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Patriks Affären als Lebenselixier
ОглавлениеEinfache Genüsse sind die letzte Zuflucht komplizierter Menschen
Lord Kitchener
Diese lehrreiche Zeit, wo er zum Mann reifte und von erfahrenen Damen in die Liebe eingeführt wurde, bezeichnete er später immer als seine glücklichste Zeit, in der er äußerst amüsante Erfahrungen sammelte und das Leben aus einer leichtlebigen, anrüchigen Sicht kennen lernte.
Er musste insgeheim lächeln, als er an seine wilde Zeit im Jahre 1968 in der Flowerpower-Zeit im Jugendalter zurückdachte.
Sofort schwelgte er in Nostalgie. Er erinnerte sich gerne zurück an seine „Goldenen Zeiten“, wie er diese Zeit der erwachten Manneskraft und der entdeckten höchsten Lust- und Befriedigungsgefühle immer nannte, so wie man sich an einen schönen Film gerne zurückerinnert.
Als er nach seiner Entlassung seine erste Nacht im Park verbrachte, stieß er auf eine Gruppe von langhaarigen, selbstlosen Straßenmusikanten mit Handtrommeln und Flöten, Malern, selbsternannten Künstlern, Schauspielern, die von Luft, Liebe, Musik und Marihuana vorgaben zu leben. Alles mittellose Ausreißer, Extremisten, Phantasten, Weltverbesserer wie er. Jedem, auch ihm, überreichten die langhaarigen, feenhaften Mädchen eine Blume mit den Worten „Friede und Liebe, Bruder“. Er war fasziniert von diesen engelsgleichen Geschöpfen, welche ihm ein Leben ohne Schranken vorführten. Sofort himmelte er diese selbstlosen, hinreißenden Märchengestalten, angesiedelt zwischen Himmel und Paradies, an, deren Magie ihn verzauberte.
Halbnackte, elfenhafte Mädchen mit katzenhaften, geschmeidigen Bewegungen tanzten in Sandalen freizügig im Hippie-Look Hand in Hand nach der Musik der Bee Gees, Beatles, Rolling Stones, mit Blumenkränzen, in bodenlangen Röcken, Schals, Halsbändern und Spitzenblusen im indischen Look oder in Jeans, Glockenhosen und Hemden mit Blumenmustern und in flatternden Blumenkleidern, welche Sanftheit und Naturverbundenheit darstellen sollten. Eingehüllt in ihr Marihuanaparadies, sandten sie jedem Betrachter verführerische, liebeshungrige Signale.
Als Patrik diese anzüglichen Blicke auf seiner Haut spürte, war er sofort ihr Bewunderer. Er war begeistert von diesen anbetungswürdigen Gottheiten, welche so wie er die Tradition, die Lebensweisheiten, die Lehren, den gesicherten Wohlstand und die Bevormundung der Eltern ablehnten und gegen Autorität, materielle, konsumorientierte, ausbeuterische Verhaltens-muster rebellierten. Und bald tanzte er im Kreis mit.
So wie er hatten sie sich angewidert von zuhause abgewendet und waren in eine Welt des Verderbens und der Nutzlosigkeit abgetaucht, nur um frei zu sein und Spaß zu haben, wie es seine Großmutter nennen würde. Ein Leben, wovon Patrik immer träumte. Patrik gefiel ihr unbekümmertes Eintreten für das Leben und Lieben in zusammengewürfelten Gemeinschaften ohne Zukunftsängste. Er schloss sich dieser Clique an und lebte mit ihnen in einer Kommune in einem abbruchreifen Haus ohne Türen. Sie besuchten stundenlang Versammlungen, in denen für antiautoritäre Erziehung, gegen den Konsumrausch, gegen den Vietnamkrieg nach dem Motto Make love not war und für die Selbstbestimmung des Bauches, für freies Leben und freie Liebe, für Gruppensex, für Schwangerschaftsunterbrechungen innerhalb eines gewissen Zeitraumes und für Familienrechtsreformen plädiert wurde. Patrik lernte schnell, sich ihren Liebesspielen anzupassen und ihnen ebenbürtig zu sein. Sie verbanden sich gegenseitig ihre Augen, banden sich ein Barterl (Latz) um und fütterten sich gegenseitig mit verbundenen Augen. In ihrem Liebestaumel strichen sie sich Schlagobers auf ihre erogenen Zonen und schleckten sich gegenseitig ab. Bei Kerzenscheinpartys schmückten sie ihre Bleibe, malten mit Lippenstift Herzen an Spiegel und das Los entschied, wer mit wem schlief. Meist trugen sich die hingebungsvollen Mädchen vorher in den Terminkalender der Männer, selbstlos wie flatternde Schmetterlinge von einer duftenden, aphrodisierenden Blüte zur nächsten Blüte schwebend, für eine Liebesnacht ein.
Wenn sich keine Dame in die aufgelegte Herrenliste zum Sex mit Patrik eingetragen hatte, badete er gemeinsam mit den zarten, willigen Mädchen, von welchen er nur die Kosenamen kannte. Liebevoll seiften sie sich gegenseitig ein, während sie untereinander ihre erogenen Zonen abtasteten. Alle Hände waren unter dem Wasser beschäftigt.
Nur das hemmungslose Stöhnen und Seufzen mit geschlossenen Augen, das Knutschen und Küssen, wenn sie die Marihuanapfeife weitergaben, war hörbar und sichtbar. Die gelösten, glücklichen Engelsgesichter spiegelten sich im matten Kerzenschein, entschwebt in himmlische Sphären, wider.
Diese ausschweifenden Spiele hatten ihm immer viel Freude und Vergnügen gemacht. Es war für ihn ein schöner, erfüllter Lebensabschnitt, der ihn strapazierte und oft bis an die Grenzen erschöpfte. Ihm gefiel es, wie unbekümmert und ohne Leistungsdruck sie ihren Lebensinhalt verdienten. Sie dealten, malten und verkauften ihre Bilder und ihre gehäkelten Kleider und Wohnungsdekorationen aus Stoffresten am Flohmarkt. Um sich ihren Lebensunterhalt aufzubessern, gründeten sie eine Theatergruppe und spielten Theater in schummrigen, rauchigen Kellern mit roten Lichtern, schweren dunklen Samtvorhängen und schwarzen Ledergarnituren, wo allerhand leicht bekleidete Mädchen und Frauen aller Nationen ihrem Geschäft nachgingen. Die Freier schienen alle Stammkundschaften zu sein, denn sie wurden alle von den Mädchen und Frauen namentlich freundlich begrüßt und geduzt wie ein Familienmitglied.
Nach einer Weile zog diese Gruppe der selbstlosen Halbengel nach Indien, um billiger Marihuana konsumieren zu können. Patrik Lerner blieb zurück und musste sich um eine neue Einkommensquelle bemühen.
Angelique, eine Rumänin, die älteste Prostituierte in dem Lokal, wo sie zuletzt Theater spielten, mit ihrer Vorliebe für blutjunge Lustknaben, tröstete ihn über den Trennungsschmerz hinweg, stillte wie eine unersättliche Raubkatze seine Begierde und gewann sein Herz, indem sie es sich täglich erkaufte. Sie nannte sich Angelique, denn ihren rumänischen Namen konnte niemand aussprechen. Ihr jugendlicher, naiver Liebhaber, den sie mit Sex und Geld an sich binden und hoffentlich wie ein Schoßhündchen gefügig machen und nach ihren Vorstellungen formen konnte, gefiel ihr. Sie bezahlte ihn auch dafür, um bei ihm Trost zu finden, wenn es ihr schlecht ging. Er sollte ihr Schutzschild sein, damit sie nie mehr von einem aggressiven Zuhälter, so wie von ihrem vorherigen Zuhälter, Schurli das Adlerauge genannt, geschlagen werden würde. Patrik sollte auch als Beschützer herhalten, da sie Angst hatte, Schurli würde zurückkommen.
Patrik zog bei Angelique ein. Pünktlich stand sie an ihrer Straßenecke, wo die Wagen anhielten und wo sie gespielt fröhlich schäkernd sich um die verschiedensten Männer bemühte, den Preis festlegte und in ihren Wagen stieg. Stets unter den wachsamen Augen von Patrik, der im naheliegenden Spielcasino spielte, währenddessen er im Geiste ihr verdientes Geld vor sich sah. Und so hatte Patrik plötzlich ohne eigenes Dazutun Geld wie Heu und warf es mit beiden Händen beim Fenster hinaus. Mittags trafen sie sich in ihrer Wohnung, wobei er ihr genau vorrechnete, wie viel Geld sie heute zu erbringen gehabt hätte und ihm geben müsse.
„Wieso hast du so wenig Geld gemacht“, nörgelte er öfters.
Manches Mal jammerte sie, das Geschäft gehe schlecht, die Kunden blieben aus, sie stehe sich die Beine in den Bauch für wenig Geld. Oder der Freier wäre, ohne zu zahlen, davongefahren.
Eines Tages traf er im Spielcasino Fredy wieder, welcher damals mit ihm beim Einbruch Schmiere stand und jetzt als Zuhälter gut lebte. Mit den Worten „Servus, du alter Sacklpicker. Wie viele Papierstanitzel hast du im Häfen geklebt?“, begrüßte er Patrik. Dann hatte Fredy gelacht und ihm freundschaftlich auf die Schulter geklopft. Damit erinnerte er ihn an seinen Gefängnisaufenthalt, was Patrik unangenehm war. „Du bist ein guter Haberer. Gut, dass du nicht gesungen und mich nicht verraten hast. Wie geht es dir, du alter Strizzi?“, lachte Fredy schadenfroh. Als Patrik sein schadenfrohes Lachen sah, hätte er ihm am liebsten eine geknallt. „Freue dich nicht zu früh. Du bist in meiner Hand. Eines Tages bekommst du die Rechnung für mein Schweigen. Du stehst lebenslänglich in meiner Schuld dafür, dass ich dich nicht verpfiffen habe und du nicht ins Häfen gehen musstest. Mein Schweigegeld ist noch zu bezahlen.“ Fredy nickte ergeben. Somit waren die Fronten zwischen ihnen geklärt und sie feierten fröhlich ihr Wiedersehen.
Fredy war bemüht, irgendwie seine Schuld gutzumachen und führte Patrik wie zum Dank für sein Stillschweigen, wichtigtuerisch wie ein Mafiapate, in seine anrüchige, glitzernde Welt ein. Und so ging Patrik abends in Clubs, spielte, besoff sich in dieser scheinbar leichtlebigen Welt und vergnügte sich mit wichtigtuerischen, prahlerischen Männern mit Decknamen und mehreren gefälschten Reisepässen und Führerscheinen in den schillernden Spielhöllen. Ihre richtigen Namen kannte keiner. Manche hatten muskelbepackte Bewacher in weißen Hemden, Krawatten und dunklen Anzügen, andere hatten Chauffeure, welche dunkle Limousinen mit dunklen Fensterscheiben lenkten. Bald rauchte Patrik dicke Havanna-Zigarren und kleidete sich genauso in elegante Anzüge, um dazuzugehören. Unter den tätowierten Zuhältern, Junkies und sonstigen Gangstern mit ihren dubiosen Geschäften fühlte er sich durch Angeliques Geldsegen bald angenommen und ihresgleichen. Diese Welt mit ihren schillernden Gottheiten in ihrem vorgegaukelten Kokon in einer für Außenstehende undurchsichtigen Scheinwelt wurde seine wirkliche Heimat. Als lebe er fortan auf einer Insel der Seligen, wo Anführer von Schlägertrupps beschützt, skrupellos ihre unantastbare Macht ausübten, um Schwächere zu unterwerfen, als Opfer in ihrem Netz gefangen zu halten, auszubeuten und lebenslang abzusahnen, trachtete Patrik, dieses anrüchige Handwerk ebenfalls zu erlernen.
Von Frauen sprachen sie wie für sie extra geschaffene, willenlose, sprudelnde Geldautomaten. Patrik Lerner vergötterte diese Herrscher, war ihr gelehriger Schüler, und lebte bald wie ihresgleichen in seiner eigenen Traumwelt. Morgens kam er von den Spielcasinos heim, schlief ein paar Stunden und ging bald wieder ins Spielcasino. Infolge des täglichen Geldflusses seiner Angelique war er praktisch in allen unanständigen Spelunken ein gern gesehener Stammgast, da er sehr spendabel war. In jeder zwielichtigen, dunklen Bar stand für ihn als Stammkunde eine Zigarrenschachtel mit seinen teuren Lieblingszigarren bereit. Sobald er eintrat, warf er, um Aufmerksamkeit bemüht, schwungvoll seinen Hut auf einen etwa zwei Meter weit entfernten Haken und alle klatschten Beifall, wenn er traf.
Patrik hätte nicht glücklicher sein können. Nur nichts versäumen im Leben und alle Annehmlichkeiten auskosten bis zum letzten Tropfen. Trinkfest wie er war, in eine Alkoholwolke gehüllt, gewann er durch den täglich wie von selbst wachsenden Geldsegen und seine Großzügigkeit viele neue dunkle Gestalten als Freunde, welche ihm schmeichelten. Dass keine wahren Freunde darunter waren, störte ihn nicht. Dazugehörig zu einer einflussreichen, frivolen Clique, gewann er immer mehr Selbstbewusstsein. Richtig nüchtern wurde er nie. Das Geld ging Patrik nie aus. Er brauchte nur ein trauriges Gesicht zu machen und mit den Fingern schnipsen, schon spuckte sein Goldesel Angelique Geld aus.
Und dennoch überkam ihn öfters das beklemmende Gefühl, der tägliche Geldsegen könnte versiegen. Um wie durch eine Lebensversicherung garantiert Sicherheit zu haben und versorgt zu sein, bat er deshalb Angelique, seine Frau zu werden.
Die Heirat als Deal für die beiderseitigen Interessen und Garant für eine gute Zukunft sollte beide begünstigen. Der Wink war von Angelique gekommen. Damals, als sie ihn mit einem treuherzigen Augenaufschlag anschaute und flötete: „Wärest du bereit, mit mir ein gemeinsames Leben zu beginnen? Ich könnte weiter für dich anschaffen gehen, nur ein paar seriöse Kunden behalten und du hättest ein sorgenfreies Leben neben mir. Du selber brauchtest dabei nichts zu unserem Lebensunterhalt beitragen“, war er angenehm überrascht. Ihr Angebot hatte ihn wie ein Ritterschlag geadelt und geehrt.
Dennoch hatte er sie unsicher und abschätzend angeschaut. Sie war älter, wie lange konnte ihn diese alte Nutte noch nützlich sein und ihn versorgen? Wie lange wird sie mir gefügig sein? Würde sie bald krank werden und ihn damit belästigen und auf der Tasche liegen? Aber es war im Moment besser die Katze im Sack zu haben als gar keine. Und so machte er ihr seine Sicht der Dinge klar.
„Wenn du willst, können wir heiraten. Du gehst anschaffen, bringst das Geld nach Hause, dafür bekommst du von mir meinen österreichischen Familiennamen und die österreichische Staatsbürgerschaft. Das ist es doch, was du willst. Außerdem wirst du durch mich beschützt. Somit bringe ich das größere Kapital in unsere Gemeinschaft ein“, erklärte Patrik, auf ein immerwährendes, luxuriöses Leben hoffend. Hauptsache, er hatte ausgesorgt.
„Die Regeln bestimme ich. Ich habe die Macht in Händen. Ich bin dein Hauptgewinn, dein Lustknabe, als hättest du mich wie einst Nero im Kegeln bei Alle Neune gewonnen. Allerdings hat Nero an einem Abend dreißig Knaben gewonnen“, zwinkerte er ihr verführerisch zu. „Wenn du nicht spurst, lasse ich mich scheiden und du kannst dir die österreichische Staatsbürgerschaft abschminken.“
Geblendet durch seine jugendliche Ausstrahlung, sein unwiderstehliches Charisma, sein beeindruckendes Selbstvertrauen, bejahte sie freudestrahlend. „Bald ist meine Lebensexistenz sicherer, du bist mein Beschützer und ich habe bald deinen Familiennamen und die österreichische Staatsbürgerschaft.“
Im selben Moment erinnerte sich Patrik mit Unbehagen daran, wie er nach so langer Zeit wieder bei seiner Großmutter auftauchte, um ihr Angelique als seine zukünftige Frau kurz vor der Hochzeit vorzustellen. Er wollte sie zur Hochzeit einladen.
Vor Schreck schlug seine Großmutter die Hände zusammen, als sie ihn nach so langer Zeit wieder sah.
Zuerst hatte sie geschimpft: „Du bist genauso gewissenlos und egoistisch wie deine Mutter. Du denkst nur an dich, nie an andere Menschen, die sich Sorgen um dich machen.“
Dann wurde sie weinerlich.
„Patrik, wo warst du so lange? Ich habe jeden Tag um dich gebangt und für dich gebetet. Das darfst du mir nie wieder antun. Es bricht mir das Herz“, während sie ihn aus schmerz-verzerrtem Gesicht ansah und ihn in die Arme nahm.
Erst dann wurde sie der Frau hinter Patrik gewahr. „Wer ist diese Frau?“
„Das ist meine zukünftige Ehefrau, Angelique.“
Sofort fiel die Großmutter aus allen Wolken.
Währenddessen stand Angelique wortlos daneben. Sie ignorierte die alte Dame und erachtete es als nicht notwendig, dieser alten Dame zu gefallen oder sich mit ihr zu unterhalten. Gelangweilt stand sie da und entschuldigte sich damit, dass sie kein Deutsch spreche. Also dachte Großmutter, sie könne Patrik ungehindert Vorwürfe machen und Angelique beleidigen. Und so prasselten Großmutters Vorwürfe wie giftige Wurfgeschoße auf Angelique nieder.
„Mein Junge ist noch ein Kind. Sie könnten seine Mutter sein. Schämen Sie sich nicht? Was haben Sie sich dabei gedacht, meinen Jungen zu verführen? Was haben Sie mit ihm vor?“ Als keine Antwort kam, wandte sie sich Patrik zu, um ihm ins Gewissen zu reden.
„Du bist noch viel zu jung zum Heiraten. Das kann nur ein Scherz sein. Diese alte Frau könnte deine Mutter sein. Mit dieser alten Frau wirst du dein Glück nicht finden.“
Sie fixierte Angelique mit anklagenden Blicken. Sie hat ihn verführt. Sie ist schuld. Was will sie mit Patrik? Er ist doch nur ein Spielzeug für sie.
„Was hat die für einen teuren Fummel an? Und rauchen tut sie auch noch. Sie bläst das Geld unnötig beim Fenster hinaus, während unsereins nicht weiß, woher das Geld für das Nötigste nehmen. Und die da kleidet sich wie eine Prinzessin.“
Patrik wusste, wie wenig Geld seine Großmutter hatte und wie sparsam sie war. Jede Zahnpastatube, jedes Zuckersackerl wurde von ihr aufgeschnitten, damit ja kein Rest drinnen blieb.
Er wird hoffentlich bald erkennen, dass sie die falsche Frau ist, flüchtete sich Großmutter in tröstliche Gedanken.
Dass seine Großmutter so heftig reagieren würde, hatte Patrik nicht geahnt.
„Ist sie katholisch?“
„Ja, sie ist katholisch und sehr religiös. Sie liebt die Menschen und übt sich in Nächstenliebe“, log Patrik.
„Was arbeitet Angelique?“ Großmutter fragte dies, obwohl es ihr widerstrebte, eine berufstätige Frau vor sich zu haben. Ihrer Ansicht nach sollte eine Frau zuhause im Haushalt und bei den Kindern sein.
„Angelique arbeitet im sozialen Pflegebereich“, log er weiter während er Angelique heimlich amüsiert zuzwinkerte.
„Sie ist eine Schlampe“, jammerte Großmutter.
Als hätte der Papagei im Käfig auf sein Stichwort gewartet, schrie er „Schlampe“.
„Denk dran, dein Großvater war ein respektierter, angesehener Beamter. Er würde sich aus Scham im Grabe umdrehen, wenn er das wüsste“, redete sie Patrik ins Gewissen. „Sie ist nicht standesgemäß. Mit dieser Frau als Schwiegertochter muss ich mich schämen. Und du kannst dich nirgends zeigen mit ihr. Hoffentlich haben euch die Nachbarn nicht gesehen. Nicht auszudenken, wenn sie mich fragen würden, mit wem du hier warst.“
Dann fuhr sie fort: „Was für eine Schande. Wir sind bessere Leute. Und was soll ich sagen, wenn unsere Verwandten am Land fragen, was du machst. Ich kann ihnen doch nicht sagen, dass du eine alte Frau geheiratet hast. Alle im Dorf werden lachen über dich.“
Bald verabschiedeten sich Patrik und Angelique, während Patriks Großmutter ein Stoßgebet zum Himmel schickte. Herrgott, hilf. Frieda, du hast es dir leicht gemacht, bist einfach abgehauen und hast mir das ganze Schlamassel hinterlassen. Er ist genauso liederlich und leicht verführbar für alle sündhaften Reize wie du.
Angelique gab Großmutter mit ihrem süßesten, hinterlistigsten Lächeln die Hand. Du siehst mich nicht wieder.
Auf dem Heimweg ärgerte sich Angelique und verhöhnte seine Großmutter.
„Denk doch daran, dein Großvater war Beamter, wir verkehrten nur in besseren Kreisen“, äffte Angelique seine Großmutter nach, während Patrik die Augen empört verdrehte.
Hunderte Male hatte Patrik das schon gehört.
„Die hat einen Vogel im Hirn. Nur weil ihr Mann ein Beamter war, bildet sie sich ein, etwas Besseres zu sein. Sie glaubt, alle seien unter ihrer Würde, und dass sie deshalb alle beleidigen kann“, lästerte Angelique.
„Sie ist alt, lass sie doch“, verteidigte Patrik seine Großmutter.
„Sie ist unter deiner Würde. Wirf dein Leben nicht weg. Ich bete immer für dich, Patrik, dass du ein anständiges Leben führen sollst. In welchem Jahrhundert lebt diese alte Dame eigentlich?“
„Sie, als gläubige Frau, hat eben ihre Moralvorstellungen.“
„Sie verachtet mich. Sie lebt in einer bereits untergegangenen Welt. Die sieht mich nie wieder. Sie kennt die harten Gesetze der Straße nicht. Lieber würde sie ehrenvoll verhungern, als mit einem Mann für Geld zu schlafen“, beklagte sich Angelique entrüstet.
„Sie kennt es nicht anders“, versuchte Patrik Angelique zu beruhigen.
„Die hat einen Knall, du brauchst sie nicht zu entschuldigen.“
Das brauchst du mir nicht zu sagen. Das weiß ich sowieso, dachte Patrik. Ja, seine Großmutter war komisch. Sie war stolz und abgehoben. Patrik kannte die Eigenheiten seiner Großmutter am besten und schämte sich oft ihretwegen.
Als eingebildete, ehemalige Beamtengattin gab sie sich nur mit besser gestellten Menschen ab, als wären alle anderen, egal wie fleißig sie waren und wie viel sie sich erwirtschaftet hatten, unter ihrem Stand. Es schien, als hätte sie sich dieses Trostpflaster als Ausgleich für ihre unglückliche Ehe zurechtgelegt. Niemand wusste besser als Patrik, wie oft er wegen seiner Großmutter ausgelacht wurde. Er hatte sich wegen seiner Großmutter schon viele Hänseleien während der Schulzeit anhören müssen. Denn sie hatte ihn so verwöhnt und bis zur Schulzeit so kindisch mit ihm gesprochen, dass er vieles in der Schule nicht verstand und deswegen verhöhnt wurde. Zufolge ihrer Sparsamkeit kaufte sie ihm selten neue Hosen, so dass er mit viel zu kurzen Hosen und Hemden herumlief und auch deshalb ausgelacht wurde. Als Gattin eines Beamten glaubte seine Großmutter ob ihrer vermeintlichen Besserstellung alle Rechte zu haben. Am liebsten ließ sie sich vom Chef persönlich bedienen in den Geschäften, Lehrlinge waren unter ihrer Würde. Wenn sie Schuhe kaufen wollte, trug sie die Schuhe heim zum Probieren und als sie einmal die Schuhe nicht zeitgerecht zurückbrachte, griff der Schuster zu einem Trick und gab ihr nur immer einen Schuh zum Probieren mit nach Hause. Niemals hätte sie ein Brot oder sonstige Lebensmittel angefasst, die vorher von einem Mann angegriffen worden waren, da Männer mit denselben Händen ihre unreinen Körper-stellen anfassten. Jedes Holzstück für das Heizen im Ofen, das ihr Mann aus dem Keller holte, musste er vorher im Keller mit einer Bürste abbürsten.
Jedes Mal, wenn sie von der heiligen Messe heimkam, bürstete sie ihren Faltenrock aus und gab ihn in Truhe. Dann bürstete sie den alten Anzug, insbesondere die Nähte, ihres Gatten aus und hängte diesen in den Kasten. Sie verurteilte Frauen ohne Manieren, weiters Frauen, die Tischwäsche oder Geschirrtücher neben den Unterhosen an der Wäscheleine aufhängten. Dies war für sie obszön. Sie war eine hypochondrische Simulantin und eine eingebildete Kranke, die immer behauptete, Rheuma zu haben und deshalb immer mit eingebundenem Kopf und Händen herumging. Großmutter, hast du Kopfweh, hatte sie Patrik oft besorgt gefragt. „Nein, aber der Kopf könnte anfangen zum Wehtun“, hatte sie oft erwidert.
Nie hätte sie mit bloßer Hand ihre Kredenzgriffe oder Türklinken benützt, sondern hatte immer ein Geschirrtuch in der Hand, um sich ihre Hände nicht am kalten Griff zu verkühlen. Und abends nahm sie das Fernglas, besichtigte wichtigtuerisch die Himmelsgestirne, reimte sich allerlei Unheil bringende, künftige Vorkommnisse zusammen, um der Astrologie zu frönen.
„Was für eine Schande. Wir sind bessere Leute. Unsere Verwandten und alle im Dorf werden lachen über dich“, verhöhnte Angelique Patriks Großmutter wieder und riss Patrik aus seinen Gedanken.
„Ja, das war ihr sehr wichtig, dass alle in ihrem Heimatdorf am Land den Eindruck gewannen, sie hätte sich von ihrer Herkunft als einfaches Bauernmädchen verabschiedet, mit ihrer Heirat einen Glücksgriff gemacht und gehöre mit ihrem Beamtengatten der höheren Schicht an“, erwiderte Patrik.
Ja, Großmutter würde sich schämen vor ihren Verwandten im Dorf wegen ihrer alten, verwelkten Schwiegertochter mit ihrer vulgären Art.
Aber wie sehr sie und sein Großvater von ihren Verwandten verhöhnt und verlacht wurden im Dorf und er sich dafür schämte, wusste Großmutter nicht.
Jedes Mal, wenn er als Kind mit seinen Großeltern im Heimatdorf seiner Großmutter mit dem Bus ankam, wo sie zu Hochzeiten und Geburtstagsfeiern bei ihren Verwandten eingeladen waren, spielte sich Großmutter als Beamtengattin auf und Patrik schämte sich sowohl ihretwegen als auch wegen seines Großvaters.
Sobald sie im Dorf auftauchten, spotteten die Leute: „Die Städter mit ihrem Vogel sind wieder da.“ Und bald gab es ein Gelächter unter den Bauern. Mit ihrem Aufzug und ihrem Benehmen machten sie sich im Dorf lächerlich. Beide Großeltern waren immer in dieselbe altmodische Kleidung gekleidet. Sobald sie in ihrer altmodischen Kleidung und Schuhen, Hüten mit Federn, ins Dorf kamen, waren sie dem Gespött der Dorfbewohner ausgesetzt. Im Winter trugen sie ihre Jacken unterhalb ihrer Mäntel aus Angst, dass die Jacken derweil zuhause gestohlen werden könnten. Wenn Großmutter mit ihren Stöckelschuhen auf der Gasse in den Gatsch oder auf die Exkremente der Gänse, Hühner, Enten, Hunde stieg, wurde sie wütend und scheuchte alle Tiere weg.
Sowohl Großmutter als auch Großvater trugen in ihren Rucksäcken ihre wertvollsten Gegenstände und Barvermögen mit, aus Angst, zuhause ausgeraubt zu werden, und ließen diese Rucksäcke nie aus den Augen, damit sie nicht gestohlen werden konnten. Zuhause hatten sie vor ihrem Weggang alle Schränke verbarrikadiert, um einen eventuellen Dieb aufhalten zu können, bis er entdeckt werden würde. In der einen Hand trug Großvater den Käfig mit dem Papagei, in der anderen Hand eine Topfpflanze, da sie niemanden bitten konnten, den Papagei oder die Topfpflanze zu betreuen, weil ihre Bekannten alle unter ihrer Würde waren. Großvater sah mit seinem Schnauzer, seinen Hosenträgern, in seiner Hose mit einem eingesetzten Zwickel am Gesäßteil, seinen Ärmelschonern, Nickelbrille und zwei Hüten übereinander so komisch aus, als wirke er zusammen mit Charly Chaplin in einem Stummfilm aus längst vergangenen Zeiten mit.
„Sie ist verrückt und hochnäsig. Sie benimmt sich so, als wäre sie die Königin von England“, schimpfte Angelique wieder.
Als hätte sie wie bei einer Gedankenübertragung Patriks Gedanken erraten. Tatsächlich kannte er diese Bezeichnung für seine Großmutter von den Verwandten am Land. Heimlich musste er lächeln.
Sobald Patrik sich von seinen Großeltern entfernte und seine Großmutter außer Sicht- und Hörweite war, hörte er die Verwandten über sie lästern.
„Unsere Königin von England ist auch wieder hier. Die trägt ihre Nase so hoch, dass es bald hineinregnen wird.“
Wir leben nicht wie die Königin, sondern so arm wie eine Kirchenmaus, hätte Patrik gerne erwidert. Sie muss sparen und ist so knausrig. Und dennoch wollte sie jedem zeigen, dass sie eine Bessere wäre und was sie sich alles leisten könne. Beim Kauf dieses Kleides, das sie unbedingt zu dieser Feier haben wollte und es ihr zu teuer war, kniete sie sich vor der Verkäuferin mit bittenden Händen nieder: „Bitte, verkaufen Sie mir das Kleid billiger, ich muss es haben. Ich fahre auf das Land zu meinen Verwandten und muss Eindruck machen und gut aussehen. Ich habe dort reiche Verwandte und werde ihr Geschäft weiterempfehlen“, log sie. Patrik hatte sich so geschämt und wäre am liebsten unsichtbar geworden.
„Gleich wird sie wieder anfangen, sich mit ihrem Beamtengatten zu prahlen. Wenn sie auch sonst nichts spricht mit uns primitiven Bauern“, hörte Patrik die Verwandten lästern.
„Nur weil sie einen Beamten mit ihrer vorgetäuschten Schwangerschaft überrumpelt hat und ihr dieser auf den Leim ging, bildet sie sich ein, etwas Besseres zu sein. Wir Bauern sind ihr zu dumm. Dabei ist sie die Ärmste unter uns. Lebenslang geht sie mit demselben Hut, Mantel und Handschuhen und prahlt sich, obwohl sie arm wie eine Kirchenmaus ist und nur auf Miete in zwei Räumen haust. Sie hat nur das, was sie am Körper trägt. Ihre Briefe zu Ostern und Weihnachten schreibt sie aus lauter Sparsamkeit auf Zeitungsrändern und braunen Zuckersackerln. Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz.“
„Nie würde sie uns helfen. Arbeiten und sich dreckig machen hat die nie mögen, deshalb ist sie auch fortgegangen von hier“, höhnten andere Zuhörer.
„Was die für Ansprüche stellt. Hoffentlich ist unser Zimmer sauber und stinkt nicht vom Stallgeruch und vom Misthaufen, weil ich dann nicht schlafen kann. Wir möchten keine Läuse und Flöhe heimbringen. Mein Mann ist Beamter, er ist was Besseres gewohnt“, scherzten sie.
„Wir sollten den grünen Heinrich anrufen“, (in die Psychiatrie bringen lassen) lachte ein anderer.
„Ihr Erbteil, welches wir von unseren Feldern und dreckigen, stinkenden Ställen erarbeitet haben, hat sie schon von uns genommen. Das war ihr nicht zu schmutzig“, ätzte eine andere Verwandte.
Ein besonderes Erlebnis hörte Patrik jedes Mal, wenn er ins Dorf kam. Als Großmutter einmal nach langer Zeit ins Dorf kam und einen Rechen sah, fragte sie: „Was ist das für ein Ding?“ Sie stieg auf den Rechen, der schnellte hoch und schlug ihr auf den Kopf. Sie fürchtete, eine Beule am Kopf zu haben, weinte und schrie: „Oh du dummer Rechenstiel.“
Jedes Mal, wenn Großmutter im Dorf auftauchte, lachten die Leute im Dorf und erzählten diese Geschichte ihren Kindern und Enkelkindern.
„Diese neunmalgescheite Stadtdame ist grad so falsch und ein abgebrühtes Luder wie ihre Mutter es war. Ihre Mutter ist auch immer unter dem Vorwand, sie müsse ihre kaputte Nähmaschine in Ungarn reparieren lassen, nach Ungarn gegangen, wo sie einen Liebhaber hatte. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Die Tochter ist genauso mit allen Wassern gewaschen wie ihre Mutter. Keine andere Frau hat es geschafft, ohne Geld nach Amerika hin und zurückzufahren. Ihre Mutter schon. Als ein Besucher aus Amerika ins Dorf kam, hat sie sich an ihn rangeworfen, damit er sie nach Amerika mitnimmt. Er hat sich in sie verliebt, hat sie mitgenommen nach Amerika und hat ihr die Fahrt im Glauben an ein gemeinsames Leben bezahlt. Dort hat sie auch nicht arbeiten mögen und konnte ihm die Fahrtkosten nicht zurückzahlen. Das Heimweh hat sie geplagt. Dann hat sie sich in Amerika einen anderen Heimkehrer angelacht und ist mit ihm kostenlos heimgefahren, denn der hat auch ihre Fahrt bezahlt. Geheiratet hat sie keinen und keinem hat sie jemals die Fahrtkosten ersetzt“, höhnte eine andere Verwandte.
Von all dem Gespött auf ihre Person bekam Großmutter nichts mit. Als hätte sie ihre Rolle als Beamtengattin genau einstudiert, ging vor jeder Feier das Gezeter um einen geeigneten Sitzplatz los. Wo sollen wir sitzen? Zum einen war ihr nicht jeder Sitznachbar genehm, zum anderen war zu viel Zugluft am Platz, beim Fenster stank es vom Kuhstall her, sodass sie fast keinen geeigneten Sitzplatz finden konnte. Niemals wäre sie an der Seite ihrer Schwester Anna gesessen, mit der sie wegen des Erbteils zerstritten war.
Jahrelang waren sie sich deswegen ausgewichen und als sie sich nach Jahren einmal bei einem Krankenbesuch eines Verwandten im Spital wieder trafen, erkannten sie sich nicht. Wenn dann ein geeigneter Sitzplatz gefunden war, saß seine Großmutter als Einzige beim Essen mit Hut wie eine Generalin da, um ihre vermeintliche Besserstellung als Beamtengattin und als Städterin darzutun. Wenn sie auch sonst nicht sprach mit den primitiven Leuten, wie sie die Bauern stets bezeichnete, aber dass ihr Mann ein Beamter wäre, erzählte sie jedem bis zum Kleinkind. „Mein Mann ist Beamter, er kann als Einziger unter seinen Kollegen mit der Schreibmaschine mit allen zehn Fingern schreiben, deswegen halten ihn seine Kollegen immer in den Wirtshäusern zehrungsfrei“, prahlte sie stets.
Listig fragten die Bauern, wo denn Patriks Eltern wären und beobachteten schadenfroh, wie rot und verlegen sie wurde.
Um das Fehlen von Patriks Eltern zu beschönigen, erklärte sie eindrucksvoll, dass Patriks Vater Schiffskapitän wäre. „Er ist nicht viel zuhause. Leider ist Patriks Mutter auch verreist, sodass heute niemand mitkommen konnte“, log sie, um Eindruck zu schinden.
Die Verwandten lästerten: „Wer weiß, wo seine Mutter umeinander liantscht (haust) und wer weiß ob sie weiß, wer Patriks Vater ist. Vielleicht ist er bali gegangen (abgehauen).“
Sogleich begann Großmutter am Tisch vor sich Platz zu schaffen, damit die Speisen vor ihr hingestellt werden konnten. Dann befehligte sie die Aufträgerinnen gebieterisch, die Speisen vor ihr hinzustellen. „Die haben keinen Respekt vor uns. Denen musst du alles sagen“, erzürnte sie sich zu Großvater.
Kaum war das Essen auf dem Tisch, entrüstete sie sich zu ihrem Mann. „Es sind so viele Fliegen und Gelsen im Raum und auf dem Essen. Im Zimmer waren abends auch so viele, so dass ich nicht schlafen konnte. Das ist unter unserem Niveau.“
Dann beklagte sie sich, das schmackhafte Essen vor sich: „Mein empfindlicher Magen kann die fetten Speisen, mit Schmalz zubereitet, nicht vertragen. Ich werde wieder Sodbrennen bekommen und vom Zwiebel im Kartoffelsalat Kopfweh bekommen“, obwohl sie aß wie ein Drescher und die Leute sie auslachten. Kurz darauf mokierte sie sich darüber, dass das Geschirr nach Abwaschwasser stinke. „Kein Wunder, sie sind noch so rückständig und waschen das Geschirr mit Waschln aus alten Baumwollunterhosen ab“, erklärte sie wütend. Und als beim Essen gekochte Dörrpflaumen als Kompott gereicht wurden, vertraute sie Patrik bedauernd an, dass diese Dörrpflaumen nicht mit dem silbernen Löffel ins Glas gegeben wurden, so wie sie es bei der Zubereitung des Kompottes immer tat.
Als geladene Gäste bei Familienfesten aßen und tranken sie mit einer am Hals eingeklemmten Serviette übermäßig viel, so dass es jedem auffiel. Außerdem hatte seine Großmutter ständig ein Nylonsackerl bei sich, worin sie Essen ins Tascherl verschwinden ließ. „Die Wiener fangen wieder zu hamstern an“, schrie einmal ein Betrunkener, der alles beobachtet hatte. Bald lachten die Verwandten: „Habt ihr gesehen, wie viel die am Tisch gegessen haben. Gefressen haben die wie die Drescher, als hätten sie schon acht Tage lang nichts gegessen. Und wieder werden wir wie immer das restliche Essen einpacken müssen und den armen Schluckern mitgeben müssen, obwohl die angesehene Beamtengattin in ihrem Tascherl etliche Speisen und Krapfen schon verschwinden hat lassen.“
Um Eindruck zu schinden und die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, prahlte Großmutter laut, dass sie am Opernball in Wien gewesen wären.
Dann haben sie ein halbes Jahr vorher nur Kartoffel gegessen, um sich das leisten zu können, hörte Patrik jemanden sagen. Sie haben es zu nichts gebracht und sind die ärmsten Leute unter uns. Aber angeben wie die Grafen. „Dass sie ab Monatsmitte nur mehr eingebrannte Linsen essen, weil sie kein Geld mehr haben, sagt sie nicht. Dabei sagt sie, dass sie sich für uns schämen muss. Wir müssen uns für sie schämen.“
Um so einen Besuch brauchst nicht ruiseln (Sehnsucht haben) hörte Patrik, während sein Gesicht blutrot vor Scham anlief.
Während Patrik und Angelique damals nach dem Besuch bei Großmutter nebeneinander schlenderten, war Patrik sehr schweigsam. Warum soll ich dir von Großmutters Macken erzählen? Das würde nichts ändern. Trotz ihrer Hirngespinste liebte er seine Großmutter wie eine Heilige, so wie sie ihn abgöttisch liebte. Keine andere Frau hatte je den Stellenwert, den seine Großmutter hatte.
Damals hatte Patrik beschlossen, mit Angelique nie wieder seine Großmutter zu besuchen. Wie zum Trotz hatten Patrik und Angelique geheiratet, als hätten sie sich gegen Patriks Großmutter verschworen. Die Welt ständig schön getrunken, geblendet vom täglichen Geldrausch lobte Patrik bald Angeliques einzigartige Schönheit und Geschäftstüchtigkeit, sodass sie bald glaubte, sie sei durch ihn eine besonders begehrenswerte Frau geworden.
Das Rotlichtmilieu war Patriks wirkliche Heimat geworden. Hier ging sein Stern auf und seine Leuchtkraft strahlte im zwielichtigen Dunstkreis dieser niederträchtigen Scheinwelt. Hier regierten zweifelhafte, gierige, geile Typen der Unterwelt, mit ihren eigenen, selbst geschaffenen Gesetzen, erhaben über jede Weltordnung vor der Tür, denen Patrik ebenbürtig sein wollte. Sie waren Herrscher in ihrem eigenen Reich. Einmischung und Widerspruch wurde nicht geduldet. Patrik bewunderte ihre unantastbare Autorität. Er sah, wie sie geliebt, verehrt und zugleich gefürchtet wurden von den unterknechteten, dienenden, ausgebeuteten, meist weiblichen Lakaien.
Wie gerne hätte er an ihrer Stelle jeden Tag das Geld als seines gezählt und das Schwarzgeld sichergestellt.
Und dennoch traten bald dunkle Schatten in Patriks Leben auf. Immer öfters machte Patrik betrunken Ärger, wenn er beim Spiel viel Geld verlor.
An einem Donnerstagabend, als er wieder einmal von den Schlägertrupps des Rotlichtmilieus zusammengeschlagen, nackt, blutend im Straßengraben mit blauen Flecken übersät lag, dann langsam voller Schmerzen heimhumpelte, überlegte er verbittert, sein aufreibendes, kriminelles Leben in der Stadt zu beenden und ein ruhiges Leben mit Angelique auf dem Land zu führen. Vielleicht würden sich die Kameraden im Dorf wieder freuen, wenn er sie wieder besuchen würde. Sie könnten die alten Erinnerungen und Bubenstücke wieder auffrischen.
Großvater mit seiner Besserwisserei und Großmutter mit ihrer unleidlichen Überheblichkeit, Angeberei und Überfürsorglichkeit beschämten ihn und machten ihn anfangs zum Außenseiter, sodass er gemieden und ausgelacht wurde von den Dorfbuben. Deshalb war er oft böse auf seine Großeltern.
Eigentlich durfte er zufolge des Verbotes seiner Großmutter nicht mit den dummen Bauernlümmeln beisammen sein.
Sobald sich neugierige Bauernkinder, Kleinkinder, von älteren Geschwistern am Rücken getragen, mit ausgewetzten, geflickten Schürzen und Schuhen ihm näherten und hinter vorgehaltener Hand kicherten, stieß Großmutter sie hochnäsig weg. „Geht weg ihr stinkenden Bauernkinder. Wir sind aus der Stadt. Wir sind was Besseres. Ihr stinkt vom Misthaufen, von der Jauche und vom Stall. Unser Patrik ist vornehm und gebildet. Er darf nicht spielen mit euch. Wir wollen mit euch nichts zu tun haben.“
Im nächsten Moment betrachtete er seine Narbe an der Hand, die er den Dorfbuben zu verdanken hatte.
Plötzlich breiteten sich seine schlimmen Erinnerungen mit den Buben ungehindert aus, welche wie ein Brandmal an ihm hafteten. Unweigerlich musste er daran denken, wie ausgelacht und verhöhnt seine Großeltern und er von den Buben, den Dorfleuten und ihren Verwandten wurden. Nicht genug, dass er oft von den Buben wegen seiner Großeltern gehänselt wurde, wurde er oft auch als Sündenbock und Bauernopfer missbraucht. Patrik war es äußerst peinlich, wenn seine Großmutter ihn als Grund dafür vorschob, Forderungen an ihre Verwandten zu stellen. „Unser Patrik ist was Besseres. Er ist es nicht gewohnt, in einem Federnbett zu schlafen. Das Brot essen wir nur vom Bäcker. Die Eier, das Fleisch und die Milch müssen gekauft werden, denn von den dreckigen, stinkenden Ställen essen wir keine Produkte. Dass wir die Notdurft im von Hühnern verdreckten Abort im Freien verrichten müssen, ist eine Zumutung für uns“, erklärte sie vor ihren Verwandten.
Wenn Patrik hinfiel, sich seine Knie aufschürfte, glich dies einem Weltuntergang. „Der arme Bub hat sich verletzt und schuld dran seid nur ihr, weil ihr ihn verführt habt. Es hätte viel schlimmer ausgehen können, er hätte tot sein können“, schimpfte sie die Dorfbuben.
„Diese Bauernkinder sind rückständig und zu gewöhnlich für dich. Du brauchst dich nicht abgeben mit ihnen“, belehrte sie Patrik vor den anwesenden Buben.
Die Buben äfften seine Großmutter nach. „Deine Großmutter tut so, als wärest du ein Prinz.“
Ebenso durfte Patrik nie auf einen Baum klettern, da seine Großmutter Angst hatte, er könne sich verletzen. Als Vorsorge musste er immer, bei jeder Hitze, lange Hosen über seine kurze Lederhose und lange Hemden tragen.
Die Eltern der Bauernkinder hitzten (hetzten) ihre Kinder gegen Patrik auf. „Zeigt es dem verwöhnten Städter, dass die Bauernbuben stärker sind. Seine Großmutter hält ihm immer die Stange (nimmt ihn in Schutz). Der hat eh nur eine große Goschen, sonst ist er feig, er traut sich nichts. Verpasst ihm eine Abreibung. Ihr seid viel stärker“, stachelten sie ihre Buben an. Dann lachten die Buben über ihn: „Du bist ein wehleidiges Weichei, du Städter traust dich nichts, du tust nur groß reden. Und deine Großeltern sind erst komische Vögel. Die gehören ausgestopft und im Museum ausgestellt. Und dabei bilden sie sich noch ein, sie seien etwas Besseres wie wir.“
Immer, wenn die Buben etwas angestellt hatten, machten sie Patrik zum Sündenbock. Nie konnte er sich sicher sein, ob sie ihn nur deshalb mitnahmen, um ihn als den Schuldigen und als ihr Bauernopfer zu missbrauchen. So kam es vor, dass sie ihn nach einer Missetat in die Selch oder in den Abort von Bauern einsperrten, wobei er jedes Mal durch dessen Hund verraten wurde. Und wenn die Bauern ihn im Versteck fanden, verfolgten sie Patrik mit der Mistgabel und die Buben lachten.
Oder sie stellten eine Leiter an die Obstbäume und zogen diese weg, wenn er auf dem Baum war, liefen fort, sodass ihn die Besitzer beim Stehlen erwischten und ihre Hunde auf ihn hetzten. Versteckt beobachteten sie ihn, wenn er in ein Dornengebüsch sprang, sich verletzte, um zu fliehen.
Patrik wollte dazugehören und mit den Buben auch Spaß haben. Und so bemühte er sich, ihnen zu gefallen, um sie als Freunde zu gewinnen. Sobald die Luft rein war, lockte er die Buben in das Haus seiner verkalkten Urgroßmutter, um sie zusammen mit den Buben zum Narren zu halten.
Meist saß seine Urgroßmutter im schönsten Gewand beim Fernsehen. „Warum haben Sie sich so schön angezogen?“, fragten die Buben, worauf sie antwortete: „Die da drinnen im Fernsehen sind auch alle schön angezogen. Sie schauen auch immer auf mich, ob ich ordentlich angezogen bin.“ Oder Patriks Urgroßmutter fragte die Buben: „Ist das alles wahr, was im Fernsehen zu sehen ist?“ Ein anderes Mal fragte sie entrüstet, warum beim Fußballmatch nur ein Ball im Spielfeld wäre und alle Spieler nur dem einen Ball nachlaufen würden, sie sollten doch mehr Bälle ins Feld werfen, sodass alle lachten.
Dann erzählte Patriks Urgroßmutter, dass sie schon überall gewesen sei, in Amerika-Bergen und auch sonst überall in der Welt. Als sie dann gefragt wurde, ob sie auch schon im Esels-Berg gewesen wäre, antwortete sie: „Ja, ja, dort war ich auch schon.“
Wenn sie ihre kleine Rente vom Briefträger ausbezahlt bekam, war es immer ein lustiges Theater für die Buben. Wenn sie einen lichten Moment hatte und der Briefträger ihr die Rente auszahlte, so jammerte sie ihm vor, das könne nicht wahr sein, dass sie nicht mehr Rente bekomme, ihre Nachbarin habe auch nicht mehr gearbeitet als sie und würde mehr bekommen. Da stimme etwas nicht, er müsse sich irren. Der Briefträger erklärte geduldig, er könne nicht mehr auszahlen, als auf dem Pensionsabschnitt stehe. Sie erwiderte: „Wozu habe ich so viel gearbeitet und mich so geschunden?“ Das Leben sei ein Kampf, jetzt sei auch noch ihr lieber Mann verstorben. Und so ging es eine Weile hin und her. Bis der Briefträger, ein im Krieg verschütteter Stotterer, entrüstet stotterte: „Hast dein Oltn (Mann) schon unter die Erd’ bracht, möchst mich auch dorthin bringen?“
Patrik wurde erst nach einer Mutprobe als ihr Freund aufgenommen. Dass die Buben vorher beschlossen hatten, ihm quasi als Aufnahmsprüfung eine Mutprobe aufzuerlegen und ihn erst nach Bestehen dieser Prüfung als Freund aufnehmen würden, wusste er nicht.
Meist am Sonntagnachmittag trafen sich die älteren Frauen, welche im Dorf verächtlich die Kopftuchmafia genannt wurde, nach dem Rosenkranzbeten. Die Frauen waren mit ein paar Kitteln übereinander bekleidet. Sie trugen keine Unterhosen und saßen auf einer Bank neben der Kapelle etwas außerhalb des Dorfes.
Es hatte sich im Dorf unter den betrunkenen Männern im Gasthaus herumgesprochen, dass diese Weiber einen obszönen Diskurs führen würden, was die Buben gehört hatten. Vor der Kapelle machten die Frauen ein Knickserl und das Kreuzzeichen und sogleich fing ein paar Schritte weiter auf der Bank der Tratsch und die Verurteilung der Dorfleute, wie bei einem öffentlichen Tribunal, statt. „Die Kopftuchmafia tagt schon wieder, um andere Leute auszurichten und von der eigenen Schande abzulenken“, lachten ihre Gegner im Dorf.
Unweit dieser Bank befand sich ein Schacht, darüber ein Gitter. Das Gitter hoben die Buben vor dem Eintreffen der Frauen hoch und krochen in den Schacht, um die Weiber zu belauschen. In diesem dunklen Schacht voller Ungeziefer, Mäuse und Ratten hischalten (fröstelten) die Buben lauernd zusammengekauert, um den Tratsch und sonstige Geheimnisse zwischen Eheleuten, einer geheimen Aufklärung gleich, zu erhaschen.
Und so erzählten die Tratschweiber als enge Vertraute einander lüsterne Geheimnisse, wobei jede der Zuhörerinnen versprechen musste, kein Sterbenswörtchen zu verraten, nicht wissend, dass sie jugendliche Zuhörer im Schacht hatten. Im Normalfall hätten sie nie vor Buben und Mädchen einen solchen obszönen Diskurs geführt, sondern die Kinder immer vorher verjagt. Die eine erzählte, dass die Pfarrersköchin, im Gegenteil zu ihnen, Unterhosen trage und wahrscheinlich jeden Tag wechsle, da sie dies an der aufgehängten Wäsche abzählen könne. Die andere erzählte, dass sie befürchtete, ein Rauschkind auf die Welt zu bringen, denn wenn ihr Mann auch noch so betrunken sei und demzufolge den Kopf kaum in die Höhe brachte, aber unten immer noch tüchtig wäre.
Die andere sagte: „Gut, dass ich so einen fleißigen, braven Mann habe. Ich brauche nicht in der Hitze auf dem Feld arbeiten und kann mich daheim ausrasten.“
„Wie machst du das?“, fragte eine andere neugierig.
„Ich sage ihm, dass ich ihm eine gute Jause und einen Wein nachbringen werde und verspreche ihm, ihn abends für seinen Fleiß im Ehebett zu belohnen. Und dann arbeitet er fleißig allein auf dem Feld. Wenn er dann müde nach Hause kommt, ist er ohnehin zu erschöpft für die Liebe.“ Und alle lachten.
Der Höhepunkt für die Buben im Schacht war, und dies war der eigentliche Grund, warum sie im Schacht waren, wenn eine Frau in den Schacht urinieren ging und sie im Schacht stehend einen Blick auf deren Geschlechtsteil erhaschen konnten, während sich diese erleichterte. Dass die Frauen unter ihren vielen Kitteln keine Unterhosen trugen, wussten sie. Dann, als eine Frau urinierte, kam ihnen ein stinkendender Geruch wie bei einem toten Fisch, zusammen mit dem Urinstrahl entgegen. Sofort drückten die Buben Patrik unter den Urinstrahl, welchen er mit einem weinerlichen Gesicht und geschlossenen Augen lautlos ertrug und war fortan aufgenommen in ihren Freundeskreis.
„Das alles bleibt unter uns. Nichts für ungut“, sagten die Frauen beim Abschied, wenn sie ihren Heimweg antraten, während die stillen Mitwisser im Schacht sich versteckt ins Fäustchen lachten.
Nach dieser Mutprobe gehörte Patrik dazu und hatte durchwegs auch schöne Erlebnisse. Immer, wenn er sich in einem unbeobachteten Moment heimlich davonschlich, hatte er mit den Dorfbuben interessante Erlebnisse. Sie nahmen ihn mit, wenn sie nachts ihre Bubenstückl ausführten, um eine Hetz zu haben.
Lächelnd erinnerte sich Patrik an den Gründungstag des Verschönerungsvereines im Dorf zurück, an dem sogleich beschlossen wurde, dass die vor den Häusern stehenden alten Zwetschkenbäume entfernt werden müssten, um „neumodische“ Sträucher und Blumen zu pflanzen. Es wurde heftig dabei gestritten. Und am nächsten Tag, als alle Zwetschkenbäume von den Buben umgeschnitten waren, wurde darüber gerätselt, wer dies getan haben könnte. Versonnen erinnerte er sich, wie sie sich heimlich in die Bergkeller schlichen, mit dem Weinheber aus Kürbisgewächs Wein aus den Fässern saugten und sich mit dem Wein betranken. Das rund ums Haus aufgestellte Kukuruzstroh oder die Kukuruzbeikerl (aufgestellte Kukuruzmandl) warfen sie um, verstreuten vom Misthaufen viel Mist auf den Höfen oder versteckten Werkzeug und Holz.
Freundlich boten sich die Buben bei den Bauern an, die Milch zum Abrahmen in die Milchsammelstelle zu bringen, um den Rahm heimlich abzuschöpfen und ihn zuhause als Süßrahm zu verzehren. Aber auch, um Milch von den fremden Milchkannen in die eigene Milchkanne zu schütten. Sie kletterten mittels einer Räuberleiter oder Steigeisen auf die Bäume und nahmen die Jungen aus den Krähen- und Wachtelnestern oder richteten Krahschrecker aus Stroh vor den Stalltüren auf, sodass diese den Bauern frühmorgens im Dunkeln entgegenfielen. Oder sie warfen Strohtristen um, stahlen das Obst von den Obstbäumen und rissen die Weintrauben von den Reben.
Und so beschloss Patrik an jenem Abend, nachdem er zusammengeschlagen wurde und voller Schmerzen auf Angelique wartete, seinem Leben eine Kehrtwendung zu geben, in geordnete Bahnen zu lenken und mit ihr aufs Land zu ziehen.
Ich lasse mich nie wieder zusammenschlagen und werde nie wieder Angst vor einer Schlägerei haben. Deswegen werden wir aufs Land gehen, um ein ruhiges Leben zu führen. Und als am selben Abend noch dazu Angelique wieder einmal vorjammerte, wie schwer ihr Leben auf dem Straßenstrich verlaufen würde, teilte er ihr seinen Entschluss mit. In einem Anflug von Wut, Resignation und Selbstmitleid beteuerte er, er hätte die Nase voll von diesem lasterhaften Leben in dieser Stadt, welches ihn auszehren und krank machen würde. Er erzählte ihr, dass er öfters davon träume, ein neues, bescheidenes Leben mit ihr auf dem Land beginnen zu wollen.
„Seit einiger Zeit überlege ich, zusammen mit dir ein ruhiges Leben zu beginnen. Ich werde keinen Alkohol mehr trinken und das Geld nicht mehr sinnlos verprassen. Das ruiniert nur meine Gesundheit. Ich möchte mit dir ein neues Leben auf dem Land mit Kindern und Tieren beginnen“, erklärte er sichtlich geläutert, während er seine blauen Flecken betrachtete. „Das Leben auf dem Land ist langsamer, erholsamer, als wärest du im Urlaub. Da habe ich keine Feinde und brauche mich nicht fürchten, niedergeschlagen zu werden“, versuchte er Angelique zu überzeugen.
„Ich gehe nicht aufs Land und auf gar keinen Fall kriege ich ein Kind“, verneinte Angelique entschieden. Am liebsten hätte sie ihm entgegengeschmettert, dass kein Mann der Welt wert sei, für ihn ein Kind auszutragen.
Dass er auf derart großen Widerstand stieß, befremdete ihn. Wütend darüber, schrie er: „Du willst die Hurerei gar nicht aufgeben, obwohl du immer jammerst. Dir gefällt es immer, abwechselnde Männer im Bett zu haben. Ein Mann allein genügt dir nicht. Du kriegst nie genug. Weißt du überhaupt, wie viele Freier du schon gehabt hast?“
In ihrem Zorn, unterstützt durch ihre aufgestaute Wut, funkelte sie ihn an: „Eine ganze Kompanie. Ich könnte mit meinen Freiern eine Leitung rund um die Stadt legen.“
Einen Augenblick überlegte Patrik. Dann erklärte er, um Versöhnung bemüht: „Ein Kind könnte neues Leben in unsere Beziehung bringen.“
„Nein, nie und nimmer.“
Weshalb hätte sie ihm sagen sollen, dass sie durch die vielen Infektionen und Aborte unfruchtbar geworden war?
„Vor vielen Jahren habe ich einen Sohn bekommen, den ich zur Adoption freigab. Ich habe seitdem nichts mehr von ihm gehört“, erklärte sie und erschrak im selben Moment darüber, dass sie ihm unbewusst ihr größtes Geheimnis verraten hatte.
Was wusste Patrik, welche Qualen sie litt. Jedes Mal, wenn sich ein schüchterner Junge vor ihr das erste Mal auszog, fürchtete sie, es wäre ihr Sohn, ein ständiger Albtraum.
Erst gestern hatte sie einen bestimmt erst Vierzehnjährigen in die Liebe einführen müssen. Sie hatte sich anfangs sehr geschämt, diesem jungen, unerfahrenen Kind ihr schändliches Treiben zu offenbaren, da sie seine Großmutter hätte sein können. Als er dann aber seine Befriedigung fand, sah sie in seine glücklichen Augen und wusste, dass sie an ihm eine gute Tat vollbracht hatte. Er versprach, fleißig sein Taschengeld zu sparen und sobald er das Geld für ihren Lohn wieder beisammen habe, wieder zu kommen.
Du hast einen Sohn. Gut zu wissen, mein Täubchen, überlegte Patrik süffisant. Damit, mein Goldschatz, hast du mir ein Werkzeug in die Hand gelegt, welches ich verwenden werde, falls du nicht mehr spurst.
Durch Patriks Übermut, seine Unverlässlichkeit, seine Attacken gegen Angelique und seine immer höheren Geldausgaben, begann es in der Ehe bald zu kriseln.
An jenem regnerischen Novemberabend, als sich Patrik von den Schlägen wieder erholt und sich das erste Mal wieder aus der Wohnung getraut hatte, hatten ihn Fredy und seine guten Freunde als eine Art Willkommensgruß zu ein paar Drinks eingeladen, sodass er betrunken wurde. Als Angelique erkältet und patschnass nach Hause ging und sich darauf freute, in ihre warme Wohnung zu kommen, um sich an Patrik wärmen zu können, zuhause weder Patrik vorfand noch die Wohnung geheizt war, entlud sich ihr Zorn das erste Mal explosionsartig, als er endlich betrunken heimkam.
„Wo warst du? Wieso warst du nicht zuhause? Während ich patschnass, frierend, mit kalten Füßen heimgegangen bin und mich auf dich und die warme Wohnung gefreut habe, hast du gefeiert und gesoffen. Weder warst du daheim noch war die Wohnung warm.“
Schwankend und wortlos ging er teilnahmslos zum Kühlschrank und nahm sich ein Bier. „Du wirfst mein sauer verdientes Geld mit beiden Händen beim Fenster hinaus. Du weißt nicht, wie schwer ich es verdienen muss“, fuhr sie wütend fort.
Während sie selber sparsam lebte, ärgerte sie sich über Patriks maßlose Geldverschwendung. Denn Patrik verspürte den Drang, ständig vor seinen neuen Freunden mit Geld zu prahlen und sich als würdig erweisen zu müssen, um dazuzugehören. Einmal bestellte er betrunken aus Jux und Tollerei drei Taxis gleichzeitig. Das erste Taxi musste seinen Hut, das zweite Taxi seinen Mantel und das dritte Taxi musste ihn nach Hause befördern. Als Angelique davon hörte, war sie außer sich vor Wut.
„Kannst du mir das Bier öffnen? Ich bin zu betrunken“, fragte er lallend, als würden die Vorwürfe nicht ihm gelten, was Angelique noch mehr ärgerte.
„Ich tue alles für dich, nur dass mein Sunnyboy glücklich und zufrieden ist. Denn, dass es dir gut geht, ist alles, was ich will“, schrie sie, während sie die Bierflasche öffnete. Im Normalfall turnte Patrik diese vollkommene Untergebenheit und Selbstaufgabe der Frauen an, aber irgendwie schien das bei Angelique nicht zu funktionieren. Eigentlich war er nur in dem Moment glücklich mit ihr, wenn er von ihr Geld bekam.
Dann trank er gierig aus seiner Bierflasche.
„Was würde ich ohne meine Seelentrösterin tun?“ Er schaute auf die Bierflasche als wäre diese seine Geliebte und Angelique nicht vorhanden.
Das machte Angelique noch wütender. „Du weißt nicht, welche Opfer ich für dich bringe. Selbst wenn ich erkältet bin, arbeite ich, während du nichts für mich tust“, fuhr sie wütend fort. Es ärgerte sie, wenn er zu viel trank, die Zeit vergaß und seinen Teil der Abmachung, so wie heute, nicht einhielt. Wenn schlechtes Wetter war, empfing sie ihre Freier zuhause. Wenn sie dann von ihrer Straßenecke, wo sie die Freier sonst ansprach, heimkam, Patrik nicht zuhause war und seinen Teil der Abmachung nicht erfüllte, war sie böse. Denn Patrik hatte die Aufgabe, die Wohnung zu heizen, ein dämmriges Licht einzuschalten, Blumen, Kondome bereitzustellen, wohlriechende Duftstoffe zu versprühen, einen Imbiss und eine Flasche Sekt in einem Sektkübel zu kühlen, damit eine vornehme, erquickliche Wohlfühlatmosphäre aufkommen sollte. Wie sollte sie sich zitternd vor Kälte in der eiskalten Wohnung ausziehen und ein aufreizendes Negligé anziehen? „Warum kommst du nicht heim und erfüllst deinen Teil der Abmachung? So kannst du mich nicht beschützen vor etwaigen gewalttätigen Freiern?“ Immer, wenn sie mit einem Freier heimkam, wusch sie diesen, seifte ihn sanft ein, aß und trank mit ihm, schäkerte solange, bis die erste halbe Stunde mit der Vorbereitung verstrichen war. Gewöhnlich meldete sich Patrik als ihr Beschützer und verlangte das Geld auch für die nächste halbe Stunde im Vorhinein, um zu signalisieren, dass er als ihr Beschützer da war.
„Du nimmst mir die Luft zum Atmen, willst mich wie eine Spinne im Netz immer an deiner Seite haben“, entgegnete er entrüstet.
„Es bleibt sowieso kein Geld übrig, ich werde meinen Beruf aufgeben“, drohte sie.
Erschrocken über diese Drohung, suchte Patrik Lerner die Versöhnung und ließ nichts unversucht, sie zu beruhigen, um seinen luxuriösen Lebenswandel aufrechterhalten zu können.
Du bist mein von Gott geschickter Goldesel, dich melke ich, so lange es geht. Nur schwindet das Geld viel zu schnell. Ich muss dafür sorgen, dass dein Einkommen höher wird. Mehr will ich nicht von dir, befand Patrik trotzig.
Um ihr Einkommen zu erhöhen, schaltete Patrik Zeitungsanzeigen. Außerdem vereinbarte er mit ihren Freiern, dass er bei Schlechtwetter eine rote Puppe außen am Fenster hinhängen würde als Zeichen, dass sie zuhause arbeitete, um ja keinen Verdienstentgang zu haben.
Außerdem meinte er eines Abends, um Gleichgültigkeit bemüht: „Unser Unternehmen ist ausbaufähig“, als wäre er ein erfahrener Geschäftsführer einer großen Firma. Du kannst viel mehr Geld von deinen Freiern herausholen, so wie es deine jungen Kolleginnen auch tun. Die Konkurrenz schläft nicht“, mahnte er.
Auch das noch, erschrak Angelique. In seinen Augen war sie eine alte, billige Hure, die zu wenig Geld einbrachte. Woher wusste er, wie ihre jungen Konkurrentinnen arbeiteten? Sie schaute ihn aus eiskalten Augen wortlos an, sodass er erstarrte. Wenn sie jetzt eine Waffe in Händen gehabt hätte, hätte sie ihn bedenkenlos abgeknallt. Sie erkannte in diesem Moment, dass er nicht besser war als ihr vorheriger Zuhälter Schurli, den alle Adlerauge nannten, weil er alles sah und den sie oft gedanklich aus Wut erschoss.
Angelique war als junge Frau mit dem festen Vorsatz nach Österreich gekommen, um hier Arbeit zu finden. Als dies nicht gelang, wollte sie frei und unabhängig ihrem Gewerbe nachgehen, anstatt eines Zuhälters ihre rumänische Familie unterstützen und einen ruhigen Lebensabend mit ihrem Erspartem in ihrer Heimat verbringen, dort wo ihre Wurzeln waren. Aber schon beim ersten Mal, als sie auf dem Straßenstrich stand, wurde sie in einer stockdunklen Nacht wortlos zusammengeschlagen. Als sie weinend mit blauen Flecken übersät dalag, half ihr ihr vermeintlicher Wohltäter auf, wischte den Staub von ihrer Kleidung und riet ihr, sie solle sich einen Beschützer besorgen, allein wäre es viel zu gefährlich. Nach einigem Zureden stimmte sie zu, was sie später oft bereute. Noch dazu gelangte sie immer mehr zur Erkenntnis, dass ihr Angreifer und Wohltäter dieselbe Person, nämlich ihr nunmehriger Ausbeuter Schurli war.
„Unser Unternehmen ist ausbaufähig“, hatte Patrik gesagt, wobei sie das Wort unser störte. Er trägt nichts bei zu unserem Unternehmen, er kassiert nur. Ich allein hole die Kastanien aus dem Feuer. Sie erkannte in dem Moment, dass alle Freier in ihrer Gier nach Geld gleich waren und ihre Huren bis zum letzten ausquetschten. Nur, dass sie das auf unterschiedliche Art und Weise taten. Patrik war nicht besser als ihr ehemaliger Zuhälter Schurli, ein gefürchteter Strizzi.
Schurli hatte sie meist aus unmittelbarer Nähe ihres Stammplatzes beobachtet. Wenn er sah, dass sie entgegenkommende Männer nicht absichtlich anrempelte, augenzwinkernd schmutzige Bemerkungen wie „Wie wär’s mit uns beiden“ und dergleichen zurief, die Männer nicht unsittlich wie zufällig am Schritt berührte, die Männer sich nicht in ein Gespräch zwecks Geschäftsabwicklung einließen oder wenn sie zu wenig Geld heimbrachte, schlug er sie grün und blau. Brachte sie viel Geld heim, verwöhnte er sie und hievte sie in den Himmel. Dann erfuhr sie selten, aber doch so etwas wie Anerkennung und Stolz, ein Gefühl, das sie sonst nicht kannte. Als Schurli dann eines Tages sagte, er brauche wegen seiner schwachen Lungen Luftveränderung und müsse ans Meer fahren, drohte er ihr, sie müsse ihm das ganze Geld nachschicken, denn an seiner statt würde sie von seinem besten Freund kontrolliert. „Wehe, du betrügst mich. Dann Gnade dir Gott, wenn ich wieder zurückkomme.“
Bald kam sein erster Brief von seinem Aufenthalt am Meer mit der Kontoverbindung. Und so überwies sie ihm das Geld auf sein Konto aus Angst, von seinem Freund verdroschen zu werden. Als ihr aber jemand zuflüsterte, der Schurli sei mit seiner neuen Flamme ans Meer auf Urlaub gefahren, den du bezahlst, hätte sie ihn am liebsten getötet. Ab dann schickte sie ihm kein Geld mehr nach. Aus Angst, Schurli würde zurückkommen, wenn er von ihr kein Geld mehr bekäme, hatte sie sich Patrik angelacht als ihren neuen Freier und Beschützer.
Und nun wollte Patrik mehr Geld und quetschte sie ebenso aus wie eine Zitrone, eine Erkenntnis die schmerzhaft für sie war. In ihrem Zorn hätte sie Patrik am liebsten den Laufpass gegeben. Dennoch, eines musste sie Patrik zugutehalten. Wenn er auch öfters bemängelte, sie bringe zu wenig Geld heim, schlug er sie nie grün und blau. Er verstand es auf eine andere Art und Weise, sie wie ein billiges Flittchen hinzustellen, welches wie ein kleines, dummes Kätzchen nach seiner Pfeife zu tanzen hatte und von ihm Belehrungen hinzunehmen hatte, um mehr Gewinn zu erzielen.
Zwar wusste Angelique, dass sie leichtgläubig war und sich zu leicht von den Männern einwickeln und besänftigen ließ, aber um dagegen anzukämpfen, war sie zu schwach.
Patrik wusste, wie er seine Ziele durchsetzen konnte. Die Regeln bestimmte er. Als er sie das nächste Mal stürmisch liebte, wandte er seine oft erfolgreich erprobte Taktik an, um sie umzustimmen. Als sie miteinander schliefen, sie im Liebesrausch von überwältigender Sinneslust beherrscht war, hielt er plötzlich inne. „Nein“, schrie sie laut protestierend. „Dann musst du mir versprechen, mein Vorhaben durchzuführen“, stöhnte er.
„Ja“, schrie sie, unfähig, dagegen zu protestieren, während sie ihn unsanft in ihren Schoß drückte, um wohltuende Befriedigung zu finden. So holte er sich in ihrem höchsten Liebestaumel ihre Zusicherung, sein Einkommen zu vermehren.
Vordergründig galt es bei diesem Abkommen, sein Einkommen zu erhöhen. Und so instruierte er sie wie bei einer Dressur, die Vorlieben und Illusionen ihrer Kunden herauszufinden, um ihren Verdienst zu erhöhen und um mehr Stammkundschaften anzulocken. „Wichtig ist ein gepflegtes Äußeres. Deine Hände müssen manikürt, die Füße pedikürt sein. Du musst immer allerfeinste Unterwäsche tragen und nie nuttig aussehen. Dein Freier muss alles besser als zuhause vorfinden, als befände er sich in einer anderen Welt. Du musst ihm all das bieten, was er zuhause nicht hat. Sauberkeit, gute Düfte, ein gutes Parfüm ist oberstes Prinzip. Denn er muss denken, dass er dafür bezahlen muss, sich in dieser besseren Welt aufhalten zu dürfen. Verschwiegenheit ist eines der obersten Prinzipien. Der Kunde ist König und muss sich bei dir sicher fühlen, noch dazu, wenn er liiert ist. Du darfst ihn niemals verraten. Besser du wechselst die Straßenseite, wenn du ihn mit seiner Frau oder Freundin begegnest. Für den Freier bist du oft wie ein psychologischer Sozialdienst. Du bist Ersatz, entweder für seine Mutter die ihn nie geliebt hat, für seine Lehrerin, die er bewunderte und die ihn durchfallen ließ, für ein Mädchen, das er anhimmelte und nie bekommen hat. Aber du bist auch ein Fußabstreifer für jene Freier, welche von Schuldgefühlen geplagt sind, und deren Gewissensbisse du erleichtern sollst. Du bist ein Ventil für jene Freier, deren Wut über ihr erlittenes Unrecht du entgelten und ihre offenen Rechnungen bezahlen sollst. Du bist für den Freier Freiwild. Alles, was ihm gefällt, muss dir gefallen, alles, was er liebt, musst du lieben. Seine Vorlieben darfst du niemals belächeln.“
Sie müsse sich scheu und unerfahren geben, als wäre sie zum ersten Mal bereit, mit ihm zu schlafen. Es gehöre zu ihrem Geschäft, jedem Mann höchste Erregung vorzutäuschen, um jedem ihrer Freier das Gefühl zu geben, er wäre was ganz Besonderes.
Auf Wunsch müsse sie gekleidet wie ein Püppchen in einem kurzen rosa Rüschenkleid mit weißen Kniestrümpfen, mit einer Federboa mit Zöpfen und Haarmaschen piepsen und zappeln wie ein Kind. Sie müsse sich die Zeit genau einteilen, nicht dass sich die Freier die Klinke in die Hand geben. Auch müsse sie genug Zeit haben, sich einerseits zu waschen und zu pflegen, um immer frisch, aus dem Ei gepellt, auszusehen. Selbst wenn sie ihre Tage hätte, müsse sie Geld verdienen, indem sie sich ein Diaphragma und dann noch einen sterilisierten Schwamm hineinstopfe, der jedes Leck dicht machen würde. Jedem Freier müsse sie das Gefühl geben, sie hätte mit keinem anderen Mann derartiges Glück erlebt und er ihr lang begehrter Traummann wäre, auf den sie Zeit ihres Lebens gewartet hätte. Zärtlich müsse sie ihm mit unschuldigem Augenaufschlag versichern, dass sie erst kürzlich entjungfert wurde und völlig unschuldig in diese Situation geraten wäre, denn nachdem sie keinerlei Unterstützung bekäme, müsse sie ihr Medizinstudium selber finanzieren. Oder sie müsse gegebenenfalls, wenn es gewünscht wurde, bei den unterwürfigen Freiern derbe Sprüche anwenden, gegen zusätzliches Geld als Domina in Lax und Leder, Riemen, in Stiefeln und Reitpeitsche fungieren, sich als Herrin, oder Meisterin anreden lassen und ihn um Schläge bitten lassen. Schläge müsse sie mit der Haarbürste auf seinen Hintern tätigen, um keine Striemen zu hinterlassen. Selbst wenn es ihr eine große Überwindung kosten würde, müsse sie die sexuellen Wünsche ihrer Freier ausreizen. Diese Freier müssten für sie die Drecksarbeit machen und sie waschen und ankleiden. Sie dürfe sie nur mit einem größeren Geldbetrag über ihre Schwelle treten lassen, dabei dürften sie sie nie direkt ansehen, nur wenn sie es ihnen erlauben würde. Sie müssten ihr Treue schwören und ihr bedingungslos folgen, denn was sie befehle, müsse Gesetz für sie sein. Kurzum müsse sie dem Freier die lang gehegten Fantasien, ein lustvoll leidender Sklave einer grausamen Herrin zu sein, erfüllen.
„Wenn der Freier sagt, du bist dein Geld wert, ich komme wieder, weißt du, dass du es gut gemacht hast. Bevor du in ein Auto zum Freier steigst, frage vorher deine Kolleginnen, ob sie den Freier oder das Auto kennen und ob der Freier gefährlich ist. Du musst trachten, dass du mit dem Freier gesehen wirst, wenn du wegfährst, damit man dich finden kann, falls du länger nicht zurückkommst. Am besten wäre es, wenn du dir einen Pfefferspray besorgen würdest. Wenn es auch noch so abwegig ist, was er verlangt, musst du dennoch Lust zeigen. Du bist seine Kurtisane genauso wie jene, welche einst als Geliebte des Königs bei Hof gelebt haben. Du musst, wenn der Freier es wünscht, für seine Frau Geschenke kaufen, nachdem du ihn über ihre Lieblingsfarbe und Kleidergröße ausgefragt hast“, fuhr er fort.
Eventuell sollte sie zusätzlich einen Gewinn dadurch erzielen, dass sie die Freier verliebt mache. Sie müsse ihren Freiern dann erklären, dass sie krank wäre und dringend Geld benötige oder ihnen versprechen, dass sie diesen Job sofort beenden würde, wenn sie mit ihm gemeinsam ein Leben beginnen könne oder Geld hätte, da sie sich von ihrem Zuhälter freikaufen müsse.
Woher wusste er von diesen Geschäftspraktiken? Was trieb Patrik hinter ihrem Rücken, rätselte Angelique, während ihre Eifersucht wuchs.
Indes zählte Patrik in Gedanken das täglich mehr verdiente Geld und welchen finanziellen Zugewinn er sich durch diese neuen Geschäftspraktiken erhoffen konnte.
Vielleicht kann ich noch zusätzlich Fotos von ihr beim Sex mit verheirateten Männern machen und diese dann erpressen? Fredy wird mir helfen. Das brauchte sie nicht zu wissen. Wichtig war, Fredy und seinen Freunden zu imponieren mit Geld, und dass er dadurch seinen Spieleinsatz maximieren und die Gewinnaussichten erhöhen konnte.
Der Streit mehrte sich nicht nur wegen Patriks ausschweifenden Lebensstil und seinem Hang, das Geld sinnlos zu verschwenden.
Seine unterschwelligen Beleidigungen ihr gegenüber, seine Jugend und ihr augenscheinliches Verfallsdatum ständig vor Augen, machte Angelique eifersüchtig und zermürbte sie zusätzlich.
Seinen aufgestauten Hass auf sie, den er in nüchternem Zustand unterdrückte, bekam sie in seinem betrunkenen Zustand, wenn die Hemmschwelle gefallen war, wie schmerzliche Herzstiche zu spüren. In seiner Hassliebe nörgelte er ständig an ihr herum und beschimpfte sie.
Wenn er ihr diese Herzstiche wenigstens aus Eifersucht zugefügt hätte, hätte sie das verstanden und sich damit getröstet. Seine unbedachten Aussagen im betrunkenen Zustand „Die Welt wäre so schön, nur nüchtern sollte man nicht werden. Alle haben so schöne Ehefrauen“, ärgerten sie maßlos. Das brachte ihr Selbstwertgefühl ins Wanken. Das konnte nur heißen, dass er sie im nüchternen Zustand nicht anschauen konnte. Sie war ihm entweder zu hässlich oder zu alt. Niemand brauchte ihr zu sagen, wie alt sie aussah. Immer öfters war sie verbittert und hasste ihren Beruf mehr und mehr. Sie wusste selbst am besten, wie sehr die seelischen und körperlichen jahrelangen Strapazen auf der Straße an ihr nagten, welche Folgeschäden dadurch entstanden waren und ihre einstige Schönheit verwelken ließen. Patrik ließ keine Gelegenheit aus, um sie zu demütigen. Als wäre sie ein Zirkuspferd, extra zu seinem Nutzen geschaffen, prahlte er sich augenzwinkernd in weinseliger Runde vor seinen Freunden mit seinem „Rennpferdchen“, bezeichnete sie als treue Dienerin ihres Herren. Um seine unangetastete Macht über sie zu demonstrieren, riss er ihr die Kleider vom Leib, gab seiner Alten einen Klaps auf den Hintern, als wäre sie sein Eigentum, mit dem er machen könne was er wolle. Wehe, wenn sie nicht pünktlich zu Mittag mit dem Geld da war. Dann beschimpfte er sie als unzuverlässige Schlampe. „Ich muss mir eine zweite Einkommensquelle zulegen. Mit dir geht es bergab.“
In solchen Augenblicken verwünschte sie ihn. Wäre sie ihm nur niemals begegnet. Wo war ihr Stolz geblieben? Wie tief war ihre Abhängigkeit? Gab es ein Entrinnen? Wo waren ihre guten Vorsätze hingekommen, hier Geld zu verdienen, ihre Familie in der Heimat zu unterstützen und im Alter, finanziell unabhängig, zurückzukehren zu ihren Wurzeln in der Heimat?
Noch schlimmer war es für Angelique, wenn er bewusst seine grauenhafteste Taktik vor seinen Freunden anwandte, um sie zu demütigen und zu kränken. Dann sprach er, als wäre sie nicht da, über junge hübsche Newcomer auf dem Markt, die ihn anhimmelten. Immer dann schürte er ihre Eifersucht und ihr Selbstwertgefühl sank ins Bodenlose. Schürte er ihre Eifersucht, um sie absichtlich zur Weißglut zu bringen? Wollte er sie loswerden und traute sich nicht, den ersten Schritt zu machen? Blieb er nur des Geldes wegen bei ihr und amüsierte sich hinter ihrem Rücken?
Die immerwährende Eifersucht und Angst, er würde sie bald wegen einer jüngeren, schöneren Frau verlassen, bohrte in ihr und verbreitete sich wie ein Krebsgeschwür. Amüsierte er sich mit ihrem Geld schon mit einer anderen und verprasste ihr schwer verdientes Geld mit ihr? Sie fühlte, wie sie ihn immer mehr verlor und er die Fassade nur wegen ihres Geldes aufrecht hielt. Ihre Liebe zu ihm schien nie zu versiegen und verwies sie auf den schwächeren Posten. Sie sehnte jede Versöhnung herbei. Denn nach jedem Streit, wenn er wieder nüchtern war, ließ Patrik nichts unversucht, sich wieder mit ihr zu versöhnen. Er ließ seinen ganzen Charme spielen, brachte ihr Blumen, führte sie in elegante Restaurants zum Essen aus und bekräftigte, wie sehr er sie liebe.
Würde sie jemals die Kraft haben, sich von diesem Parasiten zu trennen?
Als Patrik Lerner aber dann jeden Tag mit Fredy spielte und süchtig nach den Spieltischen wurde, das Geld viel zu schnell ausging und er immer mehr Geld von Angelique forderte, häuften sich die Streitereien.
Dass Angelique ihrer Familie kein Geld mehr schicken konnte, bedrückte sie. Die Bettelbriefe ihrer Familie aus Rumänien taten ihr weh. Sie beantwortete die Briefe stets mit der Lüge, sie könne kein Geld schicken, da sie krank wäre und derzeit nichts arbeiten könne. Gut, dass sie ihren Landsleuten hier auswich, damit ihre Familie in Rumänien nichts von ihrem Hundeleben, welches sie als Prostituierte führte, erfahren konnte. Sie hätte sich sonst nie mehr getraut, in die Heimat zu fahren, zu ihren streng religiösen Eltern.
„Du verspielst und verprasst das ganze Geld und bist nie zufrieden mit dem, was ich dir gebe. Ich habe dich verhätschelt und verwöhnt wie einen Märchenprinzen. Du nimmst das Geld als etwas Selbstverständliches an. Nirgends sonst kannst du ohne Mühe und ohne zu arbeiten so viel Geld verprassen.“ Patrik erwiderte nichts.
Angelique fühlte sich durch ihn immer mehr ausgenützt. Anfangs, in ihrer Verliebtheit, hatte sie es nicht wahrgenommen, dass er die Frechheit hatte, sie zu instruieren, mehr zu verdienen, damit seine Einnahmen größer wurden. Sie schob ihm so viel Geld in seinen gefräßigen Rachen und dennoch war es zu wenig. Mit der Zeit erkannte sie, dass alle seine Schmeicheleien und Heucheleien eigennützig, nur ihrem Geld geschuldet waren. „Ich werde dir in Zukunft das Geld vorteilen und jeden Tag nur Geld für zwei Bier geben“, drohte sie.
Patrik wurde zornig. „Das war der Deal. Du gehst anschaffen, bringst das Geld nach Hause, dafür bekommst du von mir meinen Familiennamen und die österreichische Staatsbürgerschaft, außerdem wirst du von mir beschützt“, schrie er lautstark.
„Du bist undankbar, du weißt nicht, wie schwer ich das Geld verdienen muss und wie es jeden Tag schwieriger für mich wird, diesen Job zu machen. Wie lange werde ich diesen Job noch machen können? Was dann, ohne Geld?“, bohrte sie weiter.
Nach einer Weile klagte sie, dass ihre Kunden immer extravaganter und brutaler werden würden und ihr das Letzte abverlangen würden. Insbesondere die junge Kundschaft verlange nur noch harten Sex. Ohne Schnaps halte sie dieses Leben sowieso nicht aus. Abends, wenn sie anschaffen gehe, fürchte sie diese brutalen, oft blutjungen Rocker, die den harten Sex zum ersten Mal mit ihr ausprobieren wollten. Dazu kam die Angst, in ein fremdes Auto einzusteigen und nicht mehr lebend herauszukommen. Sie kannte einige Prostituierte, welche ermordet worden waren. Deswegen schätzte sie jedes Mal ihre Freier im Wagen ab, wie weit sie in ihrer Perversität gehen würden. Welche brutale Taktik wird er anwenden? Wird dieser Freier mich fesseln und würgen, um an meiner Todesangst Befriedigung zu finden? Oder wird dies allein noch keine Befriedigung für ihn sein?
Ungerührt, als wäre Patrik taub, schaltete er den Fernseher ein und machte es sich auf der Couch bequem.
Wieder einmal ärgerte sie sich über seine Gleichgültigkeit. „Ich schiebe dir schon das ganze Geld in deinen gefräßigen Rachen, sodass ich mir für meine alten, kranken Tage nichts beiseitelegen kann. Was, wenn ich geschlechtskrank werde und nichts mehr verdienen kann?“
Er konnte nichts erwidern, denn er war inzwischen seelenruhig eingeschlafen.
Als sie kurze Zeit später ihren Schmuck im Dorotheum versetzen musste und auch ihr sauer verdientes, erspartes Geld wie Schneeschmelze in der Sonne dahingeflossen war, machte sie ihn allein dafür verantwortlich. Zudem plagte sie die Eifersucht und ihre Existenz- und Zukunftssorgen meldeten sich wie ein Krebsgeschwür zurück. Insbesondere, wenn sie neue, blutjunge, unverbrauchte Mädchen aller Hautfarben als Konkurrentinnen auf dem Straßenstrich sah, welche am liebsten bei ihrem Eintritt alle anderen verdrängt hätten, wurde ihr klar, dass es wegen ihres alternden, verwelkten Körpers mit dem Geldsegen bald vorbei sein könnte. Bei jedem blutjungen Mädchen am Straßenstrich fühlte sie sich älter. Sie merkte deutlich, wie das Alter an ihr nagte und sie immer unattraktiver wurde. Was sollte sie tun, wenn sie für keinen Freier mehr begehrenswert war?
Bisher konnten sie nur ihr Erspartes und ihre Heimkehr nach Rumänien zu ihrer Familie über ihre Existenz- und Zukunftssorgen hinwegtrösten. Jetzt, ohne Geld, konnte sie das vergessen. Wenn sie ohne Geld heimkam, war sie nur eine Belastung für ihre Familie.
Sie fürchtete das Alter, die Krankheit, das Siechtum und die Vorstellung, auf der Straße allein und mittellos zugrunde gehen zu müssen. Ihr gespartes Geld war bisher ihre äußerste Notreserve. Was war aus ihrem Traum geworden, ihren Lebensabend in Rumänien bei ihrer Familie zu verbringen?
Niemand wusste, wie schwer sie dieses gesparte Geld verdient hatte. Wie viele Schläge von Freiern und Zuhältern, Demütigungen von schmutzigen, drogensüchtigen, betrunkenen Freiern, Psychopathen, Kriminellen aller Hautfarben mit ihren ekelhaften Ausdünstungen musste sie schon ertragen? Wie viele Krankheiten, Infektionen und Rosskuren musste sie überstehen? Gerade weil sie dieses ersparte Geld so schwer verdient hatte, hatte sie sich immer damit getröstet, es als Entgelt für ihre erlittenen Kränkungen und Erniedrigungen für einen ruhigen, sorgenfreien Lebensabend in Rumänien, fern von hier, zu verwenden. Sie sehnte sich danach, dieses Hundeleben abzuschütteln und ein geordnetes Familienleben als unbescholtene Person mit einem treuen Partner in ihrer Heimat zu verbringen.
Als sie abends vom Dorotheum heimkam, verlor sie völlig die Fassung. „Nun habe ich meinen letzten Schmuck versetzt. Alles wegen dir. Ich kann es mir in Zukunft ohne dich leichter machen. Ich werde mir nur ein paar ausgesuchte Freier halten und weniger arbeiten“, drohte sie, während sie Patrik anschrie.
„Ich kann auch ohne dich gut leben. Es gibt genug hübsche Newcomer auf dem Markt, die mich gerne als ihren Liebhaber und Beschützer hätten“, funkelte er sie zornig an.
„Dann geh doch und nimm dir eine andere. Du bist Abschaum. Warum soll ich dich behalten und wie eine Natter an meiner Brust nähren. Du bist ein Parasit, ein Feigling, und kannst mich vor niemanden beschützen, du bist eine Lachnummer im Kampf gegen meine Freier.“ Dann riss sie ihm die Bierflasche aus der Hand und knallte sie ihm an den Kopf.
Sie provozierte ihn bis aufs Blut, tanzte wild schreiend um ihn herum: „Schlagen, schlagen.“
Er kannte ihre Absicht, einen Arzt aufzusuchen, um ihn mit einem ärztlichen Attest anzuzeigen und ins Gefängnis zu bringen.
Daraufhin rastete Patrik vor Wut aus und schlug sie im betrunkenen Zustand grün und blau, sodass die Scheidung nur mehr eine Frage der Zeit war.
Für seinen zukünftigen Verdienstausfall und seine Guttätigkeit, dass sie durch ihn die österreichische Staatsbürgerschaft und seinen österreichischen Familiennamen bekommen hatte, verlangte er, nach einer Beratung mit Fredy, als Entschädigung eine hoch dotierte Abschlagszahlung. Wenn sie nicht zahle, würde er ihr Gesicht so zurichten, dass kein Freier sie mehr haben wolle. Außerdem werde er seine guten Kontakte zur Unterwelt spielen lassen, ihren Sohn ausfindig machen und ihm von ihrer Prostitution erzählen, drohte er. „Ich habe kein Geld. All mein Geld hast du verprasst. Ich werde es abdienen, meine Tür steht dir immer offen“, hatte sie mit einem befreienden Lächeln erklärt.
Kurze Zeit später waren sie geschieden. Damals war Patrik so wie früher als kleiner Junge zu seiner Großmutter geeilt, um vor ihr zu glänzen und ihr zu sagen, dass er von Angelique geschieden war und dass sie Recht gehabt hatte damit, dass Angelique keine geeignete Frau für ihn wäre. Er hätte besser auf sie hören sollen und hätte nun Lehrgeld zahlen müssen. „Endlich, mein Junge, hast du Vernunft angenommen. Beginne ein neues Leben mit einer anständigen, standesgemäßen Frau in deinem Alter. Gründe eine Familie, damit ich mir keine Sorgen um dich mehr machen muss und ich stolz auf dich sein kann“, hatte sie ihm ins Gewissen geredet.
„Du brauchst keine Bindungsangst zu haben. Zu zweit ist das Leben einfacher. Schau, dein Großvater war ein angesehener Beamter und wir waren ein Leben lang glücklich verheiratet. Nimm dir ein Beispiel an uns“, hatte sie ihm gut zugeredet.
Auf deine guten Lehren kann ich verzichten. Du redest so, als ob du wüsstest, wie ein gutes Eheleben sein müsste. Auf solch eine Ehe, wie ihr sie geführt habt, kann ich verzichten, dachte Patrik. Du glaubst, dass ich nicht weiß, wie unglücklich du warst und wie viele Tränen du seinetwegen vergossen hast. Obwohl dein Mann ein angesehener Beamter war, wie du immer betonst, war er arrogant und überheblich. Er hat dich immer nur schikaniert, weil er der Beamte und Familienerhalter war und du nur eine primitive Hausfrau warst. Du musstest seinen Befehlen bedingungslos gehorchen. Du hast ihn bedient und verwöhnt von vorn bis hinten. Wehe, du hast aufbegehrt. Dann bohrte er in deinem Wundmal und beschimpfte dich wüst. Patrik hatte Großvaters Schimpftiraden noch immer im Ohr: „Du bist und bleibst ein dummer Bauerntrampel. Nicht einmal einen Beruf hast du erlernt. Du hast keine Kinderstube, du musst mir ewig dankbar sein, dass ich dich geheiratet habe.“
In Wahrheit haben alle über euch gelacht, weil ihr in einer vergangenen Zeit stecken geblieben wart. Nur um den Anschein einer angesehenen Familie zu wahren, hast du seine Tücken und Beleidigungen in Kauf genommen. Wie oft hat er dich gedemütigt?
Ihr habt euch die meiste Zeit gemieden und gezankt. In trauter Zweisamkeit vereint, sah ich euch nur, wenn ein Gewitter nahte, denn ihr beide hattet zum einen Angst vor dem Gewitter und zum anderen Angst, dass ein Blitz einschlagen würde, die Wohnung ruiniert würde und ihr mittellos und obdachlos werdet.
Wenn alle Stromstecker ausgesteckt waren, löschten sie das Feuer und packten. Zitternd an den Händen haltend, beteten sie gemeinsam, das meiste Gewand am Körper, das Sparbuch, alle wichtigen Dokumente, alle Gegenstände griffbereit in Koffer gepackt, damit sie jederzeit flüchten konnten mit dem Notwendigsten, wenn der Blitz einschlagen würde.
Ein Grillenzirpen im saftigen Gras neben Patrik riss ihn aus seinen dämmrigen Schlaf- und Wachphasen mit seinen nostalgischen Erinnerungen heraus. Er hörte die Musik und den Lärm der Party, welche er vorhin mit Anneliese verlassen hatte. Sofort löste er sich gedanklich von seiner Vergangenheit und kam in die Gegenwart zurück. Sein erster Gedanke steuerte, wie von unsichtbaren Mächten geleitet, Anneliese zu. Er versuchte sie zu ertasten und als er ins Leere griff, war er enttäuscht.
Ein Lächeln bemächtigte sich seiner. Wir sehen uns wieder, kleine Anneliese. Die Glut der Liebe ist entfacht, das Feuer der Begierde brennt lichterloh. Du hast wieder Sonnenschein in mein Leben gebracht. Hauptsache, ich bin wieder glücklich und verliebt mit Schmetterlingen im Bauch und fühle mich wieder lebendig wie ein pubertierender Junge. Mit diesen Gedanken verabschiedete er sich gedanklich von Anneliese.
Liebestrunken nach dieser himmlischen Nacht begab er sich nach Hause zu Sabine, seiner Ehefrau. Und als er den Mond und die Himmelsgestirne auf dem Heimweg betrachtete, fragte er sich: Wie oft wart ihr schon Zeugen meiner heimlichen, außerehelichen Liebesnächte?
Wie von selbst gesteuerten Magneten angezogen, fanden sich Patrik Lerner und Anneliese, als wären sie verabredet, am nächsten Tag wieder, und es begann eine heiße, verbotene Affäre, die im Geheimen bis zur Vollendung blühen und niemals ans Tageslicht treten sollte. Ihr Liebreiz und ihre anbetungswürdige Ausstrahlung zogen ihn an. Wenn er nicht bei ihr war, schwärmte er sehnsuchtsvoll von ihr und wünschte sich, sie würde ihn ewig lieben. Die neue Liebe machte ihm nicht nur sein Leben, sondern auch seine altersbedingten Kreuzleiden erträglicher. Patrik Lerner fühlte sich durch seinen heimlichen Jungbrunnen pudelwohl. Er kam zur Ansicht, dass jeder Arzt alternden Männern junge, süße Mädchen anstatt Pillen verschreiben sollte.
Die Fragen aller Fragen seiner Geliebten blieb auch dieses Mal nicht aus. Eines Abends frug Anneliese unverblümt: „Bist du verheiratet?“
Gleichgültig erwiderte er, wie schon oft erprobt, dass er verheiratet wäre, seine Ehe tot sei und er diese Ehe ohne Liebe ertragen müsse. Denn diese Ehe müsse nur noch wegen der Firma auf dem Papier bestehen bleiben.
Im gleichen Augenblick beneidete Anneliese Patriks Frau um diesen Mann. Unvermittelt traten Eifersucht und Hass auf seine Frau auf.
Anneliese versicherte ihm treuherzig, dass, obwohl er verheiratet wäre, dies kein Grund sei, ihn weniger zu lieben, sondern ganz im Gegenteil, dass sie im Hintergrund bleiben werde und ihn als Entschädigung für sein unglückliches Eheleben noch mehr lieben und beglücken wolle.
Und doch, mein Liebster, wird die Zeit für uns beide arbeiten. Deine Ehefrau ist alt und ich jung. Die biologische Uhr wird alles klären. Ich bleibe nicht immer deine Zweitfrau. Am Ende bin ich die Siegerin und es werden für uns die Hochzeitsglocken läuten, nur du weißt noch nichts davon.
„Liebst du mich?“ Am liebsten hätte sie ihn mit ihren schmachtenden Blicken verschlungen, während sie sehnsüchtig sein „Ja“ erwartete.
Immer diese bohrenden Fragen, die ihm auf die Nerven gingen.
„Ich liebe dich, für immer und ewig, mein Kleines“, erwiderte er seufzend wie ein Schwerenöter.
Immer, wenn er Kleines sagte, zuckte sie unmerklich zusammen, denn intuitiv wurde sie dadurch an ihren geflohenen Vati erinnert. „Kleines, ich komme dich bald besuchen“, hatte er, als sie noch ein Kleinkind war, gesagt. Aber sie hatte bis heute umsonst auf ihn gewartet. Anneliese schaute Patrik aus zusammengekniffenen Augen an. Ich werde nie wieder eine so große Enttäuschung wie damals als kleines, hilfloses Mädchen mit meinem Vati hinnehmen. Jetzt bin ich erwachsen und bestimme selbst über mein Leben und dazu gehörst du, für immer.
„Ich werde dich immer lieben, auch ohne Ehering“, ergänzte Patrik mit Nachdruck. Das wollte Anneliese hören. Dich lasse ich nie wieder gehen, du gehörst mir. Als hätte sie auf diese Antwort gewartet und sich darauf vorbereitet, erklärte sie, wie bei einem religiösem Eid, dass sie für ihre Liebe kämpfen werde und bereit sei, mit ihm
ein dunkles Tal zu durchschreiten, um am Ende mit ihm die Glückseligkeit zu erlangen. „Ich habe mit dir endlich mein großes Glück und meine einzige Liebe gefunden, welches bis an mein Lebensende auch ohne Trauschein halten wird“, versicherte sie ihm mit unschuldigen Augen. Dann bekräftigte sie gleich einer religiösen Formel: „Unser Bündnis wird besser halten als jede Ehe, denn Ehen würden geschieden, während unser Gelöbnis sicherer als jeder vor dem Altar getätigter Schwur ist.“ Liebevoll schmiegte sie sich zärtlich an seine Brust. Patrik war verwundert. Ihm war es vorgekommen, als stünde er in einer feierlicher Trauungszeremonie mit Anneliese vor dem Traualtar wo sein „Ja“ erwartet wurde.
Glaubte sie das in ihrem jugendlichen Eifer eigentlich selber? Einerseits entzückte und erregte ihn dies, andererseits machte ihm ihr Eifer Angst. Wie weit würde sie in ihrem Fanatismus, ihn ganz zu besitzen und im Glauben an die ewige Treue und Liebe gehen? Würde sie etwa in ihrem Eifer so weit gehen und seine Ehe, seine Familie und seine Lebensexistenz zerstören? Warum klammerte sie so stark? Woher rührte dieser Fanatismus? Hatte sie eine schwere Enttäuschung hinter sich oder etwa einen Vaterkomplex?
So wie Anneliese bekräftige, ihn ewig zu lieben, bekräftigte auch Patrik Lerner vor jeder körperlichen Vereinigung, wie ein ständig erprobtes Ritual das erwünschte Ziel vor Augen, mit ernster Stimme, dass sie die einzige Frau war, die er begehre und ihm genüge und die er immer lieben würde, egal was passieren würde.
„Ich habe lange auf eine Frau wie dich gewartet, ich dachte schon, du kommst nie“, flötete er, während er sie zärtlich streichelte.
Den größten Spaß bereitete es Patrik, mit jenem roten Chevrolet, dessen Schlüssel er von seinem Schwiegervater Zoltan Gaber als Gegenleistung für ein Treuegelöbnis seiner Frau Sabine gegenüber ausgehändigt bekommen hatte, wie ein Teenager mit Anneliese durch die Gegend zu fahren.
Nach einiger Zeit, an einem warmen Sommertag, als Anneliese im Handschuhfach ihre Sonnenbrille suchte, fiel Ewalds Foto heraus.
„Wie kommt Ewalds Foto da hinein“, fragte sie erschrocken.
„Ewald muss es hineingetan haben“, antwortete Patrik lapidar.
„Wie kommt er in dieses Auto?“
„Wir sind gestern herumgefahren. Ewald ist mein Sohn. Das habe ich dir doch gesagt.“
„Nein, das hast du nicht. Ich habe es nicht gewusst, sonst hätte ich mich mit dir nie eingelassen. Ewald war mein Freund, bevor ich dich kennengelernt habe“, schrie sie entsetzt. Patrik erstarrte. Das darf nicht wahr sein. Ich habe meinem eigenen Sohn die Freundin ausgespannt. In was habe ich mich da hineingeritten.
Einige Zeit trat betretene Stille ein.
„Weiß Ewald von uns beiden“, fragte Anneliese noch immer sichtlich erschrocken.
„Nein. Das braucht er auch nicht zu erfahren“, antwortete Patrik beruhigend.
Vielleicht erledigt sich alles von selbst und unsere Liebesaffäre ist bald Geschichte. Nur keine schnellen, voreiligen Schlüsse ziehen.
„Wir tun Ewald Unrecht. Er ist so ein lieber, netter Junge“, hauchte sie tränenerstickt.
Er ist so ein lieber, netter Junge, äffte Patrik Anneliese gedanklich nach. Ich weiß, dass er ein lieber, netter Junge ist. Aber er genügt dir nicht. Warum sonst liegst du in meinen Armen? Patrik schien es, als wolle sie ihr Gewissen reinwaschen und seines belasten und ihm die alleinige Schuld für ihre Untreue geben. Diese Mitleidmasche der leichtlebigen Weiber kannte Patrik Lerner zur Genüge. Wie sehr sich alle ähnelten. Als hätten sich alle in Engel verwandelt und zu Märtyrerinnen vereint, um ihrer verlorenen Tugend und dem edlen Verflossenen nachzuweinen.
„Ewald muss lernen, mit Rückschlägen fertig zu werden, je schneller desto besser. Nur die Harten und Starken kommen durch. So ist das Leben“, erklärte er väterlich, bemüht, dadurch das Thema vom Tisch zu haben. Nicht, dass sie ihn mit weiteren Vorwürfen und Gegenleistungen zu plagen begann.
„Kleines, Ewald kann dein Freund bleiben, wie ein Bruder, und wir machen uns nebenbei schöne Stunden“, erklärte er selbstgefällig.
Ich lasse mir von niemandem was vorschreiben. Das wäre ja noch schöner, wenn ich meinen Sohn um Erlaubnis bitten müsste, wen ich lieben dürfte, rechtfertigte sich Patrik schweigend. „Läuft noch etwas zwischen dir und Ewald, weil du so besorgt um Ewald bist?“
„Mit Ewald läuft nichts mehr“, erklärte sie bockig.
„Aber warum fragst du das? Genauso könnte ich dich fragen, ob du mit deiner Frau inzwischen wieder das Bett teilst. Du bist nicht ehrlich zu mir. Warum hast du mir nicht gesagt, dass Ewald dein Sohn ist?“
Typisch, erst genießen die Weiber die Liebe mit ihm, dann kommen die Vorwürfe.
„Ja mein Gott, mach nicht so ein Theater, davon geht die Welt nicht unter. Er wird nichts von uns beiden erfahren.“ Um ihre Vorwürfe nicht anhören zu müssen, drehte er die Musik lauter. Dann blieb er mit dem Auto stehen, nahm sie in die Arme und schloss ihren Mund mit einem leidenschaftlichen Kuss.
Nach kurzer Zeit nahm Patrik ihre Hand und sie lächelte ihn an. Gott sei Dank hat sie sich wieder gefangen. Mein Tag ist gerettet, atmete Patrik erleichtert auf.
Er gab Gas und fuhr mit Anneliese in halsbrecherischem Tempo durch die Gegend und Annelieses lange, blonde Haare flatterten im Wind. Er lachte jedes Mal hinter seinen Sonnenbrillen versteckt, wenn sie liebestoll obszöne Wörter den Passanten zurief, was ihn wie einen jugendlichen Backfisch antörnte.
Gut, dass ich dieses Auto von meinem Schwiegervater erhalten habe, lächelte Patrik süffisant. Somit hat er mein Leben bereichert. Lächelnd erinnerte er sich an jenen Tag.
Völlig ahnungslos hatte Patrik damals wie jeden Morgen die Angebote der Prostituierten am Computer gelesen, als Zoltan wütend in sein Büro trat. Nachdem Andrea ihm seine Affäre mit Monika verraten hatte, hatte ihm sein Schwiegervater Zoltan Gaber die Leviten gelesen und ihm, nachdem Patrik ihm zerknirscht versprochen hatte, ab sofort seiner Frau Sabine treu zu sein und ein guter Familienvater zu werden, als Dank einen Chevrolet versprochen. Bald hatte er ihm die Autoschlüssel übergeben, als wolle er seiner Tochter mit dem Chevrolet ein schönes Eheleben erkaufen. Wie oft ergötzte sich Patrik insgeheim daran, wie er durch die reiche Heirat mit seiner Frau finanziell gut versorgt war, viele Liebschaften nebenbei führen konnte und diesen Chevrolet fahren durfte. Geradeso, als würde sein Schwiegervater Pate stehen und stillschweigend seine außerhäuslichen Affären forcieren, finanzieren und segnen. Was für eine Ironie des Schicksals.
Patrik triumphierte jedes Mal innerlich, wenn er mit Anneliese im Chevrolet saß, als hätte ihm sein inzwischen verstorbener Schwiegervater dieses Glück extra verschafft. Wenn er, hinter einer dicken Sonnenbrille mit einem großen Hut getarnt, bekannte Ehefrauen sah, wie diese wegen der frechen Sprüche von Anneliese erschraken, amüsierte ihn klammheimlich der hinterhältige Gedanke, inkognito seine Frau Sabine mit seiner Geliebten im Auto erschreckt zu haben. Als stünde er maskiert als Casanova im Karneval von Venedig am Markusplatz, ergötzte ihn der Gedanke, seine Frau Sabine gerade in jenem Auto mit seiner Geliebten erschreckt zu haben, für welches er seinem Schwiegervater zum Dank auch für sein Schweigen, versprochen hatte, ein treuer Ehemann und guter Familienvater zu werden.
Gut, dass seine Frau Sabine das Privileg hatte, reich geboren zu sein. Somit war sie seine auserwählte Beute gewesen, um ihm einen gesicherten, sorgenfreien Lebensstandard zu bieten. Sabine übertraf seine kühnsten Erwartungen von einer geduldigen, toleranten Ehefrau, befand er öfters dankbar. Gott sei Dank war seine Frau Sabine keine egozentrische Intellektuelle oder karrieresüchtige Frau, die ihm zu viel Energie und Zeit abverlangte, womöglich ihn wegen jeder Meinungsverschiedenheit zappeln ließ oder zurückwies. Solchen Frauen wich er aus. Diese waren ihm zu schwierig und eine unnötige Zeitverschwendung.
Im Gegenteil, Sabine war eine gutgläubige, leicht zu beeinflussende Marionette, die vordergründig immer nur das Ansehen und Wohl der Familie und Firma im Sinne hatte und bestrebt war, bei jedem Problem zurückzustecken und nach außen hin den trügerischen Schein der heilen Welt aufrecht zu erhalten. Sie konnte nicht wissen, wie eingeengt er sich zuhause fühlte und was für eine Glut des Verlangens nach Weibern in ihm steckte. Diese Seite hielt er so gut es ging verborgen. Als wäre er wie ein von Besessenheit getriebener Triebtäter, flüchtete er regelrecht von daheim. Wie hätte sie ahnen können, welch ein zärtlicher Liebhaber er außer Haus war und zu welchen Wonnen er seine jeweilige Liebhaberin führte? Nach seinem Empfinden war sie nicht so liebesbedürftig wie er. Sie war verklemmt und ließ alles regungslos über sich ergehen, als würde sie befürchten, zu viel Intimität abzugeben, wäre ihrer Person abträglich. Oder verleugnete sie ihr Verlangen nach ihm, ihren moralischen Vernunftsansichten gehorchend, nur Nutten würden sich wie entfesselte, hemmungslose Tiere hingeben? Oder ahnte sie etwas von seinen Affären und wich ihm deshalb aus stillem Protest aus? In ihr loderten keine Glut und keine Gier nach Liebe. Wie sollte sie ihn jemals verstehen? Dieses Ungleichgewicht zwischen ihr und ihm konnte er nur durch außerhäusliche Affären ausgleichen. Mit der Zeit gehörten seine Affären wie das tägliche Brot zu seinem Leben. So fand er seine Befriedigung und brauchte sie nicht zu drängen und zu belästigen. Also brauchte sie ihm wegen seiner Untreue keine Vorwürfe zu machen. Deswegen wäre eine Trennung für ihn nicht notwendig, sondern reine Schikane, wie Patrik empfand.
Wie ein Lebenselixier brauchte er seine außerhäuslichen Affären, worin er Bestätigung finden, Kraft tanken und sich über Vieles hinwegtrösten konnte. Er brauchte diese heimlichen Freuden auch als Belohnung und Entgelt, um sich für die langweilige und unliebsame Zwangsheirat, wie er seine Ehe nach kurzer Zeit bezeichnete, zu entschädigen. Soll eben jeder in seiner Fasson leben und glücklich werden.
Und schließlich, wenn es ihm gut ging und er glücklich war, ein ausgeglichener Mensch war, profitierte auch sie von seiner ansteckenden Fröhlichkeit, rechtfertigte er sich. Wie sollte er sonst weiterhin geheuchelte Liebe zeigen und ihre Nähe ertragen?
Seine Affären waren immer wie ein Kompass, um seine Anziehungskraft auf Frauen jedes Mal neu zu testen und um seine geheimsten Wünsche und verborgenen Triebe zu befriedigen. Die Ehe war für ihn kein Grund, seinem Vergnügen nicht nachzugehen, nach dem Motto „Geheiratet ist ja nicht gestorben“. Ein Leben ohne Höhen und Tiefen war für ihn unvorstellbar. Jedes neue Abenteuer war für ihn wie ein neu geöffnetes Tor, hinter dem er wieder neue Erfahrungen sammelte, diese mit Wonne auskostete, und welche sein Leben bereicherten. Sein ständiges Suchen nach neuen, geilen Weibern wollte nie enden.
Am wenigsten Mühe hatte Patrik bei Sabine sein Fernbleiben bis tief in die Nacht zu entschuldigen. Stets entschuldigte er sich wegen Arbeitsüberlastung in der Firma.
Seine Frau Sabine war es von jeher gewohnt, dass ihr Vater die meiste Zeit in der Firma war, deshalb war es für sie auch selbstverständlich, dass ihr Mann viel Zeit in der Firma verbrachte. Immer war ihr Vater bemüht, ein gut florierendes Unternehmen zu haben, es auszubauen, damit sein „kleines Püppchen“, wie er sein einziges Mädchen immer nannte, gut versorgt war. „Du bist nicht mit mir, sondern mit der Firma verheiratet“, hatte Sabines Mutter ihrem Vater oft vorgeworfen.
Dennoch staunte Patrik jedes Mal über ihre Vertrauensseligkeit, mit welcher Selbstverständlichkeit sie seine vorgetäuschten Überstunden, Kurse, Geschäftsreisen et cetera akzeptierte, jene Zeit, die er für seine Freiräume und Affären benötigte.
Fast bedauernd stellte er nach einiger Zeit fest, dass sich nach den ersten, unentdeckten Affären der Kick legte und sich eine gewisse Routine in seinen Liebschaften, wie selbstverständlich, manifestierte. Deshalb widerte ihn Sabines Gutgläubigkeit öfters an und er hätte gerne manchmal mehr Widerstand gespürt, um in seinem Tun einen zusätzlichen Kick zu spüren. Wie oft, wenn Patrik in eine Affäre glücklich verstrickt war, bedankte er sich gedanklich bei seiner ahnungslosen, gutmütigen Frau und lachte sich heimlich ins Fäustchen, wenn er allerlei geschäftliche Verpflichtungen vortäuschte und für das Fremdgehen das Haus verließ.
Es wurde für Patrik Lerner mit der Zeit zu einer Art Überlebensstrategie in der Ehe, sich heimliche Affären und Puffbesuche zu gönnen. Die Puffbesuche sollten auch seine Freundschaft zu Angelique und Fredy aufrechthalten, für den Fall, dass er in Schwierigkeiten stecken und Fredy und seine Freunde einmal brauchen würde. Wenn er im Puff seine Exfrau Angelique traf, verglich er sie oft mit Sabine. Es gab durchaus Ähnlichkeiten. Finanziell gut versorgt war er durch seine erste Ehefrau auch gewesen. Dennoch, unterschiedlicher in der Liebe hätten seine Ex- und seine Ehefrau nicht sein können. Zwar war Sabine jünger, reicher und unverbrauchter, aber in der Hingabe und in der Liebe ähnelten sie sich wie Feuer und Wasser.
Im Gegensatz zu Angelique war Sabine eine Heilige. Sabine war zurückhaltend und scheu. Vom ersten Tag an, als er Sabine in einem Kaufhaus kennenlernte, fühlte er sich wohl und geborgen in ihrer Gegenwart, wie damals, als er als Kind auf dem Schoß seiner Großmutter saß. Dieses Gefühl hatte er lange vermisst.
Lächelnd erinnerte er sich öfters an den Tag beim Einkaufen zurück, an dem er Sabine kennengelernt hatte. Sie war freundlich und ihm behilflich, etwas zu finden. Ihre teure, modische Kleidung, der Goldschmuck, die vornehme Sprache deuteten auf Bildung und Wohlstand hin. Das Maiglöckchen-Parfüm betörte und umhüllte ihn wie eine einschmeichelnde Himmelswolke. Sie muss wohlhabend sein, meldeten sich seine Glückshormone. Sie fällt in dein Beuteschema.
Sie war nicht sein Typ, etwas mollig, aber ihr Aussehen und ihr warmherziges Lächeln erinnerten ihn an seine geliebte Großmutter und erwärmten sein Herz. Die Zeichen der Verliebtheit spürte er nicht. Weder schlug sein Herz schneller noch pulsierte das Blut in seinen Adern heftiger als sonst, wenn er verliebt war. Vielleicht sind dies die wahren Vorzeichen und der richtige Schlüssel zum lang andauernden Eheglück? Die bisherigen Anzeichen der Verliebtheit waren trügerisch, dachte Patrik.
Damals, an jenem Tag, als er Sabine Gaber kennenlernte, war er an seinem Tiefpunkt angelangt, er hatte kein Geld und noch offene Spielschulden. Seine aktuelle Flamme Annegret hatte ihm an jenem Tag wegen eines jüngeren Lovers den Laufpass gegeben. „Warum gehst du nicht arbeiten wie es alle anderen Männer tun? Du musst zu deinem Lebensunterhalt etwas beitragen. Ich erhalte dich nicht länger. Ich brauche keinen Gigolo. Du kannst bald unter der Brücke schlafen und im Müll stöbern. Wenn ich heimkomme, musst du fort sein, hatte sie ihn zum wiederholten Mal angeschrien. Als sie fort war, hatte er sich im Spiegel betrachtet und das erste graue Haar und die erste Falte im Gesicht entdeckt, und war, hoffärtig und eitel wie er war, am Boden zerstört. War seine Jugend vorbei? Auf welche Freuden konnte er noch hoffen, das Schreckgespenst des Alters vor sich. Er wusste, dass er im Alter Frauen nur noch für Geld haben konnte. Nach dem Rauswurf war er zuerst hilfesuchend zu Angelique gegangen. Und als er abends frierend vor Angeliques Wohnung lange warten musste, bis der letzte Freier gegangen und das Bett für ihn frei war, überlegte er fröstelnd, wie schön es wäre, sorgenfrei bei Sabine in einem warmen Bett geborgen zu sein und schlafen zu dürfen.
Angelique erklärte ihm strikt, dass sie mit Männern ohne Geld ihre Zeit nicht mehr vergeuden wolle und ihm kein Geld mehr zustecken würde. Für sie wäre das Kapitel zahlungsunfähiger Freier abgeschlossen und er gehen müsse. Als er nach diesem neuerlichen Rauswurf mittellos auf der Straße stand, überlegte er, wohin er gehen konnte. Was soll ich tun?
Eine Gruppe Blaskapelle in Tracht mit Hüten spielte unweit von ihm. Sie sprachen einen Dialekt genauso wie im Heimatdorf seiner Großmutter. Das erinnerte ihn an das Leben seiner Verwandten am Land.