Читать книгу Flöte und Schwert - Christoph Lode - Страница 4

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SCHATTENTÄNZER

Dunaris ke Landor hatte schon zahllose Lebende bestohlen, aber noch nie einen Toten.

In jeder Hand eine kurze Klinge, schlich er geduckt durch den Garten. Auf der schwarzen Oberfläche eines Tümpels spiegelten sich die Sterne. Schlingpflanzen rankten sich um Statuen und Säulen, Gestrüpp überwucherte die gepflasterten Wege. Zu Aphragus’ Lebzeiten hatte ein kleines Heer von Gärtnern jede Pflanze sorgsam gehegt, Büsche beschnitten, die Teiche gereinigt. Aber das war viele Jahre her. Inzwischen glich der Garten einem Dschungel. Dunaris lächelte in sich hinein. Manch einer in Kaman-Share hoffte, die Pflanzen würden zu einem undurchdringlichen Geflecht verwachsen, zu einer Wand, die das Grabmal im Innern des Gartens einschloss und das Böse, das darin hauste, für immer gefangen hielt.

Dunaris’ Kurzschwert schnitt durch einen Vorhang aus Ranken, und der Dieb folgte dem Pfad, der sich dahinter fortsetzte. Der Sommer lastete seit Wochen schwer auf Kaman-Share, und es war wieder einmal ein außergewöhnlich heißer Tag gewesen. Er hatte gehofft, dass es hier oben auf der Steilklippe, direkt am Meer, kühler sein würde. Doch hinter den Mauern des Gartens stand die Luft regelrecht. Der Geruch von Fäulnis und Verfall war allgegenwärtig, er schien sich in Haaren und Kleidung festzusetzen. Dunaris nahm sich vor, gleich morgen früh das beste und teuerste Badehaus der Stadt aufzusuchen. Wenn er diesen Auftrag ausgeführt hatte, würde er es sich leisten können. Wenn er wollte, jeden Tag.

Die Umrisse eines riesigen Quaders tauchten vor ihm auf. Dunaris’ Atem beschleunigte sich. Er konnte verstehen, warum das Monument den Leuten Angst einjagte. Größer als so mancher Palast, zeugte es von dem Versuch, der Vergänglichkeit zu trotzen. Als Dunaris sich näherte, gewann er den Eindruck, das Mausoleum lösche die Sterne aus. Die haushohen Mauern waren mit Platten aus schwarzem Marmor verkleidet, in unregelmäßigen Abständen hatten die Baumeister verschlungene Reliefs eingefügt. Das vage Gefühl der Bedrohung, das Dunaris die ganze Zeit verspürt hatte, intensivierte sich. Aphragus hatte sich wahrhaftig ein Denkmal geschaffen, das ihm gerecht wurde - in jeder Hinsicht.

Wachsam überquerte er den Platz, auf dem das Mausoleum stand.

Stufen führten zum eisernen Tor hinauf. Eine tiefe Ruhe verdrängte alle anderen Gefühle, wie immer, wenn Dunaris seiner Arbeit nachging. Im Grunde führte er einen ganz gewöhnlichen Einbruch durch. Machte es einen Unterschied, dass er in das Haus eines Toten eindrang? Während er sorgfältig das mit Reliefs versehene Portal abtastete, rief er sich noch einmal das Gespräch mit seinem Auftraggeber ins Gedächtnis.

„Kajas Licht muss dort sein!“, hatte Trojus gesagt. Seine Hand fuhr über einen Stapel aus alten Dokumenten. „Die Aufzeichnungen lassen daran keinen Zweifel.“

Dunaris hatte sich zurückgelehnt und amüsiert die Weinflasche betrachtet. Der winzige Wassergeist darin reckte seinen Dreizack in die Höhe und tauchte flink wie ein Seehund in das rubinfarbene Getränk ein. Eine hübsche Illusion. Die Leidenschaft des Kaufmannes für magische Spielzeuge und Artefakte war legendär. Sie hatte schon so manchem Dieb ein großzügiges Auskommen beschert. „Du kennst die Geschichten, die man sich über das Mausoleum erzählt“, sagte Dunaris schließlich.

„Deswegen habe ich dich ausgewählt“, erwiderte Trojus.

„Ich bin kein Geisterjäger.“

„Aber der beste Dieb von Kaman-Share. Du kannst es schaffen.“ Er füllte Dunaris’ Weinkelch.

Der Dieb nahm einen Schluck und musterte sein Gegenüber. Die Hände des Kaufmannes nestelten unruhig an einem Federkiel, seine Augen leuchteten.

„Dein Angebot?“

„Sechs Goldmünzen.“

Dunaris ließ sich seine Verblüffung nicht anmerken. Hatte Trojus den Verstand verloren? Die verzauberte Lampe musste ihm wirklich viel bedeuten. „Acht Goldmünzen“, sagte er ruhig.

Trojus kicherte. „Wahrhaftig, du enttäuschst mich nicht. Einverstanden. Und ich werde dafür sorgen, dass der Magistrat gewisse Dinge deine Vergangenheit betreffend, nun, vergisst.“

Nun lächelte auch Dunaris. Der Einfluss des Kaufmanns erstaunte ihn immer wieder. „Erzähl mir etwas über Kajas Licht.“

Glücklich über den gelungenen Handel, machte Trojus es sich in seinem Lehnstuhl bequem und begann mit der Geschichte des Artefakts ...

Dunaris’ Gedanken kehrten in die Gegenwart zurück. Wie er erwartet hatte, wies das Portal des Mausoleums keinen gewöhnlichen Öffnungsmechanismus auf. Seine Finger wanderten über die Darstellungen von uralten Götzen und Elementargeistern, verharrten auf dem Auge eines Fischwesens. Da! Dunaris verstärkte den Druck seiner Finger, und das steinerne Auge sank ein. Lautlos öffneten sich die Torflügel, gaben den Blick auf tintenschwarze Finsternis frei. Ein Hauch von Moder lag in der Luft.

Mit einer Fackel in der Hand betrachtete er die Baupläne, die Trojus ihm beschafft hatte. Das Mausoleum verfügte über drei Stockwerke. Verborgene Treppen verbanden die Ebenen miteinander. Unzählige Kammern und Flure bildeten ein Labyrinth. Das Studium der verworrenen Konstruktionszeichnungen ließ nach einer gewissen Zeit die Augen schmerzen. Die Alten erzählten sich, Aphragus’ Geisteszustand sei kurz vor seinem Tod nicht der beste gewesen. Das Mausoleum wirkte wie der steingewordene Ausdruck seines Wahnsinns.

Dunaris schob die gefalteten Pläne hinter seinen Gürtel und betrat das Grab. Der Fackelschein kroch über einen staubigen Boden. Die Halle musste groß sein, sehr groß. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen - niemand konnte wissen, welche Teufeleien Aphragus’ verdrehter Geist beim Bau des Mausoleums geboren hatte. Trapezförmige Durchgänge gähnten in den Wänden, und plötzlich verspürte Dunaris ein Ziehen im Nacken, als würde er beobachtet. Unsinn, schalt er sich. Das hier ist ein Routineauftrag, nichts weiter. Unbewusst beschleunigte er seinen Gang, seine Schritte hallten von den Mauern wieder.

Stimmen wisperten in den Schatten, so trocken wie altes Pergament.

Wer ist er?

Wir spüren das Leben, das köstlich durch seine Adern fließt. Ahh ...

Er ist ein Dieb!

... Wie es pulsiert ...

Dunaris fuhr herum. Stille lag über der Halle. Aber das hatte nichts zu bedeuten. Es gab Wesen, die sich lautlos in der Dunkelheit heranpirschten. Wesen, deren bloße Berührung den Tod brachte. Dunaris zwang sich zur Ruhe. Hier war nichts, nichts und niemand. Mit einiger Anstrengung gelang es ihm, die Erinnerung an die Geschichten zu verbannen, die sich um das Mausoleum rankten. Konzentrier dich auf deine Aufgabe! Die Treppe. Such die Treppe. Wenige Schritte von ihm entfernt musste sie sich befinden. Vorausgesetzt, die Baupläne stimmten.

Ein unangenehmer Gedanke nistete sich in seinem Kopf ein: Wie war es Trojus überhaupt gelungen, an die Pläne heranzukommen? Wieso waren sie nach Aphragus’ Bestattung nicht vernichtet worden? Jeder, der seine Grabstätte vor Räubern geschützt wissen wollte, hätte dergleichen veranlasst.

Oder hatte Aphragus absichtlich gefälschte Pläne hinterlassen? Pläne, die einen geradewegs ins Verderben führten? Bei den Göttern, solch eine Niedertracht wäre ganz nach Aphragus’ Geschmack gewesen!

Dunaris’ Mund wurde trocken. Er durfte so etwas nicht denken.

Ein Alkoven mit den Stufen einer Wendeltreppe schob sich in den Lichtkreis der Fackel. Dunaris ließ keuchend den Atem entweichen. Gefälschte Pläne. So ein Unfug! Ich fürchte mich, dachte er. Und wenn ich mich fürchte, mache ich Fehler ...

Er hielt den Atem an und presste sich mit dem Rücken gegen die Wand. Diesmal hatte er wirklich etwas gehört. Das Kratzen von Metall auf Stein. Ein Luftzug brachte die Flamme zum Flackern. Kälte schien aus den Mauerfugen zu sickern.

Dann vernahm er das Wispern.

Wir wollen sein Blut.

Sein Leben.

Ja, sein Leben!

Ein fahl glühendes Augenpaar näherte sich. Ein zweites. Ein drittes.

Jähe Panik fuhr ihm wie ein eisiger Dreizack in die Eingeweide, als er die blassen Gesichter sah, das zerfallene Fleisch, die schimmernden Knochen.

Eine Hand griff gierig nach seiner Brust. Mit einem Keuchen überwand er die Starre und riss die Klinge hoch. Stahl schnitt durch Knochen, der Untote stieß ein unmenschliches Kreischen aus. Dunaris überließ seinen Instinkten die Führung, seine Füße fanden festen Stand. „Taynor!“, schrie er, „gib mir Kraft!“

Die Klinge blitzte, und ein Untoter taumelte zurück. Dunaris wirbelte herum, rammte die Fackel ins Gesicht eines zweiten. Sofort wurde der dürre Körper von Flammen eingehüllt. Weitere Gestalten, umgeben von einer schwach glühenden Aura, drängten heran. Es waren zu viele! Er stieß sein Kurzschwert in einen toten Leib, mit einem Tritt gegen den Brustkorb riss er es wieder heraus. Finger krallten sich in seinen Arm, auf kurzen Schmerz folgte ein Gefühl der Taubheit. Dunaris schrie auf und schlug seinem Angreifer den Kopf ab.

Rückwärts schob er sich in den Alkoven, warf sich herum und hastete die Stufen hinauf.

Der Treppenaufgang endete an einer Tür. Dunaris riss sie auf und stolperte in eine kleine, verwinkelte Kammer. Hektisch schob er das Schwert in die Scheide und griff nach den Fläschchen, die er an einem Lederriemen um den Bauch trug. Ein fahl glühender Leichnam kam hinter der Biegung des Treppenaufgangs zum Vorschein. Dunaris schleuderte die Phiole, sie zerplatzte auf den Stufen. Die Fackel landete in der schwarzen Lache. Fauchend schoss eine Stichflamme zur Decke des Treppenschachts, die Hitzewelle riss Dunaris von den Füßen. Aus tränenden Augen sah er, wie das Inferno die Untoten erfasste. Brennende, kreischende Leiber taumelten zurück.

Der Dieb schloss die Augen, bis die Nachbilder der Explosion verschwanden. Sein Atem ging stoßweise; ein öliger Aschefilm überzog sein Gesicht und die Arme. Die Untoten waren nicht mehr zu sehen, doch Dunaris wusste, dass er sie nicht gänzlich vernichtet hatte. Ihr hasserfülltes Raunen klang wie aus weiter Ferne.

Du kannst uns nicht entkommen.

Dieses Grab ist auch dein Grab.

Du gehörst uns!

An den ersterbenden Flammen entzündete er eine neue Fackel, dann nahm er sein Schwert an sich und versuchte, die Orientierung zurückzugewinnen. Die Architektur dieses Raumes war schlicht verrückt. Wände neigten sich in scheinbar unmöglichen Winkeln, Durchgänge führten ins schwarze Nichts. Dort, die Steintür! Unter einem Eisenring befand sich ein Schlüsselloch. Seine Hand fand den Dietrich an seinem Gürtel, und er begann, sich am Schloss zu schaffen zu machen.

Sein Freund Ern, einer der fähigsten Kunstschmiede von Kaman-Share, hatte dieses Werkzeug für ihn gemacht. Es hatte Dunaris noch nie im Stich gelassen. Manchmal dachte er, dass nicht einmal die verzauberten Schlösser der corsanischen Schatzkammern Erns Dietrich standhalten würden. Vielleicht war es seinem Freund gelungen, selbst ein wenig Magie in dieses Stückchen Schmiedekunst fließen zu lassen ...

Ein leises Klicken drang aus dem Innern des Schlosses, und Dunaris zog die Tür auf. Eine Treppe führte nach oben. Zufrieden mit sich verstaute er den Dietrich und folgte den Stufen.

Oben erwartete ihn eine gewaltige Halle. Säulen aus Obsidian erhoben sich bis zur Decke. Steinerne Fabelwesen starrten von den Wänden herab. Das flackernde Fackellicht hauchte ihnen gespenstisches Leben ein.

Durch einen Deckenschacht fiel eine Säule aus alabasterfarbenem Mondlicht auf ein Podest.

Dunaris näherte sich ehrfürchtig. Das Podest war mehr als mannshoch und wie eine Stufenpyramide geformt. Ein mächtiger Quader befand sich auf der abgeflachten Spitze – ein Sarkophag. Das Böse, das die Pyramide wie eine dunkle Aura umgab, war körperlich spürbar. Es hinterließ einen üblen Geschmack in seinem Mund, und Dunaris musste seine gesamte Willenskraft aufbieten, um gegen die Bilder anzukämpfen, die mit Macht in sein Bewusstsein drängten. Bilder von Tod und Verderben. Bilder seines eigenen Todes.

Ein Schutzzauber!, durchfuhr es ihn. Dunaris erlebte dergleichen nicht zum ersten Mal, wenngleich ihm die pure Macht des Zaubers den Atem raubte. Natürlich, Aphragus war ein Großmeister der dunklen Künste gewesen. Er hörte das Blut in seinen Ohren rauschen. Die Magie hatte begonnen, seinen Verstand zu zersetzen. Wenn er nichts dagegen unternahm, würde der Wahnsinn nach ihm greifen.

Dunaris umfasste das silberne Amulett des Taynor, das er an einem Lederbändchen um den Hals trug, und sammelte sich. Der Zauber fuhr wieder und wieder wie ein Rammbock gegen seinen Geist. Schweiß glitzerte auf seiner Stirn, und die Kanten des Amuletts schnitten in seine Finger. Dunaris begrüßte den Schmerz. Ich bin stark, sagte er sich, ich bin stark. Mit einem Gebet auf den Lippen formte er seine Willenskraft zu einem Schutzwall, an dem der Rammbock zerschellte.

Erschöpft ging der Dieb in die Knie. Mit zitternden Händen holte er seine Feldflasche hervor. Er nahm einen Schluck und genoss das Gefühl des Wassers in seiner Kehle. Es spülte die Nachwirkungen des Zauberbanns fort, und Dunaris richtete sich auf.

Aphragus’ Sarkophag war ein steinernes Ungetüm ohne jeden Schmuck. Kleine Berge von Geschmeide und Edelsteinen, goldene Kronen und Zepter umgaben den Quader. Leuchteten verheißungsvoll. Dunaris setzte einen Fuß auf die erste Stufe der Pyramide. Welch ein Schatz! Er sah Waffen, mit Runen versehen. Schimmernde Kettenpanzer, die jedem Schwerthieb widerstanden. Stufe um Stufe erklomm er die Pyramide. Schon ein Bruchteil dieses Schatzes würde ihn reicher als alle Kaufleute von Kaman-Share machen. Sogar reicher als Trojus.

Oben angekommen ließ er seinen Blick über die Reichtümer gleiten. Aphragus hatte seine Macht und seinen Wohlstand mit dem Blut der Menschen von Kaman-Share bezahlt, und nun türmten sich die Schätze in seinem von den Göttern verlassenen Mausoleum. Dunaris schüttelte den Kopf. Wie sinnlos das alles war.

Inmitten der Schmuckstücke fand er Kajas Licht. Die verzauberte Lampe lag auf den Steinplatten, als wäre sie ein achtlos fortgeworfenes Spielzeug. Dunaris hob das Artefakt auf und drehte es im Licht seiner Fackel. Zwei sich aufbäumende Pegasoi aus Silber fassten einen milchigen Splitter ein, in dessen Innern ein winziger Funken aufzuglühen schien. Die Kunstfertigkeit der Lampe war vollendet, und für einen Augenblick vergaß er bei ihrem Anblick sogar das Böse, das in diesen Mauern wohnte. Wenn doch nur Ern hier sein könnte! Der Schmied würde vor Freude weinen.

Behutsam verstaute er das Artefakt in seinem Beutel und wandte sich wieder dem Schatz zu. Verglichen mit der Lampe wirkte selbst das erlesenste Schmuckstück wie billiger Tand. Dunaris machte sich daran, seine Taschen mit Edelsteinen, Ringen und Ketten vollzustopfen. Er nahm gerade so viel mit, dass seine Beweglichkeit nicht eingeschränkt wurde. Bevor er sich zum Gehen wandte, warf er dem Sarkophag einen verächtlichen Blick zu. Morgen würde er durch die Armenviertel der Stadt gehen und Aphragus’ Schätze unter den ausgemergelten Gestalten verteilen. Hämische Vorfreude überkam Dunaris. In welcher Hölle der Zauberer auch immer schmorte, hoffentlich konnte er dabei zusehen!

Er ließ die Pyramide hinter sich und ging zielstrebig zur Treppe. Als er die Stufen hinabstieg, schwand seine Zuversicht. Eiseskälte stieg aus der Dunkelheit herauf. Dunaris zog das Schwert. Aus der Kammer am Fuß der Treppe schlug ihm eine Woge des Hasses entgegen; ein sengender, alles verschlingender Zorn.

Dunaris biss sich auf die Lippe. Sie waren also gekommen, ihn zu holen. Sollten sie es versuchen!

Ölphiolen flogen in die Kammer, gefolgt von der Fackel. Eine Explosion zerriss die Stille, und eine Feuerwand wuchs in die Höhe. Dunaris verbarg sein Gesicht mit den Armen. Die Hitze rollte über ihn hinweg. Mumifiziertes Fleisch brannte knisternd, schemenhafte Gestalten stürzten zu Boden. Die Untoten schrien ihre Qual hinaus, verfluchten ihn.

Die Flammenwand sank zusammen, und Dunaris spannte seine Muskeln an. Mit einem Sprung war er in der Kammer. Die Luft schien zu glühen, machte das Atmen nahezu unmöglich. Aus reglosen Körpern züngelten Flammen. Einem Teil der Untoten war es gelungen, in den Durchgängen Schutz zu suchen. Nun drängten sie in die Kammer, bereit, Dunaris zu vernichten. Fangzähne und knöcherne Finger gierten danach, sich in sein Fleisch zu graben.

Dunaris ließ seine Klingen wirbeln. Ein Angreifer ging zu Boden, den dürren Leib eines zweiten schlug er in der Mitte durch. Die Toten bildeten einen Halbkreis. Wenn sie mich umzingeln, bin ich verloren!, dachte er. Sein Gehirn erfasste blitzschnell jede Bewegung. Wie ein Schachspieler ergründete Dunaris die Züge seiner Gegner im Voraus. Die tödliche Eleganz seines Kampfstiles hatte ihm den Beinamen Kasir as’sander eingebracht, Schattentänzer. Krallen schlugen nach seiner Kehle. Er tauchte unter ihnen hindurch und stieß mit beiden Schwertern zu. Der Leichnam brach zusammen.

Die Untoten zögerten. Eine bösartige Intelligenz glühte in ihren Augen. Weitere Angehörige von Aphragus’ Gefolge kamen die Treppe herauf. Kühl registrierte der Dieb, dass ihm der Weg nach unten abgeschnitten war. Er konnte unmöglich alle besiegen.

Vor seinem inneren Auge ließ er das Bild der Baupläne entstehen. Es gab mehr als eine Treppe! Wenn es ihm gelänge, sich einen Weg zu den gegenüberliegenden Durchgängen zu bahnen, könnte er die nächstliegende erreichen.

Mit einem Kampfschrei warf er sich den Untoten entgegen. Scharfe Fingernägel zerkratzten seine Arme und Schultern, gefolgt vom lüsternen Keuchen seiner Angreifer. Eiskalter Schmerz zuckte durch seinen Körper. Sie labten sich an seiner Lebenskraft! Das Schwächegefühl ignorierend, riss er sich los. Seine Klingen blitzten. Ein Gegner sank mit gespaltenem Schädel zu Boden. Die anderen zogen sich mit flackernden Augen zurück.

Dunaris erkannte seine Chance und stürmte los. Ein lebender Leichnam, der sich ihm in den Weg stellte, wurde niedergestreckt. Die Untoten heulten vor Zorn, als er den Durchgang erreichte. Sofort nahmen sie die Verfolgung auf.

Er hastete den Korridor entlang, vorbei an Türen und Öffnungen, die tiefer in das Gewirr aus Kammern und Gängen führten. Hinter der ersten Biegung fand er sich in völliger Dunkelheit wieder. Den Verlust seiner Fackel verfluchend, wartete er einen Augenblick, bis seine Augen sich an die Finsternis gewöhnt hatten. Das Wispern der Grabwächter kam näher und näher, er konnte ihre Kälte spüren.

Die Verletzungen machten ihm zu schaffen, obwohl es nur ein paar Schrammen waren. Die Berührung der Untoten hatte seine Lebenskraft angegriffen. Er spürte, dass seine Kräfte nachließen, seine Sinne ihre Schärfe einbüßten.

„Beweg dich, Dunaris!“, murmelte er. Unter Mühen setzte er sich in Bewegung.

Die Dunkelheit ließ nicht zu, dass er so schnell lief, wie er es angesichts der Gefahr gerne getan hätte. Das Risiko, über ein Hindernis zu stürzen oder eine verborgene Falle auszulösen, wäre zu groß. Aber er hatte keine Zeit, eine Fackel zu entzünden. Vorsichtig tastete er sich an der Wand entlang. Bis zur Treppe war es nicht mehr weit.

Wir können dich sehen, Sterblicher, höhnten die Stimmen. Komm zu uns, mach uns dein Blut zum Geschenk.

Dunaris’ Hand fuhr über einen Holzbalken. Die Tür! Er fasste nach dem Ring und zog. Verschlossen! Hektisch nestelte er an seinem Gürtel, bis er den Dietrich fand. Er rammte das Werkzeug in das Schlüsselloch, drehte und rüttelte, doch das erlösende Klick blieb aus. Warum, verdammt, zitterten seine Hände so sehr?

Der Dietrich brach ab. Fassungslos keuchte Dunaris auf. Bei allen Göttern, das konnte nicht sein! Tränen der Wut und Verzweiflung schossen ihm in die Augen.

Knirschende Geräusche ließen ihn den Kopf herumreißen. Aphragus’ Gefolge verharrte wenige Schritte entfernt. Glühende Augen musterten ihn mit stummer Genugtuung.

Mutlos griff er zum Schwert. Wie viele kann ich erschlagen, bevor sie über mich herfallen?, fragte er sich. Drei? Fünf? Dunaris hatte den Tod niemals gefürchtet. Aber musste es auf diese Weise geschehen, zu Boden gezerrt und seiner Lebenskraft beraubt? Seine Finger fuhren fast zärtlich über die Klinge. Nein. Lieber starb er durch das eigene Schwert. Seine Gedanken wanderten zu Ern und den Freunden in Kaman-Share. Trinkt einen auf mich! Mit einem bitteren Lächeln dachte er an Trojus. Nun, dessen Tränen würden gewiss nur der Lampe gelten, die er nun niemals seiner Sammlung hinzufügen konnte.

Die Lampe. Plötzlich hielt er sie in der Hand. Dunaris konnte sich nicht erinnern, sie aus dem Beutel genommen zu haben. Versonnen betrachtete er das Spiel ihres Lichtfunkens, durch den Schliff des Kristalls dutzendfach gebrochen.

Die Untoten fauchten böse. Dunaris musterte die eingefallenen, verwesten Gesichter. Warum griffen sie nicht an? Mit der Lampe in der erhobenen Hand ging er ihnen entgegen. Sie wichen zurück, und in das Raunen ihrer vertrockneten Stimmen schlich sich Entsetzen.

Das Licht! Er bringt uns das Licht!

Schmerzen!

Sengende Schmerzen!

Bei Taynor, sie fürchteten Kajas Licht! In der Lampe musste eine verborgene Macht schlummern. Doch wie weckte man sie? Aufgeregt dachte er an die Geschichten, die Trojus zum Besten gegeben hatte. Prinzessin Kaja hatte ihren Hofzauberern befohlen, das Licht der Sterne in den Kristall zu bannen. Es musste einen magischen Mechanismus geben, der es erlaubte, den Lampenschein zu entfachen, vermutlich ein geheimes Wort der Macht ...

Tötet ihn, zischten die Untoten. Der Hass ließ sie ihre Furcht vergessen, und langsam kamen sie näher. Tötet ihn, und entreißt ihm das Licht!

Dunaris schloss die Augen, gab sich ganz der sanften Wärme des Kristalls hin. Sie strömte durch seine Ballen und Finger, durch Muskeln, Sehnen, Knochen, sein Blut. Licht, dachte er, und neue Kräfte durchströmten ihn. Die Antwort ist Licht.

Seine Lippen formten eine einzige, uralte Silbe:

„Lum.“

Die jähe Hitze verbrannte seine Hand. Dunaris stieß einen Schmerzensschrei aus, doch er zwang seine Finger, den Griff nicht zu lockern. Eine Nova erglühte im Innern des Kristalls. Strahlen aus reinem Licht durchschnitten die Dunkelheit. Wo sie auf untote Körper trafen, entzündeten sie Fleisch und Knochen. Leichname gingen in Flammen auf, zerfielen wenige Herzschläge später zu Asche. Dunaris ließ das Schwert fallen und verbarg sein Gesicht in der Armbeuge. Die Luft war erfüllt von den Schreien der Untoten, die ihren Meister anflehten, den Qualen ein Ende zu machen. Kajas Licht erlöste sie.

Als Dunaris die Augen öffnete, war er allein. Eine Schicht aus Asche und Knochensplittern bedeckte den Boden des Korridors. Erst jetzt bemerkte er, dass er die Lampe hatte fallen lassen. Sie lag zu seinen Füßen, der Kristall leuchtete in sanftem Licht. Dunaris hob sie auf und machte sich auf den Weg. Während er durch das Mausoleum ging, spürte er eine Veränderung. Das Böse, das jeden Stein des Gemäuers durchdrungen hatte, war verschwunden. An seine Stelle war ein tiefer Friede getreten. Dunaris lächelte. Aphragus’ Gefolge hatte Ruhe gefunden und den Zauberer alleine in der Verdammnis zurückgelassen.

Das Morgengrauen tauchte die Eingangshalle in trübes Zwielicht. Dunaris genoss die kühle Luft, die durch das offene Portal hereinströmte und den Geruch von Moder und Tod vertrieb. Unten in den Häusern Kaman-Shares wurden Öllampen entzündet. Bald würden sich die Straßen mit Reisenden, Handwerkern, Priestern und Soldaten füllen, und die Händler würden beginnen, lautstark ihre Waren anzupreisen. Sein Magen knurrte. Es war Zeit für ein Frühstück im Blauen Einhorn, entschied Dunaris. Er hatte Lust, ein wenig mit seinem Abenteuer zu prahlen. Die Leute würden Augen machen!

Auf der Treppe betrachtete er noch einmal Kajas Licht. Trojus hielt die Lampe wirklich für ein harmloses, kleines Spielzeug. Von ihrer verborgenen Macht ahnte er nicht das Geringste. Ein verschmitztes Grinsen huschte über Dunaris’ Gesicht. Von ihm würde der Kaufmann die Wahrheit nicht erfahren. Er musste es schon selbst herausfinden.

„Dum“, murmelte er. Das Leuchten erstarb, und Dunaris ging die Stufen hinunter.

Die ersten Sonnenstrahlen des Morgens tasteten über die spiegelglatte Oberfläche des Meeres. Kaman-Share stand ein weiterer heißer Tag bevor.

Flöte und Schwert

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