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Tag 1 – Haunstetten – Kaufering 32 km – 8,5 Stunden

Am 5. April 2006 starteten wir unser Abenteuer. Nach einem traditionellen „Brezl“-Frühstück bei unserem Papa, ging es los. Das Wetter war nicht gerade einladend, nasskalt, mehr Schnee als Regen mit kräftigem Wind.

Gut ausgerüstet mit Handy, hilfreichen Telefonnummern, Verbandsmaterial, Brotzeit und Tee, Ersatzwäsche, reichlich wärmender und regenfester Kleidung (Rucksackgewicht: Christine 14 kg, Marion 11 kg), marschierten wir allen Unbilden zum Trotz frohen Mutes zum Haunstetter Wald in Richtung unseres Lechs.


Kaum 50 m gelaufen, hatte ich die erste Panne schon hinter mir. Beim Ein- und Umpacken am Frühstückstisch habe ich meinen Brustbeutel liegen gelassen. Wäre mir meine Tochter Sarah damit nicht nachgesaust, hätte ich sicher erst sehr spät an diesem Tag das Malheur bemerkt und mir dann den Kopf zerbrochen, auf welchem Teil der Wegstrecke ich meinen Beutel mit Bargeld und Scheckkarte suchen muss! Na, das ging ja schon gut los!

Die erste Stunde durch den Wald bis zum Lech war wunderbar. Fast waren wir geneigt zu glauben, dass sich das Wetter uns zuliebe bessern wollte. Weit gefehlt, wild und ungestüm kam der Fluss und das Wetter nun daher. Graupelschauer, Sturmböen, alles andere als ein freundlicher Empfang. Davon ließen wir uns aber nicht beeindrucken.

Das Flusskilometerschild zeigte 54,5 und unser Lechabenteuer begann.


Sehr bald schon zogen wir nach und nach alles an, was wir in unserem Rucksack für solche Fälle eingepackt hatten. Regenhose, Regenjacke, Stirnband und Mütze, die Kapuze oben drüber. Ganz zum Schluss wurde noch der Regenponcho über die so eingepackte Frau samt Rucksack gezogen.

Das Gesicht nass, die Nase triefend, die Wangen rot doch unsere Augen leuchteten. So schnell geben wir nicht auf und das sollte sich der Fluss und das Wetter hinter die Ohren schreiben.

Wir marschierten stoisch vor uns hin. Eine andere Möglichkeit gab es erstmal für uns nicht. Mit Ausnahme einer Bootsmannschaft des Wasserwirtschaftsamtes Donauwörth, die die Untiefen des Lechs und die Sicherung der betonierten Staustufen ausloteten, begegneten wir keiner Menschenseele.

Den heißen Tee aus der Thermoskanne und die Brotzeit nahmen wir im Stehen ein. Eng unter einen Betonvorsprung gekauert suchten wir Schutz vor den Wetterkapriolen. Das einzige Paar Handschuhe war bereits vollkommen durchnässt und ließ sich weder verwenden noch verstauen. Sobald wir uns nicht mehr bewegten, begannen wir zu frieren.

Da war es ein Glück, dass mir Klaus vorsorglich einen Flachmann mit selbst angesetztem Schlehenobstler eingepackt hatte, meine Schwester meinte, dieser Schnaps sei lebensnotwendig und dafür könnte sie ihn küssen (den Klaus)!


Sich schnell mal in die Büsche zu schlagen um einem menschlichen Bedürfnis nachzugehen, war nicht einfach. Ich war so dick vermummt und mein Rucksack war so schwer, dass ich mich ohne die Hilfe meiner Schwester gar nicht mehr aufrichten konnte.

Außerdem tat mir die rechte Schulter weh – ich schnallte den Rucksack noch enger, in der Hoffnung, dass das, was auch immer mir die Schmerzen bereitete, fixiert wird und zur Ruhe kommen kann.

Zum Ausgleich für das miserable Wetter wurde der Weg nun immer schöner. Hinter Scheuring erschien er uns nahezu verzaubert. Die Stimmung war mystisch und in unseren Köpfen geisterten Geschichten und Märchen von Feen und Zwergen.


Nach 6 ¼ Stunden (24 km) kamen wir kurz vor Vier Uhr nachmittags am Waldrestaurant „Zollhaus am Lech an. Wir freuten uns auf eine warme Stube, einen Kaffee und die Lagebesprechung im Trockenen. Aber oh Schreck, das Lokal öffnete erst um 17:00 Uhr. Wir hatten Glück und die Wirtin ein Einsehen, besser gesagt Erbarmen mit uns. Sie sperrte für uns auf und servierte duftenden Kaffee und einen guten Apfelstrudel.

Als „Telefonjoker“ zu diesem Abschnitt hatten wir Beate, die ganz in der Nähe wohnte und für uns, sofern notwendig, Taxichauffeurin spielen würde. Bei ihr, so wurde vereinbart, dürften wir uns bei Bedarf melden, und uns zur nächstgelegenen Pension fahren lassen. Die Abholung am nächsten Morgen und der Wiedereinstieg in die Etappe war in diesen Handel mit eingeschlossen.

Unsere Lagebesprechung ergab, dass wir noch genügend Ehrgeiz für eine weitere Etappe hatten und was um Himmels Willen wollten wir werktags um 5 Uhr nachmittags in einer Dorfwirtschaft in Pestenacker. Marion meinte, dann könnten wir auch am Lech weiter laufen, da wären wir auch ganz unter uns.

Obwohl meine Schmerzen an der rechten Schulter eher schlimmer wurden (ich hab nicht mal mehr in der Kaffeetasse umrühren können, auch die Kuchengabel für den traumhaften Apfelstrudel musste ich mit der linken Hand führen) entschieden wir uns zum Weitergehen. Bis Kaufering waren es noch 8 km und laut unserem Kartenmaterial gab es dort genügend Quartier, sogar eine Unterkunft direkt an unserem Weg. (zur Erinnerung, Smartphones, Bookingcom oder ähnliches war 2006 noch nicht üblich).


Der Rucksack wurde umgepackt (jetzt Marion 14 kg, Christine 11 kg), meine Schulter erneut in die Rucksackriemen gezurrt und weiter ging es. Die freundliche Wirtin vom Zollhaus wünschte uns einen guten Weg und ein besseres Wetter, natürlich erst, nachdem sie ihre Frage los geworden war, wie um Himmelswillen wir auf die Idee gekommen seien, ausgerechnet um diese Jahreszeit und bei diesem Wetter die einsame Lechstrecke zu erwandern.

Der Weg führte uns nun durch lichte Eichenwälder vorbei an keltischen Hügelgräbern über das „Oskar-Weinert-Haus“ der Klosterlechfelder NaturFreunde. Hier hatte ich zum ersten Mal Sorge vor der Begegnung mit Wildschweinen oder anderem Getier. Der Wald schien ideal dafür. Ganz beiläufig habe ich meine Schwester gefragt, ob sie wisse, wann diese Tiere in der Brunft oder mit Jungtieren unterwegs wären.

Die Brunft datierten wir gemeinsam auf das Frühjahr und dafür war es unserer Meinung nach, eindeutig zu kalt. Die Sache mit dem Nachwuchs verschoben wir somit in den Sommer.

Das Wetter blieb scheußlich. Es schneite, graupelte und stürmte munter weiter. Hinzu kam, dass es bereits dämmerte, wir waren müde und uns war kalt. Die 8 km nach Kaufering waren zäh wie Kaugummi. Unsere gute Stimmung schwand Richtung Nullpunkt. Ich war sehr erleichtert, endlich das Ortschild Kaufering und den Wegweiser zum Gasthaus zur Brücke zu sehen. Doch Pech für uns, erstens hatten die Ruhetag und zweitens, so erfuhren wir später, wäre dieses Gasthaus ohnehin bis zum letzten Bett ausgebucht gewesen.

Nun zogen wir Maria- und Josef gleich von Haus zu Haus und versuchten herauszufinden, ob es auf dieser Lechseite noch ein Quartier für uns oder wenigstens eine Busverbindung nach Kaufering hinein gäbe. Leider vergebens. Die Leute waren misstrauisch. Autofahrer, denen wir Zeichen zum Anhalten machten, brausten einfach an uns vorbei. Offensichtlich hinterließen wir in unserem Aufzug und um diese Uhrzeit keinen vertrauenserweckenden Eindruck.

Welch ein Glück, dass wir doch noch auf einen hilfsbereiten Mann trafen, der für uns nicht nur das einzige Hotel in Kaufering mit freien Betten ausfindig gemacht, sondern uns sogar noch bis dahin chauffiert hat. Obendrein hat er sich bei uns für sein unordentliches Auto entschuldigt! Was für ein Witz – wir waren es, die mit schlammigen Stiefeln und patschnassen Klamotten eingestiegen sind. Und nicht nur das, in diesem Aufzug marschierten wir dann auch im geschäftigen Hotel Rid ein.

Leider war kein Doppelzimmer mehr verfügbar, deshalb mussten wir mit zwei Einzelzimmern Vorlieb nehmen. Meine Schwester war total enttäuscht und hat mit Ihrem Ausspruch „Chrischtele, jetzt müssen wir tatsächlich in unserer ersten Nacht getrennt schlafen“ die Dame vom Empfang ein wenig verunsichert.

Wir schleppten uns in unsere Zimmer und entledigten uns als erstes der nassen Klamotten. Der nächste Gang galt der heissen Dusche um anschließend zu klären, was eigentlich mit meiner Schulter los war. Das war eine schöne Bescherung. Mein rechter Arm war geschwollen blau angelaufen und unbeweglich. Sofort habe ich Marion aufgesucht und ihr meine Blessuren gezeigt. Meine persönliche Krankenschwester fackelte nicht lange und verpasste mir eine schmerzstillende Salbe und einen fachmännischen Rucksackverband.

Wir waren beide so müde und erledigt, uns taten die Füße, die Hüften und was weiß ich noch weh. Wie ein Häufchen Elend in der Zwangsjacke saß ich bei Marion auf dem schicken Sofa. Keiner von uns konnte sich mehr aufraffen, hinunter in das Restaurant zum Abendessen zu gehen. Wir wollten nur noch schlafen und dachten auch über die Möglichkeit nach, dieses Vorhaben abzubrechen.

Lechaufwärts bis zur Quelle

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