Читать книгу Tina - meine beste Freundin - Christoph T. M. Krause - Страница 10

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~ Wir sind Helden ~

Ich ging also schnurstracks an allen Wartenden vorbei, nicht ohne vom ein oder anderen im Vorbeigehen an der Haut angefasst zu werden, um meine „gottgleiche helle“ Haut zu berühren, die für viele Ceylonesen offenbar noch neu war und regelrechte Entzückungsreaktionen hervorrief.

Es ist doch so, dass wir Europäer (und auch andere) es lieben, im Sommer unsere meist bleiche Hautfarbe durch Sonnenbaden (und vielleicht zusätzlich durch Sonnenbänke) in eine für uns erstrebenswerte „braune“ Farbe zu verwandeln, die leider jedoch nur zeitweise suggeriert, dass wir auch am Nimbus eines fitten, modernen Menschenbildes teilhaben dürfen.

So scheint das Verhalten der Einheimischen hier genau umgekehrt zu funktionieren. Je heller die Haut und je blonder die Haare, desto erstrebenswerter. So färben sich nicht wenige ihre Haare hell oder blond, um diesem Ideal zu entsprechen.

Ich fand die merkwürdige Verdrehung der Idealbilder immer etwas skurril, zeigt sie aber, dass wir Menschen offenbar dazu neigen, nie zufrieden mit dem zu sein, was wir sind oder haben, sondern immer nach unseres Nachbarn „Glück“ schauen und ihn bzw. es zu imitieren suchen.

Ich fand die mir unterwürfig erscheinende „Heldenverehrung“ unserer Spezies immer sehr befremdlich, obwohl ich es nicht unangenehm fand, berührt zu werden. Weil diese Berührungen nicht fordernd oder anmaßend waren, sondern scheu und mit allem Respekt für die für die Einheimischen „gottgleich“ wirkenden Idealbilder.

Ich muss sagen, dass mich dieser „Verehrungskult“ über die Maßen befremdete, zumal ich von der Kolonialgeschichte der Engländer und vorher der Niederländer und Portugiesen wusste, die die Einheimischen nicht gerade zimperlich behandelt hatten. Dabei schloss sich natürlich der Kreis irgendwie auf eine skurrile Art.

Der Kolonialismus war sicherlich nur möglich gewesen, weil viele Asiaten, zumindest zur Kolonialzeit, traditionell eine „naturgegebene“ Verehrung für Europäer zu haben schienen und das koloniale Verhalten derselben offenbar auch aus diesem Grunde mutmaßlich leichter erduldet wurde.

Natürlich sagt das auch etwas darüber aus, wie sich ein Volk oder besser eine Ethnie selbst sieht. Findet sie, dass sie gleichwertig ist, hat sie Minderwertigkeitsgefühl, woher diese auch immer stammen? Oder ist dieses Gefühl der Minderwertigkeit etwa Tradition oder etwa nur unser Eindruck? Ist es vielleicht eine Frage der Höflichkeit und des Respekts Fremden gegenüber und hat mit Unterwürfigkeit gar nichts zu tun?

Kann man diese Eindrücke überhaupt verallgemeinern oder bedürfen sie einer empirischen Untersuchung?

Diese Fragen müssen tatsächlich Wissenschafter beantworten. Für mich war diese Erfahrung naturgemäß neu, ich verstehe allerdings ihre daraus resultierenden Verlockungspotentialien.

Einst machte ich die Erfahrung, in eine ceylonesischen Mittelstandfamilie eingeladen zu werden. Hier herrschten Verhältnisse wie an europäischen Höfen, nur das das Haus ein kleines Stadthaus war.

Als Gast stand mir eine Rundumbetreuung durch das Personal zu. Wie selbstverständlich und ohne, dass ich je darum gebeten hätte, wurden meine Schuhe geputzt, mein Koffer ausgepackt und alles wurde so gestaltet, als ob ich ein König wäre, der der Familie seine Aufwarten machte.

Ich erhielt eine Übernachtungsmöglichkeit im Zimmer ihres jüngsten Sohnes, der 13 Jahre alt war und mit mir in einem Doppelbett schlief.

Diese Entscheidung fand ich am befremdlichsten, denn mir war nicht klar, ob dies etwa sogar eine Aufforderung sein sollte, quasi als Gastgeschenk seinen eigenen Sohn anzubieten (ich hörte davon, dass es so etwas tatsächlich geben sollte).

Auf der anderen Seite konnte es aber auch bedeuten, dass die Eltern großes Vertrauen in mich hatten und mir damit ihre Ehrerbietung zeigen wollten.

Sicherlich, die Eltern wussten, dass ich diese Situation niemals ausnutzen würde, aber wer will das denn genau wissen? Schließlich wissen wir heute, was alles passiert, nur damals sprach man über solche Dinge nicht, schon gar nicht in Sri Lanka. Offenbar gab es im Haus auch keine andere Möglichkeit, zu übernachten.

Für mich waren alle diese scheinbar widersprüchlichen Erlebnisse einschneidend und ich fühlte mich wie auf einem Vulkan. Jederzeit hatte ich das Gefühl, konnte das Kartenhaus in mir zusammenbrechen, die Erlebnisse in diesem Land, welcher Art auch immer sie waren, waren sowohl befremdlich, als auch verführerisch und verlockend.

Wer hätte nicht gerne Personal für „kleines Geld“, das jeden Tag rund um die Uhr zur Verfügung steht?

Ich für mich sage: ja und nein. Ich finde es kulturell sehr befremdlich und gleichzeitig verlockend. Und genau diese Ambivalenz ist es, was dieses Land ausmacht. Es erschreckt und fasziniert zugleich.

Himmel und Hölle, zu gleicher Zeit. Ein Katapult von positiven Gefühlen und Horrorszenarien. Asien „as its best“.

Viele Menschen sind im Lauf der Jahrhunderte diesen Erfahrungen in ihren Kolonien erlegen, wurden aufgesaugt von der Vielfalt, der süßen Verführung und dem erbärmlichsten Schrecken, den man sich vorstellen kann. Denn Armut und Elend existieren um die Ecke, befinden sich ganz nahe neben dem, was auch ich an kolonialem Glamour und Glanz erlebte.

Massenslums in den Städten, Hunderttausende, die in Straßengossen leben, Krankheiten und Tod. Alles auch um die Ecke.

Zurück zum Verhalten der Einheimischen und der traditionellen Bewunderung für Europäer:

Sicherlich hat sich das nach all den Jahren grundsätzlich gewandelt, auch durch die zunehmende Erfahrung durch den Massentourismus.

Motiviert war jegliches Verhalten gegenüber Touristen offenbar immer auch dadurch, dass viele Einheimische dachten, dass ein guter Kontakt zu Touristen dazu führen könnte, nach Europa zu gelangen und, ohne viel zu arbeiten, trotzdem mit „auf der Straße liegendem Geld“, vom fließenden „Milch und Honig“, zu profitieren.

Das hört sich jetzt vielleicht hochnäsig, arrogant oder rassistisch an, ist es aber mitnichten, denn ich habe das Land und seine Bewohner über viele Jahre kennengelernt und viele Gespräche geführt, Einheimische nach Europa eingeladen und vieles mehr.

Selbst eigene Erfahrungen in Europa, wenn auch als Touristen, haben das grundsätzliche Verhalten und die innere Einstellung vieler Sri Lankaner nicht verändert, sondern eher noch bestärkt. Ich würde das vorsichtig „kulturelle Diskrepanz“ nennen.

Um es kurz zusammenzufassen:

Viele Sri Lankaner (und wahrscheinlich viele andere Nationalitäten in Afrika und Asien) bewunderten augenscheinlich Europa bzw. die „westliche Welt“ (man kann es ja auch bei der aktuellen Flüchtlingskrise beobachten).

Sie denken offensichtlich, alle Europäer seien reich, denn wer könnte sich sonst einen Urlaub am weißen Strand Ceylons leisten, wenn er nicht ein Krösus wäre?

In Europa scheint das Geld auf der Straße zu liegen. Selbst Regierungsangehörige bieten Einwanderern oder Geflüchteten Häuser und andere Wohltaten, sagt man.

Egal, wenn jemand unkte, dass man auch in Europa arbeiten müsse und das Leben nicht für alle superleicht und „easy“ wäre. Diese gutgemeinten Warnungen wurden ohne Umschweife in den Wind geschlagen und einfach nicht geglaubt. Das konnte einfach nicht sein!

Schlechtes, kaltes Wetter können sich die Menschen der Äquatorialzone nicht vorstellen, ebenso wenig, wie ich selbst es mir umgekehrt nicht hatte vorstellen können, wie es wäre, in der Nähe des Äquators zu leben, bevor ich (wie bereits beschrieben) es selbst am eigenen Leib erfahren konnte.

Ergo ist es logisch, dass jeder, der in irgendeiner Weise keine Arbeit oder wenig Geld hatte (und derer waren und sind es viele) mit allen Mitteln versucht, dorthin zu gelangen, wo vermeintlich tatsächlich Milch und Honig fließen.

Ich gebe es zu, ich würde es auch wollen und tun.

Tina - meine beste Freundin

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