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Kein Licht ohne Schatten: Abseits der Glitzerwelt der 1. Bundesliga spielen Millionen Männer und Frauen im Verein Fußball. Sie fühlen sich immer weniger wertgeschätzt und zunehmend als Melkkuh der Verbände. Es brodelt – von der Regionalliga bis hinunter in die Kreisklasse C.

Der 1. FC Magdeburg blickt auf eine ruhmreiche Geschichte zurück. Das wissen in der sachsen-anhaltinischen Hauptstadt und in deren Einzugsgebiet noch so viele Menschen, dass der FCM auch im 21. Jahrhundert immer noch ein Zuschauermagnet ist. Und das, obwohl er seit der Wende nicht mehr viel gerissen hat. Doch die Fans aus der Bördestadt machten in all den Jahren eine irritierende Beobachtung, denn sobald sie irgendwo in Westdeutschland unterwegs waren, passierte ihnen das Gleiche wie Anhängern von Rot-Weiss Essen, die es in den Norden, nach Bayern oder nach Sachsen verschlug: Irgendwie hatten die Leute dort schon mal von ihrem Verein gehört, aber das war in einer Epoche, als die Zeitungen noch mit Schwarz-Weiß-Bildern gedruckt wurden und die Menschen sie noch lasen.

Doch würden Fans aus Essen oder Magdeburg am Alpenrand erzählen, dass ihr Verein in der Kreisliga B gelandet sei oder sich aus dem Vereinsregister habe streichen lassen, würde jeder mit traurigem Blick nicken. Dabei spielten Magdeburg und Essen nur jahrelang in der 4. Liga – also exakt der Spielklasse, die in der öffentlichen Wahrnehmung meilenweit unter dem Radar läuft. Auch die 3. Liga, in der Magdeburg inzwischen spielt, wird von vielen Menschen ignoriert, für die die internationalen Spiele der Bayern oder des BVB Feiertage sind, die aber schon Augsburg oder Hannover für »kleine Vereine« halten. Ein paar Millionen Menschen verfolgen die Liga aber dann doch, denn was Duisburg, Bielefeld, Dresden oder der KSC dort so treiben, wird jeden Samstag in der Sportschau gesendet.

Nun ist der Fall von der 2. Liga in die 3. Liga schon mit einem denkbar harten Aufprall verbunden. Denn mit einem Mal sinkt das Fernsehgeld um mehr als 90 Prozent – der KSC bekam nach dem Abstieg im Sommer 2017 rund 700.000 Euro; hätte er die 2. Liga gehalten, wären es 11,9 Mio. Euro gewesen. Aber immerhin fließen in der 3. Liga überhaupt noch TV-Gelder. Die Regionalliga hingegen ist die Horrorvision eines jeden Managers im bezahlten Fußball. Wer dort gelandet ist, wird vergessen: von der überregionalen Öffentlichkeit, von den Medien und vom offiziellen Fußball. Und als ob das nicht schon deprimierend genug wäre, hat Letzterer auch noch beschlossen, den Aufstieg beinahe zu einem Ding der Unmöglichkeit zu machen. Ein Verein, der das Urteil »Regionalliga« erhalten hat, weiß, dass er gute Chancen hat, lebenslänglich für die Sünden der Vergangenheit zu büßen. »Die 3. Liga wäre für uns schon eine Erlösung«, sagt Offenbachs Geschäftsführer Christopher Fiori. »Wir haben unsere Strukturen ja schon völlig ausgedünnt, bis an die Grenzen der Belastbarkeit. Auf Dauer ist diese Liga ganz einfach nicht zu finanzieren.« Was die faktisch fehlenden Fernsehgelder angeht, sieht Fiori im Übrigen den Verband in der Pflicht: »Im Grunde ist selbst die Hessenliga besser vermarktet. Das sollte doch diejenigen nachdenklich stimmen, die so tun, als betrieben die Vereine einfach Missmanagement.«

Zuschauerschreck FC Ingolstadt II

Und noch ein weiterer Kritikpunkt ist seit 2010 virulent: Die Zweitmannschaften der Erst- und Zweitligisten waren schon damals in den Ligen drei und vier so unbeliebt, wie sie es heute sind. Der mächtige Landesverband Westfalen forderte deshalb seinerzeit eine eigene Spielklasse für die Nachwuchsmannschaften. Doch dieser Vorschlag scheiterte am Widerstand der Profivereine. Die Folgen tragen nun allerdings die Regionalligisten, vor allem deren Kassenwarte. An Spielen gegen Fortuna Düsseldorf II oder Ingolstadt II hat in Oberhausen oder Bayreuth kaum jemand Interesse. Kein Zuschauer kommt in Verl oder Essen, weil er Gladbach II sehen will.

Kein Wunder, denn nicht einmal zu Hause will sie jemand sehen. Im Südwesten belegen die Nachwuchsmannschaften von Hoffenheim und Lautern die letzten beiden Plätze im Zuschauerranking, im Westen die von Köln, Schalke, Gladbach und Düsseldorf die letzten vier. In Bayern finden die Spiele von Nürnberg II, Augsburg II oder Ingolstadt II praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Von den sage und schreibe 21 Zweitvertretungen, die in der Saison 2016/17 in den Regionalligen kickten, hatten einzig und alleine die von Borussia Dortmund und 1860 München mit durchschnittlich 1.900 bzw. 1.300 Zuschauern eine nennenswerte Anhängerschaft – was allerdings auch an den beiden bei Fans beliebten Spielstätten Rote Erde und Grünwalder Stadion liegen dürfte.

Und ihre fehlende Attraktivität ist nicht der einzige Kritikpunkt an den U-Mannschaften. Deren Strategen schrecken nämlich nicht davor zurück, in wichtigen Spielen massenhaft Profis einzusetzen. Als sich Greuther Fürth II im Sommer 2017 mit Ach und Krach in der Abstiegsrelegation rettete, waren acht Profis im Aufgebot der Franken. So ist es fast immer und überall, wenn es um den Klassenerhalt geht. Das ist natürlich nichts anderes als Wettbewerbsverzerrung, aber legal. Also wird es gemacht.

Dass die Zweitmannschaften überhaupt in den Regionalligen spielen dürfen, sagt deshalb auch einiges über die Machtverhältnisse im deutschen Fußball aus – gegen den Willen des Profifußballs läuft selbst in Spielklassen nichts, die ihn eigentlich nicht tangieren. Die Verantwortlichen der Erst- und Zweitligisten wollen mehrheitlich, dass ihr Nachwuchs in einer Liga spielt, in der er in Sachen Zweikampfhärte und Atmosphäre auf den Profifußball vorbereitet wird. In Aachen, Essen oder Mannheim herrscht eben eine Stimmung, die gut ausgebildete 19-Jährige sonst nicht erleben können. Anders gesagt: Der Regionalliga bringen die U-Mannschaften nichts, umgekehrt ist das durchaus der Fall. Durchgesetzt hat sich, wie fast immer, wenn es in Deutschland um Fußball geht, der Profifußball.

Verhasste Relegation

Doch die U-Mannschaften sind nur ein Problem der Regionalligen, deren Malaise allerdings auch daran liegt, dass sie zu selten mit einer Stimme sprechen. Über die zu geringe finanzielle Ausstattung klagen alle. Über den Aufstiegsmodus, wonach eine Relegation das Prinzip ersetzt, dass der Meister einer Spielklasse aufsteigt, klagen naturgemäß vor allem die Vereine, die sich selbst eher in der 3. oder gar 2. Liga sehen. Ansonsten divergieren die Interessen zwischen den einzelnen Landesteilen so stark wie zwischen den großen Traditionsvereinen und ambitionierten Dorfoder Kleinstadtklubs wie Buchbach oder Memmingen, die sich in der Regionalliga Bayern gut aufgehoben fühlen. Doch in den Regionalligen gibt es eben auch dutzende ambitionierte Traditionsvereine.

Einer der prominentesten Kritiker der Relegationsspiele ist dann auch Claus-Dieter »Pelé« Wollitz, seines Zeichens Trainer des Nordost-Regionalligisten FC Energie Cottbus, dessen sehr grundsätzliche Kritik an den Spitzenverbänden des deutschen Fußballs im Februar 2017 für Aufsehen sorgte. »Der DFB verkauft ja immer so gerne Werte, aber diese Regelung hat mit Werten wie Anstand und Respekt nichts zu tun«, sagte der Ex-Profi bereits im März 2016 in einem Interview mit dem Kicker. Wenn Zufälligkeiten und Unwägbarkeiten wie Tagesform, Verletzungen, Krankheiten oder Schiedsrichterfehlentscheidungen das zunichte machen könnten, was man sich zuvor eine Saison lang aufgebaut habe, liege etwas grundsätzlich im Argen. »In 34 oder 36 Spielen kann man vieles korrigieren, dann ist eine Arbeit bewertbar, in zweien ist das nicht der Fall.« Die Bekenntnisse der Verbandsspitze zum unterklassigen Fußball seien verlogen: »Wie der DFB die kleinen Vereine unterstützt, ist an Lächerlichkeit nicht zu überbieten.« Eine Verachtung, die sich nicht zuletzt am Aufstiegsmodus festmacht, der einen Sturm der Entrüstung auslösen würde, käme er in höheren Spielklassen zum Einsatz.

Es wäre übertrieben zu behaupten, dass zwischen den Vereinen und ihren Fans in allen Fragen des Fußballalltags traute Einigkeit bestünde. Doch was die Relegationsspiele betrifft, da sind Fans und Vorstände der Regionalligavereine seit eh und je völlig einer Meinung: Die Playoffs, die sich wie ein mit Krokodilen besetzter Burggraben zwischen der vierten und der dritten Spielklasse erstrecken, gehören abgeschafft. Und zwar lieber heute als morgen.

Auch 2017 äußerten sich alle Trainer und Manager der sechs Regionalliga-Aufstiegsaspiranten vernichtend über den Modus, mit dem ermittelt werden soll, welche drei Glücklichen nach einer erfolgreich bestrittenen Saison denn nun in die 3. Liga aufsteigen dürfen. Der Nordost-Meister, also der beste Regionalligist von gleich fünf Bundesländern? Der aus Bayern? Oder doch der Zweite aus dem Südwesten? Kein Wunder also, dass die Vertreter von Jena und Viktoria Köln genauso Klartext sprachen wie die von Meppen, Mannheim, Unterhaching und Elversberg. »Ich finde die Relegationsregelung völlig bescheuert«, sagte Jenas Coach Mark Zimmermann. »Es ist ein Unding, dass der Meister nicht direkt aufsteigt. Aber da bin ich nicht der Einzige.« Bei Weitem nicht, Viktorias sportlicher Leiter Stephan Küsters stieß ins selbe Horn: »Dass wir als Meister noch durch die Relegation müssen, ist eine Frechheit.«

Doch DFB und DFL haben sich nun mal darauf geeinigt, dass seit 2012/13 in zwei Entscheidungsspielen eine ganze Spielzeit auf den Kopf gestellt werden kann. Nur drei der 91 Regionalligavereine schaffen deshalb den Aufstieg. In der 2. Liga sind es zwei oder drei – von 18. Das alles widerspricht nicht nur jeder sportlichen Logik, das ist auch finanziell ruinös, denn natürlich schrecken Sponsoren davor zurück, ihr Geld in einen Verein zu stecken, der theoretisch 38 Spiele gewinnen könnte und dennoch in einer Liga verbleiben müsste, um die die meisten TV- und Fotokameras einen großen Bogen machen. Umso bitterer, wenn dann noch fragwürdige Schiedsrichterentscheidungen über Auf- und Abstieg entscheiden. Der heutige Drittligist Karlsruher SC wäre 2015 in die 1. Liga aufgestiegen, wenn es dem Schiedsrichter des Relegations-Rückspiels gegen den Hamburger SV, Manuel Gräfe, nicht gefallen hätte, wenige Sekunden vor Schluss als mutmaßlich einziger Mensch im Stadion ein ahndungswürdiges Handspiel eines Karlsruher Spielers zu erkennen. Den darauf verhängten Freistoß nutzte der HSV prompt zu einem Tor.

Dass Irren menschlich ist, darf in dem Fall nicht als Relativierung herhalten, im Gegenteil. Denn gerade weil Menschen irren, ist es unverantwortlich, routinemäßig Alles-oder-nichts-Spiele anzusetzen, die dann durch die getrübte Sinneswahrnehmung eines einzigen Menschen entschieden werden können. Das ist schon bei einem Spiel am 13. Spieltag ärgerlich. Bei Partien, in denen es um die Zugehörigkeit zur Spielklasse und – bei der Relegation zwischen 1. und 2. Liga – um hohe zweistellige Millionenbeträge geht, ist es grob fahrlässig. Relegationsspiele haben viel mit Lotterie zu tun, viel mit Entertainment und wenig mit Sport.

Ein Spektakel moderner Gladiatoren

Genau aus diesem Grund ist die Relegation ligaübergreifend auch in den Fanszenen denkbar unbeliebt. Es ist kein Zufall, dass auch 2017 bei allen Relegationsspielen »Fußball-Mafia DFB« respektive »Scheiß DFB« gerufen wurde – zum Teil selbst von den Haupttribünen, die auch die zahlreichen Transparente gegen die vermeintlichen Endspiele beklatschten. Sicher wäre es zynisch, wenn man Fanausschreitungen wie beispielsweise in Braunschweig oder München ausschließlich der Relegation zuschriebe. Denn kein noch so kruder Spielmodus rechtfertigt Gewalt. Doch die Verbände sollten sich schon fragen, ob es nicht heuchlerisch ist, nach Ende der Saison noch einmal Spieler (und damit auch Fans) in zu Alles-oder-nichts-Partien hochgejazzten Duellen aufeinandertreffen zu lassen und sich dann zu wundern, wenn die Emotionen auf dem Platz und auf den Rängen über den Eichstrich der Zivilisation hinausschießen. So zumindest sieht es Daniel Schneider, der Vorsänger der Karlsruher »Phönix Sons«, der über die Relegationsspiele schon 2012 sagte, es sei »fast wie bei Gladiatoren: In der Arena kämpft man ums Überleben, und die feinen Herrschaften amüsieren sich darüber.«

Die von DFB und DFL nach US-Vorbild zur Saison 2008/09 wieder eingeführten Relegationsspiele zur Bundesliga sind dann auch wieder ein augenfälliger Beweis, dass die Verbände zunehmend ihren eigenen Sport und dessen Charme nicht ernstnehmen. Wenn man als souveräner Meister nicht aufsteigen darf, ist das sportwidrig, ebenso wie auch der Drittletzte der 1. Liga einfach keinen weiteren Fallschirm verdient hat – sondern nichts anderes als den Abstieg. Umso beachtlicher, dass mit Jens Todt der Manager des HSV, der sich in den letzten Jahren zweimal nur durch die Relegation in der 1. Liga halten konnte, deren Abschaffung verlangte. Er zeigte damit die gleiche Größe wie Frankfurts Trainer Niko Kovač, der nach den gewonnenen Relegationsspielen 2016 gegen Nürnberg ebenfalls deren Ende forderte.

Doch um solche Argumente geht es kaum mehr im deutschen Fußball. Es geht nicht um die Fanszenen, und auch Fairness spielt immer weniger eine Rolle. Was zählt, ist der Fernsehzuschauer, denn der sitzt vor dem Medium, das das Geld einbringt. Und natürlich schaut sich ein fußballinteressierter Mittfünfziger vor irgendeinem Fernsehapparat in irgendeiner Stadt auch nach der Saison gerne ein weiteres Fußballspiel an, wenn ihm vorher ein paar Tage lang erzählt wurde, wie »brisant« und »dramatisch« doch alles wieder sei. 90 weitere Minuten Entertainment fürs Fernsehpublikum – genau darum geht es.

Todesfalle Regionalliga

Zurück zur Regionalliga, also der Spielklasse, die wie keine andere vom Relegationsunsinn betroffen ist, für deren Vertreter das aber nur ein Faktor von vielen ist, der für tiefen Frust sorgt. Unzufriedenheit bis hin zu offener Wut herrscht nämlich nicht nur bei den Vereinen, die wie Cottbus, Mannheim, Viktoria Köln oder Elversberg kurz vor bzw. sogar in den Relegationsspielen gescheitert sind, sondern bei all den gut 15 Klubs, die sich in den fünf Staffeln zu Höherem berufen fühlen, zum Beispiel also Aachen, Essen, Oberhausen, Saarbrücken und Lok Leipzig. Seit 2011 bzw. 2013 sind Essen und Aachen viertklassig. Und dennoch hatten beide selbst in der sportlich völlig unbefriedigenden Spielzeit 2016/17 einen Zuschauerschnitt um 7.800 (Essen) bzw. 6.500 (Aachen) und standen damit besser da als Zweitligist SV Sandhausen.

Allerdings haben die erwähnten Vereine mit ihren vielen tausend Fans in aller Regel vor dem Absturz auch gravierende Fehler gemacht und unseriös gewirtschaftet. Doch zu Recht haben sie das Gefühl, dass sie seither – in der Regionalliga – noch so seriös arbeiten könnten und dennoch keine Chance mehr hätten, jemals wieder nach oben zu kommen. Eine Krux, die aus ihrer Sicht fast zwangsläufig dazu führt, alles auf eine Karte zu setzen, sich also derart zu verschulden, dass sie die aufgenommenen Kredite bei einem Aufstieg bedienen könnten, ansonsten aber finanziell vor die Wand fahren. »Wir haben hier in der Regionalliga immer wieder Vereine, die ihren Spielern um die 7.000 Euro an Grundgehalt zahlen, mit Lohnnebenkosten und Prämien sind sie dann schnell bei 12.000«, sagt ein Insider aus der Regionalliga Südwest.

Vor dem Dilemma, dass die Rahmenbedingungen ihrer Spielklasse fast schon dazu verleiten, unseriös zu wirtschaften, wenn man nicht die nächsten zehn Jahre auf Platz 13 verbringen will, stehen letztlich auch die Drittligisten. Denn wirklich etwas zu verdienen ist nur dort, wo die Gelder aus dem üppigen TV-Vertrag verteilt werden, den die DFL ausgehandelt hat: in der 2. und erst recht in der 1. Liga.

Kein Wunder also, dass in der Saison 2016/17 so viele Vereine Insolvenz anmelden mussten oder sogar komplett von der Landkarte verschwanden. Dass darunter große Traditionsvereine sind, ist erst recht kein Zufall. Nachdem 2016 Kickers Offenbach mal wieder am Ende war, stellten 2017 weitere Vereine einen Insolvenzantrag, die einst mindestens in der 2. Liga gespielt haben und allesamt ein deutlich überdurchschnittliches Zuschaueraufkommen nachweisen. Alemannia Aachen und Hessen Kassel haben es dabei so geschickt angestellt, dass sie 2017/18 mit Punktabzügen weitermachen dürfen – die Hessen mit einem Punktabzug von neun Zählern. Die Sportfreunde Siegen und der FC Schönberg aus Mecklenburg-Vorpommern wollen sich die Regionalliga hingegen nicht mehr leisten und ziehen sich in den Amateurfußball zurück. Damit komplettieren sie die illustre Liste all der Traditionsvereine, die in den vergangenen Jahren ebenfalls zum Insolvenzberater mussten: Rot-Weiss Essen, Wuppertaler SV, SSV Ulm, FC Homburg, Borussia Neunkirchen, VfB Lübeck, SSV Reutlingen, FC Gütersloh, Rot Weiss Ahlen, Bonner SC, FSV Zwickau, 1. FC Lok Leipzig oder zuletzt der VfR Aalen und FSV Frankfurt. Oft fehlten nur fünfstellige Euro-Beträge. Das ist in der 1. Liga das Salär eines Durchschnittskickers bei einem Durchschnittsverein. Wohlgemerkt, das Monatssalär.

Sponsoren: schwierig

Nachdenklich stimmen sollte dann auch die Erklärung des Siegener Vorstands Gerhard Bettermann: »Die 3. Liga besitzt Argumente. Aber gegenüber der Regionalliga sind potenzielle Sponsoren skeptisch«, sagte er dem Bonner General-Anzeiger. »Viele sagen dann: Wenn ihr in der 3. Liga seid, können wir noch mal reden.« Doch in die 3. Liga kommt man eben nur mit einem ungesund hohen Etat – ein Teufelskreis, mit dem ein Verein wie Siegen allerdings insofern nichts zu tun hat, als er schon den Normalbetrieb in der 4. Liga nicht stemmen kann. »Seit drei Spielzeiten gibt es eine Unterdeckung des Etats, die immer wieder nur durch privates Engagement von Gönnern geschlossen werden konnte. Die Leute können und wollen wir nicht immer wieder beknien.« Seine Schlussfolgerung: »Man muss ehrlich sein und den Tatsachen ins Auge sehen – Siegen kann sich die Regionalliga nicht leisten.« Doch das gilt nicht nur für Siegen, das – wie im Nordosten Schönberg – nicht auf Profitum setzte, keine überhöhten Gehälter zahlte und sich auch sonst keinesfalls dem Größenwahn hingab.

Und genau das ist das Problem, denn ohne entsprechend kostspielige Strukturen und Spieler ist es fast unmöglich aufzusteigen. Das Vabanquespiel ist systemimmanent. Die Vereine stehen vor der Alternative, ein bisschen in der 4. Liga vor sich hin zu kicken und langsam, aber sicher der Vergessenheit anheimzufallen – oder ins Risiko zu gehen. Das führt dazu, dass selbst die Vereine, die den verständlichen Ehrgeiz ihrer vielen Fans bändigen, indem sie auf die wirtschaftliche Vernunft verweisen, davon nichts haben. Denn investorengetriebene Vereine mit wenigen Fans werden an ihnen vorbeiziehen, wenn sie nicht versuchen, finanziell mit ihnen mitzuhalten.

»Profis« seien »in dieser Liga auf Dauer nicht zu finanzieren«, weiß dann auch Dirk Mazurkiewicz, der Präsident des West-Regionalligisten Bonner SC. Wie der Verein rechnet, hat der sportliche Leiter, Thomas Schmitz, dem General-Anzeiger im März 2017 berichtet: »Die Mannschaft kostet in dieser Saison 350.000 Euro. Darin enthalten sind die Sozialversicherungsbeiträge und Abgaben für die Berufsgenossenschaft – immerhin 1.200 Euro pro Spieler pro Jahr. Bis auf vier Akteure, die beim BSC fest angestellt sind, spielt der Rest der Mannschaft auf 450-Euro-Basis. Hinzu kommen Fahrgeld und Prämien. Auf der Homepage des Klubs sind 28 Spieler gelistet. Durchschnittlich kostet ein Fußballer den BSC also rund 1.000 Euro pro Monat. Das Spitzensalär beträgt 2.000 Euro.«

Ähnlich wirtschaftet man beim FC Nöttingen, einem mittelständisch strukturierten Verein aus Baden, der auf Amateure setzt und seit Jahren zwischen Oberliga und Regionalliga pendelt. »Profitum in der Regionalliga geht eigentlich nicht«, sagte dessen Vorsitzender Dirk Steidl der Pforzheimer Zeitung. Viele Klubs zahlten schlicht deutlich höhere Gehälter, als sie sich leisten könnten, glaubt Steidl, der für seinen Verein in der Regionalliga mit 350.000 Euro kalkuliert. Mehr als in Bonn oder Nöttingen sollte wohl generell in der Regionalliga nicht bezahlt werden – sonst droht der finanzielle Kollaps.

Es sei denn, man verfügt über einen klassischen Mäzen wie Franz-Josef Wernze bei Viktoria Köln oder man ist ein Provinzklub, der das Glück hat, von einem reichen Geschäftsmann zum Betätigungsfeld erkoren worden zu sein. Davon gibt es einige in den fünf Regionalligen. Auch der Meister der Regionalliga Südwest, der SV Elversberg, wäre ohne seinen Gönner und Präsidenten Dominik Holzer, den Chef eines Pharmakonzerns, ein ganz normaler Dorfverein. So wäre beinahe eine Mannschaft in die 3. Liga aufgestiegen, die bei Heimspielen kaum einmal mehr als 1.000 Zuschauer hat.

Aufstieg? Lieber nicht

2010 wurden die Abschaffung der dreigleisigen Regionalliga und die Einführung der fünfgliedrigen zur Saison 2012/13 beschlossen. In jener Saison wechselte auch die Hauptverantwortlichkeit für die Regionalliga vom DFB auf die Landesverbände. Vor der Ligareform 2012 hatte der Deutsche Fußball-Bund immerhin noch mehr als 5 Mio. Euro an die Vereine der drei Staffeln ausgeschüttet, nun fließt gar nichts mehr, doch die Kosten sind gestiegen. Kein Wunder also, dass mehr als ein Dutzend Klubs seitdem auf den Aufstieg verzichtet hat. Hunderte Oberligisten meldeten aus finanziellen Gründen erst gar nicht für die nächsthöhere Spielklasse, um im Fall der Fälle nicht tatsächlich hochzumüssen. So kommt es immer wieder zu Konstellationen, die mit einem regulären und fairen sportlichen Wettbewerb nichts mehr zu tun haben. In der Saison 2015/16 etwa nahm Altona 93 an den Aufstiegsspielen zur Regionalliga teil – und das als Tabellensechster! Die ersten fünf der Oberliga Hamburg hatten dankend abgewunken. 2014 wollte sogar kein einziger Verein aus Hamburg, Mittelrhein und Hessen aufsteigen.

Noch ein paar Jahre zuvor, als die Regionalliga in ihrer jetzigen Struktur aus der Taufe gehoben wurde, hatte man sich das ganz anders vorgestellt. Die Regionalliga sollte ein Erfolgsmodell werden, ein Fest für jene Fußballfreunde, die alle paar Wochenenden Lokalderbys sehen wollen, vor gut gefüllten Rängen und auf einem sehr ordentlichen sportlichen Niveau. Das ist tatsächlich eingetreten, ansonsten blieben die meisten Versprechen unerfüllt – zumindest für die Vereine. Die Reform stärkte allerdings die Landesverbände des DFB. So wurden die Vermarktungsrechte an die Verbände abgetreten, die nun auch Gebühren für Ton- und Bildaufnahmen kassieren können. Schon daran entzündete sich Kritik. Dabei ist weitgehend unstrittig, dass Vereine wie der VfR Garching oder die TSG Sprockhövel unterm Strich gut mit der zentralen Vermarktung fahren. Doch viele Vereinsvertreter halten dem DFB und seinen 21 Untergliederungen vor, einen überdimensionierten Apparat zu alimentieren. Es spricht einiges dafür, dass dem deutschen Fußball wie auch der deutschen Politik schon bald eine Föderalismusdebatte droht. So richtig einsichtig ist es ja auch nicht, dass es einen Südbadischen und einen Badischen Fußballverband geben muss. Eines ist jedenfalls klar: Eine Liga, in die viele gar nicht hineinwollen und aus der zwei von fünf Meistern nicht hinausdürfen, hat ein ziemlich großes Problem.

»Regionalliga muss Regionen abbilden«

DFB-Vizepräsident Rainer Koch will das gar nicht in Abrede stellen, aber beim intensiven Gespräch im April 2017 in den Räumen des Bayerischen Fußball-Verbands die Gelegenheit nutzen, um einmal mit ein paar Vorurteilen über sich, den BFV und die Regionalligen aufzuräumen. Koch weiß ja, dass von Nord bis Südwest gerne kolportiert wird, die derzeitige Ligeneinteilung mit Bayern als einer von fünf Spielklassen sei ein Zugeständnis an das mächtige Bundesland mit seinem mächtigen Fußballverband gewesen. Kompletter Unsinn, wie Koch versichert, sein BFV habe 2012 zwar auf die Eigenständigkeit gedrängt, sich aber generell für eine stärkere Regionalisierung eingesetzt. »Wir wollten damals acht Spielklassen, konnten uns damit aber nicht durchsetzen.« Mehr Lokalderbys, kürzere Reisen – Koch findet die Idee noch heute charmant. Die »Region« in »Regionalliga« will er durchaus wörtlich verstanden wissen.

Die Klagen der Großen – von Saarbrücken bis Essen und von Aachen bis Cottbus – findet er nicht nur in der Sache unbegründet. Man merkt ihm auch an, dass er im Zweifelsfall lieber die Interessen der kleineren Vereine vertritt, wenn die im Widerspruch zu denen derjenigen stehen, die schon mal in der 2. oder 1. Liga gespielt haben und lieber heute als morgen dorthin zurückwollen. Ohne Vereine beim Namen zu nennen, sagt er also: »Eine Vereinspolitik, die Insolvenz in Kauf nimmt im Falle eines Scheiterns, ist von vorneherein unseriös.« Wenn Vereine wie Lotte und Würzburg den Aufstieg schafften, müsste das für die großen Beschwerdeführer mit ihren vergleichsweise hohen Etats doch auch möglich sein. Und überhaupt: »Es kann doch nicht die Lösung sein, eine Ligareform zu konstruieren, die ausschließlich auf das Dutzend Vereine zugeschnitten ist, das unbedingt hochwill. Diese Klubs müssen aufhören, Lösungen vorzuschlagen, die nur ihnen nutzen. Das ist rücksichtslos gegenüber allen anderen, vor allem auch den fast 200 Oberligavereinen in Deutschland, für die die Regionalliga erreichbar bleiben muss.«

Man merkt, dass Koch, der fraglos – wie die meisten im bezahlten Fußball – ein guter Strippenzieher ist, jahrzehntelang auch auf dem Fußballplatz sozialisiert wurde. Denn er präsentiert ein Argument, das in der gegenwärtigen Debatte selbst von Traditionalisten nur selten zu hören ist: »Wenn Sie sich einmal die Landkarte des Fußballs anschauen und einen Strich von Nord nach Süd mittendurch ziehen, dann werden Sie feststellen, dass sie links vom Strich viele Menschen und wenige Schafe haben – und im Osten des Strichs ist es umgekehrt«, sagt Koch. Und während sein Gegenüber noch die Städte von links nach rechts und von rechts nach links gruppiert, fährt er fort: »Regionalliga muss Regionen abbilden, sonst macht man ganze Regionen platt.« Sprich: Neugersdorf, Meuselwitz und Hof haben genauso eine Existenzberechtigung in der 4. Liga wie Essen oder Mannheim. Koch bringt jetzt noch ein paar Vereine aus seinem Verband ins Spiel, Memmingen oder Buchbach, einen Marktflecken mit 3.000 Einwohnern, aber fast 900 Zuschauern im Schnitt. Der Subtext ist klar: Vereine, die solide wirtschaften, nicht mehr sein wollen, als sie sind, und Spaß daran haben, wenn einmal im Jahr neben Garching auch noch die Fanhorden des TSV 1860 München vorbeikommen, denen gehört seine Sympathie. Vor allem aber glaubt Dr. Rainer Koch, dass man so bescheiden wirtschaften muss wie Memmingen oder Buchbach, um in der Regionalliga bestehen zu können.

U23-Teams – eine Klasse für sich

Bliebe allerdings noch die Krux mit den Relegationsspielen, die das vermeintlich eherne Prinzip ersetzen, dass der jeweils Erste einer Spielklasse automatisch aufsteigt. Glücklich mit dieser Lösung ist niemand, schon gar nicht die Topteams. Doch es ist schwer, einen Konsens darüber zu erzielen, wie die Ligen zugeschnitten sein müssten, um die Aufstiegsregelung fairer zu gestalten. Würde man die Regionalliga wieder von fünf auf drei Staffeln reduzieren, hätte man wieder drei Aufsteiger – aber eben auch 40 Teams, die dann nur noch fünftklassig spielten. Das wäre jedenfalls ebenso wenig konsensfähig wie eine zweigleisige 3. Liga, in die man ebenfalls vier oder auch fünf Teams aufsteigen lassen könnte. Doch dafür sind weder die Dritt- noch die Viertligisten. Denn die wäre weder vermarktbar, noch wäre sie attraktiv für die Fans.

Zwei andere Lösungen wären allerdings fair und zumindest bei einer Abstimmung in den Regionalligen wahrscheinlich auch mehrheitsfähig. Eine Möglichkeit wäre, dass fünf Vereine in die 3. Liga auf- und fünf aus der 3. Liga absteigen, vorausgesetzt, man behält den an sich wenig umstrittenen Zuschnitt auf fünf Regionalligen bei. »Absolut zumutbar«, findet beispielsweise Offenbachs Geschäftsführer Christopher Fiori. »Das ist schließlich eine Zwanziger-Liga, da wäre das Opfer wesentlich geringer als der Unsinn, dass ein Meister nicht aufsteigen darf. Aber der wird den Regionalligisten seit Jahren zugemutet.« Ebenfalls sehr populär ist eine Zerschlagung der Regionalliga Bayern. Würde man die ausdünnen, so sagen viele Manager, ließe sich prima ein bundesweiter Zuschnitt auf vier Regionalligen gewährleisten.

Doch es gäbe noch eine viel bessere Lösung, eine, die auf Applaus in der 3. und 4. Liga stoßen und von den Fans bejubelt werden würde. Und das wäre eine Regionalliga ohne die U-Mannschaften der Profivereine. Für die könnte man eine Nachwuchsliga einrichten und hätte mit einem Mal 21 Regionalligisten weniger – also in etwa eine ganze Spielklasse eingespart. Vier Aufsteiger, vier Absteiger und überall glückliche Menschen. Nur nicht bei den DFL-Vereinen. Doch die müssten sich dann die Frage gefallen lassen, warum sie die Regeln in einer Liga bestimmen wollen, die sie ansonsten behandeln wie einen aussätzigen Verwandten, mit dem man partout nichts zu tun haben möchte.

Geheimes Zusatzabkommen

Die Probleme des DFB, sie fangen definitiv auf der Ebene der Landesverbände an. Und sie hören oben noch lange nicht auf, denn seit der Affäre um das »Sommermärchen«, in deren Folge Präsident Wolfgang Niersbach und sein Generalsekretär Helmut Sandrock hatten zurücktreten müssen, ist der DFB angeschossen: in der öffentlichen Wahrnehmung, in der ausweislich mehrerer Umfragen das Image des Verbands stark gelitten hat, und natürlich infolgedessen auch gegenüber der DFL, die im deutschen Fußball schon lange den Ton angibt und seit dem Herbst 2015 erst recht Oberwasser hat. »Damals war der DFB am Implodieren und Explodieren zugleich«, sagt ein Vertreter eines westdeutschen Landesverbandes des DFB. Vor diesem Hintergrund war es wohl schon ein Erfolg, Reinhard Grindel gegen den erklärten Willen zahlreicher Granden aus den Profiklubs als neuen DFB-Präsidenten durchzubringen – auch wenn sich seither mancher fragt, woher eigentlich das Gerücht stammt, dass Grindel ein »Mann der Amateure« sei. Sieht man einmal davon ab, dass sein Desinteresse an den unteren Ligen nicht ganz so offensichtlich ist wie bei seinem Vorgänger Niersbach, hat sich seit dem Stabwechsel offenbar nicht viel geändert.

Koch, der sich im Vorfeld sehr für Grindel eingesetzt hatte, sieht das anders. Er lässt aber durchblicken, dass weder er selbst noch Grindel bei den Verhandlungen um die Verlängerung des Grundlagenvertrags unter diesen Vorzeichen mehr hätten aushandeln können als eine Lösung, die zum ersten Mal in den vergangenen Jahren so richtig ins öffentliche Bewusstsein rückt, wie enorm die Kluft zwischen dem Profifußball und seiner Basis geworden ist. Mit dem Grundlagenvertrag wurde der DFL vor 16 Jahren das Recht übertragen, die Vermarktungsrechte der Profiklubs eigenverantwortlich zu verwerten. Vereinbart wurde eine Art Pacht in Höhe von drei Prozent der Medien- und Ticketeinnahmen. Schon das war nicht viel, doch proportional müssen die Profis – wie kurz darauf enthüllt werden wird – jetzt noch weniger abgegeben, was man durchaus als getreues Abbild der Machtverhältnisse im deutschen Fußball deuten kann. Während auf die 36 Profiklubs jährlich 1,16 Mrd. Euro entfallen, hätten dem gesamten Amateurfußball gerade mal 35 Mio. Euro zugestanden, abzüglich der 20 Mio. Euro aus den Erlösen mit dem DFB-Team, die in umgekehrte Richtung fließen, wohlgemerkt. Doch selbst diese 15 Mio. Euro flossen letztlich nicht, denn es gab ein geheimes Zusatzabkommen zum Grundlagenvertrag.

Und wie vieles, das geheim gehalten wird, geschah dies deshalb, weil jemand, in diesem Fall der DFB, zu Recht einen Sturm der Entrüstung befürchtete. Demnach werden seit 2013 Zahlungsflüsse in beide Richtungen gedeckelt. So muss die DFL dem DFB pro Jahr nur 26 Mio. Euro zahlen und bekommt 20 Mio. Euro aus der dem DFB obliegenden Nationalmannschaftsvermarktung zurück. Per Saldo erhält der DFB also lächerliche 6 Mio. Euro aus einem TV-Vertrag, der für die Saison 2017/18 wieder einen Rekordwert ausweist, doch der Amateurfußball partizipiert an den Zuwächsen nicht mehr proportional. Auch hier geht die Schere also weiter auseinander. Die 36 deutschen Profiklubs erhalten pro Jahr rund 1,16 Mrd. Euro statt bislang 680 Mio. Euro an Medienerlösen. Doch dafür gibt der DFB noch einmal zusätzliche 5 Mio. Euro jährlich an die Landesverbände, on top kommen weitere 3 Mio. Euro aus eigenen Mitteln. Die DFL stellt noch einmal 2,5 Mio. Euro jährlich für konkrete Projekte im Rahmen des »Masterplans Amateurfußball« bereit. Zum Vergleich: Das entspricht dem Jahressalär eines leicht überdurchschnittlichen Bundesligaspielers.

Dass das alles aus Sicht des DFB, vor allem aber aus Sicht der 25.000 Fußballvereine, ein richtig schlechtes Ergebnis ist, weiß auch Rainer Koch. Er gab schon unmittelbar nach Veröffentlichung des Verhandlungsergebnisses ein Interview, in dem er betonte, dass das Amateur-lager enttäuscht sei, wobei auch er es damals nicht für nötig befand, die Öffentlichkeit über das Zusatzabkommen zu unterrichten. »Die 2,5 Mio. Euro lösen angesichts der 1,16 Mrd. Euro keine La Ola bei der Basis aus«, sagte Koch der Sport Bild: »Die Einheit des Fußballs zwischen Amateuren und Profis ist aber wichtiger als jeder Euro, und deshalb muss es darum gehen, die Liga zu überzeugen, dass sie von sich aus und freiwillig deutlich mehr Geld für die Talentförderung an der Fußball-Basis gibt.«

Kein Pirmasens-Trikot zu Weihnachten

Diesen Standpunkt vertritt er noch im April 2017: »Unser Weg ist es, die Einheit von DFB und DFL zu erhalten und dafür zu kämpfen, dass es finanzielle Verbesserungen für den Amateurfußball gibt.« Und an die Adresse von Amateurvertretern wie Engelbert Kupka und dessen Initiative »Rettet den Amateurfußball« gerichtet, ergänzt er: »Die sture Konfrontation mit der DFL bringt uns kein bisschen weiter.«

Dass der Kicker jüngst eine überaus erfolgreiche Serie mit dem Titel »Der Riss« gestartet hat, in der er über die Nöte und den Ärger an der Basis berichtet, sorgt bei Koch ebenfalls nicht für eine La Ola: »Objektiv gibt es diesen ›Riss‹ nicht«, sagt er, der sich gleichwohl in den letzten Jahren sehr viele Gedanken gemacht hat. Denn dass die Stimmung an der Basis oft miserabel ist, das stellt er ja gar nicht in Abrede: »Was stimmt, ist, dass an der Basis zum Teil das Gefühl herrscht, verlassen zu sein. Doch dieses Grundgefühl hat weniger mit den Verbänden als mit gesellschaftlichen Veränderungen zu tun. Der Staat zieht sich immer weiter zurück aus der Unterstützung von gesellschaftlichem Engagement – er pflegt z. B. die Sportanlagen weit weniger als früher – und findet keine Antwort auf den demografischen Wandel.« Dessen Folgen spüre der Fußball aber massiv: »In der Stadt, wo es viele junge Menschen gibt, fehlen die Sportanlagen, auf dem Land gibt es die, aber es fehlen die Sportler. In der Summe führt das dazu, dass Sportvereine sterben. Mit einer sinkenden Attraktivität von Fußball hat das nichts zu tun.«

Diese Analyse würde wohl vom Präsidenten eines fränkischen C-Klasse-Vereins bis zum Manager von Rot-Weiss Essen so gut wie jeder unterschreiben, doch während viele von denen die fehlende Wertschätzung der Verbände, vor allem aber die unfaire Verteilung der im Fußball erwirtschafteten Gelder anmahnen, ist Koch schon einen Schritt weiter. Weder glaubt er, dass sich die Kommerzialisierung zurückdrehen lässt, noch, dass der Trend dahin gehen wird, dass zehntausende Menschen sonntags wieder den Kick in ihrem Ort einer Übertragung auf Sky vorziehen werden.

Eine Rückkehr in die Vergangenheit, davon ist Koch überzeugt, die wird es deshalb nie mehr geben. Weder werden die Zuschauerzahlen bei den Amateuren plötzlich wieder anschwellen, noch werden die 2014 Geborenen es anders machen als der Jahrgang 2008 und sich massenhaft Shirts des FK Pirmasens oder des KFC Uerdingen statt von Bayern oder Barça zu Weihnachten wünschen. Deshalb hält Koch auch letztlich die gesamte Diskussion für rückwärtsgewandt. Nicht nur, weil jede grundsätzliche Veränderung an den realen Machtverhältnissen im Fußball scheitern würde, sondern weil der Fußball ein System ist, das in Wechselwirkung zum Rest der Gesellschaft steht. Er ist deswegen so kommerziell, weil die Gesellschaft so kommerziell ist.

Die Tim-Wiesierung des Amateurfußballs

Und weil man das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen kann und die Gesellschaft nun mal so eventfixiert ist, glaubt Koch, dass die unteren Ligen sich umstellen müssen. Mehr Thrill in der Endphase einer Saison, zusätzlich geschaffene Events, die die Kameras anlocken. Wer rückwärtsgewandte Lösungen propagiere, habe die Mehrheit der Menschen gegen sich. »Man wird an dieser Stelle auf Dauer nicht ansatzweise von der Bevölkerung unterstützt werden, weil die Gesellschaft nun mal eventisiert und auf Show ausgerichtet ist«, meint Koch. »Darauf müssen wir uns einstellen.«

Genau deshalb, findet er, müsse sich auch der Fußball an der Basis den Gegebenheiten anpassen und den Erfolg seiner Arbeit »nicht ausschließlich an der Zahl der verkauften Wurstsemmeln und Eintrittskarten« bemessen. Vielmehr gehe es darum, eine Antwort darauf zu finden, welche Chancen der Amateurfußball in einer veränderten Welt hat. »Eigentlich ist das, was wir anbieten, anachronistisch. Der wöchentlich wiederkehrende Rhythmus Dienstag, Donnerstag, Freitag Training und Sonntag Spiel hat nicht mehr viel zu tun mit moderner Jugendkultur«, weiß Koch. »Also müssen sich Verbände und Vereine etwas einfallen lassen für das Drumherum, müssen zum Beispiel einsteigen auf das, was die digitalisierte Gesellschaft zu bieten hat. Eine Antwort sind da zum Beispiel Live-Übertragungen und Highlight-Clips im Internet.«

Eine Antwort sind für Koch deshalb auch solche Events, wie sie im April 2017 der Kreisligist SSV Dillingen veranstaltete, als er für eine Partie den mit dem Präsidenten befreundeten Tim Wiese anheuerte. 1.000 Zuschauer kamen ins Stadion, über 700.000 Videoaufrufe verzeichnete alleine die Seite des Bayerischen Fußball-Verbandes, die das Spiel samt Drumherum übertrug. Und endlich hatte auch die Generation Facebook mal etwas zu besprechen, das nicht mit Ronaldo, Messi, Reus oder Neuer zu tun hatte. Genau wie es Koch vorschwebt: »Die Frage muss lauten: Was muss passieren, damit die heute Geborenen zu mir kommen, wenn sie im Alter von F-Jugendlichen sind? Das geht doch nur, indem ich ein Image schaffe, in dem transportiert wird, dass nicht nur Real, Bayern oder der BVB toll sind.«

Deswegen, so Koch, könne er auch die Klagen über die Liveübertragungen nicht nachvollziehen, die künftig bundesweit verstärkt im Internet gezeigt werden sollen. Es könne schon sein, dass der eine oder andere Zuschauer wegbleibe, weil er dann das Auswärtsspiel eben auf der Couch verfolge. Das müsse man allerdings mit dem Imagegewinn verrechnen. Das Beispiel Tim Wiese zeige doch, dass es einfacher sei, »zweimal im Jahr 600 statt 200 Zuschauer zu haben als 17-mal 30 mehr«. Kurzum: »Du wirst die Uhr nicht zurückdrehen und auch nicht die eventisierte Gesellschaft abschaffen können. Also musst du schauen, dass du selbst hin und wieder Events schaffst.«

Wäre es unfair, diesen Gedanken mit dem DFB-Pokalfinale 2017 zu verquicken? Vielleicht, schließlich war es nicht Rainer Koch, der auf die Idee kam, in der Halbzeitpause des Spiels zwischen Dortmund und Frankfurt Helene Fischer auftreten zu lassen. Doch seit dem 27. Mai 2017 dürfte es viele Millionen Menschen geben, für die ein für alle Mal bewiesen ist, dass beim DFB einige Leute arbeiten, die nicht so ganz instinktsicher sind, wenn es darum geht zu beurteilen, welche »Events« man Fußballfans schmackhaft machen kann und welche nicht.

Play-off-Spiele für alle

Doch Helene Fischer hin und chinesische U20-Mannschaften her: Koch hätte in seinem Beritt, dem Amateurfußball, ja schon ein paar Ideen, wie der Fußball in den unteren Spielklassen weiter vorankommen könnte. Play-off-Spiele für den Aufstieg und den Abstieg schweben ihm vor, wohlwissend, dass bei aller Kritik an den Relegationsspielen eben auch in den unteren Ligen die Zuschauerzahlen deutlich höher sind, wenn es am Ende der Saison noch mal um alles geht. Manche Kreisliga-Relegation findet da vor 800 Zuschauern statt, bei Aufstiegsspielen zur Oberliga kommen – wie beim Spiel des Freiburger FC gegen Backnang – schnell mal über 2.000 Zuschauer. Warum also sollte man nicht flächendeckend für ein paar Zuschauermagneten mehr sorgen? »Fußball ist die einzige Sportart, die noch auf Play-offs verzichtet; ich glaube, im Amateurfußball sind sie unausweichlich.«

Koch atmet tief durch, er ahnt, dass seine Pläne auf Widerstand stoßen werden, er glaubt aber, dass weite Teile der Basis ihn dabei unterstützen. Allemal zukunftsträchtiger jedenfalls seien Gedanken über die Zukunft als das, was er seit einigen Wochen immer wieder in der Zeitung und im Netz lese. Das Medienecho auf die Kampagne des langjährigen Hachinger Präsidenten Engelbert Kupka erscheint Koch vollkommen überdimensioniert. »Eine Initiative, die nach Monaten 1.400 Facebook-Likes hat und nicht einmal 100 von 25.000 Vereinen vertritt …«, schüttelt Koch den Kopf. »Die Initiative von Herrn Kupka bringt die Leute gegeneinander auf, anstatt die Stärken des Amateurfußballs zu entwickeln. Das und die Bereitschaft, mit einer Stimme zu sprechen, sind aber die einzige Chance, um den Amateurbereich wirklich nach vorne zu bringen.«

Solche Vorschläge, die für viele Fußballfans wie die Agenda des Grauens klingen, kommen von einem Mann, dem man zugutehalten muss, dass er weiter denkt als viele seiner Kollegen in den Landesverbänden. Wer sich in der Regionalliga Bayern oder den beiden Bayernligen umhört, erfährt, dass Koch im regen Kontakt mit den Vereinen steht, oft ist er am Wochenende auch auf der Tribüne. Das unterscheidet den BFV-Präsidenten, der privat möglicherweise gar nicht so viel Spaß an der Eventkultur hat, von vielen seiner 20 Kollegen, die lieber beim örtlichen Bundesligisten zuschauen oder dafür sorgen, dass sie in die Länderspieldelegationen für die Nationalmannschaft kommen. Über die wiederum kann sich ein anderer Mann stundenlang echauffieren, denn sie sind für ihn die Hauptschuldigen daran, dass der Amateurfußball von seinen eigenen Repräsentanten »verraten und verkauft« wird. Der Mann, der so prägnant formuliert, ist: Engelbert Kupka.

»Die Duma ist lebhafter als der DFB-Bundestag«

Von der Brienner Straße 50 in München, Sitz des BFV, zur Witneystraße 1 in Unterhaching sind es gerade einmal 25 Autominuten in südlicher Richtung. Kupka hat zum Interview in seine Anwaltskanzlei am Hachinger Stadtrand gebeten: schwere Holzmöbel, ein paar gerahmte Diplome, ein riesiger Aktenberg, rechtwinklig zur Schreibtischkante. Und ein bald 80-Jähriger, dem man das Alter weit weniger anmerkt als den Gemütszustand: Wenn Engelbert Kupka über Fußball redet, spricht ein wütender Mann. Am DFB-Bundestag in Erfurt, der den unvorteilhaften Grundlagenvertrag im Oktober 2016 erwartungsgemäß abgesegnet hat, lässt Kupka kein gutes Haar. »Die Delegierten wussten ja gar nicht, worum es geht«, meint er. »Das Beste, was den Chefs beim DFB passieren kann, ist doch ein nicht informierter Delegierter. Der nickt dann alles ab, was von oben kommt. Die 21 Landesfürsten sind da sowieso längst auf Kurs, die haben sie aus Frankfurt vorher ja auch schön eingenordet.«

Der typische DFB-Basisvertreter, so Kupka, höre dann auf, die Interessen der Basis zu vertreten, wenn daraus Diskussionen und Konflikte entstünden. »Die empfinden das als Ehre, da inmitten all der Großen rumzusitzen, und freuen sich, wenn Rummenigge ihnen die Hand gibt und ein gutes Essen serviert wird.« Für die Debattenkultur beim DFB hat Kupka ein strenges Urteil parat: »In der Duma in Moskau ging es lebhafter zu als heute im DFB-Bundestag.« Die Amateure aber hätten keine Stimme: »Der DFB verfährt da nach dem Motto ›divide et impera‹ und verweist auf die Landesverbände.« Doch von denen sei keine Gegenwehr gegen die DFB-Politik zu erwarten.

Dass eine solche Basis kein ernstzunehmendes Gegenüber für die DFL darstelle, dürfe keinen wundern, so Kupka. Doch so richtig sauer ist er nicht auf die braven Delegierten, sondern auf die Verbandsspitze und die Landesfürsten. Denn die hätten sich auf einen unappetitlichen Deal zu Lasten der Amateure eingelassen. Als Gegenleistung dafür, dass die DFL zähneknirschend einen DFB-Präsidenten Grindel akzeptierte, habe man den Grundlagenvertrag ebenso zähneknirschend abgenickt. »Koch hat hinter den Kulissen versucht, mehr zu erreichen, wurde aber von der DFL-Spitze um Rauball und Peter Peters abgekocht.« Das dürfte im Übrigen so stimmen und die Frage aufwerfen, wie der DFB je mit einer Stimme sprechen will, wenn er sich in den Landesverbänden einige Funktionäre leistet, die, was strategisches Denken angeht, ihren DFL-und (zumindest einigen) Vereinskollegen grandios unterlegen sind. Und die das nicht einmal zu stören scheint, weil sie Fans ihrer selbst und all der meist recht banalen Geschichten sind, die ja angeblich nur der Fußball schreibt.

Kupka betont häufig, dass es seiner Initiative nicht allein um mehr Geld gehe. Vielmehr sei der Amateurfußball zum Bittsteller verkommen, dessen Anliegen kein Gehör fände. Was umso schlimmer sei, als er für das Versagen der nationalen und internationalen Verbandsspitzen in Sippenhaft genommen werde. Angesichts der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen in den höchsten Etagen von FIFA, DFB, UEFA und IOC leide das Image des gesamten Fußballs. »Da sagen die Sponsoren: Ihr habt doch genug Geld, verteilt es richtig.«

Was Kupka vorschwebt, ist ein anderer Verteilungsschlüssel, nach dem das Geld 40:60 an DFB und Vereine aufgeteilt wird. Damit könnten Baumaßnahmen von Fußballplätzen ebenso gefördert werden wie Qualifizierungsmaßnahmen für ehrenamtliche Funktionäre. Die Krux daran: Auch DFB-Funktionäre wie Koch hätten vielleicht nichts gegen solche Summen einzuwenden, allein: Sie bekommen sie nicht von den Profi-vereinen. Man kann sich also durchaus fragen, ob Kupkas Kampagne bei aller Berechtigung einzelner Kritikpunkte auch den richtigen Adressaten hat. Wobei, eine Spitze gegen die reichen Erstligisten kann sich auch Kupka nicht verkneifen. »Es kann ja wohl nicht wahr sein, dass die da oben so viel verdienen können, wie sie wollen, aber irgendwann unten nichts mehr da ist. Was die Vereine an der Basis leisten, ist Sozialpolitik mit anderen Mitteln.«

Elfmeterpunkt falsch gekreidet: 25 Euro

Bei der ersten Versammlung von Kupkas Initiative, die am 29. Januar 2017 in Garching abgehalten wurde, erschienen tatsächlich nur ein paar Dutzend Vereinsvertreter, darunter vor allem solche aus dem Münchner Umland, aber nur wenige aus anderen Bundesländern. Und trotz eines eher großen Medienechos blieb auch die Zahl der Facebook-Likes überschaubar. Mit mangelnder inhaltlicher Unterstützung sollte man das allerdings nicht verwechseln. Wer sich bei den Amateurvereinen umhört, vernimmt viel Sympathie für Kupkas Anliegen. Doch die Angst, sich offensiv gegen den Verband zu positionieren, hält viele davon ab, sich Initiativen wie der des Hachinger Rechtsanwalts anzuschließen, so feige (und grundlos?) das zuweilen sein mag.

Kupka jedenfalls versteht die Zurückhaltung vieler Vereine, auch wenn er sich mehr Rückhalt wünschen würde. Denn seiner Meinung nach läuft derzeit vieles ganz grundsätzlich falsch. »Die Landesverbände finanzieren sich immer ungenierter über Gebührenerhöhungen und Strafzahlungen«, klagt er beispielsweise. »Schon kleinste Verstöße kosten da 200 Euro.« Damit spricht er einen Punkt an, der tatsächlich für viel Unmut bei den Amateurvereinen sorgt. Über Wochen ist der Kicker voll mit Leserbriefen von der Basis, die den Tenor der Artikel aus der »Riss«-Reihe unterstützen.

Dabei ist nicht alles, was unter Beschuss gerät, bei näherem Hinsehen uneinsichtig. Denn natürlich ist es fair, wenn ein Verein, der mit großer Mühe Schiedsrichter ausbildet, bessergestellt wird als einer, der das unterlässt. Dass Letzterer eine Strafe zahlen muss, ist also nachvollziehbar. Auch dass die Verbände es honorieren, wenn Vereine möglichst viele Nachwuchsmannschaften unterhalten, ist logisch. Doch wenn die Schätzung des Kicker zutrifft, dass in der Saison 2015/16 insgesamt 30 Mio. Euro bundesweit an Buß-, Verfahrens- und Ordnungsgeldern, an Spielabgaben, Melde- und Genehmigungsgebühren zusammenkommen – dann liegt der Verdacht schon nahe, dass die Landesverbände mit diesem Bürokratieungetüm einfach Geld verdienen wollen.

Dass die Debatte, die vielerorten den Tenor »Wir da unten gegen die da oben« hat, zuletzt Fahrt aufnahm, ist da eigentlich nicht weiter verwunderlich. Zumal in den Landesverbänden mancher »Ehrenamtliche« de facto im Jahr auf sechsstellige Summen an Sitzungsgeldern, Aufwandsentschädigungen etc. kommen soll. Das ärgert die Basisvertreter ebenso wie die Tatsache, dass sie selbst mit Vertröstungen abgespeist werden, während der Verband in Frankfurt eine neue Fußballakademie für 140 Mio. Euro bauen will. Während die einen »Ehrenämtler« reich werden, werden die anderen bei den kleinen Vereinen durch eine kleinliche Gebührenordnung sowohl finanziell als auch logistisch an den Rand ihrer Kapazitäten gebracht. Wer sich ehrenamtlich im Fußball engagiert, macht das ja meist nicht, um zentimeterdicke Gebührenordnungen zu wälzen.

Ein paar Beispiele für vieles an Skurrilem, das sich darin findet: Die Amateurklubs müssen anteilig Trikot-Sponsoreneinnahmen an Landesverbände abgeben – unvorstellbar, dass sich ein Bundesligist solch eine Regelung gefallen lassen würde. Das gilt auch im DFB-Pokal, dem Festtag schlechthin für jeden Amateurverein, der es vielleicht einmal in seiner Geschichte dorthin schafft, wo endlich mal Geld zu verdienen ist. In der ersten Hauptrunde erhalten alle Klubs 155.000 Euro. Doch da die Banden zentralvermarktet werden, bleibt dem Verein nur der Erlös aus dem Trikotsponsoring. Und auch da kassiert der DFB wieder: 15 Prozent des Umsatzes für das einheitliche Sponsoren-Logo gehen hier ebenfalls an den Verband.

Während die Verbände ansonsten kleinlich sind – ein falsch gekreideter Elfmeterpunkt kostet 25 Euro, ein fehlendes Foto im Spielerpass eines Jugendspielers 10 Euro –, empfinden viele Vereine die Staffelung der Schiedsrichterkosten als unfair. In der Kreisliga ist es offenbar eher die Regel als die Ausnahme, dass die Kosten, die die Vereine an den Landesverband für die Schiedsrichterabstellung bezahlen müssen, höher sind als die gesamten Ticketeinnahmen. Der Kicker hat errechnet, dass allein in Hessen in der Spielzeit 2015/16 397 Vereine einen Punktabzug bekommen haben, weil sie nicht genügend Schiedsrichter stellten.

Und als ob das alles nicht schon skurril genug wäre, sind die Gebühren dort besonders hoch, wo Frauenmannschaften vergleichsweise erfolgreich sind, wie ein Vertreter des Kreisligisten BV Borussia Bocholt dem Kicker im März 2017 berichtete: »Unsere Schiedsrichterkosten liegen monatlich bei etwa 500 Euro …, an Zuschauereinnahmen haben wir zeitgleich nur etwa 200 Euro. Die Strafe bemisst sich nach der Klassenzugehörigkeit der am höchsten spielenden Mannschaft, das ist bei uns das Damenteam in der Regionalliga. Der Verband macht dabei keinen Unterschied zwischen Damen- und Herrenregionalliga. Eine absolute Frechheit, weil der DFB ansonsten bei den Schiedsrichterkosten selbst schon zwischen Damen- und Herrenteams unterscheidet.« Während die Schiedsrichteraufwendungen gestaffelt werden – wer Regionalliga Herren pfeift, bekommt 200 Euro, bei den Frauen sind es nur 25 Euro –, sind die Strafen gleich hoch.

Dass alle Vereine, die am regulären Spielbetrieb teilnehmen, Passgebühren für jeden Spieler zahlen müssen, versteht sich von selbst. Beispiel Bayern. Hier müssen die Vereine folgende Gebühren entrichten: Regionalliga 2.030 Euro (plus die IT-Gebühr von 203 Euro), Bayernliga 1.674,75 Euro (IT 203), Landesliga 710,50 Euro (IT 203), Bezirksliga 365,40 Euro (IT 182,70), Kreisliga 233,45 Euro (IT 152,25), Kreisklasse 182,70 Euro (IT 131,95), A-Klasse 142,10 Euro (IT 101,50), B-/C-Klasse 101,50 Euro (IT 101,50). Zudem müssen die Vereine von der fünften bis zur siebten Spielklasse bei den Männern (und bis zur fünften bei den Frauen) den BFV-Liveticker bedienen – ansonsten müssen pro Partie 30 Euro Strafgebühr gezahlt werden.

Rainer Koch hat recht: Vieles, was im Fußball durchschlägt und dem DFB angelastet wird, ist die Folge gesellschaftlicher Entwicklungen. Eine auf Individualismus getrimmte Gesellschaft tut sich nun mal schwer, sich in etwas einzubringen, das den ziemlich wenig individualistischen Namen »Verein« trägt. Aber muss man die Menschen, die auch heute noch lieber zusammen mit anderen Menschen ihrem Hobby nachgehen als vorm eigenen Fernseher zu versauern, muss man die wirklich mit einer zerfaserten Gebührenordnung quälen, die sie von dem abhält, worum es doch eigentlich gehen sollte: dem Fußball?

Echte Amateure

Diese Frage stellt sich auch Andreas Beune, Jugendleiter bei TuS Eintracht Bielefeld. Die erste Mannschaft der Eintracht spielt in der Kreisliga, in 21 Jugendmannschaften sind fast 500 Kinder und Jugendliche aktiv. »Echte Amateure« also, wie sie der DFB so schätzt. Die Fülle der Jugendmannschaften bedeutet für einen ehrenamtlichen Jugendleiter sowieso schon jede Menge Arbeit. Doch der Formalkram, der Wust an Verordnungen, Bögen und Formularen, der hält die wenigen Ehrenamtlichen im Bielefelder Osten erst so richtig auf Trab, seufzt Beune. Und geht ein wenig ins Detail. Eine verpflichtende Tagung verpasst: 30 Euro. Den (de facto natürlich unnötigen) Sicherheitsbeauftragten fürs Kreisligaspiel nicht benannt: 10 Euro. Eines von vielen weitgehend sinnlosen Häkchen nicht gesetzt: 5 Euro. »Das kostet enorm viel Zeit«. Zeit, die Beune sich nimmt. »Denn sonst geht das alles richtig ins Geld, und wir haben schon das Problem, dass wir für die Größe unseres Vereins zu wenige Schiedsrichter stellen. Und das tut uns finanziell echt weh.« Viele hundert Euro im Jahr zahlen die Bielefelder an den Westfälischen Fußball-Verband, weil sie statt der fünf Referees, die sie bei ihrer Vereinsgröße stellen müssten, nur zwei zusammenbekommen.

Nun ist der Journalist und Radsportexperte Beune niemand, dem einseitige Schuldzuweisungen besonders schlüssig vorkämen. Das mit den Schiedsrichtern, sagt er, habe man auch selbst verdummbeutelt. Schließlich wäre der eine oder andere A-Jugendliche, der den Sprung in den Herrenbereich nicht schafft, vielleicht doch zu überreden gewesen, einen Kurs als Schiedsrichter zu belegen. »Das Themenfeld haben wir brachliegen lassen«, sagt Beune selbstkritisch. »Hier arbeiten aber auch alle am Anschlag, da muss man einzelne Punkte vernachlässigen, leider auch manchmal wichtige.«

Viele Verbandsregeln findet er gut und sinnvoll. Dass auch Bambini schon eine Trainingsfreigabe brauchen, um bei einem anderen Verein vorzuspielen, sei beispielsweise richtig. Weil es der unseligen Praxis ein Ende macht, dass höherklassige Vereine die Kinder zu Sichtungszwecken mitkicken lassen, ohne deren eigentlichem Verein auch nur Bescheid zu sagen. »Gute Sache«, sagt Beune. »Bedeutet aber für mich, dass ich pro Saison schon mal 50 Trainingsbefreiungen ausstellen darf, mit Stempel und Unterschrift.«

Einen ganzen Tag verbringe man in der Woche zuweilen alleine damit, solche Formalia zu erledigen, dazu noch Turniere im Sommer und Winter zu organisieren, Spielverlegungen auf die Beine zu stellen oder zu prüfen, ob jedes Ergebnis jeder einzelnen Mannschaft von den Trainern auch fein säuberlich in die Online-Portale eingepflegt worden ist. Denn – wir ahnen es bereits – auch wer das unterlässt, wird zur Kasse gebeten. Und das ist letztlich der Grund, warum Beune und seine Kollegen die ganze Sache mit dem Strafenkatalog dann doch eher negativ sehen. »Zum einen hat das Ausmaße angenommen, dass die ganzen formalen Anforderungen längst den Spaß am Fußball minimieren«, sagt Beune. »Und zum anderen liegt halt der Verdacht auf der Hand, dass es den Verbänden nicht nur ums Disziplinieren der Vereine geht.« Sondern schlicht und einfach darum, ihren Etat zu finanzieren. »Wie gesagt: Ich verstehe den Sinn von Trainingsfreigaben. Aber wenn man mindestens 100 Euro bezahlen muss, wenn man einmal eine vergisst, dann liegt doch der Verdacht nah, dass da jemand eine lukrative Einnahmequelle aufgetan hat.«

Es ist schon komisch: Während im Kleinen eine Regelungswut herrscht, die noch für jedes Kreisliga-C-Spiel einen Ordner vorsieht, wird die Regelung, die den deutschen Fußball starkgemacht hat, von interessierter Seite attackiert. Die 50+1-Regel, die bis dato dafür sorgt, dass es im deutschen Fußball auch noch um Fußball geht, gerät zunehmend unter Beschuss.

Fieberwahn

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