Читать книгу Kurven-Rebellen - Christoph Ruf - Страница 8

HORIDOS FÜRTH STRESS MIT DER NACHBARSCHAFT

Оглавление

Fürth ist ein nettes Städtchen. Die Stadt mit ihren verwinkelten Gässchen und schönen Altstadtfassaden, nett. Auch Fürths Fußballverein ist, wie könnte es anders sein, nett. Es gibt hier selbstgebackenen Kuchen im Presseraum und auf allen vier Tribünenseiten fast nur friedliche Menschen, die das Spiel nicht gerade euphorisch, aber mit Sympathie verfolgen. Von „15.000 netten Fürthern“ wird allerdings auch Cheftrainer Frank Kramer nach dem Heimspiel gegen Hannover sarkastisch sprechen, als er sich über die Fehlentscheidungen des Referees aufregt. Nette Fürther sind nicht so gut darin, den Schiedsrichter unter Druck zu setzen wie 80.000 Dortmunder oder 65.000 Schalker, meint Kramer, dem nicht als Einzigem aufgefallen ist, dass sein Verein in seiner Bundesligasaison doch ziemlich oft benachteiligt wurde. Das Wort „nett“ ist vergiftet, man verbindet nur vordergründig etwas Positives damit. Und assoziiert: „harmlos“, „naiv“, vielleicht sogar „Opfer“.

Auch Fürths Ultras sind ungeheuer nett. Und das ist nun wirklich ein Problem. Denn Ultras wollen vieles sein, aber garantiert nicht „nett“. Journalisten bemerken immer wieder den gleichen Reflex. Lobt man einem Ultra gegenüber das Verhalten seiner Gruppe und vergleicht es mit dem einer anderen, betont er mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit, dass auch seine Gruppe schlimme Dinge tue und er selbstredend nicht das Recht habe, das Verhalten anderer Gruppen zu bewerten.

Bei der Fürther Ultra-Gruppe „Horidos“ ist das ähnlich. Dass sie in den zurückliegenden 18 Monaten schon dreimal – mutmaßlich von Anhängern des benachbarten 1. FC Nürnberg – überfallen und ausgeraubt wurden, bestreiten sie dann aber nicht. Trotzdem haben sie nicht die geringste Lust auf Racheakte. Die würden wohl auch nicht viel bringen. Die Nürnberger Ultras, die ihnen den Krieg erklärt haben, sind einfach hoffnungslos überlegen. Zahlenmäßig und physisch. Weshalb man sich fragen könnte, warum sich so viele Nürnberger ausgerechnet an den „kleinen“ Fürthern abreagieren müssen, zumal die Nürnberger ja schon eine anstrengende Feindschaft mit den Ultras des FC Bayern unterhalten, die von beiden Seiten liebevoll gepflegt wird. Man kann mit einem 17-jährigen Nürnberger Ultra sprechen oder mit einem 67-jährigen Clubberer im „Bahnhof Dutzendteich“, wo sich nach dem Spiel die traditionelleren Die-hard-Fans treffen. Es ist, wie es ist: Viele FCN-Fans bekommen Schaum vor den Mund, wenn sie auch nur auf den grün-weißen Verein aus der Nachbarstadt angesprochen werden. Rivalität? Das Verhältnis zwischen Fürth und Nürnberg ist dann doch eher eine echte Feindschaft.

Das mag überraschend sein, schließlich stehen sich im Gegensatz zu den Rivalen Schalke/Dortmund, HSV/St. Pauli oder 1860/Bayern hier nicht zwei große, über Jahrzehnte gewachsene Fanszenen gegenüber, sondern die große des FCN und eine sehr junge, zahlenmäßig sehr überschaubare Anhängerschaft der Fürther, die nach einem jahrzehntelangen Dornröschenschlaf (in den Achtzigern spielte das Kleeblatt dritt- oder viertklassig) ab der Jahrtausendwende mit der Etablierung des Kleeblatts in der zweiten Liga allmählich heranwuchs. Doch die gegenseitige Abneigung, die schon in den zwanziger Jahren entstand, als beide Vereine den deutschen Fußball dominierten, scheint zwei Generationen überdauert zu haben und heute die 20-Jährigen auf beiden Seiten anzutreiben.

Allerdings geht die Gewalt in diesem Fall fast ausschließlich von einer Seite aus. Immer und immer wieder. Und in einer Vehemenz, dass bundesweit Ultras den Kopf schütteln. Dass Fürth und Nürnberg so nah beieinanderliegen, dass sie nur durch eine U-Bahn-Station mit dem programmatischen Namen „Stadtgrenze“ getrennt sind, hat deutliche Nachteile für die Fürther Szene: Es kommt vor, dass nachts an Fürther Wohnungstüren geklingelt wird, hinter denen keiner aufmachen will.

Doch beschränken wir uns auf die offiziell registrierten Vorfälle. Im Dezember 2011 gewann der damalige Zweitligist Greuther Fürth das Pokal-Achtelfinale in Nürnberg. Nürnberger Ultras versuchten unmittelbar nach dem Schlusspfiff, über den Stadioninnenraum die Gästekurve zu stürmen. Die Polizei, die an allen möglichen Orten postiert war, nur nicht dort, wo Menschen, die schon einmal in einem Stadion waren, die Einsatzkräfte hinbeordert hätten, kam dann irgendwann auch an den Ort des Geschehens und verhinderte Schlimmeres. Zehn Monate später ging es nicht so glimpflich ab.

Im Oktober 2012 fand eine Autorenlesung in den Räumlichkeiten der Sportfreunde Ronhof e.V. statt, einem etwa 750 Mitglieder zählenden Zusammenschluss oft älterer und noch öfter alternativ denkender Fürther Fans. Das Vereinsheim der „Sportfreunde“ wird allerdings auch von den Fürther Ultras genutzt. Was den Überfall Nürnberger Ultras erklären dürfte, die versuchten, in die Räume zu gelangen und sich mit den Fürthern ein Handgemenge lieferten. Die Sportfreunde Ronhof sprachen in einer Stellungnahme von einer „blinden, sinnfreien Aktion“ und einem „Tabubruch“. Zwei-teres stimmte schon deshalb, weil es sich eben um einen Überfall auf eine Einrichtung handelte, in der sich offenbar Dutzende Menschen befanden, die nichts mit der Ultra-Szene zu tun hatten. Wer bei Verstand ist, hätte die Aktion allerdings wohl auch ansonsten sinnfrei gefunden.

Wenige Monate darauf wurden die Fürther Fans erneut überfallen. Auf dem Rasthof Steigerwald, auf dem etwa 200 Fürther Anhänger nach dem Sieg in Schalke eine Pause einlegten, stürmten plötzlich Vermummte auf die Busse zu. Die Fürther flohen in die Fahrzeuge, an denen ein Sachschaden von 40.000 Euro entstand. Man darf davon ausgehen, dass auch in der Nürnberger Fanszene eine übergroße Mehrheit kein Verständnis für solche Aktionen hat. Bei den klassischen Fanklubs sowieso nicht, aber auch nicht in der Ultra-Szene. Offiziell äußern will sich dazu allerdings niemand.

So viel zur doch schon ziemlich ausführlichen Vorgeschichte der Ereignisse vom April 2013, die bundesweit für Aufsehen sorgten. Und das weniger bei der kritischen Öffentlichkeit als in der Ultra-Szene selbst. Schließlich bedeutete diese Aktion der Nürnberger Ultras in mehrerlei Hinsicht einen Bruch mit vielen „Regeln“, die die meisten Gruppen als für sich verbindlich begreifen.

In der Nacht vom 3. auf den 4. April 2013 wurde das Vereinsheim der Sportfreunde Ronhof zum zweiten Mal innerhalb eines halben Jahres zum Ausflugsziel Nürnberger Ultras. Sie brachen nachts ein, brachen mehrere Türen auf und stahlen deren Zaunfahne. Der Angriff war zielgerichtet, weder die Bar noch sonst irgendetwas in den Räumlichkeiten wurde zerstört. Es ging den Dieben offenbar einzig und alleine darum, den verhassten Fürther Ultras den Gegenstand zu klauen, der den allermeisten Ultra-Gruppen der Republik heiliger ist als einem niederbayrischen Katholiken die Grabtücher von Jesus höchstpersönlich.

Die Rede ist von dem Stück Stoff, auf dem bei allen Ultra-Gruppen der Republik der Name dieser Gruppe verewigt ist, das im Stadion zu Hause wie auswärts aufgehängt wird und das gehütet wird wie ein rohes Ei. Wir reden von der „Gruppenfahne“. Die war den Fürthern also nun entwendet worden. Nicht, weil die unachtsam gewesen wären (dann hätte merkwürdigerweise kaum eine Ultra-Gruppe viel Mitleid mit den Kollegen gehabt), sondern weil nachts eingebrochen wurde. Und das gilt in der Szene aus gutem Grund als tabu. Man rühmt sich schließlich auch nicht seiner Angelkünste, wenn man einen fetten Köder ins Aquarium statt ins offene Meer hält.

Wer die Täter waren? Nürnberger Ultras, so viel scheint klar. Aber ob die von der größten Gruppe Ultras Nürnberg kommen oder von der „Banda di Amici“, die sich im Oktober 2010 von den Ultras Nürnberg abgespalten haben, weil sie politischer, aber auch „gewaltmäßig härter drauf“ seien, wie es übereinstimmend in Fürth und Nürnberg heißt, ist umstritten. Dabei zählt weder die eine noch die andere Nürnberger Gruppe zu den unreflektierten, tumben im Lande. Im Gegenteil: Ultras Nürnberg äußert sich sowohl auf ihren Veranstaltungen als auch in ihrem hervorragend aufgemachten und unbedingt lesenswerten Magazin „Ya basta“ reflektiert und klug. Zudem ist die Nürnberger Ultra-Szene kritisch und hartnäckig, der Blick in Richtung Nordkurve lohnt in Nürnberg bei fast jedem Heimspiel. Schließlich machen beide Gruppen mit ihren Transparenten immer wieder auf Fehlentwicklungen aufmerksam und vertreten – zum Beispiel mit ihrer Initiative für die Umbenennung der Arena in „Max-Morlock-Stadion“ – Forderungen, die in Nürnberg auch traditionelle Fans teilen. Doch die große Stärke der Nürnberger Ultras, ihre zahlenmäßige Größe, sorgt eben offenbar auch dafür, dass an ihren Rändern Leute agieren, deren Gewaltfaszination überbordet. Und so wahr es ist, dass mancher Ultra die Überfälle auf die Fürther insgeheim (oder in gruppeninternen Gesprächen) kritisieren mag – offiziell distanziert sich weder Ultras Nürnberg noch Banda di Amici davon. Und eines stimmt eben auch: Es gibt in der deutschen Ultra-Szene durchaus kluge und gelassene Menschen, die alle paar Wochen den Adrenalinkick suchen, den ihnen offenbar nur Gewalttaten bieten.

In der bürgerlichen Gesellschaft ist Gewalt aus gutem Grund geächtet, sie wird von den meisten Bürgern als Randphänomen und als Ausdruck geistiger Schwäche wahrgenommen. Mancher in der Ultra-Szene widerlegt diese Gleichsetzung – so gruselig die Vorstellung sein mag, dass möglicherweise derjenige, der einem Journalisten am Donnerstagabend zwei Stunden lang sachlich und geistreich Rede und Antwort steht, schon 24 Stunden später Gleichaltrige in der Nachbarschaft verprügelt. Es ist vor allem das, was Ultras meinen, wenn sie sagen, dass nicht alles, was sie tun, von der Mehrheitsgesellschaft akzeptiert werden soll und kann.

Es steht jedenfalls fest, dass es schon häufig zu „vermummten Hausbesuchen“ bei Fürther Ultras gekommen ist. Wenngleich offenbar seltener als im Ruhrgebiet, wo „Hausbesuche“ häufiger und brutaler sein sollen, medial aber nicht dokumentiert sind. Dabei ist „Hausbesuch“ ein verniedlichendes Wort. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um Hausfriedensbruch, Nötigung und Körperverletzung. Weniger juristisch ausgedrückt: Der Gegner soll eingeschüchtert und demoralisiert werden. Im Falle der Fürther ist das insofern grotesk, als die Horidos im Gegensatz zu anderen Gruppen, die mit Gegenangriffen geantwortet hätten, nicht die geringste Lust auf Auseinandersetzungen haben und am liebsten in Ruhe gelassen würden. Und – noch bemerkenswerter –das auch gar nicht hinter dem üblichen Ultra-Posing verbergen wollten. Stattdessen stellten sie ein paar Tage nach dem Überfall auf ihr Vereinslokal eine bemerkenswerte Stellungnahme auf ihre Seite:

„Unsere Gedanken, unsere Beziehungen untereinander, unsere Werte und Ideale, unsere Ziele und Träume habt ihr nicht – ihr werdet sie niemals bekommen, ihr werdet sie uns niemals entreißen, ihr könnt sie nicht einmal verstehen. Sie passen nicht in euer enges, verkapptes – ja gar reaktionäres und destruktives – Weltbild. Ein Weltbild, das euch besagt, ‚in Franken nur der FCN‘, und das durch das Drehen, Biegen und Verschieben von Tatsachen, nach denen alle FürtherInnen und insbesondere Horidos ‚Lutscher‘, ‚Fotzen‘ oder mittlerweile auch, Juden‘ sind, die sowieso nur Kindergarten machen und mit Bullen labern, konkrete Realisierung erfährt. Welche Affekte und Triebe bewegen Menschen, die sich durch an Vernichtungswahn grenzenden blinden Hass gegenüber anderen definieren, sich zeitgleich jedoch gegenüber der ‚Mainstreamgesellschaft‘ als etwas ‚Ehrenhaftes‘ und ‚Rebellisches‘ darstellen und verstehen?“

Dreieinhalb Stunden vor dem Heimspiel gegen Hannover 96 warten Domi und Fabian an der Tür zum Vereinslokal der Sportfreunde Ronhof, das nur einen Steinwurf von der Haupttribüne entfernt liegt. Genau das ist der Ort, an dem andere Ultra-Gruppen (offenbar längst nicht nur die Nürnberger) in den vergangenen Jahren eingebrochen sind. Eine Plastikplane schützt die Kneipe im Souterrain vor neugierigen Blicken, ein Türsteher wacht am Eingang. Wenn man weiß, was in den vergangenen Monaten hier passiert ist, wundert man sich auch darüber nicht mehr.

Die Spuren des Einbruchs sind immer noch gut zu sehen. Mehrere Türen wurden aufgebrochen, mit einem Stemmeisen, wie an den Türrahmen unschwer zu erkennen ist. Mitten in der Nacht standen die Nürnberger dann in dem Raum, in dem in Fürth das Allerheiligste einer jeden Ultra-Gruppierung gelagert ist. Das war vor drei Wochen. Doch noch immer schwingt Wut in der Stimme mit, wenn Domi darüber spricht: „Fahnenklau hat mit unserem Verständnis von Ultra nichts zu tun.“

Lange haben sie überlegt, wie sie weitermachen sollen. „Wir haben das wichtigste Material geklaut gekriegt, das, was seit den Anfangstagen unserer Gruppe da ist. Auch wenn’s eine feige Aktion ist, kann man nicht so tun, als wäre nichts passiert.“ Beim kommenden Auswärtsspiel in Gladbach und dem Heimspiel gegen den BVB haben sie dann geschwiegen, sie mussten sich dazu nicht zwingen. Eines aber haben sie nicht gemacht: Sie haben sich nicht als Gruppe aufgelöst, wie es 2008 die Gladbacher Ultras getan haben, als ihnen Kölner Ultras die Materialien gestohlen haben. Die hatten allerdings nicht eingebrochen, sie waren mit einem Trick in die Räumlichkeiten der Gladbacher Ultras gelangt.

Mit der Weigerung, sich aufzulösen, haben die Horidos etwas zurückgewiesen, das die allermeisten Gruppen als festen Bestandteil von „Ultra“ sehen. Wer seine Zaun- oder Blockfahne verliert, hat seine Existenzberechtigung als Gruppe verloren. Zumindest, schieben Insider nach, wenn sie im Stadion, also „im Kampf“ verloren geht. Wer zu blöd ist, die Fahne zu verteidigen, ist selbst schuld. So sind die ungeschriebenen Regeln der Szene. Aber wie verhält es sich mit dieser Regel, wenn die andere Seite gar nicht danach spielt? Wenn sie einfach nachts einbricht und sich nimmt, was sie will?

Die Horidos haben jedenfalls nicht eingesehen, warum sie ein Spiel mitspielen sollen, auf das sie keine Lust haben. Die Überschrift der Stellungnahme vom 9. April war eine trotzige Ansage: „Horidos lebt weiter!“ Stumpfere Zeitgenossen und Ultra-Orthodoxe dürften sich in ihrer Einschätzung der Fürther bestätigt gesehen haben. Zu weich, zu lasch, eben NICHT Ultra. Aber stimmt das? Wenn „Ultra“ bedeutet, unbequem zu sein, stellen sich nach solchen Aktionen Fragen, die an den Kernbestand der Ultra-Szene gehen. Was ist rebellisch an solchen Kindergarten-Ritualen? Was ist ihr Sinn?

Die netten Fürther, Ultras wie Normalos, können allerdings auch anders: Sie können sehr trotzig sein, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen. Und wenn sie es den Großen mal gezeigt haben, feiern sie das tagelang. Anlass dazu gab es in der Fürther Erstligasaison nicht oft, das ist der Haken an der Sache. In der Saison 2012/2013, auf die sich so gefreut hatten, haben die netten Fürther überhaupt nur viermal gewonnen. Gegen Mainz, Schalke und Stuttgart. Und der vierte Sieg, der hat dann die ganze Saison rausgerissen: Am 21. April gewann das Fürther Kleeblatt beim 1. FC Nürnberg. Noch eine Woche später wirkten bei den netten Fürthern alle so, als habe Johannes Geis gerade erst den Fernschuss im Netz hinter Raphael Schäfer versenkt. Das Tor war nicht mehr und nicht weniger als die gerechte Strafe für die Aktionen der Nürnberger. So sehen sie das hier.

Hier, bei den Sportfreunden Ronhof, kann jedenfalls jeder sehr anschaulich erzählen, was er in den Hundertstelsekunden empfunden hat, als der Ball den Fuß von Geis verließ und doch tatsächlich Anstalten machte, den Weg ins Tor zu finden. Vorausgesetzt, die Stimmen übertönen den einzigen Song, der hier seit drei Stunden in Endlosschleife rotiert: „Derbysieg“ von den Travelling Playmates. („Wir sin fast blatzt vor Stolz un lauder Freid“). Auch den Ultras gefällt der Song, der 2011 nach dem Sieg gegen den Club im DFBPokal aufgenommen wurde. Auch für sie hat der Geis-Treffer seine eigene Dramaturgie, die für immer eingebrannt ist. Schließlich fiel das Tor des Tages, wenige Sekunden nachdem Banda di Amici in der Nürnberger Kurve ein Schmähtransparent auf den Fahnenklau hisste, das eigentlich noch einmal Salz in die Fürther Wunden streuen sollte: „Wer mit den Bullen labert, hat keine Regeln verdient“, stand darauf. Dann nahm Geis Maß und traf. Das 0:1 aus der 27. Minute sollte bis zum Schlusspfiff Bestand haben. Die Schmähung, der Ärger, der Triumph, alles innerhalb weniger Sekunden.

Im Vereinsheim der Sportfreunde ist das Tor jedenfalls auch eine Woche später das wichtigste Gesprächsthema. „Die knabbern doch noch an der Derbyniederlage 2011. Für die ist das jetzt, wie wenn du nach einem Kreuzbandriss zurückkommst und dann reißen dir beim ersten Spiel nach der Verletzungspause gleich beide.“ Harry kann auch noch etwas Plastisches beitragen. Sein Arbeitskollege, ein Clubberer, hat ihn am Morgen nach dem Derbysieg wie folgt begrüßt: „Wir haben eine gute Saison zu einer beschissenen gemacht und ihr eine beschissene zu einer glorreichen.“

So sehen sie das auch hier. Die Nürnberger Kollegen wollen die Mannschaft beim darauffolgenden Auswärtsspiel in Hoffenheim nicht unterstützen – aus Protest gegen die Derbyschmach. Noch so eine Nachricht, die sie hier in Fürth mit Genugtuung hören.

Der Geräuschpegel ist mittlerweile merklich gestiegen. Hier, bei den Sportfreunden, ist Fußball wie früher, es wird geraucht, die Vorfreude aufs vorletzte Bundesliga-Heimspiel scheint mit jeder Minute zu steigen. 15-jährige Ultras sind hier und 60-jährige Fanveteranen. Jeder kennt jeden, wie es scheint. Und wer noch mal genau wissen will, was der gemeinsame Nenner ist, schaut in einem liebevoll eingerichteten Museum nach, das in einem Nebenraum der Kneipe eingerichtet ist.

Die Ultras, ein elitäres Volk? Nicht hier, wo sie mittendrin sind in der Masse der Feierwütigen und nach dem Fahnenklau die Solidarität erfahren, die ihnen im Liga-Alltag manchmal fehlt. Viele Fans stocken die Bierrechnung auf, die älteren Herrschaften vom Bayreuther „Altstadtkult“, deren Spielvereinigung Bayreuth zwei Tage darauf im nahen Erlangen spielen wird, haben gleich 100 Euro gespendet. Kommt alles in die „Choreokasse“. Domi ist gerührt. Zumal es auch in Fürth, wo vom Ultra bis zum Rentner eine der friedlichsten Fanszenen der Republik zu Hause ist, Konflikte zwischen älteren Fans und den Horidos gab – interessanterweise, weil die Ultras nach dem Verlust ihrer Fahne ihre Arbeit als Stimmungskanonen zunächst einstellten. „Wir wurden im Spiel danach in Mönchengladbach ganz schön angegangen“, erinnert sich Domi, „nach dem Motto: Ultras sind die Dienstleister, die haben für Stimmung zu sorgen, wenn sie das nicht machen, können sie gehen. Die Wunde ist eh schon so groß und dann wird’s dir noch reingedrückt. Manchmal haben wir mehr Verständnis für die, die nur beim Torjubel aufspringen, als die umgekehrt für uns.“

Dabei, darauf legen hier alle Wert, würde man sich regelrecht freuen, wenn Normalo-Fans das Gespräch suchten, einfach mal an den Infostand kommen, den die Horidos bei jedem Heimspiel hinter der Kurve öffnen. Aber nein: „Gepöbelt wird anonym im Internet.“ Eine Klage, die man im Übrigen öfter hört, es scheint, dass mancher Ultra-Gegner gar nicht erst den Versuch unternommen hat, mit Leuten zu reden, von denen er nachher behauptet, man könne mit ihnen nicht reden.

Die Horidos wüssten im Übrigen nicht, wie eine rebellische Grundhaltung, wie sie „Ultra“ für sich in Anspruch nimmt, unpolitisch sein könnte. „Leute, die sagen, ‚Ultra‘ sei unpolitisch, kann ich nicht ernst nehmen“, sagt Fabian und verweist auf die Wiege der Bewegung. „Man muss sehen, wie sich Ultra in Italien gegründet hat: eindeutig aus einer linken, politischen Bewegung heraus. Die Leute haben sich politische Forderungen auf die Fahnen geschrieben und die ins Stadion getragen.“

Das sei es, das Wesen des Ultra-Gedankens, nicht alles hinzunehmen, was einem Eltern, Lehrer und Politiker zu vermitteln suchen, sich seinen eigenen Kopf machen. „Bei mir“, sagt Domi, „war das klassisch. Natürlich war ich dagegen, dass Fußballspiele um 13 Uhr angepfiffen werden. Irgendwann habe ich dann gefragt, welche Interessen dahinterstehen, dass das gegen den Willen der Fans durchgesetzt wird.“ Die Interessen derer, die vom „Produkt“ Fußball reden, das sie in möglichst viele appetitliche Häppchen fürs Fernsehvolk zerlegen wollen. Nicht die Interessen derer, die zwei Tage Urlaub nehmen müssen, um als Fan von 1860 München am Montagabend ein Spiel bei St. Pauli sehen zu können. Domi hatte angefangen, politisch zu denken.

Damit war er bei den Horidos prima aufgehoben. „Unsere Bewegung ist ein kleiner Revoluzzerkreis, eine Opposition, die sich auch mal kritisch anschaut, was Verein und Politik treiben“, sagt er und formuliert damit das Selbstverständnis vieler Ultra-Gruppen.

Auch Harry und Andy, die beiden älteren Fans, nicken. Das sei oft so, berichten sie. Die Ultras von den Horidos sprechen das aus, was sie als über 35-Jährige erst wieder neu lernen müssen. Dass man nicht alles klaglos hinnehmen muss, beispielsweise. Die merkwürdigen Anstoßzeiten in der zweiten Liga beispielsweise, die hier allen auf die Nerven gehen. Mittags ins Stadion zu müssen, zu einer Zeit, zu der andere noch frühstücken, nur weil die Leute vom Pay-TV möglichst viele Wochenendspiele live zeigen wollen. Auch die Ticketpreise, die Gängeleien durch Ordner und Polizei. Draußen, sagt Harry und zeigt auf die Tür ins Freie, „draußen sind die 20-Jährigen doofer als die 40-Jährigen. Bei den Ultras ist es andersherum, da merke ich immer, wie doof wir Alten geworden sind. Ich finde, das ist eine Subkultur, wie man es sich wünscht.“

Fabian und Domi widersprechen nicht. Gegen Lob aus der eigenen Fanszene haben sie nichts einzuwenden. Schon gar nicht, wenn es von denen kommt, die schon zur Spielvereinigung gingen, als die noch in der Bayernliga gegen Frohnlach und Landshut spielte. Skeptischer – und auch da unterscheiden sich die Horidos nicht von anderen Ultra-Gruppen, werden sie, wenn das Lob von anderer Seite kommt; etwa aus der Politik. „Ich will gar nicht, dass Politiker und Medien alles toll finden, was wir machen“, sagt Fabian. „Es gibt uns nur im Gesamtpaket: mit Schwenkfahnen, Choreos und Pyrotechnik – und dann gehört bei uns das Politische dazu. Da ist sicher einiges dabei, das gesamtgesellschaftlich nicht jedem gefällt.“

Die Verbände, meint Fabian, wollen einen bereinigten Fußball. Die gleichen Leute, die wegen ihres Engagements gegen Diskriminierung und Rassismus gelobt werden, würden verteufelt, wenn sie Normverstöße begehen „Bei uns Ultras gibt es natürlich viel pädagogisches und soziales Engagement. Aber auch vieles, was nicht in die heile Welt passt. Solange das mitschwingt, werden wir kritisiert.“

Die Sprache kommt nun auf das Thema Gewalt. Fabian sagt das, was viele Ultras sagen, die eigentlich viel zu reflektiert wirken, um einem stumpfen Gewaltkult das Wort zu reden. Er sagt, man solle sich doch mal mit der „Kultur auseinandersetzen, die diesen Sport prägt“. Schon vom Vokabular her definiere sich der Fußball mit seinen „Stürmern“, „vernichtenden Niederlagen“ und „kämpferischen Tugenden“ doch über Gewaltverhältnisse. Das Problem der Ultra-Szene sei, dass sich der Gewaltkult verselbstständige. Vielerorts rückten Jüngere nach, denen die alten Ultras zu angepasst seien. Und die spalteten sich über kurz oder lang dann ab – nicht zuletzt, weil die Alten in der Gewaltfrage zu lasch geworden seien.

Vielerorts gibt es allerdings auch die umgekehrte Entwicklung: In Aachen oder Duisburg haben sich die Jüngeren von den Älteren auch dadurch emanzipiert, dass sie „Ultra“ inhaltlicher definierten als die Altvorderen. Sie wurden politischer. Und riefen damit rechte Hooligans auf den Plan, die genau das als Kriegserklärung verstanden. In Fürth haben sie das Glück, dass es so etwas wie eine alteingesessene Hooligan-Szene schlicht nicht gibt. „Wenn es hier gestandene Hauer geben würde“, da machen sich die Horidos keine Illusionen, „wären wir nicht hier.“

Kurven-Rebellen

Подняться наверх