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Kapitel vier

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In den darauffolgenden Wochen war ich so mit Korfu beschäftigt, dass ich fast gar nicht mehr an Paul dachte. Ich wälzte Internetseiten über Auswanderung, Immobilienangebote und bereitete alles für unsere Abreise vor. Einen Plan für die Zukunft zu haben, war genau das, was ich gebraucht hatte. Ich konnte es kaum erwarten, Deutschland endlich den Rücken zu kehren und hatte den Eindruck, dass es Bina genauso ging. Zum ersten Mal, seit besagtem Sonntag, nahm ich die Dokumente wieder in die Hand, die Paul für unsere Scheidung vorbereitet hatte. Zusammen mit Bina ging ich sie durch.

»Hier steht’s schwarz auf weiß. Das Haus gehört dir!« Bina tippte mit dem Zeigefinger auf die Durchschrift, in der Paul unsere Besitztümer aufgeteilt hatte. »Ist der doof!«

»Er hat wohl gedacht, dass ich es ihm leichter machen würde, wenn er mir das Haus überlässt.« Ich setzte meine Unterschrift unter das Dokument und übergab es Peer Markson, einem jungen Anwalt, den Paul vor zwei Jahren ohne Vorwarnung aus der Kanzlei geschmissen hatte. Peer hatte sich danach selbstständig gemacht und das äußerst erfolgreich. Mittlerweile hatte er ziemlich große Fische unter seinen Klienten. Darunter einen Kölner Baumogul, dessen Fall er Paul einfach vor der Nase weggeschnappt hatte. Peer war jünger, frischer, ehrgeiziger und er hatte seinem ehemaligen Chef längst den Krieg erklärt. Ich tat mir noch etwas schwer damit, dem Mann zu schaden, neben dem ich zehn Jahre lang morgens aufgewacht war. Es fühlte sich für mich noch immer neu und ungewohnt an und bereitete mir ein ungutes Gefühl in der Magengrube. Zum Glück gab es Bina, die mich, wenn nötig, alle zwei Minuten an Pauls Lügenkonstrukt erinnerte. Für Peer kam der Posten meines Scheidungsanwaltes wie gerufen. Nebenbei versorgte er mich mit Informationen, die mir bei einer Blitzscheidung dienlich sein konnten. Er hatte Paul mit Anja in eindeutiger Aktion auf dem Schreibtisch im Büro erwischt. Nachdem Pauls Versuche Peer mit einem höheren Gehalt zum Schweigen zu bringen gescheitert waren, hatte er vorgegeben, Umstrukturierungen vornehmen zu wollen und ihn anschließend aus der Kanzlei katapultiert. Peer, der eigentlich zum Partner hatte aufsteigen sollen, schwor Rache und ausgerechnet ich war diejenige, die sie ihm verschaffen würde - die Wege des Schicksals sind eben unergründlich.

Peer stellte sich bereits in ersten Handlungen als äußerst engagierter und ideenreicher Anwalt heraus. Er schaffte es, Pauls vorgefertigte Verträge zu meinen Gunsten weiter aufzubessern. Jetzt stand mir neben dem Haus auch der Mercedes zu, den mein Noch-Ehemann als seinen wertvollsten Schatz bezeichnete. Ich hatte mich stets darüber lustig gemacht. Ihn mit Gollum verglichen, jedes Mal wenn er diesen Kosenamen für sein Auto benutzte. Mir hatte Paul nie einen Kosenamen gegeben. Meine Familie und Freunde nannten mich manchmal Lissi oder Sissi, aber bei Paul war ich nie etwas anderes als Elisabeth gewesen. Dabei hatte er meinen Namen immer überaus hart ausgesprochen, wenig liebevoll, selbst wenn er kurz vorm Orgasmus gestanden hatte. Dann hatte er ihn sogar mit besonderer Härte hervorgewürgt, wie ein angeschossener Soldat, der auf dem Schlachtfeld nach Sanitätern ruft: E-LI-SA-BETH. Ob wegen des Kosenamens, oder meines fehlenden Interesses an völlig überteuerten Fahrzeugen, ich hatte seinen Schatz noch nie gemocht. Der Mercedes hatte Paul immer mehr bedeutet als ich, weshalb ich mir für seinen Schatz selbstredend etwas ganz Besonderes hatte einfallen lassen.

Bina und ich beobachteten vom Küchenfenster aus, wie Paul sein Ein und Alles in der Auffahrt parkte.

»Bleib hart!«, erinnerte mich Bina mit erhobenem Zeigefinger. Ich nickte entschlossen, bevor ich zur Tür ging und öffnete. Eine Begrüßung blieb aus. Ich sparte mir die Mühe, stattdessen blickte ich in Pauls tiefbekümmerte Miene. Innerlich lachte ich schallend vor Schadenfreude.

»Behandle ihn gut.« Er zog die Nase hoch und reichte mir die Wagenschlüssel.

»Mach dir da keine Sorgen, Paul. Ich weiß, was dein Schatz braucht«, antwortete ich.

Er nickte schluchzend, dann wandte er sich zum Gehen. »Ach«, fiel ihm ein, »und es wäre lieb, wenn du meine Star Wars-Sammlung schon mal in Kartons packen würdest. Ich komme sie dann in den nächsten Tagen abholen.«

Mein Blick weitete sich und mir entfuhr ein kaum hörbares »Mhm«, wie bei einer alten Hexe, die ein Kind vor ihrem Zuckerhaus witterte. Mit Pauls kleiner, kostbaren Sammlung würde meine Rache in die nächste Runde gehen. Und ich hätte sie um ein Haar vergessen. »Aber gern«, sagte ich breit grinsend. »Wie gut, dass du mich daran erinnerst.« Sicher, ich würde die Sammlung in Kartons packen und dann … Sammler würden mir dafür bestimmt einen Haufen Geld bezahlen.

Pauls Züge entspannten sich leicht. »Ich bin wirklich erleichtert, dass du es so gut aufnimmst, Elisabeth.«

Wieder hatte er meinen Namen so hart ausgesprochen, diesmal hatte ich jedoch noch etwas anderes herausgehört und das verpasste mir einen Stich ins Herz: Distanz.

»Weißt du, es ist nicht gerade leicht für Anja«, legte er nach.

Ich spürte, wie sich jeder einzelne Gesichtsmuskel verkrampfte. Mein Lid begann zu zittern. Am liebsten wäre ich jetzt auf ihn losgegangen. Doch ich riss mich zusammen. »Oh ja, es muss wirklich sehr schwer für Anja sein und für dich erst.«

Er seufzte leidend. »Das ist es.«

Sollte er tatsächlich Mitleid von mir erwartet haben, wartete er vergeblich. Hinter mir zückte Bina ihre Handykamera, die gleich zum Einsatz kommen würde.

»Du hier!« Paul klang abfällig erstaunt.

»Ich hier!«, entgegnete Bina freudestrahlend.

»Ach ja, ich vergaß.« Paul hob eine Braue an, dann wandte er sich von Bina ab und sah mich mit seinem Mister-ich-weiß- alles-und-du-nichts-Blick an.

»Elisabeth, du musst endlich aufhören mit deinen Fantastereien.«

»Ich weiß nicht, was du meinst.«

»Ich meine, du musst endlich anfangen in der Realität zu leben.«

Ich verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete ihn abwartend.

»Ich rede von diesen Flausen von wegen Auswandern, nach Kreta.«

»Korfu«, verbesserte ich ihn.

»Wie auch immer. Das sind doch alles nur Hirngespinste.«

Ich zählte eins und eins zusammen. »Du hast mit meiner Mutter gesprochen!« Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.

»Sie hat mich angerufen. Sie macht sich Sorgen um dich.«

»Meine Mutter macht sich keine Sorgen. Sie hat dich nur angerufen, um endlich zu erfahren, was zwischen uns los ist. Ich hätte ihr nichts von meinen Plänen erzählen sollen. Was fällt dir ein, mit ihr über mich zur reden?« Die Wut kam aus meinem tiefsten Innern. Ich spürte, wie sie in mir kochte. Eine übelriechende Suppe zusammengesetzt aus Pauls Lügen, Anjas vorgetäuschter Freundschaft und der Heuchelei meiner eigenen Mutter. Ich stand kurz vorm Platzen.

»Das kann nicht dein Ernst sein. Ein eigenes Café! Du warst doch schon mit unserem Haushalt überfordert«, reizte er mich weiter.

»Ich, überfordert?« Ich spürte, wie die Hitze meine Wangen emporstieg. »Ist dir jemals die Idee gekommen, dass das Einzige, was mich überfordert haben könnte, du gewesen bist?«

Paul schluckte erschrocken und ging rückwärts eine der Eingangsstufen hinunter.

»Hast du mich eigentlich jemals richtig gesehen?«

»Du bist doch verrückt!«

Ich wandelte meinen Zorn in ein bösartiges Lächeln. »Verrückt? Schon möglich. Schließlich habe ich zehn Jahre mit einem Mann zusammengelebt, den ich überhaupt nicht richtig gekannt habe.«

»Fang bitte nicht wieder damit an«, brummte er, als würde ich ihn zum wiederholten Mal vor aller Augen bloßstellen.

»Du und deine Dramen!« Er schüttelte den Kopf.

Ich zuckte neckisch die Schultern. Die wenigen Zweifel, die ich wegen meines Vorhabens hatte, waren wie weggewischt. Und ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass Paul leiden würde – so richtig. Und ich würde grinsend dabei zusehen. Bina gluckste freudig, als ein dunkles Auto auf dem Bordstein vorm Haus hielt. Darin saßen zwei südländisch aussehende Männer. Beide hatten lange schwarze Bärte.

»Hey Ali!«, begrüßte Bina den Fahrer, nachdem dieser ausgestiegen war und schnurstracks auf Pauls Mercedes zuging. Ich drückte Bina die Autoschlüssel in die Hand. Paul schaute verdutzt zu, wie sie damit zu Ali ging, der bereits sämtliche Türen von Pauls Schatz aufgerissen hatte und nun dessen Herzstück, den Motor, unter die Lupe nahm.

»Na, hab ich zu viel versprochen?«, fragte ich an Paul vorbei. Ali reckte den Daumen in die Luft. »Sehr gute Auto!«

»Was soll das?« Paul schaute mich verstört an.

»Aber Paul, du hast doch selbst gesagt, ich fahre lieber mit dem Fahrrad. Was soll ich denn dann mit einem Mercedes?«

»Du willst unseren Mercedes doch nicht etwa an diese Türken verkaufen?«

»Unseren Mercedes? Es ist nie unserer gewesen, Paul, sondern immer nur deiner. Ali wird einen guten Preis dafür bezahlen.«

»Das ist doch jetzt nicht wahr!« Ich sah die Panik in Pauls Gesicht, die blanke Verzweiflung. Und erfreute mich daran.

»Bitte lächeln!« Das Blitzlicht der Kamera leuchtete auf. Bina hielt meinen Triumph auf einem Foto fest und Paul blinzelte geblendet umher.

»Wäre dann alles.« Ali drückte mir den Umschlag mit der Summe, die wir vereinbart hatten, in die Hand.

»Es war schön mit dir Geschäfte gemacht zu haben.«

Ali neigte den Kopf ein wenig und klimperte mit dem Schlüssel, dann huschte er die Stufen hinab und stieg in den Mercedes.

Paul stand perplex da. »Warum tust du mir das an?«

»Ich weiß wirklich nicht, was du meinst, Paul«, sagte ich, während ich Ali winkte, bevor dieser in seinem neuerstandenen Wagen davonsauste. Der andere Mann fuhr in dem Wagen, mit dem sie gekommen waren, hinterher.

»Du weißt, was mir dieses Auto bedeutet.« Paul funkelte mich an.

»Och, musst du jetzt weinen?« Bina presste sich an ihm vorbei in den Flur. »Wir können dich leider nicht nach Hause fahren. Wie du siehst, haben wir kein Auto.«

Pauls Oberlippe zuckte vor Wut. »Das wird dir noch leidtun, Elisabeth!« Er hob drohend den Finger. Bevor ich ihm etwas erwidern konnte, hatte Bina ihm schon die Tür vor der Nase zugeschlagen.

Ich atmete durch. Den Racheplan an Paul Stück für Stück abzuarbeiten verschaffte mir nicht nur ein Gefühl der Genugtuung, es war wie eine Liste, die ich vor meiner Abreise nach Korfu abhaken wollte. Und ich war noch lange nicht am Ende. Mit der Unterstützung meiner Schwester würde ich alles verschleudern, dem Paul während unserer Ehe mehr Aufmerksamkeit geschenkt hatte als mir.

Nur zwei Monate später, im Mai, war es so weit. Wir saßen tatsächlich im Flieger nach Korfu – und das ohne im Besitz eines Rückflugtickets zu sein. Zwei Koffer und Barnabas, der im Frachtraum auf die Landung wartete, waren alles, was ich aus dem alten Leben ins neue mitgenommen hatte. Um den Verkauf des Hauses würde sich Peer kümmern. Ein bisschen wehmütig blickte ich auf die Wolken, die sich unter uns lichteten. Auf das Land, in dem ich noch bis vor wenigen Monaten dachte, wunschlos glücklich zu sein. Auf mein perfektes Leben, in dem vermeintlich alles nach Plan verlaufen war. Jetzt ließ ich es hinter mir.

»Meinst du, Barnabas geht es gut?«, fragte ich Bina. Der Mops-Rüde war für mich wie ein Kind und in der schweren Scheidungsphase war er außerdem mein bester Freund geworden.

»Na klar! Der pennt wahrscheinlich den ganzen Flug über.« Bina machte sich selten Sorgen. Dafür beneidete ich sie. Ich stellte es mir schön vor, sich nicht ständig Gedanken machen zu müssen. Mein Kopf ließ sich nicht so einfach abschalten. In Binas Nähe fiel es mir jedoch etwas leichter, die Dinge gelassener zu sehen. Ihre optimistische Art war ansteckend. Sie scherte sich nicht darum, was Leute über sie sagten und begegnete jedem mit schonungsloser Aufrichtigkeit. Vielleicht war das der Schlüssel zur inneren Ruhe, den ich für mich noch finden musste.

Bina hatte diesen nicht nur längst in der Tasche, sie hatte auch ein ausgesprochenes Talent dafür, die Dinge in die Hand zu nehmen, bei denen ich nicht einmal wusste, wo ich beginnen sollte. Klar, es war meine Idee gewesen den Neustart auf Korfu zu wagen, schließlich war es ja mein Traum, doch Bina hatte sich ihm ohne zu zögern angeschlossen. Seit der Plan feststand, hatte sie ihre Beziehungen spielen lassen - die sie erstaunlicherweise so ziemlich überall hatte. Ich hinterfragte gar nicht, warum dies so war. Bina hatte bewirkt, dass wir Ansprechpartner für sämtliche Belange auf Korfu hatten - zumindest auf dem Papier. Außerdem hatte sie eine Liste erstellt. Die zwar nur sie allein lesen konnte (meine Schwester hatte eine furchtbare Handschrift), aber allein die Tatsache, dass sie sich diese Arbeit gemacht hatte, ließ mich etwas weniger aufgeregt in unsere Zukunft auf der griechischen Insel blicken.

Endlich landete der Flieger und wir eilten im Schneckentempo hinaus.

»Da wären wir!«, kommentierte Bina die Situation. Ich setzte auf die Gangway über und nahm einen tiefen Atemzug. Die aufgehende Sonne tauchte den Flughafen in orangerote Farben. Bina schlang einen Arm um meine Schulter und drückte mich ein wenig. »Toll, oder?«

Ich nickte gerührt. »Ich bin bereit!«, stieß ich entschlossen hervor. Es war ein ergreifender Augenblick. Ich spürte das Neue, das Abenteuer, das bereits auf uns wartete.

»Das freut uns wirklich!«, murrte der Passagier hinter uns. »Würden Sie dann endlich weitergehen, damit auch der Rest aussteigen kann?«

Obwohl er diesen wertvollen Moment unterbrochen hatte, warf ich ihm einen beschwichtigenden Blick über die Schulter zu.

»Bleib mal locker, Opi!«, zischte Bina, die meine Harmoniesucht noch nie geteilt hatte.

Ohne mich weiter beirren zu lassen, setzte ich meinen Weg in die Freiheit fort. Sicher rührte die Unsensibilität des Mannes davon, dass er den Schritt in die Selbstverwirklichung noch vor sich hatte. Als er uns an der Gepäckausgabe überholte, tat er mir sogar etwas leid. Der Mann war locker an die sechzig. Andererseits glaubte ich fest daran, dass es nie zu spät war, neu anzufangen.

Liebe lieber griechisch

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