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Myrtenfräulein

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Im sandigen Lande, wo nicht viel Grünes wächst, wohnten einige Meilen von der porzellanenen Hauptstadt, wo der Prinz Wetschwuth residierte, ein Töpfer und seine Frau mitten auf ihrem Tonfeld neben ihrem Töpferofen, beide ohne Kinder, einsam und allein. Das Land war ringsum so flach wie ein See, kein Baum und kein Busch war zu sehen, und es war gar betrübt und langweilig. Täglich beteten die guten Leute zum Himmel, er möge ihnen doch ein Kind bescheren, damit sie eine Unterhaltung hätten, aber der Himmel erhörte ihre Wünsche nicht. Der Töpfer verzierte alle seine Gefässe mit schönen Engelsköpfen, und die Töpferin träumte alle Nacht von grünen Wiesen und anmutigen Gebüschen und Bäumen, bei welchen Kinder spielten; denn wonach das Herz sich sehnt, das hat man immer vor Augen.

Einstens hatte der Töpfer seiner Frau zwei schöne Werke auf ihren Geburtstag verfertigt, eine wunderschöne Wiege von dem weissesten Ton, ganz mit goldnen Engelsköpfen und Rosen verziert, und ein grosses Gartengefäss von rotem Ton, rings mit bunten Schmetterlingen und Blumen bemalt. Sie machte sich ein Bettchen in die Wiege und füllte das Gartengefäss mit der besten Erde, die sie selbst stundenweit in ihrer Schürze dazu herbeitrug, und so stellte sie die beiden Geschenke neben ihre Schlafstelle, in beständiger Hoffnung, Der Himmel werde ihr ihre Bitte gewähren; und so betete sie auch einst abends von ganzer Seele:

Herr, ich flehe auf den Knieen,

Schenke mir ein liebes Kind!

Fromm will ich es auferziehen,

Ist’s ein Mägdlein, dass es spinnt

Einen klaren, reinen Faden

Und dabei hübsch singt und betet;

It’s ein Sohn durch deine Gnaden,

Dass er kluge Dinge redet

Und ein Mann wird treu von Worten,

Stark von Willen, kühn von Tat,

Der geehrt wird allerorten,

Wie im Kampfe, so im Rat.

Herr, bereitet ist die Wiege,

Gib, dass mir ein Kind drin liege!

Ach, und sollte es nicht sein,

Gib mir doch nur eine Wonne,

Wär’s auch nur ein Blümelein,

Das ich in der lieben Sonne

Könnte ziehen, könnte pflegen,

Dass ich mich mit meinem Gatten

Einst im selbsterzognen Schatten

Unter ihm ins Gras könnt legen!

So betete die gute Frau unter Tränen und ging zu Bett. In der Nacht war ein schweres Gewitter, es donnerte und blitzte, und einmal fuhr ein heller Glanz durch die Schlafkammer. Am andern Morgen war das schönste Wetter, ein kühler Wind wehte durch das offne Fenster, und die gute Töpferin lag in einem süssen Traum, als sitze sie unter einem schönen Myrtenbaum bei ihrem lieben Manne. Da säuselte das Laub um sie, und sie erwachte, und siehe da, ein frisches, junges Myrtenreis lag neben ihr auf dem Kopfkissen und spielte mit seinen zarten, im Winde bewegten Blättern um ihre Wangen. Da weckte sie mit grossen Freuden ihren Mann und zeigte es ihm, und sie dankten beide Gott auf ihren Knieen, dass er ihnen doch etwas Lebendiges geschenkt hatte, das sie konnten grünen und blühen sehen. Sie pflanzten das Myrtenreis mit der grössten Sorgfalt in das schöne Gartengefäss, und es war täglich ihr liebstes Geschäft, das junge Stämmchen zu begiessen und in die Sonne zu setzen und vor bösem Tau und rauhen Winden zu schützen. Das Myrtenreis wuchs zusehends unter ihren Händen und duftete ihnen Fried und Freude ins Herz.

Da kam einstens der Landesherr, Prinz Wetschwuth, in diese Gegend mit einigen Gelehrten, um neue Porzellanerde zu entdecken; denn es wurden in seiner Hauptstadt Porzellania so viele Häuser davon gebaut, dass diese Erde in Der Nähe der Stadt selten geworden war. Da er in die Wohnung des Töpfers eintrat, ihn um seinen Rat zu fragen, ward er bei dem Anblick des Myrtenbäumchens so durch dessen Schönheit hingewissen, dass er alles andere vergass und in lauter Verwunderung ausrief:;O wie lieblich, wie reizend ist diese Myrte! Ihr Anblick hat für mein Herz etwas ungemein Erquickendes, ich möchte immer in der Nähe dieses Baumes leben — nein, ich kann ihn nicht entbehren, ich muss ihn besitzen, und müsste ich ihn mit einem Auge erkaufen!“ Nach diesem Ausruf fragte er sogleich den Töpfer und seine Frau, was sie für die Myrte verlangten. Diese guten Leute erklärten auf die bescheidenste Weise, dass sie den Baum nicht verkaufen wollten, und dass er das Liebste sei, was sie auf Erden hätten. „Ach,“ sagte die Töpferin, „ich könnte nicht leben, wenn ich meine Myrte nicht vor mir sähe; ja, sie ist mir so lieb und wert, als wäre sie mein Kind, und kein Königreich nähme ich für diese meine Myrte.“ Da der Prinz Wetschwuth dies hörte, ward er sehr traurig und begab sich nach seinem Schlosse zurück. Seine Sehnsucht nach der Myrte war so gross, dass er in eine Krankheit fiel und das ganze Land um ihn bekümmert wurde. Da kamen Abgesandte zu dem Töpfer und seiner Frau und forderten sie auf, die Myrte dem Prinzen zu überlassen, damit er nicht vor Sehnsucht sterben möchte. Nach langen Unterhandlungen sagte die Frau: „Wenn er die Myrte nicht hat, so muss er sterben, und wenn wir die Myrte nicht haben, so können wir nicht leben. Will der Prinz nun die Myrte haben, so muss er uns auch mitnehmen, wir wollen sie ihm überbringen und ihn anflehen, dass er uns als treue Diener in sein Schloss aufnehme, damit wir die geliebte Myrte dann und wann sehen und uns an ihr erfreuen können.“ Das waren die Abgesandten zufrieden, sie schickten gleich einen Reiter in die Stadt mit der frohen Nachricht, die Myrte werde ankommen, der Prinz sollte Mut fassen. Nun stellte der Töpfer das Gefäss mit der Myrte auf eine Tragbahre, über welche die Frau ihre schönsten seidenen Tücher gebreitet hatte, und sie trugen beide, nachdem sie ihre Hütte verschlossen hatten, den geliebten Baum nach der Stadt, wohin sie von den Abgesandten begleitet wurden. Von der Stadt kam ihnen der Prinz selbst in einem Wagen entgegen und hatte ein goldenes Giesskännchen in der Hand, womit er die geliebte Myrte begoss, bei deren Anblick er sich sichtbar erholte. Vier weissgekleidete, mit Rosen geschmückte Jungfrauen kamen mit einem rotseidenen Traghimmel, unter welchem die Myrte nach dem Schloss getragen wurde. Kinder streuten Blumen, und alles Volk war froh und warf die Mützen in die Höhe. Nur neun Fräulein in der Stadt waren nicht bei der allgemeinen Freude zugegen, denn sie wünschten, dass die Myrte verdorren möchte, weil der Prinz, ehe er die Myrte gesehen hatte, sie oft besuchte und jede von ihnen gehofft hatte, einst Beherrscherin der Stadt Porzellania zu werden. Seit aber von der Myrte die Rede war, hatte er sich nicht mehr um sie bekümmert; drum waren sie auf den unschuldigen Baum so erbittert, dass sich an diesem Freudentage keine von ihnen erblicken liess. — Der Prinz liess die Myrte an das Fenster seiner Stube stellen und gab dem Töpfer und seiner Frau eine Wohnung im Schlossgarten, aus deren Fenster sie die Myrte immer erblicken konnten, womit die guten Leute dann auch wohl zufrieden waren.

Der Prinz war bald wieder ganz gesund; er pflegte den Baum mit einer unbeschreiblichen Liebe und Sorgfalt; auch wuchs dieser und breitete sich aus zu aller Freude. Einstens setzte sich der Prinz abends neben dem Baume auf sein Ruhebett. Alles war ruhig im Schloss, und et entschlummerte in tiefen Gedanken. Da nun die Nacht alles bedeckt hatte, hörte er ein wunderbares Säuseln in seinem Baum und erwachte und lauschte; da vernahm er eine leise Bewegung in seiner Stube herum, und ein süsser Duft breitete sich umher. Er war stille, stille und lauschte immer fort; endlich, da, es ihm wieder so wunderbar in der Myrte säuselte, begann er zu singen:

Sag, warum dies süsse Rauschen,

Meine wunderschöne Myrte,

O mein Baum, für den ich glühe?

Da sang eine liebliche leise Stimme wieder:

Dank will ich für Freundschaft tauschen

Meinem wunderguten Wirte,

Meinem Herrn, für den ich blühe!

Da war der Prinz über die Stimme so entzückt, dass es nicht auszusprechen ist; aber bald ward seine Freude noch viel grösser, denn er bemerkte, dass sich jemand auf den Schemel zu seinen Füssen setzte, und da er die Hand darnach ausstreckte, ergriff eine zarte Hand die seinige und führte sie an die Lippen eines Mundes, welcher sprach: „Mein teurer Herr und Prinz, frage nicht, wer ich bin; erlaube mir nur, dann und wann in der Stille der Nacht zu deinen Füssen zu sitzen und dir zu danken für die treue Pflege, welche du mir in der Myrte bewiesen; denn ich bin die Bewohnerin dieser Myrte; aber mein Dank für deine Zuneigung ist so gewachsen, dass er keinen Raum mehr in diesem Baume hatte, und so hat es mir der Himmel vergönnt, in menschlicher Gestalt dir manchmal nahe zu sein.“ Der Prinz war entzückt über diese Worte und pries sich unendlich glücklich durch dies Geschenk der Götter. Sie unterhielten sich einige Stunden, und sie sprach so weise und klug, dass er vor Begierde brannte, sie von Angesicht zu Angesicht zu sehen; das Myrtenfräulein aber sagte zu ihm: „Lasse mich erst ein kleines Lied singen, dann kannst du mich sehen“, und sie sang:

Säusle, liebe Myrte!

Wie still ist’s in der Welt!

Der Mond, der Sternenhirte

Auf klarem Himmelsfeld,

Treibt schon die Wolkenschafe

Zum Born des Lichtes hin:

Schlaf, mein Freund, o schlafe,

Bis ich wieder bei dir bin.

Dazu säuselte die Myrte, und die Wolken trieben so langsam am Himmel hin, und die Springbrunnen plätscherten so leise im Garten, und der Gesang war so sanft, dass der Prinz entschlief, und als er kaum nickte, erhob sich das Myrtenfräulein leise, leise vom Schemel und begab sich wieder in die Myrte.

Als der Prinz am Morgen erwachte, erblickte er den Schemel leer zu seinen Füssen, und er wusste nicht, ob das Myrtenfräulein wirklich bei ihm gewesen war, oder ob er nur geträumt habe; aber da er das Bäumchen ganz mit Blüten übersät sah, die in der Nacht aufgegangen waren, ward er der Erscheinung immer gewisser: nie ward die Nacht so sehnsüchtig erwartet als von ihm; er setzte sich schon gegen Abend auf sein Ruhebett und harrte. Endlich war die Sonne hinunter, es dämmerte, es ward Nacht. Die Myrte säuselte, und das Myrtenfräulein sass zu seinen Füssen und erzählte ihm so schöne Sachen, dass er nicht genug zuhören konnte; und als er sie wieder bat, Licht anzünden zu dürfen, sang sie ihm wieder ein Liedchen:

Säusle, liebe Myrte!

Und träum im Sternenschein!

Die Turteltaube girrte

Auch ihre Brut schon ein.

Still ziehn die Wolkenschafe

Zum Born des Lichtes hin,

Schlaf, mein Freund, o schlafe,

Bis ich wieder bei dir bin.

Da schlummerte der Prinz wieder ein und erwachte am Morgen wieder mit gleicher Überraschung und erwartete die Nacht wieder mit gleicher Sehnsucht. Aber es ging ihm auch diesmal wie in der ersten und zweiten Nacht; sie sang ihn immer in den Schlaf, wenn er sie zu sehen verlangte. Sieben Nächte ging dies so fort, während welchen sie ihm so vortreffliche Lehren über die Kunst zu regieren gab, dass seine Begierde, sie zu sehen, nur noch grösser ward. Er liess daher am andern Tage an die Decke seiner Stube ein seidenes Netz befestigen, welches er ganz leise niederlassen konnte, und so erwartete er die Nacht. Als das Myrtenfräulein wieder zu seinen Füssen sass und ihm die tiefsinnigsten Lehren über die Pflichten eines guten Fürsten gegeben hatte, wollte sie ihm wieder das Schlaflied singen aber er sprach zu ihr: „Heute will ich einmal singen“, und sie gab es nach vielen Bitten zu. Da sang er folgendes Liedchen:

Hörst du, wie die Brunnen rauschen?

Hörst du, wie die Grille zirpt?

Stille, stille, lass uns lauschen!

Selig, wer in Träumen stirbt.

Selig, wen die Wolken wiegen,

Wem der Mond ein Schlaflied singt!

O, wie selig kann der fliegen,

Dem der Traum den Flügel schwingt,

Dass an blauer Himmelsdecke

Sterne er wie Blumen pflückt:

Schlafe, träume, flieg, ich wecke

Bald dich auf und bin beglückt.

Und dies Lied wirkte so durch die sanfte Weise, in welcher er es sang, dass das Myrtenfräulein zu den Füssen des Prinzen entschlummerte; da liess er das Netz nieder über sie und zündete seine Lampe an, und, o Himmel! was sah er? Die wunderschönste Jungfrau, welche jemals gelebet, im Antlitz wie der klare Mond so mild und rein, Locken, wie Gold um die Stirne spielend, und auf dem Haupt ein Myrtenkrönchen; sie hatte ein grünes Gewand an, mit Silber gestickt, und ihre Hände gefaltet wie ein Engelchen. Lange betrachtete er seine Freundin und Lehrerin mit stummem Erstaunen, dann konnte er seine Freude nicht mehr fassen, er brach in lauten Jubel aus und rief: „O Tugend, o Weisheit, wie schön ist deine Gestalt, wer kann leben ohne dich, wenn er sich einmal erblickte!“ Dann ergriff er ihre Hand und steckte ihr seinen Siegelring an den Finger und sprach: „Erwache, o meine holdselige Freundin, nimm meinen Thron und meine Hand und verlasse mich nie wieder!“ Da erwachte das Myrtenfräulein, und als es das Licht erblickte, errötete es über und über und blies die Lampe aus. Dann klagte sie, dass er sie gefangen habe, und sagte: „Daraus wird gewiss Unglück kommen“; aber der Prinz bat sie so sehr um Vergebung, bis sie ihm verzieh und versprach, die Fürstin seines Landes zu werden, wenn ihre Eltern es erlaubten; er sollte nur alle Anstalten zur Hochzeit machen und dann ihre Eltern fragen, bis dahin sollte er sie aber nicht wiedersehen. Der Prinz willigte in alles ein und fragte sie, wie er sie rufen solle, wenn er alle Anstalten getroffen habe, und sie sagte: Befestige eine kleine Silberglocke an die Spitze meines Bäumchens, und sobald du klingelst, werde ich dir erscheinen.“ Nun zerriss sie das Netz, der Baum rauschte, und fort war das Myrtenfräulein.

Der Tag war kaum angebrochen, als der Prinz auch schon alle seine Minister und Räte zusammenberief und ihnen bekanntmachte, dass er sich nächstens zu vermählen gedenke, und dass sie alle Anstalten zu dem prächtigsten Hochzeitsfeste treffen sollten, das jemals im Lande gewesen. Die Räte waren sehr erfreut darüber und fragten ihn untertänig um den Namen der Braut, damit sie ihren Namenszug bei der Illumination anbringen könnten. Da sagte der Prinz: „Der erste Buchstab ihres Namens ist M, und es sollen beim Feste überall Myrtenzweige hingemalt werden, wo es sich schickt.“ Da wollten die Herrn ihn schon verlassen, als plötzlich eine Botschaft kam, dass ein wildes Schwein in dem fürstlichen Tiergarten toll geworden wäre und in dem darin befindlichen gläsernen Lusthause alles chinesische Porzellan zertrümmert habe; es sei äusserst nötig, es sogleich zu erlegen, damit es nicht andre Schweine beisse und auch toll mache, welche dann leicht die ganze Stadt Porzellania über den Haufen werfen könnten. Da durfte der Prinz nicht länger zaudern; er befahl seinen Räten, einstweilen die Hochzeit zuzubereiten, und zog mit seinen Jägern hinaus auf die Jagd.

Als der Prinz aus dem Schloss ritt, lagen die neun bösen Fräulein, welche sich nicht mit gefreut hatten, als die Myrte so feierlich in die Stadt gebracht wurde, sehr schön geputzt am Fenster, in der Hoffnung, der Prinz werde sie bemerken und grüssen; aber vergebens, wenn sie sich gleich so weit herauslegten, dass sie leicht hätten auf die Strasse fallen können; der Prinz tat nicht, als wenn er sie bemerkte. Hierüber aufgebracht, kamen sie zusammen und fassten den Entschluss, sich zu rächen. Die Geschichte mit dem toll gewordnen wilden Schwein war auch nur von ihnen ausgesprengt, damit der Prinz, der sich gar nicht mehr sehen liess, über die Strasse reiten sollte. Sie hatten das chinesische Porzellan in dem Lusthaus durch ihre Diener zerschlagen lassen. Als sie eben versammelt waren, trat der Vater der ältesten, der einer der Minister war, herein und machte den Damen bekannt, sie möchten sich zum Hochzeitsfest des Prinzen vorbereiten; der Prinz werde eine Prinzessin M. heuraten, auch sei von vielen Myrtenverzierungen bei der Illumination die Rede. Kaum waren sie wieder allein, als sie ihrem ganzen Zorn den Lauf liessen; denn sie hatten sich alle neun eingebildet, den porzellanenen Thron zu besteigen. Sie liessen sich einen Maurer kommen; der musste ihnen einen unterirdischen Gang bis in die Stube des Prinzen machen, denn sie wollten sehen, wen er dort versperrt habe. Als der Gang fertig war, beredeten sie noch ein zehntes junges Fräulein, der sie jedoch ihr Vorhaben verschwiegen, mitzugehen, welche es auch tat, doch nur aus Neugier und nicht aus bösem Willen; sie nahmen sie aber nur mit, um sie dort zurückzulassen, als habe sie alles getan. Hierauf begaben sie sich in einer Nacht, mit Laternen versehen, durch den Gang in die Stube des Prinzen und suchten alles durch, sehr verwundert, nichts Besonders darin zu finden ausser der Myrte. An dieser liessen sie nun allen ihren Grimm aus, rissen ihre Zweige und Blätter ab, und als sie auch den Wipfel herunterrissen, klingelte das Glöckchen, und das Myrtenfräulein, welches glaubte, es sei dies das Zeichen zu ihrer Hochzeit, trat plötzlich in dem schönsten Brautkleide aus der Myrte. Anfangs verwunderten sich die bösen Geschöpfe, aber bald waren sie einig, dieses müsste die künftige Fürstin sein, und somit fielen sie über sie her und ermordeten sie auf die unbarmherzigste Weise, indem sie das arme Murtenfräulein mit ihren Messern in viele kleine Stücke zerhackten; jede nahm sich einen Finger von dem armen Myrtenfräulein mit; nur das zehnte Fräulein hatte nicht mit geholfen und nur immer gejammert und geweint, wofür sie sie dann einsperrten und nun auf demselben Wege entwichen.

Als der Kammerherr des Prinzen, welchem dieser bei Lebensstrafe befohlen hatte, die Myrte täglich zu begiessen und täglich die Stube aufzuräumen, als wenn der Prinz da wäre, zu seiner Verrichtung hereintrat, war sein Entsetzen unbeschreiblich, da er das zerfleischte Myrtenfräulein in dem Blute an der Erde herumliegen und den Myrtenbaum zerknickt und entblättert sah. Er wusste nicht, was dies sein konnte, denn er wusste von dem Myrtenfräulein nichts; da erzählte ihm das junge Fräulein, welches weinend in einer Ecke sass, alles. Sie nahmen unter bittern Tränen alle Glieder und Knochen der Unglücklichen zusammen und begruben sie unter den zerstörten Myrtenbaum in das Gefäss, so dass alles einen kleinen Grabhügel bildete; sodann wuschen sie den Boden so rein, wie sie konnten, und begossen den Baum mit dem blutvermischten Wasser, räumten die Stube auf, schlossen sie zu und flohen in grosser Angst miteinander; doch nahm das Fräulein eine Locke der unglücklichen Gemordeten zum Andenken mit.

Unterdessen waren die Vorbereitungen zu der Hochzeit beinah fertig, und der Prinz, der das wilde Schwein vergebens aufgesucht hatte, kehrte nach der Stadt zurück. Sein erster Gang war zu dem guten Töpfer und seiner Frau, welchen er seine ganze Geschichte mit dem Myrtenfräulein erzählte und sie um die Hand ihrer Tochter bat. Die guten Leute waren vor Entzücken fast ausser sich, als sie vernahmen, dass in ihrem Myrtenbaum ihnen eine Tochter erwachsen sei, und wussten nun, warum sie denselben so ungemein liebgehabt hatten. Freudig willigten sie in die Bitte des Prinzen ein und begleiteten ihn in das Schloss, um ihre wunderbare Tochter zu sehen. Als sie nun zusammen in das Zimmer traten, wo die Myrte stand, sahen ihre Augen ein trauriges Schauspiel: — am Boden noch viele blutige Spuren, und der geliebte Baum entblättert und verletzt, neben ihm aber ein Grabhügel. Der Prinz rief, der Töpfer rief, die Töpferin rief: „O meine geliebte Braut! O mein teures Kind, mein einziges liebes Töchterchen! O wo bist du, lass dich sehen vor deinen unglücklichen Eltern!“ Aber nichts rührte sich, und ihre Verzweiflung war unbegrenzt. Die drei armen Unglücklichen sassen nun ganze Tage und begossen den Myrtenbaum mit ihren Tränen, und das ganze Land war bestürzt und traurig.

Unter solchen Schmerzen pflegten und warteten der Prinz und der Töpfer nebst seiner Frau den kranken Myrtenbaum aufs zärtlichste, und er begann wieder Zweige zu treiben, worüber sie sehr erfreut wurden, und er war schon wieder ganz hergestellt, nur fehlten ihm an dem Wipfel einige Blätter und an einem seiner beiden Hauptäste die äussersten fünf Sprossen und an dem andern vier, neben welchen der fünfte zu keimen anfing. Diesen fünften Spross beobachtete der Prinz alle Tage, und wie entzückt war er nicht, als er eines Morgens dieses Spross ganz erwachsen und den Ring, den er dem Myrtenfräulein gegeben, an demselben wie an einem Finger befestigt sah. Sein Entzücken war unbeschreiblich; denn er glaubte nun, das Myrtenfräulein müsse noch leben. In der nächsten Nacht fass er mit dem Töpfer und der Töpferin bei dem Baum, und sie flehten die Myrte so zärtlich um ein Lebenszeichen an, dass der Baum endlich zu säuseln begann und folgende Worte sang:

Habt Erbarmen,

An zwei Armen

Fehlen mir neun Fingerlein!

Lieber Prinz, in deinem Reiche

Wachsen jetzt neun Myrtenzweige,

Und sie sind mein Fleisch und Bein.

Habt Erbarmen,

Schafft mit Armen

Wieder die neun Fingerlein!

Der Prinz und die Eltern waren durch dies traurige Lied sehr gerührt, und der Prinz liess den andern Tag im ganzen Land bekanntmachen, wer ihm die schönsten Myrtenzweige bringe, den wolle er mit seiner königlichen Hand belohnen. Dieses kam auch zu den Ohren der Mordfräulein, welche die arme Myrte so schrecklich gemartert hatten, und sie waren sehr froh darüber; denn sie hatten die neun Finger des Myrtenfräuleins, jede den ihren, in einen Topf mit Erde vergraben, und es waren kleine Myrtensprosse daraus gewachsen. Sie putzten sich sogleich schön an und kamen eine nach der andern mit ihren Myrtenzweigen ins Schloss; denn sie glaubten, die Worte des Prinzen wollten so viel sagen, als er wolle die Überbringerin der schönsten Myrte heuraten. Der Prinz liess ihnen die Myrtenzweige abnehmen und versprach, ihnen seinerzeit Antwort sagen zu lassen; sie möchten sich nur zum Feste vorbereiten. Als er nun alle die neun Zweige neben den grossen Baum gestellt hatte, sprach die Stimme aus dem Baum:

Willkomm, willkomm, neun Zweiglein!

Willkomm, willkomm, neun Fingerlein!

Willkomm, willkomm, mein Fleisch und Bein!

Willkomm, willkomm, zum Topf herein!

Da begrub der Prinz die neun Zweige und die neun Finger unter die Myrte, welche noch denselben Tag die neun Fehlenden Sprossen trieb. Nun aber kam noch das jüngste Fräulein, welches nur die Haarlocke genommen und ihr den Ringfinger gelassen hatte, und warf sich dem Prinzen zu Füssen und sagte: Herr, ich habe keine Myrte und habe auch keine haben wollen, aber diese Locke gebe ich in deine Hand und bitte dich um eine Gnade.“ Der Prinz versprach sie ihr, und sie erzählte ihm, wie die ganze Mordtat geschehen sei, und bat ihn, er möge seinem entflohenen Kammerherrn verzeihen und sie mit demselben vermählen. Da gab ihr der Prinz einen Gnadenbrief für denselben, und sie lief zu ihm in den Wald, wo er sich in einen hohlen Baum versteckt hatte, in den sie ihm täglich zu essen gebracht. Der Kammerherr erfreute sich sehr über sein Glück und kam mit ihr wieder in die Stadt. Als aber der Prinz die Haarlocke auch vergraben hatte, sprach die Myrte:

Nun bin ich ganz

Im alten Glanz;

Bring mir den Kranz

Und führe mich zum Hochzeitstanz!

Da liess der Prinz ein grosses Fest vor allem Volke im Schlossgarten ansagen; da alles versammelt war, ward die Myrte unter einen Thronhimmel gestellt, und der schönste Blumenkranz, mit Gold durchwunden, ward ihr von dem Töpfer und der Töpferin aufgesetzt, und als dies kaum geschehen war, trat das Myrtenfräulein, wie die schönste Braut geschmückt, aus dem Baum hervor und ward von ihren Eltern, welche sie noch nie gesehen hatten, unter Freudentränen und dann von dem glücklichen Prinzen als seine Braut herzlich umarmt. Da standen die neun Mordfräulein wie auf heissen Kohlen; der Prinz aber sprach: „Was verdient der, welcher diesem Myrtenfräulein etwas zuleide tut?“ Und einer sagte da nach dem andern irgendeine harte Strafe her, und als die Frage an die neun Fräulein kam, sagten sie alle zusammen: „Dass ihn die Erde verschlinge und seine Hand aus der Erde wachse“; und kaum hatten sie es gesagt, als die Erde sie auch verschlang und über ihnen Fünffingerkraut hervorwuchs. Nun wurde die Hochzeit gehalten, und der Kammerherr hielt mit dem jüngsten Fräulein auch Hochzeit. Es schenkte dem Prinzen der Himmel auch bald ein kleines Myrtenprinzchen, das ward in der schönen Wiege des alten Töpfers gewiegt, und das ganze Land war froh und glücklich.

Der Myrtenbaum aber ward bald so stark und gross, dass man ihn ins freie Feld setzen musste. Da begehrte die Prinzessin Myrte, dass er bei die ehemalige Hütte ihrer Eltern gesetzt werde; das geschah auch, und die Hütte ward zu einem schönen Landhaus verändert, und endlich ward aus dem Myrtenbaum ein Myrtenwald, und die Enkel des Töpfers und seiner Frau spielten darin, und die beiden guten Leute wurden dort, wie sie gewünscht hatten, unter dem Myrtenbaum begraben. Der Prinz und das Myrtenfräulein ruhen wohl auch schon dort, wenn sie nicht mehr leben sollten, woran ich fast zweifle; denn es ist schon sehr lange her.

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