Namen Walter Fürsts und Henrichs von Melchthal laut erschallen, weil uns eine nähere Erklärung dieser räthselhaften Dinge sehr am Herzen lag, aber man hörte uns nicht, Erklärungen und müssige Danksagungen waren hier unzeitig, unsere Flucht ging schnell wie ein Sturmwind durch das weite Thal. Jenseit jenes Gebürgs, oder auf der Fahrt über den Thunersee24, konnten wir erst völlige Erläuterung hoffen, und mußten uns vor der Hand nur an der einfältigen unzusammenhängenden Erzählung des kleinen Rudolfs genügen lassen, den Walter Fürst nicht ohne Grund unsern Retter nannte.

Ach ja, die Vorsicht25 hatte Hedwigs verzweifelten Entschluß ihren Liebling aus ihren Armen zu lassen, zu unsern Besten gebraucht. Welche unbedeutende Kleinigkeit kann nicht in der Hand des weisen Regierers aller Dinge das Mittel unseres Glücks werden? Selbst unsere Unvorsichtigkeiten, selbst unsere Fehler sind in dem großen Gewebe der Zufälle nicht unbrauchbar, und haben oft, von höherer Hand gelenkt, ganz andre Folgen als sie wahrscheinlich haben konnten und sollten.

Rudolfs guter Engel hatte ihn in jener Nacht einen gefährlichen Weg zwischen Klippen und Abgründen hinabgeleitet. Ein Landmann aus dem Frutigerthale26 fand ihn weinend und von dem sauren Wege bis auf den Tod ermattet am Fuße des Bergs, und führte ihm, auf seine Erzählung, daß er dort aus jenem brennenden Schlosse entflohen sey, und nicht wieder dahin verlange, zu Walter Fürsten, einem der vornehmsten Einwohner dieser Gegend, bey welchem er jene Aufnahme fand, welche dieser edle Helvetier jedem Verlassenen wiederfahren ließ, und die er einem Kinde wie Rudolf, welches mit der Anmuth eines Engels noch die äußerste Hülflosigkeit, diese mächtige Herzensfeßlerinn, verband, mit doppelter Freude gewährte.

Es dauerte lange, ehe Walter Fürst Rudolfs unordentliche Erzählungen ganz begreifen konnte, aber als er den Namen seiner Mutter und seiner Pathe erwehnte, welche, wie er meynte, in jenen Flammen umgekommen waren, als er sich selbst einen Grafen von Rappersweil nannte, da ward der edle Mann aufmerksam, und genauere Nachforschungen brachten ihn bald hinter die Wahrheit.

Die friedlichen Einwohner des stillen Thals kümmerten sich wenig um das, was in den Felsenschlössern vorging. Diese Residenzen des Adels wurden von ihnen als Behausungen des Unrechts und des Frevels angesehen und gefürchtet. Sie waren zu schwach, sich all dem Bösen, was hier verübt wurde, und das zuweilen durch die Sage zu ihnen kam, zu widersetzen, und mußten froh seyn, wenn die Ungerechtigkeiten der Besitzer jener Raubnester sich nicht den Weg bis zu ihnen eröffneten.

Aber Walter Fürst, ein Mann, der in jeder Betrachtung über seine Zeitverwandten weit hervorragte, durfte nun genauere Kenntniß von dem Zustand zweyer Nothleidenden haben, deren Rettung aus den Flammen er zuversichtlich hoffte, er durfte nur bey näherer Erkundigung in den Gebieten des Grafen von Vatz die Bestättigung dessen finden, was das Kind, das er in Schutz genommen hatte, aussagte, so war sein Entschluß gefaßt; und schnelle und vorsichtige Ausführung folgte hintennach.

Henrich von Melchthal, ein alter Bekannter Walters Fürst, war derjenige, an welchen sich der letzte um genauere Nachricht von Hedwigs und meiner Geschichte wandte, und dieser treue Unterthan des Grafen Venosta, er, der so lang im Stillen über das unbekannte Schicksal seiner ehemalichen Gebieterinn getrauert hatte, machte sich selbst auf, mit seinem Freunde, über unsere Rettung zu rathschlagen, indessen er, um nichts zu versäumen, seinen Sohn eilig nach meinem Oheim abfertigte um ihm von allem Nachricht zu geben.

Der Entschluß, den die beyden biedern Helvetier, Walter und Heinrich zu unserm Besten faßten, ist leicht aus vorgemeldetem zu errathen; der letzte hatte eine kleine Anzahl treuer Leute aus unsere Gegenden mit sich gebracht, welche Fürst mit den tapfersten aus dem Frutigerthal, verstärkte. Sie waren kühn genug, sich als Abgeschickte des Grafen von Vatz zu Uspunnen einzudrängen, und der dasigen zahlreichen Dienerschaft, durch den entschlossenen Ton, in welchem sie sprachen, Schrecken einzujagen. Ueberzeugt, daß die wohlausgesonnene List nicht lange Stand halten könne, gingen sie schnell zu Werke, und es liegt am Tage, wie wohl es ihnen geglückt war.

O Hedwig! O Rudolf! wir waren frey! O Heinrich und Walter, unsere Retter! welcher Dank war hinlänglich, eurer Treue zu lohnen! – Aber die Edeln forderten weder Dank noch Lohn, ihnen kam das, was sie gethan hatten, so alltäglich vor, daß sie zweifelten, ob wir nicht zürnen würden, daß unsere Erlösung so spät zu Stande gekommen war, und sie nahmen von ihrer Unwissenheit und Unvermögen tausend Entschuldigungen her, die wir, welche von nichts als Freude und Dank wußten, ihnen wahrhaftig nicht abfoderten. Und diese Männer, die ihr Leben bey einer der kühnsten uneigennützigsten Thaten gewagt hatten, bey einer That, die einem Fürsten Ehre gemacht haben würde, gehörten zu den Geringern im Volk, zu den arbeitsamen Söhnen der Erde, die nichts von Reichthum und Hoheit wissen! Doch giebt es wohl einen Geringen in einem Lande, wo alles Großmuth und Freyeitsliebe athmet? O Helvetiens Gebürge! nur ihr bringt jene Mischung von Größe der Seele und kunstloser Einfalt hervor, die wir an euren Bewohnern bewundern!

Wir lagen in den Armen des Grafen Venosta, ehe er in seiner Entfernung und bey der zunehmenden Schwäche des Alters mit den Anstalten zu unserer Rettung hatte zu Stande kommen können. Arnold, Henrichs von Melchthals Sohn, welcher der Ueberbringer der Botschaft von unserm Zustande war, hatte ihm gesagt, daß alle seine Zurüstungen unnöthig wären, daß wir ohne dieselben gerettet werden würden, aber wo findet besorgte Freundschaft hinlängliche Sicherheit für ihre Lieben! Die Zeitung27 von Hedwigs Leben, und meiner Unschuld hatte das Gemüth des guten Greises in eine Bewegung gesetzt, welche ihn geneigt gemacht haben würde, die halbe Welt zu unserer Hülfe aufzubieten, wenn er Herr derselben gewesen wäre.

Wir fanden das kleine Land, das sich Graf Zirio, nachdem seine Freygebigkeit meinem undankbaren Gemahl alles überließ, vorbehalten hatte, in Waffen. Was zu unserer Rettung nunmehr unnöthig war, sollte zu unserer Rache angewendet werden. Wir flehten um Frieden, wir stellten ihm die Uebermacht unsers Feindes vor, aber wer vermag einem alten Krieger die sieggewohnten Waffen aus den Händen zu winden! O Hedwig, rief er, laß ab von mir! die Unthat deines Tyrannen ist zu groß, um ungerochen28 zu bleiben! Bedenke, dir und mir raubte der Unmensch so viel glückliche Jahre, die wir vereint hätten zubringen können, und dich, unschuldige Noria, betrog er um deinen guten Ruf, um die Liebe und den Beystand deines Freundes. O daß ich verblendet genug war, ihm zu glauben! Wie künstlich wußte er mir lange Zeit seine Trennung von dir zu verbergen, und als die Stimme des Rache schreyenden Volks, als Henrichs von Melchthal und Mechtildens Stimme endlich durchdrang, wie schläferte er meine Liebe und meine Besorgnisse für dich durch Verleumdungen ein, deren Ungrund ich, unter dessen Augen du so lang das unschuldigste Leben geführt hattest, ja wohl hätte einsehen können!

Bey Empfindungen von dieser Art war es unmöglich, etwas über dem Grafen Venosta zu erhalten. Er zog hin, die Verbrechen des Grafen von Vatz, und zugleich seine eigenen Fehler, zu denen er sich durch ihn verleiten ließ, zu rächen, und wir folgten ihm, um auf dem vesten29 Schloß Oberhalbstein am Rhein dem Schauplatz seiner Waffen näher zu seyn, als im dem abgelegenen Münsterthale.

Eine unvermuthete aber längst ängstlich herbey gewünschte Freude wartete unserer in diesen Gegenden. Vergebens hatten wir seit unserer Befreyung nach dem Schicksal der jungen Elisabeth, die ich in Graf Walters Händen zurück lassen mußte, geforscht. Graf Zirio versicherte uns, daß er in der Zeit unserer Gefangenschaft nach nichts eifriger gestrebt habe, als dieses verlassene Kind in seine Hände zu bekommen, um sich durch sie über unsern Verlust zu trösten, aber alles, was er von ihr habe erfahren können, sey dieses gewesen: Mechtild sey gleich des erstes Tages nach meiner Verstossung mit ihr unsichtbar geworden; eine Sache, die sie auf Befragung dennoch nicht hatte gestehen wollen. – Jetzt lösten sich diese Räthsel auf einmal, und Mechtild lag gleich in den ersten Tagen unsers Aufenthalts auf dem Schloß am Rhein zu unsern Füssen.

O, meine Gebieterinnen! rief sie, indem sie unsere Knie mit Thränen netzte, was habe ich um euch gelitten, wie schwer ist mir es geworden, euch den Schatz aufzubewahren, den ihr jetzt zu jeder Stunde aus meiner Hand empfangen könnt. Ich hoffe, ihr habt hier allein zu befehlen, und nicht der schwache Graf Venosta, und ich kann euch eure, ach meine, meine Elisabeth, sicher anvertrauen!

Mechtild hatte noch nicht ausgeredet, da stürzte die geliebte so lang verlorne Tochter herein, die kindlichsten Gefühle in den Schooß ihrer Mütter, wie sie uns beyde nannte, auszugiessen, ein schönes blühendes Mädchen von fünfzehn Jahren, die dem Auge ganz die Reize darstellte, die man von Elisabeths Kindheit hatte hoffen können. Gott! welche Scene! Wir verloren uns in dem Anschauen und den Umarmungen unserer Tochter, und hörten wenig auf Mechtildens Erklärungen, wie und warum sie so hartnäckig abgeleugnet habe, etwas um die Verlorne zu wissen, und wie sie Bedenken getragen habe, sie meinem Oheim, der sich von dem Grafen von Vatz auf eine so unerhörte Art habe einnehmen lassen, auszuliefern.

Erst spät waren wir im Stande, der treuen Dienerinn zu danken, und die Erzählung von Elisabeths Geschichte anzuhören, die ihr, nebst allen folgenden Schicksalen des Fräuleins von Rappersweil, weitläuftig unter dem Titel, Elisabeth von Homburg, unter meinen Papieren finden werdet. Mechtild hatte geeilt, nachdem ich jenesmal von der weinenden Elisabeth getrennt worden war, um nach Uspunnen geführt zu werden, mit ihr zu fliehen. Das berühmte Kloster in Zürich nahm beyde auf. Alles, was Mechtild von Gold und Kostbarkeiten besaß, reichte kaum zu, ihnen hier Zutritt zu verschaffen. Dieses Haus ist, wie bekannt, nur zum Zufluchtsort für Damen vom ersten Range bestimmt, und die weise Mechtild trug Bedenken, den Namen der jungen Gräfinn von Rappersweil zu nennen.

Sie lebten hier, vermöge des geringen Namens, den sie sich gaben, ruhig, verborgen, und selbst von ihren Wirthinnen den Nonnen ungekannt und vergessen, bis Elisabeths aufblühende Schönheit Aufmerksamkeit zu erregen begunnte. Der Abt von Sankt Gallen, und der damalige Bischof von Chur besuchten die Aebtißinn von Zürich jetzt fleißiger als sonst, und suchten allemal Gelegenheit, die schöne Fremde zu sehen. Mechtild, welche sich immer durch eine besonders schlechte Meynung von den geistlichen Herrn ausgezeichnet hatte, ahndete hier bald Gefahr für ihr Mündel, und dachte auf die Entfernung, zu welcher es ihr nicht an Mitteln gebrach.

Schon seit langer Zeit ward dieses treue Mädchen von einem angesehenen Mann zu Steinen30 geliebt, welcher in aller Absicht ihrer Gegenliebe werth war, und dieselbe auch vollkommen besaß, ob sie gleich immer großmüthig genug gewesen war, das Vergnügen, mir zu dienen, einer Verbindung mit ihm vorzuziehen. In den Jahren, da ich und Hedwig verloren, und die junge Elisabeth ganz allein ihrer Vorsorge überlassen war, hatte sie noch weniger an eine Aenderung ihres Standes denken mögen; ein Kloster schien ihr in dieser Zeit der schicklichste Aufenthalt für sich und ihre Pflegetochter, und sie stahl der Zeit, die sie ihr ganz widmete, nur einzelne Stunden ab, ihren treuen Geliebten zuweilen zu sehen, und sich und ihn auf glücklichere Zeiten zu trösten. Er war der Vertraute aller ihrer Sorgen, und jetzt, als die heiligen Mauern kein sicherer Aufenthalt mehr für die junge Elisabeth zu seyn schienen, drang Werner Staufachers endliches Bitten durch. Mechtild willigte ein, seine Gattinn zu werden, und die Sicherheit anzunehmen, die er ihr und ihrem Mündel in seinem Hause anbot; sie entflohen heimlich mit ihm, und lebten seit einem Jahre in seinem Hause zu Steinen ein Leben, wo ihnen nichts zu verlangen übrig war, als das, was sie jetzt genossen, die Wiedervereinigung mit ihren Verlornen.

Auf die erste Nachricht von unserer Befreyung und unserer Ankunft in diesen Gegenden, war Mechtild herbey geeilt, ihre Elisabeth in unsere Arme zu liefern, und uns Rechenschaft von der Bewahrung unseres Schatzes abzulegen. Auch ihr Mann, der edle Werner Staufacher, war herübergekommen, und führte dem Grafen Venosta eine gute Anzahl seiner Landsleute wider den jetzt allgemein gehaßten Grafen von Vatz zu.

Ihr erwehnet nicht, sagte Elisabeth, indem sie hier Mechtildens Erzählung unterbrach, ihr erwehnet nicht, daß uns noch eine weit ansehnlichere Hülfe bevorsteht, Graf Ludwig von Homburg. – O verzeihet, Fräulein, erwiederte die lächelnde Mechtild, daß ich diesen theuern Namen so lang zu nennen verschoben habe. Ihr sollt wissen, edle Frauen, fuhr sie fort, indem sie sich zu uns wandte, die Hülfe, welche der Graf von Homburg euch zuführt, wiederfährt euch eigentlich nur darum, weil Elisabeth eure Tochter ist, er ist ein alter Freund meines Mannes, er sahe das Fräulein zuweilen in unserm Hause, und –

O schweiget, schweiget! rief die erröthende Elisabeth, und beschämt mich nicht wegen meiner unvorsichtigen Aeußerung! Mechtild schwieg, aber wir forderten nähere Erklärung und erfuhren das, was man weitläuftig in Elisabeths Geschichte finden kann, was aber hier mit einzurücken, wider den Endzweck meiner Geschichte war, deren Faden ich ohne Verzug wiederum ergreife.

Der Graf von Homburg und Werner Staufacher mit ihren Leuten kamen dem Grafen Venosta sehr erwünscht. Schon verschiedene Erfahrungen hatten ihn belehrt, daß er sich an Graf Waltern mit seinen eigenen Gütern einen fürchterlichen Feind erkauft hatte, den allein zu überwinden er jetzt zu schwach war. Verschiedene Jahre verflossen unter zweifelhaften Erfolg von beiden Seiten, bis die göttliche Rache dazwischen trat, und der Sieg der gerechten Sache zuneigte. Es kam zur Unterhandlung zwischen beiden Gegnern. Graf Walter fragte, welche Genuthuung Zirio wegen der mir angethanen Beleidigungen forderte, und glaubte mit Anerkennung meiner Unschuld und Wiederaufnahme der Verstoßnen durchzukommen, aber die Absichten des Grafen Venosta gingen jetzt weiter, er verlangte die Rückgabe all der Landschaften, welche Graf Walter nur in so fern besitzen konnte, als er mein Gemahl war. Man gab ein und anderer Seits etwas nach, es wurden von beyden Theilen große Summen geboten, die Sache schleunig zu berichtigen, aber wahrscheinlich würde der Vergleich, der von beyden Seiten so viel Schwierigkeiten hatte, dennoch nicht zu Stande gekommen seyn, wenn mir das Schicksal nicht noch einige bittere Hefen in dem Kelch des Leidens aufgehoben hätte, die ich nur in der Wiedervereinigung mit meinem treulosen Gemahl ausleeren konnte. O Vorsicht31! wenn ich je wider deine Schickungen murrte, wenn jetzt noch vielleicht eine Thräne des Unmuths über meine Wangen rollt, so vergieb der schwachen Sterblichen! Zeit, Vergessenheit, Tod oder die hellere Ewigkeit, werden ja endlich das Gefühl meiner Leiden völlig tilgen.

Nie hatte ich gehört, daß es außer Graf Waltern noch einen Grafen von Vatz gebe, jetzt erscholl das Gerücht: Graf Donat von Vatz sey aus Italien herüber gekommen, habe, nachdem er hier und da im Lande von den Angelegenheiten Graf Walters, den er seinen Vater nenne, Erkundigung eingezogen, seinen Sitz auf dem zerstörten Schlosse Uspunnen genommen, und rüste sich daselbst zu einer Fehde, von welcher man noch nicht wisse, wider wen sie abgesehen sey! Wir Frauen zitterten auf unserm einsamen Schlosse vor demjenigen, welchen wir des Namens wegen schon als unsern Feind ansahen, ungeachtet ich nicht begreifen konnte, wie er Walters Sohn seyn könne, der, so viel wir wissend war, nie vor mir eine Gemahlinn gehabt hatte. Hedwig seufzte zu der Ueberzeugung, die ich hievon hatte, und Graf Venosta, der eben von einem der kleinen Scharmützel, die zwischen ihm und seinem Feinde kein Ende nahmen, zurück kam, erklärte mir den Seufzer meiner Freundinn.

Ach, sagte er, ihr fürchtet nicht ohne Grund diesen neuangekommenen Grafen von Vatz. Nur gar zu wahrscheinlich ist es, daß er Walters Sohn seyn und seine Partey verstärken wird. O Noria, schon vor deiner Vermählung ging ein Gerücht, wie Graf Walter mit einer andern vermählt sey, die er auf einem seiner Schlösser gefangen halte, um sich sorglos um dich bewerben zu können. Dieses war der Grund meines Abscheues vor diesem Verräther, und des Widerwillens, mit welchem ich deine wachsende Neigung zu ihm bemerkte. Ich hatte damals einige ernstliche Unterredungen mit ihm über diesen Punkt. Er leugnete hartnäckig, daß noch irgend eine Lebende ein Recht auf ihn habe, ob er gleich eingestand, daß er mit einer edeln Italiänerinn vermählt gewesen sey, die ihn zum Vater eines Sohns gemacht habe, welcher aber in Italien erzogen werde, und den Ansprüchen seiner künftigen Erben auf keine Art Eintrag32 thun solle. Um aber, setzte Walter damals hinzu, euch jeden Verdacht zu benehmen, als habe ich falsche unzurechtfertigende Absichten auf eure Tochter, so schwöre ich hier vor dem Angesicht des Himmels, mich nie um sie zu bewerben, sie nie zu meiner Gemahlinn zu verlangen, es sey denn, daß ihr sie mir freywillig anbieten, und mich dadurch von dem, wessen ihr mich jetzt beschuldigt, freysprechen werdet. Ich lachte damals, so fuhr mein Oheim fort, über die seltsame Erklärung des Grafen von Vatz, ohne zu denken, daß es je einen Fall geben könne, in welchem ich meine Erbinn auch dem größten und edelsten Manne anbieten sollte, aber Walter wußte sich von diesem Augenblick an so tief in mein Herz einzustehlen, die Dienste, die er mir erzeigte, mehrten sich so sehr und wurden so wichtig, sein Gesicht sprach dabey so nachdrücklich von hoffnungsloser Liebe zu dir, daß mich die Dankbarkeit wünschen machte, ihn mit deiner Hand belohnen zu können. Ich begunnte mich näher nach seinen Angelegenheiten zu erkundigen. Beweise über Beweise fielen mir täglich fast blindlings in die Hand, daß er an jenem schrecklichen Verdacht unschuldig, daß er zwar der Vater eines Sohns, aber daß seine Gemahlinn längst gestorben sey. Der letzte wichtigste aller Beweise seiner Großmuth und Anhänglichkeit an unser Haus, den ich damals von ihm zu erhalten meynte, die Befreyung aus den Händen des Abts von Sankt Gallen bestimmte33 mich völlig. Ich trug dich ihm selbst zur Gattin an, aber was half es, daß er an jener harten Beschuldigung, der Mörder, der Kerkermeister einer Person zu seyn, welche nähere Rechte auf seine Hand hatte, schuldlos war, da er sich der Verbindung mit dir in der Folge auf so vielfache andere Art schuldig machte.

Und wißt ihr gewiß, unterbrach ihn die Gräfinn von Rappersweil, daß alle Sagen von der Grausamkeit Walters gegen eine frühere Gemahlinn falsch waren? daß er sich wirklich frey nennen konnte, als er euer Schwiegersohn ward? — O Zirio! o Mann ohne Trug und Falschheit! o daß ihr jeden nach eurem edeln Herzen beurtheilen mußtet! o daß ihr selbst da, wo ihr zu gerechten Argwohn aufgeregt wurdet, nur gar zu schnell von dem, was ihr ungern glaubtet, zurückgebracht wurdet, und die gute Meynung von andern, welche auch natürlich war, von neuem annahmet! Unglückliche Lucretia! deine Gebeine zeugen noch an dem Orte, wo sie liegen, wider deinen Mörder! Der Fluch, den du sterbend über ihn sprachst, komme auf seinen Kopf, aber fern sey seine Erfüllung von derjenigen, die ihn unschuldig theilen mußte: Noria ist rein an jener Missethat! Nur Wahnsinn und Verzweiflung konnten dich gegen meine Betheurungen und die Beweise ihrer Schuldlosigkeit taub machen.

Der Graf Venosta und ich starrten die Rednerinn mit weitgeöffneten Augen an, sie stand da mit gen Himmel gebreiteten Händen, mit strömenden Augen, ohne auf unsere Fragen zu hören, zu welchen die außerordentliche Bewegung, in welcher wir sie sahen, uns reizte.

Laßt mich, rief sie nach einer Weile, indem sie ihre Augen trocknete, mir schweben jene schrecklichen Auftritte zu Schloß Uspunnen zu lebendig vor Augen, ich bedarf Zeit mich zu fassen.

Wir warteten mit angstvoller Unruhe des Augenblicks, in welchem sie deutlicher sprechen würde. Mein Oheim tappte hier gänzlich im Finstern, aber mich umschwebten dunkle Ahndungen, welche durch Hedwigs Erzählung nur gar zu sehr gerechtfertigt wurden. Ach sie, die Unglückliche, die in jenem gräulichen Felsennest ihre vieljährigen Bande durch die Flammen zu brechen strebte, sie, welche durch die Nennung meines Namens in jene mir unerklärbare Verzweiflung in den Wahnsinn gestürzt wurde, in welchem sie zuletzt verschied, jene Lukretia Malatriti, war diejenige, welche ein früheres Recht auf das Herz des Grafen von Vatz hatte, als die beklagenswürdige Noria, sie nannte mich sterbend noch die Urheberinn ihres Elends, fluchte mir sterbend, und — ich war unschuldig!

Hedwigs Freundschaft hatte mir diese schreckensvollen Scenen, von welchen sie damals Zeuge war, verschwiegen. Sie kannte meine Schwäche, sie hielt es diesem weichen gefühlvollen Herzen für zuträglicher mit dem Ganzen des Elends unbekannt zu bleiben, das Graf Walters einst gewünschte Vermählung über mich gebracht hatte. – So war ich also so viel Jahre lang die unrechtmäßige Gattinn eines Mannes gewesen, den ich nur so lang lieben und wünschen konnte, als ich ihn nicht kannte? So war also ich, die gern jeden Wurm beglückt, gern jede Spur des Elends von der Erde vertilgt hätte, die Ursach der vieljährigen Quaal einer vielleicht tugendhaften und liebenswürdigen Person? doch nein, Lukretia war, wie mich Hedwig aus ihrem sterbenden Bekenntnisse versicherte, nie gut und tugendhaft gewesen. Ihre Geschichte, die ihr von Hedwigs Feder gezeichnet, unter dem Titel Lukretia finden werdet, kann euch hiervon überzeugen. Sie hatte Walters Hand durch Unthaten errungen, hatte ihrem Sohn, auf dessen Beystand sie vergeblich harrte, zu frühzeitiger Ruchlosigkeit angelehrt, und ihr verzweiflungsvoller Tod war ganz das Ende, das sich zu so einem Leben schickte. Aber konnte dies mich trösten? Ach mich dünkte, ihr Fluch, so unverdient er auch war, haftete dennoch auf mir, und ich würde früh oder spät seine Folgen erfahren müssen. – Laßt mich hier abbrechen, meine Kinder, bis mehrere Fassung mich geschickt macht fortzufahren!

Hedwig wußte noch mehr von diesen Dingen. Sie wußte, daß das Gerücht von Lukretiens Elend, ihren Sohn, den Grafen Donat, in Italien allerdings erreicht, aber daß ihm der Taumel seiner Ausschweifungen erst spät erlaubt hatte, an die Rettung der Bedrängten zu denken. Endlich war er gekommen, diejenige zu befreyen, deren Gebeine nun längst unter den Trümmern von Uspunnen moderten. Der Gedanke: Es ist zu spät! hatte ihn in eine Verzweiflung gestürzt, die er durch die wildesten Handlungen äußerte. Die ganze Besatzung des Schlosses wurde dem Schatten Lukretiens zum Opfer geschlachtet, und die Ueberbleibsel der Burg zu einem Todenfeuer für sie angezündet. Er vernahm, die unglückliche Noria, die er gleich seiner Mutter, die Urheberinn ihres Elends nannte, sey einst in diesen Mauern verschlossen gewesen, und er schäumte, sie nicht mehr zu finden, und auch sie seiner Wuth aufopfern zu können.

Die Einwohner des stillen Frutigerthals, meine ehemalichen treuen Retter, empfanden die Folgen seiner Wuth; auch sie sollten für die Saumseligkeit büssen, mit welcher er seine Pflichten gegen eine unglückliche Mutter verschoben hatte, und die er, da er nicht gegen sich selbst wüthen wollte, an jeden Unschuldigen zu bestrafen suchte.

Alles floh in diesen Gegenden vor dem wüthenden Donat, der sich jetzt mit starken Tagereisen dem Ort unsers Aufenthalts näherte, ohne daß man genau wußte, wen sein Grimm aufzureiben dachte. Wir zitterten vor ihm, unsere Macht war geschwächt, und wir hatten außer ihm auch noch den mächtigen Walter zum Feinde. Graf Walter zitterte auch, er konnte wahrscheinlich muthmassen, daß sein Sohn käme, das Blut seiner Mutter von seinen Händen zu fordern, und er hatte außer ihm, noch den Grafen Venosta zum Feinde, dessen Tapferkeit den Mangel der Macht ersetzte. Nichts konnte ihn und uns retten, als Vereinigung unserer Kräfte, und Gott! zu diesem Zeitpunkte war es, daß das Schrecklichste aller Dinge, die mir begegnen konnten, zu Stande kam.

Graf Walter that in der Beängstigung seines Herzens Vorschläge, welche der ebenfalls nicht ohne Ursach beängstigte Zirio nicht ausschlagen durfte. Ich ward das Opfer des Bundes wider den gemeinschaftlichen Feind, Gott! ich mußte mich bequemen, Hedwigs Räuber, Lukretiens Mörder, Zirios Verräther, und meinem eigenen Tyrannnen zum zweitenmal die Hand zu geben.

Fraget nicht nach meiner ersten Zusammenkunft mit einem Manne, den mir seine Verbrechen so verhaßt gemacht hatten, als er mir ehemals theuer war! ich zitterte vor derselben, ich machte mir die schrecklichsten Vorstellungen, aber wie mir es schon tausendmal in meinem Leben begegnete, ich fand das nicht, was ich besorgte; zwar einen Auftritt von der erschütterndsten Art, aber bey weiten nicht den, den ich erwartet hatte.

Die Jahre, in welchen ich Graf Waltern nicht sah, hatten ihn zum Erstaunen verändert, er war weder ein Gegenstand der Liebe noch des Schreckens mehr, wie in vorigen Zeiten; nur Mitleid konnte man bey seinem Anblick fühlen. Es schien, die Ausübung des Lasters hatte ihn noch elender gemacht, als diejenigen, welche unter den Ausbrüchen desselben leiden mußten. Wenigstens war so viel gewiß, die Gräfinn von Rappersweil und ich, hatten das Elend, welches wir zu Uspunnen leiden mußten, längst verschmerzt, und begunnten wieder in unserer natürlichen Blüthe zu glänzen, dahingegen unser Verfolger das Ansehen hatte, als wenn er eben erst aus den Kerkern jenes Raubschlosses entkommen war. Nicht allein sein Körper hatte gelitten, auch sein Geist war durch Ausschweifungen, Gewissensangst und Furcht vor kommenden Uebeln niedergedrückt. Er warf sich, so bald er mich erblickte, zu meinen Füssen, und flehte in dem kleinmüthigsten Ton um Vergebung des Vergangenen. Auch Hedwigs Knie umfaßte er, und stammelte ihr ein langes Bekenntniß seiner Beleidigungen her, welche sie selbst nur gar zu wohl kannte.

Diese unmännliche Demüthigung war es in Wahrheit nicht, was wir von ihm forderten. Mein Gemüth ward zugleich vom Unwillen und Mitleid eingenommen, und ich wußte nicht, welches ich zuerst äußern sollte. Das letzte behielt die Oberhand, und ich ließ mich von dem bittenden Walter zu jedem Versprechen bereden, welches mir in der Folge so schwer zu erfüllen ward.

Ich weis nicht genau, welches die Empfindungen meines Oheims bey dieser Gelegenheit waren, mich dünkte einen guten Theil Reue in seinen Augen zu lesen, daß er sich fast unnöthiger Weise zu Verneuerung eines Bündnisses hatte verleiten lassen, das ihm nicht anders als lästig, und für seine aufgeopferte Noria von den bittersten Folgen seyn mußte. Furcht vor einem doppelten Feinde war die größte Veranlassung zu diesem Schritte, aber Graf Walter war in der Nähe nicht so furchtbar als von ferne. Unsere wenigen Völker34, unter der Anführung des muthigen Grafen Venosta, der ungeachtet seines zunehmenden Alters immer noch ein Held war, konnten mehr ausrichten, als Graf Walters Tausende, da ihr Führer an Leib und Geist geschwächt, und wie wir bald Ursach zu vermuthen hatten, nicht zu allen Zeiten seines Verstandes mächtig war. Dinge, welche uns freylich bisher verborgen geblieben waren.

Ich hatte wenig Tage an seiner Seite gelebt, als ich Entdeckungen machte, welche mir die schrecklichsten Aussichten in die Zukunft öffnen mußten. Den wahren Grund von Walters unheilbarem Uebel habe ich nie entdecken können, da es wenig Stunden gab, in welchen es möglich oder rathsam war, ihn um solche Dinge zu befragen, aber führt nicht die Ausübung jedes Lasters an Abgründe, bey deren Anblick die Vernunft schwanken und endlich unterliegen muß?

Walters furchtbare Melancholie war periodisch. Es gab Stunden, in welchen er sich vor jedermann, besonders vor mir verbarg, um allein zu leiden. Nicht Neugier, sondern heisser Wunsch, Rath zu schaffen, ließ mich ihn einst in diesen Augenblicken freywilliger Absonderung belauschen, und was ich durch diesen gutherzigen Vorwitz gewann, war außer der heftigsten Erschütterung für den gegenwärtigen Augenblick, deren eine weibliche Seele fähig ist, noch der ganze Grimm meines seiner Sinne beraubten Gemahls, der nun keine Zurückhaltung mehr kannte, und von diesem unglücklichen Tage an, mich Theil an seinen Leiden nehmen ließ, die er vorher aus einer Art von Schonung meinen Augen entzogen hatte. Ich hatte bisher den Unglücklichen nur in seinen mißmuthigen und verzagten Launen gesehen, die den mehrsten Theil seiner Stunden ausfüllten. Jetzt war ich auch Zeuginn seiner Rasereyen, welche mich und meine Freundinn oft für unser Leben besorgt machten. Oft wurden wir von dem wüthenden Walter durch alle Zimmer und Gewölbe der Burg verfolgt, ohne an einem Orte Sicherheit vor ihm zu finden, als an jenem verfallenen Brunnen, in welchen ehemals, kurz nach Hedwigs Entführung, die toden Körper, die nach dem Abzug der Feinde zurückblieben, geworfen wurden. In diese Gegend wagte sich Walter niemals; blutige Schatten stiegen, wie er vorgab, vor seinen Augen aus der Tiefe herauf, und Lukretiens drohende Gestalt war mitten unter ihnen, ihn zu sich hinab zu reissen.

O Quaalen des bösen Gewissens, wer kann euch beschreiben! Wer erdulden, ohne zu erliegen! Der schreckenden Phantome, welche Waltern in seinen bösen Stunden vorschwebten, waren mancherley, ich kannte sie bey weitem nicht alle, denn das ganze Verzeichniß seiner Vergehungen war mir unbekannt, und man wird mir glauben, daß ich wenig Neugier hatte, hier Nachforschungen anzustellen.

Der Graf Venosta war die meiste Zeit abwesend, sein erneuertes Bündniß mit dem Grafen von Vatz machte es ihm zur Pflicht, seine Stelle bey den Völkern zu vertreten, und jede Anstalt zu unserer Sicherheit zu machen, da unser gemeinschaftlicher Feind, der wüthende Donat, sich immer mehr nahete. Ich kannte seine Gesinnungen gegen mich, und es ist nicht zu verwundern, daß ich bey aller meiner Unschuld vor seiner Ankunft zitterte, aber meine Angst verglich sich bey weitem nicht mit dem Entsetzen, mit welchem Graf Walter den Namen des Kommenden nannte. Er sah in ihm nicht mehr den Sohn, nein, nur Lukretiens Rächer, und suchte oft in meinen Armen Zuflucht, wenn seine Phantasie ihm denselben bereits als gegenwärtig vorstellte. – Es ist unglaublich, was ich in dieser Epoche litt. Meine Freundinn Hedwig rieth mir oft zu fliehen, und Gott weis, was ich gethan haben würde, wenn mir nicht das Mitleid gleich in den ersten Stunden der Wiedervereinigung mit meinem unglücklichen Gemahl, das unüberlegte Versprechen, ihn lebenslang nicht zu verlassen, jedes seiner Schicksale mit ihm zu theilen, in den Mund gelegt hätte, ein Versprechen, welches zu feyerlich gegeben, und von ihm mit zu vieler Zuversicht angenommen worden war, um gebrochen zu werden.

Es hätte mir in der damaligen Zeit nicht an Gelegenheit gefehlt, meinen traurigen Aufenthalt auf eine schickliche Art zu verlassen, und in den Armen der Freundschaft Zuflucht zu finden, wär ich nicht so fest gebunden gewesen.

Graf Ludwig von Homburg, der Liebhaber der jungen Elisabeth von Rappersweil, hatte sich einige Zeit von uns entfernt, um die Ansprüche des Hauses seiner Geliebten, gegen den alten Feind desselben, den Abt von Sankt Gallen, geltend zu machen, und der Tod dieses Tyrannen erfolgte eben zu so gelegner Zeit, daß ihm die Ausführung seiner Absichten ausserordentlich erleichtert ward. Jetzt kam er zurück, die Gräfinn und den jungen Grafen Rudolf in ihre Rechte einzusetzen, und sie einem wartenden Volke in die Arme zu liefern. Hedwig schwur, sie könne sich in meiner traurigen Lage nicht von mir trennen, ich müsse ihr in den Schooß der Sicherheit folgen. Mein Herz sehnte sich, das Erbieten annehmen zu können, und Graf Walter versicherte in seinen ruhigen Stunden mit kleinmüthiger Stimme, er könne mich nicht halten, er müsse die Sache meinem Gewissen überlassen; aber man urtheile, ob ich, die ich täglich die Quaalen eines aufgebrachten Gewissens mit ansah, Muth haben konnte, das meinige auf diese Art zu verletzen. Ich schwur Waltern von neuem, zu bleiben, und bat von meiner scheidenden Freundinn nichts, als sie möchte ihre Tochter zu meinem Troste bey mir lassen. Ich hatte mich so an dieses liebreizende Geschöpf gewöhnt, und Graf Walter selbst hatte so viel Achtung vor der gebietenden Miene himmlischer Unschuld in ihren Augen, daß ich nicht selten in seinen bösen Stunden Zuflucht vor seinem Toben in Elisabeths Armen gefunden hatte. Auch sie hätte sich ungern von mir getrennt, nicht allein Liebe zu mir hielt sie fest in dieser Wohnung des Elends, sondern, so ungern sie es auch gestand, vornemlich der Wunsch, ihrem Ludwig nahe zu seyn, welcher mit seinen Leuten bey uns blieb, um die Gränzen vor dem eindringenden Feinde zu decken.

Wir schieden, Hedwig und ich schieden. Elisabeth blieb bey mir, und wir sahen der Zukunft, welche immer dunkler vor uns ward, mit bangen Herzklopfen entgegen. Werd' ich Muth genug haben, des letzten Schlags zu gedenken, den mir das Schicksal versetzen konnte? Hedwig war von mir gerissen, wen hatte ich außer ihrer liebenswürdigen Tochter noch, an dem mein Herz hing, als meinen Oheim, meinen Vater, den ehrwürdigen Grafen Venosta?

Graf Ludwigs Erscheinung hatte seine Rückkehr in diese Gegenden nöthig gemacht. Der junge Krieger mußte von dem alten Helden mündlichen Unterricht erhalten, was er zu unserm und des Landes Besten zu thun habe, ersterer durfte uns nicht verlassen, und uns jedem Angriff des Feindes durch seine Abwesenheit blos stellen, und der ehrwürdige Zirio kam also herüber, ihn mit der ganzen gegenwärtigen Lage, die unser Zustand gegen den Feind hatte, bekannt zu machen, und uns durch seine Gegenwart noch einmal Trost und Hoffnung in die Seele zu hauchen!

Ach noch einmal, nur noch einmal sollte ich meinen Wohlthäter in die Arme schliessen und seine ehrwürdigen Wangen mit Thränen der Dankbarkeit und Besorgniß für sein theures Leben benetzen! Die nächsten Zähren, welche ich über ihn weinte, fielen auf sein Grab! Der Rückweg nach seinem Heer führte ihn dem Tode entgegen. Im Innersten des Waldes lauerten Meuchelmörder; der Widerstand seiner Leute gegen den überlegenen Feind war gering, Graf Venosta fiel, wie schon mancher Held vor bösen Buben gefallen ist, und seine in die Flucht geschlagenen Begleiter brachten die fürchterliche Post35 auf das Schloß zurück.

Was soll ich von meinen Empfindungen bey diesem schrecklichen Streiche des Unglücks sagen? – Ich trauerte? ich verlor die Besonnenheit? ich war der Verzweiflung nahe? – Nichts von allem! Das Uebermaaß des Schmerzes darf nur verschleyert vorgestellt werden.

Ich hatte nur Gefühl für das, was ich in ihm verlohren hatte, erwog nicht, daß sein Tod mir das Unterpfand der nahen Gefahr war. Graf Donat stand nicht zwey Meilen von unserm Aufenthalt; der Schlag der meinen Oheim tödete, ward wahrscheinlich von seiner Hand geführt, wie konnte er leichter den Verfolgten beykommen, als indem er ihnen ihren Schützer entriß? – Zwar Graf Ludwig von Homburg! – aber seine Jugend, seine Unerfahrenheit, selbst Bestürzung und Gram über den Verlust seines heldenmüthigen Anführers zu Thaten der Tapferkeit, müssen ihn entschuldigen, wenn er nicht das leistete was wir gewünscht hätten! Laßt mich einige Tage der Angst und der lebhaftesten Unglücksahndung mit Stillschweigen übergehen; ich habe solcher Tag in meinem Leben viel gehabt; auch ihr werdet sie einst kennen lernen, und mir recht geben, daß sie oft noch gräulicher sind, als das gefürchtete Unglück selbst.

Graf Ludwig war in die Flucht geschlagen, unsere treusten Unterthanen, unter der Anführung Henrichs von Melchthal, vertheidigten die Zugänge des Schlosses noch einige Zeit, aber endlich mußten auch sie weichen, und dem furchtbaren Ueberwinder stand der Weg zu denen, welche vor seiner Ankunft bebten, offen.

Unter den tausend Leiden, welche ich seit meiner Wiedervereinigung mit meinem unglücklichen Gemahl zu erdulden hatte, war die fast beständige Gegenwart eines Menschen, den zu hassen ich unzählige Ursachen hatte, keins der geringsten. Dieser von mir halb verachtete, halb gefürchtete Mann, war der dermalige Abt von Churwalden Wiherus *36). Es wäre hinlängliche Ursach für mich gewesen, ihm zu hassen, daß er derjenige war, den die unartigen Mönche jenes Klosters, nachdem sie meine Freunde, Konraden und Lüttgern vertrieben hatten, zu ihren Obern erwählten, und daß er es gewesen war, der die verruchtesten Ränke anwandte, ihn zu stürzen, und sich an seine Stelle zu drängen. Ich konnte ihn nie in aller Pracht eines kleinen Fürsten auf dem Schlosse erscheinen sehen, ohne mich an das unbekannte Schicksal meiner ehrwürdigen Freunde zu erinnern, von welchen ich nie erfahren habe, was, nachdem ich sie durch den verborgenen Gang ins Gebürge führte, aus ihnen geworden ist. Doch war es nicht genug, an jenem Abscheu, den mir eine solche Erwegung einflössen mußte, Wiherus gab mir noch außerdem unzähliche Ursachen ihn zu hassen. Ehemals der Mitgenosse von den Ausschweifungen Graf Walters, jetzt der einige Mitwisser seiner Sündengeheimnisse und sein Beichtiger, hatte er alle Gewalt über ihn und herrschte mehr im Schlosse als der schwache Besitzer desselben und ich seine Gemahlinn. Ich hatte zu Zeiten die Furchtsamkeit, welche mir seit meinen letzten Unfällen auflebte, zu überwinden, und jenen Heuchler aus Walters Gnade und seinem angemaßten Ansehen zu setzen gesucht, aber immer mit so schlechtem Erfolg, daß ich mich zurück ziehen und das Joch in der Stille tragen mußte, das der mächtige Abt hier jedermann aufzulegen wußte. Wiherus, ein junger, und (wenn die Züge der Ausgelassenheit und des Lasters diesen Namen verdienen können), ein schöner Mann, pflegte mich oft zu versichern, daß nicht ich, wie ich klagte, sein Joch, sondern er vielmehr das meinige trüg, aber ich hatte Ausdrücke dieser Art, die mir ihn noch abscheulicher machten, allemal mit so viel Verachtung beantwortet, daß ich jetzt wenig mehr davon zu hören bekam, und er vielmehr sich, ich weiß nicht welcher Zurückhaltung und Blödigkeit in allen Dingen, wo er sonst geboten hatte, annahm, so daß ich sicher zu werden begunnte, und jetzt in meiner dringendsten Noth, da unser fürchterlicher Feind vor der Thür war, da jedermann käm, Rath und Entschliessung bey mir zu nehmen, die ich, ein schwaches furchtsames Weib gern selbst von andern gefordert hätte, daß ich, sage ich, in der Betäubung, in der gänzlichen Hülflosigkeit, in welcher ich war, kein großes Bedenken trug, die Anschläge anzuhören, welche der Abt von Churwalde zu unserm Besten vorbrachte. Sie waren überdieses von so unschuldiger Art, daß ich, so wenig ich auch von denselben zu hoffen geneigt war, doch keine Ursach finden konnte, sie zu verwerfen.

Edle Gräfinn, sagte Wiherus, wenig Herzen sind so verhärtet, daß sie Weiberthränen, oder der Stimme Gottes aus dem Munde seiner Diener widerstehen könnten. Ich glaube sicherlich, wenn Graf Donat die Zähren sieht, welche er so schönen Augen entlockt, so wird sein Grimm ganz entwaffnet seyn, und ihr werdet ihn, wie euren Sklaven behandeln können! doch ihr traut nicht auf die Macht, welche euch der Himmel verliehen hat, und wir wollen also zu dem andern Rettungsmittel unsere Zuflucht nehmen. Gebietet, erlaubt nur, und ich versammle mein ganzes Konvent in eurem Schlosse. Diese frommen Mönche sollen sich mit ihrem Gebete für euch zur ehrnen Mauer machen, ich will mich an ihre Spitze stellen, will Graf Donaten entgegen ziehen, und ihr werdet erstaunen, was wir auszurichten vermögen. – Ich willigte ein, Wiherus gab seine Befehle, und die frommen Mönche von Churwalden, (niemand als ihr Abt hätte die Stirn gehabt, sie so zu nennen), traten ihren Zug mit all der Feyerlichkeit an, die ihnen bey dem Feinde, dem sie sich entgegenwarfen, ein Ansehen geben konnte. Sie legten kein kleines Gewicht auf diese Heldenthat, wie sie ihren Zug nannten, und einer der Gelehrtesten verglich sie mit der That der Decier37, welche sich für das gemeine Beste den Göttern des Erebus38 weihten; eine Vergleichung, die mir und Elisabeth, die der römischen Geschichte nicht unkundig waren, ein mitleidiges Lächeln abgenöthigt haben würde, wenn wir jetzt einen Zug zum Lachen hätten verziehen können.

In unbeschreiblicher Angst erwarteten wir der Rückkunft der neuen Decier, und viel zu unglücklich, als daß wir nur für uns hätten sorgen dürfen, mußten wir alle Kräfte, die wir zu unserm eignen Troste nöthig hatten, nützen, und den schwachen Walter, der die Zukunft seines Sohnes, wie die Erscheinung einer rächenden Gottheit scheute, aufrecht zu erhalten. Während der Berathschlagung, zu welcher uns Wiherus genöthigt hatte, liessen wir meinen unglücklichen Gemahl auf einige Minuten aus den Augen, und wir fanden ihn jetzt nach dem Abzug der Mönche in der Nähe jenes Brunnens, welcher, wie ich schon erwehnt habe, seiner erhitzten Einbildungskraft so fürchterlich war, und unterschiedliche Äußerungen von ihm zeigten, was wir zu besorgen gehabt hätten, wenn uns die Vorsicht39 nicht zu gelegner Zeit zu seiner Rettung herbeygeführt hätte.

Wir durften ihn in der Fassung, in welcher er war, keinen Augenblick verlassen, wir wandten alle Künste der Beredsamkeit an, ihn zufrieden zu sprechen, und es gelang der sanften Elisabeth, welche viel über ihn vermochte, endlich sein zagendes Herz mit Hoffnung zu erfüllen, und ihm begreiflich zu machen, daß Graf Donat, und wär er auch ganz der wüthende Tyrann, wie ihn das Gerücht schilderte, doch unmöglich alle Menschlichkeit so ganz ausgezogen haben könnte, der Feind seines Vaters zu seyn und Rechenschaft über Dinge zu fordern, deren Ausgang vielleicht schlimmer gewesen wär, als er gedacht hätte.

Ihr habt Recht, sagte Graf Walter mit jenem kindischen Lächeln, welches er meistens nach den heftigen Ausbrüchen seiner Rasereyen anzunehmen pflegte, ihr habt Recht! Ich haßte ja Lukretien nicht, sie war meine erste Liebe. Daß Noria schöner und reicher war als sie, konnte jener nur eine Zeitlang schaden; hätte ich diese erst ganz beyseit geschaft, so würde ich wahrscheinlich jene wieder aus der Dunkelheit hervorgezogen und sie in ihre alten Rechte eingesetzt haben.

Die fromme Elisabeth bebte vor der abscheulichen Aeußerung zurück, welche ihre gutgemeynten Tröstungen aus dem Abgrund eines Herzens hervorgezogen hatten, das ich Thörichte zuweilen für gebessert gehalten hatte; sie sah mich mit wehmüthigem deutungsvollen Blick an, und ich zerfloß in Thränen.

Weinet nicht, sagte mein aller Besonnenheit beraubter Gemahl, und o, daß ihr meiner Hand nur auf wenig Minuten einen Dolch anvertrauen wollte, weder ihr noch ich sollten länger Ursach haben vor Donats Rache zu zittern!

Diese Unterredung, welche immer schrecklicher zu werden begunnte, und uns zwey hülflose Frauen für eine nähere Gefahr als für Graf Donats Schwerd zittern machte, ward durch die Ankunft zweyer Mönche aus Wiherus Gefolge unterbrochen. – Sie traten mit allen Zeichen der Angst ein, und meldeten, wie die Ueberredungskunst ihrer geistlichen Brüder bey unserm Feinde bey weitem nicht die erwartete Würkung gethan habe. Graf Donat, ein abgesagter Feind der Geistlichkeit, habe sie alle gefänglich annehmen lassen, und nur sie beyde seyen entflohen, um uns zur Rettung aufzumahnen.

Zur Rettung? uns? zur Rettung? schrien Elisabeth und ich aus einem Munde.

Ja, edle Frauen, erwiederte Gerungus, der eine von den beyden Klosterherren, ein Wink unser weisen Abts, sagte uns, was wir von euch zu fordern haben; er meynte, der Anblick der schönen Elisabeth von Rappersweil, eine Thräne aus ihren Taubenaugen, ein Wort mit ihrer herzgewinnenden Stimme, ein Fußfall, könne uns alle retten. O laßt euch erbitten, holdes Fräulein! Ein Maulesel steht bereit, euch ins Lager zu bringen, und wir begleiten euch, um zu eurem Schutze zu dienen.

O! rief Graf Walter mit jauchzendem Ton, o geht, Elisabeth! erweicht das Herz meines Sohnes für uns alle, und zum Lohn dieser Edelthat will ich ihn euch zum Gemahl geben.

Elisabeth bebte vor Gerungus Zumuthung und vor Walters Versprechen, auch ich hatte Einwendungen wider die seltsame Forderung der Mönche, doch fingen wir bey Gerungus beredten Vorstellungen und seines Gefärthen des arglosen Udalrichs gutherzigen Zureden an zu wanken, als der Abt Wiherus selbst hereintrat, und der Sache den völligen Ausschlag gab.

Wollt ihr helfen, rief er, indem er sich an Elisabeth wandte, so eilt, ehe es zu spät ist. Unsere Begleitung bürgt euch vor aller Gefahr, auch habt ihr, wofern ich den Grafen Donat in den wenigen Augenblicken, da ich ihn sahe, richtig beurtheilen lernte, nicht zu fürchten, daß eure Reize eine dem Grafen von Homburg nachtheilige Würkung auf sein Herz machen werden. Er fügte diesen Worten noch andere hinzu, denen die Rednerkunst des einen seiner Abgeschickten so viel Nachdruck gab, daß Elisabeth entschlossen aufstand, und den Mönchen zu folgen versprach.

Aber welches war die Rolle, die ich hierbey spielen sollte? Mein Gemüth war nicht frey und heiter genug, um tausend Widersprüche, tausend seltsame, Argwohn erregende Umstände in der Forderung der Mönche zu entdecken, welche einem unbefangenen Auge nicht entgehen werden; demohngeachtet dünkte es mich unmöglich zu seyn, das Fräulein von Rappersweil allein ziehen zu lassen, und ihre Schönheit und Unschuld den drohenden Gefahren auszusetzen. Meinen schwachen Gemahl zu verlassen, und ihn seinen vielleicht rückkehrenden verzweiflungsvollen Phantasien preis zu geben, war eben so unmöglich, so wie mir auch die Haut bey dem Gedanken schauerte, bey demjenigen eine Minute allein zu bleiben, der noch vor wenig Augenblicken Absichten wider mein Leben geäußert hatte, die ihm in der Raserey sehr leicht werden mußten, auszuführen. Unsere Leute waren theils alle geflüchtet, oder versteckt, theils waren sie zu Graf Donaten ins Lager geeilt, um durch freywillige Uebergabe ihr Schicksal zu erleichtern, ich blieb also nach Elisabeths Abreise der Wuth meines Gemahls ganz allein überlassen. Welche Parthie sollte ich ergreifen, da hier ein schneller Entschluß nöthig war?

Wir kamen am Ende darinn überein, daß ich in Gerungus und Udalrichs Begleitung mit Elisabeth zum Grafen Donat ziehen, und der Abt in meiner Abwesenheit auf dem Schlosse bleiben sollte, Graf Walters zu hüten; ein Geschäft, dessen er sich, wie mich dünkte, mit Unwillen unterzog, und das er doch bey der vielen Gewalt, die er über meinen unglücklichen Gemahl hatte, sehr gut verwalten konnte.

Wir zogen unsern Weg so langsam wie derjenige pflegt, der seinem Unglück entgegenzugehen denkt. Der gelehrte Gerungus bemühte sich, die zagende Elisabeth durch alle Trostgründe der Philosophie und der Religion bey gutem Muthe zu erhalten, indessen ich aus dem einfältigen Udalrich vergebens etwas zu erfragen suchte, was mich in meinen Hoffnungen oder Besorgnissen bestärken könne. Dieser Mann war sicherlich dem Herzen und dem Wandel nach der beste unter Wiherus ganzer Brüderschaft, aber so eingeschränkten Blickes, daß die Welt vor seinen Augen hätte untergehen können, ohne daß er zu sagen gewußt hätte, wie es zugegangen war. Alles, womit er mich zufrieden zu stellen suchte, waren unabläßige Versicherungen, es habe keine Gefahr mit unserer Reise, aber die Beschaffenheit des ganzen Vorgangs war ihm, wie es schien, so verborgen als mir.

Wir nahten uns jetzt Graf Donats Gezelt, mein Herz begunnte heftiger zu schlagen; was hatte ich von demjenigen zu hoffen, welcher geschworen hatte, mich Lukretiens Schatten zum Opfer zu schlachten? Doch faßte ich mich, schlug meinen Schleyer zurück und ging muthig voran, wohin man uns führte. Ich warf mich zu Donats Füssen, und suchte alles, was ich von ihm flehen wollte, und wozu mir die Worte fehlten, in einem einigen Blicke zusammen zu fassen. Donats durchdringendes Auge ruhte auf meinem Gesicht, und er wandte sich nach einem der churwaldischen Mönche, der hinter ihm stand, indem er fragte, ob ich die Schöne sey, von welcher man ihm gesagt habe. Man nannte ihm meinen Namen, Noria Venosta, und seine Miene, welche vorher den ganzen Ausdruck des Wohlgefallens getragen hatte, verwandelte sich in verbissene Wuth; er riß sich von mir los, und ging der entschleyerten Elisabeth entgegen, welche sich langsam näherte, und dann mit der Anmuth, die die kleinste ihrer Handlungen begleitete, vor ihm niedersank. Gnade! Gnade! rief sie, indem sie ihre Hände bittend vor ihm faltete, Gnade für die hülflose Unschuld! Sollte der siegreiche Donat wider schwache Weiber, wider einen kranken Vater, wider ein Volk, das sich gern vor seinen Waffen beugt, wüthen können? o das sey ferne!

Donat trat einige Schritte zurück, und sah die kniende Elisabeth mit jenem unerklärbaren Blicke an, den einige Männer in ihrer Gewalt haben. Niemand vermochte zu errathen, ob er die schöne Bittende aus einer für uns günstigen Bestürzung oder aus Verachtung in ihrer Stellung ließ, wie er bey mir gethan hatte.

Stehet auf! rief er nach einer Weile mit einem angenommenen rauhen Tone, wer seyd ihr?

Elisabeth von Rappersweil!

Und diese? indem er auf mich deutete.

Noria Venosta! Meine Mutter und die Eurige! Sie ist eures Vaters Gemahlinn, eures Vaters, der vor eurer Zukunft bebt. O Donat! bedenkt, was das heißt, ein Gegenstand der Furcht für einen reuenden Vater zu seyn! O Gnade! Gnade! für uns alle.

Donat hub die Kniende auf, ohne ihr zu antworten, machte auch mir ein Zeichen, mich zu erheben, und befahl seinen Leuten uns in ein andres Zelt zu bringen.

Gegen den Abend erschien er selbst, uns dasjenige zuzusagen, worauf wir am Morgen vergebens eine Antwort erwartet hatten; er schien ein ganz anderer Mann zu seyn, nachdem er die blutige Rüstung und den drohenden Helm abgelegt hatte. Er war gegen Elisabeth ehrerbietig, gegen mich höflich, er sprach mit Gelassenheit von seinem Vater, nannte Lukretiens Namen nicht, den er sonst, wie man uns sagte, immer im Munde zu führen pflegte, und ließ sich sogar herab, mich einmal Mutter zu nennen. O Elisabeth, rief ich, indem ich das Fräulein von Rappersweil in die Arme schloß, wir werden glücklich sehn! Graf Donat nennt mich Mutter! siehst du in ihm den Schrecklichen, den man uns geschildert hat? O daß Graf Walter hier wär seinen gefürchteten Sohn kennen und lieben zu lernen! er würde ihm alles, alles verzeihen!

Verzeihen? rief Donat, der ein wenig über den ungezwungenen Ausbruch meiner Gefühle lächelte. Derjenige, welcher hier zu verzeihen hat, bin ich, und in Wahrheit Noriens Schönheit kann jede Ungerechtigkeit, selbst die, welche der armen Lukretie wiederfuhr, verzeihlich machen.

Wir sahen, daß sich Donats Stirn bey Lukretiens Namen ein wenig umwölkte, und eilten, die letzte Bitte an ihn zu thun, die wir auf dem Herzen hatten, damit sich nicht seine günstigen Gesinnungen ehr ändern möchten, als wir den gewünschten Vortheil davon genossen hätten.

Wir baten um Erlaubniß zu seinem beängstigten Vater zurückgehen, und ihm die kindlichen Gesinnungen seines Sohnes anmelden zu dürfen. Er weigerte sich, und fragte nach der Ursach unserer Eil. Wir nannten außer der Begierde Graf Waltern schnell zu erfreuen, noch die Unschicklichkeit, hier im Lager unter lauter Männern zu bleiben.

O! rief er, ists nur dieses, was euch eilen macht, so darf ich auf Erlaubniß hoffen, in eurer Gesellschaft meinen Einzug auf Graf Walters Schloß zu halten. Ihr seyd nicht die einigen Damen hier im Lager, ich habe eine Gemahlinn und eine Schwester, welche sich freuen werden, euch zu umarmen, und die, daß ich euch die Wahrheit sage, eure Vorbitterinnen waren, ehe ich noch ganz entschlossen war, was ich auf euer Gesuch antworten sollte.

Es ist unmöglich zu beschreiben, auf wie vielfache Art uns Graf Donats Rede erfreute. Es ist kein Kleines für blöde zaghafte Frauen, an einem Orte, wo sie sich unter lauter wilden Kriegern glaubten, Personen ihres Geschlechts vorzufinden, und hier trafen wir gute weibliche Seelen, welche unsere Vorbitterinnen gewesen waren, ohne uns zu kennen, trafen Donats Gemahlinn! Dieses letzte besonders war Musik in meinen Ohren. Die Blicke unsers Ueberwinders hatten diesen Abend oft auf eine sehr unzweydeutige Art an der schönen Elisabeth gehangen, ich war geneigt Donats unerwartete Milde ganz auf die Rechnung von ihren Reizen zu schreiben. Elisabeth war verlobt, Donat ein Tyrann, was für Auftritte liessen sich von dieser traurigen Verkettung von Umständen voraussehen, welche durch die Nachricht, Graf Donat sey vermählt, durch die Ueberzeugung, er entblöde40 sich nicht, das junge Fräulein, das er mit Wohlgefallen anzusehen schien, seiner Gemahlin vorzustellen, auf einmal in die Reihe der Hirngespinste versetzt wurde.

Wir wurden Graf Donats Frauenzimmer vorgestellt, und mit Wohlwollen aufgenommen, doch schien das Auge der jungen Gräfinn von Vatz mehr mit jener Herablassung41 auf uns niederzusinken, welche man sonst nicht gegen Personen seinesgleichen annimmt, als mit ungeheuchelter Freundlichkeit, mit welcher uns die liebenswürdige Adelheit von der Wart, die man uns Graf Donats Schwester nannte, entgegen kam.

Ueberhaupt machte der Anblick der Gräfinn Imagina, so nannte sich Graf Donats Gemahlinn, nicht den vortheilhaftesten Eindruck auf uns. Das Wenige, was sich von ihr sagen ließ, war, sie war nicht schön, und die hohe Miene, welche sie anzunehmen wußte, diente keinesweges dazu, sie reizender zu machen.

Aber wie soll ich die einnehmende Frau von der Wart beschreiben? Dies sagte ich zu Elisabeth, als ich mit ihr allein war, dies soll Lukretiens Tochter und Graf Donats Zwillingsschwester seyn? findest du in diesem sanften Gesicht nur einen Zug, den sie mit ihren nächsten Verwandten gemein hätte? Elisabeth fand Aehnlichkeit mit beyden, und wir kamen endlich darinn überein, daß frühes Unglück Lukretiens Augen, die man bey mehrerer Aufmerksamkeit an ihrer Tochter nicht verkennen konnte, ihr wildes Feuer benommen haben müsse, und daß zarte Weiblichkeit ihrem hohen Wuchs und dem stolzen Gliederbau, in welchem sie ganz das Ebenbild ihres Bruders war, das Auffallende entzog.

Wir verbrachten die Nacht nach einem Tage, an welchem wir so viel überstanden und erfahren hatten, sehr unruhig. Als wir auf Graf Donats und seiner Damen Einladung einwilligten, diese Nacht im Lager zu bleiben, und erst des andern Morgens mit dem ganzen Heer aufzubrechen, so bestanden wir darauf, daß dem beängstigten Walter wenigstens Boten geschickt werden müßten, ihn von den Nichtigkeiten seiner Besorgnisse zu benachrichtigen, und Adelheit hatte Anstalt gemacht, daß Gerungus und Udalrich, unsere Begleiter, nach dem Schloss zurück gingen, ihren Abt von dem beschwerlichen Amt, der Hüter eines Mannes zu seyn, der seiner Sinne nicht ganz mächtig war, ablösten, und ihn ungesäumt mit Nachricht von dem Ergehen des unglücklichen Grafen von Vatz nach dem Lager zurück schickten. Die Frau von der Wart hatte sie selbst begleiten und sich ihrem unglücklichen zuvor nie gesehenen Vater zu Füssen werfen wollen, ohne von ihrem Bruder die Erlaubniß erhalten zu können, und sie theilte jetzt unsere angstvolle Unruhe, als eine Stunde der Nacht nach der anderen verschlich, ohne daß sich ein Bote vom Schlosse sehen ließ.

Adelheit befand sich in einer außerordentlichen Wallung, die ich unmöglich der Besorgniß um einen Vater, den sie nie gesehen hatte und dessen Schicksal in ihres Bruders Händen stand, zuschreiben konnte; sie hatte sich des Abends nach der Tafel fast ohne Abschied von uns getrennt, und kam jetzt nach Mitternacht allein mit einer dunkeln Leuchte zu uns, unter dem Vorwand, uns die vergessene gute Nacht nachzubringen, und sich mit uns von dem Gegenstand unserer gemeinschaftlichen Unruhe zu unterreden; aber daß dieses nicht das einige Geschäft war, welches sie zu uns brachte, fiel in die Augen. Ihr lag etwas auf dem Herzen, welches sie so lang zögerte, uns zu eröffnen, bis wir gestört wurden. – Imagina trat, ehe wir es uns versahen, herein, und bat mit einer Miene um Vergunst unsere nächtliche Unterhaltung theilen zu dürfen, die uns ihre Gegenwart als eine Gnade anrechnete, welche sie uns ungern wiederfahren ließ.

Adelheit fragte mit ihrer gewöhnlichen Holdseligkeit, was ihre geliebte Schwester veranlasse, sich die nöthige Nachtruhe abzubrechen? Wenigstens, fuhr sie fort, könnt ihr nicht die nehmliche Ursach der Schlaflosigkeit haben, wie wir, die um das ungewisse Schicksal eines Abwesenden besorgt sind, und den ausbleibenden Nachrichten von ihm mit Unglücksahndungen entgegen sehen.

Auch ich konnte kein Auge schliessen, erwiederte die unmuthige Gräfinn, indem sie die Augen rieb und herzlich gähnte, der Schein des Lichts lockte mich hieher, und ich war sehr verwundert, sehr erfreut, wollte ich sagen, auch euch hier zu finden.

Wie ist es doch irgend einem verständigen Wesen möglich, sich in einen Zirkel einzudrängen, wo es kein Geschäft hat, als den Endzweck der geschlossenen Gesellschaft zu stören. Imaginens Lage mußte so unleidlich seyn als die unsrige; sie kämpfte mit dem Schlafe und wir mit der peinlichsten Ungeduld, sie entschlummert oder entfernt, und uns in Freyheit zu sehen, Dinge zu hören, welche, wie uns immer deutlicher ward, für uns auf Adelheits Lippen schwebten.

So quälten wir uns gegenseitig eine halbe Nacht hindurch, bis jener Zufall uns aus einander scheuchte, welcher mir ewig gleich unvergeßlich und unerklärbar seyn wird. – Es war weit gegen den Morgen. Wir schwiegen alle, weil wir einander nichts zu sagen hatten. Adelheit hatte schon einigemal Miene gemacht, uns gute Nacht zu sagen, ohne daß sie sich überwinden konnte, die Hoffnung auf irgend einen unbewachten Augenblick aufzugeben. Die Lichter brannten dunkel. Imagina schloß jetzt die Augen, und ließ den Kopf mit der unverkennbaren Miene eines Entschlafenden auf die Schulter sinken.

_______________________

Elisabeth, Gräfinn von Toggenburg, an ihren Bruder, Ludwig, Grafen von Mätsch.

Hier, mein Bruder, hast du den Anfang meines Versprechens in der Geschichte der Unglücklichen Noria Venosta, welche meine Aufmerksamkeit auf tausendfache Art reizt. Ich hatte sie irrig für vollständig gehalten, und finde nun, daß sie nichts ist, als ein Fragment. Vielleicht habe ich unvorsichtig die Aebtißinn zu viel von dem geplünderten Archiv zurücknehmen lassen, vielleicht auch, und dies ist mir wahrscheinlich, vernichtete die Zeit den Rest von dem, was zu erfahren ich nicht ohne Begierde bin. Einige abgerissene Stücken und das Ende der Geschichte fand ich noch, und sie dienten nur dazu, eine Neugier zu vermehren, welche unbefriedigt geblieben seyn würde, wenn ich mich, von der Mühe in bestaubten Papieren zu wühlen, hätte abschrecken lassen, und nicht aufmerksam genug gewesen wär, in der Geschichte manchen Wink zu finden, wo ich zu suchen habe. Die Geschichten der Elisabeth von Homburg und der Lukretia Malatriti, deren Noria Erwähnung thut, sind für uns verloren, aber von den beyden Fräulein von Sargans, an welche Noriens Erzählung gerichtet, ist, fand ich viel; viel von der edeln, ach der beklagenswürdigen Frau von der Wart, auch einige Briefe von ihrer Hand geschrieben, die ich dir, so bald sie gelesen sind, mittheile, besonders den einen, welcher, wie mich dünkt, genau an die Lücke von Noriens Erzählung paßt, welche du und ich beklagen.

Fragst du nach der Würkung, welche diese Lectür auf mein Herz that? – O Bruder! es ist nur gar zu wahr, daß der Unglückliche überall sein Bild zu finden meynt. Noria und ich, dem Anschein nach, welch ein ungleiches Paar! Und doch wie leicht war es vielleicht möglich, daß beyde Schwestern im Unglück wurden? War Henrich von Montfort, um dessen Verlust so viel tausend Thränen geflossen sind, vielleicht bey seiner schönen Außenseite, eben das Ungeheuer, welches Walter von Vatz bey der Seinigen war? und erflehte ich vielleicht mit meinen Zähren um ihn vom Himmel mein Unglück? – O Vorsicht42! laß mich nie murren, wenn du mir ein Gut entrücktest, dessen wahren Gehalt du besser kanntest als ich! Ich flehte um mein Glück, und du gewährtest es mir in Entreissung dessen, was mich vielleicht unaussprechlich elend gemacht hätte.

_______________________

Adelheit von der Wart, an Noria Venosta.

O ihr, die ich mit Freuden Mutter nennen würde, da ihr die Gemahlinn meines unglücklichen Vaters seyd, wenn nicht diejenige, welche mich die Natur mit diesem theuren Namen nennen lehrte, mir ihn auf ewig verbittert hätte! Freundinn! künftige Vertraute! war es eine Erscheinung, oder erblickte ich würklich diejenige, deren Bild mein Herz sich so oft mahlte, ohne je das Original dazu zu finden?

Ach wir sind getrennt, getrennt, wie ich es befürchte, und der Schade dieses Verlusts ist nicht mein allein, es ist leider auch der eurige!

O daß ich in jener unglücklichen Nacht, da ich zu euch schlich, euch und eure schöne Mitgefangene zu warnen, so zögernd mit dem Bekenntnisse zu Werke ging; es sey dem Grafen von Vatz nicht zu trauen! – Verzeihet! Donat war mein Bruder! es ist schwer von einem Bruder das Schimpflichste zu gestehen!

Um Gottes und der heiligen Jungfrau willen, laßt euch nicht durch seine Freundlichkeit täuschen; ergreift auf eurer Reise nach dem Schlosse den ersten Augenblick zur Flucht, denn seyd ihr erst auf demselben angelangt, so wartet eurer der Tod oder ein schimpfliches Gefängniß, und das Fräulein von Rappersweil hat ein noch traurigeres Schicksal zu besorgen.

Jener Klostermann, Abt oder was er ist, der uns mit seinem heuchlerischen Gefolge entgegen zog, Gnade vor euerm Ueberwinder zu erflehen, wußte meinen Bruder auf seiner schwächsten Seite zu fassen, er versprach ihm seine Schonung mit dem Besitz einer jungen Schönheit zu vergelten, von welcher er vorgab, sie sey in seiner Gewalt. Donat, welcher nie der Geistlichkeit zu trauen pflegte, wollte die Erfüllung des Versprochenen auf der Stelle sehen, und die unglückliche Elisabeth ward dem Räuber ihrer Ehre entgegen geführt. Ihr begleitetet sie und vermehrtet durch euren Anblick das Feuer, mit welchem ich mich entschloß, die Unschuldige zu retten, so wie ich schon mehrere gerettet habe, die mit ihr im gleichen Fall waren.

Ich erblickte euch, Noria, und welchen Eindruck machtet ihr auf mein nach weiblicher Freundschaft schmachtendes Herz! O ihr kennt nicht meine ganze Lage, sonst würdet ihr errathen können, wie nöthig dieses Glück mir ist, nach welchem ich so lang vergeblich schmachtete. Zwar meine Schwester! – doch ihr kennt Imagina und werdet sie noch besser kennen lernen.

Imagina ist die Vertraute der Ausschweifungen ihres Gemahls. Blos das Versprechen der niederträchtichsten Nachsicht in diesem Stück und ihr Reichthum konnte sie zu Donats Gattinn machen. Sie ist weder schön noch gut, und haßt jedes weibliche Geschöpf, welches die Eigenschaften hat, welche ihr fehlen. Auch mich haßt sie und ich bin genöthigt ihr zu schmeicheln, um, da ich von dem, welcher mich schützen sollte, meinem unglücklichen Gemahl, getrennt leben muß, nicht ganz elend zu seyn.

Ihr sollt einst meine ganze Geschichte wissen, jetzt nur die Wiederholung meiner Warnung. Scheints doch, als ob selbst unsichtbare Mächte euch warnen wollten! Was war jenes seltsame Schrecken, das uns in voriger Nacht, da Imaginens Gegenwart mir die Zunge band, euch das zu entdecken, was ihr jetzo erfahrt, was war es, das uns so plötzlich auseinander scheuchte? Wars ein Gesicht, das wir sahen? ein Schall, den wir hörten? streifte die kalte Hand des Todes über unsern Nacken? – Voll Entsetzen sprangen wir alle auf, und sahen uns mit bleichen Gesichtern und der Frage an: Was war das? Selbst die halb entschlummerte Imagina bebte aus ihrer Betäubung empor, und zog mich mit kalter zitternder Rechte aus eurer Wohnung: O gewiß war dieses die Mahnung eures Schutzgeistes, der das vollenden wollte, was mich Imaginens Gegenwart zu thun hinderte. – Wenn ich der ganzen geheimnisvollen Eignung nicht noch eine andere Deutung geben soll. – Ich weiß nicht warum mich seit jenem Augenblicke des Schreckens, da ich euch zuletzt sah, der Gedanke an meinen Vater so fürchterlich verfolgt. Ich hoffe, es ist ihm kein Unglück begegnet, er ist ja in den Händen seines Sohns? Donat ist nicht Unmensch genug, die ersten Rechte der Natur zu verletzen!

O guter, guter Vater! seit ich Noria Venosta sahe, wallt mein Herz auch gegen dich von kindlichen Gesinnungen! Wie verächtlich, wie verabscheuenswürdig schilderte man mir diejenige, um derenwillen meine Mutter verstossen ward, und wie fand ich sie! Nöthigte ihr einnehmender Anblick nicht selbst meinem wilden Bruder Ehrerbietung ab? – O gewiß! man hat mich in Ansehung Graf Walters auf ähnliche Art getäuscht, ich werde noch das Glück geniessen, mich in die Arme eines guten Vaters zu werfen!

Noch einmal, theure Noria, Vorsicht für euch und Elisabeth, und für mich, schleunige Nachricht, wie es auf dem Schlosse stehet, wenn ihr dem Unglück dahin gebracht zu werden nicht entgehen könnet, und Gelegenheit findet mir bey diesem treuen Boten zu antworten. – Von mir nur so viel: Man ahndete meinen Entschluß euch zu warnen. Imagina ward in jener Nacht, da man muthmaßte, ich habe mich in dieser Absicht zu euch geschlichen, ausgesandt meiner zu hüten. Unter dem Vorwand von Krankheit mußte ich diesen Morgen bey eurem Zuge nach meines Vaters Schlosse zurückbleiben, um eure Rettung unmöglich zu machen. Ich werde nach Basel zu der Aebtißinn des Marienklosters, meiner heimlichen Freundinn gebracht, woher ihr mehr von mir hören sollt, denn ich hoffe durch meinen Boten euer ganzes Schicksal zu erfahren, damit ich versuchen kann, etwas zu eurer Rettung zu unternehmen.

Adelheit von der Wart.

_______________________

Noria an die Aebtißinn zu Basel.

Ihr fordert Erklärungen von mir, welche meinem Herzen schwer werden. Ich habe die ganze Geschichte meines unglückvollen Lebens zum Besten meiner Enkelinnen verfaßt, und ihr sollt sie einst lesen, wenn ihr eure Schwester unsere Domina besucht. Vor der Hand nur so viel. Nach jenem Augenblicke, da uns eine verborgene Hand, die Warnerinn vor künftigen Unglück schreckte, da wir alle etwas sahen, etwas fühlten, etwas vernahmen, ohne noch bis jetzt beschreiben oder begreifen zu können, was es war, nach jenem unglücksvollen Augenblick, da ich meinen Schutzgeist, eure und meine Adelheit von mir eilen sah, und in ihrer Entfernung den Tod, ich weiß selbst nicht warum, ahndete, fingen sich neue, von mir geprüften Unglückskennerinn noch nicht gekannte Leiden an. Jahre sind seit dem vergangen, wie soll ich alles erzählen!

Wir brachen am Morgen nach dem Schlosse auf, und Adelheit blieb, wie man sagte, krank zurück. Von der Burg kam uns die Post von dem Tode meines unglücklichen Gemahls entgegen. Wiherus, den wir zu seiner Hut zurückgelassen hatte, mochte seiner zu saumselig gehütet, oder sein elendes Leben verwahrloßt, oder (welches mir schier unglaublich dünkt, ungeachtet seine Feinde davon flüstern), selbst Hand angelegt haben ein unnützes Geschöpf von der Erde zu vertilgen. Dieses war das Wort, mit welchem sich der Freche erkühnte, Graf Donaten die Post von dem unglücklichen Ende seines Vaters zu bringen, und ich hatte die Genugthuung, zu sehen, daß der nunmehrige Graf von Vatz ihm auf die Art lohnte, wie er es verdiente.

Obgleich, in meiner langen, ach langen unterirdischen Gefangenschaft, die ich noch am Abend meines Einzugs auf dem Schlosse, das eigentlich mir gehörte, antreten mußte, mir meine Wärter, welche nach und nach mild und gesprächig wurden, oft sagten, der Abt von Churwalde sey wieder völlig mit Graf Donaten ausgesöhnt, und nehme fleißig Antheil an den schwelgerischen Festen, davon ich das Toben oft in meiner Tiefe vernahm.

Ich war nicht ganz verlassen, mein Schutzengel, meine hülfreiche Adelheit, wußte jeden kleinen Umstand zu meinem Besten zu nützen. Am ersten Abend unserer Bekanntschaft, ach das einige, einige mal, da ich die Theure sahe, die mir nachher nie wieder erschien! gab es zufällig die Rede, daß Kaiser Rudolfs Töchter meine Jugendfreundinnen gewesen waren, und die sinnreiche Freundschaft baute auf diesen Umstand meine Rettung. Adelheid wußte durch ihren Boten mein Schicksal, und sie war nicht sobald aus dem Kloster in die große Welt zurückgekehrt, als sie alles anwandte, mich meinem Kerkermeister, dem grausamen Donat, mit harter Hand zu entreissen.

Sie, die fast in einem Augenblicke die festeste Freundschaft für die arme Noria gefaßt hatte, sie, die bey ihren wenigen Kräften so viel für mich that, konnte freylich nicht anders denken, als daß sechs mächtige Fürstinnen gleich thätig seyn würden, eine alte Jugendgespielinn dem Elend zu entreißen. Leider irrte sie: Kaiser Rudolfs Töchter waren die Gemahlinnen großer Fürsten geworden, und dachten nicht mehr an diejenige, welche sie ehemals als ihres gleichen behandelten, und tausendmal schwuren, nie zu vergessen. Nur eine von ihnen, Agnes, die Herzogin von Sachsen, ließ sich durch Adelheits unabläßiges Bitten erweichen, und drang mit ihrer Macht beym Kaiser zu meiner Erlösung durch.

Ich ward dem Grafen von Vatz und Sargans, dem unrechtmäßigen Besitzer meiner Güter entrissen, aber ich mußte mir meine Befreyung durch feyerliche Entsagung aller meiner Rechte erkaufen. Gern that ich dieses; ich kannte seit Jahren kein anderes Gut als die Freyheit, und da ich nun frey war, keinen Wunsch, als Ruhe in einem Kloster. Elisabeth von Rappersweil hatte während der ersten Zeit meines Gefängnisses ein noch traurigeres Schicksal gehabt, als ich in meinem Kerker erfuhr, und ich verweise euch hierinn auf ihre von mir selbst verfaßte Geschichte. Die rhätischen Frauen wußten von jeher die Feder wohl zu führen, und liessen in dieser edeln Kunst manchen der gelehrtesten Mönche zurück. – Beklagenswürdige Elisabeth! was fühlt man, wenn man dich so in deinem eigenen rührenden Ton von deinen Leiden und Versuchungen, welche einem schwachen Fräulein fast zu mächtig waren, reden hört!

Der verliebte Donat ließ keine Kunst der Verführung unversucht, die Edle von der Bahn der Tugend und Treue abzulenken, und Imagina bot ihm dazu treulich die Hand. Es ist erschrecklich, daß ein Weib ihrem Gatten selbst Bahn auf dem Wege der Ausschweifungen machen, selbst Hand anlegen sollte, das Heiligthum der Unschuld in einem weiblichen Herzen zu zerstören, auch glaube ich, daß es, seit die Welt steht, nur eine Imagina gab, die solcher Unthat fähig war.

Grausamkeit und Gewalt folgten den schmeichelnden Kunstgriffen der Verführung, und Ludwig von Homburg fand, als er nach einigen Monaten, die er in Ungewißheit wegen des Schicksals seiner Braut zugebracht hatte, nach der Donatsburg kam, seine Erwählte zu retten, sie in einem unterirdischen Kerker, der dem Meinigen fast gleich gewesen seyn soll. Ich hörte das Geräusch ihrer Rettung, und hoffte auf die Meinige, aber – ich hoffte vergebens. – Mein schwaches Geschrey ward nicht gehört, man vermuthete hier keine Gefangene. Man hatte meine junge Freundinn und ihren Verlobten von meinem Tode zu überführen43 gewußt; sie weinten unnütze Thränen auf mein Grab, das man ihnen betrügerisch zeigte, indessen ich lebendig in einer Todenhöle schmachtete, und nach der vereitelten Hoffnung auf Erlösung in die tiefste Verzweiflung hinab sank, bis mich Zeit und Glaube an Gott wieder empor huben.

Die ganze Folge von Elisabeths Entführung für mich bestand in engerer Einkerkerung. Diese rasche That des Grafen von Homburg hatte nur in Donats Abwesenheit glücken können, und dieser verließ nunmehr sein Schloß wenig, um nicht ähnliche Unfälle erfahren zu müssen. Man sagt, die Wohnungen der Verworfenen glühen mit doppeltem Feuer, wenn der Fürst der Hölle von seinen Wanderungen in dieselben zurückkehrt, so auch auf der Donatsburg; jedes Geschöpf athmete schwerer, wenn er zugegen war; wie mußten sich nicht die Quaalen einer armen Gefangenen zu solchen Zeiten vermehren!

Doch ward ihm seine Hand gehalten, mich nicht zu tödten; weil ich gerettet werden sollte. Meine Erlösung erschien so, wie ich vorhin erwähnt hatte, und Donat ließ sich herab, mich selbst aus meinem Kerker zu führen, mich vor den Abgesandten des Kaysers und der Herzoginn von Sachsen hoch zu ehren und Mutter zu nennen. Der Elende! Wie hätte dieser heilige Name und die Zeichen seiner Tyrannei die ich an mir trug, gegen einander vor unpartheiischen Zeugen abstechen, welche Strafen hätten sie ihm bereiten müssen! aber die Männer, denen ich ausgeliefert wurde, begnügten sich, mir meine Freiheit verschafft zu haben, dies war das einzige, was ihre Instruction wörtlich enthielt. Die Entsagung aller meiner Rechte war wohl nicht die Absicht meiner Retter gewesen, aber ich war bereit zu derselben, war zu schwach das, was mir zukam, gegen einen mächtigen Tyrannen zu behaupten. Auch waren die, welche für mich hätten handeln können, Hedwig von Rappersweil und Elisabeth von Homburg, fern, und mit meinem Schicksal unbekannt.

Ich eilte unter dem Schutze der kayserlichen Abgeschickten, denen zu trauen ich so wenig Ursach hatte, an den Ort der Sicherheit, den ich mir gewählt hatte, aber ich ließ in Donats Schlosse etwas zurück, wobey ich gern noch länger verweilt, oder noch lieber, es mit mir genommen hätte. Der Graf von Vatz, welcher sich Gewalt anthat, mir binnen den Tagen, in welchen ich Kräfte zu meiner Abreise sammeln mußte, alle Ehre zu erzeigen, stellte mir seine Töchter, oder meine Enkelinnen, wie er sie zu nennen beliebte, vor. Himmlische liebenswürdige Geschöpfe, in den ersten Jahren der lächelnden Unschuld, zur Zeit meiner Einkerkerung geboren. Imagina war bey der Geburt dieser Zwillingsschwestern gestorben, und der Verlust ihrer unwürdigen Mutter würde Gewinn für sie gewesen seyn, wenn ihnen der Himmel nicht einen Vater gelassen hätte, bey welchem sie frühzeitig an Leib und Seele verwahrlost werden mußten. O Ursula! o Kunigunde! Wie lieb wurdet ihr mir in den kurzen Tagen unserer Bekanntschaft! Ihr hingt euch an meinen Arm bey meiner Abreise und weintet mir nach! O hättet ihr das Herz sehen können, das sich so ungern von euch trennte! Ich sah Graf Donaten mit wehmüthigem Blick an, und wagte eine kühne Bitte, aber seine Stirn umwölkte sich, und er fragte mit spottendem Ton, ob ich seiner Redlichkeit nicht ohne Geisseln trauen wollte?

Gott lob, ich habe hinfort nichts mit seiner Redlichkeit oder Unredlichkeit zu thun gehabt, die Mauern dieses guten Klosters und die Macht der Aebtißinn von Zürich schützen mich! Auch hat es mir hier nicht an überraschenden Freuden gefehlt. Die jüngste von Kayser Rudolfs Töchtern, die stille fromme Euphemia, sie, die wegen ihres weisen Ernsts von ihren muntern Schwestern, und von der feurigen Noria in jenen Zeiten muthwilliger Jugend immer verlacht, und niemals in unsern Zirkel gezogen wurde, empfing mich mit offenen Armen an dem Orte meiner Sicherheit, und bot mir eine Freundschaft, an, die ich jetzt erst zu schätzen wußte, da Unglück und Jahre mich weise gemacht hatten.

Von ihrer Schwester, der Herzoginn von Sachsen, hatte sie mein Schicksal erfahren, und war aus ihrem Kloster zu Tull, wo sie das Leben einer Heiligen lebte, herübergekommen, meine Ankunft zu erwarten, und mich persönlich wegen des ausgestandenen Elends zu trösten. Ach ihre Anwesenheit war vielleicht das wirksamste Mittel meiner Rettung gewesen! Noria wär vielleicht tod und verloren geblieben, wenn die Augen dieser huldreichen Prinzeßinn nicht in der Nähe gewacht hätten.

Gott! was habe ich ihr nicht alles zu danken! den Umgang meiner Hedwig und meiner Elisabeth, welche über mich als eine Wiedererstandene jauchzen; eure Bekanntschaft und euren Briefwechsel, heilige Frau, und ach, die Hoffnung, einst meine Retterinn, Adelheit, wieder zu umarmen. Bis dieser glückliche Augenblick erscheint, ehrwürdige Mutter, werde ich nicht aufhören, euch um genauere Nachricht von den Schicksalen dieser unvergleichlichen Freundinn zu bitten. Sie müssen sonderbar und traurig seyn, und ein Kloster ist recht der Ort, durch solche Geschichten die Empfindungen frommen Mitgefühls und stiller anbetender Bewunderung göttlicher Führungen zu nähren.

Noria Venosta.

Elisabeth, Erbin von Toggenburg. Oder Geschichte der Frauen von Sargans in der Schweiz

Подняться наверх