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Lebensperspektive Lernen Sie vom Kaninchen

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Frucht bedeutet, dass sich Leben multipliziert. Frucht ist das, was wir erst noch erreichen wollen, also welche Perspektive wir haben. Gleichzeitig braucht es aber konkrete Handlungen, um dorthin zu gelangen. Vorbild für eine multiplikative Lebensperspektive ist das Kaninchen.

Haben Sie schon einmal kleine Kaninchen gesehen? Sie sind unglaublich winzig, blind, taub und völlig nackt. Nach einer Woche kann man allerdings schon gut das Fell erkennen, nach drei Wochen beginnen sie, am normalen Futter zu knabbern (bisher wurden sie von der Mutter gesäugt) und nach ca. sieben Wochen werden sie in die Selbständigkeit entlassen. Nach zehn bis zwölf Wochen sind die jungen Kaninchen bereits geschlechtsreif. Pro Jahr kann eine Kaninchendame bis zu 40 Nachkommen gebären.

Multiplikation und kleine Anfänge sind kein Widerspruch. Das ist die erste Lektion, die wir vom Kaninchen lernen können. In vielen Fällen ist ein kleiner Beginn sogar notwendig, um multiplikativ vorgehen zu können – und Größe ist ein Zeichen dafür, dass das Wachstumspotenzial begrenzt ist.

Größe als Problem

Biologisches Wachstum läuft immer nach dem gleichen Muster ab. Bei einem Baby vermehren sich die Zellen noch sehr stark. Es wächst und wächst, und in zunächst kurzen, dann längeren Abständen wird die jeweils neue Kleidergröße fällig. Nach der Pubertät hört das Wachstum allmählich auf. Eine natürliche Grenze ist erreicht, die Steigerung der Wachstumskurve wird immer flacher, bis sie schließlich ein Plateau bildet. Weiteres Wachstum kann jetzt nicht mehr über das Größenwachstum dieses Menschen geschehen, „Multiplikation“ ist angesagt. Mann und Frau gründen eine Familie, neues Leben entsteht und wächst heran.

Wer auf grenzenloses Wachstum eines Organismus setzt, hat von vorne herein verloren. Alles Lebendige wächst in bestimmten, vorgegebenen Grenzen, und dann ist die Zeit gekommen, sich zu vermehren. Das gilt für Menschen, Tiere, Pflanzen – aber auch für viele soziale „Organismen“ wie Gruppen, Teams und sogar Unternehmen.

Große Organisationen wachsen im Schnitt wesentlich weniger als kleine. Das Wachstum steigt nicht proportional zur Größe an. Wenn man einmal eine bestimmte Größe erreicht hat, hilft nur noch Multiplikation.

Was Multiplikation so besonders macht

Viele Menschen sind erst einmal überrascht, wenn sie hören, dass der größte Feind des Multiplizierens das Streben nach Größe ist. Betrachten wir deshalb einmal folgende Unterschiede zwischen den beiden Ansätzen:

1 Multiplikation beginnt sehr klein. Wer nur auf Größe aus ist, dem ist „mal zwei“ als kleinster Multiplikator erst einmal zu klein, der sucht nach Wegen, die den kleinen Anfang vermeiden. Multiplikation ist damit ausgeschlossen. Sicher kennen sie die Geschichte vom Erfinder des Schachspiels. Hätte er an Größe geglaubt, hätte er sich als Lohn für seine geniale Idee von seinem Herrn auf jedes Feld des Schachspiels ein paar Hundert Säcke Reis gewünscht. So aber wünschte er sich: auf das erste Feld des Schachbrettes ein Korn Reis, auf das zweite zwei Körner, auf das dritte vier, auf das vierte acht und so weiter. Dass diese unscheinbare Bitte schlicht nicht erfüllbar war, merkte sein Herr, der den Wunsch zunächst belächelt hatte, nicht erst beim letzten Feld: Hierfür hätte er 263 Reiskörner aufbringen müssen, umgerechnet etwa 153 Milliarden Tonnen Reis – mehr als die Weltreisernte der nächsten 1000 Jahre. Da der Erfinder des Schachspiels aber nicht an Größe glaubte, wählte er für seinen Wunsch den multiplikativen Ansatz. So wurde er zwar am Anfang belächelt, bekam aber am Ende wesentlich mehr.

2 Multiplikation sucht langfristige Ergebnisse. Wer sich und sein Wissen, seine Fähigkeiten etc. vervielfältigen will, braucht einen langen Atem und einen langen Anlauf. Wer dagegen auf Größe abzielt, neigt leicht zu einer Instantmentalität, die dafür keine Geduld aufbringt. So wie ein Förster in Jahrzehnten denken muss, wenn er ein Stück Wald anlegt und darauf hofft, dass seine Bäume irgendwann Eicheln, Bucheckern oder Tannenzapfen tragen und sich selbst aussäen – multiplizieren -, so muss jemand, der sich und seinen Aufgabenbereich multiplizieren will, langfristig denken können. Wer schnelle Erfolge sehen will, überträgt vielleicht ein paar Aufgaben an Mitarbeiter – „Sie können das schon“ -, um möglicherweise diese Aufgaben bald wieder selbst zu übernehmen, weil die Mitarbeiter dadurch überfordert waren. Wer nicht auf schnelle Erfolge angewiesen ist, kann auf Wege bauen, die länger brauchen, meist aber effektiver sind, etwa eine über einen längeren Zeitraum gehende Einweisung in neue Aufgaben und die Begleitung des Mitarbeiters.

3 Multiplikation ist dynamisch. Größe ist statisch. Größe muss sich nicht rechtfertigen und hat deshalb die Tendenz, den aktuellen Zustand zu konservieren. Multiplikation ist immer klein und steht immer am Anfang – immer wieder neu. Ständig finden Geburten statt, immer wieder muss neu gelernt werden, wie es weitergeht. Dynamik ist normal. Was sind in unserer Zeit typische Symbole für Größe? Wie wäre es mit dem Empire State Building, dem Eiffelturm, der Ariane-Rakete? Multiplizieren wird sich das aber alles nicht. Es ist groß und es bleibt so wie es ist. Typisch für Multiplikation sind Wühlmäuse, die ein riesiges Feld wie einen Schweizer Käse durchlöchern können, oder die vielen „Fallschirme“, die nach der Löwenzahnblüte unsere Vorgärten heimsuchen und hektische Gegenmaßnahmen aller Hobbygärtner auslösen. All das ist klein und dynamisch – und hat eine ungeheure Wirkung.

Multiplikation persönlich

Jetzt sagen Sie vielleicht: „Was hat Multiplikation mit meinem Leben zu tun? Bisher klingt das alles reichlich theoretisch.“ Keine Angst, Multiplikation ist einfach. Egal ob Sie unter Ihrer Arbeitslast stöhnen oder einen schier unlösbaren Auftrag durchführen wollen, die Lösung heißt: Entwickeln Sie eine Perspektive von Frucht in Ihrem Leben. Das kann bedeuten, dass Sie sich und Ihren ehrenamtlichen Dienst oder Ihre Arbeit als Abteilungsleiter multiplizieren wollen. Vor allem aber bedeutet es, dass Sie für sich klären, welche Frucht Sie mit Ihrem Leben bringen wollen.

Wer lieber gar nichts tut, dem wird Multiplikation nicht helfen. Multiplikation und die Entwicklung von Lebensperspektive ist etwas für proaktive Menschen, die Ziele erreichen und etwas im Leben bewegen wollen. Allerdings auf clevere Art und Weise. Multiplikation ist leicht, weil sie sich immer im Rahmen dessen bewegt, was Sie schon kennen. Wenn Sie beispielsweise in Ihrem Verein einen Co-Trainer für die Handballjugend ausbilden wollen, müssen Sie dabei nicht in erster Linie auf Seminare vom Verband zurückgreifen, sondern ihn einfach nach und nach in Ihre Arbeit mit hineinnehmen. Und dabei müssen Sie nichts Außergewöhnliches tun. Sie lassen einfach jemanden zuschauen bei dem, was Sie sowieso machen. Wenn Sie als Abteilungsleiter einen neuen Teamleiter brauchen, können Sie ebenfalls multiplikativ vorgehen, um zum Ziel zu gelangen.

Wenn Sie sich und Ihre Aufgabe oder Ihren ehrenamtlichen Dienst multiplizieren, werden Sie sich nie übernehmen und sich immer in einem überschaubaren Rahmen bewegen. Sie haben Mitstreiter und die Arbeit verteilt sich auf viele Schultern. Wenn Sie nach dem Prinzip der Multiplikation leben, nimmt Ihr Leistungsdruck ab. Kriterium für erfolgreiche Arbeit ist nicht mehr sichtbare Größe, die alle bewundern, sondern Menschen, die sich Ihre Werte und Aufgaben verinnerlichen, weil Sie in sie investiert haben. Das nennt man heute gerne „Empowerment“.

Sie sehen, es geht nicht um die Auflösung von nachprüfbaren Kriterien, damit man auf dem (kleinen) Status quo verharren kann, sondern die Kriterien verändern sich. Erreichbare Teilziele stehen für den Einzelnen im Vordergrund, nicht lähmende Megaziele, die nur Leistungsdruck erzeugen. Wenn Sie nach dem Prinzip der Multiplikation leben, erreichen Sie mehr – mit weniger Aufwand.

Wie gesagt: Wer sich das Leben leichter machen will, indem er immer weniger tut, für den ist Multiplikation möglicherweise nicht der richtige Weg. Wer aber proaktiv seine Arbeitswelt und sein persönliches Umfeld gestalten will, der kommt nicht darum herum, sich zu multiplizieren. „Don’t work harder, but smarter“, das ist das Motto der Multiplikation.

Zum Weiterdenken

 Wo wird in Ihrem Umfeld (Beruf, Verein, Ehrenamt etc.) noch „geklotzt“? Wo kommt es vor allem auf Größe an?

 Wo sympathisieren Sie selbst mit dem Ansatz „Klotzen statt Kleckern“?

 Wie können Sie das Prinzip der Multiplikation in Ihrem persönlichen Leben nutzbringend anwenden?

Mit Verlusten rechen

Wenn ich über Multiplikation spreche, höre ich in Seminaren immer wieder den Einwand, dass es doch so einfach gar nicht geht. Das sei doch Schönrechnerei, da steckten idealistische Annahmen dahinter, die nie erfüllt würden.

In einem Punkt stimme ich den Kritikern völlig zu: Nie werden wir Multiplikation auf perfekte Art und Weise erleben. Das, was rechnerisch auf dem Papier herauskommt, stimmt nie mit der Wirklichkeit überein. Wir werden immer erleben, dass die tatsächlichen Ergebnisse hinter unseren erhofften Ergebnissen zurückbleiben. Warum ist das so? Weil wir immer mit Verlusten rechnen müssen! Aber gerade deshalb arbeitet die Natur multiplikativ. Sie produziert Überfluss (und manchmal sogar Überschuss), weil von vorne herein klar ist, dass nicht alle Nachkommen überleben.

Auch hier ist uns das Kaninchen Vorbild und Lehrmeister: Viele der Tiere sterben schon in ihrem ersten Lebensjahr oder überleben den ersten Winter nicht. Sie fallen oft Wildtieren oder wildernden Katzen und Hunden zum Opfer, verhungern oder sterben an Krankheiten. Vom Fenster meines Büros aus kann ich mehrmals im Jahr live beobachten, wie Jäger auf den Feldern vor unserem Gebäude große Treibjagden auf Kaninchen veranstalten, um eine unkontrollierte Vermehrung zu verhindern. Und trotzdem sind Kaninchen nicht vom Aussterben bedroht – im Gegenteil. Sie multiplizieren sich auf eine Art, die mit den Verlusten fertig wird.

Multiplikation bedeutet deshalb, der Realität ins Auge zu sehen und mit Verlusten zu rechnen. Multiplikation bedeutet, dass wir es uns nicht leisten können, mit weniger effektiven Vorgehensweisen zu arbeiten, eben weil wir nie die idealen Ergebnisse erreichen. Multiplikation bedeutet, dass wir von Anfang an mehr wollen müssen als wir brauchen. Wir zielen auf den Überfluss, um am Ende das zu erreichen, was wir tatsächlich haben wollen. Das ist auch der entscheidende Grund, warum das Prinzip der Multiplikation unbedingt berücksichtigt werden muss, wenn wir uns Gedanken über unsere (Lebens-)Perspektive machen und überlegen, welche Frucht wir bringen wollen. Perspektive ohne multiplikative Anteile läuft Gefahr zu versanden.

Denken Sie ganz praktisch an das Prinzip von Saat und Ernte: Man sät grundsätzlich mehr aus, als man am Ende an Pflanzen tatsächlich braucht. Man muss bei der Saat fast verschwenderisch umgehen, damit man zur Erntezeit den gewünschten Ertrag bekommt. Wer seine Ziele erreichen will, muss nicht nur multiplikativ vorgehen, sondern auch so planen, als ob er Überfluss anstrebt. Genau das ist die Perspektive, die wir brauchen.

Wenn Sie also im Handballverein nach einem Co-Trainer suchen, dann bilden Sie doch gleich zwei oder drei gleichzeitig aus. Wenn einer dann wegzieht und der nächste Terminengpässe hat, bleibt Ihnen auf alle Fälle einer. Und von dem, der weggezogen ist, profitiert ein anderer Verein.

Wenn Sie Ihr berufliches Wissen multiplizieren wollen, weihen Sie doch gleich zwei Kollegen in ein Aufgabengebiet ein. Am Ende übertragen Sie es dann dem Kollegen, der mehr Spaß daran oder mehr Kapazitäten hat.

Multiplikation scheitert leider oft an unserer inneren Haltung. Ausbildungsprozesse und Mentoring bedeuten Verzicht, das Aufgeben von Bequemlichkeiten, Mühe und Investition in andere – und das manchmal auch noch bei möglichen Verlusten. Wir müssen einen Preis dafür zahlen, wenn wir uns multiplizieren und Frucht sehen wollen.

Aber wir sollten uns nicht täuschen: Auch Nicht-Veränderung kostet ihren Preis. Versuchen Sie einmal, ein Boot in einem Gewässer über längere Zeit am selben Ort zu halten. Ohne Anstrengung und Gegensteuern ist das selbst auf einem stillen See kaum möglich. Wind und Strömung wirken stets auf das Boot ein und verändern die Position, wenn Sie nichts tun.

Wir haben also drei Möglichkeiten:

1 Wer nichts tut, wird von den Kräften um ihn herum verändert, und muss den Preis zahlen, dass er auf das Ergebnis der Veränderung keinen Einfluss hat. Er wird gelebt.

2 Wer nichts verändern und alles exakt gleich halten will, muss den Preis zahlen, mit hohem Kraftaufwand gegen die Einflüsse der Umwelt kämpfen zu müssen.

3 Wir bezahlen bewusst den Preis, den Veränderung bzw. Multiplikation kostet, aber wir legen das Ziel der Reise bewusst fest. Und wir nutzen außerdem das Prinzip Energieumwandlung (mit dem wir uns später noch ausführlich beschäftigen werden), um uns mit möglichst geringer Steuerenergie die Kräfte der Umwelt zunutze zu machen.

Werte-Check

Überprüfen Sie doch einmal Ihre innere Haltung und Ihr Wertesystem anhand einer konkreten Situation, in der das Stichwort „Multiplikation“ in Ihnen gemischte Gefühle auslöst. Also zum Beispiel, wenn Sie sich in die Ausbildung von Mitarbeitern investieren müssten. In solchen Situationen treiben uns oft die unterschiedlichsten Emotionen um, innere Stimmen raten uns mal dies, mal das. Ein inneres Hin- und Hergerissensein ist bezeichnend für Situationen, in denen wir uns in einem Motivkonflikt zwischen verschiedenen Werten befinden.

„Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“, lässt Johann Wolfgang von Goethe seinen Dr. Faust sagen. Auch wir kennen diesen inneren Zwiespalt, der von Psychologen und Therapeuten wie Richard Schwartz, Gunter Schmidt und Friedemann Schulz von Thun zur „inneren Familie“ oder zum „inneren Team“ weiterentwickelt wurde. Dabei handelt es sich um eine einfache Methode, mit der man die unterschiedlichen Aspekte eines Konflikts dadurch sichtbar machen kann, dass sie von unterschiedlichen „Teammitgliedern“ vertreten werden. „Der Ängstliche“ in mir könnte also die Unsicherheit sichtbar machen, die ich immer dann habe, wenn ich es mit Menschen zu tun habe, die ich noch nicht kenne. „Das Gewohnheitstier“ in mir könnte den Teil von mir verdeutlichen, der sich gegen jede Art von Veränderung sträubt. Alle diese inneren Teammitglieder, die Gedanken, Gefühle, innere Stimmen und Werte repräsentieren, stehen immer nur für einen Teil von mir. Einen wichtigen und wertvollen Teil, aber eben nur für einen Teil.

Deshalb lohnt es sich, dieses „innere Team“ aus Werten, Gedanken, Eindrücken und Gefühlen einmal genauer anzuschauen. Es hilft bei der Selbstklärung, wenn Sie alle diese Stimmen in Ihnen personifizieren und wie Mitglieder eines Teams behandeln, dessen Teamchef Sie selbst sind. Manche der Teammitglieder in Ihnen sind sofort zu erkennen: Sie artikulieren sich laut und deutlich und stehen im Vordergrund. Andere sind vielleicht leise und zurückhaltend. Oder sie verstecken sich irgendwo in einer Schmuddelecke. Spannend ist, dass sich manche Teammitglieder verbünden – gegen andere Teammitglieder oder Grüppchen innerhalb des Teams. Verschaffen Sie sich für Ihre Situation einen Überblick über Ihr inneres Team:

 Wer taucht da auf?

 Geben Sie dann jedem Teammitglied einen Namen (z. B. „Der Ängstliche“ oder „Die Radikale“ oder „Die Beziehungsnudel“)

 Finden Sie für jedes Teammitglied eine typische Aussage – was sagt das Teammitglied zu dieser Situation, am besten in Ichform (einen Satz wie: „Das geht mir zu weit!“ oder „Ich will mich weiterentwickeln.“)

 Hören Sie in sich hinein: Welche Teammitglieder sind dominant? Welche leise und zurückhaltend?

Zeichnen Sie auf ein Blatt eine Person mit einem großen Bauch. In den Bauch zeichnen Sie alle Teammitglieder mit Namen und ihrem jeweils typischen Satz. Überlegen Sie, wie sich die Teammitglieder zueinander verhalten. Wer ist mit wem verbündet? Und gegen wen? Welche Allianzen und Koalitionen gibt es in Ihrem Team? Wofür treten Sie ein? Wogegen?

Spielen Sie die Möglichkeiten, die Sie in Ihrer Ausgangssituation sehen, gedanklich einmal durch. Vielleicht hilft Ihnen, wenn Sie sich dabei für jede Option auf einen anderen Stuhl setzen und sich ganz in diese Rolle hineinversetzen. Wie reagieren die einzelnen Teammitglieder auf diese Möglichkeit? Wo schreien sie empört auf? Wo blockieren sie? Wo freuen sie sich? Wie reagieren andere Teammitglieder und Gruppen im Team auf diese Reaktionen?

Erlauben Sie Ihrem inneren Team eine Diskussion über diese unterschiedlichen Möglichkeiten, Positionen und Sichtweisen. Sie als Teamleiter Ihres inneren Teams können diese Diskussion moderieren, indem Sie bei allen Teammitgliedern nachfragen: Wie siehst du das? Wie geht es dir damit? Versuchen Sie am Ende der inneren Diskussion eine gemeinsame Stellungnahme aller Teammitglieder.

Wenn Sie das formulieren können, werden Sie auch in der Lage sein, in Ihrer „Multiplikationssituation“ den richtigen Weg einzuschlagen, der konform mit Ihren Werten und Ihrem inneren Team geht.

Das Geheimnis der Vermehrung

Im Altertum war das Wildkaninchen fast ausschließlich auf die Iberische Halbinsel und Südfrankreich beschränkt. So leitet sich der Name „Spanien“ vom Phönizischen „Land der Schliefer“ ab, weil die Phönizier die dort heimischen Kaninchen nicht kannten und sie mit dem Wort für die ihnen aus Afrika bekannten Schliefer bezeichneten. Bereits in der Antike wurde es in Italien und Nordwestafrika eingebürgert. Im Mittelalter wurde es nach Frankreich und auf die Britischen Inseln gebracht, in der frühen Neuzeit nach Deutschland sowie auf viele Inseln in allen Ozeanen. Heute lebt es in ganz Europa außer im mittleren und nördlichen Skandinavien. Im 19. Jahrhundert wurden Kaninchen in Australien und Neuseeland ausgesetzt. Darüber hinaus wurden sie in Südafrika, Nord- und Südamerika eingebürgert. Spannend ist das Beispiel Australien: 1859 wurden 24 Kaninchen importiert. Nach weniger als einem Jahrhundert war die Population auf 600 Millionen angewachsen!

Wie gelingt es dem Kaninchen, sich dermaßen stark zu vermehren? Das Geheimnis dieser hohen Reproduktionsrate liegt unter anderem darin begründet, dass weibliche Kaninchen eine doppelte Gebärmutter besitzen: Sie können bereits vor dem Ende einer Schwangerschaft erneut schwanger werden! Damit haben sie nicht nur die „Produktion“ von Nachkommen maximiert, sondern auch die „Produktionskapazitäten“ verdoppelt. Die Produktionskapazitäten zu erweitern, das ist die nächste Lektion, die wir vom Kaninchen lernen können. Oft machen wir nämlich den Fehler, einfach immer mehr zu „produzieren“, ohne vorher unsere Kapazitäten auszubauen. Die Folge: Burnout, Überforderung, Frustration, Scheitern.

Wir handeln dann so wie der Bauer, von dem der griechische Dichter Aesop vor etwa 2600 Jahren in seiner berühmten Fabel erzählt hat:

Es war einmal ein Bauer mit seiner Gans. Eines Tages fand er im Nest der Gans ein schweres, gelb glänzendes Ei. Erst dachte er, man hätte ihm einen Streich gespielt. Als er es dann doch schätzen ließ, stellte sich heraus, dass das Ei aus reinem Gold war! Der Bauer konnte sein Glück kaum fassen. Tag für Tag legte die Gans ihm ein neues goldenes Ei. Der Bauer verkaufte die goldenen Eier und wurde schnell sehr reich. Dabei wurde er immer gieriger und ungeduldiger. Schließlich beschloss er, die Gans zu schlachten, um sofort an alle Eier auf einmal heranzukommen. Als er die Gans aber geschlachtet hatte, war der Bauch leer.

Der Bauer wollte das Maximum aus seiner Gans herausholen – maximale Produktion. Dabei musste er die bittere Wahrheit lernen: eine tote Gans legt keine Eier mehr, schon gar keine goldenen. Aber genau diese Situation erlebe ich im Coaching immer wieder: Da ist ein junger, erfolgreicher Abteilungsleiter, und weil er seine Arbeit gut macht, wird ihm immer mehr Verantwortung übertragen. Er schlägt sich wacker – bis er eines Tages zusammenbricht. Die „Gans“ ist tot.

Die Basis ausbauen

Ich weiß nicht, wie es biologisch möglich wäre, dass sich eine Gans, die goldene Eier legt, vermehrt. Aber wenn sie schon Eier aus Gold legen kann, dann dürfen wir den Faden sicher so weiterspinnen, dass die Gans ihre goldenen Eier ausbrütet und schließlich viele Gänse da sind, die goldene Eier legen. Genauso braucht es Firmen oder Organisationen, die ihren Mitarbeitern helfen, die Basis für ihre Arbeit zu erweitern anstatt einfach immer mehr selbst zu tun. Es braucht Chefs, die ihre Mitarbeiter dazu befähigen, mehr Menschen in ihre Aufgaben zu integrieren und so auszubilden, dass mehr Kapazitäten entstehen.

Wer also wirkungsvoll multiplizieren will, muss sich darum kümmern, dass die Kapazitäten für die Aufgaben, die Mitarbeiter und die Führungskräfte aufgestockt werden. Dazu bedarf es zweierlei:

1 Sie müssen Vorreiter für Multiplikation finden: Multiplikation ist und bleibt anspruchsvoll und ist leichter gesagt als getan. Deshalb braucht Multiplikation immer Vorbilder und Vorreiter. Menschen, die das Prinzip verstanden haben. Die dadurch motiviert werden. Die es begeistert umsetzen und vorleben. Gerade wenn es um die Erweiterung von Kapazitäten geht, sollte die Multiplikation nicht dem Zufall überlassen bleiben. Die Verantwortlichen einer Firma oder einer Organisation können sich aber Gedanken darüber machen, welche Vorreiter sie sehen und wie sie diese herausfordern können, Multiplikation vorzuleben.

2 Sie müssen Unterstützung anbieten: Außerdem ist es notwendig, dass die Vorreiter in ihrer Rolle unterstützt werden. Sie brauchen die Wertschätzung durch ihre Vorgesetzten oder Abteilungsleiter, sie brauchen Coaching und Training, sonst werden sie ihre Rolle auf Dauer kaum durchhalten können. Pioniere sind in der Gefahr zu vereinsamen und ihre Bedürfnisse denen anderer Menschen unterzuordnen. Damit sie nicht auf der Strecke bleiben, muss sich eine Firma oder ein Verein damit auseinandersetzen, wie hier vorgebeugt werden kann.

Fazit

Vom Kaninchen lernen heißt multiplikativ zu handeln und dadurch Perspektive für mehr Frucht zu gewinnen. Dazu braucht man Mut zu kleinen Anfängen, denn schiere Größe ist statisch und behindert oft die Dynamik, die für Multiplikation notwendig ist. Das Kaninchen lehrt uns auch eine Perspektive und Haltung, bei der wir bereit sind, uns ganz zu investieren. Voller Einsatz ist ein Schlüssel zur Multiplikation, und ebenso das Akzeptieren, ja sogar das Einplanen von Verlusten. Deshalb peilen wir immer größere Ergebnisse an als wir eigentlich brauchen und erweitern unsere Kapazitäten. So können wir etwas in Leben und Beruf bewegen und bringen mehr Frucht in unserem Umfeld.

Zum Weiterdenken

 Wo handeln Sie schon multiplikativ?

 Sind Sie auf „Überproduktion“ eingestellt? Inwieweit planen Sie Verluste realistisch mit ein?

Empowerment fürs ganze Leben

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