Читать книгу Voll voraus, DODI! - Claus Beese - Страница 5
Die Leiche im Kanal
ОглавлениеEs schepperte leise, als mein mir angetrautes Eheweib, Mutter meiner Tochter, Hüterin meines Hausstandes und bester Bestmann auf meinem Boot den Wasserkessel wieder im Schrank verstaute. Mit leisem Gurgeln lief das Abwaschwasser aus dem Becken und mit ein paar schnellen und geübten Wischbewegungen mit dem Abwaschlappen war die Pantry wieder sauber und trocken. Ich bewunderte sie für ihre Fingerfertigkeit in solchen Dingen, denn bei mir dauerte das Aufklaren immer deutlich länger und brachte auch genau so deutlich nicht denselben Effekt.
Ich möchte es mal so ausdrücken: Der von mir erzeugte Glanz in der Pantry beschränkte sich nach meiner Backschaft stets auf meine schweißglänzende Stirn. Aber ich bin durchaus in der Lage anzuerkennen, wenn jemand ein Fachmann auf seinem Gebiet ist und in solchen Fällen bemühe ich mich auch darum, es ihm erst gar nicht nachmachen zu wollen. Neidlos sehe ich ein, dass diese dilettantischen Versuche eines Nachahmens sowieso niemals von Erfolg gekrönt sein würden. Außerdem ist das gedehnte »Hmmm!« meiner Kombüsenfee, ihr Griff zum Lappen und das nochmalige Nachwischen aller Einrichtungsgegenstände wirklich äußerst deprimierend und meinem Ego nicht förderlich. So bemühe ich mich also stets nach Kräften, alles zu vermeiden, was meine meist gute Laune in übelste Regionen abgleiten lassen könnte, natürlich nur um die Stimmung an Bord im grünen Bereich zu halten.
»Feddich!«, verkündete sie und schaute sich triumphierend um. Langsam kehrte ihre Übung zurück und bestimmt würde sie bald wieder neue Bestzeiten im Aufklaren der Pantry nach dem Frühstück aufstellen. Unsere Bordaufenthalte waren in der letzten Zeit nicht so häufig gewesen und sie musste sich immer wieder neu auf alle hier notwendigen Handgriffe gewöhnen. Aber wie man sah, klappte alles schon ganz gut und ich war zufrieden. Allerdings hörte ich schon jetzt das Seufzen und Schimpfen am Urlaubsende, wenn sie an Bord alles wie im Schlaf beherrschte aber zu Hause feststellen musste, dass ihre große Küche nicht mehr zu den hier geübten Handgriffen passte.
»Fahren wir weiter?«, wollte unser Nachwuchs wissen. Allerdings schien er nicht wirklich an einer Antwort interessiert zu sein. Warum auch? Das Wetter war toll, das Wasser des Kanals warm und wenn man beim Überbordhüpfen noch einen Fuß auf die Achterreling setzte, konnte man den Sprung in die Fluten erst richtig genießen. Im Moment prüfte unsere Tochter, wie man am besten mit dem Hintern zuerst im Wasser landen musste um neue Rekordhöhen der aufspritzenden Wasserfontänen zu erreichen.
»Also ich wäre dafür einen faulen Hafentag einzulegen!«, verkündete mein bessere Hälfte und ich ließ meinen erhobenen Zeigefinger sinken und die bereits eingeatmete Luft wieder ausströmen, die ich eigentlich dazu nutzen wollte, den beiden klarzumachen, dass meine Wikingergene sich nach einem Jahr harter Arbeit mehr nach Ostseewellen sehnten als nach brackiger Kanalbrühe, und dass der Weg dorthin noch weit war. Doch ich hatte blitzartig erkannt, dass meine Mannschaft nicht wirklich gewillt war, meine von urzeitlichen Vorfahren ererbten Sehnsüchte wohlwollend zu berücksichtigen. Im Geiste blätterte ich den Leitfaden „Psychologie an Bord - leicht gemacht“ durch und blieb beim Kapitel „Wie man Meutereien verhindert“ hängen. Dort stand nämlich haarklein beschrieben, wie man mit solch gefährlichen Situationen am besten umgeht. Ich beschloss mich detailliert und sehr genau an die Empfehlungen des Leitfadens zu halten.
»Das passt gut!«, behauptete ich. »Ich hätte euch nämlich dasselbe vorgeschlagen!«
Der Blick, der mich jetzt traf, war eine Mischung aus Überraschung, Misstrauen und erwachender weiblicher Neugier. Vielleicht hätte ich mich besser doch noch zum Schein ein wenig sträuben sollen, denn schon wanderte der Blick meiner Angetrauten hinaus auf den Kanal auf der Suche nach der Bikinischönen, deren Anblick ich mir ihrer Ansicht nach wohl noch eine Weile erhalten wollte. Weit und breit konnte sie allerdings nichts in dieser Form erspähen und sie beruhigte sich darum wieder. An der Bordwand klammerten sich zwei kleine Hände fest und der nasse Wuschelkopf unseres Ablegers erschien.
»Hat er schon >ja< gesagt oder diskutiert ihr noch?«, wollte Claudia vorlaut wissen. Als sie sah, wie ich nun wieder tief Luft holte und meinen Zeigefinger erhob, ließ sie einfach los und verschwand plätschernd wieder im Kanal. Langsam fing ich an, mir um meine Stellung als Respektsperson an Bord Gedanken zu machen. Wenn ich nicht aufpasste, konnte das ja ein netter Urlaub werden. Aber nun gut, für heute sollten sie noch ihren Willen haben, aber ab morgen würde hier wieder der Skipper das Sagen haben. So viel war sicher.
Andererseits..., wenn hier jeder nur noch das tat, was er wollte, warum sollte ich das nicht auch tun? Fröhlich pfeifend hob ich das Klapprad vom Achterdeck, drehte den Lenker in die richtige Stellung und verpasste den Reifen im Hinblick auf mein derzeitiges Kampfgewicht noch ein paar Extra-Bar an Luftdruck.
»Papa! Papa! Wo fährst du hin?«, hustete Claudia, denn in ihrer Angst etwas zu verpassen, war sie etwas zu hastig zum Boot zurück geschwommen und hatte sich an ihrer eigenen Bugwelle verschluckt.
»Zum Fahrrad-Laden! Da gibt’s nämlich auch Angelscheine!«
»Und Köder?«, fragte die Hüterin meines Haushalts misstrauisch.
»Ja, Maden auch!«, gab ich arglos zurück. Natürlich musste ich mir auch einen guten Köder kaufen, denn schließlich wollte ich ja auch was fangen.
»Finde ich auch nur eine Made im Kühlschrank, und sei sie noch so gut verpackt, reiche ich die Scheidung ein.«
Siedend heiß fiel mir ein, wie im letzten Jahr die Madenschachtel, die ich wegen der Hitze im Kühlschrank aufbewahrt hatte, aufgegangen war. Als meine Kombüsenfee dann die Tür öffnete und ihr der halbe Kühlschrank entgegenrobbte, hatte sie als Erstes einen Nervenzusammenbruch der Extraklasse bekommen um sofort danach prompt einen General-Bootsputz anzuordnen. Seither reagierte sie extrem empfindlich, wenn ich mich zum Fischfang rüstete.
»Keine Bange!«, versuchte ich sie zu beruhigen. »Ich werde sie in der Bank unter deiner Koje deponieren, dort ist es auch immer schön kühl.«
»Wag es nur ...! Du wirst schon sehen, was dann geschieht!«
Ich beschloss es besser nicht darauf ankommen zu lassen, drückte ihr schnell einen Kuss auf die Wange und schwang mich auf das Minirad.
»Papa! Bringst du mir eine Taucherbrille mit?«, schrie mir mein Nachwuchs hinterher und ich warf ihr einen entsetzten Blick zu. Taucherbrille? Meine Güte, Tochter! Machst du nicht schon über Wasser genug Unfug? Willst du jetzt auch noch die letzten stillen Winkel dieser Erde in Angst und Schrecken versetzen? Na ja, ich konnte ja mal schauen! Sicher würde es nicht zum Nachteil sein, wenn der sonst so gestrenge Vater mal großzügig in kleinen Dingen war. Andererseits war ich sicher, dass meine bessere Hälfte hierfür das hässliche Wort »Bestechung« als zutreffender empfunden hätte.
»Juchu! Sogar mit Flossen! Damit komm ich bestimmt bis auf den Grund runter!«, jubelte mein Nachwuchs etwas später.
»Nimm sofort die ekelhaften Maden aus dem Schiff!«, jubelte meine bessere Hälfte. In manchen Dingen, so wusste ich aus langjähriger Erfahrung, war es einfach besser ihren Wünschen augenblicklich und kommentarlos nachzukommen. Also schnappte ich mir meine Angelruten, stieg von Bord und ging ein paar Schritte weiter. Am Bug des Bootes montierte ich meine Ruten und köderte einige von diesen appetitlichen kleinen Krabbeldingern an den Haken. Die Fische würden die Maden lieben, da war ich sicher. Nicht ganz so sicher waren da die Fische, denn sie dachten gar nicht daran zu beißen. Saß ich erst noch gespannt und zum Anschlag bereit auf meinem umgedrehten Eimer, wurde es mir mit der Zeit langweilig. Ich setzte mich auf den Steg und schließlich, als es mir auch dort zu unbequem wurde und überhaupt nichts beißen wollte, legte ich mich an den Hang des kleinen Deiches in das weiche Gras. Wohlig rekelte ich mich in der warmen Sonne. Aaach, Herr Doktor, so konnte ich es aushalten! Sanft entschlummerte ich in der lauen Sommerluft und nichts konnte den Erholungsvorgang stören, weder die zahlreichen Spaziergänger, die am Hafenkanal bei den Schiffen Zerstreuung suchten, noch das Geschrei der im Wasser tobenden Kinder, die vorne an der den Kanal überspannenden Brücke Claudias neueste Errungenschaft der Reihe nach testen durften. Sogar Petrus drückte ein Auge zu und ließ kein Fischlein beißen, sodass ich meinen Schönheitsschlaf nicht unterbrechen musste. Nicht, dass ich ihn nötig gehabt hätte, schön genug war ich meiner Meinung nach sowieso, aber man konnte ja nie wissen. Die Konkurrenz war groß.
Ein gellender Schrei ließ mich hochschrecken wie ein Steh-auf-Männchen. Im Nu war ich hellwach. Die Tonlage kannte ich. Der Schreihals, der solche Töne von sich gab, konnte nur meine Tochter sein. Und wenn sie so einen Alarm machte, war Gefahr im Verzug. Wo steckte der Balg?
Ich schaute mich um und sah sie voller Panik im Kanal mit den Armen herumrudern, im Bestreben, so schnell wie möglich an Land zu kommen. Dabei gellte ununterbrochen ihr Geschrei durch die Gegend, sodass nun auch schon mehrere Skipper und Passanten zusammenliefen. Hilfreiche Hände hoben das Mädchen aus dem Kanal, das am ganzen Körper zitterte und schlotterte.
Ich erreichte den Schauplatz, nahm das bebende Kind erst einmal in den Arm und zog ihr die Taucherbrille vom Gesicht. So aufgelöst hatte ich sie noch nie gesehen. Etwas Fürchterliches musste ihr geschehen sein.
»Papa! Ddda uunten is ne Llleiche!«, stammelte sie und deutete in das trübe Kanalwasser.
»Unsinn! Wer weiß, was du da gesehen hast. Viel kann das in der trüben Brühe sowieso nicht gewesen sein. Vielleicht war es ein Ast oder irgendetwas, das jemand reingeworfen hat«, versuchte ich sie zu beruhigen.
»Papa! Da ist eine Leiche! Ich habe einen Plastiksack berührt und dann war da plötzlich eine Hand! Ich habe sie ganz deutlich gefühlt!«
Ich schaute in die Runde der mit betroffenen Gesichtern dastehenden Leute. Nicht alle waren so ratlos wie ich und so mancher, der sich bezeichnend an die Stirn tippte, zeigte deutlich, was einige Leute über die alarmierende Mitteilung des kleinen Mädchens dachten.
»Sag mal, hat die das öfter?«, fragte ein Skipper anzüglich und ich warf ihm einen strafenden Blick zu.
»Wenn meine Tochter sagt, dass da unten etwas ist, dann ist da was! Du kannst dir gerne die Taucherbrille ausleihen und selber nachsehen«, tadelte ich ihn.
»Ich? Da rein? Nä! Ich kann gar nicht schwimmen!«, redete sich der Hasenfuß heraus, drehte sich um und ging zu seinem Schiff zurück.
»Soll sich der Hafenmeister drum kümmern! Das fällt doch in seine Zuständigkeit!«, schlug ein anderer vor.
»Genau! Oder ruft die DLRG an. Die haben richtige Taucher!«, meldete sich ein Dritter zu Wort. Die Helden hatten die Hosen gestrichen voll und versuchten sich irgendwie aus der Affäre zu ziehen.
»Wofür bin ich zuständig?«, fragte Willy und sprang vom Rad. »Und wer hat hier so geschrien, dass mir zu Hause die Milch sauer geworden ist?«
Der Hafenmeister wohnte nicht weit entfernt und hatte offenbar Claudias Geschrei mitbekommen. Trotz Mittagspause hatte er sich auf sein Rad geschwungen und war im Eiltempo zum Hafen gesprintet. Jetzt bemerkte er die noch immer an allen Gliedern schlotternde Claudia und beugte sich zu ihr herunter.
»Warst du das? Glückwunsch zu der Stimme! Hoffentlich sind in der Umgebung die Fensterscheiben heil geblieben. Also, erzähl mal, was war hier los?«
»Verdammt noch mal! Da unten liegt ‘ne tote Leiche im Bach! Warum will mir das denn keiner glauben?«, heulte Claudia jetzt los, denn es tat weh wenn die ganze Welt einem misstraute.
»Hast du sie gesehen?«, fragte der Hafenmeister und Claudia schüttelte den Kopf.
»Nee, sehen kann man da nix! Auch mit der Taucherbrille nich! Aber gefühlt habe ich es. Erst war da so ein Plastiksack und da guckte eine glitschige Hand raus. Ich hab ‘s genau gefühlt!«
Kurzerhand fing Willy an sich auszuziehen. Als Hafenkapitän muss man jederzeit auf alles vorbereitet sein und so trug er unter seiner weißen Dienstkleidung natürlich stets eine Badehose.
»Tote Leiche! Hah! Soweit kommt das noch! In meinem Kanal schwimmen keine toten Leichen. Nicht mal lebendigen Leichen würde ich das erlauben!«, schnaubte er empört.
»Und wenn ich doch recht habe?«, forschte Claudia nach.
»Wenn du recht hast, kann die tote Leiche was erleben. Ohne meine Genehmigung schwimmt hier niemand, klar?«
Mit diesen Worten stieg Willy in „seinen“ Kanal und watete zu der Stelle, auf die Claudia zeigte. Er tastete sich ein paarmal hin und her und blieb dann unvermittelt stehen.
»Da is tatsächlich was!«, meinte er beunruhigt und tastete mit den Füßen einen offensichtlich langen Gegenstand ab. »Scheint ein Plastiksack zu sein, und da...! Upps!«
Er brach ab und schwamm schnurstracks wieder zu uns herüber. Mit Schwung zog er sich auf den Steg. Sehr ernst schaute er auf das trübe Kanalwasser. Dann drehte er sich zu Claudia um.
»Ich befürchte, du hast recht. Ich habe auch so etwas wie eine Hand mit den Füßen tasten können. Aber vielleicht ist es auch nur ein alter Gummi-Handschuh, wer weiß das schon? Auf jeden Fall werde ich die Polizei und die Kanalverwaltung anrufen.«
Innerhalb kürzester Zeit kam Leben in den kleinen Ort. Unaufhörlich jagten mit Tatü-Tata Fahrzeuge der Feuerwehr, der DLRG, des Katastrophen-Schutzes, der Polizei und der Kriminalpolizei durch den Ort. Krankenwagen, Notarzt und Bürgermeister durften natürlich auch nicht fehlen und so gab es im Handumdrehen einen verkehrstechnischen Kollaps an der schmalen Zufahrt zum Kanal. Da Bederkesa ein Kurort war, wunderte sich auch niemand darüber, dass sich viele der Senioren darin versuchten mit ihren Rollstühlen den Feuerwehrautos ein Rennen zu liefern.
»Hähä! Erster!« freute sich einer der Oldies, nachdem er sein Gefährt im Slalom um die den Weg versperrenden Einsatzfahrzeuge, durch den Park und schließlich die steile Brücke hochgejagt hatte. Dann verdrehte er keuchend die Augen und fiel stumpf zur Seite. Die eigentlich für andere Aufgaben herbei gerufenen Sanitäter gaben ihm eine ordentliche Sauerstoff-Dusche und der Alte schlug die Augen wieder auf.
»Danke, Jungs! Endlich ist mal was los in diesem Kaff und ich hätte es mir nie verziehen, wenn ich es verpasst hätte! Hähä!«, meckerte er fröhlich. »Und jetzt geht beiseite, verdammt! Ich will was sehen!«
Schlauchboote mit starken Außenbordern wurden zu Wasser gelassen und jagten hin und her. Welche Aufgabe ihre Crews hatten, wird wohl auf ewig im Dunkel bleiben und zu den unerforschten Geheimnissen dieser Welt gehören. Doch dann ging ein Raunen durch die Menge und eine Gasse teilte sich in der Menge der Zuschauer. Der Kommissar war eingetroffen. Sofort schwärmten seine Gehilfen aus um festzustellen, wer hier am Tatort etwas gesehen, gehört oder gerochen hatte. Auch boten sie bei sofortigem Geständnis mildernde Umstände an, was dem greisen Rollstuhlfahrer auf der Brücke ein verächtliches »Schlaffies!« entlockte.
»Sofort alle festnehmen und foltern, hähä! Da waren wir doch damals ganz andere Kerle. Ich hätte den Fall schon lange geklärt!«, schnaubte er dann und winkte den Sanitäter mit der Sauerstoff-Maske heran. Mit verdrehten Augen nahm er noch einen ordentlichen Zug, der ihm auch augenblicklich wieder auf die Reifen half.
Inzwischen waren Taucher in den Kanal gestiegen und schon nach kurzer Suche bugsierten sie ein Paket zum Anlegesteg des Hafens, das in blaue Müllsäcke geschlagen war. Mit vereinten Kräften wuchtete man das Ganze an Land und als die Helfer die Tüten losließen, rutschte tatsächlich ein schon vom Wasser unansehnlich aufgequollener Arm aus dem Plastik heraus und landete mit einem grässlichen »Pfffrrrtsch!« auf dem Rasen, wo er schlaff in sich zusammenfiel.
Der Notarzt und der Gerichtsmediziner öffneten jetzt vorsichtig das verschnürte blaue Paket und ein Stöhnen ging durch die Menge, als ein Kopf, der ebenso aufgequollen war wie der Arm, herausrollte. Da ertönte aus der Menge, die sich schaudernd abgewandt hatte ein Schrei.
»Oh, mein Gott! Das ist meine Hilde! Ich erkenne sie genau!«
Aufschluchzend trat ein älterer Mann aus der Schar der Neugierigen hervor und wankte zu dem blauen Plastikpaket. Er kniete daneben nieder und warf einen Blick hinein. Dann nickte er, stand auf und wandte sich an den Kriminalbeamten.
»Sie ist es! Oh, Herr Kommissar! Sie müssen herausfinden, wer mir das angetan hat. Meine Hilde, mein ein und alles. Seit zwei Wochen schon vermisse ich sie. So eine hübsche Schneiderpuppe finde ich nie, nie wieder!«, jammerte er.
Die beiden Ärzte standen jetzt ebenfalls wieder auf und in ihren Gesichtern war maßlose Verblüffung, aber auch Erleichterung zu sehen.
»Der Mann hat Recht! Es ist eine Schneiderpuppe aus Pappmaché!«, erklärte der Notarzt dem überraschten Kommissar.
»Pappmaché? Schneiderpuppe? Wie? Was?«, gurgelte der und lief dunkelrot an. Blitzschnell war ein Sanitäter mit der Sauerstoffmaske zur Stelle während ein zweiter seinen Arm nahm um ihm den Puls zu fühlen. Der Kommissar schüttelte die beiden ab wie lästige Fliegen und atmete ein paarmal tief durch.
»Mann! Wer sind sie?«, schnaubte er dann und schaute den jammernden Alten fragend an.
»Schneidermeister Ernst Kiekbusch, Herr Kommissar. Und das hier war meine Hilde. Eine topmoderne Schneiderpuppe, die ich mir erst im letzten Jahr auf der Messe „Nadel und Faden“ gekauft hatte. Vor zwei Wochen musste ich geschäftlich nach Cuxhaven und als ich wiederkam, war meine Hilde nicht mehr da.«
»Hm!«, machte der Beamte und ging um das Paket herum. »Wenn man genau hinguckt, sieht man noch, dass sie richtig hübsch gewesen sein muss!«, meinte er dann nachdenklich und seine Gehilfen umringten beide, damit ihnen auch ja nichts von den tiefschürfenden Erkenntnissen ihres Vorgesetzten entging.
»Oh ja! Das war sie. Sogar sehr hübsch! Nicht so ein seelenloses Stück Draht und Pappe ohne Kopf. Ich war richtig glücklich, dass ich mich nun mal unterhalten konnte, in meiner einsamen Schneiderstube.«
»So? Und was hat ihre Frau dazu gesagt?«, forschte der Kriminalbeamte weiter.
»Seit ich Hilde hatte, hat sie keinen Fuß mehr in meine Werkstatt gesetzt. Und sie hat gesagt, dass es ein schlimmes Ende nehmen würde...!«
»Schlimmes Ende? Für wen? Für Sie oder die Puppe?«
»....! Herr Kommissar! Sie glauben doch nicht, dass...? Sie meinen, meine Erika...? Meine eigene Frau? Sollte sie tatsächlich meine gute Hilde hier im Kanal ersäuft haben? Ich kann es nicht glauben!«
»Besser, sie glauben es! Ich gehe jede Wette ein, dass wir die Schuldige schon gefunden haben«, meinte der bestimmt. »He! Wo wollen sie hin?«
»Nach Hause! Zu meiner Erika! Und wenn sie noch Fragen an das Weib haben, sollten sie zusehen, dass sie schneller da sind als ich!«, schäumte Schneidermeister Kiekbusch. Unter dem Gelächter der Schaulustigen bahnte er sich einen Weg durch die Menge und verschwand wutschnaubend im Park.
»Und was machen wir jetzt mit der „Leiche“?«, fragte Willy und machte ein ratloses Gesicht. Ich klopfte ihm auf die Schulter.
»Sperrmüll anfordern und entsorgen!«, riet ich ihm und wandte mich meiner Tochter zu, die an meinem Ärmel herumzerrte.
»Papa? Können wir heute noch weiter fahren? Ich glaube, ich möchte hier gar nicht mehr schwimmen.«
»Rrrrrrt!«, machte es in diesem Moment und der Alte sauste mit seinem Rollstuhl von der Brücke herab auf uns zu. Gekonnt bremste er das Gefährt kurz vor uns scharf ab und ich staunte, dass er bei dem Manöver fest im Stuhl sitzen blieb. Immerhin war er nicht angeschnallt.
»Is das die Kleine, die die Leiche gefunden hat?«, wollte er wissen und Claudia machte vorsichtshalber einen halben Schritt hinter mich.
»Das isse!«, bestätigte ich seine Vermutung.
»Super!«, krächzte der Alte. »Habe mich lange nicht mehr so amüsiert. Los, Kleene! Zur Belohnung schiebste mich jetzt zum „Dobbendeel“ und da bestell ich dir den größten Eisbecher, den die da auftreiben können!«
Mein Nachwuchs kam aus seiner Deckung und schielte zu mir hoch.
»Haben wir vor dem Ablegen noch so viel Zeit, Käpten?«, fragte sie mit treuem Augenaufschlag.
»Klar, Moses! Hau man ab! Aber nehmt den Sanitäter mit dem Sauerstoffgerät mit. Sicher ist sicher!«
Claudia schnappte sich die Griffe des Rollstuhls und die beiden brausten davon in Richtung des Kanalrestaurants. Ich war mir nicht sicher, ob die Schreie des Alten dabei Begeisterung oder Todesangst ausdrückten.