Читать книгу Der Defibrillator - Claudia Fischer - Страница 6

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Einleitung

Mein Hund ist ein kleiner Yorkshire Terrier und er heißt Wuffi. Es ist mein erster Hund und mir ist nichts Besseres eingefallen. Hundi war auch im Rennen, denn bei beiden Namen kann man vom Namen gleich auf das Geschöpf schließen und auch vermuten, dass ein Hund sich so verhält wie ein Hund. Der hat nämlich eine ganz feine Nase und ebenso feine Ohren. Ihm bleibt wenig verborgen. Er kann Krankheiten und Angstschweiß riechen und manche Popsongs aus dem Radio findet er richtig blöd, weil die anscheinend einen ganz unangenehmen Beat haben, für Hundeohren jedenfalls. Manchmal gilt das aber auch für meine Menschenohren, denn inzwischen kann ich die Lieder, die er nicht mag, auch nicht mehr leiden. Dann geht das Radio eben aus.

Dass Hunde besser hören können als Menschen, weiß ja jedes Kind. Manche von ihnen werden mit so einer Pfeife trainiert, die für Menschen unhörbare hohe Töne entlässt. Die hohen Töne sind bei Menschen sowieso immer sehr in Gefahr. Die Fähigkeit sie zu hören, kann uns früh verlassen.

Die hohe Frequenzlage ist die, die Menschen mit beginnender Schwerhörigkeit als erstes verlieren. Es ist ein hartnäckiges Gerücht, dass Schwerhörige alles einfach leiser hören. Das tun sie nicht. Mit sich entwickelnder Schwerhörigkeit verlieren Menschen einzelne Frequenzbereiche. Vergleichbar wäre dieses Phänomen damit, dass man jemanden sprechen hört, der verschluckt aber zwischendurch einzelne Silben. Dann muss man ein sehr guter Detektiv sein, sozusagen eine feine Spürnase haben, um weiterhin zu verstehen, was gemeint ist. Die hohen Töne sind, wie schon angedeutet, die ersten, die gehen. Störgeräusche sind niedrigfrequent. Sie sind am Ende das, was übrig bleibt. Weil überall Störgeräusche sind, gewinnen sie schließlich in der Klangwelt die Überhand.

Wuffi muss davon überzeugt sein, dass ich sehr schwerhörig bin. Wenn es an der Haustür klingelt, macht er, dem offensichtlichen Herzinfarkt nahe, ein solches Gebell, dass einem im wahrsten Sinne des Wortes die Ohren wegfliegen. Er kündigt damit eine derartige Bedrohung an, dass ich dabei immer das Gefühl habe, da steht jetzt der Nachbar mit einem Gürtel voller Plutonium-Bomben umgeschnallt vor der Tür oder mindestens 15 schwer vermummte und bewaffnete Männer vom SEK, die auf unsere Wohnungstür zielen. An manchen Tagen muss es dafür sogar nicht mal geklingelt haben. Da reicht es, wenn ein Nachbar einfach an unserer Wohnungstür vorbei geht. Aber wer kennt seine Nachbarn schon so genau? Vielleicht arbeitet ja einer beim SEK, verdeckt und keiner weiß es, nur Wuffi.

Man kann nie einfach die Wohnungstür öffnen. Es muss fein säuberlich darauf geachtet werden, dass Wuffi eingesperrt ist. Er würde rauslaufen und sich an die Hosenbeine unserer Nachbarn hängen. Hunde können im Laufe ihres Lebens auch schwerhörig werden. Und wer weiß, vielleicht beginnt damit tatsächlich so etwas wie die Hunde-Rente. Sie müssen auf einmal nicht mehr auf das aufpassen, was sich durch Geräusche ankündigt.

Bis jetzt jedenfalls antwortet der kleine Hund auf jedes Geräusch. Es käme ihm gar nicht in den Sinn, irgendetwas unbeantwortet zu lassen. Wäre er regelmäßig online, würde er jede E-Mail beantworten. Auf diesem Gebiet haben sich die Menschen sehr verändert. In der Regel beantworten sie heutzutage nur noch E-Mails, deren Inhalt ihnen gefällt. Nun ja, der Wert einer E-Mail ist nicht mit dem eines handgeschriebenen Briefes zu vergleichen. Das ist mir inzwischen auch klar geworden, obwohl ich davon überzeugt bin, dass Angehörige meiner Generation dieser Fehler der vergleichenden Wertstellung noch ab und zu unterläuft. Mit einem Klick sind sie gelöscht und man kann, zumindest als Empfänger, so tun, als hätte es sie nie gegeben. Der Absender kann das auch, muss sich dann aber noch in einem größeren Umfang in die Tasche lügen. Wuffis Einstellung zum Thema Lügen soll an einer späteren Stelle noch Erwähnung finden.

Von alleine schwingt Wuffi jedenfalls keine großen Reden. Es gibt von ihm keine stundenlangen Bellkonzerte zu hören. Es ist sogar so, als habe er die Gerichtsurteile zu Mietwohnungen genauestens studiert und wisse, dass er nachts zwischen 22 Uhr und sechs Uhr morgens keinen Piep sagen darf. Auch hält er sich stets an die Vorgabe, dass er am Tag nicht mehr als eine halbe Stunde bellt und niemals länger als zehn Minuten am Stück. Das versteht sich von selbst.

Im Grunde ist es doch auch so: was soll man auch großartig sagen? Der Norddeutsche kommt mit wenig aus. Mit „Na, jo und nützt ja nix“ kommt man bestens durch jedes norddeutsche Gespräch. Darüber hinaus ist der klassische Norddeutsche davon überzeugt, dass man Zuneigung auf einfache und kleine Weise zeigen kann. Da muss man gar nicht kompliziert werden oder riesige Geschütze auffahren. Das ist bei Ablehnung genauso. Die zeigen Menschen ja auch ohne Umschweife, egal aus welchem Bundesland sie kommen und dabei machen sie meistens kurzen Prozess. Ablehnung gibt es schon ewig als togo-Variante. Schon bevor dieser Lebensstil angefangen hat, die Umwelt zu belasten. Wuffi findet, dass togo gar nichts mit gemütlichem Gassi gehen zu tun hat. Aber wirklich so gar nichts! Dass sich beim Gehen eine ganze Menge löst und so Manches, was groß und bedrohlich wirkt immer kleiner und unwichtiger wird, habe selbst ich schon begriffen. Beim Gehen kommt das Denken in den Fluss. Dafür sollte man sich Zeit nehmen!

Überhaupt kann Ablehnung so schnell zu etwas wie Fremdenfeindlichkeit aufgebauscht werden. Die steht dann einfach so im Raum. Und geht da nicht weg. Bei Wuffi gibt es einen Trick gegen Ablehnung. Der wirkt immer und zu 100%! Dafür muss man natürlich bereit sein. Und man darf es nicht in den Knien oder im Kreuz haben. Man muss sich für die erste Begegnung auf den Boden setzen und es für Wuffi möglich machen, dass er einen überall beschnuppern kann. Er findet es bedrohlich, wenn man sich von oben über ihn herabbeugt. Aber ganz ehrlich: wer mag das schon? Für die Bekanntmachung mit Wuffi muss man sich ein wenig Zeit nehmen. Wenn er dann Teddy bringt, dann ist das Eis gebrochen. Von großem Vorteil ist, dass man weiß, dass Teddy geworfen werden soll, damit Wuffi ihn wieder einfangen kann.

Teddy ähnelt, wenn man jetzt nicht ganz so genau hinschaut, einer Ratte. Und Teddy hatte schon jede Menge Operationen am offenen Herzen. Kürzlich habe ich ihm einen gelben Pullover angenäht, damit das Innenleben nicht ständig herausfällt. Da Yorkshire Terrier dafür gezüchtet wurden, um Ratten zu fangen, fängt er eben Teddy und schüttelt ihn so lange bis er nach seiner Meinung tot ist. Teddy war eigentlich schon immer tot. Und ganz nebenbei gesagt, ist er Wuffis einziger Freund. Auf jeden Fall kann man mit Fug und Recht behaupten, dass es der Beginn einer großen Freundschaft ist, wenn Teddy ins Spiel kommt. Das ist dann so eine Art Tridem und einer davon ist tot. Dieses Verhältnis der geschilderten Lebendigkeit, also zwei sind am Leben und einer ist tot, könnte aber sowieso als das Geheimrezept des Erfolges eines jeden Tridems bezeichnet werden. Drei waren bekanntlich schon immer einer zu viel. Wenn einer nicht tot sein möchte, kann man sich auch darauf verständigen, dass er halt nur so tut. Er darf dann eben nichts sagen. Für Teddy ist diese Rolle die ideale Besetzung und die Magie, die in dieser ersten Begegnung entsteht, wirkt für immer!

Das Leben in der Stadt ist für Wuffi ziemlich stressig. Er erschrickt sich oft. Und er erschreckt Menschen, denen er begegnet. Häufig nachdem er sich vor ihnen erschrocken hat. Manche ärgern sich und beschimpfen ihn dann. Andere sind seltsam entrückt. Wieder andere wirken wie erstarrt. Manche lächeln nachdem der Schreck entwichen ist und wirken so, als hätten sie verstanden, dass es sich hierbei immer um zwei Mal Erschrecken hintereinander handelt. Im Grunde entschuldige ich mich immer sofort reflexartig. Das hat schon dazu geführt, dass einige Reinigungskräfte am Hafen, die immer morgens zur gleichen Zeit arbeiten, wenn ich Gassi gehe, denken, der kleine Hund heißt „Entschuldigung“. Das ist lustig, passt aber gar nicht. Denn mittlerweile bin ich davon überzeugt, dass der Hund keine einzige Entschuldigung ist. Er benimmt sich wie ein Hund. Für ihn ist das normal. Für das Sein in der Welt übrigens auch!

Außerdem ist die Lage am Hafen mit dem Blick auf die Elbe sowieso auch irgendwie eine Mogelpackung. Das scheint Wuffi auch längst gemerkt zu haben. „Das Tor zur Welt“…. Allein schon dieser Name, der noch die Prägung einer finsteren Zeit in Deutschland mit sich rumschleppt. Und wenn man da steht, heißt das nicht unbedingt, dass man über die eigenen kleinen Grenzen hinweg denken kann. Dafür muss man Orte eigentlich verlassen und sich anderes anschauen. Da stehen die Chancen viel besser, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen und Empathie für andere Lebewesen zu entwickeln, die auf den ersten Blick erstmal total verschieden von dem zu sein scheinen, für was man sich selbst hält. Häufig dauert die Zeit bis zum zweiten Blick nicht sehr lange und man stellt fest, dass sich die angenommene Grundverschiedenheit in Luft auflöst. Natürlich kann man am Hafen mit diesem Blick ein wenig verweilen. Ist dann aber auch nicht viel anders als sich daheim eine Fototapete mit dem Strand von Ko Phi Phi anzuschauen und sich einzureden, man wäre dort. Nützt ja beides nix, wenn man nicht auf Entdeckungsreise geht.

Wuffi erinnert mich irgendwie an einen Defibrillator. Defibrillatoren gibt es in der ganzen Stadt, Hunde auch. Sie sollen Leben retten, das tun Hunde allerdings auch manchmal. Es gibt sogar welche, die speziell dafür ausgebildet werden. Eines muss man über Defibrillatoren unbedingt wissen: sie nehmen dir die Arbeit nicht ab!

Die Symbole, die anzeigen, dass sich in der Nähe ein Defibrillator befindet, gibt es überall in der Stadt. Hunde auch. Sie sind besonders gekennzeichnet. Das sind Hunde allerdings nicht. Manchmal stürmen sie ohne Signal plötzlich auf dich zu, wenn sie nicht an der Leine sind. Das ist Wuffi allerdings immer, zur Sicherheit!

Defibrillatoren sind da, um das Herz zu „resetten“. Das muss man erstmal verstehen. Bei Computern würde man „platt machen“ sagen. Die Computerstimme eines Defibrillators sagt dir genau, was du machen sollst, wenn du mal in die Situation kommst, ein Leben zu retten. Die Stimme sagt dir, wohin die Platinen kommen. Hast du sie angebracht und ein Stromstoß wird abgegeben, musst du mindestens 50 cm von der Person entfernt sein. Das sagt dir die Stimme aber auch. Dann beginnt die Arbeit. 30 Mal das Herz anstoßen, dann zwei Mal beatmen. Das Beatmen ist wichtig, obwohl sie häufig in den Medien darüber informieren, dass man es auch weglassen kann. Die Statistik sagt aber, mit dem Beatmen ist die Wahrscheinlichkeit ohne Schäden zu überleben, größer. Also: atmen!

Atmen ist generell nicht verkehrt. Ruhig durchatmen kann einen manchmal sogar richtig weit bringen im Leben!

Wuffi hat manchmal Atemprobleme. Bei Yorkis schiebt sich der Kehldeckel manchmal vor die Luftröhre. Ist halt total überzüchtet diese Terrierart. Sie sind ursprünglich dazu gezüchtet worden, um Ratten zu fangen. Deshalb steht Teddy so hoch im Kurs und aus diesem Grund sind Yorkshire Terrier so klein. So kommen sie in jedes Loch. Gleich nach der Bestimmung als Rattenfänger kam die Sache mit den langen Haaren und den Preisen. Letzteres ist noch nicht ganz vorbei. Einen Preis würde Wuffi nicht gewinnen, wenn dann den der Herzen und das längst nicht bei allen. Die Gruppe seiner Fans wäre übersichtlich. In jedem Fall ist es wirklich schon eine Weile her, als der Yorkshire Terrier sich vom Wolf losgelöst hat.

Die Menschen und die Wölfe haben sich irgendwann zusammengetan, weil sie feststellten, dass sie die gleiche Nahrung bevorzugen. So kam es dazu, dass die Wölfe neben der Lager der Menschen ausharten. Ab und zu bekamen sie dann die Reste vom über dem Feuer gebratenen Festmahl und ihre Mägen gewöhnten sich an das gekochte Fleisch. Gleichzeitig entstand ihr Bewachergeist, sie fingen an, das Territorium der Menschen zu beschützen. Das macht Wuffi heute noch, und wie! Das können Männer mit Besen, Katzen, undefinierte Geräusche im Treppenhaus und wie gesagt – blöde Lieder im Radio sein. Die Gefahr, die von solchen Liedern ausgeht, ist nicht zu unterschätzen! Manche Lieder haben außergewöhnlich dümmliche Texte, da ist man manchmal froh, wenn es in einer Sprache verfasst ist, die man nicht versteht oder zumindest ungenügend!

Nun sagt die Forschung, dass die Wölfe irgendwann angefangen haben zu bellen, um Kontakt zu den Menschen aufzunehmen. Wuffi nimmt gerne Kontakt auf zu Menschen! Das Bellen unterstützt er noch, indem er sich bei besonderen Personengruppen an die Hosenbeine hängt: an den gemeinen Postboten zum Beispiel. Wuffi macht da gar keine Unterschiede, ob der nun verbeamtet ist oder nicht. Nein, Wuffi behandelt da alle gleich. Das Lästige an den noch wenigen verbeamteten Postboten ist allerdings, dass sie regelmäßiger kommen, weil sie eben müssen. Die kommen sogar, wenn die Post an sich streikt. In den übrigen, den privatisierten Fällen darf man damit rechnen, dass die armen überlasteten Mitarbeiter einfach nicht hinterherkommen mit dem Zalando-Wahn.

Für Wuffi ist es einfach komplett unverständlich, dass ein bereits vertriebener Postbote einfach am nächsten Tag wiederkommt und dann noch dazu so ein lächerliches Stück Papier durch den Schlitz in der Tür steckt. Dieses Papier fällt immer auf Wuffis Kopf, da er schon bei dem ersten Geräusch versucht, sich unter der Tür durchzugraben. Er versäumt nicht, jedes Mal ein gebelltes „das gilt ein für alle Mal“ hinterher zu rufen. Ich vermute, er macht sich tiefe Gedanken über Beamte…. Aber sicher wissen werde ich das nie. Ich muss auch zugeben, dass ich ihn selten verstehe. Aber Mühe gibt er sich, das ist keine Frage!

Sehr wahrscheinlich findet er auch mein Verhalten meistens ziemlich unangemessen, es sei denn, ich schnupper an ihm. Das findet er gut.

Wuffi verweist Menschen und Hunde beim Gassi gehen gerne auf die angemessene Abstandshaltung. Fährt ein Fahrrad auf dem Bürgersteig ganz dicht hinter uns oder an uns vorbei, egal ob durch die Klingel vorangekündigt oder nicht, springt er in die Richtung und bäumt sich auf. Laut bellend macht er darauf aufmerksam, dass man mit dem Fahrrad nicht auf dem Bürgersteig fahren soll und schon gar nicht Mensch und Hund von hinten erschrecken darf. Bei kleinen Kindern auf dem Fahrrad ist er manchmal gnädig, aber nicht immer. Das Muster, das er anwendet, kann ich noch nicht so genau deuten. Kinder sollen geschützt vor Autos auf dem Bürgersteig fahren, nur Erwachsenen ist es eigentlich in unserer Stadt untersagt.

Jede Stadt hat ihre eigenen Kapazitäten und Regeln für Fahrradfahrer. Ich glaube, wäre Wuffi ein Mensch, wäre der ideale Job für ihn in der Straßen-Verkehrs-Überwachungs-Behörde zu arbeiten. Vielleicht gibt es die gar nicht, aber sie müsste für Wuffi erschaffen werden, bzw. Wuffi ist ideal erschaffen für diese Form von öffentlichem Dienst. Jedes Mal, wenn jemand bei Rot über die Ampel geht, macht er einen Höllenalarm. Mein Gefühl sagt mir, dass er sowohl für den Innen- als auch für den Außendienst sehr geeignet wäre. Draußen, wie schon dargelegt, besser mit Leine.

Wuffi gehört ganz klar an die Leine. Das kann man gar nicht oft genug sagen. Die Leine kommt mir übrigens manchmal so vor wie eine Nabelschnur. Wir nähren uns gegenseitig über sie mit Informationen. Ohne Filter transportiert sie offensichtlich meine Stimmungen zu ihm. Ungeachtet dessen, ob ich entspannt und fröhlich oder angespannt und gestresst bin. Je nachdem, wie ich an der Leine ziehe, gelegentlich zerre, kommt es in der gleichen Wucht zurück. Ich wünschte, ich hätte mehr Einfluss darauf.

Aber Gefühle sind ehrlich und man hat auch keinen Einfluss auf sie. Wenn man sich im Laufe seines Lebens an das Außen und an andere Menschen anpasst, lernt man, dass man seine Gefühlslage nicht oder nur ganz ausgewählt nach außen präsentieren darf. Natürlich hat das eine gewisse Logik. Wenn menschliche Begegnungen daraus bestehen würden, dass man sich hemmungslos gegenseitig seine Gefühle an den Kopf wirft, wäre die ganze Zivilisation davon getragen. Sie würde aber selbst nichts mehr tragen können. In so einer Welt, jedenfalls glaube ich das, könnte sich nichts entwickeln. Kein Zuhören, keine Rücksicht, keine Einsicht, keine Disziplin, nur man selbst in der eigenen Gefühlssuppe. Keine schöne Vorstellung.

Das Gegenteil ist die Situation, von der ich denke, dass sie recht häufig existiert. Die Haltung, die man einnimmt, ist nicht kongruent mit dem, was man sagt. Wuffi würde, wenn er sprechen könnte, dazu sagen: „Sag doch einfach, dass jemand lügt!“ Ich würde antworten: „Lügen ist ein großes Wort.“ Wuffi würde erwidern: „Ja! Sogar ein dickes und verwerfliches!“ Das Gespräch wäre dann zu Ende, weil Wuffi, wie schon erwähnt, kein Freund großer Worte ist. Ich schon mehr, da ich mich schon immer für Kommunikation interessiert und die Theorien dazu verschlungen habe. Allerdings habe ich, während der Beschäftigung mit Kommunikationstheorien, das immer so verstanden, dass man nicht nichts sagen kann. Auch ohne Worte sendet man Statements in die Welt. Das tut man mit Worten natürlich erst recht, diese müssen nur nicht immer mit der eigenen Haltung etwas zu tun haben.

Wuffi kann diese Verhältnisse schnell entschlüsseln. Das ist wirklich ein interessantes Phänomen. Menschen, die durch Schädigungen am Gehirn an Aphasien leiden, können das Gefühl für Sprache und ihre Bedeutung auf vielerlei Wegen verlieren. Menschen, die aufgrund eines Ausfalls im Gehirn plötzlich keine Intonation, Sprachmelodie oder Mimik verstehen, müssen alles Gesagte sehr wörtlich nehmen. Sie können auf keinerlei Zusatzinformation zurückgreifen. Jeder kennt das Missverständnis, das daraus entsteht, wenn jemand anderes alles wörtlich nimmt. Jede Ironie ist hoffnungslos verloren und verhungert am ausgestreckten Arm. Bei Hirnschädigungen anderer Art gibt es die Einschränkung, dass Menschen den Wortinhalt nicht mehr verstehen, aber ihr feines Gespür für Takt und Melodie von Sprache erhalten bleibt. Sie entlarven jede Lüge, weil sich für sie ein seltsames Bild des Redners ergibt. Nicht selten brechen sie in Gelächter darüber aus. Auf jeden Fall sind sie an der Wahrheit näher dran als jeder andere. Wenn ich Wuffis Sprachkompetenz so wie zuletzt beschreiben darf, wäre der Nagel ziemlich auf den Kopf getroffen. Jedenfalls würde ich das jetzt einfach mal so behaupten.

Wuffi hasst Lügen. Und ehrlich gesagt, das tue ich auch! Die Energie, die von solchen Menschen ausgeht, kann einem bis zu einem halben Tag versauen. Ohne Scheiß! Das ist meine Erfahrung. Bis zu einem halben Tag! das ist ein halber Tag komplett verschwendete Lebenszeit! Das ist nahezu ein Aufruf dazu, Wuffi immer vorneweg marschieren zu lassen, weil der die Guten und die Schlechten nach seiner Art sauber trennt und ich es viel leichter hätte, zu erkennen, mit wem sich wohl eine schöne und interessante Begegnung ergibt und mit wem nicht.

Wenn er sprechen könnte, würde er wahrscheinlich ständig sagen: „Im Leben muss man Risiken eingehen, sonst plätschert es nur dahin.“ Er legt diese Haltung für sich sogar so brutal aus, dass er erstmal pauschal jeden größeren Hund anknurrt und als vollendete Provokation mit den Pfoten auf dem Boden scharrt. Er würde das sogar mit einem Wildschwein so machen. Die gibt es ja in der Stadt zum Glück noch relativ selten. Ich habe ihm gefühlt schon fünfzig Mal das Leben gerettet, indem ich ihn bei so einem Gebärden einfach mal aus der Schusslinie hebe, in die er sich regelmäßig und ohne große Umschweife begibt.

Wuffi versteht nur „Sitz!“ Andere Bedeutungen klaubt er sich mit seinen Mitteln zusammen, und sei das Mittel seine Schwäche für Leberwurst. Bei Leberwurst gleitet jede Meinung von Wuffi in den Hintergrund und er findet grundsätzlich alles gut für so lange, wie Leberwurst an etwas klebt. Das „etwas“ kann Mensch oder Gegenstand sein. Es wird von ihm angebetet, bis die Wurst alle ist.

Häufig wird er unruhig, wenn ich mich mit etwas Kreativem beschäftige. Wenn er dabei zusehen muss, dass sich Dinge in meinem Kopf und in meinem Herzen bewegen. Dass ich zum Beispiel rumlaufe, mit mir selbst spreche und dann plötzlich eine Idee habe. Wenn ich krank darnieder liege, ist er fast immer solidarisch mit krank. Irgendwie ist das auch gut für mich. Wenn ich mich dann um ihn kümmern muss, vergesse ich dabei, mich nur um mich selbst zu drehen.

Der Defibrillator

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