Читать книгу Perry Rhodan 802: Planet der toten Kinder - Clark Darlton - Страница 4

Оглавление

1.

Der dritte Planet der blauen Sonne Yoxa-Sant fiel schnell zurück, als die Space-Jet stark beschleunigte. Die riesigen Urwaldgebiete und weiten Meere schmolzen zusammen, als Drackrioch allmählich eine Kugel wurde, die im All schwebte. Die Wolkenschichten reflektierten grell das Licht, das sie von Yoxa-Sant aus erreichte.

Avery Talcot, der hinter den Kontrollen der S-SJ-12 saß, sah nur kurz auf, als Gucky eine andere Einstellung des Panoramaschirms vornahm, um mit der Vergrößerung weiter entfernte Objekte zu erfassen. In diesem Fall handelte es sich um ein früher gestartetes Schiff der Choolks, das auf dem Weg zum vierten Planeten des YS-Systems war. Seine Umrisse verschwanden allmählich, als es auf Überlichtgeschwindigkeit ging.

»Es fliegt nach Lugh-Pure, davon bin ich überzeugt«, murmelte Gucky etwas unsicher. »Perry Rhodan meint das auch.«

»Wir haben dasselbe Ziel«, erinnerte ihn Talcot trocken.

Der Physiker war etwas über vierzig. Er hatte sich freiwillig zur Teilnahme an der gefährlichen Expedition gemeldet, ebenso wie die junge Kosmobiologin Caral Pent, die auch noch nie in ihrem Leben den Heimatplaneten der Menschen, Terra, gesehen hatte.

»Sie bringen die alten Kelsirenweibchen dorthin – so vermutet man.« Gucky warf einen prüfenden Blick auf die Kontrollanzeigen. »Es wird Zeit, dass wir in den Linearraum eintauchen.«

»Noch zehn Minuten«, belehrte ihn Avery Talcot gelassen.

Zehn Minuten. Zeit genug, die Geschehnisse kurz zu rekapitulieren.

Die Kaiserin von Therm, ein riesiges Kristallgeflecht mit weitverzweigter Machtfülle, hatte Rhodan die Koordinaten der verlorenen Erde übergeben, aber die Bedingung um Hilfe daran geknüpft. Die Verhältnisse auf dem vierten Planeten Lugh-Pure sollten zuerst geklärt werden, dann jene auf Troltungh.

Niemand hatte auch nur die geringste Ahnung, worum es dabei ging. Man wusste lediglich –, und auch das waren nur Gerüchte –, dass Transportschiffe der Choolks die älteren weiblichen Kelsiren fortbrachten, wahrscheinlich nach Lugh-Pure. Das war alles.

Kurz entschlossen ordnete Rhodan den Inspektionsflug einer Space-Jet nach Lugh-Pure an. Die Besatzung bestand aus dem Mausbiber Gucky, dem Haluter Icho Tolot und den beiden Solgeborenen Avery Talcot und Caral Pent.

Niemand verhinderte den Start, als sich die Space-Jet von der Hülle der SOL löste und in den Raum vorstieß. Man durfte also annehmen, ganz im Sinne der Kaiserin von Therm zu handeln.

Der Kontursessel seufzte gequält auf, als Icho Tolot sich bequemer setzte. Gucky, der in dem seinen fast verschwand, blickte den Haluter strafend an.

»Bewege dich lieber nicht, sonst geraten wir vom Kurs ab«, riet er. »Wir hätten dich anschnallen sollen.«

Der Haluter verzog sein Gesicht zu einer Grimasse, von der man mit einigem Wohlwollen annehmen konnte, dass es sich um ein Grinsen handelte. Er und der Mausbiber waren alte Freunde. Vielleicht gerade deshalb, weil sie so grundverschieden waren, nicht nur im Aussehen.

»Keine Sorge, ein kleiner Ruck nach der anderen Seite, und wir liegen wieder richtig«, beruhigte er den »Kommandanten des Unternehmens«, wie Gucky sich seit einer halben Stunde bezeichnete.

Die beiden Solaner, die den Haluter und den Mausbiber erst seit einigen Stunden persönlich kannten, hatten sich an die Sticheleien schon gewöhnt und verfolgten sie mit amüsiertem Interesse.

»In einer Minute«, sagte Avery Talcot nüchtern.

Der Kurs war so programmiert worden, dass die S-SJ-12 nur wenige Lichtminuten vor Lugh-Pure in den Normalraum zurückkehren und sofort abbremsen würde, um eine Beobachtung des Planeten aus sicherer Entfernung zu ermöglichen.

Gucky kaute auf einer der getrockneten Früchte herum, deren Genuss den mentalen Einfluss der Sirenen nahezu neutralisierte.

»Dann man los!«, befahl er ungewöhnlich ernst.

Im Augenblick war er mit dem Verlauf der Dinge recht zufrieden. Rhodan hatte zuerst geplant, dass sie an Bord eines der Choolkschiffe mit nach Lugh-Pure fliegen sollten, aber das Ansinnen war strikt abgelehnt worden. Nun waren sie auf sich selbst und ihre Space-Jet angewiesen, was dem Mausbiber wesentlich lieber war, weil es ihre Bewegungsfreiheit weniger einschränkte.

»Linearetappe!«, gab Talcot bekannt und versank in den Polstern seines Kontrollsessels.

Sie spürten nichts von dem Übergang in den überdimensional gelagerten Raum, wenn sich auch das Bild ihrer Umgebung stark veränderte. Die Sterne verschwanden, dafür wurde ein rötliches Schimmern sichtbar, das die Grenze zwischen den Dimensionen darstellte. Aber dieser Zustand dauerte nicht lange. In dieser kurzen Zeit legte das kleine Schiff mit vielfacher Lichtgeschwindigkeit eine enorme Entfernung zurück und tauchte dann wieder in den Normalraum ein.

Erwartungsgemäß schwebte der vierte Planet, 752 Millionen Kilometer von seiner blauen Sonne entfernt, vor ihnen als strahlender Punkt im All.

Die Kontrolllampen leuchten sofort auf.

»Die Asteroiden!« Talcot intensivierte die Meteoritenabwehr und schaltete den Energieschirm ein. »Ziemlich viel davon. Einige sind noch von Kristallgespinsten umgeben oder durch sie miteinander verbunden. Keine Gefahr.«

Icho Tolot seufzte: »Ich kann noch immer den mentalen Gesang der alten Sirenen empfangen«, knurrte er unmutig. »Da hilft auch die Droge aus den Pflanzen nichts.«

»Sie mindert seinen Einfluss erheblich«, widersprach Gucky. »Ich meine, der Singsang ist schwächer geworden.«

»Wir nähern uns dem neutralen Punkt, an dem sich die Gravitation der beiden Planeten aufhebt.«

»Willst du damit einen Zusammenhang andeuten?«, erkundigte sich Gucky, der an Bord von der ersten Sekunde an das »du« eingeführt hatte.

»Es sieht so aus«, meinte Talcot zögernd.

Und so war es in der Tat. Die Instrumente zeigten genau die neutrale Zone an, als der Gesang der Sirenen endgültig verstummte. Im Raum trieben abgetrennte Kristallgespinste auf gleicher Bahn wie die zahllosen Asteroiden. Es sah so aus, als hätten die Trümmer des einstigen Planeten die Brücke zwischen Lugh-Pure und der Kaiserin von Therm gesprengt.

Lag das Geheimnis des vierten Planeten hier verborgen?

Lugh-Pure erschien groß und deutlich auf dem Bildschirm, während die Space-Jet weiter verlangsamte. Die Massetaster und Fernorter begannen mit ihrer Arbeit. Nun bekam auch Caral Pent Arbeit. Sie übernahm die. Auswertung der eintreffenden Daten.

Als sie die fragenden Blicke der anderen bemerkte, sagte sie: »Ein kleiner Planet, etwa 6000 Kilometer Durchmesser. Zu wenig Gravitation, um eine dichte Atmosphäre zu halten, aber sie dürfte für uns noch gerade atembar sein. Gut 0,58 Gravos sind messbar. Rotation exakt 14,7 Stunden. Wenig Luftfeuchtigkeit, aber Wasser in flüssiger und fester Form vorhanden, vor allem in Tälern und an den vereisten Polen. Organisches Leben ist vorerst nicht festzustellen.«

»Erinnert mich an den Mars«, konstatierte Gucky, ohne daran zu denken, dass die beiden Terraner den Planeten des alten Sonnensystems gar nicht kannten. »Möchte wissen, was wir hier sollen ...«

»Beobachten, was mit den zwölf alten Kelsirenweibchen passiert, die in dem Schiff der Choolks sind«, erinnerte ihn Icho Tolot gutmütig. »Wie kann man nur so vergesslich sein.«

»Die Fernorter registrieren zwei Choolkschiffe«, verhinderte Talcot eine bissige Entgegnung des Mausbibers. »Beide scheinen auf Lugh-Pure landen zu wollen.«

»Orbit!«, befahl er statt dessen.

Inzwischen hatte sich die Space-Jet ihrem Ziel soweit genähert, dass der Planet mit bloßem Auge deutlich beobachtet werden konnte. Seine wüste und vegetationslose Oberfläche sah alles andere als einladend aus. Selbst der vergrößernde Panoramaschirm zeigte keine Anzeichen einer Besiedlung. Langgestreckte und flache Hügel von dunkler Färbung brachten ein wenig Abwechslung in die eintönige Landschaft. Eine Analyse blieb erfolglos.

»Überreste einstiger vulkanischer Tätigkeit«, vermutete Talcot, als Caral Pent eine diesbezügliche Frage stellte. »Unbekannte Elemente vielleicht, deshalb sprechen die Taster nicht an.«

»Sollten sie aber trotzdem«, meinte die Biologin.

Zweihundert Kilometer über dem Planeten ging die Space-Jet in die Umlaufbahn. Es spielte keine Rolle, ob sie von den beiden Schiffen der Choolks geortet wurden oder nicht. Sie waren hier im Auftrag der Kaiserin – oder zumindest duldete sie den Einsatz.

Da von einer echten Wolkendecke nicht die Rede sein konnte, war der Blick auf die Oberfläche von Lugh-Pure frei und unbehindert. Größere Seen konnten an einer Hand abgezählt werden, sonst gab es nur spärlich mit Wasser halb angefüllte Senken und Täler und die beiden Polkappen. Messungen ergaben, dass ihre Eisdecke nur einige Meter dick war.

»Möchte wissen, wo da die alten Gralsmütter und Kelsiren hausen sollen. Vielleicht in unterirdischen Siedlungen?« Talcot schüttelte ungläubig den Kopf. »Aber wozu das Ganze überhaupt? Sie haben doch auf Drackrioch Platz genug!«

»Wo sind die beiden beobachteten Schiffe jetzt?«, fragte Gucky.

»Das eine muss gleich in Sichtweite kommen«, gab Talcot Auskunft.

Sie erblickten es wenig später. In geringer Höhe schwebte es über einem der dunklen, flachen Gebirge, ruhig und ohne Fahrt. Es schien allein von seinen Antigravfeldern gehalten zu werden.

»Ist es das mit den alten Weibchen an Bord?«

»Nein, Icho Tolot«, erwiderte Talcot. »Es muss sich um das zweite Schiff handeln, das vorher hier eintraf. Vielleicht will es landen.«

»Sieht aber nicht so aus. Schalte mal die Vergrößerung ein. Wenn ich mich nicht irre, werfen die Choolks da etwas ab ...«

»Doch wohl nicht die armen Kelsiren?«, empörte sich Gucky.

Seine Befürchtung bewahrheitete sich nicht. Die Vergrößerung zeigte, dass sich die unteren Ladeluken des Schiffes geöffnet hatten. Aber keine Kelsirenweibchen kamen daraus hervor, sondern ein Strom dunkelfarbiger Materie, der auf das ebenfalls dunkle Gebirge hinabrieselte und sich dort ablagerte. Teilweise erinnerte das Material an feinen Staub, aber es waren auch größere Brocken darunter.

»Sollten das Schutthalden sein?«, flüsterte Caral Pent verblüfft.

Niemand gab ihr Antwort, denn alle verfolgten das rätselhafte Vorgehen der Choolks mit äußerster Spannung. Die Geräte weigerten sich noch immer, eine Analyse des dunklen Stoffes vorzunehmen. Das abgeregnete Material musste mit jenem der flachen Gebirge identisch sein, denn beide zeigten die gleichen Nicht-Eigenschaften.

Die Space-Jet zog mit gleicher Geschwindigkeit auf ihrer Kreisbahn weiter, bis das Schiff der Choolks unter dem Horizont verschwand und nicht mehr beobachtet werden konnte. Dafür kam wenig später das zweite Schiff in Sicht. Es war gelandet.

*

Um den Transporter nicht zu schnell aus den Augen zu verlieren, verließ die Space-Jet die Umlaufbahn, verringerte die Geschwindigkeit und ging ein wenig tiefer. Die Antigravfelder wurden eingeschaltet, aber der geringen Schwerkraft wegen nur halb beansprucht.

Unten öffneten sich zwei Ausstiegluken, aber keine Choolks wurden sichtbar. Allem Anschein nach verließen die zwölf weiblichen Kelsiren freiwillig das Schiff und wanderten langsam von ihm weg.

»Man gibt ihnen nicht einmal Vorräte mit!«, stellte Caral Pent fest. »Wovon sollen sie denn hier auf dem toten Planeten leben?«

»Vielleicht ist er gar nicht so tot, wie es von hier oben aus den Anschein hat«, beruhigte sie Gucky, der das Geschehen selbst nicht begriff. »Diese dunkle Materie, sie muss die Antwort auf alle unsere Fragen sein. Wir werden Rhodan informieren müssen ...«

Icho Tolot verstand den Wink sofort. Obwohl sein Kontursessel abermals protestierte, beugte er sich seitwärts und nahm das Hyperfunkgerät in Betrieb. Als die Lautsprecher stumm blieben, begann er an dem Gerät zu manipulieren, ohne ein besseres Ergebnis zu erzielen.

»Senden!«, befahl Gucky.

Der Haluter tat ihm den Gefallen, aber sein Gesichtsausdruck verriet nicht viel Zuversicht.

»Es geht nichts heraus, und es kommt nichts herein«, sagte er nach einer Weile. »Blockiert!«

»Vielleicht ist etwas kaputt«, meinte der Mausbiber.

»Das Gerät ist in Ordnung, mein winziger Freund«, widersprach der Haluter. »Es wird blockiert, Eingang und Ausgang. Die Kaiserin will also nicht, dass wir Kontakt zu unseren Leuten bekommen. Wir sind auf uns selbst angewiesen.«

Gucky zwirbelte sein rechtes Ohr, was er immer tat, wenn er angestrengt nachdachte.

»Na schön, dann eben das! Damit werden wir aber auch in die beneidenswerte Lage versetzt, Entscheidungen selbst zu treffen. Und ich habe entschieden, auf diesem verrückten Planeten zu landen.«

»Was sollen wir denn dort?«

»Nachsehen, was los ist, mein riesiger und dicker Freund!«

»Dazu verspüre ich aber nicht die geringste Lust, Gucky.«

»Ich auch nicht, aber wir tun es trotzdem! Glaubst du denn, die Choolks wären so freundlich, unsere Fragen zu beantworten? Nein, das sind sie eben nicht! Also holen wir uns die Antworten selbst.« Er wandte sich an Talcot: »Also, Avery, dann such mal einen günstigen Landeplatz.«

»Das Schiff der Choolks startet gerade«, sagte Caral Pent hastig. »Und die zwölf Kelsirenweibchen sind verschwunden.«

Gucky vergaß die Landung für einen Augenblick.

»Verschwunden? Wohin denn? Sie waren doch eben noch auf der Halde zu sehen.«

»Sie sind aber nicht mehr da. Einfach fort, wie weggezaubert.«

So war es in der Tat. Selbst die Vergrößerung zeigte keine Deckung bietenden Formationen, Täler oder Felsüberhänge – falls es da unten überhaupt Felsen gab. Nur die dunkle und brüchig erscheinende Oberfläche des Gebirges war zu sehen, und sonst nichts mehr. Das Schiff der Choolks hatte längst Fluggeschwindigkeit aufgenommen und stieß fast senkrecht in den blassblauen Himmel hinein. Es kümmerte sich nicht um die Space-Jet und ihre Insassen.

»Dann gibt es da unten einen Stollen, und den müssen wir finden«, stellte Gucky eine neue Theorie auf. »Er wird uns zu den gesuchten Antworten führen. Wir landen, und zwar sofort!«

»Auf dem Gebirge?«, fragte Talcot, um sich zu vergewissern, dass der Mausbiber es ernst meinte.

»Nein, in einem Tal daneben. Das schwarze Zeug ist mir zu unheimlich.«

»Weil die Kelsiren da verschwunden sind?«

»Deshalb auch!«

Avery Talcot ließ die Space-Jet langsam der Planetenoberfläche entgegensinken ...

*

Das Wasser des kleinen Sees, an dessen Ufer die S-SJ-12 gelandet war, wirkte schwarz und dunkel, so wie die ganze Landschaft düster und unheimlich wirkte. Der flach abfallende Strand war mit Geröll bedeckt. Spuren zeigten deutlich, dass es von den Hängen der Halde kam, die man irrtümlich zuerst für ein natürliches Gebirge gehalten hatte.

Nach einer ersten Analyse bestätigte Caral Pent noch einmal, dass die Atmosphäre atembar war, körperliche Anstrengungen jedoch Schwierigkeiten bereiten würden. Gefährliche Mikroorganismen existierten nicht.

Icho Tolot, der einige Zeit nach der Landung vor dem Bildschirm zugebracht hatte, schaltete diesen ab und sagte: »Wenn ihr nichts dagegen habt, sehe ich mir die Gegend als erster an, denn mir kann jemand oder etwas am wenigsten anhaben. Ich muss wissen, woraus das Material der Halde besteht. Sie sind künstlich entstanden. Die Choolks haben sie geschaffen. Ich habe da so eine dunkle Ahnung.«

»Raus mit der Sprache!«, forderte Gucky ihn auf, esperte aber gleichzeitig in den Gedanken des Haluters und fuhr fort: »Ja, das könnte möglich sein! Aber nehmen wir eine Direktanalyse vor, dann wissen wir es genau. Caral-Mädchen, du wirst bald beweisen können, ob du eine gute Biologin bist.«

»Worum geht es überhaupt?«, wollte Talcot wissen, der natürlich keine Gedanken lesen konnte.

»Du wirst es früh genug erfahren«, vertröstete ihn Gucky. »Unwissenheit ermöglicht manchmal ein objektives Urteilsvermögen.«

Icho Tolot hatte die Kommandozentrale inzwischen verlassen. Wenig später sahen sie ihn die Oberfläche des fremden und unheimlichen Planeten betreten. Er trug die einfache Bordkombination und hatte keine Waffe mitgenommen.

Die drei im Schiff Gebliebenen beobachteten, wie er zum Ufer ging, sich hinabbeugte und das Wasser prüfte. Dann stieg er den Strand hinauf, bis er den steileren Hang der Halde erreichte. Wieder untersuchte er mit den bloßen Händen das rätselhafte Material. Über den Telekom sagte er: »Ich glaube, unsere Vermutung ist richtig, Gucky. Es muss übrigens dasselbe Zeug sein, das von den Choolks aus ihrem Schiff geworfen wurde. Caral soll es untersuchen, ich bringe eine Probe mit.«

»Sonst nichts zu sehen?«, erkundigte sich der Mausbiber.

»Ich lebe schon verdammt lange, aber ich kann mich nicht entsinnen, schon einmal so etwas Trostloses und Uninteressantes gesehen zu haben. Weiter oben auf der Halde wurden die zwölf Kelsirendamen abgesetzt und verschwanden. Ich fürchte, wir haben eine kleine Klettertour vor uns, es sei denn, lieber Gucky, du teleportierst.«

»Warum sollte ich nicht?«

»Weil du vielleicht nicht kannst.«

»Ha, das wäre doch gelacht!« Der Mausbiber nickte den beiden Terranern entschlossen zu, konzentrierte sich auf Tolot – und stand eine Sekunde später auf dessen Zehen draußen am Fuß der Halde. »Nun?«

»Hat ja geklappt«, wunderte sich der Haluter und schob Gucky von seinen Füßen. »Ich dachte, du wärest nicht ganz fit nach den mentalen Gesängen der Sirenen. Gut, aber verschieben wir den Ausflug. Analysieren wir zuerst das Zeug hier.«

Er nahm einige kleinere Brocken des dunklen Gesteins auf und kehrte zur Luke der Space-Jet zurück. Gucky folgte ihm zögernd. Immer wieder wanderte sein Blick hinauf zum flachen Gipfel der Halde, der von hier unten aus nicht zu überblicken war. Es war offensichtlich, dass ihn die Neugier plagte. Dann aber folgte er Icho Tolot.

*

Eine Stunde später gab die Kosmobiologin das Ergebnis ihrer Untersuchung bekannt: »Ich habe die Analyse zweimal vorgenommen, um ganz sicher zu sein. Es handelt sich um eine Substanz, die mit der kristallinen Struktur der Kaiserin von Therm identisch ist – oder besser: nahezu identisch!«

»Dachte ich es mir doch!«, entfuhr es Gucky vorlaut.

»Der Unterschied besteht darin«, ließ sich Caral nicht aus der Ruhe bringen, »dass die dunkle Substanz der Halde erloschen ist. Sie sendet keine Impulse aus, und sie sieht auch nicht mehr kristallin aus. Sie hat ihre Strahlkraft verloren. Sie ist – tot.«

»Abfall!«, sagte Icho Tolot überzeugt. »Wie wir vermutet haben. Das hier sind nichts anderes als Schutthalden!«

»Aber warum?« Avery Talcot starrte durch die transparente Kuppel der Kommandozentrale gegen die schwarzen Hänge. »Warum kann die Kristallstruktur erlöschen, und warum lagert man sie auf Lugh-Pure ab?«

»Das sind zwei Fragen auf einmal«, kritisierte Gucky. »Und wir können nicht einmal eine beantworten. Wie lange ist es noch hell draußen?«

Caral warf einen Blick auf ihre Notizen.

»Meinen Berechnungen nach noch fünf Stunden.«

Gucky nickte.

»Gut, dann haben wir noch Zeit für einen Ausflug. In der Dunkelheit möchte ich die Space-Jet nicht verlassen. Im übrigen muss ich unsere liebe Caral korrigieren. Die Materie der Halde ist nicht völlig tot. Sie strahlt immer noch, wenn auch irgendwie dumpf und nicht sehr stark. Spürt ihr es nicht auch?«

Nach einer Weile nickte Talcot.

»Du hast recht, Gucky. Ich habe es vorher nicht registriert, aber jetzt, da du mich darauf aufmerksam machst, fühle ich es auch.«

Caral und Tolot bestätigten diesen Eindruck.

»Also nicht tot, aber unbrauchbar geworden«, fasste der Haluter zusammen. »Vielleicht soll es sich hier regenerieren?«

»Wir finden es heraus!« Guckys Stimme ließ keinen Zweifel darüber, dass er fest entschlossen war, das Rätsel unter allen Umständen zu lösen. »Ich schlage vor, dass wir den Rest des Tages nutzen und uns die Halde ansehen. Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung, wie weit die Strahlung des erloschenen Materials meine Fähigkeiten einschränkt, aber wenn möglich, möchte ich Tolot mitnehmen. Die beiden anderen bleiben beim Schiff. Wir sind so schnell wie möglich zurück.«

»Bleibt nicht zu lange«, bat Talcot.

»Amüsiert euch gut«, riet Gucky und nickte dem Haluter zu. »Wir teleportieren von draußen weg, damit ich mich auch optisch auf das Ziel konzentrieren kann. Das wird etwas leichter ...«

Sie verließen das Schiff auf dem üblichen Weg, dann nahm der Mausbiber einen Arm des Haluters – und wenige Sekunden später waren beide verschwunden.

»Scheint ja zu funktionieren«, meinte Talcot und trat von der Kuppel zurück. »Und wie verbringen wir zwei die nächsten Stunden?«

»Ich mache uns eine Tasse Kaffee.«

»Dankend angenommen, Caral ...«

*

Nach drei Kurzteleportationen standen Gucky und Icho Tolot auf dem Gipfel des schwarzen Hügels. Die Mentalimpulse der kristallinen Materie hatte ein wenig zugenommen, störte jedoch nicht sonderlich. Immerhin sagte der Mausbiber: »Das Teleportieren wird behindert, daran kann kein Zweifel bestehen. Ich kann mich nicht voll einsetzen. Kürzere Strecken sind möglich, mehr aber auch nicht.« Er betrachtete die trostlose Landschaft ziemlich missmutig. »Siehst du was Besonderes?«

»Nicht mehr als du auch. Es muss hier in der Gegend gewesen sein, in der die Kelsiren verschwanden. Da drüben scheint es einige Unregelmäßigkeiten zu geben. Sehen wir nach!«

Die Einschnitte und kleineren Hügel auf der Haldenfläche wirkten künstlich. Wenn die Choolks das Abfallmaterial einfach aus ihren Schiffen abregneten, hätten sich andere Formationen bilden müssen, zumindest regelmäßigere. Außerdem war die Stelle, an der die letzte Ablagerung vor einige Stunden stattgefunden hatte, nicht hier gewesen, sondern fast auf der entgegengesetzten Seite des Planeten.

»Sieht überhaupt alt aus«, gab Gucky zu. »So etwa, als hätte man hier schon seit Jahren nichts mehr abgeworfen. Wenn ich doch wenigstens die Gedanken der Kelsiren empfangen könnte ...! Aber nichts, rein gar nichts! Ich kann lediglich feststellen, dass Caral gerade Kaffee für sich und Avery kocht.«

»Hübsches Mädchen«, murmelte der Haluter. »Wenn ich ein Terraner wäre ...«

»Ja, das habe ich auch schon mal gedacht«, unterbrach Gucky seine gedanklichen Wunschvorstellungen. »Aber zum Glück bin ich ein Ilt.«

»Ja, ja«, sann Icho Tolot vor sich hin. »Da hat die Kleine wirklich Glück gehabt.«

»Ekel!« Gucky deutete auf die Einschnitte und Felsvorsprünge, die in Wirklichkeit keine waren. »Los, halten wir uns nicht länger auf! Wir haben nicht viel Zeit zu verlieren.«

Sie verzichteten auf eine Teleportation und gingen zu Fuß. Tolot sank seines höheren Gewichtes wegen tiefer ein als Gucky. Die blaue Sonne stand fahl und blass tief über dem Rand der Halde – eine optische Täuschung dank des steigenden Geländes.

»Die toten Kinder der Kaiserin von Therm«, sagte Gucky plötzlich, scheinbar ohne jeden Zusammenhang.

Tolot blieb stehen.

»Was hast du gesagt? Tote Kinder der Kaiserin? Was meinst du damit?«

»Wir hörten diesen Ausdruck auf Drackrioch, kannst du dich entsinnen? Es war nichts damit anzufangen, aber wenn ich hier die abgestorbenen Kristalle sehe, bekommt es einen Sinn. Das hier sind die toten Kinder der Kaiserin, ihre erloschenen Kristallstrukturen. Man bringt sie hierher – und ganz tot sind sie auch nicht.«

Tolot setzte sich langsam wieder in Bewegung.

»Caral muss das mit dem Analysator nachprüfen. Du könntest recht haben. Wenn dem aber so ist, dann finden im riesigen ›Körper‹ der Kaiserin Prozesse statt, die das Absterben gewisser Regionen zur Folge haben. Was wissen wir schon von dieser Superintelligenz, außer dem, was von ihrem Entstehen bekannt wurde? Vielleicht handelt es sich um einen gesteuerten Vorgang, oder aber, er tritt unwillkürlich und unkontrolliert ein. In beiden Fällen bereitet er der Kaiserin Schwierigkeiten und schafft Probleme, sonst hätte sie Rhodan nicht gebeten, sich darum zu kümmern.«

»Also stehen wir auf einem planetaren Friedhof«, fasste Gucky zusammen.

»Wenn du es so siehst – ja.«

Sie waren beide weitergegangen. Der Spalt, hinter dem ein schmaler Gang lag, führte direkt in eine schwarze Wand hinein. Sie blieben stehen.

»Vielleicht ist er nur kurz«, meinte Gucky, dem sichtlich unbehaglich zumute war.

»Wollen wir es nicht herausfinden?«

»Du bist zu dick. Da kommst du nicht 'rein.«

»Und ob ich da hineinkomme! Das Zeug ist doch bröckelig.«

»Geh voran, du natürlicher Rammbock!«

Icho Tolot ließ sich das nicht zweimal sagen. Gucky hatte leicht übertrieben. Der Gang war breit genug, den Haluter in sich aufzunehmen, nach einigen Metern verbreiterte er sich sogar. Er endete vor einem Höhleneingang, der schräg in die Tiefe führte, mitten hinein in die eigentliche Halde.

Tolot blieb stehen.

»Da ist es dunkel, und wir haben keine Lampe mitgenommen.«

»Wir gehen auch jetzt nicht weiter. Morgen ist auch noch ein Tag.«

»Und mehr Zeit haben wir auch«, bekundete Tolot sein Einverständnis, das Unternehmen abzubrechen. »Außerdem halte ich es für vorteilhaft, alles mit Talcot und Caral vorher abzusprechen. Vielleicht wäre es sogar gut, wenn wir alle vier gingen.«

»Einverstanden«, murmelte Gucky, offensichtlich beklommen. »Kehren wir um. Wer weiß, wohin der Gang führt.«

»Jedenfalls glaube ich, dass die alten Kelsirenweibchen in ihm verschwunden sind. Wenn wir ihnen folgen, lüften wir wenigstens einen Teil des Geheimnisses.«

»Sicher, aber erst morgen«, beeilte sich Gucky zu sagen. Er ging schnell voran und war als erster wieder auf dem Plateau. »Auf einen Tag mehr oder weniger kommt es auch nicht an.«

Tolot kam nach.

»Sind die beiden im Schiff mit ihrem Kaffeetrinken fertig?«

Gucky grinste schon wieder.

»Caral räumt gerade ab.«

*

»Ich glaube nicht«, sagte die Kosmobiologin während der Diskussion, »dass die Masse der abgestorbenen Strukturen – die eigentlich gar nicht abgestorben ist – eine große Rolle spielt. Die Superintelligenz ist materiemäßig so gewaltig groß, dass dieser Verlust – und das meine ich nicht nur wörtlich – ins Gewicht fällt. Lediglich die Art der jetzigen Existenz bereitet mir Sorgen.«

»Das Zeug lebt noch, daran kann kein Zweifel bestehen.« Tolot gab seine Versuche auf, über Funk Kontakt mit Rhodan zu erhalten. Er schaltete das Gerät ab. »Und es strahlt noch immer, wenn auch anders. Aber sie bleibt ohne jeden negativen Einfluss – bis jetzt wenigstens.«

»Ist es nicht gefährlich, in den Stollen einzudringen?«, wollte Talcot wissen.

»Ob es gefährlich ist oder nicht, wir müssen es versuchen!« Gucky schien seine ursprüngliche Energie und Tatkraft zurückzugewinnen. Seine bisherige Unsicherheit verschwand. »Im Innern der Halde liegt die Antwort auf unsere Fragen. Außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass wir den Auftrag erhielten, einen Wunsch der Kaiserin zu erfüllen – was immer dieser Wunsch auch sein mag. Sonst kommen wir nie aus diesem System heraus.«

»Dabei haben wir schon die Koordinaten der Erde!«, seufzte Tolot.

»Wenn sie stimmen!«, blieb Gucky skeptisch.

Caral sagte: »Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Ablagerung der teilweise erloschenen Kristalle und den alten Weibchen der Kelsiren, die man hier absetzt. Das geschieht nicht ohne einen triftigen Grund. Die Choolks handeln auf Befehl der Kaiserin von Therm, auch daran kann kein Zweifel bestehen. Erst wenn wir diesen Zusammenhang erkennen, ist unsere Hilfe möglich. Und wir sollen ja helfen.«

»Wenigstens einen Tipp hätte uns die alte Kristalldame geben können«, maulte Gucky. »Nennt sich Superintelligenz und stellt sich unbeschreiblich dumm an.«

»Vielleicht mit einer bestimmten Absicht«, gab Tolot zu bedenken.

»Der Meinung bin ich auch.« Talcot nickte heftig. »Ich bin überzeugt, dass es sich um eine Art Prüfung handelt. Die Kaiserin will unseren Scharfsinn testen.«

Gucky verzog das Gesicht und sah durch die Kuppel. Die Sonne war bereits untergegangen, und es wurde schnell dunkel. Die Sterne gaben nur wenig Licht, weil es von der schwarzen Oberfläche des Planeten kaum reflektiert wurde. Die Außenmikrophone blieben stumm.

»Morgen werden wir mehr wissen«, hoffte Icho Tolot und sah auf seine Uhr. »Ihr könnt ja noch stundenlang diskutieren, ich jedenfalls ziehe mich jetzt zurück. Ich möchte morgen ausgeschlafen sein, denn wahrscheinlich werde ich den halben Weg gebückt gehen müssen. Der Stollen sah nicht gerade sehr hoch aus.«

»Das kommt davon, wenn man so groß ist«, erklärte ihm Gucky etwas schadenfroh. »Aber du hast recht. Ich gehe auch schlafen.«

»Ich übernehme die erste Wache«, erbot sich Talcot.

»Kannst du, wenn du willst. Ich meine aber, der Energieschirm genügt.« Gucky stand auf und folgte Tolot. »Wünsche angenehme Nachtruhe.«

Auch Caral erhob sich.

»Du kannst ja gleich hier schlafen, Avery. Ich ziehe die Kabine vor.«

Avery Talcot sah ihr etwas enttäuscht nach.

Perry Rhodan 802: Planet der toten Kinder

Подняться наверх