Читать книгу Anno 1525: Der Stadtschreiber zu Würzburg - Christoph Pitz - Страница 6

Оглавление

SAMSTAG, 13. Mai 1525

Abends nach Einbruch der Dunkelheit

Das letzte Schimmern des Abendrots versank hinter der Bischofsburg hoch oben auf dem Berg am gegenüberliegenden Flussufer und übergab sie einer schemenhaften Dunkelheit zur Nachtruhe. Das friedvolle Bild jedoch trog, nachdem der Himmel mit den daran hängenden Schleierwolken gerade eben noch in ein Meer aus den unwahrscheinlichsten Rottönen getaucht war, wie es die beieinandersitzenden Verliebten zum Träumen, die Verzagten zum Mut fassen und die Wackeren zu neuen Abenteuern verleitete. An diesem Abend standen die Anzeichen nach Unheil, die Himmelsfarben kündeten das Blut an, das fließen würde.

Martin blickte vom Fenster seines Kabinetts im obersten Stockwerk des Rathauses hinüber zur Burg, die Stirn in Falten, die Schultern herabhängend, die Augen in Sorge. Das schemenhaft Erkennbare war kein Bild friedlicher Nachtruhe. Er wusste, dort oben richtete man sich auf Belagerung und Verteidigung ein, rüstete man gegen seine Stadt und die unzähligen Bauernhaufen, die nun gerade hier zusammengefunden hatten, hier in Würzburg. Von der Straße und dem Platz drangen Geräusche des Lärms und Tumults zu ihm herauf, wie sie es schon seit etlichen Tagen taten. Mit den Bauern tauchte auch alles Gesindel übelster Art aus seinen Kloaken auf und hatte jeden nur denkbaren, sittenlosen Hader in die Stadt gebracht. Vorbei war es mit der Ordnung und den Gesetzen, vorbei auch mit der Einigkeit. Wenig nur vermochten die zweihundert im Kloster der Barfüßer zusammengezogenen Wepner1 auszurichten. Martin wusste das und machte weder den Männern noch ihren Kommandanten einen Vorwurf. Immerhin hatte es innerhalb der städtischen Mauern noch keinen offenen Aufstand oder größeren Kampf gegeben, jedoch blieben die vereinzelten Plünderungen an den Rändern und in den Vorstädten und Landgütern ein anhaltendes Problem. Die Schäden waren groß. Ob rechtschaffen in ihren Anliegen oder einfach nur im Strom mitgeschwemmte Strauchdiebe, allein die ungeheure Masse an Menschen ließ sich weder einheitlich führen noch kontrollieren. Früher oder später würde der Magen knurren, würde ein jeder Einzelne auch Zählbares im eigenen Beutel sehen wollen. Es war nicht eine Frage von Tagen, dass die Welt, wie man sie bisher kannte in Würzburg, auseinanderbrach, nein, es war eine Frage von Stunden. Martin blickte zur Bischofsburg hinauf und wusste es.

Verdammt. Wieso konnten wir das nicht aufhalten? Es ist doch kaum zwei Wochen her, da haben wir als Rat mit dem Rotenhan, den Grafen und Kapitelherren noch in aller Vernunft gesprochen. Und hatten wir nicht alle das gleiche Ziel? Die Katastrophe aufzuhalten, vor der wir jetzt stehen …

Es klopfte. Martin wandte sich zur Tür um. Seine Tochter Johanna, von allen nur Hanne genannt, kam herein, in der Hand mehrere Papiere. „Die Abschriften der heutigen Briefe sind fertig, Vater. Die Boten stehen bereit. Du musst nur noch siegeln.“

„Das machen wir gleich. Zuvor muss ich dich aber noch um etwas bitten.“

„Alles was du forderst, Vater, ich tue es.“

„Diesmal ist es anders.“

Martin ging hinüber zu seinem Stehpult und nahm das dort ausgelegte Blatt Papier in die Hand. „Ich will versuchen den Kampf und das Morden doch noch abzuwenden. Dies ist ein Schreiben an den Kommandanten Rotenhan droben auf der Festung. Freies Geleit in die Obhut des Rates soll die Leben dort wie auch innerhalb unserer Mauern schützen. Ich weiß mir einfach keinen anderen Rat mehr das Blutvergießen zu verhindern.“ „Aber Vater. Er wird dein Ansinnen verschmähen. Du weißt, dass er die Burg nicht übergeben darf. Sie sind dort oben gebunden an das Wort des Bischofs. Es gibt keine Lösung.“

„Thüngen ist feige geflohen, als noch viel zu retten war. Die Herren und all die Leut wissen, dass er sie zu opfern bereit ist. Vielleicht ist das eine letzte Möglichkeit für uns alle. Ich muss es einfach versuchen. Aber ich kann dies nicht als Vater von dir verlangen, du müsstest es aus eigener Entscheidung tun.“

„Was soll ich tun, Vater?“

„Du sollst das Schreiben im Schaft eines Pfeiles mit der Armbrust über die Mauern der Burg schießen. Bei der Geschützstellung neben dem Sonnenturm zum Gleßberg hin. Rotenhan weiß Bescheid.“

„Er weiß Bescheid?“

„Ja, während der letzten Unterhandlungen haben wir es so vereinbart. Das war, bevor der Bischof floh.“ Martin zog die Lade an seinem Pult auf, nahm das schwere Stadtsiegel sowie die rote Siegelwachskerze heraus und entzündete diese an der Lampe auf dem Pult. „Nicht alle streben nach Blutvergießen. Auf beiden Seiten nicht. Und Rotenhan gehört dazu. Ebenso wie ich.“

Hanne pfiff durch die Zähne, rieb sich mit der Rechten nachdenklich das Kinn, wie es zumeist die Männer taten, wenn sie mit der Hand durch die modisch geschnittenen Bärte fuhren. „Aber das ist Verrat! Auf beiden Seiten ist es das. Vater, hast du dir das gut überlegt, der Krieg ist doch schon da. Es kostet dich den Kopf, wenn es herauskommt.“

Martin begann damit die Briefe des Rates an verschiedenste Städte und Bürgerschaften in Nah und Fern zu siegeln. „Kind, ich weiß das und habe es mir sehr gut überlegt. Deshalb kann ich ja auch nicht verlangen, dass du weiterhin für mich Dienste verrichtest und dich in Gefahr begibst.“

„Wen kannst du mit dieser Botschaft schicken, wenn ich es nicht tue?“

„Ich weiß es nicht. Vertrauen ist in diesen Tagen ein sehr brüchiges Geschäft. – Aber ich finde jemanden, Hanne. Du darfst es nicht machen, weil dein alter Vater sich in den Kopf gesetzt hat unser Würzburg zu retten. Es müsste aus Glaube an das Richtige getan werden.“

„Gib dir keine Mühe, Vater. Du weißt, dass auch solche Worte mir kaum eine Wahl lassen. Und du weißt, dass ich es nicht ertragen würde, wenn du ins Unglück gerietest.“

„Verzeih mir, Tochter. Ich selbst kann es nicht tun, ich muss mich noch heut Abend wieder mit einigen Räten und Hauptleuten zusammen tun, und dein Bruder …“

„Schon gut Vater. Ich schleich mich an den Berg heran, wenn in der Nacht alles zur Ruh gekommen ist. Eine Frage habe ich aber noch: Wieso glaubst du, dass die Burgleute jetzt ihre Meinung geändert haben könnten, wenn sie doch vor etlichen Tagen nicht einmal die Pferde ziehen lassen wollten, damit wenigstens die armen Tiere überleben würden?“

„Ich weiß es nicht. Vielleicht ist ihnen nun die Übermacht der herangezogenen Bauernhaufen deutlicher geworden. Sie sprachen davon, zehntausend Kämpfer tapfer abwehren zu können. Jetzt aber belagern weit über zwanzigtausend schon die Burg, dazu die Bürgerschaft. Es ist eine Zeit, in der sich alle Tage alles ändert. In die eine und dann aber auch wieder andere Richtung. Man muss handeln, wenn der Augenblick gekommen ist. Das wissen die Kriegsherren, aber auch solche, die nach Frieden und Ordnung trachten.“

Hanne pfiff wieder leicht durch die Zähne, das war ihre Art. Dazu nickte sie. „Wie also soll ich es machen?“

Martin ging zu einer der schweren Truhen mit seinen Dokumenten, entnahm jetzt aber einen stabil und massig wirkenden Bolzen, wie er mit der Armbrust verwendet wurde, zog die eiserne Spitze ab und zeigte Hanne den Hohlraum im Schaft. Dann rollte er das Blatt mit seinem Schreiben an den Burgkommandanten fest zusammen, steckte es in den Schaft und setzte die Spitze wieder darauf. Zum Schluss ließ er noch etwas Siegelwachs darüber tropfen.

„Das ist unser verabredetes Zeichen.“

Hanne nahm den Bolzen, nahm auch die nunmehr gesiegelten Briefe an sich und verließ das Kabinett des Vaters.

***

„Es ist sicher“, sagte Johann Wagenknecht, einer der beiden Bürgermeister Würzburgs aufgebracht in die versammelte Runde, „Bermeter wird gemeinsam mit etlichen Haufen gegen die Festung anrennen. Viele seiner Anhänger haben schon unauffällig über den Fluss hinüber gesetzt. Noch vor dem Morgengrauen soll es losgehen. Bei den Bauern sollen es vor allem solche sein, die unter deinem Befehl bei Höchberg und den Zeller Auen liegen. Odenwälder und Neckartaler …“

Götz von Berlichingen stand die Wut ins Gesicht geschrieben: „Diese Saukerle“, entfuhr es ihm. „Pressen mir ab sie zu führen und stiften dann nichts wie Aufruhr und Ungehorsam. Wenn ich die in die Finger bekomme. Das sollen sie zweifach büßen, in diesem törichten Sturm und in meinem Zorn!“ Es schepperte gewaltig, als die berühmte Eisenfaust zu Tisch fuhr.

Götz war ein freier Reichsritter und aufgrund zahlloser Fehden zu einer gewissen Berühmtheit gekommen, bis ihn schließlich die mehrfache Reichsacht und weitere Umstände gezwungen hatten, den Landfrieden des Schwäbischen Bundes anzuerkennen und einen heiligen Fehde-Verzicht zu beeiden, die sogenannte Urfehde.

Daran hatte er sich gehalten, bis die Bauern des sogenannten Hellen Haufens, Weinsberger, Odentaler und andere Gruppen, ihn unter der Führung von Georg Metzler gegen Verschonung seines Besitzes zu einem Vertrag zwangen. Und obwohl er durchaus mit manchen der 12 Memminger-Artikel der Bauern sympathisierte, war dieser Krieg nun einmal nicht der seine. Himmel, mütterlicherseits war er gar verwandt mit Thüngen, dem geflohenen Bischof. Das würde ihnen noch leidtun, insbesondere dem Metzler, diesem Hundsfott.

„Wenn es stimmt, was du sagst, Johann, so ist das doch Verrat. Wir haben im Bauernrat zwar den Sturm auf die Festung beschlossen, da eine Übergabe aber nicht zu erreichen ist, müssen wir auf die starken Geschütze aus Tauberbischofsheim und Rothenburg warten. Ist der Bermeter denn völlig von Sinnen?“

Der langjährige Ratsherr, zeitweilige Bürgermeister und weithin gerühmte Bildschnitzer Tilman Riemenschneider war ebenfalls mit von der Partie in dieser Runde, die sich seit kurzem allabendlich beim Gressenwirt noch einmal traf. Die jüngsten Entwicklungen des Tages sollten dabei nach Möglichkeit besser abgestimmte Pläne der Vernunft schmieden, als es in dem von Undurchsichtigkeit und aufgewühlten Gefühlen geprägten Bauernrat geschah, der gleichfalls alle Tage im nahen Kloster der Barfüßer zusammen kam.

„Er will seinen Sturm und will ihn unbedingt jetzt gleich. Es berauscht ihn, dass die Leute seinen Worten folgen und sich gar gegen die Oberen der eigenen Stadt stellen.“ Die Worte kamen von Florian Geyer, dem ebenfalls sehr charismatischen Anführer des Schwarzen Haufens, der bei Heidingsfeld lagerte; Wagenknecht gab ihm mit einem freudlosen Nicken recht. „Damit findet er auch viele Anhänger in den einzelnen Häuflein. Aber er weiß, lange hält eine solch feurige Hitze und Stimmung im gemeinen Volk nicht an; deshalb schreit er danach die Burg sofort zu berennen, denn in drei Tagen werden die Einfältigen ihm vielleicht schon nicht mehr folgen.“

„Und dennoch ist er selbst nichts weiter als ein tumber Tropf“, brummte Götz und leerte seinen tönernen Weinpokal in einem Zug, „die haben dort oben weittragende Kanonen, hohe, massive Mauern und eine ganze Anzahl schwer gerüsteter Ritter. Wie will er da mit einer Bande leicht bewehrter Bauern und Bürger überhaupt eindringen? Und wenn es doch gelingt, stellt euch nur vor, was diese dort oben versammelte Schar an Kriegsherren und Rittern dann mit ihnen macht.“ Sein Blick ging durch die Runde. „Nein, ich werde diesen Unsinn aufhalten, bevor er beginnt. Stimmt ihr mir darin zu?“

Das Klappern der Becher und Pokale auf der Tischplatte stützte Götz’ Worte. Dieser fummelte indessen mit der Linken an seiner Eisenhand herum, an deren Mechanik sich durch den Schlag auf die Tischplatte offenbar etwas verklemmt hatte.

„Zur Stunde werden unsere mitgeführten Feldschlangen2 auf dem Gleßberg im Süden gegenüber der Burg installiert“, sagte Geyer, „wir wollen versuchen, dort etwas Schaden anzurichten.“

„Das schafft ihr nicht“, meldete sich der alte Meister Til wieder zu Wort, „eure Geschütze sind zu schwach für die Strecke über den Taleinschnitt hinweg. So ist das Gesetz der Natur.“

„Ich weiß, Meister Til, aber wir haben es schon mit einer größeren Menge Schießpulvers und leichteren Geschossen aus porösem Stein erfolgreich versucht. Wir können die Burg erreichen.“

„Erreichen vielleicht. Aber was werdet ihr bewirken? Die erschlaffte Kraft solcher Geschosse wird drüben auf dem Frauenberg keine Mauer brechen.“

„Wohl nicht, da habt Ihr Recht. Aber vielleicht machen wir den Bischöflichen dort ein wenig Angst und auf jeden Fall werden wir sie beschäftigen. Heute in der späten Nacht soll es beginnen.“

„Ich hoffe, Florian, das werden keine Schüsse ins eigene Fleisch. Denn anders als eure Feldschlangen, tragen die Geschütze der Bischofsfestung sogar über den Fluss hinweg in die Stadt hinein.“

„Seid unbesorgt, wir beschäftigen sie dort oben nur etwas. Sie sollen spüren, wie es sich anfühlt, belagert zu werden.“

„Euer Wort in Gottes Ohr.“

Martin Cronthal hatte bisher geschwiegen. Jetzt wandte er sich mit seinen Gedanken an den kleinen Kreis der hier Zusammengefundenen, welcher wie eine Feuerwehr danach trachtete den ganz groß aufkommenden Weltenbrand noch zu löschen und in einem Anflug von Humor ihre täglichen heimlichen Zusammenkünfte auch ebenso benannte. Sie waren die Feuerwehr: „Was wird geschehen, wenn das Fürstenheer des Bundes bei Würzburg eintrifft, und wir haben die Bischofsburg bis dahin noch nicht nehmen können? Wieviel Zeit haben wir, eine Woche, zwei? Oder anders gefragt, meine Herren, was muss geschehen, damit die Burg rechtzeitig zu nehmen ist?“

Götz von Berlichingen und Florian Geyer sahen sich an. Es war im Einverständnis schließlich Götz, der antwortete.

„Ist die Burg bei Eintreffen des Fürstenheeres nicht genommen, so wird es ein Blutbad geben, das auch die Stadt und alles Leben darin vernichtet. Ein biblisches Ereignis, mein Freund, die Apokalypse. Deshalb sollten Heere, Truppen oder einzelne Haufen sich nicht bei Würzburg zur Schlacht begegnen, ohne dass die Burg gewonnen und besetzt wurde. Dafür müssen wir sorgen.

Uns bleiben den Berichten nach vielleicht noch zehn Tage zur Erstürmung. Das heißt, dass Aushungern nicht mehr in Frage kommt. Die Burg ist stark gerüstet und befestigt. Sie ist wehrhaft gegen Angriffe von welcher Seite auch immer. Aber trotz dieser Wehrhaftigkeit sind sie dort oben nur eine begrenzte Anzahl von Kämpfern und wir um ein Vielfaches überlegen. Sie kann genommen werden, wenn alle zwanzigtausend Bauern und Bürger gleichzeitig anrennen, und zwar von allen Seiten her. – Das ist der einzige Weg diese Festung noch rechtzeitig zu bezwingen, aber Ihr habt es im Bauernrat selbst erlebt, diejenigen auf den steilen Ost- und Südflanken wollen nicht mitmachen, weil sie sich wie im Schach nur als Bauernopfer für den Erfolg anderer sehen.“

Florian Geyer ergänzte: „Wir haben gemeinsame Ziele und eine Idee, aber wir haben nicht die Ordnung und den Gehorsam, um wirklich zusammenzustehen. Deshalb können wir unseren Vorteil der großen Überlegenheit nicht ausspielen. Etwas einreißen hier, ja, etwas nehmen und plündern dort, ja, aber die alte Welt mit den neuen 12 Artikeln einreißen? Das wird wahrscheinlich nur ein kurzer Traum bleiben.“

„Ihr glaubt nicht an den Erfolg der Bauern?“, erschrak sich Cronthal.

„Wir sehen die Umstände in der Erfahrung des Lebens.“

„Aber was tun wir dann jetzt? Viele werden sterben.“

„Wir halten den Schaden so klein, wie es uns möglich sein wird.“

Berlichingen und Geyer standen auf und empfahlen sich bis zur darauffolgenden Abendstund des nächsten Tages.

Wagenknecht blickte ihnen etwas pikiert hinterher: „Seid ohne Sorge. Die Stadt Würzburg übernimmt eure Zeche nur zu gerne.“

Martin starrte freudlos den Wein in seinem Becher an, beobachtete die leichte Bewegung der Oberfläche und die Bildung feiner Bläschen, welche gleich darauf wieder zerplatzten, dann nahm er einen tiefen Schluck: „Was ist die Arbeit eines Lebens wert, wenn zum Ende hin doch nur alles wieder zerschlagen wird? All die Schätze und heiligen Werke Gottes in den Klöstern, all die Leben? Was wird mit unserer Stadt geschehen, wenn die Ordnung nicht mehr gehalten werden kann und das Plündern und Morden losgeht? Es geschieht ja bereits draußen vor den Mauern und allenthalben in den Vierteln und Winkeln.“

Meister Til klopfte dem Ratsgenossen und Stadtschreiber auf die Schulter. „Dann werden Männer wie wir unser Werk von neuem beginnen müssen.“

„Noch einmal wirst du Figuren erschaffen wie die Nackten drüben an unserer Bürgerkirch oder die Heiligen im Neumünster?“

Tilman lachte unfreiwillig. „Da war ich noch ein junger Mann. Nein, in unseren Tagen wird das Werk anders gebildet. Der Lauf der Zeit ist unglücklicherweise nicht stehen geblieben.“

„Genau, das ist es“, ließ sich nun auch Johann Wagenknecht vernehmen, „Martin hat recht. Was einmal zerschlagen ist, kommt nicht wieder zurück. Wir dürfen nicht Zusehen, bis es geschieht, wir müssen vorher etwas tun.“

„Aber was denn? Du weißt nicht, wann und wo geplündert wird.“ Tilman zuckte mit den Schultern, wie man es als Marotte von ihm kannte.

„Nein, das wissen wir nicht, aber wir wissen um die wertvollste Kunst und die heiligsten Schätze, die wir besitzen. Diese müssen wir schützen.“ Martins Niedergeschlagenheit war mit einem Mal verflogen. Ein neuer Plan kündigte sich an und ließ das wache Funkeln in seine Augen zurückkehren. Die Schankmagd des Gressenwirtes brachte drei weitere Becher mit Wein aus dessem besten Fass. „Wir bringen das, was der Stadt am wichtigsten ist, in Sicherheit, wir verstecken es.“

Tilman gluckste. „Du willst Adam und Eva abmontieren und irgendwo vergraben? Hast du überhaupt eine Ahnung wie schwer die sind, und wie kompliziert ein Transport wäre?“

„Aber doch nicht Adam und Eva. Vergib mir, Meister Til. Ich spreche von dem Wertvollsten und Heiligsten, das wir besitzen. Ich spreche von etwas, ohne das es unser Würzburg nicht gäbe und auch nicht geben kann. Deshalb müssen wir es retten. Und zwar ohne dass es dabei ein Aufsehen gibt.“

Johann ging ein Licht auf. „Unsere Frankenapostel! Aber sag, warum sollten Bauern oder Aufständische unsere Reliquien angreifen? Darin wäre kein Wert und kein Gewinn zu finden. Außerdem wurden sie doch schon sicher in ihren alten Steinsarg aus Burkards Tagen gelegt.

„Gewinn? Raserei des Pöbels kennt keinen Gewinn. Denk doch nur daran, was sie im Kloster Bronnbach getan haben.“

„Das ist uns nur berichtet worden. Wir wissen nicht immer, was stimmt und was nicht.“

„Es stimmt, Johann, es stimmt. Ich kenne als Schreiber des Rates alle Briefe, Berichte und Zeugenstimmen. Wir müssen handeln. Die Kriegsherren suchen ihr Geschäft, wir gehen dem unseren nach. Und das ist, die Seele unseres geliebten Würzburg zu retten.“

„Was willst du tun? Die Gebeine heimlich des Nachts etwa stehlen?“

Martin antwortete nicht.

Tilman zuckte mit den Schultern. „Also gut. Wir suchen jeder noch ein paar vertrauenswürdige Seelen zusammen und geben uns morgen während des Tages über Martin Nachricht zu einem weiteren Treffen. Aber nicht hier, kommt zu mir in den Hof.“

Johann Wagenknecht wollte gerade noch etwas erwidern, als Conrad Ochsner, Mitglied des Rates, den Erker stürmte, völlig außer Atem: „Es ist der Bermeter! Sie rotten sich zusammen mit etlichen Bauern am Schottenanger und im ganzen Meeviertel dort. Der Schuppel und der Spengler machen auch mit. Sie schimpfen nimmermehr nur auf den Bischof mit seiner Obrigkeit, sondern hetzen jetzt auch gegen die Hauptleute der Bauern und gegen euch. Es heißt, ihr verratet die Bauern. Sie werden gegen die Festung anrennen. Ihr müsst etwas tun. Jetzt!“

„Dieser Hundsfott!“, schimpften Martin und Johann wie aus einer Kehle.

Tilman zuckte mit den Schultern. „Der Bermeter macht gemeinsame Sache mit etlichen der Odenwälder Bauern. Wo ist Götz Eisenfaust hingegangen, nachdem er uns verließ?“

***

Die Feuer der Bauern waren vom nördlichen Mauerring des Bischofschlosses auf dem Frauenberg zu Würzburg gut zu sehen, und sie konnten, ob ihrer schieren Menge und Ausbreitung soweit das Auge reichte, Angst einflößen. Selbst das besetzte Kloster Himmelspforten der Zisterzienserinnen ließ sich im Schein der Feuer noch gegen die Dunkelheit erkennen, Heinrich sah es genau. Das Dach der Kirche, die Mauern, die durch Feuerschein verursachten Schattenwürfe. Wie würde das nur ausgehen? Seit Tagen schon waren sie eingeschlossen und wurden von den aus dem ganzen Land herangezogenen Bauernhaufen belagert. Ihr Herr und Bischof hatte sie vor acht Tagen schon verlassen, es hieß, er sei zu einem Fürsten geflohen. Seit fünf Tagen hatte nichts und niemand mehr die Burg verlassen oder betreten. Letzte Wagen mit Lebensmitteln und Material waren damals von den Städtischen aufgehalten worden, welche zwar mit dem Bischof immerzu verhandelt hatten, aber sich letztlich doch mit dem marodierenden Bauernpack gemein machten. Nun waren sie alle hier oben auf dem Berg von der Welt isoliert. Er als einfacher Landsknecht ebenso wie die feinen Domherren, Pfaffen, Adeligen und Vasallen des geflohenen Bischofs, denen sie alle Treue geschworen hatten. Dazu die Frauen, Kinder, Knechte und Mägde der viele Höfe und Klöster rund um Würzburg. Man hoffte auf die Sicherheit der unbezwingbaren Bischofsburg und fand sich nun in einem heillos überfüllten Hühnerstall wieder. Zu viele Menschen, zu wenig Vorräte, zu wenig kampferprobte Ritter, Kämpfer, Knappen und Landsknechte, wenn es zu einem Sturmangriff an allen Mauern kommen würde. Und danach sah es aus, es war nur eine Frage der Zeit. Heinrich wusste das.

Der Bischof, Konrad II. von Thüngen, hatte die Burg an Sebastian von Rotenhan übergeben, kein Krieger, sondern ein studierter Rechtsverdreher, eben einer wie viele der übrigen Herren auch. Immerhin aber ein Reichsritter und sich dieses Standes sehr bewusst. Das schätzte Heinrich an dem Mann. Er hatte binnen kürzester Zeit eine straffe und wirkungsvolle Organisation aufgebaut. Die gerade einmal 250 wehrtüchtigen Männer auf der Burg operierten nun innerhalb von 18 Rotten nach einem streng festgelegten Plan. Der feine Herr ebenso wie der einfache Landsknecht. Auch das gefiel Heinrich, obwohl er nicht wusste, warum er Gefallen daran fand. Ihrer aller Situation war fatal. Außerdem hatte Rotenhan alle Stellungen rund um die Burg überprüfen lassen, Wehrgangdurchbrüche wurden neu geschaffen, Scharten an strategischen Stellen in Mauern gebrochen, noch vor Zuspitzung der Lage mancher Baum gefällt und verschiedene Palisaden errichtet. Am faszinierendsten aber war ein System von langen Schnüren und Alarmglocken rund um die Beobachtungsposten der Burg, das ganz oben auf dem Bergfried zusammengeführt worden war. Drohte an irgendeiner Seite Gefahr, so meldete es die entsprechende Glocke und die Verteidiger waren in der Lage dort konzentriert den Feind zurückzuschlagen. Auch Heinrich war an diesem Abend für eine dieser Schnüre verantwortlich, die hinauf zu dem schon dreihundert Jahre alten Bergfried führten.

Jetzt sah er im Schein der Feuer Bewegungen und Schattenwürfe, die sich ganz und gar von denen der vergangenen Nächte unterschieden und ihm seltsam vorkamen. Mit mulmigem Gefühl zog er also mehrfach an der Alarmschnur.

***

In den Bischofsgemächern ging es eng zu. Mehrere Damen von Stand waren dort untergebracht worden, teilweise sogar in einem Raum mit den eigenen Zofen und Mägden, doch niemand beschwerte sich. Die Sicherheit wog in diesen Zeiten schwerer als verletzte Standesgefühle. Für den Fall des Beschusses mit schweren Kanonen oder eines Sturmangriffes waren sie aber auch hier nicht in Sicherheit, dann mussten sie alle in unterirdische Katakomben ausweichen und dort je nach Kriegslage tagelang ausharren. Der Kommandant der Burg hatte auch die Damen von Stand während der vergangenen Tage das Verhalten bei verschiedenen Alarmsignalen üben lassen. So wie er es bei allen anderen Gruppen auf seiner Festung tat. Nicht nur, dass auf diese Weise die Ordnung auch bei sogar schwersten Kriegshandlungen aufrechterhalten würde, es beschäftigte auch das Gemüt der auf engstem Raum zusammengepferchten und belagerten Menschen, wie er es seinen Hauptleuten immer wieder sagte. Man behielt die eigene Ruhe und eben dieses so sehr strapazierte Gemüt beieinander.

Nur die Schreibstube des Bischofs war nicht bewohnt, sondern wurde als Lage- und Beratungsraum genutzt. Sebastian von Rotenhan hatte diesen Ort im Obergeschoss des fürstlichen Trakts gewählt, weil von hier aus viele strategische Punkte rasch erreichbar waren und auch deshalb, weil der Blick aus dem Fenster hoch über die Stadt hinweg führte. Tat sich dort etwas, sah man es gleich von hier aus.

„Werden die Bauern uns vom Gleßberg aus beschießen?“, fragte Sebastian von Rotenhan.

„Ja, das werden sie, aber wir glauben nicht, dass sie mit ihren Feldschlangen unserer Burg großen Schaden zufügen können. Unsere eigenen Kanonen tragen besser als die ihren.“ Diese Worte sprach der sehr junge Domherr und kaum 20-jährige Melchior Zobel von Giebelstadt, der es einfach nicht wahrhaben wollte, dass sein älterer Vetter und Verwandter Florian Geyer einen bedeutenden Haufen dieser Tauberbauern anführte, die jetzt schon bei Heidingsfeld lagen.

„Aber wie viele haben wir davon? Zu wenig, um die Bauern wirklich zu prügeln.“

„Lasst uns etwas anderes versuchen und die Städtischen mit unseren Kanonen bestreichen. Sie reichen über den Fluss hinaus und wir säen so Furcht und vielleicht auch Zwietracht in die Herzen unserer Feinde.“

„Gebt die Befehle. Genauso werden wir es machen.“ Rotenhan war es für den Augenblick zufrieden, als in diesem Moment der Alarm losging.

***

Hans Bermeter hatte in den vergangenen fünf Tagen, seit er sich mit seinen Anhängern offen gegen den Rat der Stadt gestellt hatte, schon viele Reden geführt. Diese hier aber würde die bisher wichtigste sein und würde über das Schicksal von Würzburg und sowieso seiner selbst entscheiden. Laut erhob er seine Stimme: „Ihr braven Männer, ihr guten Bürger zu Würzburg, ihr tapferen Bauern, hört mich an! Wir müssen uns nun erheben und den nächsten Schritt tun. Zu lange schon hat sich die Herrschaft der Fürsten und Pfaffen genommen, was unserer Hände Arbeit mit Fleiß und Blut erschaffen hat. Zu lange schon nehmen die Fron und der Zehnt von Jahr zu Jahr zu, während sie uns die Wälder und das Wild immer weiter stehlen, nur um uns das Holz wie das Vieh dann immer teurer bezahlen zu lassen. Zu lange schon halten wir still in der ewig neuen Hoffnung, unsere Frauen und Kinder irgendwie mit dem Nötigsten noch einmal durch den nächsten Winter zu bringen.“

Zustimmendes Geraune und einzelne Zurufe. Bermeter hielt ein Flugblatt mit dem Titelblatt zu den 12 Artikeln und Forderungen der Bauern in die Höhe und wies mit dem anderen Arm Richtung Festungsberg.

„Damit aber hat es jetzt ein Ende. Unsere Forderungen sind gerecht, gottesfürchtig und in guten Worten gesprochen! Der Bischof ist geflohen! Nun bleibt uns nur noch den letzten Schritt bis hinauf auf den Berg zu tun und die vergangene Herrschaft dieser an unserer Not dick und satt gefressenen Fürsten und Pfaffen in den Staub zu treten!“

Anschwellender Jubel nahm Bermeter fürs erste die Kraft darüber hinweg zu rufen. Er schnaufte einen Moment lang durch, beruhigte sein erregtes Herz und befahl den weichen Knien, ihr leichtes Zittern einzustellen. Der Erfolg war mäßig, doch er hoffte, dass seine Schwäche nicht zu sehen war. Alles hing davon ab, dass die Ungeduldigen an seine Kraft und Überzeugung glauben würden, denn der Feind saß nicht nur dort oben auf der Bischofsburg, sondern fand sich gleichwohl auch unter ihnen selbst, nannte sich Rat der Stadt, Viertel- und Gildemeister, gar zaudernder Hauptmann dieses oder jenes Bauernhaufens wie dieser Götz, zu dessen Odenwäldern er gerade sprach. Jammerlappen und von trauriger Gestalt waren sie, alle miteinander! Die Zeit drängte, man durfte mit dem Sturm auf die Festung nicht länger warten. Während diese feigen und zögerlichen Kerle von Palaver zu Palaver eilten, zog bereits ein Fürstenheer des Schwabenbundes dem Maintal entgegen. Sie brauchten diese Burg auf dem Berg und sie brauchten sie verdammt nochmal jetzt! Und sei es nur, um sie niederzubrennen und zu schleifen. Bermeter hatte sich wieder etwas gesammelt und auch der Jubel kam zur Ruhe.

„Sie haben uns Würzburgische hingehalten, ein ums andere Mal. Sie haben den braven Bürgern der Stadt gesagt, es sei besser mit dem Bischof zu verhandeln, als die gerechte Sache von euch Bauern in unsere Stadt zu bringen. Sie haben sich mit den Führern eurer Haufen und den Städten der fränkischen Lande geschrieben und allenthalben Landtage abgehalten, nur um euch von unserem Würzburg abzuhalten. Der alten und ehrwürdigen Stadt, in der es der Landesherr als ach so hochwohlgeboren Adeliger und Pfaffe in derselben Gestalt schon lange am schändlichsten von allen treibt. Genug ist genug! Wir schauen dem gottlosen und lästerlichen Treiben keinen Tag noch länger zu. Die üblen Anführer, städtischen Räte und Hauptleute halten uns nicht mehr auf. Wir stellen Gottes Willen auf Erden wieder her. Lasst uns die Burg nehmen und dann das ganze fränkische Land!“

Bermeter wurde von seiner eigenen Rage und Kraft überrascht, ebenso von der Pause in seinen Worten, die er nun ganz unvermittelt einlegte. Atemlos horchte er in die vom hitzigen Klang seiner Stimme gebannte Menge, konzentriert ging der Blick von einem eingefangenen Augenpaar zum anderen. Ein kurzer Moment nur, aber er dauerte in Bermeters Wahrnehmung an wie ein ganzes Leben.

„Auf zum Sturm! Morgen früh schon. Schlagen wir die Herrschaft und ihr elendes Gesindel endlich tot!“

„AUF ZUM STURM. WIR SCHLAGEN SIE ALLE TOT! AUF ZUM STURM!“, erscholl es tausendfach zurück.

1 Wepner – Alter Ausdruck für Soldat beziehungsweise Gewappneter. Cronthal verwendete diesen Ausdruck in seinen Aufzeichnungen.

2 Alter Ausdruck für Kanonenrohre.

Anno 1525: Der Stadtschreiber zu Würzburg

Подняться наверх