Читать книгу Perry Rhodan 420: Rätsel der Vergangenheit - Clark Darlton - Страница 4

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1.

Leutnant Cliff Nordberg war heilfroh über die Tatsache, dass ihm der Kommandant der TIBETA für diesen Tag dienstfrei gegeben hatte. Der Schwere Kreuzer stand zehntausend Lichtjahre von der Erde entfernt tief im Weltraum und wartete auf weitere Befehle des Solaren Flottenkommandos.

Oberst Pferlinger hatte erstaunt aufgesehen, als sich der junge Leutnant bei ihm melden ließ.

»Sie wünschen, Leutnant?«

Cliff war die Verlegenheit auf fünf Lichtjahre anzusehen.

»Sir, ich bitte um Verzeihung ... ich werde heute vierzig.«

»Gut so«, hatte Pferlinger leutselig genickt. »Machen Sie so weiter, dann werden Sie auch achtzig oder hundertzwanzig. Sind Sie deshalb zu mir gekommen? Sie wissen, dass wir auf Warteposition stehen und jeden Augenblick mit wichtigen Befehlen rechnen.«

»Ja, ich weiß, Sir, trotzdem möchte ich Sie um etwas bitten. Ich habe heute Geburtstag und einige Freunde gebeten, ein wenig mit mir in der Messe zu feiern. In Maßen, selbstverständlich, Sir. Ich hatte gestern Sonntagsdienst. Vielleicht wäre es Ihnen möglich, mir den heutigen Tag dienstfrei zu geben.«

Pferlinger sah auf den Datumskalender.

Montag, der 25. März des Jahres 3433 Terra-Normalzeit.

Er nickte.

»Also gut, Leutnant, genehmigt. Sollten aber inzwischen die erwarteten Befehle eintreffen und die Lage es erforderlich machen, müssen Sie mit einer sofortigen Aufhebung der Freiwache rechnen.«

»Danke, Sir.«

Leutnant Cliff Nordberg salutierte und wollte die Kommandozentrale verlassen.

»Einen Augenblick noch!« Die Stimme des Kommandanten hielt ihn zurück. Er drehte sich um und sah ihn fragend an. »Sir ...?«

»Herzlichen Glückwunsch, Leutnant.«

Cliff atmete erleichtert auf.

»Danke, Sir. Vielen Dank.«

Auf dem Weg zurück in die Kabine, die er mit einem jüngeren Kadetten teilte, pfiff er sogar. Seit vier Jahren tat er nun auf der TIBETA Dienst, und in diesen vier Jahren war eine Menge geschehen. Gerüchten nach zu urteilen hatte es plötzlich das heimatliche Sonnensystem nicht mehr gegeben und Rhodan selbst sollte tot oder verschollen sein. Nun war er aber wieder aufgetaucht, und zum ersten Mal seit zweieinhalb Jahren hatte es gestern wieder Post von den Angehörigen gegeben.

Er griff in die Tasche und fühlte den glatten, kühlen Folienumschlag des Briefes. Er war wie ein Wunder gewesen, und zugleich die Bestätigung dafür, dass daheim noch alles in Ordnung war. Es gab die Erde noch. Und mit ihr gab es auch noch die Menschen, seine Eltern, und vor allen Dingen Margit.

Als er um die letzte Biegung kam, wäre er fast mit Captain Bullby von der Technik zusammengestoßen. Er hörte auf zu pfeifen und grüßte. Der Offizier grüßte zurück und ließ ihn wortlos passieren.

Cliff ging in seine Kabine und war froh, dass Kadett Myser Dienst hatte und nicht anwesend war. Er setzte sich und las noch einmal den Brief, den er bekommen hatte.

Viel war ihm nicht zu entnehmen.

»Lieber Cliff, es geht uns gut, und wir sind froh, Dir nun wieder schreiben zu können. Wenn Du zurückkommst, werden wir Dir alles erzählen. Nun warten wir auf einen Brief von Dir, und wir wissen, dass er bald eintreffen wird. Margit hofft, dass Deine Versetzung zur Heimatflotte bald erfolgt, damit Ihr heiraten könnt. Sie wünscht sich so sehr ein Kind ...«

Cliff las den Brief mehrere Male durch, und er fühlte mehr als er wusste, dass nichts zwischen den Zeilen stand. Er sagte nur das Wichtigste, vielleicht nur das Erlaubte. Es sagte nicht alles, was inzwischen geschehen war.

Er klärte keine Geheimnisse.

Cliff schrak zusammen, als Kadett Myser in die Kabine kam.

»Hast du keinen Dienst?«

»Doch, natürlich, Cliff. Ich mache Pause. Was hast du da?«

»Meinen Brief. Du bekamst keinen?«

»Von wem denn?« Für eine Sekunde lag ein Schatten auf Mysers Gesicht, dann lachte der Kadett wieder. »Zensiert, was?«

»Sieht so aus.« Cliff zuckte die Achseln. »Was soll's? Die Hauptsache ist, wir bekommen überhaupt wieder Post. Wir feiern später ein bisschen. Kommst du auch?«

»In der Messe? Mal sehen, ob ich kann. Bis dann.«

Cliff war wieder allein.

Er las den Brief noch einmal durch, dann legte er ihn in seinen Schrank, wo er seine persönlichen Dinge aufbewahrte. Er würde antworten müssen, besonders Margit. Seit vier Jahren hatte er sie nicht mehr gesehen, seit er versetzt worden war. Und solange hatte er auch die Erde nicht mehr gesehen.

Cliff wusste nicht, dass sie und das gesamte Sonnensystem nicht mehr in der Gegenwart existierten, sondern durch ein Zeitfeld ständig fünf Minuten in der Zukunft gehalten wurden.

Er gehörte nicht zu den Wissenden.

Noch nicht.

*

Als Cliff viele Stunden später frohgelaunt nach der gelungenen Feier im kleinen Kreis in seinem Bett lag und Kadett Myser auf der anderen Seite der Kabine leise vor sich hin schnarchte, gingen seine Gedanken unwillkürlich einige Wochen zurück. Damals wäre es fast zu einer Meuterei auf der TIBETA gekommen.

Seit dem Oktober 3430 waren alle direkten Kontakte zu dem Flottenhauptquartier auf Terrania abgebrochen. Eine gewisse Zeit lang blieben die weit verstreuten Einheiten ohne Befehle, bis sie plötzlich wieder eintrafen, diesmal aber nicht aus Terrania, sondern von besonders dafür vorgesehenen Schiffen, die alle Vollmachten besaßen.

Oberst Pferlinger widersetzte sich allen Gerüchten, nach denen das Sonnensystem vernichtet worden sein sollte. Er glaubte fest daran, dass Rhodan noch lebte. Und die ausgefallene Postverbindung versuchte er mit taktischen Maßnahmen zu entschuldigen.

Mehr als zwei Jahre gelang es ihm, die immer unruhiger werdende Mannschaft zu beschwichtigen, bis ihn ein Auftrag zu einer Stelle im Raum führte, die einigen Offizieren, darunter auch Captain Bullby, besonders günstig erschien.

Bullby ließ sich bei Pferlinger melden.

»Sir, wir haben Ihnen einen Vorschlag zu machen.«

Pferlinger hatte erstaunt aufgesehen.

»Einen Vorschlag? Was soll das heißen, Captain?«

Bullby fühlte sich sicher. Hinter ihm standen einige höhere Offiziere der TIBETA und fast die halbe Mannschaft, dessen war er sich sicher.

»Wir kennen die Koordinaten unseres Bestimmungsortes, Sir. Der Kurs führt mit einer Abweichung von nur einem Lichtjahr am Sonnensystem vorbei. Wir schlagen vor, dass Sie die kleine Abweichung in Kauf nehmen.«

Pferlinger wirkte damals sehr erstaunt.

»Captain, Sie verlangen von mir, dass ich mich einem Befehl des Oberkommandos widersetze? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.«

»Doch, wir verlangen es, Sir. Unsere Mission erleidet dadurch keinen Zeitverlust, aber es wäre für die Mannschaft ungemein beruhigend, die Sonne und ihre neun Planeten wenigstens auf den Bildschirmen zu sehen. Sie verstehen, Sir ...«

»Ja, ich verstehe. Aber ich glaube nicht, dass ich Ihrer Bitte entsprechen kann, Captain.«

»Sie haben keine andere Wahl, Sir. Ich weiß, Sie werden unsere Entscheidung als Meuterei auffassen, und das ist Ihr gutes Recht. Aber versuchen Sie einmal, unseren Standpunkt zu verstehen. Seit fast zweieinhalb Jahren bekommt niemand mehr Post von seinen Angehörigen, und bisher wurde uns dafür keine Erklärung gegeben. Immer wieder kommen neue Befehle. Wir führen sie aus, aber wir wissen nicht, von wem die Befehle stammen. Von Rhodan? Das glauben Sie doch wohl bald selbst nicht mehr, Sir. Wer weiß, wer hinter der Aktion steckt. Vielleicht sind es nicht einmal mehr Terraner, die uns Anordnungen geben.«

Oberst Pferlinger hatte Captain Bullby damals lange angesehen, dann nickte er.

»Ich betrachtete Ihren Vorschlag nicht als Meuterei, Captain, wenn ich mich auch nicht gerade darüber freue, dass einer meiner zuverlässigsten Offiziere versucht, mir etwas aufzuzwingen, das ich gern selbst getan hätte. Es war nur das Pflichtgefühl, das mich davon abhielt. So betrachtet, versetzt mir Ihre Initiative einen Stoß in den Rücken – und ich bin Ihnen sogar dankbar dafür. Also gut, wir werden den Kurs so korrigieren, dass wir zwar unseren Bestimmungsort ohne Zeitverlust erreichen, das Sonnensystem jedoch gerade in einer Linearpause passieren. Einverstanden?«

Captain Bullby berichtete später in der Messe bei einer Besprechung, dass ihm ein Stein vom Herzen gefallen sei. Er hätte Zwang ausgeübt, wenn Pferlinger nicht eingewilligt hätte. Und das wäre dann allerdings einer offenen Meuterei gleichgekommen. Mit allen Konsequenzen.

Wenige Tage später tauchte die TIBETA zurück in den Normalraum, und über die Interkombildschirme konnte die gesamte Mannschaft den Vorbeiflug am Sonnensystem beobachten. Oberst Pferlinger hatte das Ansuchen der »Meuterer«, wie die Gruppe der Offiziere heimlich genannt wurde, offen behandelt. Jeder wusste davon, und jeder billigte die Handlungsweise beider Seiten.

Die Bildschirme blieben leer.

Pferlinger ließ die Daten überprüfen und ein zweites Mal nachrechnen. Aber schon die bekannten Sternbilder in diesem Sektor sagten ihm, dass ein Irrtum ausgeschlossen war. Die TIBETA stand ohne jeden Zweifel in jenem Sektor der Galaxis, in dem sich auch das Sonnensystem befinden musste. Von der Sonne aber war weit und breit nicht die geringste Spur zu sehen.

Einige Handelsschiffe und zwei Forschungsexpeditionen selbständig gewordener Kolonisten trieben sich ebenfalls in der Nähe herum. Pferlinger nahm Kontakt zu ihnen auf und erkundigte sich, was sie suchten.

Die Antwort verblüffte ihn nun nicht mehr sonderlich.

»Das verschwundene Sonnensystem.«

Ehe er den Flug fortsetzen konnte, erschienen wieder Captain Bullby und seine Anhänger. Diesmal kamen sie jedoch im Auftrag der gesamten Mannschaft.

»Haben Sie einen neuen Vorschlag, Captain?«

»Den haben wir, Sir. Sie werden einsehen, dass es ziemlich sinnlos ist, den Befehlen eines uns unbekannten Hauptquartiers zu folgen. Ich habe nicht die geringste Ahnung, was mit dem Sonnensystem geschehen ist und ob Rhodan lebt. Fest steht: Sol ist nicht mehr da. Wer weiß, ob wir nichts als Puppen an den unsichtbaren Fäden einer uns feindlich gesinnten Macht sind.«

»Ihre Phantasie geht mit Ihnen durch, Captain!«

»Kaum. Ich halte mich sogar für ausgesprochen nüchtern und realistisch. Sie können doch Tatsachen nicht leugnen, Sir. Keine Erde mehr, kein Rhodan mehr. Seit Jahren keine Postverbindung mehr! Und das ist einer der wichtigsten Gründe, warum niemand von uns noch Lust hat, den imaginären Flottenkommandos auch nur noch ein einziges Wort zu glauben.«

Oberst Pferlinger verstand den Standpunkt seiner Offiziere, aber noch war er nicht gewillt, seinen Treueeid Rhodan gegenüber zu brechen, der ihn dazu verpflichtete, auch die unglaublichsten Ereignisse als normal hinzunehmen und alle Befehle zu beachten.

»Wollen Sie damit andeuten, dass Sie mir vorschlagen möchten, die befohlenen Koordinaten nicht anzufliegen?«

»Ja, Sir.«

Oberst Pferlinger hätte zu jeder anderen Zeit genau gewusst, was er nun zu tun hatte. Aber jetzt war er plötzlich allein. Er begegnete den Blicken der anderen Offiziere, die nicht zu Bullbys Delegation gehörten. Von ihnen hatte er kaum Unterstützung zu erwarten.

Er zuckte die Schultern.

»Meine Herren, in mir sträubt sich noch immer alles dagegen, Ihr Verhalten als Meuterei zu bezeichnen, aber ich möchte Sie auch bitten, meinen Standpunkt zu verstehen. Das Verschwinden des Sonnensystems scheint mir noch kein Beweis dafür zu sein, dass es nicht mehr existiert. Wir alle wissen, welche unvorstellbaren technischen Machtmittel der Solaren Regierung zur Verfügung stehen. Ich mache Ihnen einen Gegenvorschlag: Wir fliegen die befohlenen Koordinaten an und befolgen damit noch einmal eine Anordnung des Flottenkommandos. Wir werden dort mit anderen Einheiten zusammentreffen, und ich verspreche Ihnen, dass ich mit den Kommandeuren sprechen werde. Sollten diese Zusammenkünfte kein Ergebnis in unserem Sinne bringen, bin ich bereit, mit Ihnen ein beliebiges Ziel anzufliegen und dort zu bleiben, bis sich die Lage klärt. Sind Sie damit einverstanden?«

Captain Bullby und seine Leuten waren es nach längerer Beratung.

Trotzdem blieb die Unruhe unter der Mannschaft. Keiner der Leute wusste, ob seine Angehörigen noch lebten. Sie fühlten sich allein und verlassen, von Rhodan verraten.

Doch dann stellte es sich heraus, dass Pferlinger richtig gehandelt hatte. Als die TIBETA die befohlenen Koordinaten erreichte, erhielt sie durch den Kleintransmitter einen Sack mit Post, der genau drei Wochen unterwegs gewesen war.

*

Cliff musste lächeln, als er an die dummen Gesichter Captain Bullbys und seiner Getreuen dachte. Aber dann überschwemmte eine Welle der Erleichterung und der Freude das Schiff, und vergessen war jeder Gedanke an Meuterei. Zwar wurden durch die Post nicht alle Fragen beantwortet, aber es stand fest, dass »irgendwo oder irgendwann« die Erde noch bestand. Keiner wagte, eine direkte Frage danach zu stellen.

Und Rhodan lebte, auch das stand fest.

Die TIBETA flog zu ihrem alten Standort zurück und ging erneut in Warteposition.

Sie wartete heute noch immer.

Cliff war müde und bald eingeschlafen. Er wurde erst wieder wach, als der Alarm durch das Schiff gellte. Die Summzeichen besagten einwandfrei, dass es sich nicht um Kampfalarm handelte, aber die Mannschaft war so diszipliniert, dass das keine Rolle spielte. Alarm blieb Alarm, auch wenn es sich nur um eine Übung handelte.

Es war jedoch keine Übung.

Über Interkom unterrichtete Oberst Pferlinger seine Leute: »Wir haben vor zehn Minuten einen Funkspruch erhalten, den ich Ihnen im Wortlaut vorlesen möchte. Hier der Text:

Flottenoberkommando Solares Imperium

an

Schweren Kreuzer TIBETA,

Kommandant Oberst Pferlinger.

Flaggschiff INTERSOLAR befindet sich im Anflug auf Ihre Position. Erwarten Sie den persönlichen Besuch des Großadministrators Rhodan und Atlans an Bord Ihres Schiffes,

gezeichnet:

Oberst Elas Korom-Khan

Kommandant INTERSOLAR.

Leute, ich erwarte, dass alle von Ihnen ...«

Was Pferlinger noch sagte, ging unter im plötzlich ausbrechenden Jubel der Besatzung. Cliff, der Dienst in der Funkzentrale tat, fühlte sich plötzlich von einem unbekannten Kadetten umarmt und kräftig auf die Schulter geklopft. Männer schüttelten sich die Hände, und selbst die unnahbare Hyperfunkerin Eri Phantas kassierte drei Freudenküsse, ehe sie etwas dagegen unternehmen konnte.

Rhodan lebte! Er kam an Bord der TIBETA!

Es war eine Nachricht, die von einer Sekunde zur anderen alle Zweifel beseitigte, die trotz der eingetroffenen Post noch heimlich unter der Mannschaft geschwelt hatten. Die Stunde der Offenbarung war gekommen. Bald würden alle Fragen beantwortet sein. Man würde endlich wissen, woran man war.

Nach dem Freudentaumel hatten Pferlingers Worte keine Bedeutung mehr. Er ermahnte Offiziere und Mannschaften zur Ruhe und empfahl, dass man dem Großadministrator gefasst und mit selbstverständlicher Disziplin gegenübertreten solle. Er drückte es etwa so aus: Meine Herren, zeigen Sie Rhodan Ihre Freude nur mit den Augen, nicht aber mit Armen und Beinen!

In Cliff ging eine Veränderung vor.

Er hatte Rhodan noch nie in seinem Leben persönlich gesehen, und er verspürte plötzlich ein wenig Angst, dem mächtigsten Mann des Solaren Imperiums gegenüberzutreten. Er hatte kein schlechtes Gewissen, im Gegenteil. Trotzdem hatte er Angst.

Er ahnte noch nicht, wie sehr sich seine unterbewusste Ahnung bestätigen sollte.

*

Die INTERSOLAR tauchte in das Einsteinuniversum zurück.

Neben Oberst Korom-Khan saßen Rhodan und Atlan. Sie sahen auf den Bildschirm, als die Sterne wieder sichtbar wurden und die TIBETA erschien. Der schwere Kreuzer stand bewegungslos zwischen zwei nahen Sonnen, die keine Planeten besaßen. Drei weiße Scheinwerfer zeigten an, dass alles für den angekündigten Besuch bereit war.

Vom Funkraum her kam Gucky herbeigewatschelt. Der Mausbiber trug seine Galauniform, die er bei derartigen Anlässen gern anlegte. Schulterstücke waren mit Goldrändern verziert, und auf der Brust baumelten ein paar Orden.

»Wenn du mich jetzt fragst, was die da drüben denken ...«, er deutete auf die TIBETA, »... so könnte ich dir keine Einzelheiten mitteilen, Perry. Sie freuen sich, alle ohne Ausnahme. Ich würde jeden anderen Gedankenimpuls sofort aussortieren können. Die Burschen sind also in Ordnung, darauf kannst du dich verlassen. Die Mädchen aber auch. Du wirst es also schwer haben, wenn du dir jemand aussuchen möchtest.«

Rhodan nickte, ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen.

»Es handelt sich mehr um einen symbolischen Akt, lieber Gucky. Ich will damit den Leuten zeigen, dass ich sie nicht vergessen habe. Wer auch immer zu uns kommen wird, die anderen wissen, dass sie noch benötigt werden. Darum geht es mir. Du wirst den richtigen Kandidaten schon finden.«

»Werden wir, werden wir«, versicherte der Mausbiber. »Wann gehen wir?«

»Es dauert nicht mehr lange«, versprach Rhodan.

Langsam näherte sich die INTERSOLAR dem viel kleineren Kugelraumer. Antigravfelder verankerten die beiden Schiffe miteinander, so dass jede Abdrift verhindert wurde. Die Kleintransmitter wurden aufeinander abgestimmt und eingeschaltet.

Rhodan hielt es für richtig, dass er nur von Atlan und Gucky begleitet wurde. Sie drei waren, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, die Repräsentanten des Solaren Imperiums. Gucky schon allein deshalb, weil seine äußere Erscheinung zu keinerlei Missverständnissen führen konnte. Rhodan nahm ihn vor allen Dingen deshalb mit, weil er Telepath war.

Als sie im Empfangstransmitter der TIBETA erschienen, wurden sie dort von Oberst Pferlinger empfangen. Der Offizier stand steif da und grüßte, als handle es sich um eine tägliche Routinemeldung. Aber er konnte das Strahlen in den Augen nicht verbergen.

Rhodan streckte ihm die Hand entgegen.

»Ich freue mich, Oberst. Veranlassen Sie bitte, dass ich in zehn Minuten zur gesamten Mannschaft sprechen kann. Ich habe ihr wichtige Dinge mitzuteilen. Außerdem werden Sie mir gestatten, Oberst, einen Mann oder Offizier auszuwählen, der mich auf die INTERSOLAR begleitet. Wir benötigen Personal. Und zwar geschultes Personal.«

»Sir, wir haben ein Essen vorbereitet ...«

»Keine Einwände, Oberst. Ich werde das, was ich zu sagen habe, auch in der Messe von mir geben können.«

Sie lachten, und Gucky marschierte mit schnuppernder Nase voran, vorbei am Spalier der grinsenden Männer.

Dann, zehn Minuten später, erschien Rhodans Gesicht auf allen Bildschirmen der TIBETA. Er saß in der Messe, neben ihm Oberst Pferlinger und Atlan. Gucky war nirgends zu sehen.

»Ich bin glücklich, Ihr Gast zu sein«, begann Rhodan leger und ohne Formalitäten. »Ich weiß, dass Sie von einer Unzahl von Fragen bewegt werden, und ich möchte Ihnen gleich sagen, dass ich Ihnen nur auf wenige Antwort geben kann. Die Sicherheit des Sonnensystems und der Fortbestand der Menschheit erfordern gewisse Maßnahmen, von denen auch Sie nicht verschont blieben. Aber Ungewissheit ist besser als Vernichtung. Darum verschwand das Sonnensystem, und nur wenige Eingeweihte wissen, wo es geblieben ist. Aber seien Sie sicher: Es existiert weiter. Den Beweis haben Sie: Ihre Post.

Schön, hier möchte ich Ihnen eine notwendige Erklärung abgeben. Die Post wird auf der Erde von positronischen Robotern zensiert. Diese Zensur funktioniert ausgezeichnet und bewahrt alle persönlichen Geheimnisse. Lediglich Nachrichten, die nicht nach außen gelangen dürfen, werden gestrichen. Die Briefe gehen an die Absender zurück und dürfen neu geschrieben werden. Die gesamte Bevölkerung des Sonnensystems ist mit dieser positronischen Zensur einverstanden, denn Fehler können sich in jeden Brief einschleichen. Ich hoffe, auch Sie sind mit dieser notwendigen Vorsichtsmaßnahme einverstanden.

Der Postverkehr läuft über eine besonders eingerichtete Verbindungsbrücke, auf deren Erläuterung ich verzichten möchte. Selbstverständlich erfolgt für die Post, die zum Sonnensystem geht, keine Zensur. Ich kann Ihnen garantieren, dass in Zukunft die Verbindung zur Heimat nicht mehr unterbrochen wird. Aber ich habe dafür auch eine große Bitte an Sie:

Fragen Sie mich nicht, was mit dem Sonnensystem geschehen ist.

Sie wissen jetzt, dass es existiert und dass alle Ihre Angehörigen gesund sind und leben. Aber sie leben in einem Versteck, in dem sie auch die größten und mächtigsten Feinde nicht finden werden. Sie leben in Sicherheit, und das dürfte auch für Sie ausschlaggebend sein. Ich weiß nicht, wann für Sie ein Besuch der Erde möglich sein wird und bitte Sie, sich noch zu gedulden. Sobald die Situation es ermöglicht, werden Sie die Möglichkeit erhalten, Ihre Angehörigen und Freunde wiederzusehen.

Ich bitte Sie, damit zufrieden zu sein und versichere Ihnen, dass alle diese geheimnisvoll anmutenden Maßnahmen dringend notwendig sind, die weitere Existenz der Menschheit zu garantieren. So wie heute mein plötzliches Wiederauftauchen notwendig wurde, um die Lage erneut zu stabilisieren, so wird eines Tages das Wiedersehen des verschwundenen Sonnensystems eine Lebensnotwendigkeit sein. Bis dahin gedulden Sie sich bitte.

Haben Sie Vertrauen zu mir und dem Oberkommando.

Wir haben es auch zu Ihnen.«

*

Später, als Rhodan sich mit Atlan und Pferlinger in der Kommandozentrale unterhielt, erschien plötzlich Gucky in dem Raum und nahm Rhodan beiseite.

»Ich habe einen gefunden«, teilte er ihm flüsternd mit. »Ich glaube er ist verlässlich und hätte später mal einen Urlaub verdient. Funkoffizier ist er, interessiert sich aber auch für Physik und andere Dinge. Schlaues Kerlchen, nebenbei. So macht er sich Gedanken über das Sonnensystem und vermutet allen Ernstes bei sich, dass es in der Vergangenheit oder Zukunft sein könnte. Was sagst du nun?«

»Wer ist es?«

»Ein Leutnant Cliff Nordberg. Willst du ihn sehen?«

»Wir erledigen das, bevor wir hier Schluss machen. Halte dich bis dahin zurück.«

»Ich bin ein Muster an Zurückhaltung«, versicherte der Mausbiber todernst und flegelte sich in einen der beiden Kommandosessel.

Die Besprechung zwischen den drei Männern dauerte nicht lange, und dann wandte sich Rhodan an Oberst Pferlinger: »Ich denke, Leutnant Nordberg ist der richtige Mann, uns zu begleiten. Übergeben Sie mir bitte seine Papiere und unterrichten Sie ihn von seiner Versetzung. Er hat zehn Minuten Zeit, seine persönlichen Dinge einzupacken. Wir treffen ihn beim Transmitter.«

Pferlinger stellte keine Fragen. Über Interkom unterrichtete er Cliff, ohne ihm weitere Einzelheiten mitzuteilen. Er befahl ihm, sich in zehn Minuten beim Kleintransmitter zu melden. In voller Ausrüstung.

Pferlinger fügte hinzu: »So als würden Sie versetzt oder führen in Urlaub.«

Cliff stotterte eine Bestätigung, dann erlosch der Bildschirm.

Gucky meckerte: »Es ist unfair, einen Menschen so zu erschrecken. Dabei handelt es sich bei Nordberg um einen äußerst sensiblen Charakter. Er schleppt dauernd einen Liebesbrief mit sich herum.«

Rhodan warf dem Mausbiber einen strafenden Blick zu.

»Ich meine, du könntest auch ein wenig diskreter sein.«

Gucky duckte sich.

»War ja nicht so gemeint, Perry. Aber schließlich war dieser Brief so etwas wie ein Anfang. Er machte mich auf Nordberg aufmerksam. Alles andere, was ihn geeignet erscheinen lässt, kam erst später.«

»Wir werden ja sehen«, sagte Rhodan kurz.

Oberst Pferlinger brachte sie zum Kleintransmitter, aber diesmal wurde auf alle Formalitäten verzichtet. Ein Mann stand lediglich in dem Raum, einsam und allein. Neben ihm lag ein längliches Gepäckstück, das sein persönliches Eigentum enthielt. Auf der anderen Seite stand eine Metallkiste, in der Uniform, Raumanzug und Waffen waren.

Rhodan ging auf ihn zu und gab ihm die Hand.

»Ich heiße Sie willkommen, Leutnant Nordberg. Sie werden mich an Bord der INTERSOLAR begleiten, deren Mannschaft Sie künftig angehören. Nehmen Sie Ihre Sachen und folgen Sie mir in den Transmitter.«

Cliff starrte Rhodan an, noch immer fassungslos und ungläubig. Er hatte sich so sehr gewünscht, diesem Mann einmal in seinem Leben gegenübertreten zu können, und nun war es geschehen. Und es veränderte sein ganzes Leben auf einen Schlag.

Ein wenig unsicher verabschiedete er sich von Pferlinger.

»Alles Gute, Sir. Ich hatte keine Zeit, mich von meinen Kameraden zu verabschieden. Dürfte ich die Bitte aussprechen, Sir ...?«

»Keine Sorge, ich erledige das, Leutnant. Alles Gute für Sie.«

»Danke, Sir.«

Rhodan selbst griff zu und half dem Leutnant, den Metallkasten mit der Ausrüstung in den Transmitter zu bringen. Dann hob er die Hand und winkte Pferlinger zu: »Sie werden Nachricht erhalten, Oberst. Bleiben Sie weiterhin auf Warteposition. Ich verlasse mich auf Sie und Ihre Leute.« Er warf Gucky einen wissenden Blick zu. »Auch auf Captain Bullby, Oberst.«

Eine Sekunde später waren er und seine Begleiter verschwunden.

Sie rematerialisierten in der Empfangsstation der INTERSOLAR.

*

Das Flaggschiff nahm wenig später Fahrt auf und tauchte dann in den Linearraum ein. Das Ziel des Fluges war nur wenigen Männern in der Kommandozentrale bekannt.

Leutnant Cliff Nordberg war von Rhodan gebeten worden, in seiner ihm zugewiesenen Kabine auf weitere Anordnungen zu warten. Mit ziemlich gemischten Gefühlen hatte sich der junge Offizier gerade eingerichtet, als ein anderer Leutnant den Raum betrat, ohne anzuklopfen. Sein Gesicht drückte mildes Erstaunen aus.

»Nanu, ich habe Besuch?«

»Leutnant Nordberg, Cliff Nordberg. Sie verzeihen, aber ich wurde Ihnen zugeteilt und ...«

»Schon gut, Cliff. Mein Name ist Ben Follinger.« Er gab Cliff die Hand. »Wir werden uns schon vertragen. Setzen wir uns, ich habe ein paar Stunden dienstfrei. Funkzentrale, wissen Sie ...«

»Dort habe ich auch gearbeitet – bis vor wenigen Stunden.«

Ben sah sein Gegenüber verblüfft an.

»Ach, das ist ja interessant. Ich habe Sie nie dort gesehen.«

Cliff lächelte nachsichtig.

»Ist auch nicht gut möglich. Ich meinte natürlich die Funkzentrale der TIBETA. Perry Rhodan kam vor wenigen Stunden an Bord und holte mich in die INTERSOLAR. Kommt so etwas öfter vor? Ich kann mir nämlich nicht erklären, warum ausgerechnet ich ...«

»Keine Ursache, sich zu wundern. Wir haben in letzter Zeit hin und wieder neue Leute bekommen. Rhodan verzichtet darauf, frisch ausgebildetes Personal an Bord zu nehmen. Wenn ihm ein Mann gefällt, holt er ihn sich aus dem Weltraum. Sie haben Glück gehabt.«

»Aber warum ausgerechnet ich? Dabei kannte er mich nicht einmal.«

»Begleitete ihn jemand, als er an Bord Ihres Schiffes kam?«

»Ja, Atlan und der Mausbiber.«

»Na also. Gucky ist Telepath. Der hat in zwei Minuten gewusst, was mit Ihnen los ist, und Sie können sich darauf verlassen, dass er in dieser Hinsicht zuverlässiger ist als jedes Positronengehirn. Sie sind in Ordnung, das ist alles. Und deshalb hat Rhodan Sie genommen.«

Cliff nickte.

»Klingt logisch.« Er sah Ben forschend an. »Was wird eigentlich gespielt? Warum die Geheimnistuerei? Wo ist das Sonnensystem?«

Ben schüttelte den Kopf.

»Tut mir leid, Cliff, so etwas dürfen Sie mich nie mehr fragen, wenn wir Freunde werden und bleiben wollen. Wenn Sie etwas erfahren sollen, dann erfahren Sie es auch, und zwar rechtzeitig. Aber hüten Sie sich, auf eigene Faust zu spionieren. Wenn Gucky es zufällig bemerkt, sehen Sie Rhodan wieder. Aber dann ist es nicht so lustig.«

Cliff senkte den Kopf.

»Sie haben recht, Ben. Aber ich bin neugierig, das ist alles. Werde ich auf diesem Schiff auch schreiben können? Gibt es Post?«

»Natürlich, und wenn Sie Glück haben, ist die Post langsamer als Sie. Mit anderen Worten: Sie sehen Ihr Mädchen eher, als der Brief bei ihr ist. So, und mehr kann und darf ich Ihnen nicht verraten.«

Mehr wollte Cliff auch nicht wissen. Zufrieden mit sich und seinem Schicksal klopfte er seinem Kabinengenossen auf die Schulter, legte sich auf sein Bett und schloss die Augen. Minuten später verkündeten regelmäßige Atemzüge, dass er eingeschlafen war.

Ben Follinger kratzte sich am Hinterkopf.

Der »Neue« hatte Nerven.

*

Rhodan blickte in die erwartungsvollen Gesichter der zwanzig Männer und sah in ihnen die Frage. Noch hatten diese, zwanzig Offiziere und Mannschaften keine Ahnung, was in den vergangenen Jahren geschehen war. Sie hatten auf verschiedenen Schiffen Dienst getan und befanden sich nun an Bord der INTERSOLAR.

»Ich habe Sie in die Messe kommen lassen, um Ihnen einige Erklärungen zu geben«, begann Rhodan mit ruhiger Stimme. Neben ihm saß Atlan, und ein Stück abseits flüsterten Ras Tschubai und Fellmer Lloyd leise miteinander. Gucky hockte auf einem Stuhl und grinste breit vor sich hin. Er las mal wieder Gedanken und amüsierte sich köstlich. »Ich möchte Ihnen noch einmal versichern, dass das Verschwinden unseres Sonnensystems eine notwendige Maßnahme war, um den Fortbestand der Menschheit zu sichern. Sie werden alle Einzelheiten nach und nach erfahren, denn von dieser Sekunde an gibt es Ihnen gegenüber keine Schweigepflicht mehr an Bord der INTERSOLAR. Sie haben Freunde gewonnen, und wenn Sie sie heute fragen, werden Sie Antwort erhalten. Ich selbst möchte nur einige grundsätzliche Erwägungen zur Sprache bringen:

Solange ich für tot oder auch nur verschollen galt, konnte es gewissen Machtgruppen gelingen, größeren Einfluss zu gewinnen. Erst als Dabrifa daranging, die terratreuen freien Sonnensysteme unter seinen Einfluss zu bringen, musste ich offiziell eingreifen. Ich habe keinen Zweifel daran gelassen, dass ich notfalls bereit bin, diese Systeme mit Waffengewalt zu verteidigen. Nun gut, Dabrifa und die anderen Machtblöcke scheinen vorerst darauf zu verzichten, freie Welten erobern zu wollen. Dafür haben sie sich eine andere Beschäftigung ausgesucht: Sie suchen das Sonnensystem.

Sie alle rätseln daran herum, wo es wohl geblieben sein könnte. Sie wissen nun, dass ich noch lebe, und damit wissen sie auch, dass die Menschheit noch lebt – ganze fünfundzwanzig Milliarden Terraner. Wenigstens allein in unserem System. Sie zerbrechen sich den Kopf, wie es uns gelingen konnte, der vermutlichen Katastrophe zu entrinnen, und sie suchen den Geheimplaneten, auf dem wir nun existieren. Das ist natürlich vergebliche Mühe, denn diesen Geheimplaneten gibt es nicht. Das Sonnensystem befindet sich noch am alten Platz, nur fünf Minuten in der Zukunft. Und dort findet es niemand, der den Weg in die Zukunft nicht kennt. So, nun wissen Sie es, meine Herren. Die Natur des Zeitfeldes wird Ihnen bald vertraut sein, und sicherlich werden Sie dann auch wissen, was eine Temporalschleuse ist. Durch sie nämlich gelangen Sie zur Erde und zu Ihren Freunden auf der Erde. Wir werden den Heimflug baldmöglichst antreten, wenn wir nicht durch dringende Geschäfte aufgehalten werden. Im Augenblick scheint es ruhig zu sein, aber das kann trügen. Wir werden sehen. So, meine Herren, das ist eigentlich alles, was ich Ihnen sagen wollte. Wenn Sie Fragen haben, wenden Sie sich an Ihre Vorgesetzten und Kameraden. Sie werden Ihnen bereitwillig Auskunft geben. Danke.«

Er stand zusammen mit Atlan auf und verließ den Raum, ohne sich noch einmal umzusehen. Ras und Fellmer blieben noch, ebenso Gucky.

Aber der Mausbiber sah sich getäuscht.

Niemand kam, um ihm eine Frage zu stellen.

Ruhig und äußerlich gefasst verließen die zwanzig »Neuen« die Messe und begaben sich in ihre Kabinen.

Ras sah ihnen voller Bewunderung nach.

»Ich muss sagen – das sind gute Männer. Sie sind neugierig, aber sie verraten es nicht. Kompliment für Rhodan.«

Gucky kicherte höhnisch und sprang von seinem Stuhl.

»Kompliment für Rhodan – dass ich nicht lache! Wer hat denn die Burschen ausgesucht, he? Ich, du schwarzes Ungeheuer! Wenn du schon Komplimente verteilst, dann bitte an die richtige Adresse!«

Ras hob beschwörend die Hände.

»Oh, ich bitte vielmals um Verzeihung. Fast hätte ich vergessen, dass ja du der Gedankenschnüffler bist ...«

»Pah!«, machte Gucky empört und watschelte aus der Messe.

*

Drei Tage später trafen sie, sich in Rhodans Kabine.

Atlan und Ras Tschubai, der Teleporter, saßen mit Rhodan zusammen und unterhielten sich. Ein wenig später trafen die beiden Telepathen Fellmer Lloyd und Gucky ein und gaben zu, vor Langeweile fast zu sterben. Da war ihnen nichts Besseres eingefallen, als Rhodan aufzusuchen.

Rhodan sah Gucky zweifelnd an.

»Langeweile?«, wunderte er sich. »Das glaube ich dir beim besten Willen nicht. Sei ehrlich, Kleiner – hast du was? Man sieht es dir an der Nasenspitze an. Ihnen übrigens auch, Fellmer.«

Fellmer Lloyd beachtete Guckys warnenden Blick nicht.

»Sie vermuten richtig. Ich war mit Gucky in der Beobachtungskuppel – wir betrachteten die Sterne. Plötzlich hatten wir beide das Gefühl, als wolle uns jemand etwas sagen. Verstehen Sie, jemand, der schon lange tot ist. Es waren nur wispernde Gedanken, die unser Gehirn erreichten, wie aus weiter Ferne und ganz schwach. Sie verrieten Panik, Furcht und Verzweiflung, blieben aber unverständlich. Wir wollten es Ihnen eigentlich nicht sagen, um Sie nicht zu beunruhigen, aber ...«

»Es ist gut, dass Sie es sagten. Um ehrlich zu sein – wir hier haben diese schwachen Impulse ebenfalls empfangen. Ihr beide seid Telepathen, wir nicht. Ras ist immerhin ein Teleporter, und Atlan und ich haben auch gewisse besondere Fähigkeiten. Es ist also möglich, dass diese geheimnisvollen Impulse nur von gewissen Gehirnen empfangen werden können. Das ließe einige hinweisende Schlüsse zu.« Er sah Gucky an. »Nun, Kleiner? Geniere dich nicht.«

Gucky überwand seinen Ärger über Fellmer, der ihm mal wieder zuvorgekommen war.

»Ich weiß nicht, Perry, ob ich es dir sagen soll – meine Vermutung ist zu phantastisch. Wir haben seit fast tausend Jahren nichts mehr von Harno gesehen oder gehört. Es ist unwahrscheinlich, dass er ausgerechnet jetzt wieder auftauchen sollte ...«

»Harno!« Rhodan nickte langsam und in seine Augen trat ein eigenartiger Glanz. »Genau das habe ich auch gedacht. Aber warum so schwach, so voller Furcht? Das passt nicht zu ihm.«

Es passte wirklich nicht zu Harno, dem geheimnisvollen Energiewesen, dem die Menschheit manchen rettenden Dienst zu verdanken hatte. Harno, die kleine schwarze Kugel aus purer Energie, auf deren glatten Oberfläche sich das Universum spiegeln konnte. Harno, das Wesen, das am Ende der Zeit lebte ...

»Harno suchte uns nur, und ich glaube, er hat uns jetzt gefunden.« Gucky rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. »Vergiss nicht, Perry, dass Harno uns nicht nur im Raum, sondern auch in der Zeit suchen musste. Beim nächsten Mal wird der Kontakt stärker sein.«

»Glaubst du?«

Gucky nickte wortlos. Es schien, als warte er.

Es war eine eigentümliche Situation. Niemand hatte im Ernst noch daran geglaubt, das Energiewesen jemals wieder zu sehen. Als es das letzte Mal auftauchte, war es geschehen, um Rhodan einen entscheidenden Hinweis im Andromedanebel zu geben. Harno behauptete, aus der fernen Zukunft zu kommen, vom Ende der Zeit. Von der Grenze des Universums. Niemand hatte so recht begriffen, was er damit meinte. Und ehe Fragen gestellt werden konnten, war Harno wieder verschwunden.

Fellmers Körper straffte sich plötzlich, und gleichzeitig spürten auch die anderen, wie etwas in ihr Gehirn zu dringen versuchte. Es war wie eine tastende Hand, die ihr Bewusstsein berührte und es zu wecken versuchte.

Und dann kamen stark und deutlich die ersten Gedanken: »Perry Rhodan ... Gucky ... versteht ihr mich! Antwortet!«

Gucky streckte seine Hände nach beiden Seiten aus. Die anderen begriffen sofort, was er wollte. Sie fassten sich bei den Händen und bildeten so einen Ring. Dadurch wurde die Intensität ihrer Gedankenströme verstärkt.

»Ich übernehme das«, sagte Rhodan und sorgte dafür, dass die Energie der Impulse nicht verzettelt wurde. Im Gegenteil: Die anderen vier konzentrierten sich nun auf das, was Rhodan laut sprach und verstärkten den Strom seiner mentalen Energie. »Wir hören dich, Harno. Du bist es doch, Harno? Warum erscheinst du nicht selbst bei uns?«

»Rhodan!« Es spürte sich an wie Erleichterung, die jedoch die Verzweiflung nicht ganz unterdrücken konnte. »Endlich! Ich habe dich lange gesucht. Nun habe ich dich gefunden. Wirst du mir helfen?«

»Du hast uns oft genug geholfen, Harno, und ich wäre sehr froh, wenn ich meine Schuld endlich einmal abtragen könnte. Sag uns, was wir tun sollen.«

»Meine Freunde sind in Gefahr, in schrecklicher Gefahr, Rhodan. Nur du kannst Ihnen helfen, denn du besitzt den Schlüssel zur Vergangenheit. Du wirst dich erinnern, wenn ich dir sage, wo wir uns treffen können. Du musst kommen.«

»Ich komme, mein Freund. Nenne den Treffpunkt.«

»Bringe ein starkes Schiff mit, besser noch eine Flotte. Es wird notwendig sein. Du wirst Feinde hier vorfinden, alte Feinde. Sie waren schon immer deine Gegner und sie werden es auch immer sein. Sie wollen den Frieden nicht, denn sie kennen ihn auch nicht untereinander.«

»Wir brauchen die Zielkoordinaten, Harno!«, erinnerte ihn Rhodan, der anscheinend eine Unterbrechung des Kontaktes fürchtete.

»Der Treffpunkt ist Leydens Stern, 68.414 Lichtjahre von deinem Heimatplaneten entfernt. Es gibt dort nur einen Planeten, und dort wirst du mich finden. Ich muss Schluss machen. Ich warte auf dich, Perry Rhodan ...«

Der Gedankenstrom versiegte von einer Sekunde zur anderen.

Rhodan starrte Atlan erbleichend an. Gucky schnappte hörbar nach Luft. Ras Tschubai, ganz grau im Gesicht, umklammerte Fellmer Lloyds Hand wie im Krampf.

Die Vergangenheit wurde wieder lebendig.

Und es war eine grauenhafte und lebensgefährliche Vergangenheit gewesen, die sich mit einem einzigen Wort verband:

Leydens Stern und sein einziger Planet: Tombstone!

Perry Rhodan 420: Rätsel der Vergangenheit

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