Читать книгу In der Pfütze schwimmt ein Regenbogen - Christina Conradin - Страница 8
WIR BESUCHEN OPA, OMI UND UROPA AUF DEM BAUERNHOF
Оглавление„Fahren wir morgen wirklich zu Opa und Omi?“, frage ich Mama im Bad beim Zähneputzen.
„Aber ja! Omi feiert doch übermorgen Geburtstag“, erwidert Mama. Zusammen im Bett liegend beginnt Mama die Geschichte von Paul, dem Kaiserpinguin, weiterzulesen:
Kaiserpinguinmama Adele macht sich sofort auf die Suche nach Nahrung für die Kleine. Kaiserpinguinjungtiere bekommen oft nur alle drei bis vier Tage etwas zu fressen, weil die Eltern einen weiten Weg zum Meer haben. Im Sommer, wenn die Pinguinkinder größer sind und noch mehr zu essen brauchen, ist der Weg zum Jagen ins Meer nicht mehr so weit, weil viel Eis um sie herum geschmolzen ist. Glücklich gibt Papa Paul seiner Tamara ihre erste Mahlzeit. Obwohl er selber Hunger hat, würgt er Magensekret für seine Tochter heraus. Dann warten sie auf Mama Adele mit der ersten richtigen Fischmahlzeit ...
Eigentlich möchte ich unbedingt wissen, wie es weitergeht, aber plötzlich fällt mir etwas Dringendes ein.
„Du darfst schon weiterlesen, Mama“, sag ich zu ihr, streichle Mama über den Kopf, wie sie es bei mir immer macht, und gehe hinunter zu Papa, um ihm eine wichtige Frage zu stellen. Unten in der Küche angekommen stürme ich auf Papa zu: „Kriegen wir morgen unser versprochenes Eis? Du hast letztes Mal gesagt, wenn es wärmer ist …“, schreie ich Papa entgegen.
„Ganz ruhig, meine Kleine. Erstens gehörst du ins Bett, zweitens kannst du in einer ganz normalen Lautstärke mit mir sprechen und drittens, ja, es ist schönes Wetter angesagt, also bekommt ihr euer Eis.“ Papa wird immer leiser und deutet auf die Türe Richtung Treppenhaus. Er lächelt und erhascht sich noch einen weiteren Gutenachtkuss.
Mama steht schon auf der Treppe, als ich ihr in die Arme laufe: „Bin schon da und gute Nacht!“, beeile ich mich zu sagen, schon weiter auf dem Weg ins Bett.
„Gute Nakt, Nini!“, ruft Ben von der anderen Seite des Schranks.
Obwohl freie Zimmer zur Verfügung stünden, teilen Ben und ich uns einen großen Raum. Lediglich ein riesiger, weißer Schrank trennt unsere Bereiche ab. Besonders abends können wir über unsere Trennwand hinweg noch lustig sein, wie Ben es nennt. Wenn man laut spricht, versteht es der andere im „anderen Zimmer“. An manchen Abenden machen wir Geräusche und kichern dabei, bis uns Papa oder Mama schimpfend um Ruhe bitten. Dann ist es aber mindestens genauso lustig.
Tagsüber zieht sich Ben oft auf den Dachboden zurück. Dort hat er sich eine Chillecke eingerichtet. Häufig hört man ihn Gitarre spielen. Mit seinen Freunden ist er ebenfalls in der Regel dort oben. Woraufhin man das Gefühl hat, dass die Wände im oberen Stock von der lauten Musik zu wackeln beginnen.
„Schlaf gut, großer Bruder!“, erwidere ich Ben heute voller Vorfreude auf den nächsten Tag.
Bevor wir am nächsten Morgen fahren, passiert allerdings noch etwas Schreckliches: Meine Lieblingsgiraffe ist weg. Papa ist gerade dabei, unsere Sachen ins Auto zu packen, da stürme ich verzweifelt aus dem Haus.
„Papa, ohne Gigi kann ich nicht mitfahren! Wo ist meine Giraffe?“ Ich weine und schreie und kenne mich selbst kaum mehr. Mama kommt auf mich zu und nimmt mich in den Arm: „Ganz ruhig, mein Mäuschen. Wir finden Gigi bestimmt!“
„Nein, ich hab schon üüüüberall gesucht!“, schluchze ich, „Gigi, oh nein!“ Ich steigere mich so hinein, dass meine Augen wehtun und mein ganzer Kopf brummt.
„Beruhige dich, Nini! Wegen so ‘nem Stofftier brauchst du dich wirklich nicht so aufzuregen!“, meint Ben ganz irritiert von meinem Nervenzusammenbruch. Trotzdem helfen alle beim Suchen. Mama und ich machen uns oben auf die Suche, Ben unten und Papa ist sogar wegen Gigi im Garten unterwegs. Aber keine Gigi ist in Sicht! Nach einer ganzen Weile hält Papa mir die Autotür auf: „Wir müssen jetzt los, sonst kommen wir in den starken Verkehr. Wir haben einen weiten Weg vor uns.“
„Aber! …“, seufze ich nur noch leise und setzte mich nachdenklich und traurig ins Auto. Ab und zu kullert mir noch eine Träne über die Wange.
Opa Emil, Omi und der Uropa wohnen sehr weit weg, leider. Sie haben einen Bauernhof mit Kühen und außergewöhnlichen Hennen in den Bergen. Diesmal bleiben wir dort nur für ein Wochenende, da Papa wieder arbeiten muss. Auf Omis Geburtstag freue ich mich sehr, obwohl Gigi nicht dabei ist. Um mich abzulenken, lese ich in meinem Buch weiter, das Mama mir in meinen Sitzschoner gepackt hat.
Plötzlich merke ich jedoch, dass mir furchtbar schlecht wird. Die Strecke durch die Berge ist sehr kurvenreich.
„Mama, ich bin schlecht!“, rufe ich nach vorne. Da ist es auch schon zu spät.
„Nini ist übergelaufen“, fügt Ben hinzu. Er hat mir in letzter Sekunde seine Mütze hingehalten. Papa hält sofort am Straßenrand und Mama holt mich aus dem Auto.
Die frische Luft tut gut.
„Ben, da hast du aber toll reagiert. Jetzt ist wenigstens nicht das ganze Auto voll.“
„Nur meine Lieblingsmütze, die kann ich jetzt wegschmeißen“, sagt Ben etwas angeekelt von der Mütze, die er noch immer in den Händen hält. Doch Mama nimmt sie ihm ab und meint: „Die bekomme ich schon wieder sauber, keine Sorge!“ Sie steckt die Mütze in eine Plastiktüte und macht einen festen Knoten hinein. Nachdem ich einen kleinen Schluck Wasser für einen besseren Geschmack im Mund getrunken habe, fahren wir nach etwa fünf Minuten weiter. Fast die ganze restliche Fahrt trällern wir nun alle uns bekannten Lieder rauf und runter, denn Mama ist überzeugt, dass Singen gegen Übelkeit hilft. Ich liebe es, wenn wir gemeinsam im Auto singen. Mama kennt alle Texte auswendig. Eine Stunde lang können wir uns so gut die Zeit vertreiben.
Als wir endlich am Ziel sind, kommt Opa Emil sofort aus dem Kuhstall und begrüßt uns freudestrahlend. Ben und ich laufen ihm in die Arme. Es dauert nicht lange, da hat Ben Opas neues Auto entdeckt, ein nigelnagelneuer schwarzer Mercedes.
„Darf ich mich mal reinsetzen?“, ertönt es sofort aus Bens Mund. Schon sitzen er und Opa begeistert im neuen Wagen. Ich geselle mich auf der Rücksitzbank dazu und beobachte Ben, wie er auf all die vielen im Auto verteilten Knöpfe drückt. Mama klopft gegen die Scheibe und ruft: „Verstell Opa nicht alles!“, woraufhin Opa mit stolzer Miene: „Lass ihn halt!“ erwidert. Doch bald schon wird es unter Opas Po ziemlich heiß.
„Ben, wo hast du die Sitzheizung angestellt? Mir ist zu heiß.“ Bens Lächeln entnehme ich, dass er genau weiß, wohin er drücken müsste. Kurz lässt er Opa noch zappeln und schwitzen, schaltet dann jedoch die Sitzheizung wieder aus.
„Schau, Opa Emil, hier sind die Regler für die Sitzheizung“, erklärt er seinem Großvater mit geschwollener Brust.
In dem Moment öffnet Papa die Autotür: „Kommt raus ihr zwei! Wir gehen Omi und den Uropa in der Küche begrüßen.“ Omi kommt uns im Hausflur bereits überglücklich entgegen: „Da seid ihr ja! Ich freue mich so euch zu sehen!“ Nachdem wir mit dem Begrüßen fertig sind, stellt Omi die entscheidende Frage: „Ihr habt bestimmt Hunger, stimmt’s?“
„Au ja, es duftet so gut nach deinem Schweinebraten mit Rosmarinkartoffeln“, schwärmt Ben, bevor er die Küche betreten hat. „Ich freu mich schon aufs Sachen-Aufessen“.
„Hundeschnauze!“, ärgere ich ihn daraufhin.
„Das Menü hast du gut erraten, Ben! Semmelknödel hab ich auch noch gemacht. Die magst du ja so gerne, gell, Lena?“
„Mmmh“, ertönt es aus meinem schon vollen Mund, den bereitgestellten Omiknödeln kann ich nicht widerstehen.
„Lena, wir essen alle gemeinsam am Tisch!“, grummelt Mama.
„Lass sie halt!“, antworte ich Mama nur, so wie Opa Emil es vorher zu ihr gesagt hat, als Ben sich im Auto vergnügte.
Beim Essen versucht Ben alle Zutaten aus Omis Gericht herauszuschmecken, während Uropa wie so oft nur damit beschäftigt ist, mit einer Fliegenpatsche Fliegen zu fangen. Ab und zu erwischt er eine. „Diese ekligen Viecher“, schimpft er dann. Koriander erkennt Ben immer sofort, denn den mag er besonders gerne. Ich kenne da keinen Unterschied.
„Du wärst bestimmt ein guter Koch, wo du so eine feine Nase und auch Zunge hast!“, wirft Opa Emil ein.
„Vielleicht“, sagt Ben nachdenklich.
„Aber eigentlich möchte ich etwas ganz Großes machen, die Welt irgendwie verändern. Mal seh’n!“
„Ich will mal was mit Tieren machen“, platzt es aus mir heraus.
„So?“, wundert sich Mama.
„Jaaahh, vielleicht ‘ne Hendlbraterei.“ Alle bis auf Uropa, weil dieser so schlecht hört und bestimmt nichts mitbekommen hat, lachen. Wodurch ich nur geknickt schaue und mich nicht ernst genommen fühle.
„Ihr seid gemein!“, unterbreche ich ihr Gelächter.
„Schatz“, meint Papa, „das ist doch nicht böse gemeint. Es ist nur lustig, da man bei einem Beruf mit Tieren, eher an einen Tierarzt oder so denkt.“
„Aber das sind doch auch Tiere!“, erwidere ich.
„Du hast schon recht!“, pflichtet Ben mir bei, während er dem Uropa ungefragt ein Stück Fleisch vom Teller stibitzt.
Uropa ist schon sehr alt. Als wir das letzte Mal hier waren, konnte er gar nicht alleine essen. Heute scheint es ihm wieder besser zu gehen. Er vergisst meist sein Hörgerät einzusetzen und sitzt deshalb oft nur etwas teilnahmslos dabei. Jetzt aber lacht er über das ganze Gesicht. So strahlen sieht man ihn eigentlich nur, wenn Ben irgendwelche lustigen Sachen macht. Dabei funkeln seine noch jungen Augen und er ist für einen Moment ganz präsent und glücklich. Ben drückt dabei wie so oft seine Lippen aufeinander und lächelt verschmitzt und ebenfalls glücklich.
„Wenn alle fertig sind, gehen wir raus, oder?“, schlägt Opa Emil freudig vor.
„Unsere Mutterkuh müsste bald ihr Kaibal bekommen. Vielleicht schauen wir in den Stall. Habt ihr Lust?“
„Auf jeden Fall!“, rufen Ben und ich im Chor, schon ab durch die Mitte Richtung Haustüre.
„Wir räumen für euch mit auf!“, ruft uns Mama mit Nachdruck hinterher.
„Merciii“, ertönt es aus Bens und meiner Richtung, als wir gerade zur Türe hinauslaufen, um unsere Stallklamotten anzuziehen. Diese hängen im Waschraum immer für uns bereit.
Die Arbeit in Opas und Omis Stall macht richtigen Spaß. Immer, wenn wir zu Besuch sind verbringen wir viel Zeit dort. Ben und ich dürfen ausmisten helfen und die Kühe mit frischem Heu füttern. Das Tolle an dem Kuhstall ist, dass es darin nicht so stinkt, wie in den Ställen, in denen ich sonst schon war. Wahrscheinlich weil das große Tor immer auf ist und Opa Emil und Omi sehr oft ausmisten. Die Kühe können frei im Stall umhergehen sowie jederzeit auf die große Weide hinter dem Stall ins Freie hinaus. Wenn Oscar, das ist der große Stier, den Stall verlässt und sich auf die Weide begibt oder von der Weide Richtung Stall unterwegs ist, folgen ihm nach und nach alle anderen Kühe. Das ist sehr lustig zu beobachten. Sogar die kleinen Kälbchen, die sich beim Laufen mit ihren dünnen Beinen schwer tun, stolpern hinterher. Jeden Tag bekommen sie extra für sie frisch gemähtes Gras. Opa Emil mäht von der großen Wiese immer nur so viel, wie die Kühe ungefähr am Tag fressen.
Als wir mit der anstrengenden, aber schönen Arbeit im Stall fertig sind und gerade gehen wollen, ist es tatsächlich so weit. Opa ruft uns zu: „Holt Omi! Erna kalbt!“ Ben und ich laufen schreiend in die Küche und holen die anderen. Omi gibt uns gleich verschiedene nützliche Dinge mit: Tücher, einen Eimer mit warmem Wasser und besonders lange Handschuhe. Aufgeregt kehren wir sofort zu Opa Emil in den Stall zurück. Dort angekommen hängen tatsächlich bereits ein Kopf und zwei knöcherne Vorderbeine aus der Kuh heraus. Alles ist voll Blut, auch Opa. In der Zwischenzeit hat Opa Emil auf dem Boden ein Laken ausgebreitet. Sein linker Arm steckt bis über den Ellenbogen in der Kuh. Papa, Mama, Omi und Uropa im Rollstuhl treffen bei uns ein. Opa und Omi wissen genau, was zu tun ist. Omi hat auch Handschuhe und einen Kittel an. Jeder Handgriff sitzt, sodass schon bald ein Kalb aus der Kuh herausflutscht und vor uns auf dem Boden liegt.
„Ist schon immer wieder aufregend, so eine Geburt!“, schnauft Opa beim Ausziehen von Kittel und Handschuhen.
„Aber“, blicke ich Opa Emil ganz verwirrt an, als ich mich zu ihm auf einen Strohballen setze, „wie bringen wir die Kuh da jetzt wieder rein?“
„Ach, meine kleine Prinzessin, das Kälbchen bleibt jetzt bei uns und wird irgendwann auch eine große Kuh sein“, erwidert Opa und nimmt mich dabei lächelnd in den Arm.
Omi hatte wohl gleich den Tierarzt angerufen, denn dieser kommt schon zur Stalltüre herein. Er hantiert mit verschiedenen Geräten, wobei ihm ein länglicher Stab abbricht.
„So a Glump!“, pflichtet ihm der Uropa bei. Nach seinen Untersuchungen meint der Tierarzt zum Glück, dass bei unserem neuen Kälbchen alles in Ordnung sei.
Draußen wird es schon dunkel, als wir den Stall verlassen. Von dem freudigen und berauschenden Ereignis sind alle ganz erschöpft. Gemeinsam räumen wir unsere Sachen aus dem Auto und beziehen unsere Zimmer. Papa und Mama schlafen in Mamas altem Kinderzimmer, Ben und ich bekommen das gemütliche kleine Zimmer am Ende des Flurs. Dort tollen wir fröhlich umher, bis wir von unten „Brotzeit“ vernehmen. Wie der Blitz beeilen wir uns zum Tisch zu kommen, sind die besten Plätze doch die auf der Eckbank. Geschafft! Ben und ich sitzen.
„Mit dem Helfen habt ihr’s heute nicht besonders“, bemerkt Papa etwas vorwurfsvoll. Alle genießen in Ruhe die reichhaltige und liebevoll zubereitete Brotzeit.
Beim Abräumen fragt Opa Emil uns, was wir uns denn alles so wünschen. Er zieht einen dicken Spielzeugkatalog unterm Tisch hervor und beginnt zu blättern. Mamas Blick entnehmen wir, dass sie über dieses Thema nicht besonders erfreut ist.
„Ich hab dir schon so oft gesagt, dass dich die Kinder genauso gerne haben, auch wenn sie nur wenige Geschenke bekommen“, sagt Mama zu Opa energisch.
„Wenn ich ihnen aber so gerne etwas schenke, solange ich noch kann!“, reagiert Opa ebenfalls etwas genervt, da dieses Thema oft ein Streitpunkt zwischen den beiden ist.
Von Opa Emil bekommen wir immer irgendetwas. Manchmal war er zuvor auf einem Flohmarkt und hat dort viele tolle Sachen für uns gekauft. Im Moment trauen wir uns allerdings gar nicht mehr so richtig in dem Katalog weiterzublättern. In Zeitlupe machen wir es doch.
„Wow, da ist ja ein Handy. Ist das ein Richtiges?“, frage ich ganz begeistert. Papa und Mama verdrehen gleichzeitig die Augen.
„Jetzt hast du es wieder geschafft! Mit Ben haben wir endlich eine Vereinbarung ausgehandelt, und nun bringst du Lena auf den Geschmack. Denk gar nicht daran, ihr so etwas zu kaufen!“, schnauzt Mama Opa an und geht zur Küchentüre hinaus.
„Vielleicht reden wir ein anderes Mal über eure Wünsche. Ich glaube, es ist eh schon Bettgehzeit“, meint Opa daraufhin etwas enttäuscht.
Im Bett erzählt uns Omi noch eine schöne Geschichte über Murmeltiere. Ich liebe Omis Geschichten vor dem Einschlafen. Manchmal waren sie allerdings auch ein bisschen gruselig.