Читать книгу DIE EWIGEN. Erinnerungen an die Unsterblichkeit - Chriz Wagner - Страница 7

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Mein Name ist Simon.

Ich lebe ewig.

Solange ich zurückdenken kann, bin ich auf der Erde.

Ich habe außergewöhnliche Dinge gelernt auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage:

Wer bin ich?

Ich kann nicht sterben. Ich darf nicht lieben.

Ich bin Simon.

Die Gärten von Rom

I

Anzino, Rom im Jahr 11 nach Christus

Es war etliche Jahrzehnte vor dem Jahre Null in christlicher Zeitrechnung. Nach dem Kalender der Bürger Roms muss es ungefähr 728 ab urbe condita – seit der Stadtgründung – gewesen sein. Aber das war den Menschen in dieser Gegend gleichgültig.

Dieses Mal führte mich meine Suche in ein Landgebiet, mehrere Tagesreisen von Rom entfernt, einer Metropole, die man schon bald als Die Mitte der Welt bezeichnen sollte. Aber davon bemerkte man hier nichts. Die unbefestigte Straße führte über Felder, die fast unablässig vom Wind heimgesucht wurden, sodass man den Weg oft nicht vom Acker unterscheiden konnte.

Alle Wege führen nach Rom, so sagt man heute. Doch dieser eine endete in Anzino, einer Hundert-Seelen-Gemeinde am Tiber, wie ich heute weiß. In sämtlichen Ecken stank es nach Fisch. Trotzdem war ich froh, in dem kleinen Dorf angelangt zu sein. Mein Hals kratzte vom Staub. Meine Lippen waren aufgeplatzt. Und der Wasservorrat, den ich in einem Lederbeutel auf dem Rücken trug, fühlte sich verdächtig leicht an. Die Häuser wirkten fehl am Platz, wie auf das Ödland aufgesetzt und vom Schutt begraben. Es gab kein Grün in Anzino. Nur Braun, Gelb und Grau. Der Weg führte zwischen zwei Holzhütten hindurch. Überall hingen schmutzige Gesichter an den Fenstern. Hinter den dunklen Gucklöchern leuchteten die Augäpfel weiß, die Pupillen sprangen hin und her. Ich vermutete Kinder, mindestens ein Dutzend, wunderte mich aber, dass sie nicht ausgelassen durch die Straßen tollten, wie andernorts auch.

Es wehte noch immer dieser unbarmherzige Wind, trotz der Bruchbuden, die rechts und links die Straße abschirmten. Ein ausgezehrter Mann mit fransigem Bart und Gehstock humpelte hinter mir hinter einer Baracke hervor.

Tok-tum. Tok-tum.

Er wirkte uralt, die Haut runzlig und wettergegerbt, die Beine krumm und dürr. Aber ich erinnere mich, dass er trotzdem recht flott mit dem Stock über den Schutt wackelte. Das einzige Geräusch weit und breit war das Aufsetzen seines Holzstabs im Dreck.

Tok-tum. Tok-tum.

Er lief in meine Richtung und überholte mich. Ich sah, wie er seine Knochen vorantrieb, sich quälte. Er hätte eigentlich auf einen Stuhl in der Ecke einer Stube gehört, zu seinen Enkeln und Urenkeln. Jetzt erst entdeckte ich eine kurze Schnur, die an den Gehstock gebunden war. Am anderen Ende baumelte ein knallrotes Fähnchen, in der Art, wie man es heute von den Gebrauchtwagenmärkten kennt.

Ich wollte von ihm wissen, ob es in Anzino eine Schlafmöglichkeit für mich gab. Daraufhin sah er mich an, als wäre ich eine einzelne Mohnblüte auf einem Kornfeld. Ohne stehenzubleiben, sagte er drei Worte, voller Hoffnung und Lebensenergie: „Er ist da.“

Und gleich tauchten noch mehr Kinderaugen und winzige Finger, die unruhig in unsere Richtung zeigten, an den Fenstern auf.

Tok-tum. Tok-tum.

Ich betrachtete den Alten skeptisch und mit einem Hauch Sorge. Ich hatte nicht den Eindruck, dass er die Strecke würde zurücklaufen können. Und so wie er schnaufte, würde es schon bald nötig sein. Aber er hatte mich neugierig gemacht. Und ich dachte als Allererstes, dass er wohl zu einem Heiler wollte.

„Wer ist da?“

Das hätte ich nicht fragen dürfen. Sofort verschwanden die Augen an den Fenstern in der Dunkelheit der Häuser. Der Alte blieb stehen und sah mich fassungslos an. Dann hob er den Stock in die Luft. Seine Beine zitterten. Sie würden die Last des Körpers nicht lange tragen können. Und wieder kam der Wind auf. Das Fähnchen am Gehstock flatterte.

„Er“, sagte er, als würde dies alle Fragen beantworten.

Und winzige Gesichter wagten sich so nah an die Fenster heran, dass man sie erkennen konnte: Jungen und Mädchen, ungewaschene Wangen, verfilzte, strähnige Haare. Mit offenen Mündern und großen Augen sahen sie zu dem einzigen Farbklecks hin, der in diesem Ort zu sehen war – dem roten Gebrauchtwagenfähnchen.

*

Ich entdeckte die Erwachsenen auf dem Dorfplatz am Fluss. Wenigstens dreißig Menschen, Frauen wie Männer. Und noch mehr farbige Wimpel, auch in saftigem Grün, strahlendem Gelb und in kräftigem Blau. Ein junger Mann mit lockigem Haar trug seines sogar um den Kopf gebunden, eine Frau an der befleckten Schürze. Die meisten hielten ihre Fahne an einer Schnur in der Hand.

„Was ist hier los?“, fragte ich in die Runde. Die Frau mit dem Fähnchen an der Kochschürze fühlte sich angesprochen. Sie sah so aus, wie ich mir eine Haushälterin vorstellte: ein farbloses Kleid um den wulstigen Körper gewickelt, ein übereifriger Ausschnitt und ein verwaschenes Häubchen, um das Resultat ihrer Kochkünste vor Läusen zu schützen.

„Magnus ist zurück!“, rief sie begeistert. Sofort dachte ich an einen römischen Gesandten, der Brot und Wein verteilte und von der Güte des Kaisers Augustus berichtete. Ein Grund, sich zu freuen. Ich stellte mir einen krossen Brotlaib vor. Das Wasser lief mir im Mund zusammen. Sie deutete zum Fluss.

Ein Mann machte seinen Kahn an einem Pfahl fest und streckte mir dabei sein Hinterteil entgegen. Hätte ich damals gewusst, was noch kommen sollte, hätte ich ihm an Ort und Stelle einen Tritt in seinen Hintern verpasst, sodass er vornüber in den Tiber geplumpst und hoffentlich ersoffen wäre.

Magnus entpuppte sich als kräftiger, stämmiger Kerl, mit kurzem, naturgelocktem dunkelbraunem Haar und buschigen Augenbrauen. Wie Baumstämme ragten die behaarten Beine aus den abgenutzten Sandalen und verschwanden in der hochgezogenen Tunika. Durch den Vollbart wirkte sein Schädel kugelrund. Was mich damals am meisten überraschte, war seine Kopfbedeckung. Heute würde man sie wohl als Mütze eines Hofnarren bezeichnen. Doch diesen Begriff gab es damals noch nicht. Vier Zipfel hingen herab, jeder in einer anderen Farbe: blau, rot, gelb und grün. Dieselben Farbtöne wie die der Dreieckstücher.

„Liebe Leute sehet an …“, rief Magnus mit kräftiger Stimme und schon nach den ersten beiden Worten stimmten alle mit ein: „… was ich alles zeigen kann!“ Und wie von Geisterhand flogen vier apfelgroße Kugeln in die Luft, die eine rot, die anderen gelb, blau und grün. Die Leute klatschten in die Hände, die Gesichter strahlten. Und Magnus jonglierte die Bälle vor seinem Körper – hip, hip, hip – schneller, als meine Augen folgen konnten.

„Bildet einen Kreis“, rief ein Mann, der die Haare als Einziger ordentlich frisiert trug. Durch das Pallium über seiner Toga wirkte er seriöser, als die restlichen Menschen auf dem Dorfplatz. Ihm war die Begeisterung für die bunten Bälle ins Gesicht geschrieben. Und ich muss zugeben: Das Gefühl war ansteckend. Obwohl der Jongleur bisher keine besondere Leistung vollbracht hatte, spürte ich ein Hochgefühl in mir aufsteigen, für das, was noch kommen würde. Ich klatschte in die Hände und feuerte ihn mit an.

„Hip. Hip. Hip.“

Da schallte zum zweiten Mal Magnus’ Stimme über den Platz: „Liebe Leute sehet her …“

Die Menschen kannten ihren Text. Und sie freuten sich, ihn zum Besten geben zu können. Im Chor forderte die Menge: „… Jongleur Magnus kann noch mehr!“

Und dann schwangen sie jubelnd ihre Wimpel.

Plötzlich wurden aus den Holzbällen acht kleinere Kugeln, zwei von jeder Farbe. Es sah aus, als teilten sie sich in der Luft und fielen abwechselnd in die rechte oder die linke Hand. Und Magnus jonglierte mit allen acht Farbkreisen. Es war wundervoll.

„Hip. Hip. Hip“, riefen die Menschen im Takt. Ein paar Hände klatschten. Und ich ertappte mich dabei, wie auch ich applaudierte.

Mit seinen bunten Bällen und der Zipfelmütze inmitten von zerlumpten Arbeitergewändern war dieser Mann ein besonderer Anblick. Das Kunststück wirkte kinderleicht. Trotzdem konnte ich meine Augen nicht mehr von ihm lassen. Vermutlich ging es den anderen auch so. Und deshalb entging ihnen das Tier, das gebückt über den Platz schnüffelte, als suchte es nach etwas Essbarem – einem Stückchen Dörrfleisch vielleicht? Als es an mir vorbeihuschte, stieg ein furchtbarer Geruch in meine Nase, der Geruch von Verwesung. Ich sah hinterher: eine Hyäne, gigantisch und kräftig wie ein kleines Pferd, das graue Fell zerrupft, als hätte es unzählige Kämpfe überstanden. Niemanden sonst schien das Wesen zu beunruhigen. Vermutlich bemerkten sie es gar nicht. Alle Augen folgten den bunten Bällen – hip, hip, hip.

„Liebe Leute sehet her …“, rief Magnus, so laut, dass seine Stimme zwischen den Hütten echote. Sofort hielt er die Hände still, mit dem Handrücken nach unten. Die Kugeln fielen eine nach der anderen auf die Handflächen. Und das Wunderliche war, sie prallten nicht daran ab, wie man es beim Zusehen erwartet hätte. Es sah aus, als würden sie in den Händen verschwinden; vier in der rechten und vier in der linken. Dann stand er da, lächelte, und die Bälle waren weg.

Und die Menge rief: „… Jongleur Magnus kann noch mehr!“

Wie auf Kommando schossen sechzehn winzige Farbkugeln, so groß wie Weintrauben, aus den Händen. Sie flogen in die Luft, zwei Ketten aus jeweils acht Kügelchen. Ohne dass er eine Hand bewegte, drehten sie eine Runde um seinen Kopf und schwebten zurück in die Handflächen, aus denen sie gekommen waren.

Die Menschen jubelten, applaudierten und feuerten ihn mit „Hurra“-Rufen an, weiterzumachen.

Das hatte nichts mit irgendwelchen Tricks zu tun. Nein. Hier hätte mir auffallen können, dass etwas Finsteres am Werk war, das die Leute in seinen Bann zog. Aber ich dachte nicht darüber nach. Vielleicht, weil ich dieser Kraft selbst längst verfallen war.

Doch noch eine Sache ließ mir keine Ruhe. Ich hatte schon öfter Vorstellungen von fahrenden Schaustellern beigewohnt. Eines vermisste ich bei dieser ganz besonders. Ich lehnte mich zur Seite und flüsterte dem Mann neben mir ins Ohr: „Wo sind die Kinder?“

Er schüttelte den Kopf, als hätte ich ihn aus einem unsichtbaren Bann gerissen. Dann sah er verloren zwischen mir und der Aufführung hin und her. Schließlich fauchte er mich an: „Bist du verrückt? Er kann Kinder nicht leiden.“ Er wirkte, als hätte ich ihm etwas weggenommen. Seine Augen verengten sich zu bösartigen Schlitzen. Schließlich, als wäre er aus einem eigenartigen Traum erwacht, kehrte er der Darbietung den Rücken und ging.

Meine Begeisterung wich wohl langsam einer Beunruhigung. Mit einem Mal fand ich die Vorführung nicht mehr so toll. Eher langweilig – ein Mann, albern angezogen, der immer wieder dieselben Tricks vorführte, mal von oben, mal von unten, mal hinter dem Körper, dann davor.

Mittlerweile jonglierte er mit acht Bällen, die er herabfallen ließ, sodass sie vom Boden abprallten und zurück in seine Hände sprangen. Seine Bewegungen wirkten nicht mehr so leichtfüßig wie zuvor. Er musste sich gewaltig konzentrieren. Eine fette Schweißperle kullerte seine Stirn hinunter, sein Ausdruck war verbissen. Und für den Bruchteil einer Sekunde sah er zu mir herüber, vorwurfsvoll, anklagend, als hätte ich ihm sämtliche Mühen tagelanger Arbeit verdorben. Das sagte nicht nur sein Blick. Nein. Ich fühlte es deutlich in meiner Brust. Mit meiner Frage hatte ich ihn aus dem Fluss gebracht. Er duldete keine Unterbrechungen. Keine Fragen. So war das Gebot. Ich hatte dagegen verstoßen. Schandmaul.

Aber spätestens als er die bunten Bälle gegen Feuerflammen tauschte, war die kurze Störung vergessen. Die Menge hatte gerade eben ihren Spruch aufgesagt: „… Jongleur Magnus kann noch mehr!“, und die Fähnchen wehten jubelnd in der Luft.

Jetzt hatte er die Hände gespitzt, sodass die Fingerkuppen aneinander lagen. Vier Flammen, so groß wie Mäuse, hüpften zwischen den Fingerspitzen hin und her, immer zwei von ihnen gleichzeitig in Bewegung. Sie leuchteten in unterschiedlichen Farben: gelb, rot, grün und blau.

Keine Kinder? Dieser Gedanke ließ mir keine Ruhe. Meine Grübelei hatte mich aus dem Bann gerissen. Wie macht er das nur?, fragte ich mich und sah keine zauberhafte Aufführung, sondern einen Mann, der mir eine Illusion unterjubeln wollte. Keine Kinder. Das verstand ich nicht. Ich glaubte nicht, was ich sah. Ich wollte hinter die Kulisse blicken. Ich hatte schon zu viele außergewöhnliche Dinge erlebt und fast immer steckte entweder ein simpler Trick oder etwas Böses dahinter. Ich vermutete Täuschung. Kartenspielertricks. Aber so angestrengt ich das Flugspiel der Feuerbälle auch verfolgte, ich entdeckte keinen durchsichtigen Faden, keinen doppelten Boden, kein Rettungsnetz. Die Illusion war perfekt.

War es möglich, dass dieser Mann tatsächlich die Elemente beherrschte? Weil ich hinter das Geheimnis kommen wollte, konzentrierte ich mich auf den Jongleur und die springenden, bunten Flämmchen.

Da erschallte sein Ruf.

„Liebe Leute sehet her …“

Ich stimmte mit ein.

„… Jongleur Magnus kann noch mehr!“

Ich weiß nicht, warum ich es tat. Aber ich hob die Hände in die Luft, applaudierte und war fasziniert von den Feuerbällen, die in seinem Mund verschwanden. Dies war so außergewöhnlich, dass ich mich wieder dem Schauspiel hingab. Auch der Gestank war verschwunden. Stattdessen roch ich geröstete Nüsse und den Duft von kandierten Früchten. Als die letzte Flamme verschluckt war, lächelte der Jongleur zufrieden. Das Lächeln galt mir.

Dann folgte der Trick mit den Bechern. Es waren bemalte Zinnbecher – zumindest hatten sie diesen hohlen Klang, wenn sie auf den Tresen schlugen, den Magnus am Bauch trug. Ich wunderte mich, dass ich nur drei Farben zählte: rot, grün und gelb. Aber nur, bis ich das blaue Dreieckstuch in seiner Hand erblickte. Er steckte es unter den gelben Trinkbecher und jonglierte mit den Bechern, ohne dass das Fähnchen herauspurzelte. Dann knallte er sie nacheinander auf den leeren Bauchladen. Wer erriet, wo sich das Stofftuch befand, würde zur Belohnung eine besondere Rose erhalten. Nachdem er die Zinnbecher über seiner Narrenkappe herumgewirbelt hatte, war das Tuch, wie von Zauberhand, nicht mehr im gelben, sondern im roten Becher. Es war schier unmöglich, den passenden Becher zu erraten. Der seriöse Mann mit dem Pallium über der Toga versuchte es zwei Mal. Und jedes Mal, wenn er falsch riet, machte der Jongleur zuerst eine überraschte, dann eine spöttische Grimasse. Und ich lachte ebenso wie der Rest der Menge. Es war lustig, wie die Menschen auf den Trick mit den Trinkbechern immer wieder hereinfielen. Und noch unterhaltsamer waren Magnus’ Gesichtsausdrücke. Reingefallen. Lange Nase. Ätschbätsch.

Auch die Haushälterin forderte ihr Glück heraus. Natürlich zog sie den falschen Becher. Trotzdem überreichte er ihr eine Rose. Ein Trostpreis. Sie war begeistert, roch an der blauen Blüte, hob die Pflanze in die Luft und zeigte sie herum. Applaus. Zu meiner Verwunderung hatte der Stängel keine Dornen.

*

Etwas berührte mein Bein. Die feuchte Nase der übelriechenden Hyäne. Offenbar hatte sie gefunden, wonach sie gesucht hatte. Sie hörte auf zu schnüffeln, nahm mich ins Visier und fletschte die Zähne. Ich sah rotes Fleisch zwischen gelben Zähnen, wabernd und blutig. Sie knurrte bedrohlich – eine Warnung: Letzte Chance, sonst wird es ernst. Ihr Atem stank mir entgegen und wieder wunderte ich mich, warum niemand sonst das Wesen wahrzunehmen schien. Es war, als wäre es nur eine lästige Mücke, die man erst bemerkt, wenn man selbst gestochen wird.

Dann biss sie in meinen Wasserbeutel und zerrte daran, als wollte sie mich vom Dorfplatz vertreiben. Ein Fehler. Ich konnte es nicht leiden, wenn jemand meinem Beutel zu nahe kam. Er war meine Versicherung, dass ich jederzeit gehen konnte, wohin ich wollte. Ihr Reißzahn in meinem Wasserbeutel machte mich zornig. Jeder, der sich schon mal einen Tag ohne Wasser durch die Wüste geschleppt hat, wird das verstehen.

Es war mehr ein Reflex als eine bewusste Aktion. Aber obwohl mir das Vieh mit einem Happen den Kopf vom Hals hätte beißen können, schlug ich mit voller Wucht auf die Nase des Wesens. Erst zuckte es zusammen. Dann rieb es die Nase zwischen den Pfoten. Und auf einmal zog die Bestie wimmernd und heulend ab. Sie taumelte zwischen den Menschen hin und her, schlug mehrfach wie ein Maultier mit den Hinterläufen und heulte wie ein Wolf bei Vollmond. Der Jongleur sah zwischen den Bechern hindurch. Er richtete einen strafenden Blick auf mich. Und ich konnte in seinem Gesicht Wut lesen. Wieder schwitzte er vor Anstrengung, den Trick aufrechtzuerhalten.

Zu diesem Zeitpunkt hätte ich noch fliehen können. Rasch, weit weg. Und Magnus hätte mich ebenso schnell vergessen, wie hundert andere Ungläubige, denen er auf seinen Fahrten begegnet war. Er wollte, dass ich verschwinde. Das verrieten seine Augen. Mach, dass du wegkommst und lass dich nie wieder blicken. Und ich hatte wirklich vor, zu gehen. Ich hatte genug von dem Schauspiel, hatte meine eigenen Sorgen.

*

Dann passierte es. Er stand mit seinem Bauchtresen direkt vor mir. Er wollte wohl mich als Nächsten bloßstellen. Komm her. Versuch dein Glück. Jongleur Magnus wird dir zeigen, dass auch du keine Chance hast. Er sammelte die Becher aus der Luft und knallte sie nacheinander auf das hölzerne Tablett. Da sah ich, für den Bruchteil einer Sekunde, eine winzige blaue Spitze zwischen seinen Fingern herausblitzen. Und für mich bröckelte seine Fassade, wie verwitterter Putz von der Wand.

Mit einem Mal wirkten die Becherfarben ausgelaugt und verwaschen. Der grüne Lack blätterte an mehreren Stellen. Es müffelte wieder entsetzlich nach einer Mischung aus faulem Fisch und dieser nach Verwesung stinkenden Hyäne. Und ich fand plötzlich, dass die Darbietung bis dahin keine besonders wertvolle Unterhaltung gewesen war. Es war tatsächlich nur ein billiger Trick. Eine Illusion. Was auch sonst? Er versteckte den blauen Wimpel in der Hand. Und er würde ihn mit Geschick in den Zinnbecher seiner Wahl stopfen.

Alle Augen waren auf mich gerichtet. Ich deutete auf den gelben Becher. Er strahlte selbstzufrieden.

„Da ist es nicht“, sagte ich und packte zu. Das Metall fühlte sich rau an. Unangenehm. Ich knallte den Trinkbecher mit der offenen Seite nach oben auf den Bauchtresen. Leer.

Ein Raunen ging durch die Menge. Der Jongleur verzog keine Miene. Ich hatte den Eindruck, als sei er mit der Wendung überfordert. Da war sie wieder, die Schweißperle auf seiner Stirn.

Ich wollte schnell machen – solange er mir die Gelegenheit ließ. Darum packte ich sofort zu.

„Und da auch nicht“, sagte ich und hob den grünen Trinkbecher in die Luft. Leer. Die Berührung war schlimmer, als beim ersten Mal. Ich sah hartes Metall. Aber ich fühlte Pelz. Unangenehm warm. Mir stieg Säure in den Hals. Ich war froh, als ich das widerliche Ding auf den Tresen klatschen konnte. Dann sah ich Magnus in die Augen.

Ich hatte meinen Zug gemacht. Und ich hatte den Jongleur an die Wand gestellt. Schachmatt. Sein Blick biss sich an meinem fest. Hätte er gekonnt, dann hätte er mir Blitze entgegengeschleudert. Magnus wusste, egal, was der letzte Zinnbecher jetzt bringen würde – Tuch oder kein Tuch –, er hatte auf jeden Fall verloren. Entweder wäre ich der Erste, der richtig geraten hätte, oder aber er wäre als Betrüger entlarvt. Ihm blieb nur noch eine Chance. Er musste die Sache beenden, bevor der rote Becher zum Zug kam. Koste es, was es wolle. Schon hörte ich sein Hyänenvieh auf mich zulaufen, fauchend, knurrend, die Zähne fletschend.

Die Schweißperle zappelte auf seiner Stirn. Und seine Augen verengten sich. Vermutlich wollte er erreichen, dass ich alles stehen und liegen ließ, die Beine in die Hand nahm und losrannte.

Stattdessen sagte ich meinen Spruch. Und das mit einer Hingabe und Arroganz, als stammte er aus dem Mund des Jongleurs.

„Liebe Leute sehet her: Jongleur Magnus kann nicht mehr.“

Dann schlug ich den Becher in die Luft. Er flog in die Höhe, wirbelte herum. Kein blaues Tuch fiel heraus.

Natürlich rannte ich sofort so schnell ich konnte los. Und ich hörte die Menschen hinter mir lachen. Vielleicht amüsierten sie sich über den rennenden Kerl mit den langen Haaren – möglich. Oder aber, sie lachten über Jongleur Magnus, der zum ersten Mal sein Gesicht verloren hatte. Vielleicht machte er noch einen Spaß aus der Sache? Zu seinen Gunsten, versteht sich. Nur die Frau mit der blaublühenden, dornenlosen Rose in der Hand lachte nicht. Als ich an ihr vorbeilief, funkelte sie mich an.

Ich ging nie wieder nach Anzino. Sonst hätte ich mich erkundigt, wie dieser spezielle Tag am Tiber zu Ende gegangen war.

Es war ein Fehler gewesen, dem Jongleur die Blöße zu geben. Doch das erfuhr ich erst Jahre später – 36 Jahre …

II

36 Jahre später

Rom. Errichtet auf sieben Hügeln. Eine Republik, die sich, den Angriffen der Kelten zum Trotz, immer weiter ausdehnte. Aeternitas, die Göttin der Ewigkeit und Unsterblichkeit war eine zentrale Figur in der römischen Götterwelt. Das allein war für mich schon Zeichen genug: Rom ist eine Reise wert. Zudem kamen bei den Menschen der umliegenden Ländereien immer wieder Weissagungen über die Vorstellung der kaiserlichen Ewigkeit Aeternitas imperii auf. Vielleicht zwang mich meine Reiseroute deshalb Schritt für Schritt näher an das Zentrum des Römischen Reiches heran.

Wenn ich auf meinen ersten Tag in Rom zurückblicke, denke ich an weiße Mauersteine, Säulen und Dächer aus Terrakotta und Kalkstein, bunte, menschenüberfüllte Alleen und viele Räder – Räder an Wagen, an Karren und Gespannen, so lang, dass sechs Pferde nötig waren, sie zu ziehen. Doch vor allem ist meine älteste Erinnerung an diese Stadt grün. Am Stadttor begrüßten mich wilder Wein und rote Rosen. In den Straßen ragten Platanen in den Himmel, mit Stämmen so mächtig wie Roms Prachtsäulen. Oleander, duftende Myrte und in Form gebrachte Buchsbäume säumten die Wege. Eines sah man auf den ersten Blick: Die Bürger der Metropole liebten ihre Grünanlagen. Stolz bepflanzten sie in ihren prachtvollen Häusern das eigene Peristyl; diese Gärten lagen in den Innenhöfen, umsäumt von einem schattenspendenden Säulengang. Ein kompliziertes Bewässerungssystem sorgte dafür, dass die Pflanzen niemals austrockneten und der zentrale Brunnen stets gefüllt war. Hier wurden Liebstöckel, Schnittlauch, Quitten und Feigen gezogen. Damals konnte ich eine Olive nicht von einer Walnuss unterscheiden. Durch puren Zufall kam ich jedoch zu einer Arbeit in Margaritas Gärtnerei.

Metzger, Bäcker und Gärtner fand man in Rom an jeder Ecke. Der Konkurrenzkampf war groß. Kleinere Gärtnereibetriebe konnten nur bestehen, wenn sie einen Gönner hatten. Jemanden aus der Stadtverwaltung beispielsweise – jemanden wie Vitus.

Vitus war Quästor im Senat – eine Art Ja-Sager und Sattelträger ohne echtes Stimmrecht. Seine eigentliche Aufgabe war es, Steuergelder einzutreiben. Hier trafen sich unsere Wege. Die Bürger Roms zahlten keine Steuern. Ich jedoch war neu in der Stadt, mittellos und hatte nicht die Möglichkeit, meine Abgaben zu bezahlen. Der Quästor Vitus hatte eine Freundin, eine Gärtnerin, mit zu wenig Personal. Sie bekam jede Menge Aufträge aus seiner Hand, da der Architekt Marcus Vitruvius Pollio in einer seiner Buchrollen an den Kaiser Augustus gefordert hatte: An zentralen Orten Roms müssen Parks angelegt werden, was der Gesundheit der Bevölkerung zugutekommt. Schon an meinem dritten Tag in Rom hatte ich also einen Arbeitsplatz als Hilfskraft in ihrer Gärtnerei. Und so eignete ich mir in kürzester Zeit ein fundiertes Wissen über die Vegetation einer pflanzenliebenden Stadt an, deren Bürger sogar mit aufwändigen Wandgemälden grüne Oasen in die Zimmer holten.

Margarita betrieb das, was man heute Gewächshaus nennen würde. Eigentlich waren es zusammenhängende, mannshoch ummauerte Aufzuchtgärten, mit Schatten- und Sonnenbereichen, Rankgittern und einer Unmenge von Beeten. Es wurden Pflanzen für den Verkauf gezogen. Und weil ich der Dienstjüngste von uns Fünfen war, durfte ich bewässern. Ich bediente die Grundwasserpumpe, bis der Brunnen wieder ausreichend gefüllt war. Und ich schleppte eimerweise Wasser zu den Töpfen und Blumenbeeten, die nicht an das Bewässerungssystem angeschlossen waren. Dreimal täglich. Anfangs goss ich überall ordentlich. Ich dachte mir, zweimal richtig, dann kann man sich das dritte Mal sparen.

So lernte ich, dass Pflanzen ertrinken können.

*

„Nicht zu viel, Simon“, sagte Margarita. Ein Scherz, den ich mir seitdem Tag für Tag gefallen lassen musste. Ich lächelte sie an, liebevoll, aber auch ein wenig genervt. Die Brotherrin war klein und rund. Wenn sie lief, wankte ihr Körper mit jedem Schritt hin und her. Sie hatte ein freundliches Gesicht, rote Backen und kurzes, lockiges Kopfhaar.

„Du, Simon. Nicht so viel gießen, ja?“ Das war Octavian. Der Trottel ergötzte sich ständig an meinem Missgeschick, obwohl es nun wirklich lange genug zurücklag. Er war froh, das Thema immer wieder aufs Neue und insbesondere vor Margarita aufwärmen zu können. Es stellte ihn in ein besseres Licht. Er war deutlich älter als ich – wenn man von meinem augenscheinlichen Alter ausging. Und irgendwie wirkte alles an ihm kantig und knochig. Obgleich er ein Unfreier war, spielte er sich auf, als gehörte ihm ein Teil der Gärtnerei. An meinem ersten Tag nahm er mich zur Seite und machte mir klar: „Wenn du mir in die Quere kommst, mach’ ich dich fertig.“

Albina war kesse 25 Jahre alt und der Gänseblümchen-im-Haar-Typ. Sie beugte sich vor, um die Weinstöcke mit ihren zarten Fingern zurechtzuknipsen, sodass ihr Gesicht vom dunkelblonden Haar verdeckt blieb. Trotzdem wusste ich genau, wie ihre grünen Augen strahlten, wenn sie lächelte. So oft hatte ich den Anblick genossen.

„Mach dich mal nicht so breit“, ärgerte ich sie, als ich versuchte an ihr vorbeizugehen. Und natürlich kannte ich ihre Antwort schon.

„Und du … gieß mal nicht zu viel.“ Sie durfte das.

Ich hatte Albina im Laufe des letzten Jahres sehr gut kennengelernt – zu gut. Und da waren die einen oder anderen Momente, in denen ich mir sehnlichst gewünscht hätte, sie wäre eine wie ich. Ich zwängte mich auf eine angenehme Weise an ihr vorbei. Sie strahlte mich an. Dann betrat ich mein eigenes kleines Reich.

Margarita hatte mir, als die ersten drei Monate vorbei waren, eine Erhöhung meines Wochenlohns auf elf Silberdenar angeboten. Ich lehnte ab. Geld bedeutete mir nicht viel. Auch heute nicht. Es genügt mir, wenn ich sorgenlos über den Tag komme. Geld anzuhäufen ist uninteressant für mich. Mit den Jahrhunderten kam und ging es. Und mit ihm die Zivilisationen, die es erschaffen haben.

Aber ich hatte festgestellt, dass mir der Umgang mit Pflanzen besondere Freude bereitete. Es war mehr als nur ein Broterwerb. Es war ein tiefes Gefühl, das immer schon in mir verborgen war und bei der täglichen Arbeit mit den Grünpflanzen aus mir herausplatzen wollte. Wie ein Küken, das aus einem Ei schlüpfen will. Es kämpft bis zur bitteren Erschöpfung, um endlich das Tageslicht sehen zu können. Etwas in mir musste ausbrechen. Und es hatte mit den Gewächsen zu tun, das wusste ich. Darum bat ich Margarita stattdessen um ein eigenes Beet.

„Gehst du wieder spielen, Simon?“

Zu gerne hätte ich Octavian den Mund verboten. Ich ignorierte ihn.

Mein Pflanzenbeet lag in einer schlecht zugänglichen Ecke des ummauerten Aufzuchtgartens. Dafür strahlte die Sonne immer genau dann in das Mauereck, wenn sie am höchsten stand. An diesem Ort zog ich Stecklinge aus dem, was beim Formschnitt in den Kundengärten abfiel. Anfangs probierte ich einiges aus. Versuchte mich an Efeu und Buchs, weil ich dachte, ihre Giftigkeit würde etwas aussagen über die Kräfte, die in ihnen stecken. Dann bemerkte ich schnell, dass eine außergewöhnliche Lebensenergie in Rosenblüten steckte. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich das Gefühl nicht beschreiben, das mich bei der Arbeit mit diesen Pflanzen erfasste. Dafür gelangen ihre Stecklinge recht gut.

In meinem Beet kannte ich so gut wie jedes Blatt. Besonders stolz war ich auf eine Wildrose, die ich auf dem Heimweg am Fluss gestochen hatte. Sie war buschig gewachsen mit Dornen wie Nadeln, die Blüten klein aber herrlich geformt, wie ein winziger Trinkbecher, und rot wie Blut. Aber nun war sie fort.

Damit will ich nicht sagen, dass sie verblüht war oder dass andere Rosengewächse sie überwuchert hätten. Nein. Sie war weg. An der Stelle, wo sie Wurzeln geschlagen hatte, sah mich schwarze Erde an – verdächtig lockere Pflanzenerde. Als hätte jemand die Strauchrose herausgezogen.

„Octavian!“, brüllte ich.

Er musste es gewesen sein. Wer sonst?

„Ja, Simon?“ Er klang, als hätte er darauf gewartet, endlich angesprochen zu werden.

„Du weißt nicht zufällig etwas über meine Rosen?“

„Was möchtest du damit sagen?“

Ich kippte das Wasser auf die leere Rosenerde. Dann funkelte ich ihn an.

„Was ist denn?“, fragte Albina.

Ich sprach leise, für ihre Ohren bestimmt. „Eine fehlt.“

Aber Octavian hatte seine Lauscher überall.

„Ach …“, sagte er schnippisch, „… und da denkst du gleich an mich?“

„Lass gut sein“, fuhr ich ihn an.

„Komm her und beschuldige mich des Diebstahls“, provozierte er und baute sich auf wie ein Schrank.

Ich kehrte ihm den Rücken und pflückte welke Blätter von den Pflanzen. Es war mir egal, was er hinter mir trieb. Ich wusste es. Und er wusste es. Und Albina vermutlich auch.

„Was ist hier los?“, fragte Margarita, die aus dem Sträuchergarten kam.

Am liebsten hätte ich mir die Ohren zugehalten. Mir war klar, was jetzt kam. Er würde ihr die Geschichte vom unschuldigen Octavian präsentieren, der immer gute Arbeit leistete. Dann würde er jammern: „Seitdem der Neue da ist, werde ich regelmäßig an den Pranger gestellt.“ Und ob sie nicht etwas dagegen unternehmen wolle, dass Simon das Arbeitsklima verpeste. Das hatten wir alles schon einmal gehabt.

Da platzte Pius herein.

„Sie lassen mich nicht mehr rein!“, rief er aufgeregt und presste beide Hände zu knallroten Fäusten – eine für ihn ungewöhnliche Geste.

Pius war ein lieber Kerl. Er war der Jüngste von uns. Aber im Geiste war er der älteste. Er war stets pflichtbewusst und außerordentlich korrekt. Und es war schwer, ihn aus der Fassung zu bringen. Umso seltsamer war es, diese feurige Wut in seinem Gesicht zu sehen. Die Augen feucht, die Lippen bebten.

„Setz dich“, sagte Margarita, die ihn wie einen Sohn behandelte. Irgendjemand hatte einmal erzählt, Pius’ Eltern wären gestorben, als er gerade fünfzehn war. Seitdem arbeitete er für seine Tante. Trotzdem nannte er sie nie Tante. Ich vermute, er wollte sich keinen Vorteil erschleichen.

„Sie haben gesagt, es geht uns nichts mehr an“, sagte er, fuchtelte mit den Armen und setzte sich auf den Hocker, den Margarita ihm anbot. „Und sie haben Sachen gesagt … noch nie hat jemand solche Dinge zu mir gesagt.“

Margarita nahm seine Hände und Albina legte ihm den Arm um die Schultern. Für einen Augenblick war ich neidisch, was ich mir jedoch nicht anmerken ließ.

Dann erzählte er, dass ein neuer Gärtner in der Stadt war. Er wusste den Namen nicht mehr. Und dieser Mann ließ Pius nicht auf die Baustelle. Er behauptete, der Auftrag wäre auf ihn übergegangen. Eine Unverschämtheit. Es war eine große Bestellung. Und eine sehr bedeutende noch dazu. Ein öffentlicher Park in zentraler Lage. Die Kosten trug der Senat. Und wenn Margarita Fragen hatte, sollte sie die ihrem Freund stellen: Quästor Vitus. Wie konnte er sie so hintergehen?

*

Margarita stampfte wütend auf Vitus’ prachtvolles Anwesen zu. Ich wusste, der Quästor hatte ihr einiges zu verdanken. Wie oft hatte sie sich wundgearbeitet, damit irgendwelche Senatoren ihre Wasserläufe, Rankgitter und Heckenschnitte zügiger bekamen? Ihre Arbeit stärkte sein politisches Ansehen.

Wir liefen über den gepflasterten Weg, gesäumt von duftenden, großblütigen Rosen, abwechselnd gelb und orange. Der Pfad führte zwischen zwei saftig-grünen Buchslöwen hindurch. Sie erhoben sich auf die Hinterläufe und warfen stolz die Pranken in die Luft und die Mähne zurück. Dahinter erblickte ich die schwere Eichenholztür. Wilder Efeu kroch darum herum und den Granit hinauf. Wer konnte noch so einen prachtvollen Vorgarten vorweisen? Ich stellte mir vor, wie Senatoren in blütenweißen Togen über diesen Weg ein- und ausgingen. Wie sie ihm neidische Blicke zuwarfen. Und wie er ihnen ebenbürtige Grünanlagen versprach, wenn sie im Tagesordnungspunkt 27 Abschnitt 5 für ihn stimmten.

Wir betraten das Atrium. Ich schätzte die Halle auf zehn mal zehn Schritte. Die Wände waren mit kräftigen Farben bemalt und zeigten Ausschnitte aus den Geschichten über die Götter. Es sah beinahe kurios aus, dass in der Mitte zwei Kinder mit Holzspielzeug auf dem Fußboden spielten. Lucius und Julius, wie ich annahm. Die anderen beiden waren schon größer und würden sich eher mit Schwertern und Rüstungen beschäftigen. Ich hatte Margarita einmal sagen hören, dass sie nicht verstände, warum Vitus sich nicht endlich eine Frau nahm. Es war modern, sich zur Erhaltung des Geschlechts vom Stadtprätor Haussöhne überschreiben zu lassen. Aber das war doch nichts gegen eine richtige Ehefrau. Ich glaube, Margarita machte sich Hoffnungen. Sie wäre eine gute Wahl für ihn gewesen.

„Tante Margarita“, rief einer der Jungen, sprang auf die Füße und stürmte auf sie zu. Julius. Seine Naturlocken waren noch länger geworden. Und die Gesichtszüge noch arabischer. Auch wenn Margarita es nicht zugab, aber sie mochte ihn von allen am liebsten – auch mit Hakennase. Das war offensichtlich. Er umarmte ihre Beine und sie tätschelte seinen Rücken.

„Salve Julius. Wie geht’s dir?“

Lucius warf ihr einen gleichgültigen Blick zu. Ich bestaunte die Deckenbemalungen.

„Holst du deinen Vater?“, bat sie.

„Aber ja“, sagte Julius und flitzte los.

In der Ecke trauerte eine trockene Topfpflanze vor sich hin. Ich zupfte ein paar Blätter ab und wünschte mir eine Wasserkanne für die staubige Erde. Unterdessen ahmte Lucius Geräusche von Pferden nach und hämmerte mit dem Spielzeug auf den Boden.

„Ich sagte doch, ich brauche meine Ruhe!“, hörte ich Vitus mit dem Jungen schimpfen. Man sah Margarita an, dass dies ihr ohnehin angespanntes Gemüt noch mehr erregte. Ich kannte sie gut. Ihr Blick sagte: Komm du mir mal zwischen die Finger. Dann werde ich dir sofort den ungebändigten Zorn an den Kopf werfen. Quästor hin, Quästor her.

„Ja, ja. Ich bin ja da“, sagte Vitus. Julius zerrte seinen Stiefvater an der Hand ins Atrium.

Ich war von seinem stattlichen Anblick beeindruckt. Ein Senator, wie er im Buche stand. Der Kopf schmal und kahl, eine Nase, die an die Caesars erinnerte, und ein hochgewachsener Körper – nicht zu dick und nicht zu dünn.

„Margarita“, rief er ihr zu. Mir entging nicht, dass sie nur zögerlich Freude zeigte. Ihre Zähne bissen aufeinander, als wartete sie nur auf die passenden Worte als Vorlage für einen gezielten Angriff. Stattdessen sagte er: „Schön, Euch zu sehen.“ Was aber klang wie: Was wollt Ihr denn hier?

„Ich muss sofort mit Euch reden“, sagte sie.

„Simon. Wie ich höre, hast du dich eingelebt.“ Er tätschelte meinen Rücken.

„Ihr wisst, warum ich hier bin?“ Margarita wirkte ungeduldig. Als hätte sie Angst, ihr Zorn könnte verfliegen, bevor sie ihn als Waffe benutzen konnte. Sie biss die Zähne zusammen und fauchte: „Hört. Es geht um den Park. Pius wurde heute …“

„Ich habe einen viel besseren Auftrag für Euch“, würgte er ihre Worte ab, bevor sie richtig loslegen konnte. Dabei warf er die Arme hoch, als würde dieser neue Auftrag irgendwo in der Luft schweben.

„Aber …“

„Margarita“, sagte er, wie zu einem beleidigten Kind. Das machte sie noch wütender. Ihre Augen blitzten auf. „Es ist nur dieses eine Mal. Seht doch. Manchmal müssen Senatoren Entscheidungen treffen, die ihnen nicht leicht fallen.“ Er wirkte betrübt. „Glaubt mir. Es ist nicht leicht für mich.“

„Ich brauche den Park“, sagte sie. „Ich habe vier Leute zu bezahlen. Dazu kommen die Investitionen. Und herrje … Vitus. Was hat Euch geritten, das nicht einmal mit mir zu besprechen?“

Er legte die Hand an die Stirn und drehte sich ab. Eine Pose, die ich vom dramatischen Laientheater her kannte.

„Ihr liefert die Pflanzen für den Park. Das haben wir besprochen und daran ändert sich nichts.“ Es war offensichtlich, dass er versuchte, seine Güte in den Vordergrund zu rücken. Aber es klang gestellt. Margarita verdrehte die Augen. Ich verkniff mir ein Grinsen. „Euer neuer Auftrag ist ein Ziergarten für Feierlichkeiten und Empfänge. Senator Marcus hat mich gebeten, ihn Euch zu übertragen. Weil Ihr die Einzige seid, die die nötige Qualität …“

„Ein Garten gegen einen Park?“ Sie schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Vermutlich dachte sie an die Sesterze, die ihr nun fehlen würden. Wenn ich die Lage richtig beurteilte, dann würde es die nächsten Monate ziemlich eng werden.

„Wer hat den Auftrag?“, rief sie. „Sagt es mir. Wer macht den Park?“

„Ihr kennt ihn nicht. Er ist neu in der Stadt.“

Ich hatte Margarita noch nie so wütend erlebt. Sie knurrte wie eine Löwin, stampfte mit dem Fuß auf den Granit, machte kehrt und floh aus dem Atrium.

Als sie schon draußen war, rief sie: „Das werde ich nicht auf mir sitzen lassen!“

Ich verzog entschuldigend die Mundwinkel und warf Vitus und seinen erschrocken dreinschauenden Söhnen zum Abschied einen Blick zu. Dann eilte ich meiner Chefin nach.

Auf einem Sockel neben dem Ausgang fiel mir eine einzelne Rose ins Auge. Ich zögerte kurz. Die Blüte war geschlossen. Zuerst war es ein merkwürdiger Geruch, der mich vor ihr zurückschrecken ließ. Dann bemerkte ich, dass sie keine Dornen hatte. Ich sah mich noch einmal um und blickte dem Quästor ins Gesicht. Er wusste, dass ich Margaritas verlorenen Auftrag mit dieser Rose in Verbindung brachte. Und Vitus’ Blick sagte mir, was er selbst niemals zugegeben hätte: ertappt.

Ich hatte einen Verdacht. Doch den konnte ich selbst kaum glauben …

III

Margarita, Albina, Octavian und ich waren mit dem Pferdekarren mit einer Pflanzenlieferung auf dem Weg zur verlorenen Parkbaustelle. Das Pferd Lotus zog das Fuhrwerk. Es war verrückt. Margarita hatte uns erklärt, dass sie vorberechnet hatte, wie viele Pflanzen sie von jeder Sorte benötigte. Da das Fassungsvermögen des Aufzuchtgartens begrenzt war, wollte sie den Auftrag saisonbedingt erledigen: nur die Gewächse liefern, die gerade ihre Austriebzeit hatten. Das hatte den Vorteil, dass sie weniger anliefern musste, als auf der Baustelle benötigt wurde. Und so hatte sie zusätzliche Kapazitäten für den Garten des Senators Marcus frei. Sie hatte angekündigt, diese Herangehensweise mit dem neuen Landschaftsgärtner bei ihrer ersten Lieferung vor ein paar Tagen besprechen zu wollen. Doch dem Mann – der gar kein so übler Kollege war, wie sie meinte – war das völlig gleichgültig gewesen. Ihm war die Reihenfolge der Anlieferung gleichgültig. Ihm waren die Stückzahlen gleichgültig. Und Margarita erklärte, dass er den Auftrag mit dieser Einstellung ohnehin bald wieder verlieren würde. Er schien ein ziemlicher Laie zu sein. Wenn er tatsächlich so nett war, wie Margarita gesagt hatte, war das beinahe ein wenig traurig. Octavian grinste zufrieden.

Jetzt erreichten wir mit unserem Karren die Baustelle. Margarita zügelte Lotus mit einem „Brr“. Und uns fielen fast die Augen aus dem Kopf.

Der erste Blick durch den Rosenbogen am Eingang war wie der Ausblick auf ein Gemälde. Drei Kieswege vereinten sich auf einer ausgedehnten Wiese zu einem Pfad. Eine gebogene Steinmauer mit eingelassenen Säulen grenzte einen Teil des Parks wie ein Podest von den umliegenden Platanen, Palmen und mannshohen Büschen ab. Ich erkannte Lorbeer und Oleander. Der Weg führte um die Mauer herum und von hinten auf die Erhöhung. In deren Mitte goss eine Statue des Jupiter aus einem goldenen Kelch Wasser in einen Brunnen. Liebstöckel, Schnittlauch und Maulbeerbäume und noch mehr Palmengewächse säumten den Zierbrunnen ein. Und eine aus Fels gehauene Sitzgelegenheit versteckte sich hinter kugelrund geschnittenem Buchs.

„Ach du meine Güte“, hörte ich Octavian flüstern.

Der Park wirkte so gut wie fertig. Und ich fragte mich, wie dieser Landschaftsgärtner das so schnell hinbekommen hatte. Außerdem: Wohin sollten wir nun mit unserer Lieferung? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es hier noch etwas zu pflanzen gab. Und woher stammte das viele Grünzeug?

Nachdem wir genug gestaunt hatten, liefen wir ehrfürchtig unter dem gravierten Schild mit der Aufschrift HORTUS DUODECIM DEORUM – Garten der zwölf Götter – hindurch. Margarita vorneweg, Octavian hinterher. Es war schäbig, so unterwürfig das Projekt eines anderen Gärtners zu betreten. Doch in Anbetracht der Leistung, die unser Konkurrent in kürzester Zeit vollbracht hatte, fühlten wir uns klein wie Ameisen.

„Unfassbar“, sagte Albina.

„Magnus“, rief Margarita. „Sind Sie hier irgendwo? Magnus.“

Vielleicht hätte ich hier schon hellhörig werden sollen. Ich war jedoch viel zu überwältigt vom Anblick des bildhübschen Parks. Sogar Octavian, der sonst nie die Arbeit eines anderen anerkannte, staunte nicht schlecht.

Die Sonne schien wie bestellt und färbte die Anlage in magisch leuchtendes Grün. In diesem Licht sah Albina wunderschön aus. Und für den Bruchteil einer Sekunde berührten sich unsere Hände. Ich weiß nicht, ob es Zufall war. Ich spürte, wie Albinas Körper zusammenzuckte. Nein, lass das, sagte ich zu mir selbst und ignorierte ihre Seitenblicke, als wäre nichts gewesen. Sie ließ die Schultern hängen.

Ich hörte ein Grunzen und irgendetwas bewegte sich im Lorbeerstrauch. Ich versuchte mich zu erinnern, wann ich den Namen Magnus zum letzten Mal gehört hatte. Da schob sich eine überdimensionale Schnauze durch den Strauch und es fiel mir wieder ein. Als das Tier unter den Blättern hervorkroch und in gebückter Haltung zum Brunnen lief, um daraus zu trinken, blieb mir der Atem weg.

Liebe Leute sehet an, was der Jongleur alles kann.

Da stand das Riesenvieh und schluckte Jupiterwasser.

„Wir sollten abladen und wieder fahren“, schlug Margarita vor.

„Was ist los?“, wollte Albina von mir wissen. „Hast du einen Geist gesehen? Du bist ganz weiß.“

„Simon hat wohl schlecht gegessen“, freute sich Octavian.

Ich konnte mich nicht rühren. Plötzlich sah ich sie alle mit bunten Fähnchen vor dem Brunnen stehen, jubeln, applaudieren und laut rufen: Liebe Leute sehet her, Jongleur Magnus kann noch mehr.

Völlig unmöglich, sagte ich mir. Es war mindestens dreißig Jahre her. Und wenn man bedachte, dass er damals über dreißig war, dann hätte er jetzt zwischen sechzig und siebzig sein müssen. Zu dieser Zeit wurden nur wenige Menschen außer mir so alt. Ich rechnete damit, einem Sohn des Jongleurs zu begegnen, der sich als Gärtner in Rom niedergelassen hatte.

Ich schnaufte durch und sagte: „Es geht schon.“

Wir gingen zum Karren, hoben die ersten in Jute gepackten Pflanzballen herunter und wollten soeben unter dem Rosenbogen hindurch. Da sprang die Hyäne knurrend vor uns und versperrte uns den Weg. Sie war so groß, wie ich sie in Erinnerung hatte. Und sie stank bestialisch.

„Was ist das?“, rief Margarita. Auch die anderen sahen das Tier. Der Schrecken hatte sich in ihren Gesichtern festgesetzt.

„Was ist da los?“, hörte ich eine bekannte Stimme. „Lass sie rein. Ist in Ordnung.“

Wieder blieb beinahe mein Herz stehen.

Als das Biest zur Seite trat, kam Jongleur Magnus über die Wiese gelaufen. Sein Aussehen hatte sich kein bisschen verändert: Er hatte Locken, trug einen Vollbart, und seine stämmige Statur verlieh seiner Bassstimme Nachdruck. Nur die Narrenkappe war verschwunden. Mein Gefühl riet mir, mich hinter Octavian zu verstecken.

„Oh, hallo“, sagte Margarita verzückt, „Herr Magnus. Wir haben uns gerade über diesen wundervollen Garten … Park unterhalten. Wie habt Ihr nur …“

„Stellt alles da ab“, unterbrach er.

„Ihr habt hier wahrlich ein Kunstwerk geschaffen“, schwärmte Margarita weiter.

Magnus brummte.

Ich hörte die Bestie schnüffeln. Sie hatte meine Spur in der Nase und kam näher.

„Ich muss … darf Euch noch einiges liefern“, sagte Margarita, „auch wenn ich nicht weiß, wo Ihr das alles pflanzen wollt.“

„Lasst das meine Sorge sein“, knurrte Magnus und folgte mit den Augen misstrauisch dem Pfad der Hyäne.

Das Vieh schnüffelte an meinem Bein herum, sah mir ins Gesicht, winselte und sprang hinter den Brunnen.

„Was bist du für einer?“, sagte der Jongleur, der jetzt keiner mehr war.

„Oh. Das ist Simon“, sagte Margarita und schob sich vor mich. „Euer Park ist wirklich ein Traum.“ Sie unterstrich ihren Satz mit einer schwungvollen Armbewegung.

„Ich kenne dich irgendwoher.“ Er kniff die Augen zusammen.

„Davon weiß ich nichts“, sagte ich beiläufig, lief zum Wagen und holte den nächsten Ballen. Ich hatte nicht vor, ihm zu erzählen, dass ich vor langer Zeit seinen Trick hatte auffliegen lassen. Womöglich war das auch alles nur eine dumme Verwechslung. Das zumindest redete ich mir nun ein. Ich tat meine Arbeit und verhielt mich ruhig.

„Es ist mir egal, was Ihr liefert“, sagte er gerade eben, als ich die letzte Pflanze hereintrug.

„Gut. Dann sehen wir uns bald wieder“, freute sich Margarita. Und ich fragte mich, woher sie nur die Freundlichkeit nahm, die sie diesem Griesgram entgegenbrachte.

*

Als uns Lotus zurück zur Gärtnerei zog, brach ich die Stille mit einer gewagten Behauptung: „Er ist ein Betrüger.“

„Simon!“ Margarita war entsetzt. „Wie kommst du auf solche Gedanken?“

„Das sagt mir meine Nase.“

Sie biss die Zähne zusammen.

„Ich denke, du solltest nicht schlecht über jemanden reden, den du nicht kennst.“

Octavian lächelte zufrieden. Und Albina verschränkte die Arme.

Was Magnus wirklich war, sollte sich schon sehr bald herausstellen …

IV

Es war zwar ein Auftrag, aber ich war mir sicher, dass so ein winziger Ziergarten, wie der von Senator Marcus, nicht viel einbrachte. Die Hälfte des Bodens musste mit leuchtend weißem Kies bedeckt werden, aus dem hier und da Lavendel sprießen sollte. In einer Ecke sollten Apfel-, Oliven- und Feigenbäume wachsen. Nahe dem Brunnen würde das Kräuterbeet angelegt werden. Und dann war da noch das obligatorische Rosenspalier. Dutzende solcher Gärten hatten wir seit meiner Ankunft in Rom kreiert. Es ging mich nichts an, aber aus meiner Sicht war dieser Auftrag nicht sehr lukrativ. Pius und ich legten die geschwärzten Stofflaken aus, um dem Unkraut unter dem Kies das Licht zu nehmen. Octavian schleppte einen Kiessack nach dem anderen herein. Und Albina kümmerte sich um den ersten Formschnitt der imposanten Rosen. Es war üblich, die Blühpflanzen in voller Größe mit einem dicken Erdballen anzuliefern, weil Senatoren es nicht gerne sahen, wenn man junge Pflanzen setzte. Sie fühlten sich durch die Winzlinge beleidigt. Wehe dem Gärtner …

„Kann mir mal einer von diesem Park erzählen?“, bat Pius.

„Hast du ihn noch nicht gesehen?“, fragte Albina.

„Nein.“

„Da entgeht dir etwas“, sagte sie. „Wir waren gestern nochmal dort und …“

„Er ist noch schöner geworden“, unterbrach Octavian.

„Lass sie doch mal ausreden!“, fuhr ich ihn an.

„Weiber haben nichts zu melden“, sagte er.

Und Sklaven sollten im Allgemeinen den Mund halten. Aber das dachte ich mir nur.

„Ich glaube nicht, dass man da noch etwas verbessern kann“, sagte ich. „Ich hatte das Gefühl, in einem Märchenwald zu stehen. Pius, stell dir vor: In der Mitte erhebt sich das Gras zu einem Plateau.“

„Das ist jetzt mit Rosen eingefasst“, sagte Albina. „Und ich verstehe nicht, wie er das macht, aber sie blühen schon.“

„Da ist etwas faul“, sagte ich.

„Nur weil Simon es nicht kapiert …“, motzte Octavian.

Margarita platzte herein.

„Warum liegt der Feigenbaum noch herum?“, fragte sie genervt. „Leute. Ich habe euch doch gesagt, wir müssen fertig werden. Die Zeiten, in denen wir uns auf unserem Ruhm ausruhen konnten, sind vorbei.“

Sie stellte sich mitten in den Garten und fuchtelte mit den Händen herum.

„Albina, lass die Rose stehen. Simon, pack mit an und setzt endlich dieses Teil ein. Es genügt, wenn Pius und Octavian sich mit dem Kies beschäftigen. Hopp-hopp.“

„Mir tut das Kreuz weh, Margarita“, jammerte Octavian. „Warum hetzt du uns denn so?“

Sie blies ihre Backen auf. „Ich hetze euch? Ich HETZE EUCH? Wenn wir die Aufträge in Zukunft nicht schneller abwickeln, dann könnt ihr schon mal Stöckchen ziehen, wer bleibt und wer geht. Die Zeiten haben sich geändert.“

„… seitdem der Betrüger in der Stadt ist.“

Es war mir einfach so herausgerutscht. Aber genau das dachte ich. Und bestimmt war ich nicht der Einzige. Doch mit meinem Kommentar war ich in die Falle getappt. Das zeigte mir Margaritas Augenaufschlag. Und ihre Wangenmuskeln, die sich abwechselnd anspannten und wieder lösten, bestätigten das.

Albina, Octavian, Pius … alle sahen weg. Sicherheitshalber.

Und Margarita?

Entsetzt spuckte sie die Worte „Er ist ein Künstler“ aus und lief nach draußen. Zur selben Zeit drohte uns bereits das Unheil, das der Jongleur über uns bringen würde …

V

Wir befanden uns im Aufzuchtgarten. Ich zwängte mich zu meinem eigenen kleinen Beet hindurch und betrachtete die Rosen. Merkte sie es nicht? Ich hatte das Gefühl, Margarita hatte ihren Sinn für die Pflanzenkunst verloren. Mit Geduld und viel Liebe zaubert man aus Stecklingen prachtvolle Gewächse. Das hatte sie mir beigebracht.

„Ihr lebt langsamer als wir“, flüsterte ich.

Ich fuhr mit meinen Fingerkuppen über die blutroten Blütenblätter. Nun schloss ich meine Augen. Ich erschnupperte einen zarten Duft und ich spürte Energie auf mich wirken, wie die der ersten Sonnenstrahlen an einem frischen Frühlingstag. Dabei hatte ich das Gefühl, ich könnte einzelne Zellen ertasten.

Pflanzen wandeln die Sonnenenergie für uns in organische Stoffe um. Das weiß ich heute. Durch sie gelangt die Kraft der Sonne in unsere Welt. Pflanzen speichern Sonnenkraft. Tiere fressen das Grünzeug. Auf diese Art ernähren sie sich sozusagen von Sonnenenergie. Und egal ob der Mensch Fleisch, Obst, Gemüse oder Salat verspeist – die Kraft der Sonne befindet sich in all diesen Nahrungsmitteln. Das ist die elementare Wirklichkeit. Ich wusste nicht warum, aber wenn es ganz still war und ich mit geschlossenen Augen die Pflanzen berührte, konnte ich diese Energie tief in mir drin fühlen.

Weil diese für jedes Wesen lebenswichtige Kraft in den Grünpflanzen steckt, machen uns Gärten zufrieden. Das fühlte ich damals und das fühle ich noch heute.

Ich zupfte ein einzelnes Blütenblatt ab und zerrieb es zwischen Daumen und Zeigefinger. Plötzlich durchzuckte ein Energiestoß wie ein Stromschlag meinen Arm und breitete sich in meinem Körper aus. Meine Nackenhaare stellten sich auf. Es fühlte sich an wie ein Kuss, der noch nicht geküsst war. Und ich legte zwei Finger auf meine Lippen, da ich Angst hatte, schreien zu müssen. Dann lief mir ein Schauer über den Rücken. Und die Überreste des Blütenblatts bröselten wie geronnenes Blut vor meinen Füßen auf den Boden.

VI

Die halbe Stadt kam zur Eröffnung des GARTEN DER ZWÖLF GÖTTER. Zumindest kam es mir so vor. In Wahrheit hatte Vitus, wie mir später gesagt wurde, nur die Regierungsmitglieder eingeladen. Aber mit 183 Senatoren, von denen viele ihre Frauen mitbrachten, wurde es selbst in diesem großzügigen Park eng. Die Kinder mussten zu Hause bleiben. Aus Platzmangel, erklärte Margarita. Bist du verrückt? Er kann Kinder nicht leiden, hätte ich beinahe gesagt, verkniff es mir jedoch.

„Das ist ja … ist ja …“, stotterte sie, „… ist … sagenhaft.“

Sie hatte recht. Ich war seit der zweiten Lieferung nicht mehr hier gewesen. Damals war ich schon von der Grünanlage überwältigt gewesen. Aber was Magnus zusätzlich zustande gebracht hatte, grenzte an ein Wunder.

Eine Juno-Statue kniete zu Füßen des Jupiter und lehnte den Kopf an den Brunnen, eine Hand im Wasser. Die anderen zehn Götter waren als Buchsstatuen zu Paaren zusammengefasst über den Rundbogen verteilt: Neptun und Minerva, Mars und Venus, Apollo und Diana, Vulcanus und Vesta, Mercurius und Ceres. Immer zwei Figuren aus einem Buchsbaum. Wasserläufe sprudelten von einem Buchs zum nächsten. Am Ende liefen sie alle in einem künstlichen Teich zusammen, auf dem handtellergroße Seerosen in vier Farben glänzten: rot, blau, gelb und – die Blätter – grün.

Obwohl sich so viele Gäste im Park tummelten, war es mucksmäuschenstill. Denn Staunen braucht keine Laute.

Ich konnte nicht glauben, was ich sah. Ich dachte an den Jongleur mit der Narrenkappe. Der Mann, der mit Betrügereien und Taschenspielertricks die Massen begeistert hatte. Und ich fragte mich, wie er all dies nur zustande gebracht hatte. Ich weigerte mich zu akzeptieren, dass ein Mann sich so sehr ändern kann – vom Gauner zum Künstler.

„Salve.“ Es war Albina. Sie schenkte mir ein Lächeln, als sähen wir uns gemeinsam einen Sonnenuntergang an.

„Salve“, grüßte ich zurück.

„Das ist unglaublich“, sagte Pius.

„Ja“, bestätigte Albina.

„Nein“, sagte Pius, „ich kann es tatsächlich nicht glauben. Etwas stimmt nicht.“

„Ach. Haben wir da noch jemanden, der die Konkurrenz nicht leiden kann?“, stichelte Octavian.

„Er hat recht“, sagte ich. Dass sich dieser Trottel auch immer gleich einmischen musste.

„Womit? Damit, dass Magnus einfach besser ist, als wir alle zusammen? So traurig es ist – aber ja“, sagte Octavian.

„Nein. Dass nicht eine einzige der von uns gelieferten Pflanzen einen Platz in dem Garten hat. Oder siehst du hier irgendwo eine?“

„Du hast doch keine Ahnung, Simon.“

„Ach. Und überhaupt: Hast du eine Vorstellung, wie viel Zeit es braucht, einen Buchs zu ziehen? Solltest du aber.“

„Jetzt reicht’s, Simon.“ Er ballte die Fäuste.

Er konnte mir wirklich gestohlen bleiben, aber ich sagte nichts weiter.

„Sei still, Marcus“, hörte ich einen Mann neben mir zischen. Er schimpfte über einen hochgewachsenen Kerl in einer braunen Toga. Was war da los? Ich sah, dass auch Octavian und Margarita hinsahen. Da fiel mir auf, dass eine ganze Gruppe Männer schlecht gelaunt aufeinander einredete. „Lass mich zufrieden.“

„Darf ich euch einen Freund vorstellen?“, fragte eine bekannte Stimme. Es war Quästor Vitus. Er kam auf uns zu. Magnus lief an seiner Seite. Er vollführte einen so überheblichen Augenaufschlag, als wäre er selbst ein Regierungsmitglied. Die beiden kamen gerade recht. Margarita würde ihnen die Leviten lesen, dass es so nicht weitergehen konnte. Und dass Magnus mit seiner Art zu arbeiten unser Geschäft vermieste und unsere Laune verpestete.

„Aber Vitus“, sagte Margarita, „wir kennen uns längst. Es wäre eine Schande, wenn nicht. Meister Magnus, es ist mir eine Ehre.“ Was war nur in sie gefahren?

Der Jongleur würdigte sie nur eines kurzen Blickes, wie einen Kadaver am Wegesrand, über den man nicht stolpern möchte. Das änderte erstaunlicherweise nichts an ihrer Gemütslage.

„Das soll nicht der letzte Garten sein, den dieser Künstler kreiert hat. Oder wie denken Sie darüber, meine Liebe?“ Hatte Vitus Margarita soeben schöne Augen gemacht?

„Ich bin verzaubert“, sagte sie und schenkte ihm ihr süßestes Lächeln.

„Komm“, sagte Albina und zog mich von den anderen weg. „Ich zeig dir was.“

Ich war froh, die schleimtriefenden Schmeicheleien nicht länger ertragen zu müssen. Außerdem fühlte ich mich zurückversetzt in ein vergangenes Leben, als die gesamte Bürgerschaft von Anzino gerufen hatte: Jongleur Magnus kann noch mehr. Gleichzeitig fielen mir viele mürrische Gesichter auf. Überall erblickte ich hängende Schultern und tiefe Stirnfurchen. Hatten die Senatoren heute allesamt schlechte Nachrichten erhalten?

Albina führte mich zu einer versteckten Holzbank für zwei, die im Schatten eines Rosenbuschs zum Sitzen einlud; direkt am Teich, mit Blick auf das Schilf und die Seerosen. Sie huschte auf die Bank und klopfte mit der flachen Hand auf den freien Platz. Der Sitzplatz war zauberhaft und konnte von der Senatorenherde nicht eingesehen werden. Ich kann also nicht sagen, woran es lag, aber es fühlte sich falsch an – unecht. Als würde man im Traum mit jemandem lachen, den man im wahren Leben verabscheut. Es lag nicht an Albina – um Himmels willen. Es war dieser Park. Obwohl er wie der Götterhimmel auf Erden erschien, stieg mir überall dieser muffige Geruch in die Nase.

Und dann sah ich die Rose. Sie wuchs aus dem Unterholz des Buschs heraus, hatte einen schwarzen Stängel, eine blaue Blüte und keine Dornen. Ich hatte eine solche Blume schon zweimal zu Gesicht bekommen. Und jedes Mal war ich angewidert gewesen. Irgendein abscheuliches Bild, für das menschliche Auge unsichtbar, stieß mich ab.

„Wir sollten die anderen nicht warten lassen“, sagte ich und wunderte mich über meine eigenen Worte. Da saß das hübscheste Mädchen Roms neben mir und ich machte einen Rückzieher. Das Strahlen in ihren Augen erlosch.

„Du hast recht“, sagte sie, „das sollten wir nicht.“

*

„Wir haben in Eurem Park noch nie jemanden arbeiten sehen“, sagte Octavian gerade heraus. Auf die Antwort war ich gespannt, blieb aber lieber etwas abseits stehen, weil ich befürchtete, Magnus könnte sich an mich erinnern.

„Meine Angestellten machen das nachts“, sagte er. „So ist der Garten tagsüber durchgehend begehbar und niemand wird durch unnötige Gartenarbeiten gestört.“

„Eine unglaublich gute Idee, oder?“, stimmte Vitus begeistert zu, der diesen Teil der Geschichte offenbar schon kannte. Es klang plausibel.

„Nachts?“, fragte Margarita. „Meine Leute wären da … wie soll ich sagen …“ Sie betrachtete ihre Mitarbeiter und las in den Augen ein deutliches Kommt nicht in Frage. „Marcus’ Ziergarten werden wir auf die althergebrachte Weise bewältigen, was denkt ihr?“ Albina, Pius und Octavian nickten im Gleichtakt, wie einstudiert. Margarita lächelte amüsiert.

„Machen Sie sich um Marcus’ Garten keine Sorgen“, sagte Magnus und wischte mit der Hand beiläufig durch die Luft. „Den erledige ich auf meine Art – jetzt, wo dieser Park fertig ist.“

Margarita gefror das Lächeln im Gesicht.

Sie sah Vitus an.

„Was sagt er da?“, fragte sie und deutete mit dem Finger auf den Jongleur. „Ist es jetzt sein Auftrag?“ Es fiel ihr schwer, den Satz herauszubekommen, weil ihr die Luft wegblieb.

Quästor Vitus lächelte gezwungen, widersprach aber nicht.

Liebe Leute sehet her, Jongleur Magnus kann noch mehr.

Ich beschloss, diesem Park in der kommenden Nacht einen Besuch abzustatten, auch wenn ich befürchtete, dass es keine gute Idee war …

VII

Ich redete mir ein, dass ich diese eigenartigen Gärtner sehen wollte, die nachts den Park versorgten. Deshalb schlich ich mich in der Dunkelheit unter dem Rosenbogen durch. Ich achtete darauf, keinen Laut von mir zu geben und huschte, sobald ich drin war, hinter den erstbesten Strauch. In Wirklichkeit handelte es sich um die dornenlose Rose, die mir nicht mehr aus dem Kopf ging.

Meine Augen waren in der Dunkelheit fast blind. Das einzige bisschen Licht schickte der Mond zwischen den düsteren Regenwolken hindurch. Es roch nicht nach frischem Gras und nicht nach humushaltiger Erde, wie ich sie von den Aufzuchtgärten her kannte. Und obwohl ich das Wasser plätschern hörte, erschien es mir, als gurgelte ein wabernder Sumpf über das Kiesbett. Ich witterte es sogar. Der Gestank nach modrigem Holz nahm mir immer mehr die Atemluft, je intensiver ich mich auf das Gewässer konzentrierte.

Niemand war hier. Kein nachtfleißiger Gärtner. Und auch sonst kein Mensch. Ich wollte schon aus der Deckung gehen, da schwebte eine Schattengestalt über die Wiese. Ich hörte sie grunzen und riss die Augen auf. Die Statuen aus Buchs, die Ringmauer, der Brunnen auf dem Plateau. Nirgends war eine Bewegung zu erkennen. Hatte ich mich getäuscht? Die Wipfel der Platanen wogten lautlos, nahezu geisterhaft hin und her und schickten dunkle Konturen übers Gras.

Ich schlich von einem Strauch zum nächsten und bemühte mich, immer nur kurz aus der Deckung zu huschen. Ich lauschte. Hielt den Atem an. Der Wind spielte mit dem Laub. Und der Sumpf, der ein Bächlein hätte sein sollen, schmatzte unappetitlich. Meine Augen spähten durchs Geäst, wie die Kinderaugen hinter den Schatten der Fenster.

Die Buchsstatuen bewegten sich. In einer Sekunde glaubte ich zu sehen, wie Mars seine Venus in den Arm schloss und den Kopf zu mir drehte. Er grinste mich niederträchtig an, mit spitzen Zähnen. Im nächsten Moment wusste ich, dass ich mich selbst belog und sah die beiden Figuren unberührt an ihrem Platz stehen. Ich wollte mich beruhigen. Deshalb suchte ich eine Melodie und summte sie leise vor mich hin.

Hört ihr Leut’ und lasst euch sagen …

Ich erreichte die Holzbank. In der Nacht wirkte sie wie ein aufgerissenes Maul, lauernd, jeden zu verschlingen, der sich darauf niederließ.

euer Stündlein hat geschlagen.

Ich wühlte im Rosenstrauch nach der blauen Rose. Hier musste sie irgendwo sein. Vielleicht war es die Dunkelheit, die den Stängel vor meinen Augen verbarg? Ich riss mir an einem Dorn den Arm auf. Es brannte, ließ aber schnell nach.

Was kann schöner sein im Leben …

Wo war die verdammte Blume nur. Ich sah sie nicht. Aber ich konnte sie riechen. Sie stank. Und ich fragte mich, ob dort ein toter Hase unter dem Buschwerk vergraben lag.

… als zu nehmen, statt zu geben.

Ein dünner Blutfaden rann über meinen Arm. Ich wischte ihn weg und wühlte im Strauch. Endlich fand ich den Stiel. Im Schatten des Rosenstrauchs war er beinahe unsichtbar. Und er hatte tatsächlich keine Dornen.

Seht den Jongleur Magnus an …

Ich fasste danach. Und im selben Augenblick, als ich mit den Fingerspitzen die Pflanze berührte, spürte ich einen fetten Ballen aus Wut und Trauer in meiner Brust wachsen. Der Stängel änderte seine Farbe. Das Laub richtete sich auf. Jetzt war es nur noch ein dunkles Grün. Und mein Herz begann zu rasen. Ich fühlte Menschen sterben, die mir lieb und teuer waren. Ich spürte ertrinkende Kinder, pestkranke Menschen und eine Frau, die ich niemals würde halten können. Und die Rose entfaltete ihre Blüte. Saphirblau. Die Blätter hellgrün. Ich riss meine Hand zurück.

… wie der Jongleur jonglieren kann.

Sofort verdorrte die Rosenpflanze zu einem schwarzen, dornenlosen Stängel. Die Seitenblätter sackten traurig ab. Ich atmete schnell, hastig. Das konnte alles nicht wahr sein. Eine Täuschung. Einer seiner Taschenspielertricks. Schweißperlen bildeten sich auf meiner Stirn. Ich erinnerte mich an das blaue Tuch, dessen Spitze aus Magnus’ Hand hervorgeblitzt hatte. Eine Frage beschäftigte mich: Was, wenn die dornenlose Rose, wenn der stinkende Rosenbusch, der wabernde Wasserlauf … was, wenn der ganze Garten nur ein verstecktes Stoffstück in seiner Hand wäre? Ein Trick. Und die Menschen jubelten ihm zu, so wie ihm die Bürger von Anzino zugejubelt hatten.

Seht den Jongleur Magnus an …

Ich war fest davon überzeugt, dass nichts von all dem Realität war. Er war ein mieser Betrüger. Und mit seinen Täuschungen hatte er sie alle in die Tasche gesteckt. Alle außer mir. Wieder fasste ich an den dornlosen Stängel. Diesmal fühlte er sich kalt und glitschig an. Ich zerrte daran. Er ließ sich ganz leicht lösen. Er stank so wie alles hier nach Moder und Verwesung. Mehr geschah nicht. Ich war zufrieden. Die Wut war verschwunden. Und ich war froh, dass ich es noch einmal versucht hatte.

„… was der Jongleur alles kann“, sang ich fröhlich.

*

Da sprang etwas mit einem dumpfen Schlag hinter den Rosenbusch. Sofort erkannte ich den Umriss des Wesens. Die Hyäne, so groß wie ein Pony, schnüffelte und schüttelte den Kopf im Gestrüpp hin und her. Ich hielt den Atem an. Hörte meinen Herzschlag. Rührte mich nicht. Das Biest war ganz nah. Der Gestank einer toten Ratte stieg mir in die Nase. Ich war wie erstarrt. Wegrennen hatte keinen Zweck, sie würde mir folgen. Ich sah beinahe schon, wie sie mich im Genick packte und herumschleuderte, bis meine Einzelteile in die Buchs-Statuen verteilt waren.

Es geschah jedoch nicht. Das Vieh erschnüffelte mich nicht. Stattdessen bewegte es sich vom Rosenbusch weg. Ich nutzte die Gelegenheit und huschte davon, den Bach entlang, dessen Plätschern meine Geräusche übertönte.

Ein Schatten folgte mir jedoch. Ich sah ihn im Augenwinkel und ich spürte, wie er hinter mir herlief. Ich beschleunigte mein Tempo. Je schneller ich lief, umso näher fühlte ich das Scheusal im Nacken. Jetzt gab ich die schützende Deckung auf. Ich schnaufte schwer. Die Rose zappelte. Mein Herz trommelte. Ich sah den Ausgang vor mir. Und ich hatte das Gefühl, im nächsten Augenblick müsste mir eine riesenhafte Klaue ins Genick schlagen. Ich sprang durch den Rosenbogen, stolperte, klatschte auf den gepflasterten Boden, schlug mir das Knie auf. Ein Schmerz durchfuhr mein Bein. Es pochte. Ich wälzte mich auf den Rücken, die Arme in Abwehrhaltung.

Aber da war nichts. Vor mir lag der Zugang zum GARTEN DER ZWÖLF GÖTTER, dahinter das Bild des Zaubergartens, gemalt in Schwarz und Blau. Wie die Rose in meiner Hand.

Und nur diese Pflanze vermochte mir zu sagen, was hier vor sich ging …

VIII

Es war noch ganz früh am Morgen. Die ersten Sonnenstrahlen fütterten die Grünpflanzen des ummauerten Aufzuchtgartens mit Energie. Mir wärmten sie wohltuend den Körper. Mit der schwarzen Rose in der Faust betrat ich meine Beetecke. Ich war eigenartig froh, die seltsame Pflanze aus der Hand geben zu können. Unterwegs hatte ich urplötzlich das Gefühl gehabt, ein behaartes Spinnenbein in den Fingern zu halten. Ich musste mir den Stiel ganz genau ansehen, bis ich die Vorstellung wieder loswurde.

Mit einem Messer knipste ich die Blüte vom Stängel. Für einen Moment dachte ich, sie würde sich öffnen, um einen vorsichtigen Blick auf denjenigen zu wagen, der ihr die Wasserzufuhr gekappt hatte. Doch dann zog sie sich zu einem festen Ballen zusammen, als wollte sie sich vor weiteren Eingriffen schützen. Ich legte sie zur Seite. Für mein Vorhaben war sie unnütz. Ich trennte den dornenlosen Rosenstängel in zwei Hälften. Dann löste ich sorgsam die Blätter ab. Nur jeweils die Obersten ließ ich stehen. Sie hingen traurig herab. Ich legte beide Ableger in ein flaches Wassergefäß und hatte den Eindruck, das Wasser würde vor ihnen zurückweichen. Aber das konnte doch nicht sein.

Auch die leichte Übelkeit ignorierte ich und schob sie auf zu wenig Schlaf.

Nun suchte ich einen geeigneten Fleck. Da war die kahle Stelle, wo Octavian die junge Rose aus der Erde gezogen hatte. Ich lockerte die humusreiche Pflanzerde und stach die Löcher für die Ableger mit einem Holzstäbchen vor. Dann nahm ich die Stecklinge aus dem Wasser. Kleine Härchen standen in alle Richtungen und bewegten sich wie Flaum im Wind. Ich stopfte die Stecklinge bis unterhalb des Blattansatzes in die Erdlöcher.

Jetzt holte ich mir die Blüte zur Hand. Offenbar hatte sie sich beruhigt. Sie lag locker in der Handfläche. Mit einem Stöckchen als Werkzeug zog ich die Blütenblätter auseinander. Sie hatten die Farbe wunderschöner strahlend blauer Augen. Eigentlich hätte ich hingerissen sein müssen. Blaue Blüten waren selten. Aber je ausführlicher ich mich mit der Pflanze befasste, desto seltsamer fühlte sich mein Hals an – als ob die Säure aus meinem Magen herauswollte. Je intensiver ich mich mit der Rosenblüte beschäftigte, desto mehr hatte ich den Eindruck, dass das, was mein Sehorgan wahrnahm, mit der Realität nicht übereinstimmte. Das Gewächs roch widerwärtig. Es fühlte sich fleischig und pelzig an. Und einmal dachte ich, es bewegte sich, so wie ein Knäuel aus Maden. Ich ließ es sofort fallen.

Ich betrachtete die Pflanze. Sie lag einfach nur da. Leblos. Was sonst hatte ich erwartet?

Je weiter ich mich entfernte und je weniger ich hinsah, umso erquicklicher wirkte die Rosenblüte auf mich. Nachdem ich mich eine Weile mit den anderen Rosen befasst hatte, war das üble Gefühl vergessen. Die blaue Blüte war bezaubernd. Viel zu schön für die Realität. Wie eine künstlich hervorgerufene Illusion. Eine Täuschung?

Da fiel mir auf, dass sich alle Blätter meiner Strauchrose, die in der Nähe der Ableger wuchsen, zusammenrollten. Auf einem Blatt entdeckte ich ein Pilzgeflecht. Der Fäulniskreis bildete ein Oval im Abstand von ungefähr zwei Handbreit um die neuen Stecklinge herum. Noch nie hatte ich gesehen, dass eine Pflanze so schnell auf Veränderungen in ihrem Umfeld reagierte. Ich beschloss, alles zu belassen, wie es war, die Sache aber im Auge zu behalten. Ich wusste nicht, was für Nachkommen ich gezogen hatte …

IX

Unterdessen waren die anderen im Aufzuchtgarten eingetroffen. Es war nicht ungewöhnlich, dass ich im Morgengrauen in meinem eigenen Gartenbereich arbeitete. Es war die einzige Tageszeit, die mir dafür blieb. Margarita und Octavian berieten über die Zukunft unserer Gruppe. Und auch wenn ich jedes Wort verstehen konnte, glaube ich nicht, dass sie mich wahrnahmen.

„Uns gehen die Kalksteine aus“, war das Erste, was ich verstand. „Der Tagespreis ist gut. Wir sollten eine Lage …“

„Tut mir leid. Wir können nichts einkaufen“, unterbrach Margarita.

„Wir haben genug Platz. Die Lager sind leer“, sagte Octavian.

„Keine Kalksteine.“

„Was ist los?“, fragte er.

„Die Kassen sind so gut wie leer.“ Sie wandte sich ab, um ihm nicht in die Augen blicken zu müssen. „Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll.“

„Ist doch ganz einfach: Wir brauchen Aufträge. Du hast doch einen guten Kontakt zu Vitus …“

„Wir haben einen Auftrag.“ Tränen schimmerten in ihren Augen. „Ich werde jemanden entlassen müssen … Sie schlug die Hände vors Gesicht. „Das musste ich noch nie. Das Geld reicht nicht. Einer muss gehen. Doch dann können wir den Auftrag nicht mehr ausführen. Dafür bräuchten wir mehr Personal – nicht weniger. Es ist zum Verzweifeln.“

„Was?“ Albina platzte herein. „Wer muss gehen?“

„Na wer wohl?“, sagte Octavian gerade heraus. „Dein Liebling.“

Und er hatte recht. Er war ein Unfreier. Er hatte seine Herrin Sesterze gekostet. Und solange er Säcke schleppen konnte und nicht zu viel aß, würde er bei ihr bleiben. Soviel stand fest. Pius und Albina waren länger dabei als ich. Sie hatten mehr Erfahrung – waren wertvollere Arbeitskräfte, auch wenn sie mehr verdienten als ich. Möglicherweise gab es da auch noch die eine oder andere Gehaltseinbuße. Doch das war eher zu verkraften, als die Arbeit zu verlieren.

Vielleicht war es ein schlechter Augenblick. Aber ich konnte mich nicht noch länger versteckt halten. Es kam mir niederträchtig vor. Außerdem konnte ich es nicht ertragen, dass dieser Tölpel über meine Zukunft entschied.

„Halt“, rief ich. „Darf ich dazu auch etwas sagen?“

„Ach, tut man das? Andere belauschen?“ Das war Octavian.

„Halt den Mund“, sagte ich. „Merkt ihr nicht, was hier passiert?“ Ich sah einen nach dem anderen an. „Albina, Margarita.“

Margarita weinte. „Es ist vorbei.“

„Magnus – er ist schuld. Er macht unsere Aufträge kaputt. Er säht Unfrieden.“

Ich weiß nicht warum, aber sie verteidigte ihn noch immer. „Wir müssen mit der Zeit gehen. Und das heißt für uns, dass Leuten wie Magnus die Zukunft gehört.“

„Er ist ein Betrüger“, rief ich unverblümt. „Ich kenne ihn schon lange.“

„Ach …“, stieß Octavian hervor.

„Simon!“, rief Margarita entsetzt.

„Er war ein Heimatloser. Und ein Falschspieler.“

„Ach … Octavian hatte es offensichtlich die Sprache verschlagen.

Margarita sah mich zweifelnd an.

„Auf einmal kennt er ihn?“, fragte Octavian schnippisch. „Unser Simon ein alter Bekannter von Magnus? Und das sollen wir glauben?“

„Schweig“, befahl ich.

„Vermutlich hast du ihm alles beigebracht.“

„Warum kannst du nicht einmal still sein, Octavian. Immer hast du deine blöde Visage überall dabei! Ist es das, was man beigebracht bekommt, wenn man ein Sklave ist? Sag, hat sie dich am Tempel des Castor ersteigert?“

Endlich war es raus. Das war lange fällig. Ich hatte es ihm gesagt und ich war stolz darauf.

Stille.

Die Münder standen offen.

Margarita war die erste, die das Schweigen brach: „Raus mit dir.“

Mein Herz setzte einen Schlag aus.

Noch bevor ich reagieren konnte, rannte Albina los. Sie weinte und rief: „Ich kündige!“ Dann hörte ich ihre Schritte leiser werden.

Wortlos verließ ich den Aufzuchtgarten.

X

„Gib auf, Schwächling!“, rief Arminius und stach mit dem Holzschwert zu. Sein Bruder parierte, indem er mit seinem Schwert das gegnerische beiseite schlug.

„Du bist gegen Kaiser Augustus machtlos“, keuchte Valentinus und sprang zur Seite. Vom Atrium aus beobachtete ich die Szene.

Die beiden spielten im innenliegenden Garten. Quästor Vitus posierte in blütenweißer Tunika auf der Bank am Brunnen und streckte die Beine. Die Jungen schoben kleinformatige Streitwagen durch eine imaginäre Arena.

Es wirkte merkwürdig, die Jugendlichen in hölzernen Rüstungen herumspringen zu sehen. Insbesondere die Helme mit den ausladenden Federn machten die Komödie komplett. Aber Vitus’ Gesichtsausdruck verriet seinen Stolz, dass aus seinen Zöglingen einmal große Krieger werden würden. Die Pflicht, der Legion zu dienen, war schon lange abgeschafft. Unter Umständen wurde einem seiner Söhne die Ehre zuteil, eine Karriere im Berufsheer zu beginnen. Mit einem Senator als Vater war alles möglich.

Arminius führte eine Drehung aus und schlug von der Seite kräftig zu. Valentinus drehte sich weg und machte einen Buckel. Das Schwert traf ihn in der Nierengegend.

„Verdammt. Bist du wahnsinnig?“, rief er.

„Du bist des Todes, Augustus.“ Arminius sprang herum, hieb sofort nach und stach seinem großen Bruder das Holz schwert in den Bauch.

„Au. Hör auf! Vater. Er haut wieder viel zu fest zu.“

„Zügle dich!“, rief Vitus, beeindruckte seinen Sohn damit aber nicht wirklich. Für die meisten Väter dieser Zeit war es wichtig, ihre Jungen nicht zu Weichlingen zu erziehen.

„Da ist ein Mann im Atrium“, sagte Lucius beiläufig.

Quästor Vitus verdrehte verärgert die Augen.

„Frag, was er will“, sagte er, weil es sich für einen Senator Roms nicht gehörte, ungebetene Gäste selbst abzuwimmeln.

„Es ist Simon“, rief Julius.

Vitus verzog den Mund und rollte mit den Augen.

Es waren etliche Wochen vergangen, seitdem Margarita den Auftrag wegen Personalmangel zurückgegeben hatte. Als ich davon erfuhr, hätte ich diesem Quästor am liebsten einen Dolch in den Bauch gerammt. Umso wütender machte es mich, dass er mich dem Ausdruck nach am liebsten nicht empfangen hätte. Was dachte er sich nur? Letzten Endes ging es doch nur um Senatoren in weißen Tuniken und um Macht. Da musste eine unbedeutende Landschaftsgärtnerin schon mal zurückstecken können. Am liebsten würde er jetzt wohl so tun, als wäre ich nicht da. Das verriet mir sein Gesicht. Aber mit Kindern als Dienstboten funktionierte das nicht. Ich lächelte zufrieden.

„Er darf eintreten.“

„Wer am schnellsten beim Brunnen ist“, rief Julius ein Rennen mit Spielzeug-Streitwagen aus. Die Kleinen stürzten sich ins Vergnügen.

„Simon, schön dich wiederzusehen“, sagte Vitus und ging mit offenen Armen auf mich zu. Seine Tunika öffnete sich wie eine Muschel. Ich verschränkte die Arme.

„Guten Tag, Quästor Vitus“, sagte ich förmlich zurückhaltend.

„Erster“, rief Julius.

„Das zählt nicht“, widersprach Lucius. „Dein Streitwagen ist schneller. Ich darf länger.“

„Stimmt nicht. Vater, sag, dass das nicht stimmt.“

„Was kann ich für dich tun?“ Er musste die Frage stellen, ob er wollte oder nicht. Das gehörte zu seinen Pflichten als Würdenträger. Es ist immer wieder schön, wenn man kleine gesellschaftliche Zwänge für sich ausnutzen kann. Ich baute mich vor ihm auf.

„Ich möchte den Auftrag annehmen, den Margarita abgelehnt hat.“

Vitus zog staunend den Kopf mit großen Augen zurück.

„Simon“, sagte er mit Bedacht. „Du bist kein Gärtner.“

Damit hatte ich gerechnet. Aber ich wollte mich nicht abbringen lassen. Er hatte keine Chance, mir den Auftrag zu verweigern. Nur wusste er es zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

„Ich kann das.“

Vitus wiegte den Kopf hin und her und blickte in Gedanken versunken durch mich hindurch. Vermutlich wägte er die Möglichkeiten ab, die sich aus einer dritten Spielfigur auf dem Spielbrett mit den weißen Tuniken ergaben.

„Simon, dir fehlt die nötige Erfahrung“, sagte er. „Und du bist kein Geschäftsmann.“

„Lass es mich versuchen“, bat ich.

„Sag mir, warum ich das tun sollte?“

„Ich werde es dir zeigen.“

Der Quästor posierte wie eine Marmorstatue, den Kopf gereckt, die Augen sanft aufgeschlagen. Ich denke, er genoss es, wie die marmorweiße Tunika im Wind flatterte.

Aber jetzt war meine Zeit gekommen und ich holte eine verwelkte, schwarze Rose hervor. Sie sah aus, als wäre sie einem Feuer zum Opfer gefallen.

Er zögerte. Offenbar kannte er diese besondere Sorte. Es war wohl eine Weile her, dass er zum letzten Mal damit in Berührung gekommen war. Und ich erkannte, dass er sich auf eine merkwürdige Weise von der dornenlosen Rose angezogen fühlte, zu ihr hingezogen, wie zu einer geliebten Frau. Ich hatte ihn an der Angel.

Mit einem Mal war es still im Garten. Arminius und Valentinus, Julius und Lucius – alle Augen waren auf die schwarze Rose mit der blauen Blüte gerichtet.

Ich kannte die Wirkung der Pflanze. Vitus wollte sie haben – unbedingt. Er streckte die Hand nach ihr aus. Das Verlangen würde sich in ihm zusammenziehen. Auch wenn er nicht wusste, warum. Er würde nach dieser Pflanze lechzen, wie ein Rüde nach einer läufigen Hündin. Er würde alles dafür geben, dieses Schmuckstück besitzen zu können.

„Ich schenke sie dir“, sagte ich salopp.

Er war sprachlos. Hingerissen. Seine Augen strahlten. Sofort griff er danach. Ich wusste, er würde sie nie wieder hergeben oder vergessen. Er würde sie zu der anderen legen und sich an dem Anblick erfreuen.

„Natürlich bekommst du den Auftrag“, sagte er ohne zu zögern.

XI

Die Insula, in der Albina wohnte, war ein dreistöckiges Mietshaus. Jede Wohnung hatte einen eigenen Balkon. Ich sah mich kurz um, konnte sie aber nirgends entdecken. Ich erreichte ihre Unterkunft über ein kompliziertes Treppensystem und klopfte an die Tür. Möglicherweise war sie nicht zu Hause. Sie hatte bestimmt längst andere Arbeit gefunden. Warum auch nicht? Ich würde sie jedenfalls sofort einstellen. Und das hatte ich im weitesten Sinne auch vor. Ich wollte, dass sie mir half. Nicht, weil ich sie dazu brauchte. Ich fühlte mich für sie verantwortlich – und zu ihr hingezogen, auch wenn sie nur ein gewöhnlicher Mensch war. Die Tür öffnete sich.

„Du.“

Sie sagte es so abfällig, als wäre ich der Steuereintreiber.

„Salve Albina“, sagte ich und gab mir Mühe, optimistisch zu klingen.

„Was willst du?“

Ich weiß, wie wir alles in Ordnung bringen können. „Ich …“

„Willst du dich entschuldigen? Dafür ist es zu spät.“

Es war nicht mein Fehler. Octavian hat mich provoziert. Aber in Wirklichkeit liegt die Schuld bei Magnus. „Ich …“

„Und wenn du es schönreden willst, dann erkläre mir bitte, wovon ich die Miete bezahlen soll.“

„Ich wollte nicht, dass du …“

„Es ist alles nur deine Schuld.“ Sie nahm die Hände vors Gesicht und weinte.

Mein Ton wurde härter. „Hör mir doch bitte zu.“

„Nein. Ich werde dir nie wieder zuhören. Ich habe keine Lust mehr, Kerlen wie dir zuzuhören, die einem Dinge ins Ohr säuseln und dann alles kaputtmachen.“

Sie schlug die Tür vor meiner Nase zu.

Und drinnen hörte ich sie schluchzen.

XII

Ich kam mir schäbig vor, als ich gegen Mitternacht um den ummauerten Aufzuchtgarten herumschlich. Dieses Haus ohne Dach war mein Lebensmittelpunkt gewesen. Es war eine sehr intensive Zeit gewesen. Mit neuen Freunden und bezaubernden Erfahrungen. Beinahe hatte ich das Gefühl, als wäre es ein Teil von mir und ich ein Teil dieses Gebäudes. Meine Seele steckte in den Mauern. Und die Erinnerungen brachen über mich herein.

Ich sah Margarita, wie sie mich an meinem ersten Tag am Haupteingang in Empfang genommen hatte. Obwohl wir uns bis dahin nie gesehen hatten, drückte sie mich, wie einen verlorenen Sohn.

Jetzt war ich entsetzt zu sehen, dass die Tür mit Brettern vernagelt war. Ich hatte nicht gedacht, dass es schon so weit gekommen war. Als ich vor drei Nächten hier gewesen war, konnte ich den ummauerten Aufzuchtgarten noch auf normalem Weg betreten. Ich sah mich um. Ich war allein. Ich wusste, was zu tun war. Schließlich war ich an diesem Ort so gut wie zuhause. Ich lief um das Gebäude herum zur alten Feige. Der Baum wuchs von innen heraus. Aber ein Teil seiner Zweige hingen außerhalb. Ich erinnerte mich an Pius, der einmal zu spät kam. Es war ihm furchtbar peinlich. Octavian sollte nichts davon erfahren. Und da Pius zu schmächtig war, um sich hochzuziehen, musste ich ihn am Po hochschieben. Ich lächelte. Es tat weh.

Drinnen war es stockfinster. Ich ertastete mir den Weg zu den Weinstöcken. Die Engstelle. Wie oft hatte ich darauf gewartet, dass Albina den Wein pflegte, nur um mich an ihr vorbeidrücken zu können? Ich hatte den Eindruck, sie riechen zu können. Ich wischte mir die Tränen aus den Augen.

Da waren meine Zöglinge. Sie hatten keine Ähnlichkeit mehr mit dem, was ich hinterlassen hatte. Ein Teil war verwelkt, vertrocknet, verdurstet. Die traurigen Stängel sahen aus, als hätten sie erbärmlich um Hilfe geschrien, bevor der letzte Lebenshauch entwichen war.

Die schwarzen Gewächse dagegen lebten auf, die Blüten saphirblau, die Blätter groß, kräftig und reich im Saft. Es sah aus, als pulsierten sie, durchzogen von feinen Adern. Vor ein paar Tagen hatte ich eine blaue Rose abgetrennt – Quästor Vitus‘ überzeugendes Präsent. An der Schnittwunde entdeckte ich gelbe, eitrige Masse. Sie stank nach ranzigem Fett. Ich hielt die Luft an.

Ich grub die Pflanzen aus. Es roch nach Pilzen und die Wurzelballen hatten die Erde wie ein Pilzgeflecht durchsetzt. Dann machte ich sie in mehreren Kübeln zum Abtransport bereit.

Es war traurig. Überall dörrten Grünpflanzen vor sich hin. Ich hatte sie eine lange Zeit versorgt und sie taten mir unendlich leid. Sie waren wie meine Kinder. Ich konnte nicht einfach gehen. Zum letzten Mal kam ich meiner Aufgabe nach und goss die Pflanzen.

Allein.

In der Dunkelheit.

Mit den Geistern meiner Erinnerungen.

Octavian.

Margarita.

Pius.

Und Albina, ja Albina.

Mein Atem, mein Herzschlag und das Wasser.

Und meine Tränen.

XIII

JUNGSENATOR TITUS LÄDT EIN ZUR FEIERLICHEN ERÖFFNUNG SEINES PERISTYLS, ARRANGIERT UND AUSGEFÜHRT VON DEM AUFSTREBENDEN KÜNSTLER SIMON.

So oder so ähnlich stand es auf Papyrus geschrieben. Und, wenn ich mich recht erinnere, gab es kein mir bekanntes römisches Gesicht, das nicht auf der Eröffnungsfeier des neu angelegten Innenhofgartens zu sehen war. Abgesehen von den Kindern – und Albina … ich konnte sie einfach nirgendwo finden.

Das Herzstück meines Wundergartens war eine Pergola aus Rosensträuchern. Das Besondere daran war, dass der Unterstand nicht wie üblich aus einem Gerüst bestand, an dem die Äste der Rose hinaufkletterten. Nein, das kleine Gebäude war ausschließlich aus Rosenpflanzen gefertigt. Vier stabile Stämme trugen das in vier Farben blühende Dach: Rot, Orange, Purpur und Zitronengelb. Ich hatte es mir nicht nehmen lassen, neben jedem Rosenstamm eine Tierfigur aus Buchs zu platzieren, die ich nacheinander aufdeckte. Ich erntete unzählige Ahs und Ohs sowie misstrauische Blicke von Octavian, der sich, seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, fragte, wie so etwas möglich war.

Liebe Leute sehet an, was ich, Simon, alles kann.

Margarita zog zusammen mit ihrem Unfreien und Pius durch den Garten. Sie schnupperte an den Rosenblüten und machte große Augen. Ich rümpfte die Nase.

Im Schatten der Rosenblätter plätscherte der obligatorische Brunnen. Ein Säulenweg umrundete den Prachtgarten. Jeder Säule war ein Obstbäumchen beigestellt. Riesige Feigen, Äpfel und Birnen baumelten daran, sodass einem das Wasser im Mund zusammenlief.

„Greift zu“, sagte Titus großmütig und jeder wusste, dass er dieses Angebot aus Höflichkeit zwar aussprach, jedoch nur schweren Herzens.

Vitus – aufrecht, in schneeweißer Toga – griff gleich zu und biss in einen knackigen Apfel. Geschieht dir recht, dachte ich und verzog das Gesicht.

Liebe Leute sehet her, euer Simon kann noch mehr.

Die Gartenfläche war so eng, dass sich die Senatoren auf die Füße traten – zumal ich nur wenige Grasflächen freigelassen hatte. Stattdessen hatte ich noch ein duftendes Kräuterbeet und ein paar Ziersträucher angelegt, in deren Schatten schmucke Zweisitzer auf ein Pärchen warteten. Fast meinte ich, Albina dort sitzen zu sehen. Aber nein, sie war nicht da.

Es wurde geplaudert, geschnuppert, geschmatzt und die Elite Roms stellte gebleichte Tuniken zur Schau. Titus hielt eine Begrüßungsansprache und kündigte eine Rede an: Der Künstler spricht. Das war mein Auftritt.

Wenn ich an diesen Tag zurückdenke, sehe ich mich leicht überheblich, aber auf jeden Fall in Oberlehrermanier vor die Menge treten. Wer hat schon einmal die Gelegenheit, vor dem römischen Senat zu sprechen? Jetzt wollte ich meinen Triumph auskosten und ihnen die Wahrheit unter die Nase reiben.

Ich verbeugte mich. Überall wurde getuschelt.

„Darf ich mich vorstellen, mein Name ist Simon.“

Nur wenige Menschen sahen zu mir. Ich fühlte mich unwohl. Auch, weil die Weißgekleideten ihre Gespräche nicht unterbrachen. Viele von ihnen taten, als wäre ich gar nicht da.

„Ich bin kein Künstler. Ich bin kein Gärtner. Und im Grunde genommen bin ich nicht einmal ein ehrbarer Bürger, da ich vor einem Jahr noch heimatlos durch die Welt gereist bin.“

Jetzt deuteten Finger auf mich. Es wurde leiser und ich hatte die Aufmerksamkeit. Ich hatte ihre Neugier geweckt.

„Ich bin nur ein Mann vom Land. Trotzdem wurde mir die Ehre zuteil, diesen Garten für Senator Titus zu gestalten.“

Titus wurde mit finsteren Blicken bedacht. Er tat mir sogar ein bisschen leid. Ich hoffte, ich hatte seine junge Karriere nicht ruiniert.

„Aber was ich euch heute zu sagen habe, ist viel wichtiger als das.“

„Stopft ihm das Maul!“, rief ein Mann, den ich nicht erkennen konnte.

„Ihr seid betrogen worden. Jeder von euch.“ Ich deutete mit dem Finger über ihre Köpfe hinweg. Ich blickte in aufgebrachte Gesichter. Auch Margarita, Pius und Octavian wirkten erstaunt. Vitus biss schmatzend in einen weiteren Apfel.

„Alles, was ihr hier seht, ist eine Lüge. Ebenso, wie der GARTEN DER ZWÖLF GÖTTER. Es ist alles nur ein Trick.“

„Ja. Stopft ihm das Maul“, rief ein anderer. Und ich hörte jemanden sagen: „Was redet er da für einen Unsinn?“

„Nichts ist wirklich. Ihr seht einen zauberhaften Garten. Tatsächlich sind hier nur faulige, stinkende Rosen einer besonderen Sorte, die eure Sinne rauben.“

Ich hörte Menschen lachen. Jemand winkte ab. Ein paar Regierungsmitglieder drehten sich weg.

„Ich sage die Wahrheit. Die Schönheit der Pflanzen entspringt eurem Gemüt. Lasst euch nicht zu schlechter Laune hinreißen. Umso prachtvoller werden die Gewächse.“

„Holt ihn von der Bühne“, sagte Vitus mit vollem Mund. Sofort kamen zwei muskelbepackte Kerle, packten mich an den Armen und zogen mich Richtung Ausgang.

Na endlich, da waren sie. Die Kinder. Ich hatte Julius, Lucius und die beiden größeren Jungen losgeschickt, möglichst viele Senatorenkinder zusammenzutrommeln und herzubringen. Eine Kinderschar strömte in den Ziergarten. Gut zwei Dutzend. Ich sah sofort, dass sie die Wirklichkeit erkannten. Sogar Valentinus, der ja beinahe ein Erwachsener war, hielt sich die Hand vor den Mund. Lucius zögerte, den Garten zu betreten und ich hörte einige Kinder die Worte „abscheulich“ und „ekelhaft“ sagen. Manche von ihnen hielten sich die Nase zu.

„Papa. Was hast du da?“, sagte der kleine Julius und zeigte auf den Apfel.

„Was soll das werden?“, verlangte Senator Titus zu wissen. „Nach Hause mit euch. Ihr habt hier nichts verloren.“

„Lasst die Kinder sprechen“, rief ich, bevor man mich aus dem Garten werfen konnte. Offenbar hatte ich die allgemeine Zustimmung, denn jeder konnte sehen, dass etwas nicht stimmte.

„Was meinst du?“, fragte der Quästor.

Und das erste Mal in der Geschichte sprach ein fünfjähriger Junge zum ehrwürdigen römischen Senat.

„Ein Matschfleisch.“ Er deutete auf den Apfel. Seine Brüder kamen dazu. Und sie nickten.

„Matschfleisch“, sagte Lucius.

„Ja. Matschfleisch“, bestätigte Arminius.

Alle Blicke waren auf den angebissenen Apfel in Vitus Hand gerichtet. Ich kann nicht sagen, was die anderen sahen, aber sie mussten eine Verwandlung durchgemacht haben, vielleicht von der Art einer Erkenntnis: dieser Augenblick, wenn das Gehirn bemerkt, dass der Stolz unrecht hat; eine Einsicht der Augen. Es war der Glaube, der der Täuschung die Macht verlieh. Kinder konnte man nicht so einfach täuschen. Sie sahen nur die Wirklichkeit. Nicht das, was die Erwachsenen durch ihre Erwartungen und falschen Vorstellungen vor die Realität schoben. Vitus glaubte den Kindern. Sie brachten ihn auf den rechten Weg. Er musste begonnen haben, die Dinge zu hinterfragen, so wie ich vor Jahren in Anzino die Illusionen des Jongleurs hinterfragt hatte. Ich für meinen Teil hatte von Anfang an nur einen unappetitlichen, von grauem Gewebe durchzogenen Fleischklumpen gesehen. Vitus warf ihn zur Seite und schüttelte die Hand, als versuchte er, ein Insekt loszuwerden. Die Senatoren sprangen auseinander.

Überall gab es nur pechschwarze, dornenlose Rosen mit saphirblauen Blütenblättern. Der Boden war ein einziger Morast. Es roch muffig, abscheulich, wie nach verdorbenen Eiern.

Als Vitus den Glauben verlor, machten sich auch die anderen Gedanken über die Realität dieses Gartens. Es war ansteckend. Eine Welle der Wirklichkeit. Endlich hatten sie es erkannt. Ich war froh und erleichtert. Jetzt würde alles wieder ins Lot kommen. Und als ich sah, wie Quästor Vitus das Gesicht verzog und ununterbrochen ausspuckte, schmunzelte ich amüsiert in mich hinein.

Da deutete Vitus mit dem Zeigefinger auf mich und befahl: „Legt ihn in Ketten …

XIV

Unverhofft betrat Magnus den brandneuen Ziergarten. Ein unangenehmes Lächeln umspielte seine Lippen und er trug wieder diese Kappe, die man heute nur noch von Hofnarren kennt. Seine Augen packten mich, fixierten mich, ließen mich nicht mehr los. Sie sagten: DU. Jetzt weiß ich, wer du bist. Du hast mich lächerlich gemacht. Meine Darbietung in den Dreck gezogen. Und dafür wirst du nun büßen.

„Er ist der Betrüger!“, rief ich und deutete auf Magnus. „Er hat euch einen Garten vorgetäuscht, den es niemals gab.“ Die Hyäne knurrte mich an.

Magnus gab sich siegessicher. Er ließ mich nicht aus den Augen. Dann wackelte er mit dem Kopf. Die vier Spitzen an der Kappe zappelten – grün, rot, gelb und blau – und die Glöckchen an ihren Enden klingelten. Im Geiste hörte ich seine Stimme deutlich sagen: Sieh, wohin dich deine Überheblichkeit gebracht hat. Ich habe sie alle in der Hand.

„Verrat“, rief er, tat dramatisch und deutete auf mich.

Er baute sich vor mir auf, wie eine Kaiserstatue. Ich sollte wissen, wem ich die Handschellen zu verdanken hatte. Ich sollte die Narrenkappe weiter im Auge haben. Und jetzt erkannte ich, dass er diese Kappe nur meinetwegen auf dem Kopf trug. Er machte sich über mich lustig. Die anderen sahen die Kappe nicht. Er kontrollierte ihre Sinne, wie er es schon oft getan hatte.

*

„Was hast du da für eine lustige Mütze auf?“, quakte eine Kinderstimme von irgendwo her. Kinder? Mit einem Mal verzog Magnus das Gesicht, als fräße sich ein unerträglicher Schmerz durch seine Gedärme. In diesem Augenblick sah ich eine alte Bekannte auf seiner Stirn: eine Schweißperle. Und ich wusste, er hatte schwer damit zu kämpfen, seine Trugbilder aufrechtzuerhalten.

Das Mädchen sah die Wahrheit. Sie sprach sie laut aus. Und da die erwachsenen Senatoren ihren Nachkömmlingen glaubten, sahen sie jetzt auch den Jongleur mit den Augen der Kinder.

„Er trägt eine bunte Mütze“, sagte jemand.

„Magnus, soll das ein Scherz sein?“, fragte Vitus entsetzt.

Die Kinder lachten laut los.

Julius rief: „Magnus trägt die Mütze – mit der bunten Spitze.“

Es klang wie einer dieser Kinderreime. Die anderen Kinder stimmten mit ein.

„… trägt die Mütze – mit der bunten Spitze.“

Ich sah feine Adern auf seiner Stirn pulsieren. Und damals hätte ich schwören können, dass die Adern genauso aussahen, wie die Wasseradern im Stängel der blauen Rose.

Der Chor wurde immer lauter.

„Magnus trägt die Mütze – mit der bunten Spitze.“

Magnus gab ein Kommando. Da sprang die Hyäne vor die singende Kinderschar. Das Biest war so riesig, das es auf allen Vieren größer war, als die meisten Kinder. Sofort erstarb der Gesang. Valentinus schrie auf, so wie viele andere Kinder auch.

Arminius stellte sich provozierend vor das Untier. Vielleicht hatte er zu viel Mut. Denn was würde er schon ausrichten können? Die Bestie würde ihn zerfetzen.

Ich riss meine Arme los und platzierte mich kampfbereit neben ihm. Die Schweißperle auf Magnus’ Stirn wuchs an. Das Biest schlug mit der Tatze nach uns, verfehlte uns jedoch um Armlängen.

Unverhofft rief Magnus wie damals als Jongleur:

„Liebe Leute sehet an, was ich, Magnus, alles kann.“

In diesem Moment war er wieder zu einem Jongleur geworden. Vier bemalte Holzbälle schossen aus seinen Händen – grün, gelb, blau und rot. Sie schwebten im Kreis vor seinem Kopf. Die Senatoren richteten ihre Blicke auf die Bälle, weg von der Hyäne. Und auch Margarita, Pius und Octavian folgten dem Flug der Jonglierbälle. Noch einmal hieb das Tier nach uns. So würde es uns niemals treffen. Ich war überrascht. Wollte uns das Vieh nur Angst machen? Noch eine Täuschung?

In diesem Augenblick verstand ich, was hinter all dem steckte. Ich begriff seinen Plan. Und ich wusste, was zu tun war …

XV

„Liebe Leute sehet her, dieser Jongleur kann nicht mehr“, sang ich.

Viele Kinder lachten. Andere sahen überrascht drein. Aber vor allem gewann ich die Aufmerksamkeit der Erwachsenen zurück.

Magnus verlor den gelben Ball. Er kugelte auf mich zu. Unscheinbar, wie ein Spielzeug. Ich war überzeugt, da steckte viel mehr dahinter. Energie. Blütenblätter.

„Liebe Leute seht euch um, Jongleur Magnus schaut jetzt dumm“, rief ich und konnte mit diesem Reim sogar ein paar Töchter und Söhne anstecken. Die Schweißperle rann über seine Wange. Er ließ die restlichen Jonglierbälle fallen und hielt sich den Bauch.

„Jetzt alle!“, rief ich. „Auf auf, ihr Trauerklöße und Miesepeter. Liebe Leute seht euch um, Jongleur Magnus schaut jetzt dumm.“

Ich klatschte im Takt.

„Liebe Leute …“

Die Kinder stimmten mit ein. Und der Jongleur krümmte seinen Körper vor Schmerz. Ich sah den Schweißtropfen auf den Steinboden platschen. Die Hyäne brüllte.

Als die Erwachsenen erkannten, was passierte, stimmten auch sie mit ein. Zunächst unsicher, dann kräftiger.

„Liebe Leute seht euch um, Jongleur Magnus schaut jetzt dumm.“

Ich schnappte mir die Bälle. Den grünen und den gelben klatschte ich dem Biest an die Stirn und gegen die Schnauze. Es biss danach. Kreischte. Die Bälle verpufften zu Rauch. Und das Vieh sackte zusammen, wie ein leerer Kartoffelsack. Alles nur Illusion, genährt von schlechter Laune. Es war unglaublich. Das Einzige, was von dem Tier übrig blieb, war eine pechschwarze Rose – ohne Dornen.

Die Zuschauer staunten. Blickten erschrocken drein.

Da riss der Jongleur seinen Körper hoch. Die bunten Zipfel seiner Kappe erhoben sich in die Luft. Er brüllte und warf die Hände auseinander. Noch mehr Farbbälle schossen aus den Handflächen. Jeder hatte vier messerscharfe Klingen – blau, gelb, rot und grün. Er katapultierte sie in die Höhe, wie winzige gefährliche Narrenkappen. Sie stoben in alle Richtungen.

„Lauter singen!“, rief ich. „Nicht aufhören.“

Ich kann nicht sagen, mit was für einem Wesen wir hier Bekanntschaft gemacht hatten. Später fragte ich mich oft, ob ich vielleicht selbst nur ein verirrter Teufel gewesen war. Eines war jedoch sicher: die Macht der Energie. Ich knallte den roten Ball gegen Magnus‘ Bauch. Er plärrte noch lauter und die Kugel zersprang. Noch bevor sie jemanden treffen konnten, lösten sich die winzigen Narrenkappen in Rauchwölkchen auf. Und die Haut des Jongleurs platzte auf. Eiter quoll hervor. Er riss seinen Mund weit auf und brüllte, als wäre er eins mit der Hyäne.

Die Menschen sahen ängstlich zu. Eine Frau lief panisch davon. Die meisten jedoch hatten verstanden, mit welchem Übel sie es zu tun hatten und wie es zu bekämpfen war. Deshalb applaudierten sie, so kräftig sie konnten, und sangen noch lauter.

„Liebe Leute seht euch um, Jongleur Magnus schaut jetzt dumm.“

Ich warf den letzten Ball. Saphirblau, wie die Blütenblätter der dornenlosen Rose. Und ich traf direkt in seinen Mund. Das Wesen verpuffte zu einem lauten Schrei. So laut, dass wir alle vor Schreck die Hände an die Ohren hielten und die Augen zusammenkniffen. Ich hörte ihn kreischen. Es war, als käme der Aufschrei geradewegs aus meinen Gedanken.

Auf einmal war es still.

Als ich meine Augen öffnete, war der Jongleur verschwunden. Ein blaues Fähnchen tanzte in der Luft, schwang hin und her, wie ein Blatt im Wind. Es fiel vor uns in den Morast.

Liebe Leute sehet her, Jongleur Magnus gibt’s nicht mehr.

XVI

Albina kümmerte sich um den Verjüngungsschnitt der Feigenbäumchen. Dank der anstehenden Arbeiten – der Park war nur noch eine einzige Sumpflandschaft – konnte Margarita Albina und auch mich wieder einstellen. Schnell war der Aufzuchtgarten auf Vordermann gebracht. Und es schien, als sei alles beim Alten.

Ich spürte Albinas heimliche Blicke und ich erschlich mir hier und da ein Lächeln, das mein Herz zum Leuchten brachte.

„Margarita und Vitus sind jetzt ein Paar“, sagte sie und zweifellos sollte es eine Anspielung sein. Sie machte große Augen.

„Die Kinder lieben sie“, antwortete ich. Damit ließ ich sie abblitzen. Nicht aber, ohne ihr zuvor ein Zwinkern zuzuwerfen.

„Magst du Kinder?“ Sie ließ mich nicht aus den Klauen, umkreiste mich mit ihren Worten, wie eine Raubkatze ihr Opfer. Sie zitterte, so neugierig war sie auf meine Antwort.

„Simon“, rief Octavian. „Die Rosen brauchen Wasser.“

Die Erlösung. Ja. Es war alles beim Alten.

„Woher weißt du solche Dinge?“, wollte sie wissen, nachdem ich die Rosenpflanzen vor dem Verdursten gerettet hatte.

„Was meinst du?“

„Woher wusstest du das alles über Magnus?“

„Ach das.“

Ich tat es als Kleinigkeit ab. Vielleicht wollte ich ihr auch imponieren. Sie kicherte.

„Ich kann eben … diese Dinge“, erklärte ich inhaltslos, geheimnisvoll.

„Kannst du mir das genauer erklären? Niemand kann solche Dinge“, sagte sie und wollte mich damit offensichtlich aus der Reserve locken.

„Warte. Ich zeige dir etwas“, sagte ich.

Ich zupfte Blätter von einer wunderhübschen gelben Rosenblüte ab und nahm sie in die Faust. Sie sah neugierig hin. Vielleicht stellte sie sich vor, wie sie auf Händen über einen Weg getragen wurde, bestreut mit gelben Blütenblättern. Sie war wunderschön: die Augen zur Hälfte geschlossen, die Gesichtsmuskeln zu einem sanften Lächeln entspannt.

Ich zerrieb die Blätter zwischen den Fingern, ertastete die Natur der Pflanze, fühlte die Energieströme und drückte sie sanft aus der Masse heraus. In ihren Augen las ich, wie sie sich verwundert fragte, warum ich wohl die hübschen Blätter kaputtmachte.

Ich hielt ihr die Faust hin.

„Was ist da drin?“, wollte sie wissen.

„Ein Kuss.“

Ich sah, wie ihr Körper zuckte, als ob ein kribbelnder Schauer über ihren Körper wanderte. Neugierig huschte ihr Blick zwischen meinen Augen und der Faust hin und her. Dann klappte sie meine Finger auseinander.

Nichts. Die Hand war leer.

Sie sah mich fragend an.

Mit einem Mal verspürte ich das unwiderstehliche Verlangen, sie sofort zu küssen, komme, was wolle. Sie schloss die Augen.

Sie schmeckte weich und süß. Mein Herz machte Freudensprünge und ein Prickeln breitete sich über meinen ganzen Körper aus.

Das war der richtige Augenblick, mich aus dem Staub zu machen. Ich sog die Energie aus den Blättern in mich auf. Und ich zerstob damit die Erinnerungen an mich und mein Leben in dieser herrlichen Stadt.

Als sie die Augen öffnete, war ich längst verschwunden. Aus ihrem Blickfeld und aus ihrem Leben.

Womöglich stand sie vor den Feigen, die Schere in der Hand und fragte sich, was sie eigentlich gerade tun wollte. Vielleicht schüttelte sie liebevoll den Kopf, wie sie es so oft getan hatte, als würde die Erinnerung dann zurückkehren. Das würde sie aber nicht …

*

Ich fragte mich, was für ein Wesen dieser Magnus war. Vielleicht waren wir uns ja ähnlich? Oder sogar gleich? Ich denke heute noch oft an diese Zeit zurück; wenn ich in schlechter Verfassung bin, müde, ausgelaugt, oder wenn ein Hirngespinst meinen Geist vernebelt. Dann greife ich gerne nach einem Blütenblatt und genieße die erfrischenden Kraftreserven, wie ich es damals gelernt habe, in den Gärten von Rom.

DIE EWIGEN. Erinnerungen an die Unsterblichkeit

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