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Kapitel 1 ein schlechter Start
ОглавлениеNur ein Mädchen.
Die Geburt wollte einfach nicht vorangehen
Seit sechzehn Stunden lag Alma nun schon in den Wehen. Sie erwartete ihr erstes Kind.
Heinz, der werdende Vater, arbeitete derweil in der Weinküferei Kistner und versuchte sich auf das Abfüllen des Weines zu konzentrieren.
Doch von 10 Flaschen, in die der Wein gefüllt werden sollte, ging die Hälfte zu Bruch. Nun mach schon dass du heimkommst, das ist ja nicht zum Ansehen.
Und komm erst wieder wenn das Kind geboren ist.
Also nahm er eine Flasche Wein mit zu Almas Eltern und gemeinsam warteten sie auf die Ankunft des Babys.
Schon da wusste Heinz dass er im Leben ohne Alkohol nicht mehr zurecht kommen würde, aber er wollte das natürlich nicht wahr haben. Seine Gedanken schweiften zurück zu dem Zeitpunkt als seine Liebe zu Alma begann.
17 Jahre war er alt, als er beladen mit einem Rucksack voller Schuhe über Land zog .Er wollte die Schuhe verkaufen, aber auch eine Bleibe und Arbeit finden.
Pirmasens war die größte Metropole der Schuhfabrikation und gleichzeitig seine Heimatstadt.„ Schlappenflicker „ wurden die Schuhhersteller und Bewohner von Pirmasens genannt.
Auch seine Mutter nähte im Keller ihres kleinen Häuschens Schuhteile zusammen
.Diese Arbeit war nichts für Heinz. Seine Hände waren einfach zu grob dafür. Er begann daraufhin eine Lehre in der größten Bierbrauerei in Pirmasens. So kam er zum ersten Mal mit Alkohol in Berührung und merkte dass im Rausch Sorgen und Nöte wie von selbst verschwanden, beziehungsweise sich leichter ertragen ließen. Waren sie doch zu Hause zehn Kinder und Schmalhans immer Küchenmeister.
Auf seiner Wanderschaft kam er durch manches schöne Dörfchen und die Mädels versuchten ihm den Kopf zu verdrehen. So blieb er in Rockenhausen ein paar Wochen bei einem Winzer und vergnügte sich mit dessen Tochter Monika, weiter ging es nach Winnweiler und Beate .Man könnte eine Liste noch beliebig lang schreiben aber die Richtige war einfach nicht dabei und so zog er weiter. Ruhelos und immer mit dem Gefühl irgendwo noch etwas Besseres finden zu müssen.
In Horrweiler, gelegen zwischen Bad Kreuznach und Bingen, blieb er schließlich hängen. Die Arbeit beim Kistner war zwar nicht das Wahre, doch mit Kost und Loggie konnte er dies akzeptieren. Selbstverständlich konnte er Wein trinken wann immer und so viel er wollte. Nach ungefähr zwei Jahren war er von den Einheimischen aufgenommen und von den Mädels gerne gesehen.
Von zweien war er besonders angetan, die eine hieß A l m a und die andere H e n n y.
Die beiden buhlten um seine Gunst, kam er doch von auswärts und musste etwas besonderes sein. Schließlich gewann Henny den heimlichen Kampf
.Die Eltern von Alma hätten nie ihren Segen zu dieser Verbindung gegeben. Sie besaßen Äcker und Weinberge und die konnten einem Hergelaufenen nicht überlassen werden. Ein ungeschriebenes Gesetz sagte: „ ein anständiges Mädel heiratet einen Burschen aus dem Ort, damit der Besitz erhalten blieb. Manchmal musste sogar innerhalb der Familie geheiratet werden um diesem ungeschriebenen Gesetz gerecht zu werden .Die Behinderten und Schwachsinnigen aus solchen Verbindungen wurden stillschweigend geduldet.
Alma verzichtete schweren Herzen. Denn sie liebte Heinz über alles.
Aber man hätte meinen können das Schicksal wollte an der Freundschaft der drei jungen Menschen drehen, Alma wurde schwanger.
Oh, Gott, wie sage ich das meinen Eltern, die werden mich totschlagen oder uns Beide davonjagen.
Die Drei beratschlagten lange und als schon fast der Zeitpunkt gekommen war an dem sich die Schwangerschaft nicht mehr verbergen lies, musste den Eltern von Alma und auch denen von Henny ein Plan vorgelegt werden um den Skandal zu vertuschen.
In der Familie Hessert gab es keinen Grund und Boden, den es zu vermehren galt. So dass der „ Glaserschorsch „ seine Einwilligung zur Hochzeit leichter geben konnte, beziehungsweise musste, denn Henny war schwanger, wenn auch nur vorgetäuscht, aber wie hätte man das sonst verheimlichen können. Die Katastrophe wäre perfekt gewesen hätte Heinz die Henny nicht geheiratet.
Nur die arme Alma wurde von ihren Eltern unter Verschluss genommen und durfte nicht mehr gesehen werden.
Angeblich hatte sie eine ansteckende Krankheit und durfte auch keinen Besuch empfangen.
Nur Heinz schlich jede Nacht zu seiner Geliebten.
Am 19.Februar 1949 wurde die Hochzeit in Horrweiler mit einem rauschenden Fest gefeiert. Alles was glaubte mit den Hessert’s verwandt oder verschwägert zu sein, kam. Und das war der halbe Ort. Jeder brachte etwas anderes zum Essen, zum Trinken oder einen Kuchen mit. Es war ja die Zeit kurz nach dem zweiten Weltkrieg und die Lebensmittel noch rationiert.
Die Kuchen, das Gekochte und Gebratene wurden vor möglichen Dieben im Keller aufbewahrt. Doch die Kerle wussten wie sie an die Köstlichkeiten herankommen konnten .So kam es dann auch wie es kommen musste, die schöne Hochzeitstorte aus weißer Buttercreme war weg.
Den Dünnschiss sollten die Diebe kriegen, schimpfte Henny’s Mutter Maria.
Selbst der Vater, die Stiefmutter und die Geschwister von Heinz mit Anhang kamen aus Pirmasens.
Henny hatte selbst noch vier Schwestern und alle hatten Freunde oder auch Verlobte.
Gefeiert wurde insgesamt vier Tage.
Nun schrieb Henny ihren neuen Familiennamen K r e b s zum ersten mal auf ein Dokument.
Im vierten Monat ließ sich die – vorgetäuschte -Schwangerschaft gerade noch verbergen .Dass das Baby „ ein paar Wochen „ zu früh geboren wurde rechneten nur die Alten nach.
Nun lag Alma also im Kindbett und jeder glaubte es müsse gleich soweit sein.
Doch die herbeigerufene Hebamme meinte: „ Das dauert noch ein paar Stunden“ und schlurfte wieder nach Hause.
Alma verfluchte bei jeder kommenden Wehe ihre Nachgiebigkeit und den werdenden Vater.
Heinz ging noch einmal für kurze Zeit zu Henny, aber er war zu nervös um sich auf ein Gespräch konzentrieren zu können.
Als er zurück kam, hörte er, gerade als er das Hoftor öffnen wollte, einen markerschütternden Schrei von Alma.
Die frischgebackene Oma ließ die Wäsche in den Kessel fallen und rannte nach drinnen.
Gerade noch rechtzeitig fischte sie das Neugeborene aus der Bettpfanne.
Es wäre sonst darin ertrunken.
Das Kinderkriegen war reine Frauensache.
Die Männer störten nur oder sie fielen um weil ihnen schlecht wurde.
Kurz gesagt, man hatte nur Arbeit mit ihnen.
Abgenabelt und gewaschen durfte Heinz kurze Zeit später sein Erstgeborenes begutachten.
Jeder jubelte und freute sich, nur Heinz schaute ganz verdattert.
Seine Enttäuschung machte sich in einem schlimmen Satz Luft
„ och, nur ein Mäde „
Keiner konnte den frischgebackenen Vater verstehen. Heinz hatte eigentlich einen Sohn haben wollen.
Er hatte es seinem älteren Bruder Walter gleichtun wollen, er bekam drei Monate vorher einen gesunden Jungen.
Der Kalender zeigte den 11.Juli 1949 als den Geburtstag des kleinen Mädchens an.
Trotzdem ging mein Vater zu Hartmanns, dem einzigen Lebensmittelladen des Dorfes und kaufte seiner Alma eine Tafel Schokolade für 50Pfennig.
Ein wahnsinniger Luxus.
Schnell hatte sich die Nachricht von der Geburt eines Mädchens im ganzen Ort verbreitet.
Freunde und Bekannte kamen um die Kleine zu begutachten
und festzustellen: „ Ein bisschen klein, was?
Aber sooooo süß.
Eben die üblichen Floskeln . Weißt du Grete wenn mir heute Morgen jemand gesagt hätte ich würde am Abend mit einer Oma ins Bett gehen, den hätte ich für verrückt erklärt.
So lachten und scherzten die frischgebackenen Großeltern aus Freude über ihr erstes Enkelkind.
Nur schade, dass wir nur aus der Ferne miterleben können wie sie groß wird.
Sie hatten den Plan der Drei akzeptiert und gaben ihr Enkelkind schweren Herzens in die Familie Hessert. Ein wenig trösteten sie sich mit dem Gedanken dass ihre zweite Tochter Maria ebenfalls schwangen war.
Schon vor der Geburt hatten die neuen Eltern Paten für das Kind ausgesucht.
Die älteste Schwester von Henny, Tante Christina – genannt Christel – und ihr zukünftiger Mann Norbert wollten dieses Amt übernehmen.
Als Abwandlung von Christina sollte das Mädchen Christa heißen.
Doch der Standesbeamte behauptete:“ diesen Namen gibt es überhaupt nicht“:
Er war aber auch nicht flexibel genug zu sagen: „ gut dann nehmen wir den Namen neu ins Namensregister auf“.
Neuerungen mussten eben von Oben entschieden werden.
Außerdem, was wusste denn dieser dumme Bauer, der das Glück hatte Bürgermeister und Standesbeamter zu sein von der Welt.
Der Glaserschorsch – weiß der Himmel wo dieser Spitzname einmal herkam – regte sich furchtbar auf, aber ändern konnte er auch nichts dran.
Nun wurde fieberhaft überlegt welchen beziehungsweise welche und wie viele Namen dem Kind gegeben werden sollten
Das Ergebnis war schaurig: Christina - nach der Taufpatin
Henriette – nach der Mutter
Wilhelmine – nach der Oma
( mütterlicherseits).
Der Vorname von Papas Mutter – Sophie – wurde großzügig übergangen.
Papas Mutter war 1948, nach langer Krankheit gestorben. Er hatte den Tod seiner Mutter nie richtig verkraftet und suchte eigentlich in seiner Frau nach Ersatz für sie.
Gefunden hat er ihn nicht.
Möglicherweise mit ein Grund warum er dem Alkohol so sehr angetan war.
Ob sich Christina, Henriette, Wilhelmine jemals mit diesen Namen auseinandersetzen würde danach fragte niemand.
Das war eben so Tradition, wie bei Königs auch.
Gerufen wurde ich jedenfalls C h r i s t a.
Wir wohnten im Haus von Opa und Oma in einem einzigen winzigen Raum.
Drei Schwestern von Mama waren ja auch noch zu Hause. Nur Tante Elfriede wohnte bei der Berwigstante, denn die hatte selbst keine Kinder und genug Geld um sie auf die höhere Handelsschule zu schicken.
So wurde ihr ermöglicht später in einem Büro arbeiten zu können. Sie war auch die Einzige die den nötigen Kripps im Hirn hatte, die Anderen waren mehr oder weniger dumm wie Bohnenstroh und deshalb
auf eine gute oder einigermaßen gute Heirat angewiesen.
So wuchs Christa denn in einem fast reinen Frauenhaushalt auf und wurde nach Strich und Faden verwöhnt.
Wenn es etwas zu entscheiden gab war die Lösung oft schon gefunden bevor Papa oder Opa gefragt wurden.
Musste etwas gekauft werden, was es nicht bei Hartmanns gab, lief
meist meine Oma die drei Kilometer nach Gensingen.
Im Dorf gab es ein einziges Auto, doch das gehörte dem Bürgermeister und bevor man den am Hintern leckte lief man lieber.
Meist waren es die teuren Schnuller aus der Apotheke.
Die billigen, klebrigen von Hartmanns nahm ich erst gar nicht.
Lumpi, der Hund von Onkel Hans, schleppte die Dinger immer unter den Küchentisch und zerbiss sie dort.
Dann war Onkel Hans, der Freund von Tante Elfriede, dran den Schnullernachschub zu organisieren.
Papa kam eines Tages total niedergeschlagen nach Hause. Henny was soll nur werden, der Kistner kann mich nicht länger behalten.
Es gibt nicht mehr genug Aufträge.
Mama empfand es zunächst als Erleichterung, dann konnte Papa wenigstens nicht mehr so viel trinken. Sich selbst täuschend glaubte sie an Besserung, welch ein fataler Irrtum.
Dem Kistner gönnte man seine Niederlage. Die Leute tuschelten:“ Das kommt davon, wenn man die Nase so hoch trägt und meint man müsse alles immer gleich haben wenn es etwas Neues gibt.“
Denn wie heißt das alte Sprichwort:“ Hochmut kommt vor dem Fall!“
Der Familienrat tagte um zu bereden was getan werden könne.
Der Haase –Heiner kam zufällig vorbei und wusste dass der Biazzizzo in Bingerbrück Leute für den Bau einstelle.
Papa fragte nach und bekam sogar die Möglichkeit eine Maurerlehre zu beginnen.
Den Lohn allerdings musste Mama jeden Freitag im Lohnbüro abholen bevor Papa ihn mit seinen Kollegen bei Kartenspiel verzocken konnte.
Er war zu labil und einfältig um sich gegen seine Kumpels durchzusetzen und zu sagen:“ Hört mal das geht nicht, ich habe Frau und Kind zu versorgen!“
Um uns über Wasser zu halten musste Mama bei Hanna, ihrer Cousine, im Tagelohn dazuverdienen.
Gut da es die Oma gab, die passte auf Christa auf.
Christa hatte Probleme mit dem Magenpförtner.
Alles was sie trank kam in hohem Bogen wieder heraus. Was sie behalten konnte war zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel.
Henny schleppte das Kind zu Doktor Schuch und der wies sie sofort in die Universitätsklink in Mainz ein.
Zum ersten Mal musste Christa weg von ihren Eltern.
Es muss schon ein bisschen schlimm gewesen sein, denn alle Ärzte und Schwestern hatten es plötzlich sehr eilig.
Da das Baby außer Muttermilch nichts vertrug und Alma nicht bei ihr sein durfte, musste sie die Milch abpumpen. Papa brachte diese zum Bahnhof nach Gensingen um von dort per rotes Kreuz in die Klinik nach Mainz transportiert zu werden.
Eine ganz schön komplizierte Angelegenheit.
Nach cirka einem Monat versuchten sie es mit einer Ersatzmilch denn Alma war leer.
Es klappte und nach weiteren zwei Monaten durfte das Kind wieder nach Hause.
Gesund am Körper, aber krank in der Seele denn der wärmende Kontakt zu Vater und Mutter war verloren gegangen.
Einen Versuch diese Verbindung wieder aufzubauen machten Heinz und Henny erst gar nicht.
Sie hatten mit der Tatsache zu kämpfen, dass Mama ein Kind verloren hatte.
Um räumlich mehr Platz zu haben zogen wir zu Tante Käthchen in die Backhausgasse. Dort hatten wir zwei Zimmer im ersten Stock und eine schmale lange Küche im Erdgeschoß. Zum Plumpsklo musste man ungefähr 30 Meter quer durch den Hof laufen.
Da überlegte man zweimal:“ muss ich oder kann ich warten?“
Kaum dort eingezogen musste Christa schon wieder ins Krankenhaus.
Mama hatte zufällig einen roten Punkt an ihrem Hals entdeckt .Doktor Schuch meinte:“ die in Mainz sollen sich das mal genauer ansehen.“
Der rote Punkt entpuppte sich als Blutschwamm in der Größe eines Hühnereis im Bereich der Halswirbel.
Nun wurde Christa operiert.
Die entstehende Narbe würde später unter den Haaren verschwinden.
Die Narbe auf meiner Seele sah niemand.
Nun passte Tante Käthchen auf Christa auf, wenn Mama im Feld arbeitete. Sie bekam dafür 50 Pfennige für den halben Tag. Ein Vermögen, wenn man bedenkt dass Mama selbst nur 2,50 DM verdiente.
Tante Käthchen war eine liebe und zuverlässige Person die sich lieber hätte vierteilen lassen als das dem Kind etwas passiert wäre. Sie konnte aber auch stur wie ein Hornochse sein.
Wie stur, das merkten die Eltern als sie um die Überlassung eines weiteren Zimmers – das von Tante Käthchen so und so nicht benutzt wurde – baten. Nein meinte sie ich kann euch das Zimmer nicht geben.
Weil, wenn mal jemand zu Besuch kommt der dann übernachten will, ich den Platz dann selbst brauche. Aber zu Tante Käthchen kam nie jemand, denn die ganze Verwandtschaft wohnte in Horrweiler.
Als Papa ihr dann erklärte dass Mama wieder schwanger sei strahlte sie übers. ganze Gesicht, aber das Zimmer bekamen wir trotzdem nicht.
Mein Halbbruder, A r m i n, kam am 22.02.1953 in Bad-Kreuznach zu Welt.
Der Fortschritt wollte nun dass die Frauen zum Kinderkriegen ins Krankenhaus gingen.
Papa war das Glück in Person, hatte er es doch fertig gebracht, trotz seines ständig steigenden Alkoholkonsums, einen Sohn zu zeugen.
Seinen „ K r o n p r i n z e n „
Dafür bekam Mama Schokolade für 5.—DM.
Nun konnte Onkel Norbert, Tante Christel’s Mann nicht mehr behaupten: „ du kannst wegen deinem Suff nicht mal einen Sohn zeugen!“
Papa hatte mittlerweile seine Lehre beendet und seine Prüfung als Maurergeselle bestanden.
Der Verdienst jedoch ließ zu wünschen übrig und so musste Mama weiter mitarbeiten.
Papa brauchte immer mehr Geld für seinen Alkoholkonsum. Er war bei fast zwei Literflaschen am Tag angelangt. Mama hatte das Glück, dass sie den Wein bei Hanna billig kaufen konnte.
Tante Käthchen kriegte nun 1. —ganze Mark fürs Kinderhüten, obwohl Christa schon in den Kindergarten ging.
Hier lernte sie nun auch ihre späteren Freundinnen kennen.
Ursula Haas, Dagmar Grün, Ruth Geyer und Erika Goehlich waren wie sie selbst 1949 oder Anfang 1950 geboren.
Eigentlich war es ganz gut im Kindergarten, wenn sie nicht jeden Mittag hätten schlafen müssen.
Wer kann schon auf Kommando schlafen. Und dann abends die doofe Singerei von wegen:“ Ade nun zur guten Nacht…“.
Das war so eine Idee der Kindergartentante Paula, ausgerechnet Ursulas Mutter. Die kam irgendwo aus Pommern wo sicher auch bei Kindergartenschluß gesungen wurde.
Einmal an Weihnachten wurde die Weihnachtsgeschichte im Kindergarten aufgeführt.
Die größeren Kinder, die schon ein kleines Gedicht oder ein paar Sätze auswendig lernen konnten durften die Hauptrollen spielen.
Wir Kleinen nur die Engelchen. Papa bastelte mir aus fester Pappe und Goldpapier Engelsfügelchen.
Die sahen vielleicht toll aus und ich war stolz wie Oskar.
Aber das interessierte überhaupt niemanden und ich war furchtbar enttäuscht.
Unter all den Mädchen fand ich Erika als liebste und beste Freundin.
Wir hingen fortan zusammen wie die Kletten. Was die eine nicht wusste brachte ihr die andere bei. Die Tollste aber in unserem Bund war Tante Alma, Erikas richtige Tante, die immer dicht hielt wenn wir etwas angestellt hatten.
Oft war ich aber auch bei Opa und Oma in der Weedgasse, denn noch waren Armin und ich die einzigen Enkelkinder die noch im Ort wohnten.
Die Großeltern wohnten im sogenannten Bullenstall.
Das war der Standplatz für die Gemeindebullen und Opa hatte dafür zu sorgen dass es den Viechern gut ging.
Meist saß ich dort an den Schweintrögen und aß die gekochten Kartoffeln und Rüben aus dem Schweinefutter.
Sie ließen mich gewähren, denn mit dem Essen, das war so eine Sache bei mir.
Wenn es zum Beispiel diese grüne Pampe – sie nannten es Wirsinggemüse – gab, hockte ich oft bis zu zwei Stunden vor meinem Teller. Das Zeug wollte genau so wenig in mich rein wie Spinat.
Mit einer Tasse frischer Ziegenmilch oder mit noch warmer Milch direkt von der Kuh allerdings konnte Oma mich immer begeistern.
Und natürlich mit Bananen.
Wenn ganz viele Leute mit am Tisch saßen machte das Essen so wie so mehr spaß. So war ich, wenn sie mich suchten, fast immer bei Erika.
Dort wurde immer für zehn gekocht und es kam auf so ein kleines Persönchen wie mich nicht mehr an.
Bei Erika war auch sonst immer was los .Die kriegten Kinder wie andere junge Hunde. Ständig kam eines dazu.
Mit Armin konnte ich ja noch nichts anfangen. Der schlief immer nur oder er brüllte wenn er Hunger hatte oder die Windeln voll waren.
Schön war es auch wenn ich mit ins Feld durfte wenn die Kartoffeln geerntet wurden und Onkel Kurth, der Mann von Tante Hanna, das Kartoffelfeuer anzündete.
Dann warfen die Erwachsenen Kartoffeln ins Feuer um sie dort zu braten, das war vielleicht lecker. Nur auf die Blutwurst die es meist dazu gab konnte ich verzichten.
Ab und zu durfte ich schon mal zu den Großeltern nach Pirmasens.
Das war immer eine weite Reise, zuerst mit dem Bus und dann mit der Bahn. Mama hing mir immer ein Schild aus Pappe um damit jeder lesen konnte wo ich hinwollte. So wurde ich von Schaffner zu Schaffner gereicht und in Pirmasens von Opa abgeholt. Man war ich stolz auf mich. Wenn Mama mal mitfuhr fragte Opa immer schon am Bahnhof:“ na wie lange wollt ihr bleiben „ und dann erst guten Tag.
Mama regte sich immer furchtbar auf aber es war einfach Opas Art und er meinte es auch nicht böse. Schließlich freute sich der alte Herr doch die Enkelin seines jüngsten Sohnes bei sich zu haben.
Papa war das letzte von – noch zehn lebenden – Kindern die Opa Gustav mit seiner Sophie gehabt hatte.
Das war lustig als Papa zur Welt kam war er schon Onkel. Sein Neffe, der kleine Gustav, war schon drei Monate alt. Fortan wurde Papa nur das „ Dreimonatsonkelchen „ genannt.
Ein wirklich origineller Spitzname.
Je älter Armin wurde um so weniger wurde ich beachtet.
Im Gegenteil, ständig hieß es „ mach das so oder so und pass endlich auf „ oder es wurden mir sogar Prügel angedroht. Ständig wurde an allem was ich machte oder machen sollte herum gemeckert. Das dollste war, wenn der Zwerg etwas ausgefressen hatte bekam ich die Kloppe dafür.
Einmal kletterte er auf einen Küchenschemel und sprang runter. Dabei streckte er die Zunge heraus und biss sie sich prompt ein Stück ein. Natürlich blutete das ganz schlimm und der Trottel schrie wie am Spieß. Mutter fragte gar nicht lange wie das passiert sei sondern gab mir sofort eine Ohrfeige, so dass mir der Kopf auf die andere Seite flog. Du hast ihn bestimmt herunter geschubst, war ihre Meinung. Als mein besoffener Vater dann noch dazu kam war der Schlamassel perfekt. Schließlich war sein „ Kronprinz „ verletzt.
Soviel ich mich auch anstrengte, keinem der Beiden konnte ich etwas recht machen.
Eigentlich war es da kein Wunder, dass ich mich mehr und mehr zu Tante Elfriede und Onkel Hans hingezogen fühlte. Die hatten Verständnis, die konnten zuhören und die verwöhnten mich auch ein bisschen. Beide gingen arbeiten, hatten keine Kinder und mussten nicht jeden Pfennig dreimal umdrehen.
Eberts hatten zuerst ein Motorrad und dann sogar ein Auto. Wenn sie mich mit dem Motorrad mitnahmen versteckte ich mich unter dem Mantel von Tante Elfriede, sodass die Leute sagten:“ guck mal da kommt ja ein Kind raus „ wenn wir Rast machten.
Das Auto, eine Irisetta, hatte drei Räder, wurde nach vorne aufgemacht und hatte sogar eine Hutablage auf der Lumpi immer lag.
Onkel Hans trank auch keinen Wein, kein Bier und war nicht immer so mies gelaunt wie Papa.
So nahmen sie mich mit nach Mainz um den Nikolaus in einem großen Kaufhaus zu besuchen. Zum erste Mal in der Stadt hatte ich natürlich keine Ahnung dass ich auf die Autos achten muss und rannte einfach über die Straße um zu einem Nikolaus zu kommen um ihm zu sage was das Christkind mir bringen sollte.
Oder sie fuhren mit der Oma und mir nach Bad-Kreuznach zum Jahrmarkt, um mit dem Riesenrad zu fahren. Kaum im Riesenrad drin fing meine Oma zum Scherz an zu rufen dass sie Angst habe. Ich bemerkte natürlich nicht dass sie eigentlich gar keine Angst hatte und fing an in Panik zu schreien: „ lasst sofort meine Oma raus!!
Tränenüberströmt war ich glücklich als Oma wieder aus der Kabine kletterte.
Die Oma war es auch die mit mir mit dem Bus und dann mit dem Zug nach Bingen fuhr um über den zugefrorenen Rhein nach Rüdesheim zu laufen. Das Eis war so dick dass die Leute ein Karussell, einen Zuckerstand und noch viele andere Buden aufgebaut hatten.
Einfach eine Sensation.
Zu diesem Zeitpunkt war meine Oma die wichtigere Person in meinem Leben.
Vater und Mutter nur nebensächlich.
Wenn mein Vater genug gesoffen hatte suchte er immer einen Grund zum Streiten. Er gab dann nicht eher Ruhe bis ein Riesenkrach entstanden war. Oft ging es um die Sauberkeit meiner Mutter, beziehungsweise dem was sie darunter verstand oder ums liebe Geld.
Er wollte einfach nicht einsehen dass zuviel davon für seinen Suff ausgegeben wurde.
Manchmal schickte Mama mich zum Einkaufen. Im Normalfall eine kleine Auszeichnung dessen was sie mir zutraute, aber oft genug eine Schmach wenn sie mir kein Geld mitgab und ich anschreiben lassen sollte.
Frau Hartmann hob dann den Zeigefinger und drohte:“ wenn deine Mutter nicht bezahlen kommt kriegt ihr bald überhaupt nichts mehr!“ Am liebsten wäre ich dann in ein Mauseloch gekrochen. Ganz schlimm war das wenn noch andere Leute im Laden waren. Dafür rächte ich mich am Brot indem ich die aufgeplatzten Stellen rundum an knabberte bis ich zu Hause war. Oder wenn ich samstags die Kuchen zum Bäcker tragen sollte hielt ich sie immer so schief dass sie zusammen rutschten und gar nicht mehr gut aussahen. Gegen eine kleine Gebühr buk der Bäcker am Samstag immer die Kuchen für das Dorf.
Dann wurde zwar auch geschimpft, aber ich hatte meine Genugtuung.
Armin konnte mittlerweile laufen und war nun in seinem Tatendrang überhaupt nicht mehr zu bremsen.
Mehr als einmal kam es vor dass er auf unserem Sandhaufen saß und in die Hosen geschissen hatte. Vor lauter spielen vergaß er zu sagen wann er aufs Klo musste.
Manchmal robbte er an der Stelle an der das Hoftor hoch genug war raus ins Gässchen und saß dann in voller Montur im Moderloch um dort alle Essensreste aus dem Abwasser zu puhlen.
Einmal fanden wir eine kleine Katze und schleppten sie mit nach Hause. Sie durfte bleiben und fühlte sich offensichtlich wohl. Bis Papa sie erwischte als sie in die Küche gemacht hatte. Er schnappte sie, machte die Haustür auf und warf das Tierchen an die gegenüber liegende Backsteinmauer. Die Katze überlebte, konnte aber auf einem Auge nichts mehr sehen.
Mama schrie ihn an:“ musste das den jetzt im Beisein der Kinder sein?“ Papa ging nach oben, kam sich groß und mächtig vor und hatte einen Grund sich wieder zu betrinken. Abends hörten wir dann wie er sich mit Mama versöhnen wollte. Das jedoch war ganz und gar nicht Mamas Sache. Sie hätte lieber das Thema ausdiskutiert. Vater aber wollte in seinem benebelten Hirn schmusen oder sogar mit ihr schlafen, wenn es denn mit dem Sex noch geklappt hätte.
Vater stand auf, zog sich an und ging mitten in der Nacht zu Tante Alma. Dass er dort bekam was Mama ihm verweigerte, wusste sie und hatte mehr als einmal nichts dagegen.
Ab und zu wurde ich mal eben für zwei oder drei Wochen zu meiner Patentante Christel nach Appenheim abgeschoben.
Mein Cousin Hans-Norbert war zwei Jahre jünger als ich. Wir konnten so richtig viel Unsinn fabrizieren.
Die kleine Familie wohnte bei den Eltern meines Patenonkels in einer alten Mühle außerhalb des Dorfes. Dort wurde noch Getreide zu Mehl gemahlen.
Dieser, wie wir glaubten, tolle Spielplatz war jedoch äußerst gefährlich. Es gab dort Ratten die waren so groß wie jungen Hunde. Wenn es zu viele davon gab knallte der alte Hassemer einfach ein paar davon ab.
Meist gab es dann zwei Tage später einen superguten Gulasch zu essen, was ich aber nicht in Verbindung mit der Rattenschießerei brachte.
Später zogen die Paten in ein älteres Haus direkt in Appenheim. Denn weiterer Nachwuchs kündigte sich bei ihnen an.
Hätte Onkel Norbert meine Tante nicht immer so viel geschlagen wären aus dieser Beziehung sicher mehr als 6 Kinder hervorgegangen.
So aber schlug er sie wenn sie nicht schwanger wurde, wurde sie aber schwanger schlug er sie so lange bis sie das Kind verlor.
Mehr als einmal floh sie vor ihm heim zu den Eltern nach Horrweiler.
War ich allerdings dort hatte die Tante einige Wochen in denen sie keine Prügel bekam.
Schon morgens beim Kaffeetrinken ging der Blödsinn den Hans-Norbert und ich verzapften los. Auf der Dose mit dem Kaffee drin stand:“ House-Kaffee“. Wir versuchten das nach zu sprechen, was die tollsten Zungenbrecher zum Vorschein brachte und uns immer und immer wieder zu Lachsalven animierte.
Tante Christel kochte auch immer das was mir schmeckte, denn mit dem Essen hatte ich es immer noch nicht.
Mutter meldete mich deshalb kurzerhand zu einer Kur an.
Die vom Jugendamt meinten:“ der Schwarzwald „ sei für eine Luftveränderung bestens geeignet.
Also auf nach Donaueschingen.
In Bingen war der Treffpunkt für einen Sammeltransport.
Ein ganzer Zug voller schreienden, brüllender und lachender Kinder setzte sich in Bewegung.
Um mir die Kur so schmackhaft wie möglich zu machen hatte Tante Elfriede versprochen.“ Christachen, für jedes Pfund das du zunimmst bekommst du eine Mark von mir.
Zum erstmals hatte ich, über einen Zeitraum von sechs Wochen, keinen saufenden Vater, keine keifende Mutter und keinen an mir hängenden Bruder zu ertragen.
Dieser Umstand tat sein übriges zum Gelingen der Kur dazu.
Hier musste ich zwar mittags auch schlafen, aber das war mehr ein Ausruhen von den langen Spaziergängen.
Es gab Dinge zu entdecken von deren Existenz wir noch nichts wussten.
Mitten in Donaueschingen gab es einen Brunnen, in den konnte man Münzen werfen und sich etwas wünschen.
Da war auch ein Schild dran. Tante Inge, unsere Betreuerin, las uns vor was darauf stand: „ Briggach und Breege bringen die Donau zu Wege.“Sie erklärte uns dass dies zwei kleine Flüsschen wären die hier durch ihr Zusammenfließen zu einem großen Fluss werden würden der sich Donau nennt und in ein paar hundert Kilometer ins Schwarze Meer fließt.
Da ich noch nicht zur Schule ging war das alles noch zu hoch für mich, aber vergessen konnte ich das auch nicht, Es war zu interessant. Die älteren Kinder hatten uns Kleinen erklärt dass es zwischen Karlsruhe und Donaueschingen genau 45 Tunnels gab. Tante Inge ließ uns ein Kraut kosten das beim Kauen sauer schmeckte. So lernte ich den Sauerklee kennen. Alles Dinge, die zum späteren Erzählen ganz wichtig waren.
Es gab aber auch noch andere Dinge die noch wichtiger waren.
So zum Beispiel das Essen.
Speisen die ich nicht kannte, die jedoch irre gut schmeckten. Wie zum Beispiel Nudeln mit Tomatensoße oder freitags zum, Frühstück Kakao, frische Brötchen und richtig gute Butter.
Das war alles so lecker, ich hätte mich glatt reinknien können wenn ich zwei Teller auf den Boden hätte stellen können.
Die Kurzeit erstreckte sich über das Osterfest. Die Heimleitung hatte dafür gesorgt dass wir die Ostereier im nahen Wald fanden, was unseren Glauben an den Osterhasen noch bestärkte.
Alles in allem waren diese sechs Wochen Kur eine wundervolle Zeit für mich.
Tante Elfriede staunte nicht schlecht als sie 10 Mark berappen musste.
Ab diesem Zeitpunkt waren Nudeln meine Leibspeise. Da es die bei der Kochkunst unserer Mutter jedoch viel zu selten gab, lud ich mich immer selbst bei jeder Nachbarschaft zum Essen ein, wenn es dort Nudeln gab.