Читать книгу Pflanzenbrauch im Jahreslauf - Coco Burckhardt - Страница 11
DER RÜBENKOPF
ОглавлениеIn einer Zeit vor unserer Zeit wuchs ein junger Mann bei seiner Großmutter auf. Sie verlebten glückliche Tage, lachten viel, weinten selten. Er bestellte die Felder und versorgte die Tiere, sie erzählte viele Geschichten voller Weisheit und Wissen und konnte wunderbar kochen.
Die Jahre zogen ins Land, und die Großmutter spürte, dass sie bald die große Reise in eine andere Welt antreten würde. Sie hatte keine Angst zu sterben, der Tod erschien ihr nicht grausam, sondern viel mehr als ein nächster Schritt im großen Rad des Lebens. Ihr Leben war ein erfülltes, glückliches Leben gewesen, und so sprach sie an einem lauen Sommerabend zu ihrem Enkel: »Mein gutes Kind, sei nicht traurig, wenn ich sterbe, ein Teil von mir wird immer bei dir sein und dich trösten. Sei nicht ängstlich, alles, was ich dir beibringen konnte, hast du gelernt. Und brauchst du einmal einen Rat, so schicke ich dir Traumbilder, die dir helfen werden.«
Noch am selben Abend schloss die Großmutter für immer ihre Augen und entschlief mit einem glücklichen Lächeln auf dem Gesicht.
Der junge Mann vermisste seine Großmutter schon bald, oft dachte er an die Abende, als sie gemütlich beim prasselnden Feuer gesessen und sie ihm Geschichten erzählt hatte. Er tröstete sich mit dem Gedanken, dass seine Großmutter nun in der Leichtigkeit und dem Licht der anderen Welt wandelte. Um so mehr war er dann erstaunt, als er eines Novembernachts diesen seltsamen Traum hatte. Er träumte von seiner Großmutter. Eigentlich wirkte sie glücklich und zufrieden, doch ihre Augen waren voll Sehnsucht.
»Zum Vollmond im November kommt mein Geist der irdischen Welt so nahe, und ich erinnere mich an den Geschmack von gutem Essen. Nur ein Hauch, eine Idee – wie wäre das schön.« Mit diesen Worten erwachte der junge Mann am nächsten Morgen. Seine Großmutter hatte immer gerne gegessen, das war auch nicht zu übersehen gewesen, doch, dass ihr Geist, getrieben von der Sehnsucht nach gutem Essen, ihm im Traum erschienen war, wunderte den jungen Mann schon ein wenig. Er beschloss, zum nächsten Novembervollmond, wenn der Geist der Großmutter der irdischen Welt wieder nahekam, ihren Wunsch zu erfüllen und ein Schälchen mit Speisen bereitzustellen. Es würde nur ein Hauch, eine Idee sein – aber es wäre schön.
Der Winter hielt Einzug im Land und bedeckte die Welt mit seinem stillen weißen Kleid. Ihm folgte der Frühling mit Vogelgezwitscher und zartem Grün. Der Sommer brachte munteres Treiben und sorgloses Leben. Der Herbst kam mit buntem Laub und reifen Früchten und mit ihm rückte der November näher.
Der junge Mann hatte das Jahr über immer wieder darüber nachgedacht, welche Speisen er dem Geist der Großmutter in der Novembervollmondnacht hinstellen würde. Es sollte zum einen etwas sein, das die Großmutter zu ihren Lebzeiten gerne gegessen hatte, und zum anderen sollte es mehr als nur Essen sein.
Sie hatte ihm früher viel über die Geheimnisse der Natur und von der Bedeutung bestimmter Pflanzen erzählt. So beschloss er zur besagten Nacht, Apfel, Haselnuss und Dicke Bohne in ein Schälchen zu geben.
Der Apfelbaum war ein Tor zur Anderswelt, in der die Elfen und Geister lebten. Die meisten Pflanzen in der Anderswelt waren den sterblichen Menschen unbekannt, doch die Apfelbäume beider Welten waren in Erscheinung und Wesen einander Ebenbild.
Der Apfel sollte für den Geist der Großmutter ein Hauch – eine Idee der irdischen Speisen sein.
»Der Haselstrauch ist eine Pflanze der Fruchtbarkeit und Lebensenergie«, hatte die Großmutter zu ihren Lebzeiten den jungen Mann gelehrt. »Einen Haselstrauch kannst du so viel stutzen, wie du willst, er wird immer wiederkommen. Selbst eine abgeschnittene Rute ist so voller Lebensenergie, dass sie, in die Erde gesteckt, wieder austreiben und zu einem neuen Busch heranwachsen kann. Und nicht zu vergessen: Die Hasel beschützt das Leben der Menschen; nicht nur, weil ihre Früchte so nahrhaft sind und uns reichlich Kraft geben, einen langen Winter zu überstehen, sondern auch, weil sie die Dörfer und Höfe der Menschen mit dem undurchdringlichen Ring ihrer Hecke umgibt. Merk dir das gut, mein Sohn.«
So sollte die Haselnuss für den Geist der Großmutter ein Hauch – eine Idee der irdischen Lebenskraft sein.
Die Bohne stand für die Ewigkeit. Man konnte sie über Jahre hinweg lagern, ohne dass sie ihre Fähigkeit verlor zu keimen, um zu einer neuen Bohnenranke heranzuwachsen. Sie ähnelte einem Embryo, doch ihr Ausreifen bedeutete das Absterben der Bohnenranke. Sie war Beginn und Ende, Bild und Symbol für den ewigen Kreislauf des Lebens.
Die Bohne sollte dem Geist der Großmutter einen Hauch, eine Idee der Ewigkeit schenken; der Ewigkeit, die beide Welten miteinander verband.
Also begab es sich, dass der junge Mann in der Novembervollmondnacht ein Schälchen mit Apfel, Haselnüssen und Bohnen auf das Grab der Großmutter stellte, das im Schatten von zwei großen Eiben lag.
Es war eine typische Novembernacht mit Sturmwolken und Wind. Doch neben den für eine solche Nacht typischen Geräuschen an Hof und Haus, vernahm er noch andere Geräusche: Kichern, Heulen, Klopfen und Klappern. Doch er war zu müde, um der Sache nachzugehen und legte sich schlafen. Auch in dieser Nacht träumte er wieder von seiner Großmutter, und er träumte genau denselben Traum wie im Jahr zuvor. Wieder lag diese Sehnsucht in ihren Augen, und sie sprach: »Zum Vollmond im November kommt mein Geist der irdischen Welt so nahe, und ich erinnere mich an den Geschmack von gutem Essen. Nur ein Hauch, eine Idee – wie wäre das schön.«
Der junge Mann wusste nicht, was er falsch gemacht hatte, hatte er doch dem Geist der Großmutter besondere Speisen bereitgestellt, die auch am Morgen nicht mehr auf dem Tellerchen lagen. Aber wer außer seiner Großmutter konnte sie genommen haben? Er überlegte lange und suchte schließlich Rat bei der Weisen Frau des Dorfes.
»Bei der Wahl der Speisen hast du gut und weise entschieden. Doch nun erzähle mir genau von der Nacht. Ist dir irgendetwas komisch vorgekommen?« Der junge Mann erzählte der Alten von dem ungewöhnlichen Kichern, Heulen, Klopfen und Klappern, das er vor dem Schlafengehen gehört hatte.
»Aha, ich glaube hier liegen die Ursache und die Lösung des Problems. Von solchen Leckereien, wie du sie für den Geist deiner Großmutter bereitgestellt hast, werden zuweilen auch andere Wesen angezogen. Du musst bedenken, es war die Vollmondnacht im November, wenn die Grenzen zwischen unserer und der anderen Welt schwinden.« »Aber was sind das für andere Wesen?« wollte der junge Mann wissen. »Nun schwer zu sagen, wer sie genau sind. Meist aber sind es Unholde, freche Elfen und ruhelose Geister, die in dieser Nacht ihren Schabernack treiben. Und es kann gut sein, dass sie sich an den Speisen bedient haben, bevor es der Geist deiner Großmutter tun konnte.
Wenn du diese Wesen mit Apfel, Nuss und Bohne angelockt hast, musst du dir etwas überlegen, womit du sie auch vertreiben kannst, etwas das sie abschreckt.«
Der junge Mann dankte für den Rat und das Wissen der Alten und machte sich auf den Heimweg.
Er dachte lange nach, fast ein ganzes Jahr. Sah den Winter, den Frühling und den Sommer an sich vorbeiziehen.
Und dann, eines Herbsttages, kam ihm eine Idee. Er war gerade auf dem Feld, um die großen Rüben zu ernten, als ihm auffiel was für lustige »Köpfe« er da aus der Erde herausholte. Eine von ihnen hatte sogar eine kleine Auswölbung, die aussah wie eine Nase. Er malte sich aus, wie abschreckend die lustigen »Köpfe« aussehen könnten, wenn er gruselige Grimassen hineinschnitzen würde. Würde das die ungebetenen Besucher in der Novembervollmondnacht vertreiben? Einen Versuch war es wert. Am Vorabend dieser Nacht bereitete der junge Mann wieder ein Schälchen mit Apfel, Nuss und Dicken Bohnen vor, plazierte es auf dem Grab seiner Großmutter zwischen den beiden alten Eiben und stellte den Rübenkopfwächter dazu. Aus dem lustigen »Kopf« war ein gruseliges Grimassengesicht geworden, vor dem sich sogar der junge Mann fürchtete. Nun aber hatte er Bedenken, dass es dem Geist der Großmutter ganz ähnlich ergehen könnte und er sich aus Angst fernhalten würde. Deshalb gab er dem Rübenkopf die Anweisung, ihren Geist freundlich zu begrüßen und nur die Unholde, die frechen Elfen und ruhelosen Geister zu erschrecken.
Der junge Mann war sich nicht sicher, ob die Rübe seine Anweisungen verstanden hatte, doch er erinnerte sich an die Worte seiner Großmutter: »Das, was dir manchmal als unbelebte Natur erscheint, ist in Wirklichkeit voller Lebendigkeit. Pflanzen, Steine, sogar der Wind verstehen dich, sie haben Gefühle und Wissen ganz eigener Art.«
Er vertraute ihren Worten und vertraute dem Rübenkopf.
Lange in die Nacht hinein hatte der junge Mann gewacht. Weder Kichern noch Heulen, Klopfen oder Klappern war zu hören. Als er schließlich in den Schlaf fiel, träumte er von seiner Großmutter. Diesmal lag keine Sehnsucht in ihren Augen. Sie war vollkommen glücklich und zufrieden.
»Danke, mein gutes Kind. Nur ein Hauch, eine Idee, das war wunderschön.« So lauteten ihre Worte im Traum. Die Rübe hatte die Unholde, die frechen Elfen und ruhelosen Geister ferngehalten und den Geist der Großmutter willkommen geheißen.
Und so kam es, dass bald viele Menschen im Land dem Beispiel des jungen Mannes folgten und in der Vollmondnacht des Novembers, wenn sich die Grenzen zwischen den Welten lichten, einen Rübenkopf vors Haus stellten. Einen Rübenkopf mit einer gruseligen Grimasse, um die unerwünschten Gäste aus den anderen Welten fernzuhalten.
Gruselige Rübenköpfe
Es war lange Zeit schwer, Kohlrüben (Brassica napus) – wahlweise auch Zucker- oder Futterrüben – zu bekommen. Zum Glück hat sich dies geändert, und sie sind wieder in Bioläden oder bei manchen Bauern erhältlich. Es ist nur etwas mühsamer, da die Rübe zunächst ausgehöhlt werden muss. Das wird am besten mit einem Messer, mit dem ihr »spiralförmig« schneidet und schabt, bewerkstelligt. Phasenweise ist ein großer Löffel oder ein Stecheisen von Nutzen.
Das herausgeschabte Fleisch könnt ihr waschen und anschließend für den »Rübentopf« nutzen.
Rübeneintopf
Diverses Wurzelgemüse wie Kohlrübe, Karotte, Petersilienwurzel, Sellerie mit etwas Brühe zu einem Eintopf kochen.
Ein Rezept für 4 Personen:
Zutaten: »Rübeninhalt« einer mittleren Rübe, 1/4 Sellerie, 3-4 Karotten, 1 mittelgroße Pastinake, 1 mittelgroße Petersilienwurzel, 1/4 Lauch
•Gemüse kleinschneiden und in einen Topf geben, etwa 3-4 cm hoch mit Wasser bedecken
•Gemüse gut durchkochen und je nach Geschmack Brühpulver hinzugeben
Gruselrübenkekse
Aus einem Mürbeteig Plätzchen in Form von Rübenköpfen backen. Für eine Aktion im Kindergarten können die Kinder entweder das Gesicht mit Lebensmittelfarben oder Beerenzuckerguß (Heidelbeer-, Brombeer-, Holunderbeerensaft) aufmalen oder mit eurer Hilfe aus dem Teig herausschneiden (dazu sollten die Kekse aber eine gewisse Größe haben.)
Teig für 1-2 Bleche Kekse: 230g Butter, 250g Zucker, 2 Eier, 500g Mehl
»Grün sammeln«
Um sich zu vergegenwärtigen, wie viel »Grün« auch im Winter für uns da ist und um ein wenig »Botanikstudium« zu betreiben, könnt ihr durch den Wald und eure Umgebung ziehen, um das »Grün« zu sammeln, oder von den Kindergartenkindern von zu Hause mitbringen lassen (im Fall von Stechpalme und Buchs). Es ist eine kleine Bewusstseinsübung mit dem »Nebeneffekt«, dass ihr euren Lebensraum oder Bauwagenplatz mit dem Grün des Winters schmückt und gewiss nie daran zweifelt, dass das Leben in der Natur wiederkehren wird…