Das rote Meer
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Clara Viebig. Das rote Meer
Clara Viebig. Das rote Meer
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Über Das rote Meer
Autorenporträt
Ebook-Kolophon
Отрывок из книги
Den Sommermittag, den Akazien- und Lindenduft süss umschmeichelt, durchgellt ein Misston. Woher kommt er?
Die Leute, die über die Strasse des Vororts im Westen von Berlin gingen, merkten auf. Sie blieben stehen, drehten sich nach rechts, nach links, streckten den Kopf vor und horchten. Man war schon an vieles gewöhnt: an das auf dem Bahnstrang ewig-gleiche Dahinrasseln der Züge, die dem Krieg immer neuen Frass in den Rachen schütten — an das unheimliche Heulen der Feuerwehrsirene, die das Eintreffen der Verwundetentransporte ankündet — an die dumpfen Klänge einer Musik, die an immer neuen Gräbern zum Poltern der Schollen aufspielt — einen Laut wie diesen hatte man nicht vernommen. Was war das? Man erschrak. Man war schreckhaft geworden im dritten Kriegsjahr. Klang es nicht wie ein Hilferuf, wie eine Mark und Bein durchschrillende Klage? Ein Schrei ohne Worte; ein Jammer, aber nicht aus Menschenmund. So brüllt auch kein Tier auf unterm Beil des Schlächters. Es war etwas Übernatürliches, Furchtbares. Ein Schauer überlief die Hörer. Und alle hörten; nicht nur in den Strassen des Vororts, in den grünumbuschten Villen und Gärten, die Sommerluft nahm den Schrei auf ihre Flügel und trug ihn weit hinaus über Äcker und Felder, trug ihn durchs ganze Land.
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Die Generalin hatte etwas Beruhigendes in der Stimme. „Es scheint rege Artillerietätigkeit. Aber die Infanterie greift bis jetzt nicht ein. Ich glaube, Sie können ganz ruhig sein.“ Ihre warme Hand legte sich auf die kalten nervösen Finger. „Liebste Frau, machen Sie sich doch keine unnützen Gedanken. Wir wollen uns die frohe Stunde nicht trüben. Sie bekommen sicher bald Nachricht.“
„Meinen Sie?“ Die kalten Finger zuckten. Aber dann rüttelte Hedwig sich, als schüttele sie etwas Quälendes von sich ab, es glitt ein Sonnenschein über ihr Gesicht. „Wie wird Rudolf sich freuen, wenn er seinen Jungen wiedersieht! Beim letzten Urlaub war der noch nicht viel mehr als ein kleines Tierchen: essen, trinken, schlafen. Wie hat er sich in den sechs Monaten entwickelt! Er ist schon ein Mensch, ein kleiner glücklicher Mensch. Er lacht den ganzen Tag, weint nie.“ — —
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