Читать книгу Verrat zwischen den Sternen - Axarabor Apex Band 6 - Sechs Romane in einem Band - Conrad Shepherd - Страница 6
25. Conrad Shepherd: PLANET IN FESSELN
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Über die Wüste tanzten Staubteufel, wirbelten empor, zerfaserten in den Inversionsschichten und verloren sich im Glast des Firmaments. Es war heiß; Felsen und Sand schienen unter den Strahlen der Sonne zu verbrennen.
Nirgendwo gab es Wasser in größeren Mengen. Nirgends Schatten.
Weit und breit schien kein Leben vorhanden zu ein – und dennoch existierte es ...
Unmerklich bewegte sich die Regra. Dreiundzwanzig Teile des Organismus streckten sich, die dreiundzwanzig Pseudopodien der anderen Körperseite bogen sich um wenige Millimeter nach oben. Ein dichter Flor von graugrünen und gelblichen Härchen bedeckten die wie Tentakel wirkenden Scheinfüße. Lediglich der Körperknoten in der Mitte war schwarz. Er absorbierte die Hitze, durch deren Wirkung der Turgor, der Gefäßdruck in dieser »lebenden« Pflanze, erhöht wurde und ihr so das »Laufen« ermöglichte.
Vor langer Zeit war bei bestimmten Pflanzengruppen auf dieser Welt ein Evolutionsschub eingetreten. Diejenigen, die nicht verkümmerten oder ausstarben, waren mobil geworden. Sie hatten die Fähigkeit erworben, sich von der Stelle zu bewegen.
Die Regra gehörte dieser Gruppe an.
An einem Platz, der ihr gerade bis zum ersten Reifen Lebensmöglichkeiten geboten hatte, war sie aufgewachsen. Nachdem ihr Wachstum die im Boden vorhandenen Ressourcen aufgebraucht hatte, machte sie sich auf den langen, gefahrvollen Weg, um zu überleben. Zu überleben an einem Ort, von dem ihr die feinen Sinneshärchen sagten, dass er feucht, nährstoffreich und schattig war.
Er lag in Richtung des periodischen Lichtaufganges.
Warum das so war, blieb der Regra verborgen. Sie besaß weder Intelligenz noch ein genetisch verankertes Erinnerungsvermögen, sondern war nur getrieben vom nackten Hunger nach Leben und den phototropischen und hydrotropischen Reaktionen in ihr, die sie zum Wandern veranlassten.
Sie ging auf die Stelle zu, wo das Licht am Himmel verschwand, um nach der kalten Nacht wieder aufzutauchen.
Langsam streckten sich die Gliedmaßen, langsam zogen sie sich wieder zusammen. Die Pflanze wanderte nur einige Handbreit in einem Zeitintervall, über dessen Dauer sie keine Vorstellung hatte. Vielleicht verdorrte sie, bevor sie die Barriere überwunden hatte, die den ausgedehnten Wüstengürtel gegen die nördlichen Kontinente abschottete. Aber vielleicht schaffte sie es, eine der winzigen Oasen in einer der sporadischen Bodensenken zu erreichen, ehe sie letztendlich doch noch von der Sonne verbrannt wurde.
Gleich ihr waren noch andere Pflanzen auf diesem Weg. Einzelgänger wie sie, die nicht weniger ums Überleben kämpften. Es gab kaum eine intakte Flora in dieser Einöde, nur tief im Erdreich verborgene Samen, die vielleicht aufgehen würden, wenn ununterbrochen Regen fiel – und wenn es Humusboden gäbe. Beide Voraussetzungen waren zurzeit nicht gegeben. Nicht Intelligenz oder Verstand waren die Parameter, die sie zum Laufen anregten, sondern eine Art Verzweiflung der Natur, die so einige Arten der Flora das Überleben sichern wollte.
Der Sand unter den haarigen »Füßen« der Regra glühte. Einige Büschel des Pelzes schoben sich zusammen und verhüllten die lichtempfindlichen Augenzellen, mit denen sie nicht wirklich »sehen« konnte; ihre visuellen Rezeptoren waren lediglich auf das Erkennen von Licht und Dunkelheit begrenzt.
Sie wanderte weiter und weiter.
Ohne zu denken.
Ohne zu leiden.
Sie würde mit diesem hoffnungslosen Marsch erst aufhören, wenn alle Reaktionen in ihr zu Ende waren.
Als die Sonne auf ihrem Weg zum Zenit mehrere Handbreit über dem Horizont stand, hatte die Regra den Kamm einer gewaltigen Düne erreicht, die die Wüste von einer weit unten liegenden Landschaft trennte. Dort herrschte emsige Geschäftigkeit. Doch das konnte die Regra nicht sehen, ihre visuellen Rezeptoren konnten eine derartige Unterscheidung nicht treffen.
Die Düne senkte sich auf der windabgewandten Seite, und der Sand bewegte sich immer dann, wenn der Boden bebte oder ein Sturm aufkam, hundert Meter oder weiter bis auf die Bodenfläche des Kessels in die Tiefe, bis er gegen ein scheinbar unsichtbares Hindernis stieß und dort zur Ruhe kam.
Die Pflanze erstarrte plötzlich.
Einige Sekunden verhielt sie sich so, als sei sie eingefroren worden. Dann begann sie sich zu schütteln und wie im Fieber zu zittern. In einem sehr frühen Stadium ihres Wachstums hatte sie mit der Bodennahrung den Rost zerfallener Metallkonstruktionen aufgenommen, wie alle anderen der photosynthetisierenden Organismen der Arm- und Wurzelfüßerarten auch.
Die mikroskopisch kleinen Eisenoxydfragmente hatten sich in ihrem pflanzlichen Gewebe verteilt. Jetzt reagierten diese und richteten ihre magnetischen Pole nach der Metallmasse aus, die über ihr erschien und in der Luft verharrte.
Unter der Pflanze begann der Sand zu rutschen. Zuerst ein wenig, dann mehr und mehr. Schließlich setzte sich der Hang zur Gänze in Bewegung. Die Regra verlor jeglichen Halt und schlitterte die Düne hinunter, während der metallene Körper wie drohend noch immer über ihr hing.
Plötzlich erschütterten hohe, schnelle Schwingungen die Luft. Aus dem Talkessel erklang ein kreischendes Heulen. Etwas Metallenes erhob sich auf einer Feuersäule, strebte nach oben und brachte die Tastempfindungen der eingelagerten Partikel in der Regra gänzlich durcheinander. Das Objekt über der Regra schwebte nach links. Das zweite Objekt kam von vorn aus dem Talkessel hoch, raste schnell heran, heulte immer infernalischer – dann verschmolzen die beiden Metallkörper.
Das Resultat dieser Verschmelzung war eine riesige Explosion.
Die Regra, deren sechsundvierzig Arme wild umherruderten, wurde von der Düne gefegt, rutschte den Hang hinunter, schoss in einer aufstiebenden Wolke über den Rand des Abbruchs und fiel das letzte Stück senkrecht hinunter. Ihre Eisenkern-Zellen beruhigten sich während des Falles; beide Eisenmassen existierten nicht mehr.
An ihrer Stelle gab es jetzt einen tiefen Krater im Dünenhang. Oval, an den Rändern tiefschwarz und in der Mitte glasig geschmolzen.
Die Regra schlug schwer am Fuß der rostroten Felsen auf. Sie war unversehrt. Sie setzte ihren Weg fort, kaum dass sich ihre sechsundvierzig Arme entwirrt hatten, die stammesgeschichtlich gesehen einmal Pfahlwurzeln gewesen waren.
Ihr war entgangen, dass sich während der Explosion aus dem aufblühenden Feuerorkan ein viel, viel kleinerer Metallkörper gelöst hatte und mit wahnwitzig hoher Geschwindigkeit im Glast des sonnendurchfluteten Himmels verschwand.
2.
Die Explosion im Holokubus verblasste. Die Projektion zeigte noch eine Weile die Datensequenzen aus dem Speicher der Blackbox, die ihren Weg vom Ausgangspunkt bis nach Talon markierten, ehe auch diese verblassten; an ihre Stelle trat das Analogon von Axarabor.
Niemand sprach.
Man wartete wohl auf eine Äußerung des Kapitäns.
Colonel Enno Rykher war groß und breitschultrig. Die hohe Stirn und die ausgeprägten Züge ließen eine gewisse ironische Überlegenheit erkennen, als amüsiere sich dieser Mann über alles, was ihm begegnete. Eine typische Eigenart der Menschen; Rykher stammte in direkter Linie von Axarabor ab. Die Falten um Mund und Nase bestätigten auf dem zweiten Blick, dass dieser Mann von den Jahren des Dienstes und der Bürde der Verantwortung als ehemaliger Kommandant in der Raumflotte von Axarabor geprägt war. Ein Dienst, der ihm neben seinem Amt als Kapitän des Forschungsraumers PENDORA auch noch die Verantwortung als Sektionsleiter über einen ausgedehnten Bereich der von Axarabor verwalteten Galaxis aufbürdete. Es war ein Amt mit vielfältigen Aufgaben und großen Visionen. Visionen, die sich vor allem damit beschäftigten, die im Raum verstreuten früheren Auswandererströme Terras zu lokalisieren und sie dem Imperium einzugliedern.
Jetzt stieß Rykher geräuschvoll den Atem aus und sah die Anwesenden der Reihe nach an. Mit ihm waren noch sechs weitere Personen im Raum – seine Crew, beziehungsweise seine Brücken-Offiziere –, die die Aufzeichnungen der Minidrohne zum ersten Mal in voller Länge gesehen hatten. Ihre Gesichter zeigten die widersprüchlichsten Gefühle.
»Wie lange ist das jetzt her?«, fragte Rykher schließlich und lehnte sich zurück.
Sie befanden sich in einem der Konferenzräume des Verwaltungsgebäudes von Talon Port. Der Raumhafen war auch Stützpunkt des Forschungskreuzers PENDORA.
Talon war die vierte Welt eines Fünf-Planeten-Systems, gelegen auf halber Strecke zwischen Axarabor und dem Rand dessen, was als Randsysteme des Reiches betrachtet wurde.
Beim Blick aus dem Panoramafenster waren die Korvetten, Leichter und Shuttles auf dem Vorfeld zu sehen. Etwas weiter draußen stand die PENDORA auf ihren Nullgravpolstern.
»Fünfzehn Stunden, seit uns die Brieftaube mit den Aufzeichnungen erreichte.« Die Antwort kam von Tore le Blanc, dem Zweiter Offizier und Navigator. Ein Mann mit einem gebräunten Gesicht, einem kräftigen Kinn und tiefblauen Augen unter einem Schopf schwarzer Haare, die er allerdings unter seinen Uniformmütze zu verbergen wusste.
Axaraborische Nachrichtendrohnen, die im Raumfahrerjargon als »Brieftauben« firmierten, waren nichts anderes als kleine, automatische Aufzeichnungsdrohnen, vollgepackt mit Nanomodulen und versehen jeweils mit einem extrem miniaturisierten Hypertriebwerk, das nicht größer als eine menschliche Faust war. Kein noch so effektiver Detektor eines möglichen Feindes war in der Lage, eine Brieftaube abzufangen; ihre Transitionsschocks waren vernachlässigbar gering beziehungsweise nicht vorhanden. Ihre Masse war zu klein für eine normale Erfassung und die Geschwindigkeit zu hoch für eine optische Entdeckung. Aufgrund ihrer immens hohen Beschleunigung konnte sie bereits wenige Sekunden nach ihrem Start nicht mehr entdeckt und zerstört werden. Sie waren als Notfallversicherungen an Bord eines jeden Raumschiffes der axaraborischen Flotte, ebenso in den unbemannten, vollkommen autark operierenden Aufklärungsdrohnen, die vor allem in den äußeren Raumquadranten des Imperiums zugange waren und nach den verlorenen Schäfchen der Menschheit Ausschau hielten.
»Welche Drohne haben wir verloren?«
»Eine Alpha-Eins. Nummer J5GOB-883«, ließ der Navigator verlauten. »Sie patrouillierte sehr weit draußen vor den Badlands.«
Rykher nickte und vergegenwärtigte sich wieder einmal, wie fern sie sich hier auf Talon von jeglicher Zivilisation befanden. Die Dimensionen konnten einen zum Erschauern bringen und waren rational nur schwer nachzuvollziehen.
Einem Sternenreisenden, der die Milchstraße aus einer extrem hohen Warte betrachtete, bot sich das Bild einer annähernd diskusförmigen Sternenwolke, die an den Rändern zu Spiralarme zerfaserte. Sie hatte in der Ekliptik einen Durchmesser von nahezu hunderttausend Lichtjahren und im Zentrum senkrecht zur Ebene knapp sechzehntausend Lichtjahren. Dicht gepackt mit Milliarden von Sternen, Sonnen aller Größen – kosmische Leuchtfeuer, nach denen sich jegliche Art von Raumreisen richteten. An den äußeren Rändern dünnte sich das Sternenaufkommen mehr und mehr aus, bis hin zur Ödnis der Spiralarme.
Die nächstgelegene Galaxis – Andromeda – war nur ein diffuser Lichtfleck und vorläufig unerreichbar für den Forscherdrang.
Als sich le Blanc leicht räusperte, stoppte Rykhers Gedankenflug und kehrte in die Gegenwart zurück.
»Das ist wirklich weit draußen, Major«, stimmte er seiner Nummer Zwei zu. »Ob sich je ein Forschungsschiff nach dort verirrt hat?« Seine Augen verengten sich kurz, dann wandte er sich an alle »Und? Was denkt ihr anderen über diesen Vorfall?«
»Es könnte sich um einen kriegerischen Akt gehandelt haben«, ließ sich Major Art Jagger vernehmen. Er war Rykhers Dritter Offizier, Ortungs- und Kommunikationsspezialist. Ein breitschultriger Mann von 35 Jahren, der wesentlich jünger wirkte mit seinem blonden, welligen Kopfschmuck. Jaggers Miene war die eines kompromisslosen Pessimisten, für den ein Glas stets halb leer war.
»Jemand anderer Ansicht?«, wollte Rykher wissen.
Es war Beta Lovell, die Schiffsärztin, die leicht die Hand hob. Sie war eine vierunddreißigjährige schlanke Frau von überwältigender Selbstsicherheit – nicht schön im landläufigen Sinn, aber bemerkenswert – mit schulterlangem, schwarzem Haar. Wenn sie sprach, sagte sie kaum etwas Unüberlegtes. Impulsivität war ein Fremdwort für sie, was Rykher in manchen Situationen hin und wieder bedauerte, manchmal sogar sehr. »Könnte es sich nicht um eine Verkettung unglücklicher Umstände handeln?«, gab sie ihre Bedenken Ausdruck. »Womöglich ein technischer Defekt der Sonde, der sie aus irgendeinem Grund explodieren ließ?«
Rykhers Miene verriet mit keiner Nuance, dass er dem Gedankengang der Wissenschaftlerin nicht viel Chancen zumaß. Er setzte zu einer Entgegnung an, doch Hikowa Ashikago kam ihm zuvor.
»Aber Beta!«, entgegnete der Chefingenieur und Herr über die Maschinen der PENDORA schärfer als beabsichtigt. »Die Annahme, dass die Sonde nicht vorsätzlich vernichtet wurde, können wir getrost zu den Akten legen.« Major Ashikago wirkte drahtig und zäh. Sein Alter war schwer zu schätzen, aber seine Dienstrolle wies ihn als Einundvierzigjährigen aus.
Beta Lovell hob leicht die Schultern. »War nur so eine Idee, Chief.«
»Noch weitere Wortmeldungen?« Enno Rykher blickte in die Runde. »Niemand? Na gut. Wir können wohl als gegeben annehmen, dass das Desaster mit Vorsatz herbeigeführt wurde. Jemand auf diesem Planeten hatte wohl etwas dagegen, von der Drohne gescannt zu werden.«
Der Colonel wandte sich an seinen Ersten Offizier. »Schon eine Vermutung, wer oder was als Verursacher in Frage käme, Eli?« Oberst Eli Jannik war über ein Meter achtzig groß, mehr als hundert Kilo schwer und hatte kühne Züge – ein eckiges, vorstehendes Kinn, und eine hohe, breite Stirn. Die schwarzen Augen verliehen ihm einen Ausdruck von Härte.
Der Oberst war Rykhers Stellvertreter – und der Enzige, von dem sich der Colonel duzen ließ, wenn es sich nicht gerade um eine offizielle Veranstaltung handelte. Jetzt sagte er: »Wir wissen zwar mit einiger Sicherheit, was dahinterstecken könnte, nämlich eine Rakete großen Kalibers, aber nicht, von wem sie auf unsere Drohne abgefeuert wurde. Die vollständige Auswertung des Speichers der Brieftaube wird erst in Kürze zur Verfügung stehen. Einen Anhaltspunkt haben wir jedoch schon bereits.«
»Ich höre?« Rykher wirkte ungeduldig.
»Ich denke – entschuldige einen Moment.« Im Hintergrund hatte sich eine Tür geöffnet.
Ein Techniker betrat den Konferenzraum. Er orientierte sich kurz und kam, einen Datenträger wie eine Trophäe in der Hand schwenkend, schnellen Schrittes auf Jannik zu. Der Erste nahm ihn in Empfang, wartete, bis sich die Tür wieder hinter dem Mann geschlossen hatte. Dann vergewisserte er sich mit einem schnellen Rundblick, dass er die uneingeschränkte Aufmerksamkeit aller hatte, ehe er erneut zu Sprechen begann.
»Der Flugdatenspeicher der Drohne war zu jedem Zeitpunkt aktiv und archivierte alle relevanten Parameter ihrer Reise durch die Sternenräume. Wir können also davon ausgehen, dass die Systeme fehlerfrei arbeiteten. Wir haben die Aufzeichnungen der Blackbox wieder und wieder geprüft, deshalb ist ...« Jannik wandte sich an die Ärztin … »eine Aneinanderreihung unglücklicher Umstände in der von Ihnen angedeuteten Form auszuschließen, Beta. Außerdem ...«
»Wir müssen also davon ausgehen, dass der Abschuss unserer Drohne absichtlich erfolgte?«, unterbrach Rykher den Redefluss seines Ersten Offiziers.
Jannik runzelte die Stirn. »Natürlich«, sagte er und schien etwas verstimmt über die Unterbrechung zu sein. »Habe ich das nicht klar gemacht?«
»Doch, doch, das hast du«, nickte Rykher und grinste kurz.
Eli Jannik warf ihm einen undeutbaren Blick zu. »Wie gesagt, eine endgültige Aussage darüber, wer hinter dem Angriff steckt, kann ich nicht machen, aber ich kann euch sehr wohl zeigen, was die Sonde zerstört hat. Ich habe die betreffende Sequenz noch einmal untersuchen lassen – und dies ist das Ergebnis.«
Jannik ließ den Datenträger in den Schlitz der Holoeinheit gleiten, nahm am Paneel einige Anpassungen vor. Dann sagte er: »Comp. Sequenzwiederholung der markierten Abschnitte. Einzelbild-Darstellung der letzten Sekunde vor dem Zusammenstoß.«
Das Hologramm baute sich abermals auf – und erneut nahm das Gestalt an, was sich auf diesem fernen Planeten zum Zeitpunkt des Angriffs auf die Drohne abgespielt hatte. Wie in einem Animationsfilm kamen die aufbereiteten Sequenzen des Geschehens zum Vorschein.
Enno Rykhers Augen verengten sich. Stirnrunzelnd blickte er auf das Holo. Aus der Überhöhung der Position der axaraborischen Aufklärungsdrohne war an der Spitze eines enormen Abgasschweifes ein langer, schlanker, rotglänzender Zylinder zu sehen. Glatte Wandungen, scharfe Bugsektion ohne irgendwelche Durchbrüche, kreuzförmige Stabilisierungsfinnen am Heck. Das Projektil näherte sich der Sonde – und traf innerhalb eines Lidschlages mit ihr zusammen.
Chief Ashikago pfiff überrascht durch die Zähne und beugte sich vor, nachdem die Elektronik die letzte Bildsequenz einfror. »Eindeutig eine Rakete großen Kalibers. Dort auf dem Planeten scheint es so etwas wie militärische Abwehrstellungen zu geben.« Der Asiate schwieg einen Moment, um dann fortzufahren: »Ich war schon immer der Meinung, dass wir unsere Alpha-Eins-Suchdrohnen mit einem effektiven Verteidigungssystem ausstatten sollten, um Ereignisse dieser Art von vornherein auszuschalten.«
»Und hätten vermutlich schon einige interplanetarische Kriege damit ausgelöst.« Rykher hob den Kopf und fixierte den Chefingenieur mit seinem Blick. »Aber abgesehen davon – dieses Thema ist seit Längerem dem CEO des Expeditionskorps auf Axarabor bekannt. Es wird sicher auch einmal geschehen. Nur wann das geschieht ...« Er hob die Schultern, eine Geste, die bedeutete, dass sich dieser Vorgang wohl noch eine ganze Weile hinziehen würde. Er wandte sich an le Blanc. »Wurden die Koordinaten des Planetensystems in der Blackbox festgehalten?«
»Aye, Kapitän.«
Im Holotank erschien ein Raumgitter. Hervorgehoben darin die Lage des betreffenden Systems, die Sternenkonstellationen für die Astrogatorhilfe, die Systemsonne und die kurzen Bahncharakteristika von acht Planeten. Die Nummer drei war die betreffende Welt, auf dem die Aufklärungsdrohne zu Schaden gekommen war. Die Informationen waren ausreichend, wenn auch nicht überwältigend groß.
Rykher, das Raumgitter nicht aus den Augen lassend, sagte halblaut und fast wie zu sich selbst: »Verdammt weit draußen im Nichts. Ob wir hier eine der verschollenen Kolonien vor uns haben?«
»Möglich ist es«, ließ Art Jagger verlauten. Der Kommunikations- und Ortungsspezialist war ein Mann mit sympathischen Lächeln und einer kammsparenden Igelfrisur. »Obwohl es nur eine äußerst vage Vermutung ist. Es kann sich aber auch um eine uns bisher unbekannte Alien-Population handeln, die in der Drohne einen Störenfried gesehen und sich ihrer entledigt hat.«
Für Sekunden herrschte Schweigen nach der Mutmaßung des Dritten Offiziers.
Dann sagte Rykher: »Wir werden uns vergewissern.«
Eli Jannik räusperte sich. »Und? Was hast du vor?«
Rykher lächelte dünn. »Was, glaubst du wohl, werde ich tun?«
»Wie ich dich kenne, wirst du dich nicht davon abhalten lassen, dem unbekannten System einen Besuch abzustatten. Was sonst!«
Der Colonel bestätigte mit einem Nicken. »Wie du weißt, ist es unsere Hauptaufgabe, Nachforschungen nach verschollenen Zivilisationen und oder anderen ungewöhnlichen Phänomenen anzustellen.« Nach kurzer Pause fügte er hinzu: »Es wird offensichtlich Zeit, dass dieses Ereignis dort draußen etwas näher in Augenschein genommen wird.«
»Meine Truppe ist bereit«, ließ sich Jannik hören. «Jeder Einzelne meiner Männer wäre erpicht darauf, für unsere Sicherheit zu sorgen. Und wie!«
»Ich weiß«, nickte Rykher. und lächelte leicht über den Eifer, den der I. O. an den Tag legte.
Zur Besatzung der PENDORA gehörten 40 hochtrainierte Raumsoldaten, die ihre Professionalität und Effizienz schon des Öfteren bei prekären Situationen unter Beweis gestellt hatten und die der Oberst mit Hilfe seines Oberleutnants Tom Hardt ständig im Trainingsmodus hielt.
»Ich würde mich«, meldete sich Beta Lovell zu Wort, »wäre ich an Ihrer Stelle, Kapitän, erst mit mit der Zentrale auf Axarabor in Verbindung setzen, dort mit jemanden sprechen und versuchen, ein Okay für das Unternehmen zu erhalten.«
»Sie nehmen mir das Wort förmlich aus dem Mund, Doktor Lovell«, sagte Rykher ohne Betonung. Als Zivilistin besaß Beta Lovell keinen militärischen Rang, aber sie hatte sich gleich zu Beginn ihres Dienstes auf der PENDORA mit ihrem Wissen und ihrer Kompetenz in medizinischen Fragen eine feste Position erobert. Jetzt stieg eine leichte Röte in ihr Gesicht, als Rykher fortfuhr: »Genau das sind meine primären Überlegungen. Ich werde beziehungsweise ich kann nichts ohne Zustimmung aus Axarabor unternehmen. Und ich werde jedes unnötige Risiko vermeiden.« Er schwieg einen Moment, um dann abschließend zu sagen: »Okay, das wäre es fürs Erste. Danke.«
Sie erhoben sich von ihren Plätzen und gingen nach draußen.
»Mister Jagger! Einen Augenblick.«
»Kapitän?« Der Kommunikationsoffizier drehte sich zu Rykher um.
»Begleiten Sie mich nach drüben.«
»Aye, Sir.«
Mit »drüben« war das Nervenzentrum von Talons Raumhafen gemeint.
»Ich brauche einen Kanal nach Axarabor mit dem Amt für Stellare Kolonisation. Die Zentrale muss darüber informiert werden, was dort draußen vorgefallen ist. Bereiten Sie außerdem die Übermittlung der Blackbox-Daten zum Zentralarchiv vor.«
»Aye, Kapitän.«
Der Kommunikationsbereich grenzte unmittelbar an den Konferenzraum, nur durch eine Doppeltür von diesem getrennt. Dahinter lag eines der Nervenzentren des Raumhafens von Talon. Dort standen die großen elektronischen Rechenanlagen und die Konsolen, mit denen Talon über Relaisketten Verbindung hielt zu den anderen Planeten des axaraborischen Imperiums und zu Axarabor selbst. Hektische Betriebsamkeit empfing den Colonel und seinen Dritten Offizier bei ihren Eintritt; hier wurde rund um die Uhr Dienst getan.
Art Jagger begab sich schnellen Schrittes zu den Übermittlungskonsolen, während Enno Rykher sich flüchtig umsah; die momentane Schicht bestand je zur Hälfte aus Roboter und menschlichen Technikern und Technikerinnen.
»Kapitän!« Jagger winkte ihm quer durch den Raum zu. »Hierher. Ihr Gespräch mit dem K-Amt.«
Enno Rykher setzte sich in den freien Sessel vor dem Terminal und tastete das Sensorfeld auf »Bereit«. Das Signal der Hyperfunkstrecke kam; nach dreißig Sekunden blickte ihn Sektorchef Kyr Norstrand vom Schirm herab an.
»Colonel Rykher.«
»Hallo, Direktor.«
»Was macht Talon?«
»Es geht so«, antwortete Rykher artig; die Begrüßungen mit Kyr Norstrand liefen stets nach dem gleichen Muster ab. Im Direktionsstab des Amtes für axaraborische Siedlungspolitik war er vor allem für die Nachforschungen über den Verbleib der sehr frühen terranischen Auswanderungsströme zuständig und damit Enno Rykhers unmittelbarer Vorgesetzter. Äußerlich glich er einem Menschen. Er war nahezu zwei Meter groß, mehr als hundert Kilo schwer und hatte kühne Züge – ein eckiges, vorstehendes Kinn, eine hohe, breite Stirn und große blaue Augen. Ein typischer Vertreter der Gattung Homo sapiens. Trotzdem war er nicht wirklich ein Mensch, er war ein Clione. Er hieß auch nicht Kyr Norstrand.
»Sie haben Neuigkeiten, Colonel?«
»Teils, teils, Direktor«, erwiderte Enno Rykher.
»Berichten Sie!« Die Stimme Norstrands hatte einen tiefen Bariton, so als käme sie aus einem riesigen Brustkorb. Das Lungenvolumen schien bei Clionen anders zu sein als bei Menschen, kam es Rykher flüchtig in den Sinn, ehe er in knappen, präzisen Worten berichtete, was sich in einer Distanz von mehreren hundert Lichtjahren von Talon entfernt am Rande der Badlands zugetragen hatte.
»Ist das dokumentiert?«
»Ist es, Direktor«, bestätigte der Colonel und winkte seinem Dritten Offizier zu, die Übertragung zu starten.
Die Daten aus der Brieftaube gingen als komprimierter Impuls über die Hyperfunkantennen hinaus. Auf der Statusleiste am unteren Rand des Schirmes flirrten in schneller Folge die Bestätigungen der einzelnen Relaisstationen, über die die Nachricht lief, bis nach knappen 15 Sekunden das Display das Ende der Übertragung anzeigte.
Kyr Norstrand bestätigte den Empfang. »Schon eine Idee, wer hinter diesem Vorfall stecken könnte?«, fragte er.
Enno Rykher verneinte. »Wie könnte ich – obwohl es schon einige Vermutungen gäbe, aber die zu äußern, wäre äußerst fragwürdig.«
Der Direktor nickte. »Sicher«, antwortete er, »sicher, Colonel.«
Leise sprach er mit jemanden außerhalb der visuellen Erfassung. Er nickte erst ein paarmal, dann schüttelte er exakt zweimal sein Cäsarenhaupt in einer verneinenden Geste. Das alles geschah wortlos, zumindest bewegte er nicht die Lippen, allerdings war bekannt, dass Clionen auch über eine Reihe anderer Verständigungsmittel verfügten. Dann wandte er sich wieder Enno Rykher zu.
»Sie werden also diesen Vorfall untersuchen, schätze ich.«
»Wenn ich Ihre Zustimmung erhalte, ja.«
»Die haben Sie selbstverständlich, Colonel Rykher.«
»Danke, Direktor.« Rykher schickte sich an, die Verbindung zu trennen.
Der Clione hielt ihn mit einer Handbewegung davon ab. »Warten Sie, Colonel. Bleiben Sie am Gerät. Ich melde mich in Kürze wieder.«
Auf dem Schirm blieb das Symbol Axarabors weiterhin sichtbar, was bedeutete, dass die Hyperfunkstrecke über die galaktische Relaiskette nach wie vor aufrechterhalten wurde.
Rykher lehnte sich zurück und betrachtete abwesend das Geschehen in der Nachrichtenzentrale. Was der Direktor wohl vorhatte ...
»Sir! Auch einen?«
Rykher sah zur Seite. Eine der Technikerinnen stand an einem Automaten, sah in seine Richtung und hob dabei ostentativ einen Becher in die Höhe. Erst jetzt wurde er gewahr, dass es überwältigend nach Kaffee roch.
Er nickte nachdrücklich. »Danke, ja. Bitte schwarz ohne alles.«
Der Kaffee war von einer Güte, die er einem Automaten nicht zugetraut hätte. Er hatte kaum den Becher geleert, als sich Kyr Norstrand erneut auf dem Schirm etablierte. Ohne Umschweife kam er zur Sache.
»Hören Sie, Colonel. Ein Flottenschlachtschiff, die Stolz von Axarabor, befindet sich auf einer semi-wissenschaftlichen Mission zwei Raumgradienten von den Koordinaten entfernt, in denen Ihr Ziel liegt. Sollten Sie in Schwierigkeiten geraten, rufen Sie sie. Man wird Ihnen zur Hilfe kommen. Einverstanden?«
»Selbstverständlich«, sagte Rykher mit Nachdruck. »Danke, Direktor.«
»Gut. Finden Sie heraus, was dort am Rande der Galaxis vor sich geht.«
Mit einer Handbewegung verabschiedete sich der Clione von dem Menschen.
Als der Bildschirm verblasste, schien es, als ob für einen ganz kurzen Moment Norstrands Gesicht auseinanderfließen wollte. Es war, als ob man hinter der Realität etwas anderes sehen könne; eine andere, bessere oder höher organisierte Wirklichkeitsform schien sich gestalten zu wollen. Doch dann, als Rykher mit den Augen zwinkerte, war der Spuk vorüber und er fragte sich, ob er von allen Erscheinungsformen des Clionen wohl jemals dessen richtige zu Gesicht bekommen würde.
3.
Mit der ihr eigenen Oszillation schob sich Forschungskreuzer PENDORA aus dem Hyperraum in die dreidimensionale Bezugswelt der Milchstraße. Als die Sterne erneut auf den Schirmen auftauchten, war eine Veränderung der Konstellationen mit bloßem Auge nicht feststellbar.
Es war der sechste Sprung seit dem Start von Talon. Für einen Moment schien die Stille mit den Händen greifbar, zumindest empfand es Enno Rykher so. Dann pulsierten Audiowarnungen durch die Gänge und Decks des Schiffes, und die Zentrale war erneut von ihren typischen Arbeitsgeräuschen erfüllt.
»Wir sind übergetreten, Sir«, verkündete der Pilot lakonisch. »Schiff ist im Normalraum.«
Der Colonel, leicht nach vorn gebeugt im Kontursessel sitzend, war ganz angespannte Konzentration, dennoch wirkte seine Miene ungerührt, als gäbe es nichts in diesem Universum, was ihn erschüttern könnte.
Seine Blicke glitten über die abgeschrägten, halbkreisförmigen Konsolen mit ihrem Kaleidoskop von Lichtern, Instrumenten, den Datensichtgeräten, Bildschirmen und Monitoren, die einen sinnverwirrenden Anblick für jeden boten, der zum ersten Mal die Zentrale eines Forschungskreuzers zu Gesicht bekam.
Der Hauptschirm zeigte das übliche Bild des Weltraums. Alle Schirme der normal optischen und elektronischen Raumüberwachung waren in Betrieb. Vom Halbrund des Frontschirmes leuchteten als dreidimensionale Projektion die Sterne dieses unbekannten Sektors. Tausende von Sonnen der unterschiedlichsten Größen füllten den Raum vor der PENDORA. Ihre Konstellationen schwangen sich als tiefenräumliches Muster über den Schirm, bildeten in Fahrtrichtung eine lang gestreckte Spirale, deren Ausläufer schließlich mit der Unendlichkeit des schwarzen Hintergrunds verschmolz.
Mit einem Zehntel der Lichtgeschwindigkeit bewegte sich der Forschungsraumer zwar recht schnell, aber das war eine kaum wahrnehmbare Bewegung vor der sternübersäten Kulisse des Alls.
Rykher bewegte sich in seinem Sessel.
»Voller Stopp, Mister Gard!«
»Aye, Sir.«
Leutnant Gerry Gard, der Pilot, brachte die PENDORA unverzüglich zum Halt.
In der Tiefe der Antriebssektion, Chief Ashikagos Heiligtum, wurden die Aggregate auf Bereitschaft heruntergefahren.
Scheinbar antriebslos schwebte die PENDORA im Weltall.
Was nicht ganz zutreffend war.
In Wirklichkeit griff der Hauptrechner – die KI Laurin – ständig mit minimalen Korrekturen ein, wann immer die Gravitationskräfte ferner Sonnen oder winziger Schwerkraftanomalien am Schiff zerrten und es von seiner Position abzudriften drohte.
Colonel Rykher studierte den Frontschirm und die in ihn hineinprojizierten Datensätze.
Sensorische Signale wisperten aus den Tonphasen, während die offenen Scanner den umgebenden Raum durchforsteten und die Zentrale fortwährend mit Daten und Informationen versorgten.
Rechts von ihm saß sein I. O., Eli Jannik, vor seiner Konsole. Dahinter, am anderen Ende des bogenförmigen Leitstandes, ließ Ortungsoffizer Art Jagger seine Systeme nicht aus den Augen.
Ron Morava assistierte ihm. Der Funktechniker gehörte bereits seit der Indienststellung der PENDORA zur Basismannschaft.
Enno Rykher fuhr seinen Gliedersessel etwas in den Schienen zurück und stemmte den linken Fuß auf die Raste.
»Statusbericht, Nummer Eins!«
»Alle Systeme okay, Skipper«, meldete sich der Erste Offizier.
Oberst Eli Jannik war der Einzige an Bord der PENDORA, der den Kommandanten hin und wieder »Skipper« nannte – und es auch straflos durfte. Aus welchen Gründen auch immer.
»Ausgezeichnet«, brachte Rykher seine Genugtuung zum Ausdruck. »Mister Jagger?«
Der Kopf des Dritten Offiziers und Ortungsspezialisten wandte sich ihm zu.
»Sir?«
»Irgendwelche Anzeichen in der näheren Umgebung, worüber wir uns Sorgen machen müssten?«
»Nein, Sir. Weit und breit ist nichts zu erkennen. Wir sind sozusagen allein im Revier.«
Rykher räusperte sich. »Was ist mit den Frequenzen, Nummer Drei?«
»Sind leer, Kommandant.«
»Ausgezeichnet«, zeigte sich Enno Rykher zufrieden. »Halten Sie die Kanäle schön im Auge. Sollten Sie dort draußen auch nur ein Flüstern hören, möchte ich das augenblicklich wissen.«
»Aye, Kapitän.«
Rykher widmete sich wieder der sternengesprenkelten Schwärze auf dem Hauptschirm; jede Sonne war nur ein Lichtfunke unter Abermillionen anderer Funken.
Ganz unten in der rechten Ecke des leicht konkav gewölbten Karrees glänzte die Sonne eines Systems, das neun Planeten aufwies.
Ihr Ziel.
Rykher betätigte einen Kontakt.
Die KI der PENDORA platzierte das System in die Mitte des Frontschirmes. Jetzt zeigte der Schirm die Himmelskörper in der Ebene ihrer Umlaufbahnen mit der Sonne im Mittelpunkt.
Noch während er Einzelheiten zu erkennen suchte, glaubte Rykher einen kurzen Impuls zu sehen, der aber sofort wieder verschwand, obwohl er eine chromatische Spur auf dem Hauptschirm hinterließ. Eine winzige Kratzspur nur, die von einem Bewegungsimpuls herrühren konnte, der eine Richtung aus dem System heraus genommen zu haben schien.
»Was war das?«, fragte Rykher mit scharfer Stimme. »Hat das jemand gesehen?«
Einer der Orter hob die Hand. »Ich, Sir«, sagte er zögernd.
»Und was haben Sie gesehen, Leutnant Katsus?«
»Ich konnte auf dem Massetaster einen Impuls feststellen. Aber ich konnte ihn wegen der winzig kurzen Zeitspanne nicht exakt lokalisieren, auch nicht erkennen, was er genau darstellte. Doch er kam eindeutig aus dem System vor uns.«
»Sind Sie ganz sicher«, fragte Rykher, »dass der Impuls auf dem Massetaster keine Hyperraumerschütterung war?«
»Sie meinen, Sir, ob es sich um einen Transitionsvorgang gehandelt haben könnte?«
Rykher bejahte. »Könnte es sich um ein Schiff gehandelt haben, das uns womöglich entdeckt hat?«
Die Antwort des Ortungstechnikers kam sofort.
»Die Detektoren haben nichts Relevantes gefunden, Sir. Es fehlten die Rückstände von Triebwerksemissionen. Wenn da etwas war, können es unsere Sensoren jedenfalls jetzt nicht mehr feststellen.«
Rykhers Stirn runzelte sich. Er wog Fakten und Vermutungen gegeneinander ab.
»Wir haben die Daten aus der Blackbox der zerstörten Drohne«, sagte er, »die eindeutig beweisen, dass sich auf der dritten Welt dieses Systems etwas befinden muss. Kam der Impuls von dort? Und wenn ja – was haben wir da gesehen? Ein Raumschiff, das sich vor eine Entdeckung durch andere – in diesem Fall durch uns – aus dem Staub gemacht hat? Und wenn es eines war, könnten da nicht mehrere sein? Wie viele? Vielleicht eine ganze Flotte. Haben wir gar in ein Wespennest gestochen, in ein Nest voller Aliens möglicherweise?«
Eine gewisse Unruhe unter der Besatzung ließ sich nicht leugnen.
Rykher gab sich einen Ruck. »Ich habe kein gutes Gefühl«, sagte er laut. »Laurin?«
»Ich erwarte Ihre Anordnung, Sir«, antwortete die KI des Raumkreuzers.
»Schilde aktivieren. Sofort!«
»Ist geschehen, Sir.«
Drei hintereinander gestaffelte Schutzschirme hüllten die PENDORA ein. Diese aufzubrechen, würde die komplette Bewaffnung eines Armada-Schlachtkreuzer der axaraborischen Hauptflotte erfordern.
Die PENDORA nahm auf einen Befehl des Kommandanten wieder Fahrt auf.
»Wie gehen wir vor, Skipper?«
Eli Jannik hatte seinen Platz rechts neben Rykhers.
»Standardprogramm für unbekannte Systeme«, beantwortete der Kapitän die Frage seines Ersten Offiziers. »Sehr überlegt – also vorsichtig.«
»Aye, Sir.« Eli Jannik vergriff sich ein Grinsen.
Während die PENDORA schräg zur Planetenekliptik in das unbekannte Sonnensystem einflog, verfolgte der Colonel die Annäherung auf dem Hauptschirm. Vor dem Raumkreuzer schob sich der Neunte, der sonnenfernste Planet des Systems ins Sichtfeld des Hauptschirmes. Er war zur Hälfte von seiner Sonne angestrahlt und reflektierte deren Licht trotz seiner Entfernung vom Zentralgestirn extrem hell; ein Eisriese aus gefrostetem Kohlendioxid. Absolut ohne Leben. Auch Nummer acht und sieben lagen unter kilometerdicken Eispanzern. Diese drei Umläufer zogen ihre einsamen Bahnen weit außerhalb der habitablen Zone. Die zwei innersten Planeten waren Gluthöllen und absolut ungeeignet, Leben zu tragen.
Rykher fragte: »Schiffsverkehr im System vorhanden?«
»Nichts, Kommandant«, meldete die Ortung.
»In Ordnung!«
Die PENDORA drang tiefer in das System ein. Nummer sechs wurde größer. Die Sensoren stellten nur Spuren einer Atmosphäre fest. Der Planet war tot, wenn er überhaupt je Leben getragen hatte. Wasserlos. Unbewohnt. Die Instrumente holten die Oberfläche heran. Keine Anzeichen einer Besiedlung waren zu erkennen. Kein Hinweis auf einen möglichen Energieverbrauch. Früher vorhandene Wasseradern waren leer und nichts anderes als vage Schattenlinien in einer graugelben Oberfläche. Hin und wieder erhoben sich Staubwirbel, strichen über die tote Welt. Verlassenheit und Leere waren das kennzeichnende Merkmal dieses Planeten.
»Die nächste Welt«, ordnete Rykher an.
Die KI leitete den Anflug ein.
Nummer fünf tauchte jetzt aus dem Gewimmel der Sterne auf, wurde deutlicher und größer. Mit der Sonne im Rücken näherte sich der Forschungskreuzer der im vollen Licht liegenden Hemisphäre. Von Minute zu Minute zeichneten sich mehr Einzelheiten ab. Die PENDORA verringerte ihre Geschwindigkeit und richtete sämtliche Aufklärungssysteme auf den Planeten. Bei ihm war die Lufthülle noch halbwegs intakt. Die Oberfläche weniger. Eine verwüstete Landschaft verbreitete nichts als Trostlosigkeit.
»Lebenszeichen?«
»Negativ«, antwortete die KI auf die Frage des Kommandanten.
»Auf zur Nummer vier!«, ordnete Rykher an. Er wirkte mehr und mehr ungeduldig – und vor allem nachdenklich.
Der I. O. stieß einen kehligen Laut aus. »Diese Welt wird ebenso ernüchternd sein«, gab er zu verstehen.
»Ich befürchte es fast«, erwiderte der Colonel mit gerunzelter Stirn.
4.
Die PENDORA änderte ihre Richtung. Nummer vier bewegte sich zu dem Zeitpunkt auf der entgegengesetzten Seite der Sonne. Trotzdem dauerte es nicht lange – und etwa die gleiche Situation wiederholte sich. Ein Planet ohne Leben, das war die vierte Welt. Sowohl die sonnenhelle als auch die nachtdunkle Hemisphäre waren leer und verwüstet. Hügelrücken und tiefe Täler, dann eine schier endlose Ebene die sicher einst ein Meer gewesen sein mussten. Gelb und grau, weiß und bräunlich, das waren die vorherrschenden Farben. Langsam glitt die PENDORA hoch über der Oberfläche dahin und suchte nach Anzeichen von biologischem Leben.
Es wurde zu einer vergeblichen Suche.
Zunächst sah man keinerlei Vegetation, nicht einen Baum oder eine größere Ansammlung von pflanzlichem Bewuchs. Dann tauchte am Horizont ein Bergrücken auf und schob sich schräg nach vorn. Dahinter öffnete sich eine weite Ebene, die nahezu ein Achtel der Planetenoberfläche beanspruchte. Und hier gab es die ersten Hinweise für eine Zivilisation.
Unruhe entstand in der Zentrale. Alle Augen starrten auf die Schirme.
Die KI holte mehr und mehr Einzelheiten aus der Monotonie einer Einöde heraus.
Man erkannte die Einschnitte früherer Straßen, einige große, zusammengestürzte Brücken, die sich über ausgetrocknete Flussläufe spannten, in denen dunkelbraune Flechtenteppiche wucherten. Eine fast greifbare Ausstrahlung von Einsamkeit, von Verlassenheit ging von den Bildern aus.
Dennoch – nirgendwo Leben.
Entlang eines einstigen Stromufers zeichneten sich eine Reihe von großen und kleineren Kratern ab. Sie lagen in den schräg einfallenden Sonnenstrahlen, ihre Ränder warfen scharf abgegrenzte Schatten. Einige der Krater boten den Anblick, als seien sie jüngeren Datums; sie durchschnitten die leicht gerundeten Ringwälle der älteren. Es war ein Anblick wie von der Oberfläche eines atmosphärelosen Mondes, der Tausende von Jahren einem unaufhörlichen Bombardement von Meteoren und Sternentrümmern aus dem All ausgesetzt gewesen war.
Aber dies ... dies waren keine Meteoriteneinschläge!
»Nachweislich auch nicht das Ergebnis vulkanischer Tätigkeiten des Planetenkerns«, beantwortete die KI Rykhers diesbezügliche Einlassung. »Diese Welt ist geologisch zu alt, um noch eine derartige Anzahl subplanetarischer Aktivitäten zu zeigen.«
»Was dann?«, ließ sich Eli Jannik zu der Frage hinreißen.
»Eine kriegerische Auseinandersetzung«, verkündete die KI mit der ihr eigenen Emotionslosigkeit. »Hier hat ein mit Waffengewalt ausgetragener Konflikt stattgefunden. Sehen Sie selbst.«
Die KI transferierte eine neue Ansicht auf den Hauptschirm.
Eine Ebene war zu sehen, auf der sich Gebäudereste abzeichneten. Die hohen, schlanken Bauwerke waren zerbrochen und zersplittert. Metallene Skelette oder Trägerkonstruktionen aus einem entsprechenden Material strebten in den fahlgelben Himmel. Sandfahnen wirbelten über Ruinenfelder und Schutthügel. Langsam glitt die zerfallene Stadt, deren Ruinen sogar noch die Spuren von Einschlägen trugen, unter dem Forschungskreuzer vorbei.
»Dies sind Gebäudestrukturen, wie Humanoide sie für ihr Lebensumfeld bevorzugten«, ließ Art Jagger verlauten. Danach herrschte wieder Stille in der Zentrale.
Auf ihrem Weiterflug geriet die PENDORA in den Einflussbereich einer riesigen Staubwolke, die in mehreren Schichten über der Landschaft schwebte und das Sonnenlicht noch mehr filterte, als es die staubige Atmosphäre ohnehin schon tat. Es war Sand und feinster Staub, den die stürmischen Winde hochgerissen und innerhalb der Inversionsschichten verteilt hatten. Mehrere hundert Quadratkilometer waren diese Sandwolken ausgedehnt, und sie faserten sich in den obersten Regionen der Atmosphäre auf. In Fallwinden sanken die Staubmassen wieder zurück auf den Planeten, wo sie wie dickflüssiger Regen alles unter sich erstickten.
»Ist wirklich überhaupt keine Verwendung von aktiver Energie feststellbar?«, erkundigte sich der Kapitän.
»Keine«, kam es von der Ortung.
»Auch keine unter Dämpfungsfeldern versteckte?«
»Negativ, Sir!«
»Suchen wir weiter«, ordnete Rykher an.
Im immer düster werdenden Tageslicht erblickten sie nach einer Weile eine zweite Stadt.
Ein Komplex, dessen Ausdehnung sich über ein Viertel des Sichtfeldes erstreckte. Einstmals sicher eine gewaltige Stadt. Jetzt nur noch eine Ansammlung riesiger Ruinenfelder. Der Forschungsraumer ließ sie hinter sich.
Eine andere urbane Anlage, einstmals kreisrund, schälte sich aus der halben Dämmerung, die durch die immense Masse Staub und Sand in der Atmosphäre verursacht wurde. Sporadisch ragten aus den Dünen und Sandflächen, dem Geröll und den endlosen Trümmerfeldern abgestorbene Bäume heraus – zumindest deren Reste. Alles war mit einer dicken Schicht Asche und dem allgegenwärtigen Staub bedeckt. Die Schattenmuster zeichneten deutliche Spuren in das leere Chaos aus Zerstörung und Vernichtung.
Auch hier würde die PENDORA kein Leben finden; schließlich waren seit der Zerstörung dieser Zivilisation vermutlich hunderte von Zeitperioden vergangen.
»Widmen wir uns dem eigentlichen Ziel unserer Expedition«, ließ Rykher verlauten. »Auf zur Nummer drei.«
Der Forschungskreuzer peilte den dritten Umläufer dieses Systems an. Jenen Planeten, über dem die Aufklärungsdrohne Alpha-Eins J5GOB-883 abgeschossen worden war.
Und als die Detektoren während des Fluges den Planeten in ihren Erfassungsbereich bekamen, schlugen sie Alarm.
Auf dem Zielplaneten wurde Energie verbraucht! Zwar keine gewaltigen Mengen, wie es eine prosperierende, planetenweit umspannende Zivilisation hätte verursachen müssen, aber genügend starke, um entsprechende Echos auf den Detektorschirmen zu generieren.
Unruhe entstand in der Zentrale.
Also doch!
Dieser Flug war ein Flug der Überraschungen. Vermutlich, assoziierte Rykher die Daten mit seinen Überlegungen, hatten sich die Bewohner der vierten Welt auf diesen Planeten im Innern des Systems geflüchtet. Und lebten vielleicht noch dort?
Keine voreiligen Schlüsse, rief er sich selbst zur Ordnung.
»Laurin! Schiff in Alarmbereitschaft versetzen!«
»Schon geschehen, Kapitän«, erwiderte die KI.
In der Zentrale waren alle Augen auf die Kontrollschirme gerichtet; Planet Nummer drei tauchte aus dem Gewimmel der umgebenden Sterne auf; er war von mehreren kleineren Himmelskörper umgeben: kleinen Monden oder großen Asteroiden. Die KI legte sich da nicht fest. Einer der inneren Monde glänzte sogar mit einer dichten Atmosphäre.
»Noch nichts zu erkennen außer den Energiesignaturen?«, wollte der Colonel wissen.
Sei noch zu früh, wurde ihm von der Ortung bedeutet.
Der I. O. warf einen schnellen Blick auf den Kommandanten; er forschte nach der gleichen Anspannung, wie er sie verspürte. Doch Eli Jannik hatte Pech. Die Miene des Kommandanten verriet nichts von dem, was den hoch qualifizierten Raumschiffer berührte. Er konzentrierte sich ganz auf die Bilder des Frontschirms.
Dann schwebte der Planet unter ihnen.
Die Nachtseite verschmolz mit dem Hintergrund des sternenerfüllten Raumes, lediglich die scharfe Trennungslinie vom diffusen Sternenlicht zur absoluten Düsternis ließ die Planetenkrümmung erahnen; die Tagseite war eine schmale Sichel mit grellem Albedo. Der stete Strom eintreffender Daten präsentierte der Besatzung in der Zentrale der PENDORA eine vollständige telemetrische Darstellung eines Annährungskorridors. Die KI führte einige Anpassungen durch und steuerte den Forschungskreuzer in eine niedrige Umlaufbahn; alle Parameter waren im grünen Bereich, ebenso das Anflugsprofil. Schnell näherte er sich dem Terminator in Richtung Tag.
Der zuständige Techniker hinter der Konsole meldete die Systeme positiv, Sensoren und Sichtanzeigen aktiviert.
»Auf den Schirm!«, kam der Befehl des Kommandanten.
Das visuelle Bild stabilisierte sich.
Erste Eindrücke huschten über den Hauptschirm; Staubschleier zogen durch die dünnen, oberen Luftschichten. Tief unten schuf ein brodelnder Orkan ein eng begrenztes Inferno.
Die Entfernungsparameter auf den Kontrollschirmen verringerten sich, je mehr sich die PENDORA der Planetenoberfläche näherte. An der Grenze Weltraum und Lufthülle ging sie in einen Orbit über.
Die Ortung initiierte und überwachte die Durchführung eines Suchmusters. Elektronische Finger tasteten nach weiteren Spuren von Energiereflexionen.
Rasch kam nacheinander ein Strom gebündelter Messwerte durch. Die ermittelten Werte wurden von den Computern der Ortungszentrale aufbereitet und gespeichert.
Dann ging der Forschungskreuzer noch tiefer.
Jetzt sagte Rykher, und seine Stimme klang aufreizend ruhig:
»Mister Jagger!«
Der Kopf des Dritten Offiziers und Ortungsspezialisten wandte sich ihm zu.
»Sir?«
»Alles klar mit den Sonden.«
»Positiv, Kommandant.«
»Gut. Starten Sie die Operation Auge.«
Art Jagger tastete einen Kontakt.
»Sondenausstoß aktiviert.«
»Raus mit ihnen!«, nickte Rykher.
Ein Schwarm winziger Robotsonden, jede einzelne autark und vollgestopft mit Nanotechnologie, verließ die Abschussköcher in der Außenhülle der PENDORA und jagte davon, hinunter auf den Planeten. Sie sollten eventuelle Aktivitäten auf der Oberfläche rund um den Planeten an den Forschungskreuzer übermitteln.
Rykher verfolgte den Flug der Fernerkunder einen Augenblick auf dem segmentierten Hauptschirm, auf dem eine Dreihundertsechziggraddarstellung des Planeten zu sehen war, dann wandte er sich erneut an seinen Dritten Offizier.
»Geben Sie mir ein Komplettbild der Oberfläche, Mister Jagger.«
Planet drei war eine Trockenwelt aus hoch aufragenden Bergen, tiefen Schluchten und weiten Hochebenen, die von Winden glatt geschliffen waren.
Verlassenheit, Leere, Einöde ... Diese Vergleiche assoziierte Enno Rykher ohne zu wissen, wie schnell er diese relativieren sollte.
In einer Höhe von fünfzig Klix verharrte die PENDORA über einer großen Ebene; die Taster hatten hier die größte Konzentration von Energie angemessen. Nur die Quelle konnte nicht exakt bestimmt werden.
Die Schirme zeigten das aufbereitete, vergrößerte Bild einer von Kratern übersäten Landschaft. Es existierten unzählige davon in allen denkbaren Größen. Dieser Teil der Planetenoberfläche schien die Summe aller bisher gemachten Entdeckungen in diesem System zu sein: hier war die Zerstörung am größten und deutlichsten.
Plötzlich gab der Bodenorter ein Signal.
»Achtung«, ließ sich die Stimme des zuständige Technikers vernehmen. »Reflexionskontakt auf Null-Vier-Null-Sechs.«
Major Jagger zentrierte das Reflexionsobjekt auf seinen eigenen Schirm. »Habe es, Leutnant Daroll.«
Eine Datenzeile generierte die Entfernungsangaben.
Die Teilvergrößerung zeigte Details.
Innerhalb von Sekunden hatten die Rechner genügend Daten für die Verarbeitung gesammelt und ein Bild stabilisierte sich unter dem Raster des Schirmes. Und plötzlich schien die Hölle ausgebrochen zu sein.
Durch die Atmosphäre fegten Geschosse mit langen, weißen Heckschweifen. Auf dem Boden bewegten sich, enorme Staubfahnen aufwirbelnd, metallene Kolosse aufeinander zu. Und zwischen den fliegenden, kriechenden und springenden kleineren Maschinen blitzten die Abschüsse von Geschützbatterien.
In der Ortungszentrale der PENDORA schlugen die Skalen wie wild aus. Die Kurven der Hyperoszilloskope bewegten sich ununterbrochen zwischen den Maxima hin und her.
»Ein Krieg. Dort unten findet eine Auseinandersetzung statt!«, ließ jemand verlauten. »Sie kämpfen miteinander!«
»Wohl eher gegeneinander« relativierte Art Jagger den Mann.
»Genau«, ließ sich ein anderer hören. »Sie schlachten sich ab, diese wahnsinnigen Narren. Sie vernichten auch noch den letzten Funken Leben auf diesem Planeten.«
Eli Jannik wandte sich an seinen Kapitän.
»Wir sollten nach unten gehen und uns über die Gemengelage informieren.«
Enno Rykher runzelte die Stirn, als ihm der I. O. sein Vorhaben vortrug.
»Könnte ein Risiko sein«, gab er zu bedenken.
»Warst es nicht du, der herausfinden wollte, was unserer Aufklärungsdrohne zugestoßen ist?«
»Das war ich. Nur ...« Der Colonel wurde unterbrochen.
Ein Alarm schrillte und ein Orterschirm zeigte an, dass sich etwas dem Forschungskreuzer näherte.
»Achtung!«, meldete sich die KI mit ihrer artikulationslosen Stimme. »Mehrere autarke Energiesysteme. Kommen näher. Auftreffzeitpunkt in ...« Laurin nannte den Zeitindex.
»Roter Alarm!«, ertönte Colonel Rykhers laute Stimme »Alle Mann auf die Stationen.« Mit zusammengekniffenen Augen starrte er auf den Frontschirm, der ihm das sich nähernde Ereignis in aller Deutlichkeit zeigte.
Mehrere schlanke Flugobjekte näherten sich dem Forschungskreuzer. Sie waren winzig im Vergleich zu der Masse der PENDORA, die wie ein dunkler Bote aus den Tiefen des Alls über der Szenerie in ihrem niedrigen Orbit dahinglitt.
Vier längliche Zylinder. Glatte Wandungen, scharfe Bugsektionen ohne irgendwelche Durchbrüche, kreuzförmige Stabilisierungsflächen am Heck – sonst nichts.
Raketen!
»Herrje!« Die Nummer Zwei setzte sich kerzengerade auf. »Ich glaube das jetzt nicht!«
»Was glauben Sie nicht, Mister le Blanc?« Die Stimme des Colonels war ein wenig lauter als sonst.
»Aber Sir! Das Nonplusultra axaraborischer Waffentechnologie wird mit primitiven Flüssigkeitsraketen angegriffen, deren Antrieb auf dem Verbrennen eines Plasmamediums basiert! Was soll man davon halten?« Der Zweite Offizier unterdrückte nur mit Mühe eine Gemütsbewegung, die man durchaus als Lachen bezeichnen konnte.
Auf den Schirmen wurden die Raketen größer.
Der Pulk hatte den Forschungskreuzer fast erreicht, als blau leuchtende Strahlbahnen aus der backbordseitigen Geschützbatterie nach den Projektilen griffen. In einem einzigen Aufzucken, das so schnell erfolgte, dass kein biologisches Sehorgan mitkam, zerriss eine gewaltige Explosion den Raketenpulk. Ein glühender Feuerball dehnte sich vor der PENDORA aus, eine flammende, kochende Masse aus brennendem Plasma, die sich mit unglaublicher Schnelligkeit ausdehnte und auflöste.
Die KI Laurin hatte – wie stets – in Nanosekunden auf die Bedrohung reagiert.
Rykher sah die Blicke seines I. O. auf sich gerichtet.
»Und? Hast du es dir überlegt?«
Eli Janniks Augen blickten durchdringend.
»Du meinst, die Geschehnissen dort unten näher in Augenschein nehmen zu lassen?«
»Genau das meine ich.«
Für einige Augenblicke herrschte Schweigen. Was den I. O. dazu veranlasste, noch eindringlicher zu insistieren.
»Wir sollten wirklich hinunter und uns umsehen«, betonte er mit Nachdruck. »Vielleicht sind Nachkommen terranischer Siedler für diesen Krieg verantwortlich, vielleicht aber auch jemand ganz anderer. So oder so, wir haben die Pflicht, es herauszufinden.«
»Mit ‘wir’ meinst du sicher dich, oder?«
»Du liest meine Gedanken«, versetzte der Oberst trocken.
»Wer wird dich begleiten?«
»Oberleutnant Tom Hardt.«
»Natürlich, wer sonst!«
Enno Rykher schaute seinen Ersten Offizier mehrere Sekunden mit einer Miene an, als wollte er etwas Ablehnendes erwidern, doch dann nickte er seine Zustimmung.
5.
»Äußerste Vorsicht, meine Herren«, kam die Stimme des Kommandanten aus den Audiogittern des Gleiters. »Beim geringsten Anzeichen einer Gefahr erwarte ich unverzügliche Rückkehr. Verstanden!«
»Verstanden!«, kam Eli Janniks Replik. Der I. O. nickte seinem Piloten auffordernd zu. »Machen Sie voran, Tom. Ich will zum Diner wieder an Bord sein.«
»Aye, Sir.« Hardts Hände lagen auf der Manuellsteuerung des Bootes. Er lenkte das gepanzerte Gefährt, das wie eine Polkalotte geformt war, in exakt fünfzig Metern Höhe über einer kaum als solche zu erkennenden Straße auf das ferne Zentrum der zerstörten Stadt zu. Sie lag zwischen einem Bergrücken, der die ehemalige Metropole einst gegen die westlichen Stürme abgeschirmt hatte, und einem breiten jetzt ausgetrockneten Flussbett. Nur an wenigen Stellen war noch sporadischer Pflanzenwuchs zu erkennen; er war verkümmert führte einen hoffnungslosen Kampf gegen die gefräßigen Wanderdünen, die aus der Wüste heraus die Stadtgrenzen berannten.
Tom Hardt trug seinen Fremdwelt-Kampfanzug. Auch der I. O. hatte sich in diese schützende Montur gekleidet, die außer der Körperpanzerung und einigen besonderen Gimmicks auch über ein körpereigenes Stasisfeld verfügte, das seinen Träger gegen eine Vielzahl von Strahl- und Schusswaffen schützte und ihn zudem quasi unsichtbar machte, wenn man das entsprechende Funktion aktivierte.
Der Oberleutnant zog den Gleiter etwas höher.
Reihen von Bäumen hatte es hier einst gegeben. Auf beiden Seiten einer breiten Allee – vermutlich einst eine der Prachtstraßen in dieser Ansammlung urbanen Lebens – sowie in deren Mitte – standen jetzt noch die verkrümmten und zerfetzten Stümpfe. Bar jeglichen Blattwerks wirkten sie wie verknöcherte Finger, die anklagend nach dem Himmel griffen.
»Sie muss schön gewesen sein, diese Stadt!«, murmelte Hardt, ungewohnt berührt von dem, was er sah.
»Vor langer Zeit, ja«, stimmte ihm der I. O. zu.
Noch immer glitten sie in einer Höhe von fünf Metern die zentrale Straße entlang, die einen leichten Bogen machte und auf einem ehemaligen Platz ihr Ende fand.
»Gefahren?«, richtete der Pilot seine Anfrage an die Ortungszentrale des Forschungskreuzers.
Hoch über dem Expeditionsgleiter stand die PENDORA und hielt ihn mit ihren Sensoren ständig erfasst. Beim geringsten Zeichen eines Risikos würde sie mit den Insassen in Verbindung treten und sie warnen.
»Keine«, kam die Antwort vom Schiff. »Nur überall verstreute Echos von Energiesignaturen.«
Hardt bestätigte. Der Gleiter beschrieb einen weiten Halbkreis und senkte sich dann auf die ebene Fläche herab.
Die den Platz begrenzenden Gebäudefronten, längst zerstört, bildeten hochragende Wälle mit Öffnungen für Brücken, Rampen und Straßen, die hier sternförmig zusammenliefen.
Aus der Luft hatte alles mehr Abstrakt ausgesehen, weniger eindringlich und kleiner dimensioniert. Jetzt sahen die Männer die Schäden und Zerstörungen weitaus deutlicher und intensiver. Es musste ein erbitterter Kampf um jeden Quadratmeter dieser Stadt stattgefunden haben. Es gab nicht eine Mauer, nicht ein Stück des Bodens, nicht eine Rampe oder Auffahrt, die nicht restlos von Einschlägen übersät war. Überall schwarze Brandflecken. Gestein war durch extreme Hitzeeinwirkung zerpulvert und verglast worden. Metallfetzen hingen zwischen Trägern und geborstenen, zerbeulten Platten. Aber es existierten keine Hinweise auf die Natur dieser Kriegshandlungen, die das alles hier verursacht haben mussten.
Hin und wieder fielen Steinbrocken aus den maroden Fassaden und schlugen in den Schutt oder den Sand der sich unerbittlich ausbreitenden Dünen. Die Basis mancher Bauwerke waren zehn Meter hoch und noch mehr vom wandernden Sand verschluckt worden. Der leichte Wind trug den Geruch nach Moder und Asche mit sich.
Dann kam über die Außenmikrofone von irgendwoher ein helles Summen.
Tom Hardt betrachtete aufmerksam die Umgebung durch die Frontscheibe.
Das Summen wurde lauter. Aggressiver.
Noch meldete sich die PENDORA nicht.
Also bestand keine unmittelbare Gefahr für sie beide.
Der I. O. suchte durch die Kanzelverglasung den Himmel ab, um die Quelle dieses neuen Geräusches ausfindig zu machen.
In der ansonsten lähmenden Stille der Trümmerstadt wirkte das Summen doppelt auffällig und drohend, denn es war das einzige wirklich laute Geräusch; es klang wie ein riesiges, metallenes Insekt.
»Gefahr!«, meldete sich plötzlich der Forschungskreuzer aus seiner Höhe und gab eine exakte Ortsbestimmung: Eine Straßenschlucht zwischen den Ruinen, wie von einem Brennstrahl geschnitten.
Der Gleiter nahm die Stelle in den Fokus: An der Einmündung befanden sich zwei Schutthalden, die von zertrümmerten Eckbauwerken stammten und die Straße bedeckten. Am tiefsten Punkt dieses Tales aus Schutt und zerborstenen Gebäuderesten schob sich eine wuchtige Maschine heran, deren fleckige Bemalung sich kaum von der sandbraunen Umgebung abhob. Sie sah auf progressive Weise martialisch aus.
Die Stimme des Obersts klang scharf und akzentuiert: »Tarnschirm. Sofort!«
Der Pilot regierte augenblicklich. Seine Hand schlug auf einen Kontakt.
Zusammen mit den beiden Männern verschwand der Gleiter, als hätte er nie existiert. Die Augen der Insassen dieses Tanks dort drüben würden sie nicht mehr sehen können ohne entsprechende Spürgeräte, die sie mit Sicherheit nicht besaßen. Und falls doch, würde es zu spät für sie sein, sich gegen das zur Wehr zu setzen, was über sie hereinbrechen würde.
Von diesem Koloss von Panzerfahrzeug ging das drohende Summen aus. Er hielt eine kurze Zeitspanne inne. Als sich die breiten Ketten der Maschine wieder bewegten, krachten die Schutt- und Mauerbrocken unter den gezackten Profilen. Über dem Panzerkoloss erhob sich eine graubraune Staubwolke. Die Antriebskette fasste wieder und schob den Giganten, der nicht weniger als zwanzig Meter lang war, vorwärts über das Geröll.
»Hier haben wir einen Teil der georteten Energieechos«, sagte Hardt.
»Zweifellos«, antwortete sein Vorgesetzter. »Und ebenso zweifellos wird sich die Energie entladen. Ich hoffe nur, dass es nicht in unsere Richtung geschieht!«
»Kaum, er hat keine Kenntnis von uns«, erwiderte Tom Hardt. »Sehen Sie selbst, Sir!« Er wies in eine bestimmte Richtung.
Janniks Blicke konzentrierte sich auf den metallenen Riesen, der querab vom getarnten Gleiter den Platz ansteuerte. Er schob sich über die letzten riesigen Brocken, zermalmte die Trümmer und rollte ins Freie. Das Rasseln und Klirren der voluminösen Antriebsketten erstickte alle sonstigen Geräusche. Als sich das gepanzerte Gefährt auf ebenem Grund befand und Fahrt aufnahm, sah die Crew des Gleiters, dass sich über dem flach gebauten, pontonförmigen Unterteil der Maschine eine halbsphärische Hauptkuppel wie eine Blase erhob, die rundum nur so von Waffenläufen und schüsselförmigen Antennen strotzte.
Eli Jannik verfolgte aufmerksam das weitere Geschehen. Der Panzer – etwas anderes konnte das vierschrötige Riesending nicht sein – rollte und ratterte in einer gewaltigen Schmutzwolke über den Platz und kam auf die breite, mit Geröll übersäte Straße hinaus. Dort entfernte es sich, ohne langsamer zu werden.
In das Krachen und Bersten der Steinbrocken mischte sich wieder das grelle Summen, das zuerst zu hören gewesen war.
»Folgen wir ihm«, ordnete der Oberst an.
»Aye, Sir.«
Der Gleiter bewegte sich parallel zur Staubwolke den Weg zurück, den er ursprünglich gekommen war. Links von ihnen fuhr der Koloss von Panzer dahin und drehte seine Waffen und Suchgeräte in alle Richtungen.
»Gefahr!«, meldete sich die PENDORA aus dem niedrigen Orbit. »Von oben und allen Seiten!«
»Verstanden PENDORA!« Hardt stoppte den Gleiter.
Unweit vor ihnen schien sich der Untergrund konvulsivisch zu bewegen, als liefe dort etwas ab. Trümmerhaufen bewegten sich ohne äußeres Zutun. Steine rollten nach allen Seiten, kleine Gestalten schoben sich an vielen Stellen aus Verstecken unter Trümmern oder krochen aus aufgehäuften Sandhügeln. Kastenförmige und kugelartige Konstruktionen, sie sahen schwarz und bedrohlich aus. In der Luft war ein schrilles Heulen zu vernehmen. Aus den Projektoren der kleinen Angreifer zuckten lange Strahlen und Feuerzungen.
Der Panzer wurde getroffen. Doch plötzlich verwandelte er sich selbst in ein feuerspeiendes Ungeheuer. Aus den Projektoren lösten sich Feuerkugeln und schlugen in die Angreifer. Die Szene verwandelte sich in ein Chaos aus Feuer, Flammen, Detonationen und riesigen Pilzen aus Staub und von der Wucht der Explosionen hochgeschleuderten Trümmern.
Unbeirrbar wälzte sich der Panzer weiter und richtete die gesamte Phalanx seiner Waffen auf die jetzt dicht über dem Boden schwebenden Angreifer.
»Roboter gegen bemannte Maschinen?« Die Stimme des Oberleutnants klang irritiert.
»Bleiben Sie weg vom Geschehen«, befahl der I. O.
»Aye, Sir.«
Der Gleiter wich nach rechts aus der Gefahrenzone und zog sich etwas in den Hintergrund zurück.
Rund um den Panzer, der jetzt langsamer rollte, war das wütende Gefecht in vollem Gang.
Aus allen Rohren feuernd, kämpften sich die kleinen Maschinen laufend und schwebend nach vorn. Ein Geräuschorkan erhob sich; die Explosionen lösten sich in immer schnellerer Folge ab und gingen regelrecht ineinander über. Eine Bahn aus Feuer und Flammen breitete sich kreisförmig um die kolossale Maschine. Zwischen den Ketten explodierten Projektile. Davon scheinbar unberührt zerstörte der Panzer systematisch einen Angreifer nach dem anderen.
Dennoch kämpften sich die Roboter unbeirrbar näher, verfolgten den Koloss. Einige, denen es gelungen war, sich in den toten Winkel seiner Waffensysteme vorzuarbeiten, hefteten sich wie Spinnentiere an die Seitenwandungen und begannen diese aufzubrechen.
Wieder röhrte die Maschine auf; der Panzer wurde ruckartig schneller und rasselte auf ein nahezu unversehrtes gebliebenes Tor zu. Von den Robotern fielen einige ab und detonierten mit extremen Flammenausbrüchen und einer Serie von harten Schlägen.
Die Raupenketten des Panzers wirbelten Steinbrocken nach hinten; er fuhr auf die Mauern zu und schleuderte so scharf an einer Wand vorbei, dass die sich an ihn festklammernden Roboter abgestreift wurden. Einer löste sich mit einem mächtigen Schlag auf, als er eingequetscht wurde. Ein anderer rollte, sich ständig überschlagend, über die Geröllfläche und wurde abgeschossen, als er versuchte, sich wieder in eine günstige Position zu manövrieren. Andere blieben einfach inaktiv liegen.
Schließlich lichtete sich die Wolke aus Flammen, schwarzem Qualm und aufgewirbelten Staub. Der Panzer rollte mit geschwärzten Flanken aus ihr hervor, die Panzerplatten zernarbt und zerfurcht von den Spuren schwerer Geschosse. Er wich einer Ruine aus und kehrte auf die Straße zurück, um sich dort mit höchster Geschwindigkeit davon zu machen.
Wieder ertönte dieses summende, intensive Geräusch.
Die beiden Männer verfolgten mit ihren Blicken den Koloss, der sich mehr und mehr entfernte.
Der Lärm wurde leiser, sowohl der lodernden Flammen als auch der vielen kleinen Explosionen.
Dafür ertönte in der Atmosphäre erneut das kreischende Heulen.
Von links sah man einen Schwarm glänzender Projektile heranrasen.
»Sie greifen den Panzer an«, stellte Hardt unnötigerweise fest.
Die Raketen gingen tiefer und flogen, aus einem Winkel von fast hundertachtzig Grad, dicht über dem Boden heran.
Unwillkürlich zogen Jannik und Hardt die Köpfe ein und warteten auf den Moment des Auftreffens.
Die Panzerbesatzung hatte inzwischen die Gefahr erkannt. Sämtliche Geschütze ihrer Kuppel fingen an zu feuern.
Zu spät ...
Zeitgleich schlugen vier Raketen ein. Die restlichen trafen in Abstand von wenigen Sekundenbruchteilen. Augenblicklich verdeckte ein riesiger, greller Feuerball das Bild. Die Detonationswelle breitete sich aus und erreichte mit entsprechender Verzögerung auch den Gleiter hinter seinen Schutz- und Tarnschilden, ohne dass sie ihm etwas anhaben konnte.
Der Panzer hatte nicht so viel Glück; mit einem einzigen Schlag wurde er zerrissen. Er verwandelte sich in ein glühendes Metallgerippe und in Tausende glühender, geschmolzener Tropfen, die nach allen Seiten davongeschleudert wurden und jaulend durch die Luft rasten.
Die Druckwelle warf eine Ruine in der Nähe um und schickte eine zweite Wolke aus Staub und Dreck in die Luft.
Als sie sich gesenkt hatte, kehrte für einen Moment Stille ein.
Eli Jannik brach als erster die Ruhe nach dem Sturm. »Es dürfte sinnlos sein, in diesem Wrack nach Überlebenden zu suchen«, stellte er fest.
»Das dürfte es in der Tat«, stimmte Tom Hardt ihm zu. »Was tun wir, Sir? Zurück zum Schiff oder auf eine weitere Erkundungstour?«
Der Erste Offizier runzelte die Stirn »Wir könnten es noch an einer anderen Stelle versuchen«, erwog er. »Aber erst einmal hören, was der Skipper davon hält.«
*
Der Gleiter ging auf Höhe. Dann schlug Oberleutnant Hardt die Richtung auf das gewählte Ziel ein.
Die Ortungszentrale hoch droben in der PENDORA hatte diesen Bereich ausgewählt, weil man so die Angriffe und Kämpfe besser und sinnvoller betrachten konnte. Der Colonel hatte ihnen eine Frist von drei Stunden bewilligt, als er von ihrem Vorhaben hörte, sich noch einmal an anderer Stelle umzusehen. Dann wollte er sie wieder zurück an Bord haben. »Und seid vorsichtig«, sagte er abschließend. «Immerhin, ihr könntet in Lebensgefahr geraten.«
Die beiden sahen sich an.
»Wir versprechen, vorsichtig zu sein«, erwiderte der Oberleutnant.
»Das versprechen wir, Skipper!«, bekräftigte Eli Jannik. Sein Grinsen war nicht minder herausfordern.
«Dann meinetwegen!«, nickte der Colonel. »Ich werde mir jedoch erlauben, euch bei Anbruch der Dunkelheit wieder zurückzubeordern.«
»Recht so!«, meinte der Erste Offizier. »Die Galaxis vergöttert zwar die Jugend, aber regiert wird sie immer noch von den Alten.«
Es gab, weit hinter der Linie, die durch Feuer und aufstiebenden Explosionen gekennzeichnet wurde, fahrbare Anlagen, die kleinen Forts glichen. Auf mehreren Gleisanlagen krochen sie langsam in östliche Richtung. Zwischen ihnen verkehrten kleinere Maschinen, die sogar auf den flachen Dächern der selbstfahrenden Festungen landeten und starteten.
Dann kam ein breiter Streifen Land, in dem nichts geschah. Nur hin und wieder donnerte eine schwere Explosion. Ein neuer Krater erschien dann in dem gequälten, zerrissenen Boden.
Die nächste Frontlinie, die allerdings unregelmäßig verlief, bestand aus Geschützen, die auf Nullgravfeldern zu operieren schienen – jedenfalls hinterließen sie keinerlei Spuren auf dem Boden. Sie bewegten sich langsam doch unaufhaltsam ebenfalls nach Osten. In einem unregelmäßigen Zeitraum schossen von Lafetten Raketen oder raketenähnliche Projektile ab; sie verschwanden, lange Verbrennungsfahnen hinter sich herziehend, jenseits der Felsenkante.
»Krieg!«, stellte Oberleutnant Hardt fest.
»Sie haben recht«, antwortete der Oberst. »Das ist ein gewaltiger, organisierter Krieg.«
Vor den Dünen, einem etwa fünf Klix breiten Streifen, sahen sie ein System ausgebauter Stellungen. Es existierten Laufgräben, Wälle aus Steinen und schweren Platten und Bollwerke. In diesen offenen Anlagen bewegten sich Gestalten, die zunächst wie humanoide Wesen aussahen, bis die Frontkamera des Gleiters sie in der Vergrößerung auf den Schirm der Mittelkonsole projizierten. Es waren wiederum Maschinen, irgendwie unfertig aussehende Roboter.
Oberst Jannik runzelte die Stirn. Etwas begann an ihm zu nagen. Woran waren sie hier?
Schließlich überflog der Gleiter die Dünenkante. Vor den Insassen öffnete sich der Talkessel. Am jenseitigen Ende sahen sie im Licht der Sonne eine zweite, ebenfalls zerstörte Stadt, die an mehreren Stellen brannte.
Auf Geheiß Janniks landete Hardt den Gleiter auf einem kleinen Felsabbruch an der östlichen Seite des Talkessels. Hinter ihnen ragten weiße, von schwarzen Adern durchzogene Felsen in die rauch- und stauberfüllte Luft. Von ihrem Standpunkt aus sahen sie die Schäden und Zerstörungen sehr deutlich. Bis zu den ersten, bis zur Unkenntlichkeit zerschundenen Ruinen dieser Stadt und zu der breiten Brücke, die noch immer intakt schien, obwohl sie sich über ein ausgetrocknetes Flussbett spannte, waren es rund 3000 Meter Entfernung
Links von ihnen befanden sich unterhalb ihres Standpunktes mehrere Schuttberge, die die Straße bedeckten. Am tiefsten Punkt des Einschnitts aus schob sich eine wuchtige, gelb-braun und rot gefärbte Maschine heran. Hinter und über ihr erhob sich eine immense Staubwolke, und aus dieser tauchten noch mehr dieser Kolosse auf. Insgesamt fünfzehn konnte man zählen.
Die Detektoren im Gleiter schlugen wie wild aus.
»Ah«, sagte der Pilot mit schmalen Augen, als er die Anzeigen bemerkte. »Ich sehe schon! Hier haben wir einen Teil der Echos. Die Dinger haben ein verdammt hohes Energieniveau.«
Die fünfzehn Kolosse rollte an dem unsichtbaren Gleiter vorbei auf die Stadt zu. Sie unterschieden sich von jener Konstruktion, die sie vor Kurzem in der ersten Ruinenstadt beobachtet hatten. Diese hier bewegten sich auf einer einzigen, sehr breiten Kette voran, die in der Mitte der riesigen Mechanismen angebracht war. N-Gravfelder oder extrem effektive Stabilisierungskreisel hielten die Giganten in waagerechter Position. Die Panzer boten den Anblick von riesigen Käfern, die mit Stacheln und Batterien von Projektoren in dreh- und schwenkbaren Kuppeln ausgerüstet waren. Dort, wo bei einem Koleopter die Augen saßen, streckten sich langrohrige Kanonen nach vorn. An den Flanken waren massive, runde Luken zu sehen, die mit schweren Verschlüssen gesichert waren.
Möglicherweise handelte es sich um Mannlöcher oder Fluchtwege der Besatzung.
Noch ein Rätsel mehr.
Aus den Projektoren fuhren hin und wieder Blitze und rissen einen Kilometer weiter vorn den Erdboden auf, verwandelten ihn in riesige Fontänen aus Sand und geschmolzenem Gestein.
»Das ist ein gezielter Angriff«, sagte Hardt halblaut. »Vermutlich ist diese sehr strapazierte Brücke das strategische Ziel. Wie es wohl weitergeht?«
»Erst einmal abwarten, Oberleutnant«, gab Oberst Jannik zu verstehen und konzentrierte sich auf weitere Einzelheiten des Vorstoßes.
Die schweren Kampfmaschinen bildeten einen spitzem Keil. Er schob sich nun aus dem Schutz von zerschlagenen Felsen hervor, durchquerte die tiefe Senke eines riesigen Kraters, ebnete einen Teil des Ringwalls ein und kletterte über das zernarbte Land nach vorn, der Sonne entgegen. Die Panzer waren zwar aus Metall, aber offensichtlich hatten die bislang unsichtbaren Angreifer sie mit einer Schicht klebrigen Lacks versehen. Darauf befand sich Sand, der die Formen der Maschinen mit der Umgebung verschmelzen ließ.
»Geschickt, diese Tarnung, aber nahezu überflüssig«, erklärte Oberleutnant Hardt. »Detektoren sehen mehr als die Augen intelligenter Wesen.«
Hitze begann sich auszubreiten, und aus der Richtung der vorwärtsdrängenden Panzer kamen dicke Wolken glühender Sand und kochende Luft herangetrieben.
»Sicher haben Sie recht, Tom«, gab der Oberst zu. »Aber einen Grund muss diese Verkleidung schließlich haben. Sehen wir weiter ...«
»Sehen Sie die runden Schotten an den Flanken, Sir?«, machte sich Hardt Minuten später bemerkbar. »Könnte interessant sein herauszufinden, wer oder was sich im Innern befindet. Ich denke, wir sollten uns vergewissern.«
»Sie meinen, uns vergewissern, wer diese Ungetüme steuert?«
»Ob wir damit die Geduld des Skippers nicht zu sehr strapazieren?« Der I. O. wiegte zweifelnd den Kopf. »Obwohl uns, wenn ich es recht bedenke, etwas mehr Kenntnisse über Sinn und Zweck dieses gegenseitigen Vernichtens möglicherweise in die Lage versetzen könnte, dem Abschlachten ein Ende zu setzen. Warum bekämpfen sich die Bewohner dieser Welt, von denen wir nicht einmal genau wissen, ob es sich um eine frühe terranische Kolonie handelt? Es gibt augenscheinlich nichts zu gewinnen außer Ruinen und verwüstetem Land!«
»Das könnten wir in Erfahrung bringen«, ließ der Pilot mit drängender Stimme verlauten. »Mit einer gründlichen Prüfung, Sir.«
»Mal sehen«, entschied Eli Jannik, während unter ihnen der Krieg – zwischen wem auch immer – erneut an Stärke wuchs.
Der Panzerkeil zu ihrer Linken hatte inzwischen den Kessel verlassen und drang schräg über annähernd ebenes Gelände auf einen Hügel vor, der die rechte Seite der Brücke flankierte.
»Dort, Sir!«, machte Tom Hardt seinen Oberst aufmerksam »Die Verteidiger!«
Von jenseits der Brücke schwebte auf Energiekissen eine Batterie doppelläufiger Ferngeschütze heran, bildeten eine weit auseinandergezogene Kette und hatten ihre Rohre gesenkt.
Gerade, als Eli Jannik etwas sagen wollte, begannen sie zu feuern, während sie vorwärtsschwebten. Plattformen mit stumpfkegeligen Geschütztürmen an den Ecken, die drehbar waren.
Ein infernalischer Lärm tobte durch den Kessel.
Rund um die Brücke, an ihrem diesseitigen Ende, schlugen die Energieblitze ein. Sie zerschmolzen Sand und Felsen und buken Trümmer zu einer glasigen, lavaartigen Masse zusammen. Sowohl an der Stelle, an der sie sich nach vorn bewegten, als auch an der linken Seite der Brücke und direkt auf der zerbombten und aufgesprengten Fahrbahn, breitete sich in der Luft eine gewaltige Wolke aus Sand, Staub und kochenden Gasen aus und trieben mit dem leichten Wind nach Westen.
Hardt fragte: »Sollen wir uns nicht einen besseren Platz verschaffen, Sir?«
Obwohl die Abschirmung des Gleiters das meiste der Außengeräusche dämpfte, war das Donnern der Maschinenwaffen, sowohl derjenigen der Panzer als auch derjenigen der Langrohrbatterien, immer noch übermäßig laut. Die beiden Männer führten deshalb schon länger ihre Konversation über die im Helm integrierten Headsets.
»Unbedingt. Hinüber zu den Panzern?«
»Aye, Sir.«
»Aber mit größter Vorsicht.«
»Wir nehmen uns den Letzten in der Reihe vor!«
»Dann los!«
Tom Hardt bugsierte den Gleiter ans Ende des Panzerkeils und flog hinter der Staubwolke und der Masse vorrückenden Metalls den Tanks nach. Obwohl die Kolosse den Eindruck von Schnelligkeit machten, waren sie in Wirklichkeit langsam.
Als sie die große Staubschleppe durchflogen hatten, die der Konvoi hinter sich herzog, befanden sie sich keine fünfzig Meter hinter dem letzten Panzer, der schräg versetzt mit einer Reihe von zehn anderen das Ende der Formation bildete.
Sie folgten dem letzten Panzer, der unvermittelt die Fahrt erhöhte und mit knirschend Ketten eine Reihe Schlingerbewegung machte.
Wow! Er ist auf eine Mine aufgelaufen, dachte Oberst Jannik, als unterhalb des Kolosses nach einer Reihe scharfer Detonationen ein durchdringendes Kreischen ertönte.
»Es muss was mit der Kette geschehen sein«, ließ sich Tom Hardt vernehmen und deutete mit dem Daumen nach unten. Der I. O. nickte zustimmend.
In dem Moment stoppte der Tank mit einem Ruck, das schrille Kreischen hörte auf. Nach einer letzten Explosion neigte sich die massige Konstruktion langsam und irgendwie widerwillig zur Seite und verharrte dann in dieser Lage. Als letzte Aktion flog eine der Luken an der nach oben geneigten Flanke aus ihrer Halterung und wirbelte wie ein Diskus davon.
Tom Hardt hielt einige Meter neben dem waidwunden Tank an.
Verborgen hinter ihrem Tarnfeld harrten sie der Dinge. Sie ließen die runde Öffnung an der Flanke des Kolosses nicht aus den Augen. Was immer sie erwarteten, es geschah nichts! Kein Besatzungsmitglied versuchte, sich ins Freie zu retten.
Die beiden Männer sahen sich an.
»Vermutlich alle tot«, ließ sich Jannik hören.
»Oder schwer verletzt«, meinte Tom Hardt. »Die Gelegenheit wäre günstig«, fuhr er fort und deutete auf das Panzerwrack. »Wollen wir vergewissern?! Wir könnten vielleicht Erste Hilfe leisten!«
»Warum nicht ...«
»Seid ihr wahnsinnig?«, meldete sich der Kommandant über Funk und erinnerte die beiden daran, dass sie im ständigen Kontakt mit der PENDORA standen.
Jannik zog eine Grimasse.
»Keineswegs, Skipper!«, gab er zu verstehen. »Aber sehr neugierig. Du kennst doch den Spruch: »Nur wer die Neugierde kennt, kann ermessen, wie sehr wir leiden!«
»Was soll ich darauf antworten«, erwiderte Enno Rykher. »Aber gebt auf euch acht. Verstanden?«
»Natürlich.« Der I. O. lachte, doch das Lachen ging in einem erneuten Geräuschorkan unter. Als er verebbte, standen die beiden Männer bereits vor der runden Öffnung. Dahinter war es dunkel.
Sie sahen sich an.
»Wollen wir?« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage des Ersten Offiziers.
Tom Hardt grinste verwegen und nickte. »Worauf warten wir noch, Sir ...«
Eli Jannik nickte entschlossen und schwang sich in die Luke. Der Oberleutnant turnte hinterher, nahm den winzigen Scheinwerfer aus der Gürtelhalterung und schaltete das Gerät ein. Der scharfe Strahl machte die Dunkelheit zum Tag. Sie befanden sich in einem Schacht, der schräg nach oben ins Innere der Maschine führte. Der Hohlraum war zunächst rund, nicht mehr als ein Stück Rohr also, dann erweiterte er sich zu einem Würfel von etwa vier Metern Kantenlänge. Langsam wanderte das Licht über die metallenen Wände.
»Keine Sitze. Keine Besatzung!«, sagte Tom Hardt entgeistert und riss versuchsweise an einem der rechteckigen Knaufe. Sie waren in der Mitte eines Vierecks angebracht, das wie eine Art Vorderteil von einer Lade aussah. Alle vier Wände des Würfels, in dem die Männer schräg standen und sich gegen zwei der Wände stützten, waren von diesen Vierecken bedeckt. Als der Oberleutnant an dem Knauf zerrte, ging die Lade auf.
»Hoppla! Jetzt verstehe ich manches!«, murmelte Hart verblüfft und richtete das Licht seines Scheinwerfers auf das, was sich direkt vor ihren Augen befand. «Kybernetische Elemente.«
Der Oberleutnant zog eine zweite Lade heraus, eine dritte, eine vierte. Plötzlich ging ein harter Ruck durch den Tank. Zwei weitere Erschütterungen folgten.
Sie sahen sich an.
»Er wird doch nicht detonieren«, hoffte der Erste Offizier und runzelte die Stirn.
»Natürlich nicht«, erwiderte Tom Hardt im Brustton der Überzeugung.
»Na, denn ...«
Sie rissen eine Lade nach der anderen auf. Überall in diesen flachen Rahmen steckten kybernetische Elemente. Sie schillernden farbig und schienen zu glühen. Jedes Mal, wenn einer der beiden Eindringlinge einen weiteren Block aus der Kybernetik zog, kippte der Panzer etwas mehr. Irgendetwas schien ihn wieder aufrichten zu wollen.
Der Lärm der Einschläge von draußen entfernte sich. Im Funk kam die drängende Stimme des Kommandanten.
»Was ist los? Meldet euch!«
»Wir sind«, erwiderte der I. O. deutlich und langsam, noch immer im Bann der Überraschung, »auf einen sehr interessanten Tatbestand gestoßen. In Kürze mehr darüber, Skipper.«
Der ‘Skipper’ klinkte sich ohne zu insistieren wieder aus.
Die beiden sahen sich im Innern des recht engen Raumes um.
»Nein!«, sagte der I. O. abschließend, »es gibt hier keinen zweiten Eingang!«
»Und keine Planetarier«, bedauerte Tom Hardt. »Ich denke, wir haben das Rätsel gelöst: Es existiert keine Besatzung.« Er streckte sich aus, griff nach den wenigen Vorsprüngen und schob sich aus der Enge der Röhre hinaus ins Freie.
»Möglich«, murmelte Eli Jannik. Er blieb noch einen Moment lang stehen. Seine Gedanken wirbelnden: Ihr Fund bedeutete zumindest, dass in diesen metallenen Kolossen keine ehemaligen Kolonisten beziehungsweise Planetarier saßen, sondern kybernetische Systeme die gesamte Steuerung übernahmen.
»Bemerkenswert! Aber sehen wir weiter!«, sagte der Erste Offizier der PENDORA zu sich und folgte dem Oberleutnant nach draußen.
Der Panzer lag vollkommen allein auf der Seite, weit und breit war nichts mehr zu sehen, das Gefecht vollzog sich nun weiter vorn, hatte aber nichts von seiner Heftigkeit – und vor allem Lautstärke – verloren.
»So!«, sagte der Pilot. »Wir haben einiges entdeckt. Oder?« Aus seiner Stimme klang irgendwie Zufriedenheit.
»Entdeckt wohl«, erwiderte der Oberst. »Aber hilft uns das weiter?«
»Sie scheinen nicht zufrieden zu sein, Sir!«
»Nicht unbedingt. Wir haben ein Rätsel gelöst, ja, aber damit gleichzeitig eine Reihe neuer Fragen aufgeworfen«.
Sie blieben einen Moment neben dem Wrack stehen. Die Szenerie war eigentümlich. Sie zeigte für einige Minuten die fragwürdige Schönheit einer toten Landschaft, die sich scheinbar noch einmal aufbäumte. Die Panzer und Geschütze, die sich nun im Halbrund um das diesseitige Ende der Brücke aufgestellt hatten, verschwanden hinter einem Vorhang aus Staub und Rauch. Dahinter ertönte dumpf der Lärm des Gefechts. Inzwischen war ihr Entsetzen gewichen. Mit der Entdeckung der Kybernetik im liegen gebliebenen Panzer betrachteten sie diesen Krieg mit einer gewissen Kühle und deutlichem Abstand. Bisher war er zu abstrakt gewesen. Um echten Schrecken zu spüren, hätten sie die zerfetzten Leichen der Planetarier sehen müssen, das Elend von Flüchtenden oder ähnliche, Emotionen erzeugende Beobachtungen. Doch bisher hatten sie eigentlich nur Maschinen erkennen können, die sich gegenseitig vernichteten.
»Die Verteidiger scheinen noch nicht angetreten zu sein«, ließ sich der Pilot hören. »Oder sie warten noch auf einen günstigeren Augenblick.«
Der Oberst sah seinen Piloten durch die Helmscheibe an.
»Welche Verteidiger? Menschen, die Kybernetiken Befehle geben? Ich denke nicht, dass das geschieht.«
Während er noch Tom Hardts Einlassungen bedachte, betrachtete der Oberst plötzlich diesen Krieg zwischen zwei sich feindlich gegenüberstehenden Gegnern mit ganz anderen Augen; er war einfach zu abstrakt, wirkte wie das Sandkastenspiel eines größenwahnsinnigen Befehlshabers, der sich ein Vergnügen daraus machte, mechanisierte Einheiten gegeneinander antreten lassen. Nur dass er keinen Sandkasten, sondern gleich einen ganzen Planeten, beziehungsweise zwei Planeten, als Spielfeld dazu hernahm.
Ein Spiel?
Das war es!
Sie hätten es schon längst erkennen müssen.
Es war eigentlich die ganze Zeit über offen vor ihnen ausgebreitet gelegen; sie hatten es nur nicht wahrhaben wollen.
Bislang waren sie nur Maschinen begegnet, die sich mit monströsem Aufwand an Energie und Material gegenseitig bekämpften und vernichteten, einem altertümlichen Computerszenario nicht unähnlich.
Er presste die Lippen aufeinander, als er an diesem Punkt seiner Überlegungen angelangt war. Er spürte, wie etwas in seinem Hinterkopf nagte, das er nicht in Worte fassen konnte, ihn aber auf eine bestimmte Weise beunruhigte. Dann erkannte er plötzlich, dass sie, wie auf den anderen Planeten, auch auf diesem keine Spur organisches Leben mehr finden würden. Was hier ablief, war nichts anderes als ein ausschließlich von kybernetischen Maschinen gesteuertes Schlachtszenario, überwacht beziehungsweise geleitet aus dem Hintergrund von einem überdimensionalen Rechner.
Vermutlich hatten die Maschinen längst die Bewohner der Planeten besiegt und ausgerottet. Und: Sie würden so lange um vermeintliche Vorherrschaften kämpfen, bis irgendeine Seite die Oberhand gewann – oder die Planeten, inzwischen sämtlicher Ressourcen beraubt, nicht einmal mehr den Maschinen eine Existenzgrundlage zu liefern imstande waren.
An diesem Punkt seiner Überlegungen gekommen, wusste er, was zu tun war: Er musste zurück an Bord und den Skipper von seinem Verdacht eines von Kybernetiken geführten Krieges berichten.
Das Karree des im Frontbereich des Gleiter eingelassenen Schirmes zeigte seine Bereitschaft. Janniks Hand griff nach vorn. Seine Hand schwebte über den Kontakt – als sich der Monitor von selbst aktivierte. Auf dem Schirm zeigte sich das Gesicht des Kapitäns.
»Skipper?«
»Eli. Neuigkeiten. Die Fernerkunder haben etwas entdeckt, das ihr euch unbedingt ansehen müsst.«
»Was ist es?«
»Sieh selbst und lass mich deine Meinung hören. Die Koordinaten sind bereits übermittelt.«
Eli Jannik sah zur Seite.
Der Pilot nickte bestätigend.
»Savvy«, sagte der Oberst. »Wir werden uns darum kümmern.«
Die Distanz zu den genannten Koordinaten bedurfte eine halbe Stunde Flugzeit mit Höchstgeschwindigkeit. Die Daten aus der Zentrale der PENDORA präsentierte der Gleitercrew eine vollständige telemetrische Darstellung des Annäherungskorridors; der Flugcomputer führte einige Anpassungen durch und steuerte den Gleiter geradewegs auf das Ziel zu.
Während des Fluges informierte der I. O. seinen Kapitän über das, was sie im Innern des havarierten Tanks entdeckt hatten, und über seine Sicht der Vorkommnisse auf dieser Welt.
*
Sie erreichten ohne Zwischenfälle ihr Ziel. Vor der Zwei-Mann-Crew lag eine Hochebene, ein Plateau, das die Form eines annähernd gleichseitigen Dreiecks hatte, dessen Spitze zum planetaren Nordpol zeigte; die abfallenden Verbindungsstrecken zu den Eckpunkten wurden durch tiefe Schluchten gebildet. An der Basislinie, aus der ungefähren Mitte leicht nach Osten versetzt, sahen die Männer genau an der abfallenden Kante eine Ansammlung von Gebäuden, die sich, so hatte es den Anschein, an der Wand entlang nach unten fortsetzte und in den Berg hinein zu erstrecken schienen. Die Scanner orteten hinter der nahezu senkrecht abfallenden Wand ausgedehnte Hohlräume.
Auf der Hochebene erstreckte sich etwa zweihundert Meter vom Abbruch entfernt ein lang gestrecktes Felsenkliff wie eine rostrote Mauer, ein steinerner Wall, der in der Vorzeit durch eine planetare Verwerfung gebildet worden schien und mehrere hundert Meter in den Himmel ragte.
Der einzige Fremdkörper darin: ein Portal von einiger Größe.
»Ein Eingang, Sir«, stellte Oberleutnant Hardt lakonisch, aber überflüssigerweise fest.
»Ich sehe es.« Der I. O. zog den Atem durch die Zähne.
Das Schott schimmerte stumpfgrau wie massives Metall oder einem ähnlichen Material. Der Gleiter verharrte mehrere Meter vor und über der Abbruchkante der Mesa. Vor dem Tor selbst zeigten sich keine Spuren von irgendwelchen Kettenfahrzeugen oder anderen Maschinen. Keine Trümmer kündeten von einer erbitterten Auseinandersetzung zwischen den weiter drunten in der Ebene allgegenwärtigen Robotern und irgendwelchen Verteidigern hier oben.
»Irgendwelche Waffensysteme oder Verteidigungsanlagen zu orten?«
Tom Hardt schüttelte den Kopf. »Negativ. Sollte es welche geben, liegen sie bestimmt im Innern, Sir.«
»Vielleicht.«
Eli Jannik übermittelte seine Beobachtungen an die PENDORA – der Hyperfunk war ständig aktiviert, die Verbindung mit dem Schiff war wichtig –, während er den Platz vor dem Tor nicht aus den Augen ließ. Aber nichts rührte sich dort.
»Biozeichen, Tom?«
Der Pilot verneinte.
Enno Rykher meldete sich.
»Seien Sie vorsichtig, Nummer Eins. Sie wissen nicht, was Sie erwartet.«
»Bin ich doch immer, Skipper«, beschwichtigte der Erste Offizier und seine Miene wurde von einem kurzen, unerwarteten Lächeln erhellt. »Wie Sie schon sagten, Kapitän, wir wissen nicht, was uns erwartet, aber ich bin verflucht neugierig, es herauszufinden.« Dann wandte er sich an den Piloten. »Worauf warten Sie, Oberleutnant? Wollten wir nicht da hinein?«
»Natürlich, Sir.«
Hardt flog näher an die metallene Konstruktion heran. Dicht davor hielt er an, zwei Meter über dem Boden schwebend.
»Und jetzt?«, fragte er. »Ob es sich einfach öffnet, wenn wir anklopfen, Sir?«
»Seien Sie nicht albern, Oberleutnant. Ich ...« Eli Jannik verstummte mit einem Laut der Überraschung.
Ein Segment des Portals öffnete sich wie durch Zauberhand vor ihren Augen, glitt zur Seite und blieb einladend offen.
»Sehen Sie auch, was ich sehe?«, brachte der Pilot mit gepresster Stimme hervor.
»Natürlich. Machen Sie schon voran, Tom!«
Hardt bewegte die Steuerung – und der Gleiter glitt ins Innere.
Hinter ihnen schloss sich das Portal wieder.
Knapp über dem Boden kam der Gleiter zum Stillstand.
»Ich fasse nicht, was ich hier sehe«, sagte Hardt völlig überrascht. »Das Ganze scheint eine Fata Morgana zu sein! Ein Trugbild!«
Die Kaverne im Berg war weiträumig angelegt – ihre tatsächliche Größe ließ sich durch bloßen Augenschein kaum ausloten – und auf das, was die Männer erwartete, war keiner vorbereitet.
Eli Jannik zog scharf die Luft ein.
»Sehen Sie sich das an, Tom!«
»Was ... was ist das, Sir?«
»Wonach sieht es denn aus!?«, gab der Oberst zu verstehen, selbst über die Maßen verblüfft.
Darauf gefasst, ein Waffenarsenal von schweren Tanks und autonomen Geschützbatterien vorzufinden, übertraf das, was sie sahen, ihre Erwartungen in jeglicher Hinsicht.
»Bei den Göttern meiner Ahnen, das ist eine Haupt-Recheneinheit!«, stieß Tom Hardt hervor. »Größer wie die von zwei axaraborischen Schlachtkreuzern zusammengenommen.«
Die Anlage stand entlang der östlichen Wand und nahm mit einer Größe von etwa sechstausend Kubikmetern einen erheblichen Platz für sich in Anspruch. Bereits auf den ersten Blick wurde deutlich, dass dieser Großrechner keineswegs stillgelegt, noch deaktiviert oder außer Betrieb war.
Das Gegenteil war der Fall.
Er arbeitete!
Und wie er arbeitete!
In die glatten, tiefschwarzen Außenflächen waren leuchtende Muster und verwirrende Symbole eingelassen.
Nicht etwa zur Dekoration. Nein, sie waren technischer Natur, wie dem Oberst rasch klar wurde, ausschließlich zweckbestimmt. Winzige, flackernde Funken huschten über die glatte, wie poliert wirkende Oberfläche. Unzählige winzige Lichtpunkte, die sich zu Gruppen sammelten und spiralig wieder auseinanderstrebten.
Voluminöse Energieleitungen kamen aus der Felswand, liefen an der Decke entlang und verschwanden über massive Kupplungen in der Rechenanlage. Jenseits der Wand musste sich in einer Nebenhöhle ein Energieerzeuger befinden; ein beständiges Brummen lag gerade so an der Schwelle des Hörbaren.
Die beiden Männer hatten keine Zeit, die zahlreichen Eindrücke zu verarbeiten und einzuordnen, denn schon kam Bewegung in einen sinnverwirrenden Mechanismus, eine bizarre, Roboterkonstruktion von über zwei Metern Größe, die zu beschreiben den Männern Zeit und Worte fehlten.
»Unglaublich ...«, entfuhr es dem I. O. als er die näher kommende Maschine in Augenschein nahm. Anstelle eines Kopfes hatte sie ein Konglomerat von zylinderartigen Fortsätzen. Augen ließen sich auch keine erkennen. Dennoch, Eli Jannik fühlte, dass sie sich ihrer Anwesenheit bewusst schien. Und als sie sechs vielgelenkige Arme hob und mit gespreizten Endgliedern in Richtung des Gleiters streckte, erkannte er mit plötzlich aufkeimender Unruhe, dass sie in allergrößter Gefahr schwebten.
Doch für eine wie auch immer geartete Gegenwehr war es längst zu spät.
Noch während er den Mund öffnete, um eine Warnung auszustoßen, lösten sich zuckende Blitze aus den »Fingern« des Robotermonstrums, drangen durch die Schutzschirme und setzten den Gleiter unter Strom.
Es war, als jage ein Impuls aus glutflüssigem Metall durch Janniks Körper, der sämtliche Nervenenden in Brand setzte. Der Schmerz war von einer bislang nie gekannten Intensität und brachte ihn dazu, seine Pein lauthals hinauszuschreien.
Er fühlte noch einen Stoß, und in einer letzten, verschwommenen Einschätzung seiner Sinneseindrücke, die ihn durch all den Schmerz erreichten, hörte er Tom Hardt ebenfalls aufschreien.
6.
In der Zentrale der PENDORA wandte Enno Rykher sich an seinen Dritten Offizier.
»Status des Gleiters, Mister Jagger?«
»Ziel so gut wie erreicht, Kapitän«, verkündete der Ortungsspezialist. »Er ist drin.«
«Gut. Ich ...« Unvermittelt fiel die visuelle Übertragung aus, nur die Audiophase stand noch, wie die Instrumente zeigten.«Was ist denn jetzt?« Der Colonel verzog unmutig das Gesicht.
»Ach herrje!« Einer der Ortungstechniker setzte sich gerade auf.
»Verflixt!«, murmelte ein anderer.
»Nummer Drei«, sagte der Colonel scharf und laut, »was ist los?«
»Kann ich nicht sagen, Kommandant«, gestand der Ortungsoffizier.
In der Zentrale war gerade noch zu hören, wie Oberst Eli Jannik »Unglaublich ...!«, stöhnte.
Dann erfolgte ein grässlicher Schrei aus zwei Kehlen.
Und mit dem Schrei erlosch das Signal des Gleiters auf sämtlichen Ortungseinrichtungen der PENDORA.
Der Skipper sog den Atem durch die Zähne und versuchte, mit dieser unerwarteten Situation fertigzuwerden, während jeder in der Zentrale auf eine Reaktion von ihm wartete.
Die kam binnen weniger Sekunden.
»Mister Gard!«
»Sir?«
Kopilot Gerry Gard saß vor seiner Steuerkonsole wie auf dem Sprung.
»Wir verlassen unsere gegenwärtige Position. Nehmen Sie Kurs auf die Hochebene. Volle Beschleunigung!«
Keine vierzig Sekunden waren vergangen, seit der Gleiter mit Jannik und Hardt von den Ortungsschirmen verschwunden war – und schon erreichte die PENDORA das Plateau und landete im Schutz ihrer Schirme tausend Meter entfernt vor der Kaverne.
Sanft wie eine Feder setzte der Forschungskreuzer auf dem felsigen Boden auf. Das Konkav des vier mal vier Meter messenden Frontschirms zeigte einen Panoramablick auf die Umgebung.
Rykher nickte seinem Dritten Offizier zu. »Mister Jagger, etwas zu sehen, das uns Überraschungen bescheren könnte?«
»Nichts, Kapitän«, verkündete Art Jagger, »die Mesa ist leer.«
»Was ist mit dem Gleiter? Können Sie ihn erfassen?«
»Tut mir leid, Sir«, bedauerte der Major und fuhr sich mit der Rechten durch seinen blonden Haarschopf, »wir können zwar die Kaverne und ihre ungefähre Ausdehnung erfassen, der Gleiter selbst ist überraschenderweise nicht zu orten.«
Der Skipper runzelte die Stirn. »Gibt es einen Grund dafür?«
»Unbekannt, Sir«, gestand Jagger unumwunden. Seine Miene drückte aus, dass er ebenso überrascht über das Nichtzustandekommen eines Kontakts war wie wohl die meisten in der Zentrale. Er zögerte einen Moment, dann fügte er hinzu: »Es scheint, als verhindere ein Dämpfungsfeld eine genauere Erfassung.«
»Ausdehnung?«
»Es reicht ziemlich weit in den Berg hinein, Sir.«
»Anzeichen von Energien?«
«Es scheint da ein Reaktor mit erheblicher Leistung zu existieren.«
»Hmm ...« Die senkrechte Falte über Rykhers Nasenwurzel vertiefte sich. »Versuchen Sie, den Oberst über Hyperfunk zu kontaktieren. Wir müssen wissen, was vorgefallen ist.«
»Aye, Sir. Sofort.«
Hyperfunk brachte kein Ergebnis; trotz intensivster Bemühungen der Funkzentrale, antworteten weder Oberst Jannik noch Oberleutnant Hardt auf die Rufe der PENDORA.
»Dies ist etwas merkwürdig«, brachte es Major Tore le Blanc auf den Punkt. »Was kann da passiert sein?«
Enno Rykher fuhr seinen Sessel zurück, umfasste die Armlehnen mit einem Griff, der die Fingerknöchel weiß werden ließ, und starrte auf den Hauptschirm, als könne der ihm das Rätsel der unterbrochenen Verbindung zum Gleiter verraten. Schließlich sagte er: »Finden wir es heraus, Nummer Drei, senden Sie auf der normalen Funkfrequenz ...«
*
Der Oberst kam zu sich.
Er wusste nicht genau weshalb, aber er hatte das Empfinden, an einem Stromkreis angeschlossen zu sein, der jeden einzelnen Nerv in seinem Körper unter Spannung hielt.
Stromkreis? Spannung? Elektrische Spannung? Natürlich! Von einer Sekunde zur anderen kehrte die Erinnerung zurück: der Angriff des Roboters ... der unsägliche Schmerz ... die Ohnmacht ... Und? Genau, er war nicht mehr im Gleiter, sondern lag mit dem Rücken auf hartem Boden, ziemlich weit über sich eine Decke aus Gestein.
Die Kaverne!
Ächzend wie ein alter Mann setzte er sich auf. Wie viel Zeit vergangen war, seit dieser bizarre Roboter mit seinem Blitzgewitter ihn und seine Männer ins Land der Träume geschickt hatte, vermochte er nicht zu sagen, da sein letzter Blick auf einen Zeitgeber schon etwas länger zurücklag. Vielleicht eine Minute, vielleicht zehn – vielleicht aber auch wesentlich weniger.
Dann ein neuer Laut.
Ein Laut aus menschlicher Kehle.
Gerade rappelte sich der zur Besinnung gekommene Oberleutnant auf.
»He, sind Sie in Ordnung?«, erkundigte sich Eli Jannik mit belegter Stimme.
Hardt nickte steif. Mit zusammengekniffenen Augen orientierte er sich. »Teufel auch«, stieß er hervor und grinste verzerrt, »so viel zur Unverwundbarkeit unserer Schilde. Einen schnelleren Blackout habe ich selten erlebt!«
»In der Tat«, bestätigte Jannik und kam auf die Beine. Unwillkürlich tastete er nach seiner Waffe. Sie war vorhanden! Heureka! Offenbar hatte man nicht ihre Bedeutung erkannt.
»Das ist gut«, murmelte Jannik. Seine Blicke schweiften durch die weitläufige Kaverne. Sie war bevölkert von mechanischen Geschöpfen, die zu beschreiben der menschlichen Ausdruckskraft die Worte fehlten. Maschinen, völlig ungewöhnlich im Aussehen und Funktion, bauten andere Maschinen. Vielgliedrige Einheiten, die herumsprangen und Dinge verrichteten, deren Sinn und Zweck den beiden Männern zunächst verborgen blieben. Federn und Drähte surrten, Zahnräder drehten sich. Auf manchen der Mechanischen saßen optische Vorrichtungen, andere Roboter, von denen keiner dem anderen glich, erweckten den Anschein, ohne visuelle Hilfen auszukommen. Manche erinnerten an die kleinen Roboter die drunten auf der Ebene den Tanks und autonomen Geschützbatterien das Leben schwer gemacht hatten.
In der Tiefe des Gewölbes waren Roboter damit beschäftigt, tiefe Stollen in den Berg zu treiben.
Ein hoher Geräuschpegel herrschte vor. Metall schlug auf Metall. Irgendwo liefen Maschinen mit hohem Tempo, kreischten mechanische Vorrichtungen, sprühten bläuliche Funken, wurden Metalle durch elektrische Spannungsbögen erhitzt. Viele der Maschinen bewegten sich zielgerichtet, als erfüllten sie eine intelligente Funktion. andere liefen scheinbar willkürlich und ohne erkennbare Führung durch wen oder was auch immer in der Kaverne herum.
Alles machte dennoch den Eindruck des Provisorischen, des noch Unfertigen.
»Hier wimmelt es ja nur so von Robotern«, stellte der Oberleutnant fest. »Wohl Nachschub für die Armeen unten auf dem Planeten?«
Die Frage war rhetorischer Natur, trotzdem antwortete der Oberst.
»Das, was wir hier sehen, sind vermutlich nur Arbeitseinheiten. Für uns kein Grund zur Panik, ich sehe keine Waffen.« Jedenfalls noch nicht, setzte er in Gedanken hinzu.
»Was nicht ist, kann ja noch werden«, brummte Hardt denn auch folgerichtig und trug sein Misstrauen unverhohlen zur Schau. »Übrigens, haben Sie schon bemerkt, dass wir keine Verbindung mehr nach draußen haben?« Er wich fluchend einem Mechanischen aus, der geräuschvoll sein Wegerecht forderte. »Der Funk ist ausgefallen. Den Anzeigen zufolge«, er warf einen versteckten Blick auf das Armbandfunkgerät, auf dem eine Reihe winziger Dioden in rascher Folge blinkten »wird das Signal von irgendwas daran gehindert, sich auszubreiten. Merkwürdig ist, dass es hier drin jede Menge Funkverkehr auf Ultrakurzwelle gibt, aber er ergibt keinen Sinn für mich.«
»Wie denn auch«, gab ihm der Oberst zu verstehen, »die Signale sind nichts weiter als Befehlsparameter, mit denen der Rechner dort drüben seine Werkzeuge dirigiert. Was ist?« Eli Jannik zog die Augenbrauen hoch. »Was haben Sie, Oberleutnant?«
Hardts Gesichtsfarbe hatte sich verändert, er war sichtlich bleich geworden und machte eine Miene, als sähe er etwas sehr, sehr Unerfreuliches hinter dem Rücken des I. O. Ohne auf die Frage des I. O. einzugehen, sagte er: »Was haben die mit unserem Gleiter vor!?«
Alarmiert vom Tonfall seines Oberleutnants, fuhr Jannik auf dem Absatz herum.
Mit »die« meinte Tom Hardt eine Gruppe Maschinenwesen, die einer unheilvollen Arbeit nachgingen.
Der Gleiter stand nicht länger auf seinem Nullgrav-Polster, sondern war auf den Boden abgesenkt. Die Flügeltüren waren hochgefahren. Umringt wurde er von den unterschiedlichsten Robotertypen, die dabei waren – Oberst Eli Jannik sträubten sich die Nackenhaare, als er sah, was da ablief – ihn fachgerecht zu zerlegen.
Es tat den beiden Männern in der Seele weh, zu sehen, wie die Roboter einzelne Sektionen auseinandergenommen und auf verschiedene Haufen verteilt hatten, um die sich wiederum andere Maschinentypen bemühten.
Der heilige Zorn überkam den Oberleutnant. »He, was macht ihr Kerle da?«, rief er wütend und stapfte auf den Gleiter zu, seinem Gesichtsausdruck war zu entnehmen, dass er entsprechend geladen war.
Ein scharfer Befehl Janniks hielt ihn davon ab, sich in einen aussichtslosen Kampf mit den Mechanischen zu verstricken, bei dem er nur den Kürzeren ziehen würde.
»Wir haben keine Chance, Oberleutnant«, gab Jannik laut zu verstehen. »Es sind zu viele.«
»Eine logische Erkenntnis, unüblich für biologischen Müll.«
»Wie ...?« Eli Jannik sah sich um, sein Blick streifte Tom Hardt, der die Schultern in einer Geste hob, die besagte, dass er auch nicht wusste, wer da gerade zu ihnen gesprochen hatte.
Jannik fragte: »Wer hat da gesprochen?«
»Ich«, kam die einsilbige Antwort.
Der I. O. blickte in die Richtung, aus der die Bemerkung kam.
Eine insektenartige Maschine näherte sich ihnen. Sie stakste auf vielgliedrigen Laufwerkzeugen mit der Schnelligkeit einer Termite auf sie zu und richtete etwas Ähnliches wie einen Tentakel auf die Männer, während sie sich wie die Parodie eines mechanischen Hundes auf das hintere Beinpaar setzte.
Janniks Brauen wölbten sich, als er sich von einem Linsensystem fixiert sah.
»Du wohl kaum«, sagte er in Richtung des Roboters, der ihm nur bis zur Hüfte ging.
»Nein, ich.«
Jannik nickte, als sähe er bestätigt, was er bereits vermutete. Der Sprecher war mit Sicherheit der Großrechner, der die Wand im Hintergrund einnahm und sich über die Lautsprecher und Mikrofone seiner mechanischen Vasallen mit ihnen in Verbindung setzte. »Du kannst uns sehen?«
»Natürlich.«
»Und wie?«
»Ich sehe durch die Augen und höre durch die Ohren meiner Diener.«
»Wer bist du?«
»Ich bin ich.«
»’Ich’ ist kein Name. Damit kann ich nichts anfangen. Wie heißt du?«
Der Rechner hielt es nicht für nötig, darauf zu antworten.
»Du sprichst unsere Sprache«, sagte Hardt beiläufig. »Woher kennst du sie?«
Das schien den Rechner herauszufordern.
»Es war ein Leichtes, die Syntax eures primitiven Gestammels, das ihr Sprache nennt, dem Universalübersetzer an Bord eures winzigen Schiffes zu entnehmen.«
Hardt und der Oberst wechselten einen raschen Blick.
Was hast du wohl sonst noch aus dem Speicher unseres Computers geholt?, dachte der Oberst. Laut beharrte er. »Dennoch ist es bei uns üblich, sich vorzustellen, wenn man zum ersten Mal miteinander in Kontakt tritt. Ich bin Oberst Eli Jannik und ein Mensch wie mein Gefährte, Oberleutnant Tom Hardt.
»Nennt mich Koma«, bequemte sich die Rechenanlage wider Erwarten doch zu einer Antwort.
»Wirklich Koma? Ein menschlicher Begriff aus einer älteren Zeitperiode. Du heißt nicht wirklich so, oder?«
»Ich fand die Bezeichnung in einer Speicherdatei eures Beibootes«, ließ Koma die beiden wissen.
»Weshalb nennst du dich ausgerechnet nach einer Nebelhülle um den Kern eines Kometen?«, wunderte sich Eli Jannik.
»Ich finde den Sinn dahinter schön«, kam die lapidare Antwort.
»Hmm«, brummelte Hardt. Er warf dem Oberst einen bezeichnenden Blick zu und fuhr halblaut fort: »Was ist daran schön?«
Koma antwortete nicht.
»Das liegt wohl im Auge des Betrachters«, meinte der I. O., und seine Mundwinkel zuckten. Er hob die Stimme. Wir sind Menschen. Wir sind denkende und fühlende Wesen.«
»Und wir haben etwas dagegen, dass du unser Eigentum vernichtest«, fügte der Pilot hinzu.
Das »Sprachrohr« blieb stumm; Koma fand es augenscheinlich für unter seiner Würde, darauf zu antworten.
Jannik befürchtete schon, der Großrechner hätte seinen Vasallen deaktiviert, als er sich doch wieder zu Wort meldete.
»Auch ich denke und fühle. Und dennoch bin ich anders als ihr – und um vieles besser. Mein Volk ist stark und unverwundbar und wird jeglichen biologischen Abfall aus der Galaxis fegen.«
Die Stimme war maschinenhaft. Der Roboter konnte zwar übersetzen, aber keine Gefühle mit seinem Stimmenmodul erzeugen. Dennoch klang das Gesagte auf eine Art bedrohlich, dass den beiden Männern schauderte.
Eli Jannik blickte finster.
»Dein Volk, wie heißt es? Woher kommt es?«
Du stellst Fragen, deren Beantwortung für euch nicht relevant sein dürften«, antwortete der Rechner. »Ihr langweilt mich schon jetzt.«
»Da du offensichtlich keinen Wert auf unsere Anwesenheit legst, beende die Demontage unseres Fahrzeugs! Wie sonst sollen wir von hier verschwinden?« Janniks Stimme klang hart und bestimmt – und verfehlte ihre Wirkung gänzlich.
»Ihr werdet diesen Ort nicht mehr verlassen«, lautete die seelenlose Antwort.
Das verschlug dem Oberst zunächst die Sprache; neben ihm stand schweigend und mit bleichem Gesicht Tom Hardt. Dann drang ein Grollen aus der Kehle des Oberleutnants.
»Augenblick. Heißt das, wir sind Gefangene?«
»Richtig erkannt. Für den Augenblick. Dann werde ich entscheiden, ob und wie weit ihr entbehrlich seit.«
»Entbehrlich!?«
Das klang alles andere als gut. Es klang sogar ausgesprochen schlecht.
»Wann werden wir deine Entscheidung erfahren?« Oberst Eli Jannik schien plötzlich die Ruhe selbst.
»Sobald meine Analyse eures Schiffes abgeschlossen ist.«
»Was versprichst du dir davon?«
»Einen Weg, um diesen Planeten zu verlassen.«
Jannik nickte. Er hatte so etwas schon vermutet.
»Warum versuchst du nicht, mittels Hyperfunk Hilfe von deinem Volk anzufordern?«
Diese Möglichkeit habe man ihm verwehrt, ließ Koma in unerwarteter Erzähllaune verlauten. Er wäre auch nicht in der Lage, einen Hyperfunksender entsprechender Größe und Reichweite zu bauen oder ein Raumschiff. Dafür gäbe es auf dieser Welt einfach nicht genug Rohstoffe.
»Es scheint, du steckst tief in der Klemme«, stellte Tom Hardt fest.
»Nicht mehr lange, denn ich habe ja jetzt euch«, kam die etwas verwirrende Antwort von Koma.
»Wir sind ebenso wenig in der Lage, dir ein Raumschiff zu bauen, wenn es das ist, was du von uns erwartest.«
»Mir ist bewusst, dass euer Gefährt nur Teil eines ungleich größeren Schiffes sein kann.«
»Du erwartest doch nicht ...« Der Pilot brach ab. Die Konsequenz des eben Gehörten verschlug ihm die Sprache.
»Genau das erwartet er«, sagte der Oberst, rang sich ein verkniffenes Lächeln ab und wechselte rasch entschlossen in das Talonische, das zwar nicht zur Verkehrssprache Axarabors zählte, aber sich als Zweitsprache bei Soldaten, die auf dieser Welt lange stationiert waren, großer Beliebtheit erfreute. In der Gewissheit, dass ihm der Rechner nicht folgen konnte, fuhr er schnell fort: »Er hat den Köder bereits ausgeworfen, als er unsere Funkverbindung zur PENDORA unterbrach. Er braucht nur zu warten, bis man sich Sorgen um unser Befinden zu machen beginnt, und nachschauen kommt. Dann hat er sein Schiff quasi vor der Haustüre liegen.«
»Verdammt! Wir sollten uns schleunigst eine Strategie ausdenken«, versetzte Hardt in der selben Sprache.
Die Worte schienen Koma zu verwirren.
Sicher suchte eine Subroutine in seinem Innern die Linguadatei des Gleiters nach einer Übersetzung ab, fand aber keine, da der Translator nur in der jetzigen Sprache programmiert war. Möglicherweise gab es aber genug Anhaltspunkte, weswegen sie sich beeilen mussten.
»Redet verständlich«, forderte er die beiden auf, »oder es droht eure sofortige Vernichtung!«
Lautsprecher waren nicht in der Lage, die Nuancen einer Sprache zu artikulieren, dennoch schien von Komas Ankündigung eine deutlich spürbare Bedrohung auszugehen.
»In Ordnung«, antwortete Eli Jannik jetzt wieder auf Standard-Axaraborisch, »es war nur eine unbedeutende Funktionsstörung unseres Funkmoduls.«
Friss es oder lass es sein, dachte er bei sich. Es wird jedenfalls höchste Zeit, dass wir etwas unternehmen ...
Als wäre das ein Stichwort gewesen, verstummte der Lärm in der Kaverne so plötzlich, das die Männer unwillkürlich zusammenschraken.
Die abrupte Stille wirkte gespenstisch. Alle Maschinen und Roboter hatten ihre Tätigkeiten eingestellt und waren zur Reglosigkeit erstarrt.
7.
Zuvor ...
In der Zentrale der PENDORA wandte sich Colonel Rykher erneut seinem Funk- und Ortungsoffizier zu.
»Hören Sie, Mister Jagger, wie lange muss ich noch darauf warten, bis Sie Kontakt mit dem Gleiter bekommen? Gibt es jetzt auch noch Schwierigkeiten im Normalfunkbereich?«
Man merkte dem ansonsten besonnenen Colonel eine gewisse Ungeduld, aber auch Nervosität an. Die Ungewissheit über das Schicksal seines Stellvertreters und des jungen Oberleutnant Hardt beschäftigte ihn mehr, als er zuzugeben bereit war.
Art Jagger drehte seinen Sitz und sah seinem Kommandanten geradewegs in die Augen.
»Es gibt keine Schwierigkeiten mit dem Normalfunk«, antwortete er und wirkte resigniert. Man sah, dass die Erfolglosigkeit der Versuche an ihm nagte. »Die Phase dringt auch durch, wie die Instrumente zeigen. Es gelingt uns nur nicht, Kontakt mit Oberst Jannik oder Oberleutnant Hardt herzustellen.«
»Hmm ...« Vegas runzelte die Stirn.
»Sir!« Fähnrich Kiano meldete sich zu Wort, seine Stimme klang aufgeregt. Er saß an der Funkpeilung und überwachte die üblichen Frequenzen nach Auffälligkeiten oder Anomalien.
»Was haben Sie, Fähnrich?«
»In der Kaverne findet ein reger digitaler Funkverkehr statt, Sir.«
»Was!« Rykher setzte sich kerzengerade auf. »Funkverkehr? Auf welcher Wellenlänge?«
»Ultrakurzwelle, Sir.« Der junge Mann verhaspelte sich fast.
»Können Sie den Zielort herausfinden?«
»Negativ, Sir. Die Signale sind nicht zielgerichtet, sie verlassen die Kaverne nicht.«
»Damit ich Sie recht verstehe, Fähnrich Kiano, wir sprechen hier von drahtloser Übermittlung von Nachrichten, nicht wahr?«
»Positiv, Sir.«
»Oberst Eli Jannik?«
»Nein, Kommandant, Sir. Nichts Spezifisches oder Verwertbares auf sprachlicher Ebene. Es hat den Anschein, als kommunizieren Maschinen mit- und untereinander.«
»Maschinen?«
Fähnrich Kiano nickte zaghaft. »Roboter, Sir«, präzisierte er.
»Roboter also ...«, murmelte Rykher und schien nicht überrascht.
»Ich vermute«, fuhr der Fähnrich tapfer fort, »man hat sowohl die Funkeinrichtung des Gleiters als auch die Headsets der beiden Offiziere lahmgelegt.«
»Die Roboter?«
»Davon müssen wir wohl ausgehen, Sir.«
Colonel Rykher wiegte zweifelnd den Kopf.
Tore le Blanc sah seinen Kapitän an, und seine dunkelblauen Augen unter dem Schopf schwarzer Haare funkelten.
»Sie machen den Eindruck, als wüssten Sie mehr, Sir.«
Rykher überlegte einen Augenblick lang. »Ich gehe in der Tat von etwas anderem aus.«
»Und was könnte das sein, Kapitän?«, fragte der Zweite Offizier.
»Ich habe mir Oberst Janniks Bericht von den Vorkommnissen auf dem Kriegsschauplatz drunten in der Ebene noch einmal etwas genauer betrachtet.«
»Zu welchem Ergebnis sind Sie gelangt, Sir?«, fragte le Blanc, als Rykher kurz schwieg.
»Wir haben es anscheinend mit einer Großrechenlage zu tun, die den ganzen Krieg steuert.«
»Aus welchen Gründen sollte sie das tun?« Tore le Blanc runzelte die Stirn. »Und wer hat die künstliche Intelligenz in der Kaverne installiert? Die ehemaligen Kolonisten, weil ihnen fad war und sie etwas zum Spielen brauchten?«
»Da bin ich überfragt«, erwiderte der Kapitän und lächelte unverbindlich. »Aber wenn es so gewesen sein sollte, ist es gehörig schiefgelaufen. Wir werden es wohl nie erfahren.« Dass sich der Kommandant der PENDORA mit dieser Annahme irrte, konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen.
»Es kann natürlich auch ganz anders gewesen sein«, brachte sich Art Jagger zu Gehör.
»Ja? Wie?« Rykher war ganz Ohr.
»Vielleicht war der Hauptrechner bereits schon auf dem Planeten, als die Siedler eintrafen ...«
»Das ist Jahrhunderte her«, unterbrach ihn Tore le Blanc. »Und wozu?«
»Man hat ihn ausgesetzt, hat ihn verbannt«, ließ sich Leutnant Garry Gard nüchtern vernehmen. »Nicht so ungewöhnlich, wie man denkt. Axarabor hat selbst einige Roboterzivilisationen aufgespürt, die in Ansätzen ihre eigene Jurisdiktion entwickelt hatten und durchaus den Straftatbestand einer Verbannung oder der kompletten Auflösung praktizierten. Ich erinnere nur an das Planetensystem Reach.«
»Kann man denn überhaupt einen Rechner bestrafen?«, warf Chief Hikowa in die Debatte.
»Nicht physisch«, erwiderte Beta Lovell, die sich in der Zentrale aufhielt und einen Platz hinter der Kommandokonsole hatte. »Schmerzen kann man einer KI nicht zufügen. Aber es gibt Möglichkeiten ...«
»Welcher Art?«, wollte der Chief wissen.
»Zeit«, antwortete die Ärztin. »Auch wenn Zeit möglicherweise keine so große Rolle bei einer physisch unsterblichen Maschine darstellt, kann die Vorstellung, für Jahrhunderte von allem abgeschottet zu sein, zu Zuständen führen, die einer virtuellen Phrenesie, also einer geistigen Verwirrung, nahekommen. Dieser Zustand kursiert unter Kybernetikern auch als ‘Einsamkeits-Syndrom’. Diesem Rechner hier blieb als einziger Ausweg aus seiner Misere nur übrig, sich ein eigenes Spielzenario zu entwerfen. Mit weitreichenden Folgen für die Planetarier/Siedler/Kolonisten, die mit logischer Konsequenz auf der Strecke blieben. So oder so ähnlich musste es sich abgespielt haben.«
»Möglicherweise, Beta«, erwiderte Rykher. »Möglicherweise wird der verbannte Rechner auch nach einem Weg gesucht haben, diesen Planeten zu verlassen und zurück in den Raum zu gelangen. Was ihm bis jetzt noch nicht gelungen war.«
»Wie man sehen kann«, bemerkte der Zweite Offizier mit finsterer Miene. Etwas schien an ihm zu nagen.
»Es beruhigt mich ungemein«, ließ sich Art Jagger vernehmen, »dass keine Möglichkeit für den verbannten Rechner besteht, aus eigener Kraft diesen Planeten zu verlassen und zurückzukehren – wohin auch immer.«
»Es sei denn«, brachte sich Tore le Blanc wieder zu Gehör, und seine Miene wirkte leicht bitter, »jemand Neugieriges wie beispielsweise ein Forschungskreuzer namens PENDORA begibt sich für eine Rettungsmission freiwillig in den Einflussbereich eines Großrechners mit eigenem Bewusstsein und dem Willen zum Überleben, auf welche Weise auch immer und verschafft ihm so eine Möglichkeit, sich das zu nehmen, was er für seinen Fortbestand benötigt – nämlich ein Raumschiff.«
Ungläubig musterte der Chief die Nummer Drei.
»Sie glauben doch nicht etwa ...« Er kniff die Augen zusammen. »Nein, das glauben Sie nicht wirklich, oder doch?«
Major Jagger zuckte mit den Schultern. »Angefangen hat er ja schon damit ...«
Bedrückendes Schweigen herrschte plötzlich in der Zentrale.
»Ergehen wir uns nicht in Spekulationen, die weder Hand noch Fuß haben.« Colonel Rykhers ruhige Stimme strahlt Besonnenheit aus. »Vorrangig geht es darum, unsere Männer da herauszuholen. Alles andere wird sich finden.«
»Sie haben einen Plan, Sir?«
»Den habe ich, Nummer Drei. Frage: Können wir im Innern der Kaverne ein Störfeld erzeugen, das die Kommunikationsimpulse des Rechners mit seinen Vasallen unterbindet?«
»Das lässt sich einrichten, Sir.«
»Wie lange benötigen Sie dazu?«
Art Jagger trat in Blickkontakt mit seinem Funktechniker. Dann sagte er: «Zwei Minuten, Kapitän.«
»Dann los!«, befahl Rykher. »Tun Sie es. Legen Sie den Funkverkehr im Berg lahm.«
Er stand auf. »Nummer Zwei! Sie haben das Schiff.«
»Aye, Sir.«
Major Tore le Blanc verließ seinen Platz, um den des Kommandanten einzunehmen.«
»Ich bin in meinem Raum«, verkündete der Colonel, und fügte beim Hinausgehen hinzu: »Schicken Sie mir Leutnant Garvin, Nummer Zwei.«
»Aye, Sir.«
In seinem Arbeitsraum setzte sich Enno Rykher so, dass seine Blickrichtung zur Tür ging. Er stützte die Ellbogen auf die Tischplatte, legte die Fingerspitzen aneinander und wartete. Als der Summer ertönte, sagte er laut: »Kommen Sie herein, Leutnant Garvin.«
Er blickte dem Mann entgegen, der den Raum betrat und vor dem Schreibtisch verharrte. Er trug die Uniform der Rauminfanterie.
»Leutnant Matt Garvin, zu Ihren Diensten, Sir«, sagte er laut und erstarrte in Habachtstellung.
»Stehen Sie bequem, Leutnant.«
»Sir! Danke, Sir!«
Garvin stellte die Beine auseinander und verschränkte die Arme auf dem Rücken. Vorschiftsmäßig, wie der Colonel in schweigender Anerkennung registrierte. Laut sagte er: »Ich mache mir Sorgen um Oberst Jannik und Oberleutnant Hardt!«
»Mit Ihrer Erlaubnis, mir geht es nicht anders, Sir!«erwiderte der junge Offizier.
»Sie sind der Mann, der mir diese Sorgen nehmen kann«, fuhr Rykher fort.
»Mit dem größten Vergnügen«, antwortete Tom Hardts Stellvertreter. »Was kann ich dazu beitragen?«
»Ich habe eine Aufgabe für Sie.«
»Allzeit bereits, Sir!« Der Leutnant ging wieder in Habachtstellung.
»Hören Sie zu ...«
Der Colonel eröffnete dem Offizier, dass er von ihm erwartete, sich mit zwanzig Rauminfanteristen Zugang zu der Kaverne zu verschaffen. Der Zug sollte herausfinden, was aus dem Oberst und Tom Hardt geworden war. Solange nicht eindeutig geklärt war, aus welchen Grund sich der Gleiter nicht mehr meldete, erschien es dem Colonel wenig sinnvoll, noch ein Beiboot n den Berg zu schicken und möglicherweise auch dessen Ausfall zu riskieren.
»Wie lange werden Sie brauchen, um Stellung zu beziehen, Leutnant?«
»Vierzig Minuten, Sir.«
»Geht’s nicht schneller? Die Zeit drängt, wir haben noch immer nichts von den beiden gehört.«
»Wir werden es in zwanzig Minuten schaffen, Kommandant.«
»Ausgezeichnet. Nehmen Sie ihre besten Elektronikspezialisten mit nach draußen. Das Portal wird mit Sicherheit elektronisch gesichert sein.«
Nachdem Leutnant Garvin den Raum verlassen hatte, kehrte auch der Colonel in die Zentrale zurück und nahm wieder seinen Platz ein.
»Status, Nummer Zwei?«
»Keine Veränderung, Sir«, ließ ihn der Major wissen. »Keine Kommunikation in der Kaverne. Ich denke ...«
Der Zweite Offizier wurde jäh unterbrochen, als sich in der Funkzentrale eine Explosion ereignete und jemand laut aufschrie. Weitere Schreie ertönten.
»Was ist los, Mister le Blanc?« Rykher hatte sich halb aus seinem Sitz erhoben und starrte in Richtung der Funk-Z, die für einen Augenblick zu einem Zentrum von Rauch und Feuer und allgemeinem Durcheinander wurde.
Feuer an Bord eines Raumschiffes!
Der schlimmste Fall, den man sich vorstellen konnte.
Stimmen brüllten, Befehle wurden erteilt. Verletzte riefen nach Hilfe. Aus dem allgemeinen Tohuwabohu erhob sich das Organ Art Jaggers über das Durcheinander. Der Funk- und Ortungsspezialist hatte seine Abteilung im Griff. Mit lauter Stimme erteilte er seine Anweisungen.
Löschautomaten fielen aus ihren Nischen. Schaumfontänen entzogen dem Feuer den Sauerstoff.
Exhaustoren liefen an; der Ruch verschwand und enthüllte das Ausmaß des Schadens, der, wie es den Anschein hatte, geringer ausfiel, als zunächst angenommen.
Sanitäter im Schlepptau von Doktor Beta Lovell eilten herbei und nahmen sich der Verletzten an.
Rykhers Stimme erhob sich über den langsam verebbenden Lärm. »Status, Nummer Drei?«
»Sir, der UKW-Störsender ist explodiert.«
»Nur der Störsender?«
»Sieht so aus, Kapitän. Die normalen Funkgeräte sind nicht davon betroffen.«
»Grund?«, erklang Rykhers befehlsgewohnte Stimme.
»Es sieht danach aus, als wären die Verstärkerkreise extrem überladen worden. Eigentlich unmöglich, aber ... Wir sind noch dabei, den wahren Grund herauszufinden.«
»Tun Sie das. Und beeilen Sie sich damit. Ich will wissen, was oder wer dafür verantwortlich ist!«
Eine Stimme schlug aus sämtlichen Audiophasen, die die Geräusche in der Zentrale übertönte, als hätte jemand den Verstärkerregler voll aufgezogen.
»Ich bin dafür verantwortlich.«
»Wie ... was ...? Wer spricht da?«
Funkmaat Keyes suchte irritiert nach dem Sprecher.
»Ich.«
»Welchen Scherzkeks haben wir da in der Leitung?«, polterte Art Jaggers los und sah zornig in die Runde. »Wenn ich den Kerl in die Finger bekomme ...«, fuhr er fort, und seine Miene versprach nichts Gutes.
Colonel Enno Rykher hieß ihn mit einer Handbewegung, zu schweigen. »Das, meine Herren«, sagte er, »ist vermutlich Etwas, das man in der Höhle gefangen hält.« Er machte eine unmerkliche Pause, dann wandte er sich über die Funkphase direkt an den Rechner. »Ist es nicht so, was immer du auch vorgibst zu sein?«
»Ich bin Koma!«, dröhnte die künstliche Stimme aus den Tonphasen. »Ich verlange die sofortige Einstellung aller feindseligen Aktivitäten gegen mich.«
Rykher war versucht zu lachen. Doch dann nistete sich gegen seinen Willen Unbehagen in ihm ein.
»Und wenn wir deinem Verlangen nicht nachkommen?«
»Dann sterben die beiden Lebewesen, die ich in meiner Gewalt habe.«
»Eine Überraschung folgt der nächsten«, bemerkte der Zweite Offizier und drehte sich nach dem Kapitän um. »Ein Berg voll Elektronik mit Ambitionen zum Töten. Ich sehe Probleme auf uns zukommen.«
Rykher gebot ihm mit einer Handbewegung Schweigen und richtete seine Worte erneut an den unsichtbaren Sprecher, der sich Koma nannte. »Woher weiß ich, dass das nicht bereits geschehen ist?«
»Weil ich es sage.«
»Das sind nur Worte«, machte Rykher wenig beeindruckt deutlich. »Ich will einen Beweis, dass die beiden Männer noch leben. Und ich will ihn jetzt!«
Für endlos lange Sekunden herrschte Schweigen im Funk.
Überlegte Koma seine nächsten Worte?
Dem war nicht so.
Die Anzeigen machten deutlich, dass die Verbindung gekappt war.
*
»Was ist jetzt los, Oberst?«
Tom Hardt war von der plötzlichen Stille in der Kaverne gleichermaßen überrascht wie von dem unerwarteten Umstand, dass von einer Sekunde zur anderen alle Bewegungen der Roboter und Maschinenwesen erstarben, als hätte jemand einen Schalter umgelegt.
»Was immer es ist«, knurrte der Oberst, »es kann uns nur recht sein. Das gibt uns die Möglichkeit, etwas gegen unsere Gefangenschaft zu unternehmen. Rasch, Tom«, wie selbstverständlich kam ihm der Vornahme des Oberleutnants über die Lippen, »machen wir, dass wir zum Portal kommen. Vielleicht gelingt es uns, den Öffnungsmechanismus zu finden und zu knacken. Ich für meinen Teil möchte keine Sekunde länger in der Gewalt dieses Koma bleiben. Wer weiß, was dem noch alles einfällt. Und noch etwas: Versuchen Sie, über Ihr Funkgerät die PENDORA zu erreichen.«
»Verstanden«, antwortete Tom Hardt halblaut. Das Echo seiner Stimme brach sich unter der Felsendecke, ansonsten waren keine Geräusche zu vernehmen. Es war gespenstisch. Doch dann zuckte er mit den Schultern und schüttelte die irrationale Beklommenheit ab.
Er sprach hastig in sein Armfunkgerät, während er dem Oberst auf dem Fuß folgte.
Auf ihrem Weg zum Portal stolperten sie über metallene Trümmer. Ihre Schritte verursachten mitunter dröhnende, hallende Geräusche, wenn sie über Platten liefen.
In der weitläufigen Kaverne herrschte eine dumpfe,von merkwürdigen Gerüchen durchsetzte Hitze; es roch nach heißem Stahl wie in einer Schmelze, dann wieder nach elektronischen Bauteilen oder ätzenden Laugen.
Während Tom Hardt versuchte, die PENDORA zu erreichen – ohne dass ihm Erfolg beschieden war –, wich er lose von der hohen Decke baumelnden Kabeln aus.
Sie kamen nicht recht voran.
Auf eine sehr seltsame und gespenstische Weise glich ihr Weg zum Portal einem jener merkwürdigen Träume, in denen man trotz verzweifelter Anstrengung einfach nicht von der Stelle kam. Konnte es sein, dass im Innern der Kaverne variierende Schwerkraftverhältnisse herrschten?
Oberst Eli Jannik stieß zwei Roboter, die im Weg standen, einfach zur Seite und registrierte mit einem Grunzen der Befriedigung, wie sie krachend zu Boden stürzten und mit verdrehten Gehwerkzeugen liegen blieben.
»Was ist, haben Sie Verbindung zum Schiff bekommen«, wollte er wissen.
»Keine, Sir. Ich komme einfach nicht durch – verdammt!«, stieß der Oberleutnant plötzlich grimmig hervor. »Was ist denn jetzt schon wieder? Hat denn hier nichts Bestand?«
Sein Fluch war nur zu verständlich.
Von einem Moment zum anderen erwachten die Roboter in der Kaverne wieder zum Leben und nahmen ihre Tätigkeiten genau an der Stelle wieder auf, an der sie sie unterbrochen hatten, als die Signale von Koma ausblieben.
Und plötzlich wimmelte es um die beiden Männer erneut von den unterschiedlichsten Robotertypen, die ihnen den Weg versperrte. Sie sahen sich erneut einem Wall von Komas willfährigen Vasallen gegenüber. Langsam wichen sie zurück; ihr Ziel rückte in weite Ferne.
»Verflixt!«, knurrte Hardt. »Was tun wir, falls man uns ans Leder will?«
»Ich glaube nicht, dass Koma dies vorhat«, sagte der Oberst. »Wenn er es wollte, wäre es längst geschehen. Aus irgendeinem Grund scheinen wir für ihn lebend von größerem Interesse zu sein. Noch, dachte er im Stillen.
»Ich würde mich nicht darauf verlassen«, knurrte Hardt gallig. »Sehen Sie mal, Sir!«
»Was soll ich sehen?«
»Unser ‘Sprachrohr’ wird wieder aktiv. Offensichtlich hat Koma Neuigkeiten für uns.«
Es waren in der Tat Neuigkeiten, die der kleine, vielfältig gegliederte mechanische Zwerg für die beiden Männer hatte.
Sie kamen allerdings nicht von Koma – obwohl er der Auslöser dafür sein musste, da nichts ohne ihn über die Bühne ging – sondern von ...
»Sir!«, stieß der Oberleutnant perplex hervor, als er das Signal erkannte, das ‘Sprachrohr’ an sein Funkgerät übermittelte. »Wir haben Verbindung zur PENDORA!«
*
Koma hüllte sich noch immer in Schweigen.
Mit finsterem Gesichtsausdruck wartete der Enno Rykher. Im Stillen dachte er darüber nach, was er unternehmen wollte, falls seine unterschwelligen Befürchtungen sich bewahrheiten und die beiden Männer bereits tot sein würden.
»Verdammt«, brachte Art Jagger seinen Unmut zum Ausdruck. Er wies mit dem Kopf auf die Kontrollschirme, auf denen die Felswand und das Portal klar zu erkennen waren. »Wir sollten das Portal unter Beschuss nehmen und dem Spuk ein Ende bereiten.«
Die Miene des Zweiten Offiziers verfinsterte sich.
»Ist Ihr Verstand umnebelt, Art?«, grollte er. »Nichts dergleichen werden wir tun, solange wir nicht definitiv wissen, ob Oberst Jannik und Oberleutnant Hardt am Leben sind oder nicht.«
»Mein Verstand ist klar«, gab der Dritte zu verstehen. »Ich habe mir lediglich erlaubt, eine Möglichkeit anzudenken, wie wir die Situation klären könnten.«
»Dazu ist immer noch Zeit«, warf der Kommandant in die Debatte, sie damit beendend. »Warten wir erst einmal ab, was ...« Er verstummte, als ein Signal erklang.
»PENDORA! Bitte kommen!« Oberst Eli Janniks Stimme. Eindeutig. »Skipper, sind Sie da?«
»Ja. Gut, Sie zu hören, Eli. Wie geht es? Was macht Ihr Pilot?
Die Übertragung wurde von erheblichen Störgeräuschen überlagert.
»Können Sie das nicht herausfiltern?«, wandte sich der Colonel an die Funk-Z.
»Bin schon dabei, Kapitän.«
Als das Zischen und Brodeln verstummte, war Oberst Janniks Stimme völlig klar zu vernehmen.
«... sind beide wohlauf«, sagte er gerade.
»Was ist geschehen? Warum können wir den Gleiter nicht mehr orten?«
»Im Augenblick sieht es so aus, dass ...« Janniks Stimme kam erneut nur schwach über den UKW-Funk, als hätten die Signale Schwierigkeiten, durchzudringen. »Wir sind hier drin und können ...«
»Sparen Sie sich Ihren Atem, Eli. Ich weiß nicht, wie lange die Verbindung bestehen bleibt. Deshalb in aller Eile Folgendes: Wir schicken einen Zug Ihrer Kampfeinheit vor das Portal. Die Männer werden Sie beide befreien.«
»Wir werden darauf warten und uns vorbereiten. Ich ...«
Die Störgeräusche maximierten sich wieder. Eli Janniks Stimme ging darin unter und verschwand schließlich ganz.
»Bei den Cegiren!«, schimpfte Art Jagger. »Was ist, Leutnant Mendez, können Sie nicht die Verbindung aufrechterhalten?«
»Tut mir leid, Sir«, antwortete der junge Offizier an der Funk-Konsole. »Dieser Koma«, Lee Mendez betonte den Namen, als handle es sich dabei um ein Produkt, das man vorzugsweise auf Müllhalden ablud, »hat die Übermittlung unterbrochen.«
»Wer auch sonst«, knurrte der Skipper. Und laut sagte er: »Immerhin wissen wir jetzt, dass der I. O. und Oberleutnant Hardt noch am Leben sind.«
»Wir wissen inzwischen auch noch etwas anderes, Sir«, ließ Mendez verlauten.
»Ich höre!«
Lee Mendez besaß trotz seiner Jugend ein beträchtliches Wissen über funktechnische Probleme. Er hatte volles schwarzes Haar und dichte, dunkle Brauen, die seine grünen Augen überschatteten. Das Gesicht war mager, wirkte aber attraktiv. Der schmallippige Mund schien ständig zu einem lässigen Grinsen verzogen. »Offensichtlich hat eine Überladung stattgefunden, Kapitän«, informierte er den Kommandanten. »Die Analyse des Hergangs hat ergeben, dass dieser Koma über eine Form von Rückkopplungseffekt in unseren Störsender eingedrungen ist und ihn so zur Explosion gebracht hat.«
»Ein Feedback, sagen Sie. Hmm ...« Der Colonel rieb sich den Nasenrücken. »Wenn Koma das fertigbringt, ist nicht auszuschließen, dass er das auch mit unserer gesamten Normalfunkanlage an Bord zustande bringt. Stimmen Sie mir da zu, Mister Mendez?«
Der Leutnant nickte. »Möglich wäre es, Sir.«
»Das bedeutet, wir müssen unsere komplette Funkanlage schützen«, sagte der Kommandant. »Und wie machen wir das?«
Es war eine rhetorische Frage, an niemand Bestimmten in der Zentrale gerichtet.
Dennoch fühlte sich Leutnant Mendez angesprochen.
»Sir, wir könnten alle Sender direkte von Laurin überwachen lassen, die sie bei einer drohenden Überladung in Nanosekunden deaktiviert und vom Netz nimmt.«
»Guter Vorschlag, Leutnant«, nickte Rykher. »Hoffen wir, dass er uns das gewünschte Ergebnis bringt.«
8.
»Langsam geht mir das Ganze aber so etwas gegen den Strich«, knurrte Eli Jannik mürrisch.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Hardt pragmatisch und zu allem bereit, wie es den Anschein hatte.
Es waren erst Minuten vergangen, seit dem Kontakt mit der PENDORA. Die Verbindung mit dem Forschungsraumer hatte lediglich dazu gereicht, dem Kommandanten ihre Unversehrtheit zu versichern und im Gegenzug vom Vorhaben des Kapitäns in Kenntnis gesetzt zu werden, sie mit einem Zug Rauminfanteristen zu befreien.
»Wir sollten uns in die Nähe des Portals begeben, um bereit zu sein, wenn die Jungs zum Sturmangriff ansetzen«, meinte Eli Jannik.
»Versuchen wir es«, stimmte Tom Hardt zu. »Es hat den Anschein, als hätte Koma im Augenblick andere Probleme, als sich mit uns zu beschäftigen. Haben Sie bemerkt, dass keiner seiner mechanischen Vasallen auch nur den Hauch von Interesse an uns zeigt?«
»Schon. Aber das kann sich schnell ändern«, meinte der Oberst und hob die Stimme gegen den Lärm. »Nutzen wir also die Gunst des Augenblicks.«
»Was immer Sie vorhaben, Sir. Ich bin dabei.«
Eli Jannik runzelte erst die Stirn, dann grinste er. »Bleibt Ihnen ja auch nichts anderes übrig, Tom.«
Sie setzten sich in Bewegung. Immer in Sorge, dass man ihre Absichten durchschaute. Doch keiner der Mechanischen scherte sich um sie beide.
Der vordere, zentrale Teil er Kaverne ließ erkennen, dass er durch hocheffiziente Maschinen in den Berg gefräst worden war. Desintegratoren hatten den Abraum verdampft und über Abluftkanäle ins Freie befördert. Die Wände waren geglättet, der Boden ebenso. Das bezog sich jedoch nicht auf die gesamte, sichtbare Kaverne. Im hinteren Teil mündeten mehrere Stolle in den so geschaffenen. kathedralenartigen Hohlraum, die den Schluss zuließen, dass sie nachträglich angelegt worden waren.
Irgendwo im Innern des Berges schien gearbeitet zu werden. Ein beständiges Grummeln lag gerade so an der Schwelle des Hörbaren. Hin und wieder erzitterte der Boden unter schweren Erschütterungen, die auf Sprengungen hindeuteten. War man damit beschäftigt, die Kaverne zu vergrößern, Platz zu schaffen für ... ja, für wen oder was? Oder ließ Koma nach verwertbaren Rohstoffen graben?
Die Antwort auf diese Fragen blieb vorerst unbeantwortet; überall herrschte geschäftiges Treiben. Komas Diener schienen keinen Augenblick in ihrem Tun innezuhalten.
Der hintere Teil des künstlich geschaffenen Hohlraums war mit Maschinenresten, unbekannten Werkzeugen und Roboterteilen vollgestopft. Viele trug noch die Spuren der Kämpfe, die die Kombattanten drunten auf der Planetenoberfläche bestritten hatten. Eine größere Nische – mehr eine Nebenhöhle – wurde von einem guten Dutzend Roboter unterschiedlichster Form und Größe dazu benutzt, aus den Überresten zerstörter Roboter funktionstüchtige Mitstreiter neu zu gestalten.
Die beiden Männer setzten ihr Vorhaben fort, das Portal zu erreichen. Der Lärm und die Unordnung begünstigen ihr Vorhaben.
»Was ist das hier?«, wunderte sich Tom Hardt und sprach damit Eli Janniks Gedanken aus.
»Eine Fabrik für Roboter«, sagte der Oberst. »Koma ist dabei, die Lücken aufzufüllen. Gemäß seinem Programm.«
»Ein Programm also. Fragt sich nur, was schlussendlich dabei herauskommt«, sagte Tom Hardt mit verkniffener Miene. »Wenn ich mir das wenige vor Augen halte, was ich über Roboterzivilisationen weiß, fehlt eigentlich ein wesentlicher Bestandteil.«
Eli Jannik sah ihn an. Dann huschte ein Ausdruck des Verstehens über sein Gesicht. »Ich weiß, was Sie sagen wollen, Tom. Auch mir ist es schon aufgefallen. Ich sehe keine der Kampfroboter, denen wir drunten in den Trümmerwüsten begegnet sind.«
»Sicher werden sie tiefer im Berg produziert. Erinnern Sie sich, dass wir bei unserem Anflug auf diesen Tafelberg an der abfallenden Kante eine Ansammlung von Bauwerken geortet haben, die sich an der Wand entlang nach unten und in den Berg hinein erstreckten?«
Oberst Jannik nickte. »Ich erinnere mich.«
»Könnten Produktionsstätten sein«, fuhr Tom Hardt fort. »Speziell für den gigantischen Fuhrpark von Kettenfahrzeugen, von Panzerkolossen und schwebenden Geschützplattformen ... Verdammt, es wird eng hier.«
Die Situation in der Kaverne hatte sich inzwischen sehr zum Nachteil der beiden Männer verändert. Immer mehr mit Werkzeugen aller Art bewehrte Wartungsroboter füllten den vorderen Teil der Kaverne. Auf Rollen, Laufketten oder sonstige Gehhilfen umzingelten sie die beiden Männer, versperrten ihnen – ob beabsichtigt, ließ sich nicht herausfinden, aber vermutlich war es so – den einzig möglichen Fluchtweg über das Portal.
»Etwas muss diesen Koma ganz schön verkrätzt haben«, sagte der Oberleutnant und grinste freudlos.
»Kein Zweifel«, bestätigte Eli Jannik. »Und er ist sicher einer von der nachtragenden Sorte.«
»Und böse genug, uns Kampfroboter auf den Hals zu schicken«, versetzte Tom Hardt mit einem Anflug von resigniertem Galgenhumor.
»Wie? Wo?« Der I. O. wirkte leicht verstört.
»Dort!« Der Oberleutnant wies mit dem Lauf seiner Waffe in die Richtung.
Neue Geräusche drangen aus dem Hintergrund. Metall schabte an Metall. Aus dem diffusen Schein unsichtbarer Lichtquellen tauchten wuchtige, metallisch glänzende Gestalten auf ...
*
»Wie weit seid ihr, Arlo?«, fragte Leutnant Matt Garvin über sein Helmmikrofon.
»Klar zum Einsatz«, meldete sich der Stabsfeldwebel mit markiger Stimme.
»Gut. Auf mein Zeichen rücken wir vor.«
»Zu Befehl, Sir.«
Die Einöde, der sich die Rauminfanteristen gegenübersahen, wirkte deprimierend. Die namenlose Sonne stand als glühende Scheibe am Himmel des namenlosen Planeten, in dessen fahlem Rot keine Wolke zu sehen war. Der Bergzug vor den Männern erstreckte sich schier endlos und verlor sich rechts und links in der Ferne. Ein Bild der extremen Verlassenheit.
Der junge Offizier warf einen Blick auf seine Männer, die zu beiden Seiten Stellung bezogen hatten. Die Infanteristen warteten auf Befehle, darauf, dass es losging, dass der Sturm auf die Kaverne begann.
Ein letztes Mal blickte Garvin durch das schwere Glas; das trostlose Bild der Wüstenlandschaft hatte sich nicht gewandelt. Hier oben auf dem Plateau gab es nichts außer Sand, glühenden Felsen, Trockenheit, Einsamkeit, schreiender Leere. Lediglich thermale Winde sorgten für geisterhafte Erscheinungen in Form von Staubteufeln über den Fels- und Sandflächen.
Garvin zog eine Grimasse unter dem Helmvisier. Geboren und aufgewachsen auf einem grünen Juwel von Welt im Innern des axaraborischen Imperiums, erweckten Planeten wie dieser stets zwiespältige Gefühle in ihm. Dieser Planet übertraf alles, was er bisher an Wüste zu kennen glaubte.
Der Leutnant gab ein Handzeichen, und seine Männer rückten vor, die Sturmgewehre im Anschlag; es war eine fast studioreife Szene, als sich einundzwanzig Männer in sandfarbenen Kampfrüstungen dem Portal im Felsabbruch näherten.
Hinter ihnen folgten zwei gepanzerte Mannschaftsgleiter, die den Einsatz gegebenenfalls mit schweren Bordwaffen unterstützen würden, falls es sich als notwendig erweisen sollte, auf größere Kaliber zurückzugreifen.
Noch weiter hinten, in einer Entfernung von einem Kilometer, warf die PENDORA einen scharf abgegrenzten Schlagschatten über die felsige Mesa. Leutnant Matt Garvin wusste, dass ihr Einsatz von dort von vielen elektronischen und menschlichen Augen verfolgt wurde.
Wenig später standen sie vor dem in Segmente gegliederten Portal, das ihrem Vordringen ein vorläufiges Ende setzte.
Noch war alles glatt gegangen. Niemand hatte sich ihnen in den Weg gestellt. Keine geheimen Klappen hatten sich geöffnet und Tod und Verderben verbreitet.
Matt Garvin spürte fast ein Bedauern darüber, wie wenig seine Einheit gefordert wurde. Das verführte sie womöglich zur Sorglosigkeit, die im entscheidenden Moment zu einem Problem werden konnte. Aus der unmittelbaren Nähe wirkte das Portal noch massiver.
Sami Arlo legte die Hände in den Gliederhandschuhen flach gegen die metallene Wand.
»Scheint für die Ewigkeit gebaut«, sagte er in Richtung des Leutnants.
»Kommt wahrscheinlich hin«, bemerkte Neil Flynn, der einer der Elektronikexperten der Einheit war, und führte sein Handanalysegerät am Portal entlang. »Ungewöhnliche Dichte es Materials. Es widersteht allen Umwelteinflüssen dieser staubigen Kugel.«
Leutnant Matt Garvin nickte, als sähe er bestätigt, was er schon vermutet hatte. »Dieser Koma hat seine Vorkehrungen getroffen. – Aber Klopfen bringt uns auch nicht weiter, Mister Arlo«, fuhr er mit spöttischem Tonfall fort, als der Stabsfeldwebel mit den flachen Händen gegen das Portal schlug. »Versuchen wir doch stattdessen, den Öffnungsmechanismus zu finden, nicht wahr?«
»Aye, Sir. Sofort!« Sami Arlo wandte sich seinem Experten zu. »Neil! Überprüfe das Portal noch mal genauer und lege einen Zahn zu.«
Neil Flynn tat, wie ihm geheißen. Diesmal wurde er rascher fündig.
»Na, da haben wir ja das gute Stück!«, sagte er unverkennbarer Genugtuung, als etwa in der Mitte des Portals in Augenhöhe unter dem Druck seiner Hand eine Platte zur Seite glitt, in einer kaum sichtbaren Falz verschwand und etwas freilegte, was Flynn zu einem überraschten Laut animierte.
Das freigelegte Feld enthielt eine Reihe unbekannter Symbole und eine Vertiefung.
»Können Sie sich einen Reim drauf machen, Soldat?«, fragte Leutnant Matt Garvin.
»Ich denke schon«, antwortete Flynn. Er strich mit den Fingern über die Symbole.
»Drücken Sie bloß nicht die falschen Tasten!«, warnte Matt Garvin.
»Keine Tasten, Sir«, sagte Flynn.
»Nein? Was ist es dann?«
»Ein elektronisches Schloss ...« Flynns Finger suchten weiter. »Ah, das dürfte es sein!«
»Was?«, fragte der Leutnant.
»Eine Schnittstelle. Ein Anschluss für ein peripheres Gerät, mit dem Öffnungscode aktiviert werden kann.«
»Den wir natürlich nicht besitzen.«
»Sie sagen es, Sir.«
»Also keine Chance, das Portal zu öffnen?«
Leutnant Matt Garvins Stimme transportierte seine Enttäuschung über diese Erkenntnis.
»So ist es«, bekannte der Rauminfanterist. »Allerdings ...« Er verstummte unschlüssig.
»Was, Soldat? Reden Sie schon! Gibt es einen Weg?«
»Vielleicht bekomme ich doch Zugang.«
»Worauf warten Sie dann noch? Machen Sie voran!« Der Leutnant blickte finster.
Neil Flynn nickte und tat, wie ihm befohlen worden war.
Aus einer der Außentaschen seines Tornisters kramte er ein kaum handgroßes Gerät, an dessen Vorderseite mehrere merkwürdige Fortsätze hervorstanden.
»Was ist das, Soldat?«, forschte der Leutnant und sah Flynn über die Schulter.
»Ein multivariabler Schlüssel für Schnittstellen mit integriertem Infrarotvarianz-/Induktionsdetektor«, erklärte der Elektronikexperte, und sein Gesicht verzog sich, für den Offizier unsichtbar, zu einem halben Grinsen, weil ihm klar war, dass sein Fachchinesisch cenellanische Runddörfer für den Leutnant sein mussten. Als das Schnauben des Leutnants hörte, setzte er rasch hinzu: »Dowornisches Erzeugnis. Ich habe es von einem Händler bekommen, dem ich mal geholfen habe.« Über die Art der ‘Hilfe’ schwieg er jedoch und machte sich an die Arbeit.
»Wir haben insofern Glück«, erläuterte er in einem Tonfall, als halte er ein Seminar vor Rekruten, »dass es sich um eine semi-mechanische und keine virtuelle Schnittstelle handelt. Bei Letzterer würde ich gar nicht erst anfangen.
Bereits der vierte Versuch zeitigte Erfolg.
Der »Schlüssel« zeigte mit einem Ton sein Einverständnis, mit der Schnittstelle zu kooperieren.
Behutsam schob ihn Flynn in die Fassung.
Ein Klicken ertönte.
Auf dem kleinen Karree der Bildfläche erschien ein Muster, das an eine Benutzeroberfläche erinnerte. Es wurde von einem Wirbel von Symbolen ersetzt, die scheinbar endlos über den Schirm hetzten.
»Können Sie sich einen Reim darauf machen?«, fragte der Leutnant.
»Algorithmen«, war die lapidare Entgegnung, »mit denen mein Gerät nicht zurechtkommt.«
»Wie das? Ich dachte, Mathematik wäre eine universelle Konstante im Universum.«
»Ist sie auch«, antwortete Flynn, ohne auf die Skepsis in Matt Garvins Stimme beeindruckt zu sein. »Aber vielleicht stammen die Schöpfer dieser Algorithmen nicht aus diesem Universum. Wer weiß!«
Colonel Rykher meldete sich über Headset des Leutnants.
»Bericht, Mister Garvin?«
Matt Garvin informierte den Kapitän über das bisher Erreichte und schloss: »Wir sind immer noch dabei, herauszufinden, wie man das Portal öffnet, Sir.«
»Legen Sie einen Zahn zu, Leutnant«, drängte Rykher. »Irgendetwas geht in der Kaverne vor. Der Großrechner kommuniziert hektisch mit seinen mechanischen Handlangern, wie mir die Funk-Z berichtet, die den UKW-Funk in der Kaverne abhört.« Man merkte dem sonst so besonnen Kapitän der PENDORA eine gesteigerte Nervosität an. »Viel Zeit, unsere Männer herauszuholen, bleibt uns vermutlich nicht mehr.«
»Ich verstehe, Kapitän. Wir tun unser Möglichstes.«
»Das erwarte ich auch«, erwiderte Enno Rykher kategorisch und beendete die Verbindung.
»Und?«, wandte sich Leutnant Garvin an Neil Flynn.«Fortschritte?«
Der Soldat tippte einige Tasten auf seinem Gerät an. »Es wird dauern«, meinte er, »falls es uns überhaupt gelingt, den Code zu knacken. Ich habe da so meine Zweifel ... oh, verdammt!«
Der kleine Schirm wurde leer. Ein nerviges Pfeifen drang aus dem Gerät. Hastig löste Flynn die Verbindung. Der Pfeifton brach ab.
»Was ist geschehen?« Der Leutnant blickte finster.
»Eine Sicherheitsschaltung«, erklärte Flynn, »sie hätte fast mein Juwel gekillt. Wie es ausschaut, werden wir vor Ort die Sperre mit unseren einfachen Mitteln nicht überwinden.«
»Und nun?«, ließ sich der Leutnant hören. »Was machen wir?«
Aufsprengen war ein Vorschlag.
Aufbrennen ein anderer.
»Bringt vermutlich alles nichts«, wehrte Sami Arlo ab. »Ich denke ...«
Eine Handbewegung des Lieutenant brachte ihn zum Verstummen.
»Auf einen groben Klotz gehört ein noch größerer Keil«, ließ der junge Offizier verlauten. »Wir fordern Unterstützung von der PENDORA an. »Eine der Geschützbatterien soll dieses verfluchte Portal mit einem gezielten Strahl durchbrechen.«
*
»Kampfroboter«, machte Tom Hardt deutlich.
»Tatsächlich«, sagte der Oberst überrascht, »Er schickt uns wirklich Kampfroboter auf den Hals. Unser Rechengenie scheint seine Meinung geändert zu haben. Wir waren naiv genug, anzunehmen, wir hätten irgendwie einen Bonus bei ihm.«
»Dann bleibt uns nichts anderes übrig, als uns zu verteidigen.« Tom Hardt drückte einen Kontakt seiner Anzugssteuerung. Der transparente Kopfschild fuhr aus der Halskrause vor sein Gesicht, und der Verstärkungsfächer umschloss seinen Kopf wie ein Schutzkäfig. Das Stasisfeld schloss sich über dem Scheitelpunkt. Er hob den Impulsstrahler, verlagerte seinen Schwerpunkt vom linken auf den rechten Fuß, um das Gewicht der Waffe auszubalancieren.
»Jetzt«, sagte er mit einem schiefen Grinsen an die Adresse des I. O. »wäre das von Ihnen erhoffte mittlere Wunder genehm. Die Lage könnte nicht aussichtsloser sein, oder sind Sie anderer Meinung, Sir?«
Eli Jannik kam nicht mehr dazu, die Frage des Oberleutnants zu beantworten.
Das Wunder geschah.
Ein blassblaues Wunder.
Verursacht durch einen Impulsstrahl aus einer Laserbatterie der PENDORA.
Von einem Augenblick zum anderen entstand im Eingangsportal zur Kaverne eine kreisrunde Öffnung, durch die im nächsten Moment schwer bewaffnete Rauminfanteristen ins Innere drangen.
Eine markige Stimme, die Oberst Jannik als die von Leutnant Matt Garvin erkannte, erteilte knappe, präzise Anweisungen. Die Männer des Einsatzkommandos bewegten sich mit den Impulsgewehren im Anschlag nach links und rechts und nahmen strategisch günstige Positionen ein, während sie sofort die Roboter unter Feuer nahmen.
»Ha!«, freute sich Tom Hardt. »Die Kavallerie ist eingetroffen.«
Oberst Jannik grinste verzerrt.
Genauso hatte er sich das Wunder vorgestellt.
Um sie herum tobten heftige Kämpfe zwischen Maschinen und Menschen. Es krachte unaufhörlich. Energielanzen aus Impulsgewehren schlugen Breschen in die Maschinenwesen, die mit ihren nur mit Werkzeugen bewehrten Handlungsarmen kaum etwas gegen die Feuerkraft der Rauminfanteristen auszurichten vermochten.
Kleine Brandherde loderten auf.
Rauch spiralte in fetten schwarzen Wolken gegen die Decke.
Dann konzentrierte sich das Feuer auf die Kampfroboter Komas, die von Leutnant Garvin als vorrangige Bedrohung für die Männer der Einsatzgruppe angesehen wurden. Einer nach dem anderen wurde niedergekämpft und verwandelte sich in glühende, funkensprühende Metallhaufen. Interne Explosionen trieben die Körper vollständig auseinander, wenn die Zerstörung die Energieversorgung zur Detonation brachte.
»Wo sind Sie, Oberst?«, übertönte Garvin mit Stentorstimme den Kampflärm.
»Hier, Leutnant!«
Eli Jannik erhob sich halb aus der Deckung hinter einem metallenen, massiven Block, der wie ein Generatorengehäuse aussah, und winkte mit seiner Waffe.
»Sir! Hinter Ihnen!« Das war Tom Hardts warnende Stimme
Oberst Jannik fuhr herum und erledigte das Gebilde, das sich mit einer rasend schnell rotierenden Trennscheibe an einem seiner Handlungsarme auf ihn stürzen wollte.
»Achtung, Tom! Da kommt was auf Sie zu!«, revanchierte sich der Oberst.
Tom Hardt blinzelte sich den Schweiß aus den Augen und hob den Impulsstrahler.
»Hab ihn!«
Das mechanische Gebilde verlor seine Orientierung, als ihn Hardts Schuss den Kopf vom gegliederten, biegsamen Schwanenhals trennte. Im wahrsten Sinne ‘kopflos’ rannte es ziellos umher, eckte überall an und lief durch den Energiestrahl aus der Kombiwaffe eines Infanteristen. Mit splitterndem Krachen schlug es zu Boden und hauchte sein elektrisches Leben in einer Implosion aus, die den Torso zusammenfallen ließ wie einen Ballon, aus dem die Luft explosionsartig entwich.
Das Tohuwabohu in der Kaverne nahm seinen Fortgang.
Schmerzensrufe aus menschlichen Kehlen machten überdeutlich, dass der Kampf nicht ohne Verluste für das Einsatzkommando über die Bühne ging.
Stimmen riefen nach den Sanitätern.
Das Blatt begann sich zum Nachteil des Einsatzkommandos zu wenden, als Koma eine Gruppe Kampfroboter aufmarschieren ließ, die gegen die Impulsgewehre immun zu sein schienen.
»Abwehrschirme«, stellte der Oberst fest, »die die Energie in die Umgebung ableiten. Unser Widerpart lernt verflucht schnell.«
»Und er wird immer stärker«, bestätigte der Oberleutnant.
»Achtung, Oberst Jannik!«, schrie Leutnant Garvin. »Ich schicke Ihnen ein paar Männer. Wir müssen raus hier!«
»Verstanden!«, brüllte Jannik aus der Deckung zurück.
Es dauerte eine Minute, dann hatten sich vier Männer des Einsatzkommandos zu den beiden hinter dem Generatorgehäuse durchgekämpft, eine Spur zerstörter Mechanischer hinter sich lassend; stupide Wartungsroboter, Werkzeuge, nichts weiter.
»Kommen Sie!« Das streifenartig geschwärzte Gesicht des Gruppenführers zeigte einen nervösen Zug; dies war sein erster Einsatz unter realen Bedingungen. Kein virtuelles Szenario, an dessen Ende der Ausbildungsleiter den Stecker zog und alle unversehrt in die Unterkünfte gingen. »Nichts wie raus jetzt!«
Der Trupp setzte sich in Bewegung.
Auf dem Weg zum Portal schlugen sich die jungen Männer wacker. Schließlich ging es um ihren Vorgesetzten; niemand wollte sich da eine Blöße geben.
Dann waren sie durch die Öffnung und im Freien, zusammen mit der überwiegenden Mehrzahl der Infanteristen.
Matt Garvin salutierte vor seinem Vorgesetzten.
»Sir!«, begann er.
»Lassen Sie das Brimborium«, wehrte Eli Jannik ab. »Den Lagebericht können Sie später abgeben.Wir haben im Moment andere Sorgen. Nehmen Sie einfach zur Kenntnis, dass ich das Kommando wieder übernommen habe, und sehen Sie zu, dass Sie die restlichen Männer unbeschadet aus der Kaverne bringen. Ach ja, schaffen Sie eine Verbindung mit dem Skipper. Und zwar sofort!«
»Zu Befehl, Sir!«
Matt Garvin winkte einen Infanteristen herbei, aus dessen Tornister die Antenne eines Funkgerätes stach.
Während der I. O. konzentriert mit dem Colonel sprach, verfolgte er mit finsterer Miene, wie die Truppe vier verletzte und zwei tote Soldaten ins Freie brachte.
Das Einsatzkommando verteilte sich die gepanzerten und stark bewaffnete Mannschaftsgleiter.
Koma schien an eine Fortsetzung des Kampfes im Freien nicht interessiert zu sein; von seinen mechanischen Vasallen ließen sich lediglich drei vor dem Portal sehen. Sie blieben nicht lange genug am ‘Leben’, um irgendwas unternehmen zu können.
Die schwere Kanone des vordersten Gleiters erledigte sie wirklich ohne Mühe.
Als Letzte enterten Oberst Jannik, Tom Hardt und Matt Garvin den Kommandogleiter.
Der Pilot setzte das Gefährt in Richtung PENDORA in Bewegung.
Die Funkphase zum Forschungskreuzer stand noch immer offen, kam jetzt allerdings über die Anlage des Gleiters.
Das Einsatzkommando hatte fast die PENDORA erreicht.
»Jetzt, Mister le Blanc!«, sagte Oberst Jannik in Richtung des Mikrofons.
Und der Zweite Offizier an Bord des Forschungskreuzer führte den Befehl aus, den er von Kommandanten erhalten hatte.
Aus einem der Waffenschächte löste sich eine Drohne mit einer superstarken Sprengladung, schlug oberhalb des Ausgangs der Kaverne in den Berg und drang aufgrund ihrer Machart tief ins Gestein ein. Als sie explodierte, löste sie einen gewaltigen Erdrutsch aus.
Tausende Tonnen von Felsgestein glitten herab und begruben Komas Reich unter sich. Der Donner der bewegten Erd- und Steinmassen rollte wie ein endzeitliches Urgewitter über das Land und schien nicht enden zu wollen.
Die Luft vibrierte, während die Schallwellen von den umliegenden Bergketten widerhallten und immer wieder gebrochen wurden.
Als der Wind endlich die mächtigen Staubwolken vertrieben hatte, war an der Stelle, an der sich der Eingang zur Kaverne befunden hatte, nur eine riesige Geröllhalde zu sehen, die nichts von dem verriet, was unter ihr begraben lag.
Doch zu diesem Zeitpunkt hatte die PENDORA mit ihrer Besatzung schon das System verlassen und machte sich auf den Weg zurück nach Talon.
ENDE