Читать книгу MNEN-LOR - Das Tor zur anderen Welt - Christoph Kindl - Страница 3
NOURREDINE
ОглавлениеMike war wieder online. Er stöberte in seiner Lieblingsnewsgroup, “fr.rec.phaenomenes.machines”.
Drôle de truc trouvé dans cave en montagne – Nourredine Ben-Alaoui
war in einem neuen Eintrag zu lesen. Seltsames Ding in Höhle in Bergen gefunden, Mike klickte den Artikel an. Ein gewisser Nourredine Ben-Alaoui schrieb, er habe eine Apparatur gefunden die grünes Licht ausstrahlte. Ein paar andere Teilnehmer hatten mit Nourredine schon einen Dialog über die Details des Funds gestartet...
Beschreib das Ding doch mal genauer! – Fred2000
Es ist so hoch wie der Raum und pyramidenförmig. Aus der Mitte strahlt grünes Licht – Nourredine Ben-Alaoui
Eine große Pyramide mit vier Seitenwänden? Und woher kommt das Licht genau? – Véronique Rouillard
Nein, anders. Es besteht aus vier Kugeln die so groß wie Pétanque-Kugeln sind. Drei liegen in Form eines Dreiecks auf dem Boden und die vierte ist oben an der Decke festgemacht. Sie leuchten orange-rot, so wie flüssiges Eisen. Sie sind aber nicht heiß – Nourredine Ben-Alaoui
Aha! Und was ist dazwischen? – Fred2000
Es sieht aus wie Säulen aus Licht, ganz wie Neon-Röhren. Von den Kugeln aus bis zur Mitte hin dehnen sich diese aus, sie berühren aber weder die Kugeln noch das Ding in der Mitte. Zudem strahlen sie weißes und blaues Licht aus – Nourredine Ben-Alaoui
Welches Ding in der Mitte? – Paul D.
Da ist ein Wasserball der keiner ist. Eigentlich sieht es aus wie ein Pilzhut. Aber man denkt zuerst es ist Wasser, und ständig ist es in sich in Bewegung. Doch die generelle Form bleibt trotz der Veränderung immer der Pilzhut. Weiterhin hat es viele kleine hellere und dunklere Stellen auf der Oberfläche die sich andauernd bewegen und verändern. Mal sind sie größer, mal sind sie kleiner, mal da, mal dort – Nourredine Ben-Alaoui
Du sagtest das Ding strahlt grün? – Paul D.
Ja, und dieses Ding ist so klar wie Wasser, ich kann die Rückseite des Raumes hindurch sehen. Gleichzeitig strahlt es wie eine Lampe Licht aus, und zwar hellgrünes. Das ist schon komisch, denn die genaue Quelle des Lichts ist nicht zu erkennen. Das ganze Ding leuchtet einfach. Deswegen musste ich meine Augen auch ganz stark zukneifen um da durch zu sehen – Nourredine Ben-Alaoui
Wie alt bist du? – Denis Cuq
Gerade dreizehn geworden! – Nourredine Ben-Alaoui
Wie hast du dieses Ding gefunden? – Fred2000
Ich war mit meinen zwei besten Freunden Ali und Nedjma in den Bergen, wir sollten unsere Ziegen hüten. Mein neuer Hund Rancan ist vom Hang abgerutscht und in diese Höhle gefallen. Der Eingang war gut versteckt. Wir haben lange nach Rancan gesucht. Zum Glück hat er die ganze Zeit laut gebellt, so haben wir schließlich den kleinen Eingang gefunden. Es gab wohl irgendwann einmal ein Erdrutsch der den Eingang verschüttet hatte, und deshalb haben wir ihn nicht gleich gefunden. Als wir ihn dann letztlich entdeckten, mussten wir sehr viele Steine wegschaufeln um rein zu kommen. Als wir dann drinnen waren, gab es da einen Vorraum mit einem Durchgang. Und dahinter war dann dieses Ding in dem großen Raum – Nourredine Ben-Alaoui
Wie groß ist der Pilzhut? – Fred2000
So groß wie unsere größte Ziege – Nourredine Ben-Alaoui
Wart ihr alle drei in dem Raum? – Véronique Rouillard
Ja. Aber nicht lange. Als wir Rancan in dem hinteren Raum mit diesem Ding endlich gefunden hatten waren wir erst ganz überrascht von dem Ding und haben es bestaunt. Aber dann haben wir Angst gekriegt und sind ganz schnell wieder raus – Nourredine Ben-Alaoui
War sonst noch was in dem großen Raum? – Fred2000
Ja, auf der anderen Seite waren wieder vier Kugeln. Sie glänzten diesmal nur wie Metall, sie leuchteten nicht orange, und lagen alle verstreut am Boden. Dazwischen lagen auch eine große Säule und eine ungekippte Schale. Alles war voller Sand und Steine. Oben an der Decke klaffte eine Lücke. Dort sind wohl die Steine runter gefallen, die alles umgeschmissen haben – Nourredine Ben-Alaoui
Wo sitzt du gerade? – Denis Cuq
In Ouarzazate, im Internet-Café – Nourredine Ben-Alaoui
Wo ist das? – Denis Cuq
Ganz in der Nähe von meinem Dorf – Nourredine Ben-Alaoui
Ich meine in welchem Land? – Denis Cuq
Marokko – Nourredine Ben-Alaoui
Wie hoch war die Säule? – Véronique Rouillard
Ich weiß es nicht genau, aber schon recht groß. Sie war ganz glatt und rund außen und auch aus Metall. – Nourredine Ben-Alaoui
War es laut in der Höhle? – Fred2000
Überhaupt nicht, im Gegenteil, es war mucksmäuschenstill! Richtig unheimlich – Nourredine Ben-Alaoui
Hast du etwas unternommen? Hast du versucht, die Teile aufzuheben? – Denis Cuq
Nein, wir haben Angst bekommen und sind sofort wieder aus der Höhle gerannt. – Nourredine Ben-Alaoui
Wart ihr inzwischen wieder drin? – Fred2000
Nein – Nourredine Ben-Alaoui
Du, das kenn ich. Das heißt ‚Kammer des Schreckens II’, ein Ego-Shooter für PC, in Level 17, da ist dieser Raum zu finden. Nourredine, war ein netter Versuch, uns auf den Arm zu nehmen! Hat nur leider nicht geklappt ;-) – Paul D.
Das ist nicht wahr, den Raum gibt es wirklich! – Nourredine Ben-Alaoui
Ja ja, erzähl Märchen... – Paul D.
An Paul: Wenn es dir nicht passt, such woanders! Halt dich aus dieser Gruppe raus, Idiot! – Fred2000
Selber Idiot! Glaubst sicher noch an den Weihnachtsmann – Paul D.
Mike übersprang ein paar Einträge mit wechselseitigen Beschimpfungen und suchte nach dem nächsten ernsthaften Eintrag.
An Nourredine: Was für eine Art Höhle war es? – Véronique Rouillard
Es folgten wieder die in Newsgroups nicht unüblichen dummen Einträge, in denen Beleidigungen und ähnliches verteilt werden. Einen neuen Eintrag von Nourredine fand er nicht mehr. Dessen letzter Eintrag war inzwischen auch schon einen halben Tag alt. Mike markierte sich diesen Diskussionseintrag und suchte nach anderen neuen Einträgen in der Hauptgruppe. Es war Mittwoch.
Mike lebte im Studentenwohnheim Washington Square Village, mitten in Greenwich, New York. Er hatte da ein kleines Appartement, welches er mit einem weiteren Studenten teilte. Er war dreiundzwanzig Jahre alt und Physik-Student an der NYU in Manhattan, sein Ziel: Ein Doktorgrad in Astrophysik, Fachgebiet Kosmologie. Sein voller Name war Michel François Thierry Beauregard, er war der Abkömmling einer auf ihre französische Herkunft stolze Familie. Wie oft hatte er sich als Kind die Geschichten von der Einwanderung der Vorfahren im Jahre 1792 anhören müssen! Geflohen vor der Französischen Revolution, auf abenteuerliche Weise den Kanal nach England überquert, dann mit Mühe ein Schiff in die Neue Welt gefunden. Die tapferen Vorfahren mussten sich in einem englischen Umfeld in Boston durchsetzen, sich diesem anpassen, haben dabei aber nie ihre Wurzeln verloren. Französisch war Pflicht für alle Familienmitglieder, zuhause durfte kein Wort Englisch gesprochen werden. Erst Mikes Großeltern brachen mit dieser eisernen Tradition und waren da weniger streng mit ihren Kindern, die häusliche Umgangssprache war spätestens seit deren Schulzeit das Englische. Die Sprache der Vorfahren wurde aber weiterhin zuhause geübt. Seine Eltern pflegten diese Tradition weiter, als Folge davon mussten Mike und seine um drei Jahre jüngere Schwester Valerie neben der Schule Französisch büffeln.
Er saß in seinem Zimmer auf seiner Schlafcouch und hatte seinen Laptop auf dem Schoß. Er hatte sich vor kurzem diesen Computer gekauft, dazu noch Funknetzwerk und hatte zusammen mit seinem Mitbewohner sich bei einem Kabelnetzwerkdienst angemeldet, denn im Gegensatz zu anderen Graduiertenwohnheimen der NYU hatte dieses keinen Internetanschluss in den Zimmern. Jetzt waren sie durchgehend online und konnten nach Lust und Laune im Internet surfen. Sein Mitbewohner, Phil, vierundzwanzig Jahre alt und somit nur unwesentlich älter als Mike, war Kunststudent und ein absolut von sich überzeugter Maler. Er konnte die Begeisterung von Mike für seinen neuen Rechner nicht teilen, auch wenn er das Internet für einige Recherchen für ganz brauchbar hielt. Phil interpretierte den Werbespruch „Think Different“ auf seine Art und verzichte ganz auf Computer. Doch dafür lieh er sich Mikes Meinung nach ein wenig zu oft den Laptop aus. Außerdem hatte Phil mehr als seine Hälfte von der Wohnung als Atelier missbraucht und seine Bilder, Skizzen und Entwürfe überall wo Platz vorhanden war verteilt. Mike verteidigte sein Zimmer vehement gegen die Angriffe von außen – „da ist noch eine weiße Wand über deinem Bett, an der dieses geniale Gemälde eine Zierde und Inspiration für deine langweilige Physikerexistenz darstellen wird“. Aber abgesehen von solchen Drohungen verstanden sich Phil und Mike gut. Des Öfteren gingen sie auch gemeinsam abends aus, sie hatten beide die gleiche Vorliebe für kontemporäre Jazz-Musik und waren deswegen Freitag und Samstag abends häufig in den gängigen Clubs im Viertel zu finden. Dort spielten in regelmäßigen Abständen absolute Weltgrößen des Jazz für bezahlbaren Eintritt ihre Sets. Man saß in kleinsten Räumen in zwei bis drei Meter Entfernung von den Stars im Publikumsraum und genoss den Augenblick.
Mike suchte nicht bloß aus Neugier in den Newsgroups nach sonderbaren Maschinen und Gegenständen. Sein Großvater hatte ihm immer wieder erzählt, dass der Urahn der Familie, der aus Frankreich eingewanderte Jean Beauregard, außerirdische Eltern hatte, was allgemein zu größter Erheiterung anwesender Zuhörer führte. Der Großvater hatte zudem ein altes Notizbuch von ebendiesem Jean in dem einige seltsame Einträge über eine mysteriöse Apparatur und Anweisungen zum Umgang mit dieser aufgeschrieben waren. Auch eine Skizze dieses Gebildes hatte Jean angefertigt mit Details über die Inbetriebnahme. Sie sollte der Schlüssel zu einer anderen Welt sein. Die Schrift in dem Notizbuch war stark geschwungen geschrieben, für Mike schon fast zu stark, bei einigen für ihn unleserlichen Passagen benötigte er die Hilfe von seinem Großvater. Er hörte ihm gerne zu, wenn dieser daraus vorlas. Das letzte Mal als beide sich mit dem Notizbuch von Jean beschäftigten war unterdessen schon mehr als sieben Jahre her, weil das Thema seitdem nicht mehr angesprochen wurde. Der Grund dafür war, dass Mikes Eltern das ganze immer wieder als Humbug abqualifiziert und als plumpe Ausrede und Aufmacherei von Urahn Jean abgetan hatten. Denn überliefert ist auch, dass Jean ein großer Angeber und Hochstapler war und sich nicht zuletzt dank dieser Eigenschaften über den Atlantik gerettet hatte. Was genau er vor der Revolution in Frankreich trieb blieb unklar, Gerüchte kursierten er wäre im Geheimdienst des Königs tätig gewesen, andere stellten ihn als verkappten Helden der Revolution dar, der als Adjutant von Fabre D’Églantine, Freund und Wegbegleiter von Danton, frühzeitig die Spaltung zwischen Danton und Robespierre spürte. Jedenfalls flüchtete er im Sommer 1792 aus Frankreich, aufgrund welcher Motivation auch immer, über England nach Amerika. Er gab sich als Diplomat der Französischen Revolution aus, und sei von den neuen Führern in Frankreich als Emissär und Botschafter nach Amerika geschickt worden. Das von ihm vorgelegte Sendungsschreiben hatte er sich selbstverständlich selber geschrieben und sehr offiziell unterschrieben. Sogar einen Siegelstempel hatte er sich aus einem Stück Holz geschnitzt und so diesem Papier mehr Würde und Authentizität verliehen. Dass alles nur Show war hatte er viel später seinen Enkeln erzählt, denn was nützt die größte Inszenierung wenn kein Publikum es würdigen kann. Nur traute er sich nicht diese Geschichten unmittelbar nach seiner Ankunft in Boston zum Besten zu geben, er wollte lieber in der Stadt unauffällig ein neues Dasein beginnen.
Seine Liebe zu Frankreich und zum Französischen hielt Jean von Anfang an öffentlich aufrecht und bildete zusammen mit anderen Kompagnons aus der alten Heimat einen Club für frankophile Zeitgenossen. Sie trafen sich zum regelmäßigen Weintrinken und Philosophieren über die gute alte Zeit - vor der Revolution, selbstverständlich, mit dem guillotinierenden Pöbel von der Strasse wollte man sich nicht identifizieren. Da er gut schreiben konnte und sehr kreativ war fand er schnell eine Anstellung bei der Bostoner Zeitung „Massachusetts Mercury“, die im Laufe der Zeit öfters umbenannt wurde, zuletzt zur „New-England Palladium“, aus der er schließlich alters bedingt 1817 ausschied. Gerüchte schrieben Jean die laufenden Umbenennungen der „Mercury“ zu, seltsam war auch, dass er seine Artikel mit wechselnden Pseudonymen unterzeichnete. Zeitweilig verhielt er sich so als ob er sich verfolgt fühlte.
Kurz nach seiner Ankunft fand Jean eine Frau aus einer angesehenen und wohlhabenden Bostoner Familie, womit seine Zukunft nicht mehr ganz so düster und ungewiss wie zuvor war. Im Gegenteil, er konnte sich jetzt ganz seinen diversen Hobbys widmen und ohne übertriebene Geldsorgen als Redakteur arbeiten. Er fand obendrein auch Zeit sein Notizheft zu überarbeiten, zum Leidwesen von Mikes Großvater, denn es hat offensichtlich zum Herausschneiden ganzer Seiten geführt. Interessanterweise fehlen hauptsächlich Einträge aus seiner Zeit vor der Französischen Revolution. Über seine Herkunft und sein Alter war wenig bekannt, sein Sterbedatum 1833 steht heute noch auf dem Familiengrab, welches mit seiner Leiche begründet wurde. Aus seiner Ehe stammten drei Kinder deren Nachkommen die Erzählungen von Jean teils mit Vergnügen, teils mit Ungläubigkeit der Familie weitergaben. So gelangte Mikes Großvater schließlich zum Notizbuch und wurde zum Chronisten der Beauregard-Familie aus Boston, Massachusetts.
Mike erinnerte sich gut an die Skizzen in Jeans Notizbuch, er war als Kind ganz fasziniert von der Idee einer außerirdischen Herkunft seiner Ahnen. Er träumte davon als Erwachsener in Raumschiffen durch das Weltall zu sausen und unzählige Abenteuer und Herausforderungen zu erleben. Ganz unschuldig an seinem weiteren Werdegang waren diese Geschichten nicht, denn nicht zuletzt aus der Vorstellung von anderen Welten im Universum wandte er sich der Kosmologie zu. Jetzt, da er an der NYU im fortgeschrittenen Stadium seines Studiums war und mehr Zeit für Privates sich nehmen konnte, hatte er begonnen sporadisch nach unabhängigen Informationen über Jean und seine angebliche Maschine zu suchen.
Er stöberte deswegen im Internet vor allem auf französischen Seiten nach Hinweisen auf seltsame Geräte und Unerklärlichem. Vor kurzem erst hatte er die Newsgroup entdeckt, in der Nourredine seine Entdeckung geschildert hatte.
Es hatte den Anschein als ob sich in dieser speziellen Newsgroup alle möglichen Spinner und Phantasten tummelten, meist wurden handelsübliche Geräte als wundersame Dinger angepriesen. Beispielsweise wurde lange über ein mysteriöses Teil diskutiert, welches in regelmäßigen Abständen über kurze Metallsaiten verfügte, die an einer Achse beweglich montiert waren. Eine halbrunde Aussparung mit Schlitzen fing diese Saiten auf, nur richtig Musizieren konnte man damit nicht. Letztlich nach wilder Spekulation stellte sich das Wunderding als Eierschneider heraus, was zu heftigen Beschimpfungen der Diskussionsteilnehmer auf den ursprünglichen Autor des Eintrags führte, er möge doch sich aus dieser Gruppe fernhalten und die seriösen Einträge nicht mit seinem Müll verdecken. Und so ging es in einem fort, viel Blödsinn aber auch manch originelles. Insofern stach der Eintrag von Nourredine schon heraus da er scheinbar wirklich etwas Ungewöhnliches gefunden hatte. Mike störte es, dass das Gerät in Marokko gefunden wurde und nicht in Frankreich, insofern hatte es wohl nichts mit der Maschine von Jean Beauregard zu tun. Auch die Beschreibung der Apparatur passte nicht zu seiner Erinnerung der Skizze aus Jeans Notizbuch, und obendrein beschrieb Nourredine einen Raum mit zwei Objekten.
Parallel zu der Suche nach der angeblichen Maschine versuchte Mike mehr über seinen Urahn zu erfahren, vor allem über seine französische Zeit. Auch hier half das Internet Namen von Zeitgenossen von Jean in dem ein- oder anderen Archiv zu finden. Nur von ihm waren wenig Spuren vorhanden.
Am nächsten Tag suchte Mike in der Newsgroup ob es etwas Neues von Nourredine gab, doch das war leider nicht der Fall. Dafür hatten sich weitere Akteure zu Wort gemeldet mit Tenor ob denn die Glaubwürdigkeit von Nourredine überhaupt gegeben sei, mit dreizehn Jahren kann doch so ein Eintrag nur überschäumende Phantasie sein. Wahrscheinlich hatte sich da doch lediglich ein Halbstarker wichtigtuerisch aufgespielt, es war mit Sicherheit einfach ein Scherz, und so weiter. Gelangweilt schaltete Mike seinen Laptop aus und griff zum Telefon.
„Hallo?“ tönte eine sonore Stimme aus dem Hörer.
„Hi Opa George, Mike am Apparat. Ich wollte mich mal wieder melden und fragen wie es euch geht!“
„Mike, das ist aber eine Überraschung, das ist ja schon ein paar Wochen her, dass wir uns das letzte Mal gesprochen haben. Wie geht es dir, mein Junge?“
„Gut, wir sind mit den Prüfungen in diesem Semester bald durch, mir fehlen noch fünf, dann ist auch diese Etappe geschafft. Und dann noch zwei Jahre und ich bin fertig mit dem Studium!“
„Na das klingt doch gut, ich bin stolz auf dich. Und sag an: Was machen die Frauen? Schon eine neue Freundin gefunden? Jane war wirklich nichts für dich, aber das hast du ja auch herausgefunden. Du willst mir sicher berichten wie deine neue Flamme heißt!“
„Eigentlich nicht, ich habe noch keine neue Freundin. Ich wollte mir ein wenig Zeit lassen, und soo schlecht war Jane auch nicht. Eigentlich mag ich sie immer noch sehr, und denke doch ab und zu darüber nach ob wir nicht wieder zusammen gehen sollten.“
„Mike! Werd endlich erwachsen! Mich geht es eigentlich nichts an, aber wenn du meine Meinung hören willst, Jane und du, ihr passt einfach nicht zusammen. Und das gilt sowohl aus deiner als auch aus ihrer Sicht. Ihr seid nicht füreinander geschaffen und habt beide nichts davon wenn ihr wieder zusammen geht. Mach einen Schlussstrich und such dir eine neue. Ihr habt doch sicher ein paar hübsche Französinnen an eurer Uni.“
„Opa, ich habe dir schon mehrmals gesagt, mir ist ihre Herkunft reichlich egal. Und jetzt Schluss damit, ich habe nicht angerufen um mit dir meine Beziehungskisten zu besprechen. Der Grund für meinen Anruf ist der, dass ich euch am Sonntagvormittag besuchen wollte, wenn es euch recht ist. Ich würde zunächst am Samstag zu Mom & Dadfahren, dort übernachten, und anschließend zum Frühstück bei euch aufkreuzen.“
„Wart mal kurz“ – etwas leiser konnte Mike durch den Apparat jetzt hören, wie George Mikes Oma fragte – „Joanne, Mike möchte am Sonntag zum Frühstücken kommen, ist das Okay?“ – ein entferntes ja, prima ertönte – „Joanne freut sich genauso darüber wie ich. Klasse Idee, Mike. Du kannst kommen wann immer du willst, wir sind sowieso vor dir wach.“
„Hast du noch das Notizbuch von Jean Beauregard?“
„Selbstverständlich! Du glaubst doch nicht im Ernst daran, dass ich es aus der Hand geben würde. Warum fragst du?“
„Ich wollte da ein paar Sachen nachsehen, vor allem über seine Maschine und deren Bedienung.“
„Aha, wusste ich doch, endlich gibt es Erkenntnisse in der Physik, die Jean vom Vorwurf des Aufschneiders und Lügners entlasten. Es ist so, er hat außerirdische Vorfahren!“
„Opa, das ist Quatsch. Es gibt keine neuen physikalischen Erkenntnisse. Ich wollte diese Seiten im Buch aus privaten Gründen wieder durchlesen.“
„Brauchst du eine Story für ein neues Mädel?“
„Opa!“
„Wie heißt sie, Katherine, Danielle, Sophie?“
„Richte Oma bitte liebe Grüße von mir aus, ich rufe am Sonntagmorgen an bevor ich von Zuhause loslaufe. Und wie üblich bin ich dann eine halbe Stunde später bei euch.“
„Bis Sonntag, und danke für den Anruf.“
„Bis Sonntag, bye.“
Eigentlich hatte Mike einem seiner Kommilitonen schon für Samstagabend zugesagt, sie wollten gemeinsam auf Tour gehen. Aber nachdem er die Einträge von Nourredine vom vorigen Tag gelesen hatte, wollte er unbedingt die Notizen von Jean Beauregard einsehen. Vielleicht hatte seine Maschine mit der von Nourredine doch etwas gemeinsam, auch wenn er sie anders als von ihm beschrieben in Erinnerung hatte.
Freitag hatte er einen Vortrag in seinem Astronomiekurs zu halten, er hatte eine Übersicht über neueste Forschungsergebnisse zu Quasaren zu präsentieren, auf diesem Gebiet hatte sich einiges seit der Inbetriebnahme des Hubble-Space-Teleskops und weiterer Weltraumteleskope getan. Er feilte noch an den letzten Feinheiten seines Skripts und ging früher als üblich schlafen. Weniger, um ausgeruht und konzentriert den Vortrag halten zu können – diese Vorträge waren in regelmäßigen Abständen reihum von jedem Studenten in seiner Gruppe abzuhalten, er war deswegen nicht sonderlich aufgeregt – sondern er wurde zusehends ungeduldiger und wäre am liebsten sogleich nach Boston gefahren um in das Notizbuch zu blicken. Ursprünglich waren seine Nachforschungen aus einer Laune heraus entstanden, er wollte die neuen Möglichkeiten die das Internet bot zur Abwechslung mal sinnvoll nutzen. Immer nur Nachrichten zu lesen und in Chat- und Newsgroups aktiv zu sein erschien ihm auf die Dauer zu stumpfsinnig, und es bot sich doch an zu prüfen, wie viel Information er über dieses beispielsweise sehr spezielle Thema in diesem immensen Reservoir an Wissen und Halbwissen finden konnte. Die Suche nach Information jedenfalls machte ihm spaß, da er bequem von zuhause aus sich durch die verschiedenen Einträge wühlen konnte. Internetrecherche war auf der anderen Seite aber auch ein mühsames Geschäft, auf zehn durchsuchte Seiten kam eine mit einem kleinen Häppchen neuer Information. Ganz selten nur waren die Perlen unter den Web-Seiten zu finden auf denen umfassend zu einem Thema Stellung genommen wurde.
Der Freitag verlief ganz unspektakulär, sein Vortrag fand allgemeinen Anklang, danach war er in der Mensa mit Freunden speisen, am Nachmittag hatte ein Kurs über Quantenphysik und anschließend ging er in sein Zimmer packen für das Wochenende. Natürlich musste er noch schnell ins Internet, Mails überprüfen und Nachrichten lesen. Beinahe hätte er darüber die Zeit vergessen und seinen Zug nach Boston verpasst. Das was er vermeiden wollte war wieder einmal wie so oft eingetreten, er hatte am Laptop mehr Zeit als gewollt verbracht beziehungsweise verplempert, und so musste er sich beeilen um mit dem Taxi zur Pennsylvania Station zu fahren um den 19:30 Uhr Zug nicht zu verpassen. Natürlich war in der Rushhour am Freitag an ein vernünftiges schnelles Vorkommen im Auto in der Stadt nicht zu denken. Der Taxifahrer, ein Afrikaner aus Mali, verstand offensichtlich nur wenig Englisch, kannte dafür ein paar Abkürzungen und Umwege, die Mike vollkommen fremd waren, und dass, obwohl er schon fast vier Jahre in New York lebte. Aus Mikes Sicht waren sie schon eine kleine Ewigkeit unterwegs, und er zweifelte inzwischen, ob der Fahrer ihn überhaupt ans richtige Ziel chauffieren würde. „No problem, mister, no problem. Penn Station we there soon!“ tönte es von vorne nach hinten durch das Taxi. Der Fahrer hatte scheinbar die Nervosität von Mike bemerkt. „Me safe driver, no problem. Me quick.“ Na ja, dafür, dass er ein sicherer Fahrer sein wollte, hupte er Mikes Meinung nach ein wenig zu oft herum, fegte zu dicht an den an roten Ampeln stehenden Passanten vorbei, und Mike zog es vor sich auf das Namensschild mit der Lizenz des Fahrers am Armaturenbrett zu konzentrieren und zu hoffen bald am Ziel zu sein. „Five Dollars twenty please.“ Die Stimme des Fahrers riss ihn aus seinen Gedanken. Kurz desorientiert fragte er: „Already there?“ „Yes sir, Penn Station!“ Mike gab ihm sechs Dollar, der Rest war Trinkgeld, denn erstaunlicherweise hatte der Fahrer ihn früher als erwartet am Bahnhof abgesetzt.
Natürlich hatte der Zug Verspätung! In welchem Land auf diesem Planeten namens Erde würde es Züge an einem Freitagabend geben die pünktlich an- und abfahren würden. Als ob die Planer der Verbindungen zum ersten Mal in ihrem Leben einen Freitagabend Fahrplan aufstellen würden! Vielleicht waren es auch kleine Sadisten, die über ihre Monitore gebeugt sich am Leid der am Bahnsteig wartenden Menschentraube belustigen konnten. Oder ihre Planung vom Freitagsverkehr basierte auf weltfremden Annahmen, da die Herren Planer von ihren Chauffeuren nach Hause per Auto gefahren wurden und vom Bahnfahren samt Begleitumständen keine Ahnung hatten. Mike ärgerte sich am Bahnhof über die prognostizierte halbe Stunde Verspätung des Zuges. Wie spät würde er erst in Boston eintreffen. Geplant war eine Ankunft am selben Abend um viertel vor zwölf. Nur stand er jetzt schon fast eine Stunde am Bahngleis und wartete wie viele andere auch auf die Zugeinfahrt. Ihm war kalt, es war schon nach acht und die Nächte im New Yorker Frühsommer konnten zeitig stark abkühlen.
Sein Abteil war voll, er hatte Mühe Platz für seine Tasche zu finden. Die Luft war schlecht und verbraucht, der Großraumwagen restlos ausgebucht. Ein paar Reisende standen im Gang und unterhielten sich laut mit anderen Passagieren. Er wollte ein Buch lesen, konnte sich bei dem Lärm aber nicht konzentrieren. Er freute sich schon auf die Zeit wenn er mal mehr Geld zur Verfügung hätte, damit er sich ein Flugticket leisten könnte und nicht mehr auf die Bahn angewiesen wäre.
Der Zug fuhr mit Verspätung in Boston ein, aber Mike hatte seine Eltern zuvor per Mobiltelefon über die Verzögerung informiert. Sie waren beide am Bahnhof um ihn abzuholen.
„Mike, wie schön, dich wiederzusehen!“ freute sich seine Mutter. „Es war schon eine kleine Überraschung, als du vorgestern anriefst.“
„Gib deine Tasche her“ forderte sein Vater, „und jetzt ab nach Hause. Es gibt eine gute Gemüsesuppe, die deine Mutter für dich gekocht hat. Und wenn ich ehrlich bin, ich habe auch noch ein kleines Loch im Magen und werde einen Teller mitessen.“
„Paul, wir haben doch schon gegessen!“ meinte seine Mutter. „Du sagtest du wärest satt.“
„Ja, Ruth, das war vorhin. Durch die Warterei auf den Zug habe ich wieder Appetit bekommen - ich freue mich schon auf deine gute Suppe. Mike, Opa behauptete, du wärest hauptsächlich wegen des Notizbuchs von Urahn Jean gekommen. Stimmt das?“
„Ja das stimmt. Ich hatte mich neulich daran erinnert, und da mir nicht mehr alle Details einfielen, dachte ich, ich schau bei Oma und Opa vorbei und lese bei der Gelegenheit ein paar Zeilen aus dem Buch.“
„Da steckt doch mehr dahinter. Bloß weil du ein paar Zeilen lesen wolltest fährst du doch nicht extra von New York nach Boston“ erwiderte der Vater.
„Das ist aber so!“
„Quatsch, ich kenn dich gut genug, Mike Beauregard, du bist auf irgendetwas aus. Und dazu brauchst du das Notizbuch von Jean. Hast du im Kino etwa einen neuen Science-Fiction Film gesehen? Gespickt mit Laserschwert tragenden Superhelden, im Morgenmantel gehüllt und coole Sonnenbrille vor den Augen? Um den doofen Blick dahinter zu verdecken, und superdummen Monstern? Wusch – Wasch – Beam – Zap“ sein Vater mimte den außerirdischen Schwertkämpfer.
„Nee, so ist das nicht. Außerdem waren die letzten Neuerscheinungen im Kino richtig gut! Banause! Aber darum geht es nicht, ich möchte über seine Zeit in Frankreich neue Informationen sammeln, und dazu wollte ich alles was wir durch sein Buch wissen zusammentragen damit ich die Informationen abgleichen kann.“ Mike war froh, dass ihm diese Ausrede eingefallen war. Es klang seiner Meinung nach sehr plausibel und war ja auch ein Teil der Wahrheit. Das mit der Maschine behielt er lieber für sich.
„Wieso interessierst du dich auf einmal für die Geschichte von Jean Beauregard vor seiner Zeit in den USA?“ warf seine Mutter ein.
„Ach, ich habe jetzt Internet im Wohnheim, und beim Surfen im Netz habe ich durch Zufall ein paar Seiten über die Einwanderer zur Zeit der Französischen Revolution gefunden. Auf einer war sogar Jean erwähnt. Das war spannend, man kommt von einem Thema zum nächsten, im nu ist der Tag rum. Es steht auch viel über die Zeit während und vor der Revolution drin. Ich dachte ich könnte mehr über Jean herausfinden. Auf jeden Fall ist es auch ein Test für mich wie umfangreich die Online-Informationen sind.“
Inzwischen waren sie bei ihrem Auto angelangt. Paul fuhr den Wagen von der Boston South-Station durch die Innenstadt durch auf die andere Seite des Charles River. „Ich beam dich gleich ins Nirvana, Erdenwurm. Scotty, Energie!“ – Paul war immer noch in Raumfahrerstimmung.
Die Familie hatte natürlich im Laufe der Jahrhunderte mehrmals ihren Wohnsitz innerhalb Bostons gewechselt. Mikes Eltern hatten sich in einem der nördlichen Bezirke ein mittelgroßes Einfamilienhaus mit Garten gekauft als die Kinder noch klein waren. Denn obwohl ihr Haus in einem der renommiertesten Bostoner Stadtteile, „The Hill“, lag, war es Ruths und Pauls Meinung nach keine Umgebung mehr für Kinder. Sie sollten in einer grünen Umgebung mit Garten aufwachsen können. Dafür zogen dann Joanne und George, Pauls Eltern, in das nun leer stehende Haus ein.
Mike freute sich wirklich über den Teller Suppe den er bekam. Der traditionelle Pot-au-Feu seiner Mutter war immer noch seine Lieblingssuppe. Da konnten auch die New Yorker Chinesen aus China-Town mit ihren guten Gemüse- und Nudelsuppen nicht mithalten. Paul aß mit der gleichen Leidenschaft wie Mike seinen Teller leer. Wie üblich sahen sich beide von Zeit zu Zeit aus ihren Augenwinkeln an und führten ihren unausgesprochenen Wettstreit aus wer zuerst fertig war. Selbstverständlich gab es Nachschlag. Obwohl es schon spät war saßen sie dann nach dem Essen im Wohnzimmer alle drei über ein Glas Importwein, einem echten Elsässer Riesling aus einem kleinen Dorf bei Barr in Frankreich und diskutierten. Sie bedauerten, dass Mikes Schwester nicht mit anwesend sein konnte, sie hatte leider keine Zeit dieses Wochenende auch zu den Eltern zu fahren. Um drei Uhr früh gingen sie dann schlafen.
Am Samstagabend traf Mike sich mit ein paar alten Schulfreunden in einem der Pubs am Hafen. Es gab viel zu erzählen, denn sie sahen sich nicht mehr sehr oft.
Endlich Sonntag! Viel hatte Mike nicht geschlafen, es wurde wie bei seinen Treffen mit den Freunden üblich sehr spät. Doch er war schon um halb acht wach und sprang aus dem Bett.
„Nanu, du schon wach?“ konstatierte seine Mutter. „Ich dachte du warst gestern Nacht in der Stadt?“
„Stimmt schon, aber ich kann nicht mehr schlafen. Ich bin total fit!“
Er sprang unter die Dusche, zog sich an und ging runter in die Küche. Sein Zimmer lag im ersten Stock gleich unter dem Dach. Ruth hatte Café-au-Lait zubereitet. Im Grunde genommen war da nicht viel vorzubereiten, die größte Schwierigkeit lag im Besorgen der Baguettes. Es gab aber zusehends mehr Geschäfte die außer amerikanischen Toast auch anderes Brot führten. Es roch sehr gut. Paul war natürlich auch schon wach. Mike hatte das nie verstanden, wie es seine Eltern immer schafften vor ihm fertig zu sein. Er trank aber nur einen Kaffee, denn er wollte gleich zu seinen Großeltern zum Frühstück gehen. Er war bestens gelaunt.
„Hi Opa, Mike hier. Ich mach mich auf den Weg.“
„Prima,“ erwiderte George am Telefon, „hast du schon gefrühstückt?“
„Nur einen kleinen Kaffee getrunken. Der war zum Aufwachen gedacht.“
„Gut, Joanne hat Pfannkuchen vorbereitet. Bis gleich.“
Am Sonntagmorgen war nicht viel los in der Beacon Street. Die Frühstückscafes öffneten allmählich. Passanten waren noch nicht zahlreich auf der Strasse. Mike näherte sich dem Haus der Großeltern. Aus einem nahe gelegenen Lokal roch es nach Speck, Eiern und frischem Kaffee. Er klingelte, Joanne machte die Tür auf.
„Guten Morgen Mike! Frühstück ist vorbereitet. Ich habe Pampelmusen, Pfannkuchen, weiche Eier, Wurst, Käse, Konfitüre und einen guten starken Kaffee. Jetzt komm erst mal rein.“
Es war schön wieder bei den Großeltern zu sein. Es erinnerte ihn sosehr an seine Kindheit. Früher besuchte er sie auf dem Nachhauseweg von der Schule in regelmäßigen Abständen, aß dort zu Mittag und verbrachte Stunden in Georges Bibliothek. Dort standen unzählige wunderschön eingebundene alte Bücher, und in jedem war eine eigene neue Welt zu entdecken.
„Hi Mike,“ begrüßte George seinen Enkel, „ich habe einen Bärenhunger, die Pfannkuchen duften heute besonders gut, der Kaffee ist fertig, aber was stehen wir hier noch rum. Ab in die Küche!“
Mike umarmte seine Großeltern und zog seine Jacke aus. Durch den schmalen holzvertäfelten Flur hindurch ging es in die Küche. Dort war wie versprochen der Tisch fürstlich gedeckt, durch das Fenster zur Straße fiel ein Sonnenstrahl direkt auf seinen Platz. Es war als ob ihn die Sonne zum Frühstück einlud, als ob ein überdimensionierter Scheinwerfer auf ihn gerichtet war. Joanne zog den Fenstervorhang teilweise zu, die Sonne heizte den Raum trotz der frühen Uhrzeit mächtig auf.
Sie redeten beim Frühstück über alles Mögliche, sein Studium, seine Ex-Freundin Jane, Episoden aus seiner Jugend, aktuelle Politik, die demnächst anstehenden Präsidentschaftswahlen. Er verstand sich gut mit seinen Großeltern, sowohl mit den Eltern seines Vaters als auch mit denen seiner Mutter. Letztere lebten in einem kleinen Ort in Conneticut. Endlich, aus Mikes Sicht, sprachen sie über den eigentlichen Grund seines Besuchs, das Notizbuch von Jean Beauregard.
„Nach deinem Anruf habe ich mir das Notizbuch wieder angesehen und habe nach Beschreibungen von der Maschine gesucht. Vor allem im ersten Teil des Buches wird sie erwähnt. Jean beschreibt sie detailliert am Anfang, später bezieht er sich nur noch auf sie als ‚Tor zur anderen Welt.’ Er behauptet es ist der Weg über den er auf die Erde vor seiner Zeit in Frankreich gekommen ist. Was für eine andere Welt hinter dem Tor ist schreibt er nicht. Woher genau er kommt auch nicht.“
„Opa, was weißt du noch über Jean vor seiner Zeit in Amerika?“
„Nicht viel, er hat sich darüber immer ausgeschwiegen. So jedenfalls hat es mir mein Großvater berichtet der es wiederum von seinem Großvater hat. Und dessen Großvater war schließlich Jean. Jean war es wichtig, dass die Familie sein Notizbuch gut aufbewahren sollte. Es würde Informationen enthalten, die in der anderen Welt von größter Bedeutung wären. Na ja, so Recht konnte ich nichts Bedeutungsvolles finden, es ist im Großen und Ganzen nur sein Tagebuch. Ein paar Seiten davon sind interessant, der große Rest nicht. Lass uns doch in die Bibliothek gehen, dort befindet sich das Notizbuch.“
„Seid ihr fertig mit Frühstück?“ fragte Joanne. „Dann räume ich die Küche auf. Später habe ich einen frischen Hummer für uns, den hast du ihn New York sicher nicht jeden Tag zum Essen.“
Mike freute sich schon darauf. Denn seine selbst zubereiteten Mahlzeiten waren in der Regel keine kulinarischen Meisterwerke, im Gegenteil, sie brauchten den Vergleich mit Junk-Food nicht zu scheuen. Hauptsache schnell und billig.
George und Mike stiegen die steile Holztreppe rauf und begaben sich in die Bibliothek im ersten Stock des Hauses. George war ein Bücherfan. Seit seiner Jugend hat er Bücher nur so verschlungen, und ihm reichten nicht die billigen Taschenbücher, er wollte die gebundenen Werke. Diese zu sammeln war seine Leidenschaft. Er war auf der Ausschau nach Werken sooft er nur konnte in Antiquariaten, auf Flohmärkten, bei Wohnungsauflösungen, in Buchläden. Über Jahrzehnte hinweg hatte er sich dabei eine respektable Bibliothek aufgebaut, wovon die besten Exemplare im ersten Stock in der Bibliothek standen. Der große Rest war unter dem Dachboden verstaut. Seine Bibliothek hatte Charakter! Vom Boden bis zur Decke Regale voll gestopft mit Büchern. Sechzehn Quadratmeter Grundfläche, an der Wand zur Straße ein schmales hohes Fenster, davor zwei Ledersessel, dazwischen ein Couchtisch, eine Stehlampe mit großem Lampenschirm, schwere dunkelgrüne Vorhänge, Parkett und Holzdecke. Vor den Sesseln in der Mitte des Raumes lag ein dicker weicher Teppich. Hier zog sich George gerne zurück und verbrachte ganze Tage mit Bücherlesen. Joanne besuchte ihn von Zeit zu Zeit, an manchen Abenden nahm sie auf dem zweiten Sessel platz und blätterte in der Tageszeitung oder in einer Illustrierten. Selbstverständlich las auch sie Bücher aus Georges Fundus, nur hatte sie keine Lust jeden Tag jede freie Minute den Büchern zu widmen.
„Hier ist es“ sagte George und griff nach einem dunkelblau gebundenen Taschenbuch.
Mike nahm es entgegen und setzte sich in einen der beiden Sessel. Gierig öffnete er das Buch und blätterte schnell durch die Seiten. Er wollte die Beschreibung der Maschine finden.
„Sachte, sachte“ rief George lachend. „Zwei Jahrhunderte hat es überdauert, lass es wenigstens noch die nächsten Stunden überleben.“
Mike suchte im vorderen Drittel vom Buch, hier mussten die Beschreibungen stehen. Er schlug willkürlich eine Seite auf.
17. Januar 1792 – R. ist wieder hinter mir her, was will dieser Mensch bloß von mir? Ich dachte, ich hätte ihn bei den Tuillerien abgehängt. Mir gefällt seine Visage nicht. Der Mistkerl führt was im Schilde. Will mich wohl auf der Guillotine sehen. Einen fiesen Blick hat er drauf. Vorgestern hat er mich so penetrant angesehen, ich dachte, er wollte mich mit seinen Blicken durchbohren und töten.
Es folgten Passagen mit Notizen, wer diesmal geköpft wurde. Anscheinend waren einige gute Freunde dabei, die Einträge klangen zum Teil verzweifelt, vor allem aber desillusioniert. Anschließend fehlten ein paar Seiten, fein säuberlich mit einer Klinge aus dem Heft getrennt.
Mike blätterte weiter zurück. Jetzt erst wurde ihm bewusst, dass er Jeans Französisch in seiner geschwungenen Schrift flüssig lesen konnte und keine Hilfe von George mehr brauchte. Er freute sich darüber, denn dadurch konnte er sich unbeschwert auf die Passagen die ihn interessierten konzentrieren ohne dabei sich beobachtet zu fühlen.
25. Mai 1787 – Wunderschöner Tag heute, Paris kann einen Mann überschwänglich glücklich machen. Mit Madame M. ausgegangen.
Auch davor fehlten mehrere Seiten. Mike fing jetzt von vorne an. Da stand geschrieben, dies ist das Notizbuch von Jean Beauregard, wohnhaft in Paris, Frankreich, begonnen am 22. September 1785. Die erste Seite begann schon eigentümlich:
22. September 1785 – Fremder, der Du liest diese Zeilen, beachte, ich bin nicht von dieser Welt! Mögen Dir die folgenden Eintragungen auch wirr erscheinen, forsche, dann wirst Du mit etwas Glück die Wahrheit finden. Trenne Dich nie von diesem Buch, Deine Rettung in dunkler Stund könnt sein. Hab Acht, existent ist die andere Welt, brutal und gemein.
Und da war sie, gleich auf der zweiten Seite, die Skizze von der Maschine samt ihrer Beschreibung! Mike wunderte sich. Wie oft hatte er Bücher von Beginn an gelesen, wie oft waren die entscheidenden Passagen im letzten Drittel zu finden. Auch in seinen Physikbüchern waren die interessanten Dinge immer hinten, vorne wurde nur das allgemein bekannte zum x-ten Male wiederholt. Deshalb hatte er Jeans Notizbuch zunächst in der Mitte aufgeschlagen. Aber hier auf diesen ersten Seiten war das Ziel seines Besuchs bei den Großeltern beschrieben: Die Maschine samt Skizze und weiterer Details! Seine Hände schwitzten, sein Herz schlug schneller! Kurz nur dachte Mike darüber nach, ob sein Großvater seine Aufregung merken würde, aber es war ihm letztlich egal. Einen kurzen Moment hielt er inne, dann betrachtete er die Skizze genauer.
Die von Jean gezeichnete Maschine sah aus wie ein Tetraeder, an der daneben gezeichneten Person abgeschätzt etwa drei Meter hoch mit flachen Seiten. Offensichtlich leuchtete dieser Tetraeder, skizzierte Lichtstrahlen deuteten darauf. Die davor stehende Person hatte ein Amulett in der Hand, eine flache Scheibe mit einem darin befindlichen Körper. Eine daran befestigte dünne Kette hing herunter. Scheinbar drückte die Person mit ihrem Daumen auf die Mitte des Amuletts und zeigte damit auf die Mitte des Tetraeders.
Einer Pyramide gleich, leuchtend, gleißend, brennend für die Augen! Aber keine Angst, mit mutigem Schritt schreitend, hindurch auf die andere Seite. Die Reise nur ein Augenblick, doch sei gewarnt, ungewiss ist die Lage am Ort der Ankunft. Solltest Du den Weg wagen, suche nach den Wächtern der Tore. Sag, der Sohn von Mnen-Lor hat Dich gesandt.
Für die Ankunft erwartet Dich eine weitere Pyramide, und damit Du keinen Fehler machst, grün leuchtet die Richtung die Du wählen musst, rot hingegen leuchtet der Empfang.
Mike war nicht schlecht am Staunen. Konnten es doch zwei Maschinen gewesen sein? So ganz weit weg von der Beschreibung von Nourredine war dieser Eintrag nicht, auch wenn die Form nur grob der gefundenen Maschine entsprach. Die Farbe und Größe stimmten indessen gut überein.
„Opa, ist dir dieses Amulett bekannt?“
„Zeig mal her, was meinst du genau?“
„Hier, dieses Amulett, mit dem die Person auf die Maschine zeigt. Sieh auf diesen Ausschnitt, in dem die Hand der Person vergrößert dargestellt ist. Es sieht dabei so aus, als würde diese Person auf das Amulett mit dem Daumen drücken und es gleichzeitig in Richtung Maschine halten. Wie bei einer Fernsteuerung.“
„Hmmm...“ George hielt einen Moment inne. Er sah sich die Zeichnung in aller Ruhe an, führte sich das Notizbuch in unterschiedlichen Entfernungen vor Augen um Details besser erkennen zu können. Mit dem Alter hatten auch seine Augen nachgelassen, seine Brillen halfen nur auf bestimmte Entfernungen. Er hatte eine Lesebrille, eine Computerbrille – Joanne und George waren ebenfalls online, aus ihrer Sicht eine Selbstverständlichkeit – eine Brille zum Autofahren und eine Alltagsbrille. Jedoch war keine davon universell einsetzbar, jede half ihm nur innerhalb einer bestimmten Entfernung gut zu sehen. Er war weitsichtig, was für einen Bücherfreund sehr lästig war.
„Mike, ich denke ich erkenne es wieder. Ich meine ich hätte es in einer Schachtel die deine Großmutter aufbewahrt gesehen. Das ist schon eine Weile her, vielleicht weiß Joanne wo sie sich befindet.“
Mike riss George das Notizbuch aus der Hand und hastete die Treppe runter in die Küche.
„Oma, wo bist du? Ich muss dich was fragen!“
„Ich bin im Wohnzimmer, Mike. Warum so eilig? Ist etwas passiert?“
„Nein nein, aber hier, dieses Amulett, weißt du wo es ist? Opa meint, du hättest es in einer Schachtel aufbewahrt.“
Mike war durch die Tür zwischen Küche und Wohnzimmer gelaufen und saß inzwischen neben seiner Großmutter auf der Sitzcouch und hielt ihr das Notizbuch vor die Augen.
„Das ist doch die Kette von Georges Mutter! Sie trug sie besonders gerne sonntags. Mir hat sie nie gefallen, sie ist mir zu klobig, deswegen habe ich sie weggepackt. Ist das Jeans Notizbuch, das du da in deiner Hand hältst?“
Mike nickte mit dem Kopf und hielt es Joanne hin, die sich die Zeichnung ansah.
„Seltsam, dass hier genau so eine Kette erwähnt wird, vielleicht ist es sogar meine. Meine Schwiegermutter war sich nicht sicher, woher die Kette stammte, für sie war es einfach ein altes Familienerbstück. Sie muss im Dachstuhl in der Kommode neben dem großen Spiegel sein, dort bewahre ich unter anderem den alten Schmuck auf den ich nicht mehr trage. Soll ich mal nachsehen ob ich sie finde?“
Joanne hatte Mikes Wunsch von den Lippen gelesen.
„Ich komme mit!“ rief er. Und zum Großvater, der gerade die Treppe herunter stieg, entgegnete er:
„Zurück, wir gehen aufs Dach, dort ist die Kette. Oma weiß genau wo sie ist.“
George kehrte auf der Stelle um, und obwohl er erst ein paar Stufen abgestiegen war hatte Mike ihn im ersten Stock bereits erreicht. Joanne lief gemächlicher die Stiegen auf, Mike spurtete über den zweiten Stock ins Dachgeschoss.
„Oma, kann ich schon in der Kommode suchen?“ rief er von oben herab.
„Warte lieber, bevor du mir eine zu große Unordnung machst, will ich lieber selber nachsehen. Vor allem denke ich, ich weiß wo die Kette liegt. Du findest sie ja doch nicht.“
Inzwischen war auch George oben angekommen: „Ich bin gespannt, ob das wirklich das Amulett aus dem Notizbuch ist. Meine Mutter trug die Kette fast regelmäßig, ich habe aber nie daran gedacht, dass es die aus Jeans Notizbuch sein könnte.“
Joanne erklomm die letzten Stufen zum Dachgeschoss.
„So, macht Platz, lasst mich mal suchen.“ Sie grinste, denn sie sah wie ungeduldig Mike und George sie beobachteten. Sie öffnete eine Schublade der Kommode und holte einige Schachteln hervor.
„Wo habe ich sie versteckt? Ich dachte immer, sie sei in dieser Box.“ Sie sprach mehr zu sich selbst denn zu den anderen zwei. Die gemeinte Schachtel enthielt eine weiße Perlenkette, die gleich wieder unter einer anderen verschwand. Joanne öffnete und schloss unzählige Schachteln und Kästchen, und George wunderte sich, wie viel sich im Laufe der Jahre angesammelt hatte.
„Ich wusste gar nicht, dass du soviel Schmuck hast“ rief er erstaunt.
„Tja, wenn der Herr immer nur die Nase in den Büchern hat, kann er das ja auch nicht merken.“
„Hier, ich habe sie gefunden, dass ist sie doch, oder?“
Sie reichte die Kette an George weiter der sie genau bemusterte.
„Jawohl, dass ist die Kette die meine Mutter getragen hat. Wie ähnlich sie der Kette in der Zeichnung von Jean aussieht.“
Mike sah sich die Kette in der Hand seines Großvaters an. Er wollte sie mit der Skizze vergleichen, doch nun fiel ihm auf, dass er das Notizbuch im Erdgeschoss vergessen hatte.
„Ich bin gleich wieder da, ich hole nur das Notizbuch.“
Mit einigem Krach rannte Mike die Treppen runter und wieder rauf. Kurz unterbrochen natürlich durch die Zeit die er brauchte um im Wohnzimmer das Buch zu greifen.
„Die Kette in der Skizze sieht genauso aus wie die von Uroma! Passiert etwas, wenn man in der Mitte draufdrückt?“ keuchte Mike, durch die Rennerei war er außer Atem.
„Nö!“ George drückte in der Mitte, am Rand, auf der Kante. Nichts passierte. Das Amulett war geformt wie eine dünne Linse aus dunkelblauem Glas, die einen Durchmesser von sieben und eine Dicke von einem Zentimeter in der Mitte hatte. Das Glas war umfasst durch einen Zentimeter breiten massiven Silberring, der am Rand gerade mal drei Millimeter dick war. Das Amulett war für seine Größe relativ schwer. An dem Rand war eine Öse angebracht durch die eine aus Silber bestehende Halskette geführt war.
„Willst du es mal probieren?“ fragte George Mike.
„Jupp, gib her.“ Mike versuchte wie George alles erdenkliche, drückte mit aller Kraft auf den Glaskörper, studierte die Seite mit der Beschreibung des Amuletts in Jeans Notizbuch, war der Meinung, dass er endlich verstanden hätte, wie es funktionieren würde, drückte wiederum auf das Amulett, aber was auch immer er unternahm, das Amulett blieb unverändert.
„Es klappt einfach nicht. Vielleicht ist das Amulett gar nicht der Schlüssel zu dieser Maschine sondern sieht nur so aus?“ warf Mike ein.
George blickte ihn an: „Das wäre natürlich eine Erklärung. Wenn man es analytisch betrachtet, eine Mechanik kann man daran nicht erkennen. Schade, ich dachte, wir haben das richtige Amulett. Wir haben doch davon kein zweites, oder, Joanne?“
„Nein, das ist das einzige. Jean hatte eine blühende Phantasie, seine wahre Herkunft hat er damit jedenfalls auf eine originelle Art und Weise geschickt verschleiert. Und genauso wie er die Kette – wer weiß woher sie stammt – als Schlüssel zu der Maschine aufgewertet hat, genauso wird es auch ein wie auch immer gearteter Gegenstand gewesen sein, der ihn zu der Maschine inspirierte. Aber es ist immer eine schöne Geschichte gewesen, die man seinen Enkeln abends am Kamin vorlesen konnte.“ Joanne lächelte dabei Mike an.
„Joanne, nur weil das Amulett nicht der Schlüssel ist heißt es noch lange nicht, das der Rest auch erfunden ist. Aber ich gebe ja zu, sehr wahrscheinlich ist das ganze nicht.“ George blickte ein wenig traurig in die Runde, als ob er sich gerade in diesem Moment zum ersten Mal in seinem Leben eingestehen musste, dass alles lediglich von Jean erfunden sei.
Joanne fuhr fort: „Jean hat sich meiner Meinung nach diese Geschichte ausgedacht, sie zugegebenermaßen gut und spannend in seinem Notizbuch niedergeschrieben, und dann nachdem genügend Zeit verstrichen war sie der ganzen Familie vorgetragen. Selbstverständlich haben seine Enkel diese Märchen geglaubt, sie klingen doch auch viel spannender und aufregender als die Wahrheit, wie auch immer im Detail diese aussehen mag. Weshalb sonst hätte Jean einige Seiten aus dem Notizbuch entfernen müssen? Beim Durchlesen ist ihm sicher aufgefallen, dass ein paar dieser Seiten wahrscheinlich unfreiwillig Hinweise auf seine tatsächliche Verwandtschaft, Herkunft oder Tätigkeit in Frankreich abgegeben haben, diese musste er daher der Glaubwürdigkeit halber entfernen. Er hat seine Sendungsschreiben der Französischen Regierung selbst gefälscht, er hat sich in seiner Bostoner Zeit oft durch kleinere und größere Lügengeschichten weitergeholfen, und lies mal seine Artikel in den Zeitungen, die er damals verfasst hat. Da ist mehr Quatsch als Sinnvolles drin, George hat einen Sammelband seiner Artikel irgendwo in seiner Bibliothek.“
Letzterer hatte wieder seine normale Miene aufgesetzt: „Viel weiter werden wir mit der Wahrheitsfindung heute nicht mehr kommen, dazu fehlen uns einfach weitere unabhängige Zeugnisse. Das Notizbuch als alleinige Quelle reicht leider nicht aus. Ich habe über die Jahre hinweg in vielen alten Büchern aus Frankreich nach Indizien gesucht die auf eine Existenz dieser Maschine hindeuten, war aber erfolglos. Lassen wir es gut sein für heute, gehen wir lieber wieder runter ins Wohnzimmer. Ruth und Paul werden sicher bald kommen.“
„Oma, kann ich mir die Kette mal für einige Zeit ausleihen? Ich würde sie gerne nach New York mitnehmen. Und Opa, wenn ich dürfte, auch das Notizbuch?“
„Aber sicher doch, Mike, die Kette kannst du gerne mitnehmen“, erwiderte Joanne. „Nur würde ich sie an deiner Stelle nicht sehr oft tragen, deine Freunde könnten vielleicht auf falsche Gedanken kommen.“ Alle drei lachten.
George blickte Mike auf einmal sehr ernst an: „Ich schenke dir das Notizbuch von Jean, früher oder später würdest du es sowieso erben, da deine Schwester kein großes Interesse an dieser Geschichte mehr zeigt. Versprich mir aber, dass du wie auf deinen Augapfel darauf aufpasst!“
„Das werde ich tun, Opa George, hoch und heilig versprochen!“ Mike spürte das Buch in seinen Händen auf einmal ganz intensiv. Von seiner Hand aus über seinen Arm in seine Schulter hinein durchfuhr ihn eine Spannung, es fühlte sich an, als ob er eine Stromleitung berührt hätte. Insgeheim hatte Mike vor dem Wochenende gehofft, dass er das Buch mit nach New York hätte nehmen können, aber dass er das seiner Meinung nach wertvollste Buch seines Großvaters geschenkt bekommen würde, daran hatte er nicht im Entferntesten gedacht. Mike grinste über beide Backen. Er war so glücklich, er hätte am liebsten seine Freude laut aus sich heraus geschrien. Tausende Gedanken schossen ihm sogleich durch den Kopf, er sah Bilder von Raumschiffen, von fremden Welten, seltsam anmutende Außerirdische, es war ein Sammelsurium aller von ihm so heiß verehrten Science-Fiction Spielfilme und Fernsehserien, ergänzt um die Vorstellungen seiner Phantasie.
„Danke Opa, danke.“ Langsam fasste Mike sich wieder. Obwohl es ihm wie eine kleine Ewigkeit vorkam, seitdem George ihm das Buch übergeben hatte, waren lediglich ein paar Sekunden verstrichen.
„Runter mit uns, ich werde mich gleich an die Essensvorbereitung machen, es ist schon nach zwölf und es wartet ein Hummer. Ihr könnt derweil ins Wohnzimmer gehen und weiter über die Herkunft von Jean spekulieren“ sagte Joanne und ging mit gutem Beispiel voran die Treppe abwärts. George und Mike folgten.
Der weitere Tag verlief ohne große Ereignisse ab. Mikes Eltern kamen zum Mittagessen vorbei, und nach dem Kaffee am Nachmittag mit einem obligatorischen Stück Kuchen fuhren Mike, Paul und Ruth zurück in sein Elternhaus. Er packte seine Sachen zusammen, dann brachten seine Eltern ihn zum 18:45 Uhr Zug nach New York, wo er schließlich um 22:50 Uhr pünktlich eintraf. Er nahm sich ein Taxi und war dann um halb zwölf in seiner Wohnung.
„Hi Mike,“ begrüßte ihn Phil, „ich koche gerade Spaghetti mit Tomatensoße, soll ich welche für dich mitkochen?“
„Hi Phil, danke, nein, ich bin immer noch voll, es gab wieder viel zu viel zu essen. Erst zu Mittag Hummer, anschließend zum Kaffee zwei Stück Apfelkuchen, und damit ich auch ja nicht auf der Heimfahrt im Zug verhungere hat meine Mutter mir noch einen Haufen belegter Brote mitgegeben. Die Hälfte davon ist noch übrig. Willst du ein paar davon?“
„Thanks, aber ich freue mich schon auf die Nudeln. Ich habe einen Bärenhunger, habe seit heute morgen nichts mehr gegessen. Ich habe den ganzen Tag versucht ein Bild zu malen, richtig inspiriert war ich heute leider nicht. Das Telefon hat ein paar Mal für dich geklingelt, ich habe dir eine Liste mit den Namen der Anrufer neben den Apparat hingelegt.“
„Danke.“ Mike trug seine Tasche in sein Zimmer, redete dabei weiter mit Phil. „Woran malst du gerade?“
„Ich muss am Dienstag ein Stillleben abgeben, Thema Obst.“
„Sollte doch nicht schwer sein.“
„Hast du eine Ahnung. Du musst das rechte Licht finden, genügend Obst in der Schale haben, zum Glück hatte Rashid um die Ecke in seinem Laden noch ein paar Bananen, die den Obstteller füllen konnten. Und dann passt die Farbe nicht, es fehlt der richtige Pinsel, und so weiter, und so fort. Einer dieser Tage, an dem nichts klappen will. Ich hoffe, dass zumindest die Nudeln schmecken. War wenigstens dein Tag gut?“
„Doch, war O.K. Mein Großvater hat mir das Tagebuch meines angeblich außerirdischen Vorfahrens geschenkt. Ich hatte dir doch schon mehrmals davon erzählt. Das mit der komischen Maschine die in die andere Welt führt. Hier ist es!“
Stolz wühlte Mike in seiner Tasche nach dem Notizbuch von Jean und hielt es wie eine Trophäe in seiner Hand.
„Cool, steht da drin, wo das Ding steht? Ich komme mit, wenn du in andere Welten reist!“ Phil schüttete das ganze Paket Nudeln in den Topf.
„Natürlich nicht, sonst wären mit Sicherheit schon vor uns einige hin und her gereist. Ich bin mir überhaupt nicht sicher ob er nicht alles bloß erfunden hat.“
„...sonst hätten wir inzwischen Wind davon bekommen. So eine Maschine bliebe doch nicht unentdeckt. Wahrscheinlich gäbe es mittlerweile Quiz-Shows im Fernsehen mit der Aufgabe was kostet ein Pfund Hackfleisch auf Alpha-Centauri.“
„...oder so ähnlich. Ich geh mal online, check Mails.“
Mike verzog sich in sein Zimmer und packte seinen Laptop aus. Er hatte im Zug ein Computerspiel gespielt bis der Akku leer war. Also auch Netzteil anschließen und ab ins Netz.
Während das E-Mail Programm die ungelesenen Nachrichten vom Server im Hintergrund lud startete Mike das Programm zum Lesen von Newsgroups. Er war aufgeregt.
„Du bist sicher, dass du keine Nudeln mitessen möchtest?“ rief Phil aus der Küche.
„Nee, danke!“
Schnell öffnete Mike seine Markierten Diskussionsforen und wählte “fr.rec.phaenomenes.machines” aus. Ja! Nourredine hatte sich wieder zu Wort gemeldet!
Waren gestern wieder alle drei in der Höhle. Ich habe es mir diesmal genauer angesehen. Es ist gar keine richtige Höhle, es sind zwei Zimmer die über einen Gang miteinander verbunden sind. Die Wände sind gerade, scheinen von Menschen gemacht worden zu sein – Nourredine Ben-Alaoui
Ist etwas an den Wänden geschrieben oder gemalt, ähnlich wie in den Pyramiden in Ägypten? – JacTro
Nichts, sie sind vollkommen schwarz. Nur in dem hinteren Zimmer, in dem die Maschine ist, kann man Steine an der kaputten Stelle in der Decke sehen – Nourredine Ben-Alaoui
Ihr habt die Maschine wieder gesehen? – Fred2000
Ja, sie war genauso wie beim ersten Mal grün am leuchten – Nourredine Ben-Alaoui
Und, etwas Neues entdeckt? – Fred2000
In einer Ecke stand ein Kasten. Da er auch schwarz war haben wir ihn nicht gleich gesehen. Als wir um die Maschine gehen wollten, ist Nedjma über den Kasten gestolpert, die Arme, ihr Zeh hat lange wehgetan! Den Kasten haben wir uns natürlich gleich genauer angesehen. Er hat vorne eine Art Schloss, das man aber ganz leicht aufdrehen kann. Innen war nichts tolles, nur so ein Buch in einer komischen Sprache, jedenfalls kein Arabisch oder Französisch. Englisch glaube ich auch nicht, aber das kann ich nicht so – Nourredine Ben-Alaoui
Habt ihr das Buch mitgenommen? – Denis Cuq
Nein, wir haben es in dem Kasten in der Höhle gelassen – Nourredine Ben-Alaoui
Es waren fast wieder alle Diskussionsteilnehmer der ersten Runde dabei. Mike bedauerte, dass er abermals nicht daran teilgenommen hatte. An den Zeiten der Einträge konnte er feststellen, dass Nourredine am Samstagmittag seiner Marokkanischen Lokalzeit online war. Die Zeitverschiebung zwischen der Westküste Afrikas und der Ostküste Amerikas beträgt sieben Stunden, ein Eintrag in Ouarzazate um zwölf Uhr Mittags entspricht demnach fünf Uhr früh in New York. Keine guten Aussichten, mal direkt mit Nourredine zu chatten, denn Mike war kein Frühaufsteher. Und es war ja auch überhaupt nicht klar wann Nourredine online sein würde. Mike überflog die weiteren Einträge, es stand aber nichts von Bedeutung drin. Er entschied sich selber einen zu verfassen in der Hoffnung, dass Nourredine bei seinem nächsten Internetbesuch diese Nachricht finden und beantworten würde. Er bemühte sich so gut er konnte fehlerfreies Französisch zu schreiben.
Nourredine, hier ist Mike aus New York. Sind in dem Buch Skizzen oder Zeichnungen über die Maschine zu finden? – MikeBNY
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Es war inzwischen Dienstag, und noch gab es keine Antwort von Nourredine auf Mikes Newsgroupeintrag. Die Zahl weiterer Nachrichten und Kommentare hielt sich in Grenzen, sein Eintrag war der fünfletzte. Er bereitete sich auf die nächste Prüfung in Physik vor, so langsam neigte sich das Semester dem Ende zu und die Prüfungsdichte stieg rasant an. Innerhalb eines Zeitraumes von zwei Wochen fünf Prüfungen war anstrengend, insbesondere wenn jeder der Prüfer sein jeweiliges Fach als das wichtigste überhaupt betrachtete. Er saß vor seinem Lehrbuch über Quantenmechanik, als er gelangweilt wieder nach Jeans Notizbuch griff und darin stöberte.
17 Oktober 1787 – Die Lage hier im Land wird zusehends schlechter, vielleicht sollte ich demnächst ein Schiff nehmen und die Reise in die andere Welt wagen? Die Wächter der Tore hatten Hilfe zugesagt.
Mike blätterte weiter.
04 November 1787 – Mutter möchte nicht wieder in die andere Welt, die Erinnerung daran lässt sie immer wieder in Tränen ausbrechen, zuviel Leid wurde ihr angetan! Ich selber kann mich kaum noch an die Zeit dort erinnern, zu lange ist es her, dass wir drüben waren. Dennoch, Frankreich sollten wir verlassen, die Unzufriedenheit wächst überall. Paris gleicht einem brodelnden Fass. Ich weiß nicht, ob das alles gut gehen wird.
Welche andere Welt? Mike rätselte. Jean schrieb, es sei „zu lange her, dass wir drüben“ waren. Wer „wir“, wo „drüben“? Sicher war wohl nur, dass Jean ursprünglich nicht aus Frankreich stammte. Mike spekulierte über mögliche Herkunftsorte, vielleicht eine ferne Insel im Pazifik?
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Hallo Mike, ich meine Bilder in dem Buch gesehen zu haben, was genau dargestellt war weiß ich nicht mehr. Wir haben nicht lange in dem Buch geblättert – Nourredine Ben-Alaoui
Mike war begeistert! Nourredine hatte sich tatsächlich gemeldet, so wie er es vermutet hatte wieder an einem Mittwoch. Offensichtlich konnte er nur mittwochs und samstags online sein. Für nächsten Samstag nahm sich Mike vor zeitig wach zu sein und mit ein bisschen Glück an der nächsten Diskussionsrunde teilnehmen zu können. Vorsorglich stellte er die nächsten Fragen ins Internet:
Ist auf einem der Bilder so etwas wie eine Fernsteuerung zu sehen? Wenn ja, ist diese vielleicht rund und flach, so wie eine Linse? – MikeBNY
Sind die Maschinen in den Bildern zu sehen? Wenn ja, wie sehen sie aus? Sind sie genauso wie die Maschine in dem Raum? Oder weicht die Form davon ab? Sind die Bilder in Farbe? Sieht das Buch eventuell wie eine Betriebsanleitung aus? – MikeBNY
Bis Freitag hatten bereits die ersten weiteren Diskussionsteilnehmer Kommentare zu Mikes Fragen abgegeben.
Hey Mike, hast du eine Vermutung, was für eine Art Maschine das ist? – Véronique Rouillard
Vielleicht ist es ein Umspannwerk eines nahe gelegenen Kraftwerks. Ich habe auf einer Landkarte nachgesehen, neben Ouarzazate ist ein Stausee – Paul D.
Es folgte eine Reihe von Einträgen mit Vorschlägen, worum es sich bei der Maschine handeln könnte. Die Info mit dem Staudamm war nicht schlecht, sie beflügelte die Phantasie der Teilnehmer.
Auch wenn er noch keine neuen Informationen von Nourredine erhalten hatte, so freute es Mike, dass in der Diskussionsgruppe wieder richtig Leben war. Er ging diesen Freitag zeitig schlafen und stellte sich den Wecker für vier Uhr früh. Letzten Samstag hatte sich Nourredine um halb fünf New Yorker Zeit gemeldet und Mike spekulierte darauf diesmal könnte er um die gleiche Zeit online sein.
Wir waren wieder in der Höhle, diesmal haben wir das Buch einfach mitgenommen. Ich habe es jetzt hier vor mir neben dem Computer liegen – Nourredine Ben-Alaoui
Es ist ein gedrucktes Buch mit Farbbildern von der Maschine, drum herum gedruckter Text. An Mike: Es scheint wirklich so etwas wie eine Betriebsanleitung zu sein, man muss auf so ein rundes Ding drücken, dann verändert die Maschine ihre Form. Sie hat dann große leuchtend grüne Seitenwände, als wäre die Maschine auf einmal ganz toll aufgeblasen. Die jetzigen Lücken zwischen den Kugeln sind zu. Dieses runde Ding auf das man drücken muss ist außen silbrig und innen so wie dunkles blaues Glas. Es hängt an einer Kette. Es wird in drei Photos genau gezeigt, man muss nur einfach in der Mitte drücken, dann verändert sich die Maschine. Aber nur die grüne, die rote bleibt gleich – Nourredine Ben-Alaoui
Das war weit mehr als Mike erhofft hatte. Die Beschreibung, die Nourredine von sich gab, entsprach fast haargenau der Maschine in Jeans Notizbuch. Außerdem wurde auch das Amulett beschrieben! Er freute sich, dass er sich zu dieser unchristlichen Stunde aus dem Bett gequält hatte. Als der Wecker klingelte wollte er zunächst gar nicht aufstehen, ihm waren Nourredine, Jean und die Maschine vollkommen egal. Aber als der Wecker zum wiederholten Male ansprang konnte er seinen inneren Schweinehund überwinden und kroch aus dem Bett. Er holte sich den Laptop vom Arbeitstisch und sprang schnell wieder unter die Decke, den Laptop oben drauf. Er war erst kurze Zeit online als Nourredine sich meldete.
Hi Nourredine, Mike hier. Das sind super Infos, die du da hast! Steht in dem Buch drin, was passiert, nachdem die Maschine ihre Form geändert hat? – MikeBNY
Salut Mike! Auf den folgenden Bildern ist gezeigt, wie eine Person einfach in die Maschine geht und verschwindet. Man kann aber nicht durch die Wände der Maschine schauen so wie vorher, also man weiß nicht, was da drin passiert – Nourredine Ben-Alaoui
Dann taucht dieser Mensch aus der roten Maschine wieder heraus. Wie so ein Zaubertrick. Das habe ich neulich in einer Show im Fernsehen gesehen, da ging eine Frau in eine Box und kam aus der anderen wieder heraus – Nourredine Ben-Alaoui
Die andere Maschine, ist das die, deren Teile am Boden verstreut liegen? – MikeBNY
Das denke ich mal, denn auch hier sind Photos im Buch vorher und nachher. Erst sieht die Maschine so aus wie die grüne, nur dass in der Mitte diese Säule steht. Und die Lichter laufen jetzt von den Kugeln flach zur Säule mit der Schale hin. Dann in den nächsten Bildern sieht man die Säule rot und weiß blinken, das ist schon komisch, denn sie ist doch aus Metall. Wie kann eine Säule aus Metall leuchten? – Nourredine Ben-Alaoui
Was passiert dann? – Fred2000
Diese Maschine bläht sich genau wie die grüne auf, nur leuchtet sie komplett rot. Und dann kommt der Mensch der in die grüne eingetreten ist aus der roten heraus – Nourredine Ben-Alaoui
Und was steht noch in dem Buch? – MikeBNY
Komischer Text, den ich nicht lesen kann. Ist auch eine komische Schrift. So eine habe ich noch nie gesehen. Vielleicht Russisch? – Nourredine Ben-Alaoui
Wie dick ist das Buch? – Fred2000
Nicht sehr dick, außer den Bildern und ein paar Seiten Text ist nichts drin – Nourredine Ben-Alaoui
Das Buch war doch in einem schwarzen Kasten, war außerdem wirklich nichts drin? – MikeBNY
Nur das Buch – Nourredine Ben-Alaoui
Wie lange dauert es von deinem Dorf zur Maschine? – MikeBNY
Etwas mehr als zwei Stunden zu Fuß. Es ist in einem kleinen Seitental – Nourredine Ben-Alaoui
Nourredine, wenn ich in nach Ouarzazate käme, würdest du mir die Maschine zeigen? – MikeBNY
Wieso willst du nach Ouarzazate kommen? Extra nur wegen der Maschine? – Nourredine Ben-Alaoui
Ich wollte in Marokko Urlaub machen, eine Rundreise mit dem Auto. Dabei könnte ich einen Abstecher zu euch machen – MikeBNY
Mike hatte tatsächlich mal mit einer Urlaubsreise nach Marokko geliebäugelt, durch einen Roman ist er auf das Land aufmerksam geworden. Es folgten Lektüren / Studien von Büchern über marokkanische und arabische Architektur und deren Perfektionierung in der marokkanischen Baukunst. Er hatte schon seit längerer Zeit eine Liste von Objekten die er sich ansehen wollte. Nun bot sich dank der Maschine von Nourredine eine Gelegenheit diese Reise ernsthaft in Angriff zu nehmen. Zudem nahten die Semesterferien, durch Jobben parallel zum Studium war sein Konto ausreichend gefüllt. Bis zu diesem morgen war die Reise nur eine lose Idee, im Verlauf des Chats mit Nourredine ist er jedoch darauf gekommen, es diesen Sommer tatsächlich zu tun.
Wann würdest du denn kommen? – Nourredine Ben-Alaoui
Ich weiß es noch nicht, ich habe noch nichts konkret geplant. Aber ich habe demnächst Semesterferien, und in dieser Zeit würde ich Reisen wollen. Sobald ich näheres habe lass ich es dich wissen. Bist du in den nächsten zwei Monaten die ganze Zeit über zuhause? – MikeBNY
Ja, wir fahren nicht weg. Weißt du, wozu diese Maschine gut ist? – Nourredine Ben-Alaoui
Nicht genau, ich habe hier ein Buch, in dem so eine Maschine wie deine beschrieben ist. Ich würde sie gerne einfach selber mal sehen, vielleicht finden wir dann mehr über deren Funktion heraus – MikeBNY
Ihr haltet uns bitte am Laufenden, wenn ihr euch trefft und die Maschine in Betrieb nehmt, OK? – Fred2000
Hat einer von euch eine Digicam? Bitte Bilder ins Netz setzen! – JeanLe20
Hey Leute, ich weiß noch nicht, wann ich nach Marokko reisen kann. Nourredine, kannst du Bilder ins Internet stellen? – MikeBNY
Ich habe keine Digitalkamera – Nourredine Ben-Alaoui
Ich muss gleich Schluss machen, meine Mama möchte, dass ich zum Abendessen wieder im Dorf bin. Der Bus fährt gleich – Nourredine Ben-Alaoui
Nourredine, wann kannst du wieder online sein? – MikeBNY
Am Mittwochnachmittag, wenn wir keine Schule haben – Nourredine Ben-Alaoui
Wie spät wird das sein? – MikeBNY
Um eins, kurz nach der Schule – Nourredine Ben-Alaoui
OK, dann chatten wir am Mittwoch weiter – MikeBNY
OK, Salut! – Nourredine Ben-Alaoui
Mike legte seinen Laptop beiseite und schlief wieder ein.
Gegen elf wachte er auf und schleppte sich in die Küche um Frühstück zu machen. Phil saß bei einer Tasse Kaffee und las die Zeitung.
„Guten Morgen Mike, du siehst aber fertig aus! Wilde Nacht hinter dir?“ Phil lachte.
„Hmm... Morgen. Kaffee... noch Espresso da? Ich brauch ´ne Dröhnung, ...bin ich kaputt!“ Er hatte Schwierigkeiten seine Augen aufzuhalten, Reden klappte auch noch nicht so gut.
„Etwas Espresso sollte noch oben im Schrank sein.“
Mike murmelte etwas vor sich hin und begann sich einen zuzubereiten. Phil blätterte weiter in der Zeitung.
„Hey Phil, obercoole Neuigkeiten! Ich bin heute schon um vier aufgestanden, man war das hart. Aber es hat sich absolut gelohnt. Ich war online, und der Junge aus Marokko war wie erhofft ebenfalls online, hatte Neuigkeiten von seiner Maschine! Unglaublich, seine Beschreibung deckt sich voll mit der in meinem Notizbuch!“ Langsam taute Mike auf, seine Augen blieben jetzt auch längere Zeitspannen offen. Die Espressomaschine zischte.
„Was, ich habe eben nicht richtig zugehört. Was war das mit welcher Maschine?“ Phil blickte hinter der Zeitung hervor.
„Na das Ding um in andere Welten zu reisen. Der Junge aus Marokko von dem ich dir erzählt hatte, der eine seltsame Maschine in einer Höhle in den Bergen gefunden hatte, er war gestern, nee, heute früh online. Und ich habe ihn nach Details von seiner Maschine gefragt. Ich kann es immer noch nicht glauben, aber seine Beschreibung passt haargenau zu der aus dem Notizbuch von meinem Urahn!“
„Aha. Was bedeutet das?“
„Was das bedeutet? So wie es aussieht scheint es so eine ähnliche Maschine wie von meinem Urahn beschrieben tatsächlich zu geben! Irgendwo in Marokko.“ Mike war jetzt hellwach.
„Das ist doch ein Scherz.“
„Ich habe keine Ahnung, aber Nourredine, so heißt er, hat seine Maschine exakt so wie in Jeans Notizbuch beschrieben dargestellt, ich glaube nicht, dass er es erfunden hat.“
„Gibt es die Möglichkeit, dass beide aus einem und denselben Buch oder derselben Quelle ihre Information beziehen? Irgendeine alte Schriftrolle oder so?“
„Nourredine schreibt über eine Maschine, die er selber in einer Höhle gesehen hat. Zunächst gab er keine Details an, erst nach meinem Nachfragen hat er heute Morgen die Maschine genauer beschrieben. Das klang absolut authentisch. Ich denke schon, dass es wirklich diese Maschine gibt und er sie gefunden hat.“
„Hat er sie schon in Betrieb genommen?“
„Nee, ich denke nicht, alles andere hätte er längst erwähnt. Und ihm dürfte ein Schlüssel dazu fehlen, in Jeans Notizbuch wird einer beschrieben, der so wie ein Amulett meiner Oma aussieht. Das Amulett habe ich selbstverständlich letztes Wochenende auch ergattert. Nourredine hat offensichtlich eine Betriebsanleitung von der Maschine gefunden, und auch dort wird über solch einen Schlüssel berichtet.“
„Wow! Und nun?“ Phil war neugierig geworden und hatte die Zeitung beiseite gelegt.
„Ich denke, ohne diesen funktioniert das Ding nicht, vielleicht habe ich wirklich einen in der Hand. Ich dachte daran nach dem Abschluss des Semesters für zwei bis drei Wochen nach Marokko zu fliegen und mir die Maschine selber anzusehen.“
„Echt? Nur weil ein Kind angeblich eine Maschine gefunden hat, die ähnlich der deines Urahns zu sein scheint, würdest du nach Marokko fliegen? Was kostet das überhaupt?“
„Keine Ahnung, habe mich noch nicht informiert. Marokko ist aber schon länger auf meiner Urlaubsliste, da wollte ich unabhängig von der Maschine mal hin. Ich hatte mit dem Gedanken gespielt eine Rundreise mit einem Mietwagen zu machen. Und jetzt könnte ich es kombinieren, a) Urlaub und b) die Maschine begutachten.“
„Klingt nicht schlecht! Würdest du mich mitnehmen? Ich habe noch nichts in den Sommerferien vor und die Aktion könnte spannend werden.“
„Gerne, zu zweit macht so eine Reise sowieso mehr Spaß. Zudem könnten wir uns auch beim Fahren abwechseln.“
„Cool, dann lass uns doch mal planen wo wir hin müssen.“
„OK, ich will aber erst noch frühstücken, dann können wir loslegen.“
„Warum wolltest du nach Marokko auf Urlaub?“
„Ich hatte ein Roman gelesen der dort spielt. Daraufhin habe ich Bilder im Internet gesehen, beeindruckend schöne Gegend, sagenhafte Kontraste! Wüste, angrenzend an Viertausender, Schnee bedeckt, dazwischen Palmen, Kamele und Lehmburgen. Und tolle Gebäude, die Architektur sehr geometrisch, mathematisch.“
„Ich glaube ich weiß woher ich meine nächsten Motive beziehen werde. Kamera nicht vergessen. Was machen wir eigentlich, wenn wir die Maschine gefunden haben und sie zum laufen bringen?“
„Keine Ahnung, würdest du da durch gehen?“
„Durch gehen? Was meinst du damit?“
„Nourredine beschrieb wenn die Maschine an ist, dass man als Mensch in die eine eintaucht uns aus der anderen wieder herauskommt.“
„Zwei Öffnungen?“
„Nein, zwei Maschinen.“
„Würdest DU dich hindurch trauen?“ Jetzt war Phil an der Reihe, diese Frage zu stellen.
„Bin mir nicht sicher, hätte da ein mulmiges Gefühl. Wer weiß was das für eine Maschine ist und was die mit einem macht. Einfach blindlings so rein, puh, nicht mit mir.“
„Woher weiß Nourredine das mit dem rein- und rausgehen eigentlich?“
„In der Betriebsanleitung scheinen Bilder über die Funktionsweise enthalten zu sein.“
„Und dein Urahn hat genau so eine Maschine beschrieben? Wann hat der noch mal gelebt?“
„Zur Zeit der Französischen Revolution.“
„Schräg. Da soll es diese Art Maschinen schon gegeben haben? Das ist ja wie im Science-Fiction Roman.“
„Ich möchte da hin, selber Nourredines Maschine sehen. Auch wenn ich nicht daran glaube, dass es genau die gleiche Maschine ist, stimmen die Beschreibungen erstaunlich gut überein. Nur scheint die von Nourredine Hightech zu sein, da bin ich der Meinung, dass es um 1750 herum so etwas sicher noch nicht gab. Obendrein auch noch mit bebilderter Betriebsanleitung, die sich selbstverständlich bis heute in einem Top Zustand gehalten haben soll. Es ist schon alles reichlich merkwürdig.“
„Man, wie im besten Hollywood-Streifen, und wir sind mitten drin, in der Hauptrolle sozusagen. Das ist vielleicht abgefahren!“
„Allein deswegen will ich hin, denk mal nach, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass Nourredine und Jean, die ca. 200 Jahre voneinander trennen, die gleiche Maschine oder Sache beschreiben. Wenn es aber wirklich so ist, dann ist das von der Wahrscheinlichkeit her seltener als ein Jackpot im Lotto. Dennoch vermute ich irgendeinen Zusammenhang zwischen beiden Maschinen.“
„Kannst du mir bei Gelegenheit das Buch von deinem Jean geben damit ich es auch durchlesen kann? So als Vorbereitung für den Trip.“
„Na klar, vielleicht fällt dir auch etwas darin auf das mir möglicherweise entgangen ist.“
„Und Nourredine gibt es wirklich, es ist nicht etwa ein Scherzbold der dich auf die Schippe nehmen will? Dein Großvater vielleicht?“
„Hmm, darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Kann ich nicht ausschließen. Aber dann wäre es schon gut gemacht, zu den richtigen Zeiten im Internet, und das schon über ein paar Wochen hinweg. Zudem ist es eine etwas exotische Newsgroup in der diese Einträge erfolgen, obendrein noch in Französisch, da müsste derjenige der mich aufs Korn nehmen möchte schon vorher Bescheid geben damit ich die Einträge auf jeden Fall nicht verpasse. Außerdem müsste derjenige auch die Geschichte samt Details aus Jeans Notizbuch kennen. Meines Wissens hat aber nur unsere Linie der Familie das Notizbuch in den Händen gehabt und Kopien gibt es keine. Also als Fazit, es wäre möglich, aber es scheint mir nicht sehr wahrscheinlich, dass sich jemand als Nourredine ausgibt und allen etwas vormacht.“
„Sagtest du nicht einmal, Jean wäre aus Frankreich geflohen und dass seine Maschine aus seiner Französischen Zeit stammen würde? Könnte es nicht auch dort Kopien vom Notizbuch geben, die jetzt irgendein Quatschkopf gefunden hat und im Internet so tut als ob?“
Mike hielt einen Moment inne.
„Das können wir wohl nicht ausschließen, leider“ sagte er schließlich.
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Phil und Mike verbrachten den Samstag mit Sammeln von Informationen über Marokko, über Ouarzazate, über Flugpreise, Einreisebestimmungen und weitere Details, die für eine solche Reise notwendig sein könnten. Einen Reiseführer hatten sie sich auch schon besorgt. Mike zeigte am Laptop Phil den Verlauf der Newsgroupeinträge. Auch Phil konnte Französisch und hatte dadurch keine Probleme den Einträgen zu folgen. Sein damaliger Lehrer in der Schule hatte eine Gabe die Klasse über das übliche Maß hinaus zu motivieren, mit dem Resultat dass fast alle seiner Schüler sich ganz anständig noch lange nach Ende ihrer Schulzeit in Französisch artikulieren konnten.
Beim Durchsehen der Newsgroupeinträge diskutierten sie wieder über die Möglichkeit einer aufgesetzten Geschichte. Je öfters jedoch sie die Nachrichten von Nourredine durchlasen, umso stärker festigte sich bei beiden die Auffassung, dass es sowohl Nourredine als auch die Maschine geben müsste, dass auf einer Reise nach Marokko ein Umweg über Ouarzazate unbedingt lohnenswert wäre. Sie stellten eine Liste mit Orten auf die sie auf jeden Fall besuchen wollten, als Höhepunkt der Reise selbstverständlich das Dorf von Nourredine samt Exkurs in die Höhle zu der Maschine. Dort war noch zu klären, wo beide übernachten könnten wenn sich die Distanz zu Ouarzazate als zu groß für einen Tagesausflug herausstellen sollte. Mike nahm sich vor dies mit Nourredine am nächsten Mittwoch zu besprechen. Leider war das Sommersemester noch nicht zu Ende und Mike hatte noch Prüfungen abzulegen für die er konzentriert lernen musste. Insofern war die Zeit die er sich für die Vorbereitung der Reise nehmen konnte beschränkt und er überließ Phil den größten Teil der Organisation.
Mittwoch in der Früh waren diesmal beide wach, saßen gemeinsam in der Küche vor dem Laptop und warteten auf Nourredine.
An Nourredine: Hey, wir sind online, wir, damit meine ich meinen Zimmergenossen Phil und mich – MikeBNY
Beide starrten gespannt auf den Bildschirm, doch es tat sich nichts. Sie saßen gut fünf Minuten regungslos da. Keine neuen Einträge, noch nicht einmal solche von den weiteren Interessierten. Es war kurz nach sechs Uhr morgens New Yorker Zeit.
„Ist das immer so?“ fragte Phil.
„Was?“
„Na, dass man auf Nourredine warten muss.“
„Das letzte Mal war er pünktlich, gib ihm etwas Zeit.“
„OK“
Wieder blickten beide auf den Schirm. Mike öffnete die Einstellungen für den Bildschirmschoner und deaktivierte ihn. Immer noch keine Einträge in der Gruppe, das Warten wurde beiden langsam unerträglich.
„Wo bleibt er nur?“ murmelte Mike leise vor sich hin.
Endlich, ein neuer Eintrag!
Hi Phil, willkommen in dieser Runde! Was hältst du von dieser ganzen Geschichte? – Fred2000
Hi Fred, Phil hier. Was meinst du mit deiner Frage? – MikeBNY
Auch wenn Phil diese Frage verfasst hatte, dadurch dass Mike in der Newsgroup gerade angemeldet war, erschien dessen Pseudonym ‚MikeBNY’ automatisch als Autor.
Na ich meine ob das mit der Maschine wahr ist, ob es sich nicht um eine erfundene Geschichte handelt – Fred2000
Meiner Meinung nach ist das so schräg, dass es sicher stimmt. Ich habe die ganzen Newsgroupeinträge verfolgt, die Story ist auch im Detail viel zu konsequent durchgezogen – MikeBNY
Hast du das Buch gelesen, welches Mike erwähnt hat? – Fred2000
Ja, ich habe es mir mal angesehen. Es ist schon lustig, die darin enthaltenen Zeichnungen und Beschreibungen passen gut mit denen von Nourredine überein - MikeBNY
Eieiei... Das ist Nobelpreisverdächtig! Bist du auch dabei, wenn es in die Höhle geht? Fliegst du mit Mike mit, Nourredine besuchen? – Fred2000
Wir bereiten die Reise gerade vor, es könnte richtig interessant werden. Und wenn sich die Maschine doch als Flop herausstellt, wir werden die Zeit nutzen und es mit einer Rundreise durch Marokko verbinden. Von Casablanca aus mit dem Mietwagen Richtung Marrakesch, von dort in den Hohen Atlas hinein nach Ouarzazate. Ich habe Bilder in den Reiseführern und online gesehen, wow! – MikeBNY
Neid! Ich wäre auch gerne dabei, sitze hier in Lyon und verfolge mit Spannung die weitere Entwicklung. Ich kann hier in der nächsten Zeit nicht weg, muss Schaffen und habe nicht viel Jahresurlaub. – Fred2000
Du warst doch der, der nach Bildern fragte, oder? – MikeBNY
Nein, das war jemand anderes. Aber es wäre OBERCOOL wenn ihr Bilder ins Netz stellen würdet! – Fred2000
Ich war es – JeanLe20
Hi Jean, immer noch Phil hier an der Tastatur – MikeBNY
Hi Phil – JeanLe20
Mike verfolgte die Diskussion nur halbherzig, er wartete darauf, dass sich Nourredine endlich melden würde. Die Zeit verstrich, einige weitere Teilnehmer der Diskussionsgruppe meldeten sich zu Wort, nur von Nourredine war nichts zu lesen. Mike überließ Phil das Schreiben, saß immer nachdenklicher werdend neben ihm und fixierte nur noch ab und an den Bildschirm.
„Wie wäre es mit einem Kaffee?“ fragte plötzlich Phil.
„Was?“
„Wie wäre es mit einem Kaffee? Wir sitzen jetzt schon über eine Stunde vor dem Rechner und ich werde langsam wieder müde. Nourredine hat uns scheinbar heute vergessen, aber wenn wir noch ein wenig online bleiben wollen brauche ich unbedingt einen extra starken Kaffee!“
„Äh, ja, ich mach uns einen.“ Mike schien nicht ganz bei der Sache zu sein, raffte sich aber auf und setzte für beide einen doppelten Espresso auf.
„Hey Mike! Nourredine hat sich gerade gemeldet!“
Mike sprang zu seinem Stuhl neben Phil, schmiss dabei die Kaffeedose um, das Espressopulver verteilte sich auf den Küchenboden. Mike blickte sich kurz um, sah den Dreck, zuckte mit den Schultern und wandte sich dem Bildschirm zu.
Salut zusammen, tut mir leid, dass es später geworden ist. Zuerst war kein Rechner hier im Internet-Café frei, der Laden ist voll mit japanischen Touristen, dann hing der PC an dem ich sitze. Der Typ vom Laden musste den Rechner gleich zweimal neu starten, bevor das Internet dann lief – Nourredine Ben-Alaoui
Mikes Gesicht entspannte sich, er war richtig froh, dass Nourredine sich gemeldet hatte. Er drehte den Laptop leicht zu sich, ab jetzt war er wieder Herr der Tastatur.
Nourredine, mein Freund Phil und ich wollen wirklich innerhalb der nächsten paar Wochen nach Marokko reisen und dich und die Maschine besuchen – MikeBNY
Was macht ihr denn, dass ihr soviel Zeit habt, dass ihr nach Marokko reisen könnt? – Nourredine Ben-Alaoui
Was meinst du damit? – MikeBNY
Arbeitet ihr denn nicht? – Nourredine Ben-Alaoui
Phil und ich sind Studenten, Phil Kunst, und ich Physik – MikeBNY
Macht das Spaß? Ich mag Physik nicht, Kunst eigentlich auch nicht – Nourredine Ben-Alaoui
Keine sorge, wir wollen dich nicht davon überzeugen! Als Kind habe ich Physik auch nicht gemocht - MikeBNY
Wann würdet ihr nach Marokko kommen? Ich hatte das letzte Mal mit meinen Eltern darüber gesprochen, dass du uns besuchen wolltest, nur haben sie mir das nicht geglaubt. Sie meinten, ich spinne – Nourredine Ben-Alaoui
Wissen sie von der Maschine? – MikeBNY
Nicht so richtig. Ich habe ihnen nur erzählt, dass wir so ein komisches Ding gefunden haben, habe aber nicht genau erklärt, worum es sich handelt. Die einzigen die bisher darüber Bescheid wissen sind Ali und Nedjma. Die waren ja auch mit mir zuletzt in der Höhle und haben die Maschine gesehen – Nourredine Ben-Alaoui
Wo kann man in eurem Dorf übernachten? Es wäre möglich, dass wir es nicht schaffen, von Ouarzazate aus am selben Tag noch zur Maschine und zurück zu gelangen – MikeBNY
Ich weiß es nicht, ich muss da meine Eltern fragen – Nourredine Ben-Alaoui
Kann man bei euch Zelten? – MikeBNY
Keine Ahnung. Es gibt in Ouarzazate einen Campingplatz, aber bei uns im Dorf nicht. Wenn Verwandte uns besuchen schlafen sie bei uns im Gästezimmer – Nourredine Ben-Alaoui
Wie weit ist es mit dem Auto von Ouarzazate zu euch ins Dorf? – MikeBNY
Etwa eine Stunde. Erst fährt man die Hauptstraße nach Tinerhir, und nach einiger Zeit muss man rechts abbiegen. Von dort aus dauert es noch eine Weile, bis man da ist. Diese Straße ist nicht so gut zu fahren, da sind viele Löcher drin – Nourredine Ben-Alaoui
Gut, das klingt machbar, an einem Tag von Ouarzazate in die Höhle und zurück, auch wenn es spät wird. Nourredine, ich denke, wir planen es wie eben beschrieben ein, dass Phil und ich direkt aus Ouarzazate kommen und noch am selben Tag wieder zurückfahren werden – MikeBNY
Bei uns beginnen in drei Wochen die Sommerferien, dann habe ich bis Mitte September Zeit – Nourredine
Das ist super, da haben wir Zeit in Ruhe die Maschine zu inspizieren. Eventuell könnte es hilfreich sein, länger als ein Tag in Ouarzazate zu bleiben um die Maschine in Ruhe zu studieren. Vielleicht kriegen wir sie zum laufen – MikeBNY
Das wäre lustig! Wozu ist sie gut? – Nourredine Ben-Alaoui
Das kann ich nicht genau sagen, in dem Buch, das ich hier habe, sind ein paar Hinweise drin, deswegen wollte ich mir die Maschine auch selber ansehen – MikeBNY
„Im Buch steht doch drin, dass man damit in eine andere Welt reisen kann!“ meinte Phil zu Mike.
„Ja, aber ich weiß nicht, ob Jean ein Bluffer war und ob an der Geschichte überhaupt nur ein Funken Wahrheit ist. Dass es die Maschine geben kann, das glaube ich inzwischen, vielleicht ist die von Nourredine gefundene sogar baugleich zu der von Jean, vielleicht ist es sogar die gleiche. Dies sind aber nur Spekulationen basierend auf den sich doch stark ähnelnden Beschreibungen. Von der Geschichte und technischen Entwicklung her glaube ich nicht, dass es vor 200 Jahren schon so ein Hightech-Teil gegeben hat. Wenn es aber die Maschine von Jean ist, frage ich mich, wieso er kein Wort über Marokko verloren hat, aber egal. Nur was auch immer wahr ist, ich möchte erstmal nicht, dass die große weite Welt davon in Kenntnis gesetzt wird, dass es hier eine oder mehrere Maschinen gibt denen man andichtet, dass sie zum Reisen in andere Welten dienen. Stell dir das Chaos vor das hier ausbrechen würde!“
„Ja klar, ist besser so. Wir sollten es erstmal für uns behalten.“
„Ich weiß auch wirklich nicht was passiert wenn die Maschine tatsächlich so funktioniert wie im Notizbuch und in der von Nourredine gefundenen Anleitung beschrieben steht. Ich weiß nicht was sie macht und wenn sie wirklich ein Transportmittel ist ob ich mich da hindurch trauen würde.“
„Überhaupt, wenn sie jemanden transportieren könnte, wohin?“
„Und noch viel mehr. Uns ist zur Zeit keine Physik bekannt die einen Transport zwischen zwei Maschinen so wie beim Beamen in den ganzen SciFi-Serien gezeigt leisten könnte, weder zwischen zwei Punkten auf der Erde, noch zwischen einem Punkt auf der Erde und einem auf einem fernen Planeten im All. Reisen zwischen Planeten kostet nach unserem derzeitigen Kenntnisstand einen Haufen Energie, man müsste, damit ein Raumfahrer die Ankunft auch selbst erleben könnte, ein Raumschiff auf annähernd Lichtgeschwindigkeit beschleunigen, wie man aber ein solches so beschleunigen würde ist absolut unklar, und selbst dann würde beispielsweise die Reise zu unserem Nachbarstern Alpha-Centauri immer noch mehr als viereinhalb Jahre dauern. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, was Nourredine schrieb, dass der Typ, der in die grüne Maschine hinein läuft, unmittelbar danach aus der roten wieder heraus kommt, so kann das meiner Meinung nach nichts ernstes sein. Vielleicht wirklich so eine Art Zauberbox.“
„Unmittelbar hat er nicht geschrieben, es klang aber schon nach einer sehr kurzen Zeit.“
Wann kommt ihr nach Marokko? – Nourredine Ben-Alaoui
Phil drehte den Laptop wieder zu sich und übernahm das Schreiben.
Hi Nourredine, hier ist Phil. Ich habe mich die letzte Zeit nach Flügen informiert, es ist aber nicht gerade leicht, einen günstigen Flug zu erhaschen. Es ist Saison, das ganze kostet schon eine Stange Geld. Die ersten günstigeren Flüge die ich gefunden habe starten erst in etwa vier Wochen nach Casablanca. Von dort wollten wir dann einen Mietwagen nehmen und über Marrakesch nach Ouarzazate fahren. Ich bin gerade dabei, Übernachtungen und Stopps zu planen. Wir wollten die Gelegenheit auch dazu nutzen Marokko zumindest teilweise zu besichtigen – MikeBNY
Ich war noch nicht in Casablanca. Es gibt auch hier einen Flughafen, die R.A.M. fliegt täglich her – Nourredine Ben-Alaoui
Das habe ich auch gesehen, wir wollten aber eine kleine Rundreise machen, da ist es für uns besser gleich ab Casablanca einen Wagen zu mieten – MikeBNY
Mike nahm den Laptop aus Phils Händen und drehte ihn zu sich.
Nourredine, hier ist wieder Mike dran. Wie wollen wir uns treffen? Woran wollen wir uns erkennen? – MikeBNY
Weiß nicht, hast du eine Idee? – Nourredine Ben-Alaoui
Was hältst du davon, dass wir uns im Internet-Café treffen, in dem du gerade bist? Wir könnten einen Zeitpunkt dafür ausmachen – MikeBNY
Das ist gut. Und wann? – Nourredine Ben-Alaoui
„Gute Frage. Hast du eine Idee wann?“
„Nein,“ erwiderte Phil, „alles hängt davon ab, wann wir Flüge kriegen. Innerhalb der nächsten drei Wochen wird es auf jeden Fall nicht sein, die Flüge kann man nicht bezahlen.“
Nourredine, wir müssen erst die Flüge buchen, erst danach können wir sagen, wann wir in Ouarzazate sein könnten. Du sagtest, du wärst die ganze Zeit zuhause. Ihr fahrt nicht auf Urlaub? – MikeBNY
Nein, das machen wir nie. Wenn wir mal wegfahren, dann nur um Verwandte zu besuchen, da sind wir höchstens ein Wochenende lang unterwegs – Nourredine Ben-Alaoui
Wann können wir dich wieder online erreichen? – MikeBNY
Samstag, wieder mittags – Nourredine Ben-Alaoui
Gut, vielleicht haben wir bis dahin schon einen Termin, wann wir nach Ouarzazate kommen können. Bis Samstag – MikeBNY
Bis Samstag – Nourredine Ben-Alaoui
„Und um welches Internet-Café handelt es sich?“ frage Phil.
„Hmm, das habe ich vergessen zu fragen. Egal, frage ich das nächste Mal, ich muss es mir nur merken.“
„Also ausgemacht, wir fliegen tatsächlich nach Marokko auf der Suche nach der Maschine deines Vorfahrens?“
„Ausgemacht! Von meiner Seite aus können wir drei Wochen dort bleiben, ich habe Geld durch meine Jobs ansparen können, das reicht für den Urlaub. Das könnte der schönste Urlaub meines Lebens bisher werden!“ Mike wurde euphorisch.
„Ich werde meine Eltern anpumpen, denn so oft hat man nicht die Gelegenheit nach Marokko zu fliegen. Drei Wochen Urlaub wäre klasse!“ Phil war genauso von der Idee begeistert. „Ich habe schon einiges für den Trip geplant.“
„Fes und Rabat möchte ich unbedingt sehen!“ Mike dachte dabei an die Bücher die er früher gelesen hatte und die eine der Ursachen für die Reise waren.
„Ich habe beide schon in meiner Route drin, es wird aber knapp, alles unterzubringen. Wie viele Tage planen wir für die Maschine ein?“
„Zwei, maximal drei. Mehr hat sicher keinen Sinn, entweder das Ding funktioniert wie beschrieben oder...“
„...oder was?“ Phil stand auf und ging zum Chaos in der Nähe der Kaffeemaschine, wischte den Kaffee vom Boden zusammen und bereitete zwei Espresso vor.
„Ich habe die letzten Tage öfters über die Maschine nachgedacht und auch mehrmals Jeans Notizbuch an den entscheidenden Passagen durchgelesen. Das ist alles lieb und nett was er berichtet, doch so recht daran glauben mag ich nicht, dass die Maschine, wenn es überhaupt die von Jean beschriebene ist, funktioniert, vor allem nach all den Jahren, und dann noch Personen in andere Welten wo auch immer diese sind transportieren soll und zurück - für mich ist das mehr ‚Fiction’ als ‚Science’. Der Urlaub wird teuer genug sein, deswegen sollten wir nicht zuviel Zeit mit der Maschine vertrödeln. Lieber einen Tag mehr von dem Land sehen als zu versuchen das blöde Ding in Gang zu setzen.“
„Bin ganz deiner Meinung, auch wenn es lustig wäre, wenn wir die Maschine zum Funktionieren bringen würden.“
„Wenn es hier um die Ecke wäre, ohne groß Aufwand oder Kosten, dann könnte ich sicher problemlos Tage mit der Maschine verbringen. Aber allein der Flug plus Mietwagen plus Übernachtungen wird meine Ersparnisse ziemlich ankratzen.“
„Aber wir fliegen doch hin?!“
„Auf jeden Fall. Ich möchte diese Maschine wenigstens einmal im Leben gesehen haben. Wir nehmen Video- plus Photokamera mit, versuchen, soviel wie möglich aufzunehmen und zu dokumentieren. Es wird sicher in Ouarzazate eine Kopiermaschine geben, mit der wir die von Nourredine gefundene Anleitung duplizieren können. Natürlich nehme ich auch das Amulett mit, vielleicht erfüllt es einen Zweck. Das Notizbuch von Jean, überhaupt keine Frage, das ist dabei.“
„Ich möchte unbedingt jede Menge Motive von der Landschaft aufnehmen, dann habe ich für die nächsten Jahre genug zum Malen. Können wir deinen Laptop mitnehmen, um die Photos und Videos zwischenzuspeichern beziehungsweise gleich auf DVD zu pressen? Du hast doch einen eingebauten Brenner?“
„Der ist drin. Klar, von mir aus, nehmen wir doch den Laptop mit. Organisierst du die Tickets und das Auto?“
„Ich habe da so ein paar Ideen, wie ich billig an beides heran kommen kann. Wenn wir dann die Reiseroute im Detail geplant haben kann ich mich auch um die Übernachtungen kümmern. Wir sollten uns ein Limit setzen wie teuer maximal eine Übernachtung sein darf. Vielleicht nehmen wir auch Zelt mit und bleiben auf Campingplätzen?“
„Nichts dagegen, aber zuviel Gepäck dürfen wir wahrscheinlich nicht mitnehmen, oder?“
„Ich werde es herausfinden.“ Phil blickte auf die Küchenuhr über der Tür. „Schon nach acht, ich klinke mich aus, muss bald in der Uni sein.“
„NACH acht? Mist, ich habe um neun eine Prüfung!“ Mike war noch im Schlafanzug. Hektisch sprang er auf und rannte in sein Zimmer um sich fertig machen.
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Das Wetter am Flughafen war kühler als in der Stadt. Es regnete in Schauern, der Wind blies kräftig in unregelmäßigen Abständen von Osten her kommend. Phil und Mike fuhren mit dem Zubringerbus von der Grand Central Station zum Flughafen JFK, der jetzt von Terminal zu Terminal pendelte und seine Passagiere ausspuckte. Obwohl sie rechtzeitig am Busterminal in der Stadt eingetroffen waren, hatten sie nicht mehr viel Zeit bis zum Abflug, denn an diesem Nachmittag wollten ungewöhnlich viele Reisende zum Flughafen. Beide hatten Mühe Fahrkarten für den übernächsten Bus zu kaufen, der nächste war bereits ausverkauft, und nur dank der Überzeugungskünste von Phil der ein Ehepaar dazu bewegen konnte auf einen noch späteren Bus zu warten erhielten sie zwei Sitzplätze. Durch die verspätete Abfahrt aus der Stadt und den üblichen Staus vor den Stadttunneln trafen sie am Check-In Schalter der Fluggesellschaft erst ein als die Mehrzahl der Gäste schon ihre Boardingkarten hatten. Die Fensterplätze waren alle schon vergeben.
„Mittelsitze, einer am Gang, einer daneben. Mag ich nicht so. Darf ich am Gang sitzen?“ sprach Phil.
„Wir sollten uns beeilen, der Flieger geht um 20:20 Uhr und wir müssen noch durch den Security Check.“ Mike wirkte nervös.
„Das schaffen wir schon, wir sind eingecheckt, da werden die auch auf uns warten. Halbe Stunde, das sollte reichen.“
Sie liefen ohne Verzögerungen durch die Passkontrolle. Auch die Schlangen vor den Scannern am Security Check waren erfreulich kurz. Phil wurde zuerst überprüft, derweil legte Mike seine Jacke, seinen Hosentascheninhalt in einer vom Sicherheitspersonal gestellten Box, und zuletzt seine Tasche mit dem Handgepäck auf das Förderband des Scanners. Auf Zeichen eines Beamten schritt er durch den Personenscanner, während Phil schon seine Sachen wieder einsammelte. Mike ging zum Ende vom Förderband und griff nach seiner Jacke, unmittelbar danach folgte die Plastikbox mit dem Kleinzeug, seinem Schlüssel, seiner Uhr, seinen Münzen. Das Band stoppte, lief auf einmal rückwärts. Mike blickte leicht verwundert in Richtung Öffnung des Scanners. Die zwei Männer vom Sicherheitsdienst am Gerät beugten sich zum Bildschirm vor und deuteten mit ihren Händen auf den Schirm. Scheinbar versuchten sie etwas zu identifizieren. Sie ließen das Band wieder kurz vor- und zurück laufen. Ein dritter, der in kurzer Distanz zur Maschine stand, gesellte sich hinzu. Das Band lief abermals vor- und zurück.
„Was ist los?“ fragte Phil.
„Keine Ahnung, meine Tasche ist in dem Gerät, und die Jungs vor dem Schirm können offensichtlich nicht alles was drinnen ist eindeutig erkennen. Schätze, ich muss die Tasche gleich öffnen.“
„Was hast du denn wieder eingesteckt, Mike? Magazine mit schönen Frauen? Ich sagte doch, lass die zuhause, gibt am Zoll nur Ärger!“ Phil lachte.
„Blödmann. Vielleicht stört die mein Laptop oder die Digitalkamera.“
„Glaub ich nicht, das sehen die doch tausendfach jeden Tag.“
„Mal sehen was es ist.“
„Gehört ihnen diese Tasche hier, Sir?“ fragte ein Sicherheitsbeamter Mike.
„Ja, ist etwas damit nicht in Ordnung?“
„Würden sie bitte diese Tasche öffnen und uns das runde Elektrogerät unten rechts hervorholen?“
„Gerne.“ Mike versuchte sich daran zu erinnern, was er in dieser Ecke der Tasche gepackt hatte. Da war sein Laptop, das Notizbuch von Jean, ein Pullover, falls es ihm während des Fluges kalt sein würde, das Amulett, zwei Reiseführer über Marokko, ein Reisewecker. Der Wecker!
„Hier, bitte sehr.“
„Nein Sir, vielen Dank, den Wecker haben wir bereits gesehen. Ich meine das runde Gerät, bei dem die Elektronik außen um einen Hohlraum angebracht ist.“
Mike wusste nicht, was der Mann meinte. Er wühlte weiter in der Tasche, fand in einer anderen Ecke der Tasche seinen MP3 Player, holte den heraus.
„Nein, auch nicht Sir. Ich meine das runde Gerät.“
„Bitte, ich habe nicht dagegen wenn sie die Tasche untersuchen. Ich bin sicher, dass sie gleich das finden werden wonach sie suchen. Ich weiß nur momentan nicht was sie meinen.“
Phil blickte Mike fragend an, der nur mit den Schultern zuckte. Der Beamte griff kurz in die Tasche und zog das Amulett heraus.
„Hier Sir, dieses Gerät meinte ich. Wozu dient es?“
Mike erschrak, war sprachlos. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen!
Phil sprang ein: „Das ist eine Fernsteuerung zu einem Garagentor, das Freunden in Marokko gehört, es ist ganz neu, hochmodern, gerade erst auf den Markt gekommen. Ein Stardesigner hat es konzipiert. Leider funktioniert es nur direkt vor dem Tor. Aber sie können gerne in der Mitte drücken, es wird nur nichts passieren. Damit man diesen Schlüssel auch nicht verlieren kann ist eine Kette daran befestigt, so kann man sich diesen um den Hals hängen.“
„Eine Fernsteuerung?“ fragte ungläubig der Beamte.
„Ja, ja“ stammelte Mike.
„Warum hast du sie dem Beamten nicht gleich gezeigt?“ frage Phil Mike. „Wahrscheinlich hattest du komplett vergessen, dass du sie dabei hast. Du hattest sie nur deswegen in deiner Tasche, weil da mehr Platz als in meiner war. Sonst hätte ich sie eingesteckt.“
„Ja“
„Hier Sir“ sprach Phil jetzt Richtung Sicherheitsbeamten, „drücken Sie auf die Mitte, es wird nur nicht viel passieren. Das ist Glas, kontaktsensitiv, das ganze funktioniert aber nur in Zusammenhang mit dem Tor.“
Der Beamte inspizierte das Amulett. Er nahm sich eine der kleinen Plastikboxen für Portemonnaies und legte es hinein. Anschließend legte er die Box auf das Förderband und fuhr alles wieder in den Scanner.
„Eine Fernsteuerung“ murmelte er während seine zwei Kollegen und er sich die Röntgenaufnahme auf dem Monitor noch einmal sehr genau ansahen.
Mike schwitzte am ganzen Körper. Zum Glück waren die Beamten gerade mit ihrem Gerät beschäftigt, so dass keiner merkte wie er sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn wischte.
Plötzlich fuhr das Förderband wieder vorwärts. Der Sicherheitsbeamte griff das Amulett, blickte es an und gab es Mike: „Bitte sehr, angenehmen Flug.“
„Danke, gleichfalls“ stammelte Mike. Er nahm das Amulett, steckte es wieder in die Tasche und machte diese zu.
„Wir müssen uns beeilen, in fünfzehn Minuten geht der Flieger“ sagte Phil. Jetzt rannten beide in Richtung Gate. Kurze Zeit später waren sie schon angekommen, ein paar Gäste befanden sich noch im Warteraum. Beide eilten zum Eingang der Passagierbrücke, reichten der davor stehenden Angestellten der Fluglinie ihre Boardingkarten und liefen zum Flugzeug.
„Ich zittere am ganzen Körper“ sagte Mike zu Phil. „War das knapp!“
„Knapp?“
„Na dass die Leute vom Sicherheitsdienst uns am Flughafen behalten, uns filzen, uns hier stundenlang festsetzen. Du hast doch sicher auch die Berichte in der Zeitung gelesen, wie hysterisch sie sich gerade aufführen.“
„Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Ich war vollkommen überrascht als der Mann das Amulett aus deiner Tasche herausholte.“
„Guten Abend, willkommen an Bord. Dürfte ich ihre Platzkarten sehen?“ Am Eingang des Flugzeugs lächelte freundlich eine Stewardess. Sie blickte kurz auf die Boardingkarten.
„Bitte nehmen sie den rechten Gang, ihre Sitze befinden sich im hinteren Teil vom Flugzeug. Beachten sie bitte die Sitznummern auf Augenhöhe. Wenn sie Hilfe benötigen, meine Kolleginnen werden sich freuen ihnen behilflich zu sein.“ Sie lächelte weiter und zeigte mit ihrer Hand in die Richtung die Phil und Mike einschlagen sollten. Beide liefen langsam den Gang nach hinten. Ab und zu mussten sie kurz warten bis ein Passagier vor ihnen seine Sachen verstaut und den Gang wieder frei gemacht hatte.
„Das war absolut genial was du dem Sicherheitsmann gesagt hattest! Man, in dem Moment, in dem er das Amulett in den Händen hielt, da ist mir das Herz in die Hose gerutscht. Ich stand nur davor und hatte einen totalen Aussetzer! Mein Hirn war völlig leer. Totaler Blackout!“
„Das kam mir plötzlich in den Kopf, irgendwie kam ich von Tor auf Garage, der Rest flutschte dann nur so aus mir heraus.“ Nach einer kurzen Pause fragte Phil: „Geht es dir gut? Du siehst blass aus...“
„Nein, meine Knie sind noch ganz weich, ich zittere noch am ganzen Körper. Ich bin froh wenn ich bald sitze. Mir ist ein wenig übel.“
Endlich hatten sie ihre Sitze erreicht. Die Maschine war voll, um sie herum waren keine freien Plätze mehr. Sie waren die letzten die in ihrer Abteilung eintrafen. Alle anderen Passagiere saßen bereits. Das Gepäckfach über ihnen war natürlich schon voll. Mike ließ sich einfach nur in den ersten freien Sitz fallen während Phil durch Drücken der Jacken und Mäntel in dem Fach Raum für ihre Sachen schuf.
„Gib deine Jacke her. Sonst noch was, das oben rein soll?“ fragte er Mike.
„Nein, ich möchte meine Tasche hier unten behalten.“ Er stand auf, reichte Phil seine Jacke und rutschte danach einen Sitz weiter zur Mitte hinein damit Phil am Gang Platz nehmen konnte. Eine Stewardess lief vorbei uns schloss die noch offenen Gepäckfächer.
„Würden sie sich bitte anschnallen?“ bat sie Mike.
„Ja - hätten sie ein Glas Wasser für mich?“
„Einen Moment bitte, ich bin gleich wieder da.“ Sie lief weiter ruhig nach hinten, verschloss die übrigen Gepäckfächer.
„Ist das, was wir am Sicherheitscheck soeben erlebt haben, tatsächlich passiert?“ Mike blickte dabei Phil mit einem seltsamen Blick an.
„In der Tat, es war absolut überraschend! Als der Typ dich nach dem Amulett fragte, und dieses als elektronisches Gerät bezeichnete, wow, das war eine starke Nummer. Du warst dabei ja voll von den Socken, voll weggetreten!“
„Weißt du was das bedeutet? Das Amulett IST ein elektronisches Gerät!“ Bei der Betonung des Wortes „IST“ ballte Mike seine rechte Faust in der Luft, als ob er etwas das vor ihm schwebte, greifen und festhalten wollte.
Die Stewardess tauchte wieder auf und reichte Mike einen Plastikbecher gefüllt mit Mineralwasser.
„Das Ding, das Amulett, das ist kein Schmuckstück!“ Er wollte sich eigentlich seine Gedanken von der Seele schreien, laut rufen: „Die Maschine gibt es, sie gibt es wirklich, ich kann in andere Welten reisen, das Abenteuer beginnt, ich haben den Schlüssel dazu in der Hand!“ Doch irgendeine innere Blockade hinderte ihn daran. Gleichzeitig weigerte sich ein anderer Teil in ihm auch nur ansatzweise daran zu glauben, dass es die Maschine gab, trotz aller zunehmenden Anzeichen für ihre Existenz - hier schlug seine Physikausbildung auf ihn zurück.
„Du bist sicher dieses Amulett stammt von deiner Oma? Und sie hat es wiederum von ihrer Schwiegermutter?“
„Ja, so behaupten es jedenfalls alle. Ich weiß einfach nicht mehr, was wahr und falsch ist. Bis vorhin hatte ich den Berichten von Nourredine zum Trotz immer noch gedacht, das mit der Maschine ist eher eine seltsame Geschichte denn Realität. Aber der Vorfall am Scanner hat mich voll auf dem falschen Fuß erwischt. Rational gesehen sieht es so aus als könnte es diese Maschine, dieses Tor, irgendwo in Marokko geben.“ Langsam bekam sich Mike wieder in den Griff.
Das Flugzeug machte einen Satz rückwärts. Ein Flughafenschlepper schob die schwere Maschine vom Terminal weg auf das Vorfeld. Das Kabinenpersonal traf die Vorbereitungen für den Abflug, Sicherheitshinweise wurden verlesen, der Gebrauch der Schwimmwesten und Sauerstoffmasken vorgeführt. Phil und Mike nahmen diese um sie herum stattfindenden Ereignisse allerdings kaum wahr, zu sehr waren sie mit ihren Gedanken noch beim Sicherheitscheck und der sich daraus ergebenden Konsequenz.
„Können wir gleich von Casablanca aus nach Ouarzazate fahren, ohne groß Tourist zu spielen?“ fragte Mike.
„Schlecht, wir haben für die Zwischenstopps bis Ouarzazate bereits Hotelzimmer gebucht und größtenteils Teil schon bezahlt, vor allem das Hotel in Marrakesch. Ich wollte halt sichergehen, dass wir bis nach Ouarzazate ohne Probleme kommen und dass wir dort eine Unterkunft haben. Für die Zeit danach ist allerdings nichts fest eingeplant, da ich nicht wusste wie lange wir dort bleiben wollen. Das einzige was fest steht ist unser Rückflugtermin in drei Wochen.“
„Wie lange bleiben wir in Casablanca?“
„Bis Montag, bis dann sollte auch der zu erwartende Jetlag überwunden sein. Anschließend werden wir nach Marrakesch fahren, und am Mittwoch weiter Ouarzazate. Von der Zeit her ist es so geplant, dass wir am Mittwochnachmittag Nourredine im Internet-Café treffen. So hatten wir es ihm auch in unserer letzten Nachricht mitgeteilt.“
„Das wird ein verrückter Urlaub, das fühle ich.“ Mike hatte jetzt ein Lächeln auf den Lippen. „So langsam freue ich mich richtig die Maschine zu sehen.“
„Man, stell dir vor, das Ding funktioniert wirklich wie im Notizbuch von Jean beschrieben. Und man kann damit irgendwo hin reisen.“ Phil wurde von Mikes Stimmungswechsel angesteckt. „Würdest du dich da hindurch trauen?“
„Gute Frage. Ich weiß es immer noch nicht, wir hatten darüber schon mal debattiert. Ich hoffe, dass wir in dem von Nourredine gefundenen Buch einen Hinweis darauf finden wohin die Reise geht. Jean hat sich da doch sehr bedeckt gehalten.“
„Meinst du die andere Seite könnte außerhalb der Erde liegen?“
„Bei meinem bisherigen Studium kam immer heraus, dass genau dies mit dem heutigen Wissen über die Physik der Materie nicht geht.“
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„Fahr nicht so schnell, wir haben Zeit!“ rief Phil Mike zu, der heute am Steuer des Mietwagens saß. Es war laut im Auto, beide hatten ihre Fenster geöffnet und durch den Fahrtwind konnten sie sich nur schreiend verständigen. Aus Kostengründen hatten sie die kleinste Fahrzeugkategorie angemietet, und leider war in dieser keine Klimaanlage inbegriffen. Marokko im Sommer in einem Auto ohne solche zu erkunden, ein echtes Vergnügen für Puristen! Endlich war es Mittwoch, ihre Tagesstrecke führte sie von Marrakesch nach Ouarzazate. Es bedurfte keiner besonderen Einladung an diesem Tag zeitig aufzubrechen, kurz nach acht in der Früh befanden sie sich bereits auf der Straße. Die rund zweihundert Kilometer führten über den Hohen Atlas Richtung Sahara. Der zu überquerende Pass, Tizi-n-Tichka, mit einer Höhe von 2260 Meter und grandiosen Aussichten auf die umliegenden Gebirgstäler eine der schönsten Landschaften Marokkos, war für sie nur ein Hindernis. Im Stile eines Rallyefahrers heizte Mike durch die kurvenreiche Strecke hindurch, Busse und Eselskarren überholen, dass war die Devise. Phil saß nicht ganz so entspannt auf dem Beifahrersitz, mit beiden Händen klammerte er sich fest ans Auto.
„Genial, diese Strecke! Seltsames Ding in den Bergen, wir kommen! Das ist geil, hier entlang zu fahren.“ Mike war begeistert, Phil beifahrerbedingt weniger; ihm war leicht übel.
„Geht das auch langsamer?“ frage Phil.
„Was? Sprich lauter, ich kann dich nicht verstehen!“
„LANGSAMER!“
„Wieso?“ Mike blickte ernsthaft erstaunt Richtung Phil. „Je früher wir in Ouarzazate eintreffen, umso eher können wir zur Maschine.“
„Nicht wahr, erst am Nachmittag treffen wir Nourredine. Und ob wir um elf oder um zwölf im Hotel eintreffen ist reichlich egal.“
„Ich möchte mich dennoch beeilen, denn wir könnten einen Eselskarren-Stau auf der Strecke haben!“ Und mit einer tiefen Stimme: „Sorry, Lord Vader, der große Esel hat uns aufgehalten.“ Beide lachten.
„Hast du dir schon überlegt, was deine ersten Worte den Außerirdischen gegenüber sein werden?“
„Welchen Außerirdischen?“ Phil wurde durch eine plötzliche Fahrtrichtungsänderung an die Tür gedrückt.
„Na wenn wir nachher durch das Tor gehen.“ Mike fand sichtlich Vergnügen an dem Gedanken.
„Du glaubst doch nicht im Ernst daran, dass diese Maschine uns von der Erde wegbeamen könnte! Darüber hatten wir doch die letzten Tage immer wieder philosophiert.“
„Je näher wir der Maschine kommen, umso unwahrscheinlicher halte ich das ganze. Aber allein der Gedanke daran ist lustig, stell dir vor es wäre doch real!“
„Science-Fiction. Danach, ich meine nachdem wir die Maschine gesehen haben, nehmen wir uns mehr Zeit für Marokko? Bisher fand ich das Land und den Urlaub super, nur hatten wir für meinen Geschmack zuwenig Zeit alles in Ruhe anzusehen. Ich wäre gerne noch länger in Marrakesch geblieben, das Hotel war cool!“
„Jupp, mitten in der Stadt, zu dem Preis mit dem Service. Wenn wir nur in zehn Prozent aller Städte unserer Reise so ein Glück hätten, könnte das der schönste Urlaub meines Lebens werden.“ Durch die Diskussion mit Phil hatte Mike inzwischen einen Gang zurück geschaltet und fuhr jetzt ziviler.
Halbzeit, fast genau in der Mitte zwischen Marrakesch und Ouarzazate war die Passhöhe. Inzwischen hatten Phil und Mike die Schönheit der Landschaft auch für sich entdeckt und machten am Parkplatz vor einem Café/Restaurant halt und stiegen aus. Ihnen wurde Benzin aus Fässern angeboten, Fossilienhändler priesen ihre Waren an. Nachdem es erst zwanzig vor elf war beschlossen beide noch ein kurzes Stück weiterzufahren, bis zu einem vom Reiseführer empfohlenen Café mit Terrasse mit schönen Ausblick um dort ein zweites Frühstück einzunehmen.
„Nourredine hat vorgeschlagen, dass wir bei ihnen im Dorf zelten, wir könnten auf einer Wiese vor ihrem Haus uns niederlassen, auch das Auto dort stehen lassen. Dann hätten wir es nicht so weit bis zur Höhle. Obwohl ich ihm geantwortet habe, dass wir in Ouarzazate im Hotel bleiben werden, schlecht finde ich die Idee nicht, wenn wir mehr Zeit für die Maschine brauchen. Denn dann sparen wir am Hotel.“ Mike nahm einen Schluck von seinem Pfefferminztee, der wie in arabischen Ländern üblich sehr gut war. Frische Blätter zusammen mit etwas schwarzem Tee gab eine geschmackvolle Mischung ab.
„Wir könnten doch auch gleich hin zelten?“
„Ich möchte erst einmal abwarten wie sich alles entwickelt. Wir kennen weder Nourredine noch seine Familie noch sein Dorf noch die Maschine. So haben wir Zeit uns alles in Ruhe anzusehen, je nach Bedarf können wir dann umziehen.“
„Da weiß man, was man hat...“ pflichtete Phil bei.
„Es ist jetzt gleich elf, lass uns aufbrechen. Man bin ich gespannt!“
„Das kannst du laut sagen, heute ist D-Day.“
Sie zahlten ihr Essen und machten sich wieder auf den Weg, noch waren etwa einhundert Kilometer zu fahren. Diesmal setzte sich Phil ans Steuer.
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Endlich! Ouarzazate! Nach einer ereignislosen Weiterfahrt hatten sie das Hotel in der Mitte der Stadt erreicht. Es war halb eins, gerade noch ausreichend Zeit, die Sachen aufs Zimmer zu bringen und Mittag zu essen, denn für 14:00 Uhr war das Treffen im Internet-Café mit Nourredine ausgemacht. Der Einfachheit halber aßen sie im Hotelrestaurant, auch wenn diese meist teurer und schlechter waren als reine Restaurants. Es war ihnen heute egal. Bepackt mit ihren Rucksäcken die das übliche für eine Bergtour beinhalteten liefen sie anschließend zum vereinbarten Treffpunkt.
Das Internet-Café war voll, Touristen und Einheimische teilten sich die zur Verfügung stehenden Rechner auf, für Mike und Phil war keiner mehr frei. Das war ärgerlich, denn beide wollten wie verabredet online in der Newsgroup mit Nourredine in Kontakt treten. Sie fingen eine Diskussion mit dem Mann hinter dem Tresen an, baten ihn, seinen Computer kurz nutzen zu dürfen. Aber der Mann ließ nicht mit sich handeln, beide sollten auf den nächsten freien Rechner warten. Außerdem wäre vor ihnen noch ein älteres Ehepaar an der Reihe, das schon längere Zeit wartete. Mike ließ nicht locker. Seine Argumentationslinie war, dass sie nur einen kurzen Augenblick das Internet bräuchten, eine wesentlich kürzere Zeitspanne als die Diskussion zwischen dem Besitzer und Mike bereits dauerte, und schon wären sie wieder fort. Obendrein würden sie gut bezahlen! Aber auch das ließ den Mann ungerührt.
„Seid ihr Mike und Phil?“ Ein mittelgroß gewachsener Jugendlicher mit dunklem, lockigem kurzen Haar unterbrach die immer lauter werdender Debatte. Neben ihm stand ein erwachsener Mann mittleren Alters.
„Ja,“ antwortete Phil, „bist du Nourredine?“
„Ja“
„Salut Nourredine, ich bin Mike!“
„Salut! Mein Vater Hassan ist auch hier.“ Nourredine zeigte auf den neben ihm stehenden Mann.
„Guten Tag die Herren, es ist mir ein Vergnügen, sie kennen zu lernen.“ Hassan blickte freundlich und reichte beiden die Hand. „Ich schlage vor um die Ecke in ein Straßencafé umzuziehen, da gibt es feine Sachen. Hier drinnen ist außer Internet nichts zu finden.“
„Sehr gerne, mit dem Chef vom Laden hier haben wir sowieso gerade Ärger.“ Mike packte seinen Rucksack und ging als erster aus dem Laden.
„Hier nach rechts, da entlang.“ Nourredine lief voraus. Er war schlank, reichte Mike bis an die Brust und hatte einen dunkelgrünen Rucksack dabei den er lässig über seine rechte Schulter trug. „Habt ihr es gleich gefunden?“
„Was denn?“ fragte Phil.
„Das Internet-Café.“
„Ja, war nicht schwer. Im Reiseführer ist es drin, den Portier im Hotel haben wir zur Sicherheit auch noch gefragt.“
„Du hast also deine Eltern davon überzeugen können, dass es uns tatsächlich gibt und wir nach Ouarzazate kommen?“ fragte Mike.
„Als uns Nourredine von ihrer möglichen Ankunft informierte dachten meine Frau und ich an einen seiner üblichen Streiche. Dann hat er uns aber von der Maschine in der Höhle erzählt, worauf wir alle dorthin gegangen sind. Das war schon sehr beeindruckend. Nachdem er uns obendrein hier im Internet-Café die Konversationen mit ihnen gezeigt hat, da dachten wir schon, dass sie kommen würden.“ Und nach einer Pause: „Nourredine sagte uns, sie wüssten, wozu die Maschine gut ist, stimmt das?“
„Wir wissen es selber nicht genau“ antwortete Phil. „Wir haben eine Idee wie wir die Maschine in Gang setzen können, was danach passiert, ist unklar. Um das herauszufinden sind wir hier!“
Inzwischen hatten sie an einem Tisch der zwischen Hausfassade und Straße eingeklemmt war unter einem Sonnenschirm Platz genommen. Hassan hatte für die drei Erwachsenen einen Kaffee, für Nourredine einen Tee zusammen mit ein paar „Éclair au chocolat“ bestellt.
„Wie haben sie sich die weitere Vorgehensweise vorgestellt?“ fragte Hassan.
„Ich dachte, dass wir alle jetzt in die Höhle gehen. Ich möchte nur zu gerne die Maschine sehen und versuchen sie in Gang zu setzen!“ Mike wurde wieder leicht euphorisch.
„Das fürchte ich wird heute unmöglich sein. Die Höhle ist zwei Stunden zu Fuß von unserem Dorf entfernt, mit dem Auto brauchen wir von hier aus eine Stunde bis ins Dorf. Jetzt ist es halb drei, bis wir im Dorf sind wäre es halb vier, dann wären wir frühestens um halb sechs in der Höhle. Die Sonne geht in den Bergen um halb sieben unter, es ist gefährlich, im Dunkeln dort noch unterwegs zu sein.“
Phil und Mike blickten enttäuscht Hassan und Nourredine an.
„Besteht wirklich keine Möglichkeit schneller zur Höhle zu gelangen?“ fragte Phil.
„Da musst du über einige steile und schmale Wege gehen, das geht nicht so schnell“ antwortete Nourredine.
„Und mit dem Auto in die Nähe fahren?“
„Das spart vielleicht eine Viertelstunde, und das Auto ist danach kaputt.“ Hassan blickte dabei sehr ernst. „Glauben sie uns doch, es ist aussichtslos die Höhle heute noch erreichen zu wollen.“
„Wir könnten doch dort übernachten, wir haben ein Zelt dabei!“ warf Mike ein.
„Ich bitte sie... Ich schlage vor, sie besuchen uns morgen Vormittag in unserem Dorf. Wir könnten dann gemeinsam von dort zur Höhle aufbrechen und hätten genügend Zeit alles in Ruhe zu inspizieren. Was meinen sie?“
„Es wird wohl die einzige Alternative sein,“ meinte Phil, „würden sie uns eine Anfahrtsskizze zu ihrem Hause zeichnen?“
„Gerne doch!“ Hassan bat den Kellner um einen Stift und einen Zettel. Schnell hatte er die Wegbeschreibung fertig. „Was halten sie von einem Treffen um 9:00 Uhr? Dann könnten wir circa halb zwölf in der Höhle sein. Ich werde meine Frau bitten für alle Wegproviant vorzubereiten.“
„Das klingt gut,“ antwortete Mike, „wissen sie, wie die Wettervorhersage für morgen ist?“
„Kalt, und wir erwarten einen Schneesturm!“ Hassan und Nourredine grinsten. „Keine Sorge, im Sommer gibt es hier außer Sonne nicht viel anderes. Wenn wir Glück haben, regnet es auch ab und zu, das ist aber schon seltener. Wir werden morgen sicher wie heute schönes Wetter haben. Dabei fällt mir ein, könnten sie auch einige Wasserflaschen mitbringen? Bei der Hitze sollte man genügend trinken. Und für alle Fälle an einen Pulli oder eine Jacke denken.“
„Klar, machen wir. Jedenfalls bin ich sehr gespannt auf das was uns erwartet.“ Mike lud Hassan und Nourredine zu einer weiteren Runde Kaffee und Tee ein.
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Pünktlich um 9:00 Uhr waren Mike und Phil vor Nourredines Elternhaus. Es folgte eine Begrüßung, eine Tasse Tee für alle. Der Proviant war bereits in Plastikbeutel verpackt, und da Mike und Phil jeweils ihre halbleeren Rucksäcke mitgenommen hatten wurden die Beutel problemlos darin verstaut. So marschierten sie schließlich zu fünft los Richtung Höhle, drei Erwachsene, ein Jugendlicher und ein Hund, denn Rancan, Nourredines Hund, durfte als Erstentdecker auch mit von der Partie sein.
Der sandige und steinige Pfad führte zunächst aus der Ebene vom Dorf weg in ein nahe gelegenes Tal. Steil ragten die zerklüfteten und kargen Felsen in die Höhe, Erfurcht einflössend waren die hellbraunen Felsformationen. In manchen konnten Gesichter oder Figuren hineininterpretiert werden. Die Vegetation beschränkte sich auf ein paar Sträucher entlang des Pfades. Ab und zu fegte ein kräftiger Windstoss durch das Tal und wirbelte dabei Sand auf, die Gruppe zwingend sich die Augen davor zu schützen. Nach einiger Zeit Fußmarsch wurde das Tal enger, der Pfad begann anzusteigen. Der Weg mündete schließlich in ein weiteres Tal, welches quer zu dem bisher durchschrittenen lag. Sie schritten nach rechts in das neue Tal, nach kurzer Zeit dann links einen schräg nach oben verlaufenden, nur fußbreiten Pfad den Hang hinauf. Dieser folgte der Felskontur, und nach einigen Kurven hatten sie das Tal aus den Augen verloren.
„So ganz offensichtlich ist der Weg ja nicht“ stöhnte Mike, der durch die Anstrengung zum Schwitzen gebracht wurde.
„Ich gehe mit den Ziegen öfters durch die Täler, mittlerweile kenne ich alle Wege!“ prahlte Nourredine.
„Alle sicher nicht, aber viele“ korrigierte ihn sein Vater. „Dieser ist einer der weit vom Dorf weg führt. Hier kommen wir eher selten hin. Aber trösten sie sich, wir sind gleich da.“
„Ist es kühler in der Höhle?“ fragte Phil, dem der Schweiß auf der Stirn stand.
„Da ist es fast kalt drinnen, die Jacken werden wir schon brauchen.“ Nourredine war aufgeregt, denn es nahte der Zeitpunkt, da er Phil und Mike beweisen konnte, dass er keinen Blödsinn im Internet geschrieben hatte. Es war mit Phil ausgemacht, dass sie Photos von allen zusammen mit der Maschine machen wollten.
„Da vorne geht es runter!“ rief Nourredine begeistert, „da müssen wir jetzt den Hang runter rutschen.“ Gesagt, getan, noch ehe Mike oder Phil reagieren konnten war Nourredine schon vom Pfad abgekommen und stolperte, rutschte, bremste sich in einer von ihm ausgelösten Gerölllawine den Berg abwärts. Rancan war selbstverständlich an seiner Seite.
„Messieurs, nach ihnen!“ gab höflich Hassan Mike und Phil den Vortritt.
„Gleich, erst brauche ich einen Schluck Wasser, ich bin ganz außer Atem.“ Phil legte seinen Rucksack ab, griff nach einer darin befindlichen Flasche und lehrte sie fast in einem Zug. „Noch jemand?“
Mike und Hassan hatten sich inzwischen selbst versorgt. Von unten rief Nourredine: „Kommt ihr endlich? Hier ist die Höhle!“
Er hatte auf halber Höhe halt gemacht und zeigte auf eine von oben nicht einsichtbare Stelle im Hang.
„Der Eingang ist ja wirklich gut versteckt!“ rief Mike ihm zu.
„WIR KOMMEN!“ rief begeistert Phil und stürzte sich den Hang hinab. Mike und Hassan ließen es vorsichtiger angehen.
Der Eingang zur Höhle war relativ schmal, sie mussten auf dem Bauch liegend hindurch kriechen. Innen ging es sogleich steil bergab bis auf das eigentliche Niveau des Bodens der Höhle. Der Grund hierfür war, dass der Eingang vor längerer Zeit durch einen Erdrutsch verschüttet wurde, die von Nourredine gefundene Öffnung an der Oberseite des Eingangs lag und alle vier nun den Erdabhang hinunter sich in die Kammern bewegen mussten. Mike packte aus seinem Rucksack die zwei Taschenlampen aus, die sie wohlweislich eingesteckt hatten. Kaum angeschaltet leuchteten Phil und Mike die Höhle aus. Alles war so wie von Nourredine beschrieben! Sie befanden sich in der Mitte eines rechteckigen Raums, der etwa vier Meter hoch war. Die Wand vor ihnen war zwölf Meter breit, die Seitenwände sechs Meter lang. Hinter ihnen, genau in der Mitte, erhob sich der Erdwall über den sie gerade in diese Kammer herein gekommen waren. An dessen oberen Ende kurz unterhalb der Decke strahlte Licht von außen durch die Öffnung in das Innere hinein. Die Wände, die Decke und auch der Boden waren schwarz. Bei näherer Betrachtung stellten sie fest, dass sie komplett geschwärzt waren. Die Wände waren glatt, ohne Beschriftungen oder andere Hinweise auf frühere Besucher oder Erbauer dieser Kammer. In der Mitte der großen Frontwand war ein Durchgang, der ein Meter breit und zwei hoch war. Dieser war nicht auf Anhieb auszumachen, denn auch der daran anschließende Gang von etwa vier Meter Länge war komplett in schwarz gehalten.
„Wie habt ihr Rancan in dieser Dunkelheit gefunden?“ frage Mike Nourredine. „Ohne Taschenlampen kann man doch nichts erkennen!“
„Er hatte ganz laut gebellt, und nach einiger Zeit, nachdem sich unsere Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnten wir ganz schwach den grünlichen Schein aus dem Gang hier in der Mitte ausmachen. Da auch das Bellen aus dieser Richtung kam sind wir dann da durch gegangen.“
„Und hinter diesem Gang ist dann die Maschine?“ frage Phil.
„Ja, soll ich vorgehen?“ Nourredine schritt voran. Die daran anschließende zweite Kammer glich der ersten, nur lagen auf der rechten Seite Steine und Geröll auf dem Boden verstreut, die aus der Decke heraus gebrochen waren. Die linke Hälfte war in grünes Licht getaucht.
Da war sie, die Maschine!
Weder Mike noch Phil sagten etwas, während Nourredine und Hassan beide gespannt anblickten. Rancan schlich von einer Ecke des Raums zur nächsten und schnüffelte an den verschiedenen am Boden liegenden Objekten.
Nach einer Zeit, die einer kleinen Ewigkeit glich, sagte schließlich Phil: „Das ist der Wahnsinn! So ein Ding hatte ich mir selbst in meinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt, der absolute Wahnsinn! Wow!“
„Es ist Atem beraubend schön! Die Ästhetik ist genial. Phil, schau dir bloß die Form des Pilzhutes in der Mitte der Maschine an, wie sich die Strukturen darauf bewegen, wie Wasser!“ Auch Mike konnte wieder sprechen. „Nourredine, vielen, vielen Dank, dass du uns hierher geführt hast, das ist einmalig!“
„Seht ihr, ich habe nichts erfunden, es ist exakt so wie ich es im Internet beschrieben hatte!“ Nourredine war ganz stolz auf sich.
„Mir ging es genau wie ihnen als ich zum ersten Mal in dieser Höhle war. Allerdings hatte ich zuvor schon zuhause das Buch mit den Bildern, das Nourredine und seine Freunde gefunden haben, gezeigt bekommen, deswegen war es nicht so eine Überraschung wie es sicherlich für sie jetzt sein muss.“
„Die Betriebsanleitung, stimmt! Die hatte ich ganz vergessen. Nourredine, hast du sie dabei?“ Mike ließ während der Frage die Maschine keine Sekunde aus den Augen.
„Aii, die habe ich zuhause vergessen! Ist das jetzt schlimm?“
„Nee, nicht so schlimm, wir werden es eben ohne sie versuchen, und wenn es nicht klappt, müssen wir morgen halt wieder her.“ Spontan kramte Mike in seinem Rucksack nach dem Amulett seiner Großmutter.
„Hier, jetzt werden wir gleich sehen, was passiert!“ Er hielt es in der Hand und zeigte es reihum.
„Das ist genau wie in der Betriebsanleitung, genau so sah das Ding aus, auf das man in der Mitte drücken musste. Dann ging die Maschine an!“ Nourredine war vor Begeisterung fast am Schreien.
„Soll ich es jetzt versuchen?“ fragte Mike leicht unsicher in die Runde.
„Nourredine, halte Rancan fest, dass ihm nichts passiert“ befahl Hassan.
„Lasst uns alle lieber mal in Sicherheit gehen bevor du drückst. Wer weiß was passiert“ schlug Phil vor.
„Und wohin?“ fragte Mike. „Der Raum ist bis auf die Maschine hier links und dem Rest der zweiten dort leer. Hast du eine Idee was mit der zweiten passieren wird wenn ich drücke?“
„Was haltet ihr davon wenn wir uns alle in den Gang verziehen?“ schlug Nourredine vor.
„Keine schlechte Idee, sicher besser als hier ungeschützt herum zu stehen. Mir folgen!“ Phil war als erster wieder im Gang, blieb aber kurz hinter der Öffnung stehen. Die anderen machten es ihm nach.
„OK, alle bereit? Kann ich drücken?“ Mike blickte alle an, sie nickten.
„Und los...“ Mike drückte auf das Glas in der Mitte des Amuletts. Es fing an, in kurzen Abständen orange und grün aufzublinken. Das Licht war so grell, dass zunächst alle davon geblendet waren und einen Moment warten mussten, bis sich ihre Augen an diese Helligkeit gewöhnt hatten.
„Was ist da los?“ fragte Phil.
„Ah, das hatte ich vergessen zu sagen, das ist in der Betriebsanleitung auch zu sehen. Erst drückt man einmal auf den Schlüssel, dann leuchtet dieser orange und grün auf. Wenn man erneut drückt schaltet er sich wieder aus.“
Mike drückte die Mitte des Amuletts, und genau wie Nourredine es vorhergesagt hatte, das Blinken hörte sofort wieder auf.
„Nourredine, was stand noch in der Anleitung, weißt du das noch?“
„Wenn ich es richtig verstanden habe, dann funktioniert der Schlüssel so wie eben. Einmal drücken, Schlüssel aktiv, noch mal drücken, Schlüssel aus. Wenn der Schlüssel aktiv ist, dann kann man die Maschine anschalten, indem man lange den Schlüssel gedrückt hält. Zum Ausschalten auch den Schlüssel ganz lange drücken.“
„Betrifft das beide Maschinen? Sollte ich den Schlüssel auf die grüne halten?“
„Das kam nicht klar heraus, ich hatte den Eindruck, die rote Maschine schaltet sich von selber an und aus. Als würde der Schlüssel nur für die grüne funktionieren.“
„Also gut, dann lasst es uns doch einfach ausprobieren. Ich schalte jetzt die grüne Maschine ein.“ Kaum hatte Mike dies gesagt, hatte er auch schon den Schlüssel in Betriebsbereitschaft geschaltet.
„Und hopp!“ Er drückte lange auf den Schlüssel. Auf einmal war der Raum in dem die Maschine stand von hellem grünem Licht durchflutet. Auch hier brauchten die vier eine kurze Zeit um ihre Augen an die Helligkeit zu gewöhnen, der Schlüssel leuchtete jetzt konstant grün. Aus der Kammer mit der Maschine ertönte ein leises aber deutlich hörbares Summen wie bei einer Hochspannungsleitung.
Mike blickte als erster aus dem mit einem Meter Breite relativ schmalen Gang in dem sie sich aufhielten, in den Raum mit den Maschinen. Phil und Nourredine wurden der Weg und die Sicht von Hassan und Mike versperrt.
„Mike, was siehst du?“ fragte Nourredine. „Ist das so wie in der Anleitung? Ist da eine große grüne Pyramide?“
„Ja“ antwortete Mike mit einiger Verzögerung.
„Hey, wir wollen auch was sehen, geht in den Raum!“ rief Phil.
Kurz darauf standen alle in der Raummitte mit etwas Abstand zur grünen Maschine, sie waren Beeindruckt von ihrer Größe. Sie erstreckte sich über die vollen vier Meter Raumhöhe, es sah aus, als wären ihre drei Seiten gebildet aus gleichschenkligen Dreiecken. Auf der anderen Raumseite hingegen passierte nichts.
„Das ist unheimlich,“ sprach Hassan, „wozu ist das Ding nun zu gebrauchen?“
„Ich vermute, man kann damit Sachen transportieren“ antwortete Mike.
„Und wohin?“
„Weiß ich nicht.“
„Was machen wir jetzt?“ fragte Phil.
„Wie wär’s, wenn wir etwas rein werfen?“ schlug Nourredine vor.
„OK, hinter uns liegen ein paar Steine. Ich werde mal einen nehmen.“ Phil griff den erstbesten größeren Stein, der er finden konnte, und warf ihn in die grüne Maschine hinein.
Es tat sich nichts. Durch das grüne Licht der Seitenwände konnten sie nichts sehen.
„Mach mal die Maschine wieder aus, dann können wir sehen, ob der Stein noch da ist“ forderte Phil Mike auf.
Mike drückte wieder lange auf den Schlüssel. Im nu schaltete sich die Maschine zurück in den Ausgangszustand, das heißt die vier orange leuchtenden Kugeln, die dazwischen liegenden Lichtbänder und der sich permanent verändernde Pilzhut in der Mitte waren erneut sichtbar, die Helligkeit der Maschine herunter gefahren auf das ursprüngliche Niveau. Mikes Schlüssel blinkte wieder grün / orange, das Summen war weg.
Der Stein, den Phil hineingeworfen hatte, war verschwunden.
„Jetzt geht im Handbuch die rote Maschine an, dann muss da der Stein herauskommen!“ rief Nourredine erregt.
„Wenn du mich fragst, dann ist die aber kaputt“ erwiderte Mike und zeigte auf die am Boden verteilten Kugeln und Steine.
„Ich denke die könnten wir reparieren. Mike, hast du irgendein Werkzeug dabei? Bei mir im Rucksack ist eine Zange.“
„Phil, was meinst du mit reparieren? Weißt du, wie sie auszusehen hat?“
„Ich denke, die vier Kugeln sind genauso anzuordnen wie bei der grünen Maschine, die Säule wird sicher nur aufzurichten sein, und die Schale stellen wir einfach drauf.“
„In der Anleitung ist auch die rote Maschine abgebildet“ warf Nourredine ein.
„Wie wollen wir die Kugel an der Decke befestigen?“ fragte Mike.
„Lass mal sehen, vielleicht haben sie Aufhängepunkte oder ähnliches.“ Phil schritt inmitten der herab gefallenen Steine und sah sich die Kugeln genauer an. In der Tat waren an allen Kugeln etwa zehn Zentimeter lange Stifte mit Gewinden wie bei Schrauben zu finden, an jeder Kugel einer. Eine der Kugeln steckte noch an ihrer ursprünglichen Position an diesem Stift im Boden fest. Doch bei einer der anderen Kugeln war der Stift bis auf einen kleinen Metallstumpf nicht mehr vorhanden.
„Hey, bei dieser Kugel hier ist etwas Seltsames passiert. Es sieht so aus als wäre die Halterung einfach weg geschmolzen. Wie kann das denn passiert sein? Und hier, auf diesen Steinen, sind das Brandspuren?“ Phil wirkte dabei wie ein Detektiv bei seiner Arbeit. Alle gruppierten sich um Phil.
„Eieiei, das ist aber blöd, wenn das die Kugel an der Decke war haben wir ein Problem.“
„Das glaube ich nicht, Mike, die Kugeln sehen alle symmetrisch aus, wir könnten eine andere für die Decke verwenden.“
„Bist du dir sicher, dass die Maschine dann so funktioniert wie sie soll? Nur weil eine Kugel wie die andere aussieht heißt das noch lange nicht, dass sie dieselbe Funktion erfüllen.“
„Auf einen Test kommt es an. Aber wie bringen wir die Kugel an der Decke an? Festschrauben ist eine gute Idee, nur wie kommen wir hoch? Das sind sicher vier Meter bis da oben. Ein wenig von der jetzigen Position verschieben sollten wir die Maschine auch, denn bei dem Loch dort oben können wir sicher nichts mehr festmachen.“
„Wir könnten morgen wiederkommen und eine Leiter mitbringen. Hassan, haben sie eine Leiter die hoch genug ist?“
„Ja, aber wollen sie die Leiter den ganzen Weg bis hierher tragen? Denken sie, wie anstrengend es für sie heute war.“
„Irgendwelche anderen Ideen?“ fragte Mike in die Runde.
„Wir könnten einen Steinhaufen bilden“ meinte Nourredine.
„Da müssten wir viel zu viele Steine herholen, der Haufen müsste etwa zweieinhalb Meter hoch werden, damit wir gut an die Decke kommen. Da trage ich lieber eure Leiter her.“
„Was ist, wenn wir die Säule und die Schale anstelle des Pilzhutes in die grüne Maschine stellen?“ schlug Phil vor.
„Ich traue mich da nicht ran. Wenn du es machen möchtest, gerne, aber ich hätte Bammel die grüne Maschine so wie sie jetzt ist auch nur anzufassen geschweige denn auseinander zu nehmen und mit Teilen der anderen zu ersetzen.“
„War ja nur so eine Idee...“
„Was nun?“ fragte Hassan.
„Ich möchte noch einen Moment bleiben und die Kammer inspizieren und Photos machen. Danach können wir von mir aus wieder ins Dorf zurück.“ Mike lief in Richtung der grünen Maschine um sie zu umrunden und von allen Seiten genauer anzusehen. Dabei blickte er auch in die Ecken des Raumes und hoffte – vergeblich - weitere Informationen zu finden. Er packte seine Digitalkamera aus seinem Rucksack und nahm ein Bild nach dem anderen auf. Phil indessen suchte im Dreck zwischen den Steinen nach weiteren Teilen der zweiten Maschine. Hassan und Nourredine standen vor der grünen Maschine und unterhielten sich in Marokkanisch, Nourredine hielt seit geraumer Zeit Rancan in seinen Armen.