Читать книгу Selig & Boggs - Christine Wunnicke - Страница 8
ОглавлениеACHTUNG, AUFNAHME. – Wenn der Spielleiter zu Beginn einer Szene das Kommando gibt, schauen Sie nicht zur Kamera, ob sie auch läuft. Dafür wird von anderer Seite Sorge getragen.
KÄMPFEN. – Vermeiden Sie unnötiges Umsichschlagen und Verrenken des Körpers. Werden Sie beispielsweise in einem Handgemenge überwältigt, so krümmen und winden Sie sich nicht über Gebühr, sofern Sie nicht einen Tollhäusler spielen. Ebendieses gilt auch für Ihren Tod. Nicht fuchteln! Lassen Sie gesunden Menschenverstand walten.
BILD. – Bemühen Sie sich, dieses nicht zu verlassen. Merken Sie sich den Fokus der Kamera, was mit einiger Übung ein Leichtes ist, und agieren Sie ausschließlich in diesem Bereich.
SCHMINKE UND KOSTÜM. – Sind Sie bestellt, um einen Goldgräber zu spielen, erscheinen Sie nicht in Schnürstiefeln und Hosen mit Seitentaschen. Ein armes Mädchen vom Land trägt nicht Seidenstrümpfe und französische Absätze. Röten Sie Ihre Lippen und Wangen nur wenig, denn Dunkelrot wird schwarz in der Fotografie. Tupfen Sie niemals Rouge auf Nase und Stirn. Dies führt zu ganz abscheulichen Ergebnissen.
ÄRMEL. – Krempeln Sie nicht ständig Ihre Ärmel hoch. Wenn Sie Tennis spielen oder auf der Strandpromenade mit einem Fräulein schäkern, dürfen Sie Ihre männliche Schönheit nach Herzenslust ausstellen, aber merken Sie auf: Cowboys und Fallensteller schätzten den Hemdsärmel aufgrund seines ursprünglichen Verwendungszwecks!
FLUCHEN. – Es befinden sich Frauen und Kinder im Atelier! Und halten Sie sich besonders während der Aufnahme zurück. Tausende von Taubstummen besuchen die Lichtspielhäuser und lesen Ihre Lippen.
ROLLEN. – Seien Sie niemals pikiert über Ihre Rolle. Der Spielleiter weiß genau, wofür Sie gut sind. Verdrießlichkeiten erschweren sein Leben.
Merkblatt für Darsteller der Selig Polyscope Company, Chicago 1910
Um das Jahr 1885, in einem Sanatorium in Colfax, Kalifornien, das er hausmeisterlich betreute, stellte William Nicolas Selig fest, dass sein Geschick, knifflige Dinge zu reparieren oder auszubessern, sich nicht nur auf Gegenstände erstreckte, etwa Wasserhähne und die zarten Scharniere von Liegestühlen, sondern auch auf das menschliche Gemüt.
Es verblüffte ihn immer wieder. Er war noch keine zwanzig, er hatte nichts Priesterliches oder gar Kurärztliches an sich, er war ein großer, breiter, blonder, schnauzbärtiger Welpe von einem deutschen Polsterergesellen aus der deutschesten Ecke von Chicago-Nord, der nicht einmal besonders gerne redete; dennoch wusste er, was Menschen, besonders von Kummer geplagte, brauchten, und zwar fast immer.
William Selig zog Vorhänge auf, wenn jemand Licht wollte, und Vorhänge zu, wenn sich einer nach Dunkelheit sehnte. Er brachte Erfrischungen, auch ungewöhnliche, etwa kalten Kaffee, wenn jemand ein Gelüst danach hatte, und trug unberührte Heilwassergläser davon, sobald sich ein Gast von ihrem Vorhandensein bedrängt fühlte. Bisweilen musste er still um eine Ecke biegen, wenn er ein Bedürfnis erahnte, das er nicht erfüllen konnte oder wollte. Einem bleichen Jüngling aus Boston reparierte er die Taschenuhr, nur um sie dann unauffällig ganz zu zerstören, weil er ahnte, dass sie ein belastendes Andenken war, etwa an einen bösen Vater oder Onkel. Der Jüngling aus Boston gewann Farbe und Laune zurück und lief dem Hausmeister tagelang wie ein Hündchen hinterher. Einmal trug Selig eine Klapperschlange, statt sie wie geplant zu erschlagen, durch das halbe Haus und den Garten, um sie einer Dame mit Ekzemen zu zeigen, von der er so grundlos wie richtig annahm, dass eine Klapperschlange sie in diesem bestimmten Augenblick entzücken würde. All dies tat er ohne Wunsch nach Lob oder Belohnung, auch ohne viel altruistischen Nachdruck, gleichsam wie ein wissenschaftliches Experiment. Wie und warum es funktionierte, hatte er auch nach einem Jahr in Colfax noch nicht herausbekommen.
Der junge Selig war nach Kalifornien gereist, um dort einen Husten, vielleicht einen schwindsüchtigen, auszukurieren, und verband nun das Nützliche mit dem Nützlicheren. Er hausmeisterte geduldig, für wenig Geld, mit wenigen Worten und scharfem Blick auf die Menschheit. Eine nie recht eingestandene Abneigung gegen Gurtspanner und Polsterzwecken mag ebenfalls eine Rolle gespielt haben, als Selig Chicago verließ, oder auch die Vermutung, dass Gott etwas Dramatisches mit ihm vorhabe, das gewiss mit einer Reise beginnen müsse.
Kalifornien an sich war ihm nicht sonderlich lieb. Die ewige Sonne, das ewig Paradiesische, und dann die aufgelassenen Goldminen, die das Land so zerfurcht hatten, dass man kaum mehr gerade Häuser darauf bauen konnte, all das widerstrebte ihm. Ein Sanatorium indes, selbst ein rudimentäres wie jenes in Colfax, was im Grund nichts anderes war als eine zum Städtchen angeschwollene Baustelle der Central Pacific Railroad, war der ideale Ort für William Seligs Menschenversuche.
Als praktischer Mann wollte er nun lernen, den Selig-Effekt zu bündeln: Wie mehrere zugleich zu beglücken seien mit nur einer einzigen Kraftanstrengung. Er versuchte vieles. Nichts befriedigte ihn. Immer gab es Ausreißer, immer setzte sich dieser oder jener gegen den allgemeinen Beglückungsversuch zur Wehr, immer wieder trübte vereinzelter Verdruss das allgemeine Vergnügen. Erst im Frühling 1887 fand William Selig sein erstes Allheilmittel, das ihn in seiner Unseriosität ein wenig entsetzte: die kleine Salonmagie.
Der erste Trick des Hausmeisters Selig hieß »Der Feuerkopf« und entstammte der Medikamentenkammer des Kurhotels. Er musste ihn so oft vorführen, besonders im Schummrigen, wieder und wieder, zu größtem Applaus, bis seine Handflächen und Mundschleimhäute es nicht mehr ertrugen und er etwas Neues beginnen musste. Man sah den jungen Selig Papierkügelchen mit einem Streichholz entzünden, sie brennend in seinen Mund werfen und sie sodann, immer noch qualmend, aus Nase oder Ohren wieder hervorziehen. William Selig machte sich hier zunutze, dass Ammoniak (vorrätig für Brustwickel) und Salzsäure (blutarmen Mädchen verabreicht, um ihren Eisenhaushalt zu regulieren) in Verbindung kalt raucht; dies war allerdings der einzige Trick bei der Sache, und er kam erst zum Einsatz, als das echte Feuer bereits auf natürlichem Wege in Seligs Speichel erloschen war. Das Glück der Gäste war ein wenig zu teuer erkauft. Noch Jahre später verband William Selig seine Zeit in Colfax mit dem Geschmack angebrannten Fleisches und scharfem Uringeruch.
Im Versandhandel erwarb er ein Lehrbuch der Magie. Er war geschickt mit Kopf und Händen. Er gewöhnte sich Maniküren an, damit nichts an den Fingern hing oder hakte. Er hausmeisterte weniger und weniger und zauberte mehr und mehr. Das Management spielte mit dem Gedanken, Selig als besondere Leistung in den Werbeprospekt des Etablissements aufzunehmen. Münzen, Schnupftücher, Uhren, Zigarren, Hemdkrägen, Strumpfhalter, Inhalationsgeräte, Streichholzschachteln, Karten, Besteck, Geschirr, Wasser, Feuer, Luft und Erde beugten sich William Seligs Genie und den unausgesprochenen Wünschen des Publikums. Alles verschwand und erschien. Alles verwandelte sich in alles. Eine Teetasse wurde zum Fingerhut und vice versa. Ein Schnürsenkel wurde ein Waschbär und der Waschbär ein Hut, oder auch ein Brief aus Virginia. William Seligs große, blond behaarte Hände verfügten über mehr Geheimfächer, als er sich selbst erklären konnte; bisweilen fand er, wenn er schon zu Bett lag und schlafen wollte, eine letzte Murmel, ein Pik-Ass in der Linken versteckt.
Mit seiner ruhigen, etwas reservierten und gar nicht theatralischen Art war William Selig ein untypischer Taschenspieler. Er strahlte eine Autorität aus, die nicht mystisch, eher militärisch wirkte, sehr ordentlich, sehr irdisch. Es ist nicht belegt, wer ihm seinen Titel verlieh: Plötzlich hieß er Colonel Selig. Über die Jahre wuchs der Rang des Obristen so tief in Seligs Persönlichkeit ein, dass weder er selbst noch seine diversen Untergebenen daran zweifelten, dass er ihn tatsächlich in einer schönen Militärlaufbahn erworben hatte.
Eines Tages nach zwei, drei oder auch sieben Jahren in Colfax – die Datierung seiner biographischen Anfänge ist ein wenig verwischt –, als er gerade einen Silberdollar aus jemandes Nase zog und dabei routinemäßig Gedanken las, las Colonel Selig zum ersten Mal »Überdruss«. Am nächsten Morgen kutschierte er den hauseigenen Buggy zum Bahnhof, um neue Gäste vom Zug abzuholen. Kurz hinter der Methodistenkirche dachte er ein Wort: Poker. Er erschrak so sehr, dass er das Pferd zügeln, absteigen und ein paar Schritte gehen musste. Ein Telepath mit der Fingerfertigkeit einer Spitzenklöpplerin … Es lag so nahe. Selig schüttelte sich. Dann nahm er Haltung an. So bin ich nicht erzogen, dachte William Selig. Er merkte, er erinnerte sich kaum, wie er erzogen war. Selig stieg wieder auf den Bock und dachte dort »Poker, Poker, Poker«, bis es ihn nicht mehr erschreckte. Und da reizte es ihn auch nicht mehr.
Er wendete den Wagen und fuhr zurück zum Sanatorium. Die neuen Gäste standen verloren am Bahnhof der Central Pacific. William Selig packte seine Sachen. Er ging zum Management, um zu kündigen, und als er keinen antraf, hinterließ er nur einen Zettel. Er stattete der Medikamentenkammer einen letzten Besuch ab und entwendete Pröbchen von allem, was bei rechter Verwendung rauchte, knallte oder stank. Und dann war er fort.
Professor Seligs Wanderjahre – denn er tauschte seinen militärischen Rang damals für eine Weile gegen einen akademischen –, die ihn bis Mitte der 1890er Jahre tausende von Meilen kreuz und quer durch den amerikanischen Südwesten führten, waren weit weniger erquicklich, als er es sich in Colfax ausgemalt hatte. Er begann seinen Weg in der Tat als Zauberkünstler, in Städten und Städtchen, in Kuhdörfern unter freiem Himmel, in Hotels und Saloons und sogar in der Eisenbahn, in aufgelassenen Minen und in einer aufgelassenen Kirche, was er erst merkte, als ein morsches Kreuz auf ihn fiel; und einmal zauberte er auch in einem Bordell namens Red Tarantula Palace in einem Ort namens Weeping River.
Daheim im deutschen Viertel von Chicago-Nord, wo der Polsterermeister gewiss noch immer seine Polsterzwecken zwischen den Lippen trug, wo Vater Selig stolz seinen kleinen Schusterladen führte und einige von Williams vielen Brüdern, vielleicht sogar alle, katholische Priester waren, hatte man ja gar keine Ahnung, dachte der Streuner mit einem Lächeln, wie schlimm es in Amerika zuging.
Nie verlor Professor Selig seine freundliche, gediegene Ruhe. Noch immer hatte er nicht herausgefunden, was alle Menschen glücklich macht. Er trug zwei Revolver, die er nicht ein einziges Mal benutzte. Jeden Abend trank er genau einen doppelten Whiskey. Ab und zu fand er ein anständiges Mädchen, das mit ihm spazieren ging oder gar ein Picknick unternahm, und dann erfragte er alles über ihre Familie, dachte ans Heiraten und dass er zu arm dazu sei und gewissermaßen auch gar nicht mehr als ein Scharlatan, und dass er auch gar keine Lust dazu hätte, und am nächsten Tag reiste er weiter.
Als ihm eines Tages jemand das Kaninchen kaputtschoss, das er aus dem Zylinder gezogen hatte, grundlos, nur aus Tollerei, legte Professor Selig den Zauberstab nieder und nannte sich wieder Colonel.
Gemeinsam mit einem Mr. Martin, später mit einem Mr. Johnson übernahm er Management und Betreuung einer reisenden Minstrel-Show. Sie bestand aus fünf Weißen, vier Schwarzen und einem Mexikaner, der den Planwagen lenkte, Wache hielt und auf der Bühne die Posaune spielte. Alle, die Weißen, die Schwarzen und der Mexikaner, malten sich jeden Abend die Gesichter schwarz (mit Schuhcreme oder verkohlten Korken, je nach Budget) und setzten Wollperücken auf, damit das Publikum nicht wusste, wer von ihnen schwarz oder weiß war, und sich dadurch etwa beleidigt fühlte. Man spielte die üblichen drei Akte, Gesang und Tanz und Witze, »Bruder Bones auf Brautschau« und »Onkel Toms Heimweh nach der Plantage«, viel Kauderwelsch und Wassermelonen. Colonel Selig überließ meistens Mr. Martin bzw. Mr. Johnson die Conference, weil er sich auf der Bühne so blass fühlte. Dafür führte er Buch.
Wieder ging es tausende von Meilen kreuz und quer durch den amerikanischen Südwesten. Zuweilen gastierte man in Theatern, etwa in San Francisco, in echten Theatern mit Namen wie »Das äthiopische Opernhaus«. Vielleicht gastierte man auch in einem Bordell namens The Cottontail in Toadsville, Montana. Als Schwarze verkleidete Schwarze, merkte Colonel Selig, machten überhaupt niemanden glücklich; zumindest nicht jene, die in seiner Obhut standen. Erst verschwand Mr. Martin, dann verschwand Mr. Johnson auch, und schließlich gehörte Selig das ganze Elend allein. Colonel Seligs phantastisch-gigantische Mammut-Minstrel-Show, oder wie auch immer sie auf den Plakaten hieß, war ständig, und jahrelang, pleite. Im Sommer 1895, auf dem Bock neben dem Mexikaner, auf einer schlechten Straße zwischen Mesquite und Dallas, an einem sehr heißen Mittag mit sehr vielen Mücken merkte William Nicolas Selig, wie sein Geduldsfaden riss.
Dallas war eine große Stadt von fast fünfzigtausend Einwohnern. Es gab einen zoologischen Garten, einen Golfplatz mit Bewässerungsanlage, eine elektrische Trambahn, fünf Gerichtshäuser und ein jährliches Banjo-Turnier, bei dem Seligs Minstrels den letzten Platz belegten. Da nahm sich William Selig frei. Das hatte er seit fünf Jahren nicht mehr getan. Er zahlte sich ein kleines Gehalt, ging in den zoologischen Garten (Selig war ein großer Tierfreund, weshalb ihn auch die Sache mit dem Kaninchen so mitgenommen hatte), fuhr mit der elektrischen Straßenbahn, dann aß er einen Eisbecher mit Ananas und besuchte schließlich eine Vergnügungsstätte, wo man gegen geringes Entgelt an allerlei Büdchen vorbeispazieren durfte, in denen Panoramen, Missgeburten, Indianer etcetera ausgestellt waren. Es hob Seligs Laune gewaltig, dass er hier für nichts die Verantwortung trug, und er flanierte entspannt dahin.
Niemand, stellte Colonel Selig mit Interesse fest, vermochte sich auch nur im Geringsten für Panoramen, Missgeburten oder Indianer zu begeistern. Das Etablissement war wie ausgestorben. Es sah aus wie nach Feierabend, oder als ob einer Feuer gerufen habe. Verwundert verweilte der Tourist eine Weile bei dem so genannten Wolfsjungen, einem bepelzten Burschen mit fernem Blick, der vor einer afrikanischen Kulisse dämmerte und Seligs Tierliebe ansprach; aber dann sah er ein paar Leute rennen und rannte ihnen neugierig hinterher.
Alle Welt drängte sich in einem Nebenraum. Selig konnte nichts sehen. Er beobachtete den Pulk und wartete, ob er sich nicht ein wenig verschöbe. Rufe wurden laut, »ich will auch, ich will auch«. Lange ging nichts voran. Endlich kehrten die ersten Zuschauer nach genossener Attraktion zurück in die Halle. Selig blickte in ihre Gesichter, Männer, Frauen und Kinder, ach so, dachte Selig, ein Hypnotiseur. Sein Geschäftssinn, kurz in Urlaub, kehrte zurück. Den will ich haben, dachte Colonel Selig. Ich entlasse alle, die ich habe, und engagiere stattdessen den. Ich fahre mit ihm nach Abilene. Den Wolfsjungen nehme ich auch mit. Den müssen die hypnotisierten Weiber küssen, das gibt Applaus. Selig straffte seine Schultern und wartete geduldig weiter.
Es handelte sich indes nur um drei brusthohe, verschlossene Holzschränkchen. An ihren Seiten waren Schnörkel, obenauf je ein Feldstecher montiert. Dort schauten die Leute hinein. Wer an der Reihe war, verließ die wogende Menge und begab sich in ein stilles Zwiegespräch mit dem freiwerdenden Apparat, der ihn sofort anzusaugen schien, sodass er wie gelähmt verharrte, verkrampft und verzückt. Nach einer längeren Weile, wenn er den Apparat wieder verließ – niemals freiwillig, erst wenn ihn jemand fortzerrte und auch dann nicht ohne Gegenwehr –, hatte er rote Druckstellen um beide Augen, einen schwankenden Gang und die Aura eines Neugeborenen: hilflos, frisch, erschrocken. Gleich fangen sie an zu weinen, dachte Selig. Na sowas. Potz Teufel. Und er drängelte sich vor.
In den Schränkchen sah man Fotografien, die sich zuckend und hampelnd bewegten. Im ersten versuchte sich ein Muskelmann in Pose zu setzen. Im zweiten unternahmen Mädchen eine Kissenschlacht. Im dritten knutschte jemand seine hässliche Frau. Die Maschinen waren, scheint’s, elektrisch, oder jemand, der unter den Bohlen versteckt war, trieb sie an. Sie schnauften leise. Das Ding hieß Kinetoskop, stand dabei. Es war patentiert. Auch das stand dabei. Erfunden hatte es Edison, der schließlich alles erfand.
William Selig schaute gründlich in alle drei Schränkchen hinein. Keine Verklärung ergriff ihn. Kein Säuglingsgefühl suchte ihn heim. Aha, dachte Selig. Und: Das ist es. Und: Das muss raus aus der Kiste. Das muss an die Wand. Das braucht ein Theater. Das braucht Musik. Das braucht Cowboys, Indianer und Löwen. Er strich seinen Schnurrbart mit dieser fast vergessenen Geste, wie damals, bevor alles schiefging, damals, als er in Colfax den Feuerkopf-Trick erfand. Dann ging er und suchte das Management. Er redete auf das Management ein, bis man ihm, weil er so ein netter Mann war, nach Feierabend erlaubte, in ein Kinetoskop hineinzuschauen. Es bestand innen aus zwei Dutzend Spulen, über die fotografische Streifen liefen; nicht halb so kompliziert wie ein gut gepolstertes Sofa. William Selig schaute eine geschlagene Stunde lang das Kinetoskop von innen an, bis er dem Management nicht mehr sympathisch war. Dann ging er in eine Kirche, beten.
Er machte sich nicht die Mühe, seine Minstrel-Show aufzulösen oder auszuzahlen. Er holte den Planwagen nicht ab und auch nicht seine Habseligkeiten. Mit seinem letzten Geld kaufte er eine Eisenbahnkarte und fuhr damit heim nach Chicago. Dabei strich er sich dauernd den Schnurrbart. Denn endlich hatte Colonel Selig herausgefunden, was alle Menschen glücklich macht, und fühlte sich nun zuständig dafür.