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Kapitel 1: Warum bin ich, wie ich bin?

Wir alle haben Verhaltensmuster, die wir in bestimmten Situationen anwenden. Viele davon sind für uns so normal geworden, dass wir darauf zurückgreifen, ohne es zu merken. Wir haben sie in unserer Kindheit von unseren Eltern abgeschaut, sie nach einem eindrücklichen Erlebnis aufgenommen oder lediglich gemerkt, dass sich unser Alltag damit leichter gestalten lässt. Solche Verhaltensmuster können positiv oder negativ sein. Doch unabhängig davon, woher wir sie haben: Sie haben einen grossen Einfluss auf unser Ich.

Was sind Verhaltensmuster?

Bevor wir unsere eigenen Verhaltensmuster analysieren können, müssen wir erst einmal definieren, was dieser Begriff eigentlich bedeutet. Verhaltensmuster werden in der Psychologie und der Soziologie als „miteinander verbundene, wiederkehrend auftretende Verhaltensweisen, die gleichzeitig oder in kurzem zeitlichen Abstand aufeinander folgend auftreten und zielgerichtet sind“ definiert. Sie sind das Ergebnis einer positiven Reaktion auf ein bestimmtes Verhalten (z.B. Lob) oder einer negativen (z.B. Entzug von Privilegien). Wir ahmen aber auch die Verhaltensmuster anderer nach, wenn diese Person ein Vorbild für uns ist oder deren Verhalten positive Konsequenzen oder Aufmerksamkeit nach sich zieht.

Nicht alle Verhaltensmuster sind gleich komplex. Einfache Gewohnheiten haben wir, ohne dass es einen spezifischen Grund dafür gibt. Vielleicht kaust du ja deine Fingernägel, startest den Tag mit einem Kaffee, nimmst für den Salat einen separaten Teller oder hörst zum Autofahren immer Musik.

Andere Verhaltensmuster sind komplexer. So meidet jemand beispielsweise Gewässer, weil er darin fast ertrunken wäre, oder wir halten bei einer roten Ampel, weil wir sonst gegen das Gesetz verstossen und eine Busse oder gar unser Leben riskieren. Wir putzen unsere Zähne, weil wir Angst vor Karies haben, und geben in Restaurants Trinkgeld, weil es sich nun mal so gehört.{1}

Eine Gewohnheit von mir ist beispielsweise, dass ich meinen Schlüsselbund und mein Handy auf die Kommode in meinem Wohnzimmer lege, sobald ich nach Hause komme. So weiss ich immer, wo sie sind, und muss nicht lange danach suchen. Dies ist ein einfaches Verhaltensmuster.

Ein Beispiel für ein komplexes Verhaltensmuster von mir sind meine langen Arbeitszeiten. Ich blühe in meiner Arbeit regelrecht auf und vertiefe mich während Tagen stundenlang und ohne Pause darin. Ohne die Arbeit wird mir schnell langweilig. Mein Einstieg in die Arbeitswelt liegt schon ein paar Jahrzehnte zurück: In der fünften Klasse begann ich, neben der Schule in der Dorfbäckerei zu arbeiten. Schon bald verbrachte ich jede freie Minute dort, weil ich dort eine sinnvolle Aufgabe hatte. Ich fühlte mich erfolgreich und wertgeschätzt. Mein Selbstwertgefühl stieg und ich war endlich die Cordelia, die ich schon immer sein wollte. Dieses Gefühl hält bis heute an: Ich bin noch immer ein Workaholic, der seine Arbeit liebt und sogar zum Hobby gemacht hat.

Wie verhalte ich mich in verschiedenen Situationen?

Verhaltensmuster beeinflussen unseren Alltag stark. Oft sind sie jedoch so sehr damit verflochten, dass wir uns ihrer nicht bewusst sind. Wir wollen nun versuchen, unser eigenes Verhalten ein wenig zu analysieren. Da wir vieles davon jedoch automatisch und ohne darüber nachzudenken tun, ist das nicht einfach.

Eine Möglichkeit ist es, einen normalen Tag im Geiste durchzugehen und zu versuchen, dir alles ins Bewusstsein zu rufen, was du tust oder nicht tust. Frühstückst du? Woraus besteht deine Morgentoilette? Mit wem machst du Mittag? Gehst du essen oder nimmst du etwas mit? Was machst du nach Feierabend?

Du kannst auch deine Freunde fragen, wie sie sich in bestimmten Situationen verhalten. Manchmal reicht es auch, ihr Verhalten zu beobachten. Vielleicht erkennst du dabei ja Verhaltensmuster, die auch auf dich zutreffen.

Falls du Mühe hast, deine eigenen Verhaltensmuster zu erkennen, hilft dir vielleicht das XINIX®-Tool. Diese von mir entwickelte Methode reflektiert die Art, wie ich denke, und hilft, schnell viele Anregungen und Ideen zu erhalten.

Das brauchst du: einen Stift, ein Blatt Papier und zwei unterschiedlich farbige Würfel.

So funktioniert es: In der nachfolgenden Abbildung siehst du ein Raster mit 36 unterschiedlichen Symbolen. Die Achsen sind jeweils von 1 bis 6 nummeriert. Ordne jedem Würfel eine Achse zu und würfle. Versuch nun, möglichst viele Bilder und Begriffe zu dem Symbol, auf dem du gelandet bist, zu sammeln. Pass auf, dass du dabei stets folgende Frage im Hinterkopf behältst: „Welche Verhaltensmuster habe ich?“ Versuche nun, aus den Begriffen deine Verhaltensmuster abzuleiten.

Nehmen wir an, ich würfle mit dem einen Würfel eine 4 und mit dem anderen eine 3 und lande auf dem Auto. Mit Bezug auf Verhaltensmuster kommen mir folgende Ideen: Fahren, Ferien, Autobahn, Geschwindigkeit, Landstrasse, Anhalter, ich nehme aus Prinzip keine Anhalter mit, Taxi, ich nehme nur ungerne das Taxi, weil es mir zu teuer ist, Fahrdienst Uber, Gepäck, Statussymbol, Liebhaberobjekt, Transport, Scheinwerfer, Kofferraum, Radio, ich höre jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit die Nachrichten im Radio, telefonieren, ich telefoniere auf dem Weg zu Kundenterminen sehr oft im Auto, Parkplatz, Frauenparkplatz, Termin, Navigation usw. So habe ich in kurzer Zeit bereits vier meiner Verhaltensmuster aufgeschrieben.

Um komplexere Verhaltensmuster zu entdecken, musst du dich oft etwas intensiver mit einem Thema auseinandersetzen. Spinnen wir mein Beispiel mit dem Auto weiter: Ich bin lieber mit dem Auto unterwegs als mit dem öffentlichen Verkehr. Warum ist das so? Dafür gibt es verschiedene Gründe wie: kein hektisches Umsteigen, keine fixen Fahrpläne, ich komme von Tür zu Tür etc.

Wenn dir zum Thema nichts mehr einfällt, würfelst du nochmals und wiederholst das Ganze mit einem neuen Symbol. Du kannst alles aufschreiben, was dir in den Sinn kommt, auch wenn es auf den ersten Blick nichts mit der Fragestellung zu tun hat.


Kann ich meine Verhaltensmuster ändern?

Wenn du genügend eigene Verhaltensmuster gefunden hast, kannst du diese nun detailliert betrachten. Dabei helfen dir die folgenden Fragen, die du für jedes davon beantworten solltest. Schreibe deine Antworten auf.

1 Woher habe ich dieses Verhaltensmuster? Habe ich es von anderen abgeschaut? Habe ich es mir selber angeeignet? Warum?

2 In welchen Situationen greife ich auf das Verhaltensmuster zurück? Kommt es nur in bestimmten Situationen dazu? Oder falle ich auch ohne einen bestimmten Kontext darauf zurück?

3 Behindert mich mein Verhaltensmuster? Möchte ich es ändern oder behalten?

Falls du das Verhaltensmuster ändern möchtest, stellt sich bereits die nächste Frage: wie? Es gibt keine einfache und klare Antwort darauf. Manchmal reicht es bereits, wenn man sich seines Verhaltens bewusst ist. Geht man zum Beispiel während des Telefonierens ständig im Büro hin und her und stört somit die Arbeitskollegen, kann man schlicht den Raum wechseln. Oder wenn du morgens beim Wecker wiederholt auf Snooze drückst anstatt aufzustehen, kannst du den Wecker ausserhalb deiner Reichweite stellen. So musst du aufstehen, um den Wecker auszuschalten.

Andere Sachen müssen abtrainiert werden. Wenn du zum Beispiel mit dem Rauchen aufhören willst, brauchst du viel Geduld und ein striktes Entwöhnungsprogramm. Auch wenn du während des Essens ständig dein Smartphone anstatt dein Gegenüber anschaust, wirst du diese Gewohnheit nicht so schnell ablegen – vor allem, wenn dein Gegenüber seinem Smartphone ebenfalls viel Aufmerksamkeit widmet. Ein weiteres Beispiel: Viele von uns ärgern sich darüber, dass sie am Wochenende zur selben Zeit erwachen wie während der Woche. Stell dir vor, du stehst während der Arbeitswoche immer um 6 Uhr auf, obwohl du gerne länger im Bett bleiben würdest. Am Wochenende, wenn du dann ausschlafen könntest, wachst du dann auch so früh auf – und ärgerst dich, weil du nicht wieder einschlafen kannst. Das frühe Erwachen kannst du dir durch mentales Training abgewöhnen: Wenn du vor dem Einschlafen im Kopf immer wieder die Worte „Morgen schlafe ich aus“ wiederholst, wird es nach einer Weile auch tatsächlich klappen.

Gleichzeitig beschweren sich viele, dass sie nicht einschlafen können. Einen gesunden Schlafrhythmus kann man sich aber antrainieren. Auch andere Verhaltensmuster sind lernbar, wie zum Beispiel eine gesunde Ernährung oder dass man beim Autofahren trotz Eile genügend Abstand hält. Vielen von uns graut es auch davor, vor Publikum zu sprechen oder gar Vorträge zu halten. Doch mit etwas Übung schwindet die Angst schnell.

Vielleicht sagst du dir jetzt: „Ich kann das nicht.“ Das stimmt oftmals nicht, da du dir das Verhaltensmuster selber auferlegt hast. Du warst bestimmt schon in Situationen, in denen du dich gerne anders verhalten hättest, als du getan hast. So hast du dir beispielsweise vorgenommen, nach dem Mittagessen nicht mehr zu rauchen, hast dich dann aber trotzdem von deinen Arbeitskollegen zu einer Zigarette überreden lassen. Das ist ja auch in Ordnung, wenn es nicht zur Regel wird. Es ist natürlich einfach zu sagen, dass du dieses oder jenes Verhaltensmuster nun mal nicht ändern kannst. Damit stehst du dir aber nur selber im Weg.

Ein Verhaltensmuster zu brechen braucht viel Willenskraft. Wenn du dir deiner Verhaltensmuster aber bewusst wirst, kannst du sie auch einfacher ändern. Denn Veränderung fängt im Kopf an. Es kostet Zeit und Energie, und du wirst bestimmt auch nicht ohne Fehlschläge das gewünschte Ziel erreichen. Doch für ein eigenständiges, Ich-orientiertes Leben müssen wir einschränkende Verhaltensmuster loswerden und gleichzeitig nützliche fördern.

vom ich zum ICH!

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