Читать книгу Zertrumpelt - Corey Taylor - Страница 8

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Als Kind glaubte ich wirklich an Superhelden. Ich weiß, das war bekloppt, oder? Ich war damals noch klein, aber das war wirklich so. Ich habe an Superhelden geglaubt. Für mich waren sie so real wie die Menschen um mich herum: Spider Man, der sich von einem Gebäude zum nächsten schwang, Batman, der mit seinem Verstand und seinen Fäusten gegen Clowns antrat, Iron Man, der mit Superman und Hawkman durch die Wolken zischte, der Hulk, der durch die Landschaft stapfte, um gegen Aliens zu kämpfen – das alles war in meinen Augen nicht frei erfunden. Das waren für mich nicht nur Geschichten, sondern echte Nachrichten! Dass man sie immer nur gezeichnet sah, lag meiner Meinung nach daran, dass sie sich zu schnell bewegten, um sie fotografieren zu können, und bei bei den ganzen Explosionen und verrückten Schlachten hätte man ja auch keine scharfe Einstellung bekommen. Also mussten wir uns mit Skizzen und Illustrationen zufriedengeben. Immerhin gab es doch auch von Gerichtsverhandlungen solche Zeichnungen. Wieso sollten dann also meine Comics nicht ebenso relevant und real sein wie die Sunday Times?

Vielleicht war es kindliche Naivität, Wunschdenken, Elternneid … Ihr müsst wissen, der Verfasser dieses Werks wurde nicht gerade mit einem silbernen Löffel im Mund geboren. Aber eine ganze Weile glaubte ich mit ganzem Herzen, wenn ich nur richtig hinsehen würde, könnte ich meine Helden am Himmel entdecken. Mit ihren Superkräften oder ohne, mit Mantel oder ohne, lächelnd, grinsend, zwinkernd, grimmig dreinschauend, nachdenkend – wie auch immer man sie sich vorstellen wollte, sie waren irgendwo da draußen, kämpften für das Gute, beschützten die Unschuldigen, sorgten für Gerechtigkeit, rächten böse Taten und passten auf jene auf, um die sich sonst nie jemand kümmerte. Die mussten einfach echt sein! Was taugte denn eine Welt, in denen allen egal war, ob das Gute das Böse besiegen konnte? Was taugte eine Welt, in der die Anständigkeit von außergewöhnlichem Chaos überwunden werden konnte? All diese Überlegungen konnte ich nur ertragen, weil ich mir vorstellte, nein, weil ich überzeugt davon war, dass draußen in der Dunkelheit Wesen mit größerer Macht und mehr Verantwortungsgefühl unterwegs waren, die Verbrechen sühnten und Menschen retteten. Unwissenheit ist nicht immer nur ein Segen, sondern kann auch dazu dienen, die geistige Gesundheit zu bewahren.

Als ich älter wurde und man mich immer weiter quälte, ohne das mir jemand zuhilfe kam, verblassten diese Vorstellungen und Bilder allmählich, bis ich sie ganz aus meinem Leben verbannte. Es ist ein kalter Pakt, den man in einer solchen Lage mit sich selbst abschließt, aber er ist nötig. Ich lernte schon vor langer Zeit die Lektion vieler Überlebender: Hoffnung verstärkt den Schmerz manchmal nur, vor allem, wenn man irgendwann begreift, dass der Ritter in schimmernder Rüstung in Wirklichkeit eine zweidimensionale Figur ist, die dich niemals erreichen wird. Comics können kein Leben retten. Männer und Frauen in Kostümen gibt es in Wirklichkeit nicht, nicht einmal heute, wo die so genannten Superhelden des Alltags in Strumpfhosen durch die Gegend rennen, Kätzchen von Bäumen holen oder alten Omis über die Straße helfen. Das ist ja alles schön und gut, aber ein YouTube-Video kann dreißig Jahre aufgestauten Zynismus und Zorn nicht wirklich auslöschen. Ich bin mir sicher, in den Innenstädten der USA und den raueren Vorstädten könnte man ganz bestimmt ein paar Superhelden brauchen, die mal die Einkäufe nach Hause tragen.

Tschuldigung. Ich weiß, normalerweise bin ich eigentlich optimistischer unterwegs, aber zu kapieren, dass keines dieser phantastischen Wesen jemals zur Stelle sein wird, um mich oder sonst jemanden zu retten, war eine ziemlich bittere Pille. Gleichzeitig geschah aber auch etwas ziemlich Faszinierendes: Nachdem ich mich erst mal mit der Realität abgefunden hatte, beschloss ich, auf mich selbst aufzupassen. Von diesem Augenblick an war ich damit beschäftigt, mich selbst zu verteidigen, mir selbst etwas beizubringen, zu kämpfen, zu arbeiten und alles dranzusetzen, dass ich dieser Angst nie wieder würde in die Augen sehen müssen. Ich schwor, dass ich mit aller Kraft für meine Sicherheit sorgen würde, und wenn ich einmal eine Familie haben sollte, dann wollte ich für sie dasselbe tun. Ich würde stärker werden und Verantwortung übernehmen. Ich würde allein lernen und allein zurechtkommen. Und mir war bewusst, dass ich ein hartes Leben vor mir hatte, von dem ich nicht wusste, ob ich es wirklich stemmen konnte. Zunächst einmal musste ich so tun, als hätte ich wesentlich mehr Schneid, als dies tatsächlich der Fall war. Und ich musste viele der Lehren vergessen, die mir die Angst eingetrichtert hatte. Es gab Zeiten, da war ich überzeugt, dass ich das nicht schaffen würde. Aber glücklicherweise hatte ich ein bisschen Talent und ein paar Bands, die mir halfen, meine inneren und äußeren Psychosen anzugehen. Trotzdem habe ich jede Menge belastende Erfahrungen gemacht, was mir jetzt erst im Rahmen einer Therapie allmählich bewusst wird. Ich weiß, das hört sich gefährlich an, und das ist es auch. Aber ich kriege das schon hin.

Ich erzähle euch diese Geschichte von enttäuschten Hoffnungen und der daraus folgenden Konzentration auf die ausschließlich eigene Kraft, weil man so ziemlich gut erklären kann, wieso Ronald Reagan zum Schutzheiligen der Republikaner wurde, wobei sich da die zeitliche Abfolge der Ereignisse umkehrte.

Dazu müsst ihr euch vergegenwärtigen, wie es in den USA Mitte der Siebzigerjahre aussah. Das Land hatte richtig viel Scheiße hinter sich: Morde an führenden Politikern, Arbeitslosigkeit, Ölkrise, Undercover-Aktionen der CIA im eigenen Land, bei denen riesige Mengen von Drogen in die Gemeinden von Schwarzen und Hispaniern geschwemmt wurden, Watergate und den Kalten Krieg – und das war ja nur die Spitze des Eisbergs, von Disco und Schlaghosen will ich gar nicht erst reden. Mit Vietnam hatten die USA ihre Unschuld verloren, und seit dem Ende des Krieges war noch keine Zeit gewesen, um das eigene Selbstbewusstsein wieder aufzubauen. Stattdessen wurde das Land nun innerlich von Hass und posttraumatischen Belastungsstörungen zerfressen. Und als dann ein wirklich guter Mann wie Jimmy Carter zum Präsidenten gewählt wurde, musste er sich mit einem riesigen Problemberg aus Schulden, Inflation und Hoffnungslosigkeit auseinandersetzen. Die Lage war so trist, dass sich selbst der Sieg des amerikanischen Eishockeyteams über die Russen bei den Olympischen Winterspielen nur so kurz bemerkbar machte wie ein Piepen auf dem Radarschirm bei einer UFO-Sichtung. Die Menschen sehnten sich verzweifelt nach irgendeinem Hoffnungsschimmer. Sie wollten die Leichtigkeit früherer Jahre zurück, als sich das Leben zumindest optimistischer angefühlt hatte. Sie sehnten sich nach einem Helden.

Die Republikaner sehnten sich nicht nur danach, sie hatten ihn auch bitter nötig. Die Nachwirkungen von Watergate und die tollpatschige, ungelenke Art von Gerald Ford hatten die GOP gründlich beschädigt. Korruption auf höchster Ebene zerfraß die konservative Grundidee. Der alte Schlachtruf nach „weniger Staat“ klang zudem nach reiner Heuchelei aus dem Mund einer Partei, die verdeckte Einbrüche und Bespitzelungen veranlasst, sich eigene Vorteile verschafft und Überwachungsaktionen gestartet hatte, die nicht im Einklang mit der Verfassung standen. Seit Jahren hatten die Rechten keinen so üblen Kinnhaken mehr bekommen. Niemand wollte ihre Predigten von „Eigenverantwortung“ mehr hören. In der allgemein tristen Lage interessierte sich kaum jemand für Themen wie die Rechte der Bundesstaaten und wie sie ihre Finanzmittel einsetzten. Den Leuten erschienen die Republikaner genauso schlimm wie die Demokraten: Politiker, die keine anderen Interessen verfolgten als ihre eigenen.

Dabei war auch nicht gerade hilfreich, dass niemand eine klare Vorstellung oder eine Vision für die Identität der USA zu haben schien. Die Menschen fühlten sich eher mit den Regionen verbunden, in denen sie lebten. Es gab kein großes, einigendes Konzept für das gesamte Land, nichts, was uns stolz gemacht hätte, Amerikaner zu sein. Wir lagen eher im Clinch mit den Vorstellungen, die wir von uns selbst zu haben glaubten. Unsere Verbündeten ging es da besser: In Großbritannien gab es das Königshaus, Frankreich galt als Land der Künste und der feinen Lebensart, Japan hatte Kultur und Geschichte. Selbst bei unseren Feinden sah es besser aus: Die UdSSR (oder, in russischer Schreibweise, die CCCP) hatte den Kommunismus, und im Nahen Osten gab es Öl und Allah. Amerika hatte eine zerrissene Flagge und gebrochene Versprechen. Was ein eigenes nationales Konzept anging, steckten wir noch in den Kinderschuhen. Auch in denen hätten wir natürlich laufen können – aber wohin?

Und dann betrat der Gouverneur von Kalifornien die Bühne.

Bei den Republikanern galt Ronald Reagan schon eine Weile als ein echter Star. Dabei hatte er ursprünglich den Demokraten angehört, bevor er 1962 zum anderen Lager überlief – wenig überraschend, wenn man bedenkt, dass er in den goldenen Zeiten Hollywoods zum großen Filmstar aufgestiegen war, und die Filmhauptstadt ist bekanntlich eine demokratische Hochburg. Ron und seine Frau Nancy galten in den besten Kreisen von La La Land als Vorzeigepaar mit Stil und Klasse, und als es mit seiner Karriere vor der Kamera bergab ging, stellte er fest, dass er ein Naturtalent auf der Politbühne war. Er hatte offenbar kein Problem mit der Kommunistenhetze, der sich die meisten Republikaner in den Sechzigern bedienten, und indem er eine solche Haltung mit seinem Charme und seinem Megawatt-Strahlerlächeln verknüpfte, gelang ihm ein ziemlich schneller Aufstieg. Die GOP bot ihm in ihrem damaligen Zustand genügend Raum, um einen riesigen Schatten zu werfen. Mit Leichtigkeit gewann er die Gouverneurswahl in Kalifornien, und anschließend machte er sich sofort daran, den Grundstein für eine Kandidatur im Weißen Haus zu legen. Mit der Unterstützung einiger visionärer Parteifreunde wurde er zum Sinnbild für den Look und die Botschaft der neuen Republikanischen Partei, die geprägt waren von der Flagge mit den Stars & Stripes, Country & Western-Musik, Patriotismus, den Adlern als Wappentier und der Vorstellung vom zupackenden, bodenständigen amerikanischen Arbeiter. Unser Bild der modernen Vereinigten Staaten entstand in den Jahren der Reagan-Administration.

Nachdem er sich zuvor schon zweimal um den Einzug ins Oval Office bemüht hatte, gelang ihm 1980 ein Erdrutschsieg. Wenn man die Umstände genauer betrachtet, ist es offensichtlich, wieso es klassischerweise nach zwei Schüssen in den Ofen beim dritten Mal klappte – ein besserer Trailer, ein erfolgreicherer Film. Amerika brauchte einen Helden, und Reagan war John Wayne mit einem schicken Anzug und einer Portion Pomade. Sein Spitzname lautete Dutch, und neben seiner Bleibe in Washington hatte er auch noch eine echte Ranch – ich kann gar nicht mehr sagen, wie oft ich Fotos vom alten Ronnie sah, auf denen er in Jeans und Hemd im Sattel saß und in Camp David durchs Gelände ritt. Er wirkte freundlich und jovial, und gleichzeitig vermittelten sein kantiges Kinn und die leicht zusammengekniffenen Augen auch eine gewisse Härte. Offenbar waren die Jahre vor der Kamera die perfekte Vorbereitung gewesen – er war für diese Rolle wie geboren. Verdammt, er sah einfach genau so aus, wie man sich den ersten Mann im Staat vorstellt. Das mit der perfekten Optik war dabei ja kein neues Konzept: Allgemein gilt Kennedy als der erste US-Präsident, der aufgrund seines Sahneschnittenfaktors die Wahl gewann. Bei Reagan kam noch eine weitere Komponente mit ins Spiel, und ich weiß nicht, ob darauf schon einmal jemand hingewiesen hat – Amerika suchte nicht nur einen Helden, es brauchte auch eine Vaterfigur.

Die Hippies und die Yippies und die Leute wie du und ich wurden nun erwachsen und ließen den Nebel des Krieges und der drogengeschwängerten Siebziger hinter sich. Männer und Frauen, die eigentlich gar nicht damit gerechnet hatten, diese verrückte Zeit überhaupt lebend zu überstehen, mussten sich plötzlich ihren Lebensunterhalt verdienen und Verantwortung übernehmen. Mit ihren eigenen Eltern hatten sie gebrochen, als sie gegen die strengen Gesellschaftsnormen der Fünfzigerjahre aufbegehrt hatten, und jetzt konnten sie sich an nichts mehr erinnern, was länger zurücklag als ihr erster Joint. Und da tauchte ein Mann auf, der so aussah, als könnte er ein paar Richtlinien bieten, um den Alltag zu bewältigen, und einem außerdem noch einen echten Rüffel verpassen, wenn man zu sehr aus der Reihe tanzte. Reagan hatte das Zeug, Amerikas Dad zu sein, wobei er auch schon als Großvater hätte durchgehen können, denn schließlich war er der älteste Präsident, der je ins Amt gewählt worden war. Und weil er genau dem Ideal entsprach, das sich die Menschen damals wünschten, stellte niemand infrage, ob auf der Haben-Seite auch eine wasserdichte Wirtschaftspolitik stand. Die es, wie sich herausstellen sollte, nicht gab. Das sogenannte Reaganomics-Modell sah beispielsweise Steuererleichterungen für die Reichen vor, weil man glaubte, die würden dann mehr Geld ausgeben und damit die Wirtschaft ankurbeln, was über Umwege letztlich auch den weniger Wohlhabenden zugutekommen würde. Das klappte nicht; tatsächlich hat sich bisher erwiesen, dass diese Politik, wenn überhaupt, nur auf Mikro-Ebene funktioniert, beispielsweise innerhalb einer kleinen Stadt, aber nicht landesweit. Kansas hat heute immer noch mit den Auswirkungen dieser Art von Deregulierung zu kämpfen.

Randbemerkung: Ich glaube, der Ausdruck Obamacare ist die Rache dafür, dass die damalige Wirtschaftspolitik als Reaganomics bezeichnet wurde. Dabei war das Krankenversicherungsmodell ACA ursprünglich sogar ein Konzept der Republikaner.

Jedenfalls ging bei Onkel Ronnies Regierung einiges in die Hose – die verfehlte Wirtschaftspolitik, der Kampf gegen Drogen, die Kürzung sämtlicher Staatsausgaben (abgesehen von der Rüstung), die Stellenstreichungen im Öffentlichen Dienst, die Iran-Contra-Affäre, die Bombardierung Libyens, das Wettrüsten mit den Sowjets und die Verschärfung des Kalten Krieges standen wenigen positiven Entwicklungen gegenüber, beispielsweise der Senkung der Inflationsrate und einem recht gesunden Wachstum des Bruttoinlandprodukts. Reagan gelang es außerdem, nicht als doppelzüngig zu gelten, obwohl er am Brandenburger Tor in Berlin den berühmten Spruch aufgesagt hatte: „Mr. Gorbachev, tear down this wall.“ Ausgerechnet der Kerl, der jahrelang zur Abschreckung einen Atomsprengkopf auf den nächsten gestapelt hatte, konnte sich den Fall der Berliner Mauer auf die Fahne schreiben – keine üble Leistung, wenn man bedenkt, dass seine Partei stets wortreich vor dem Feind im Osten gewarnt hatte. Ronald Reagan und David Hasselhoff, vereint in ihrem Kampf für das Gute – also, das wäre jetzt mal echt was gewesen, woran man hätte glauben können.

Schwierig wurde die Sache, weil Reagan ja nicht ewig Präsident bleiben konnte. Selbst Leute wie wir, die nicht gerade große Fans gewesen waren, hatten ihn nie wirklich so richtig gehasst. Klar, meine liebsten Hardcore-Punker und Metal-Bands trugen damals alle T-Shirts, auf denen Reagan irgendwie entstellt oder beleidigt wurde. Für sie war der alte Dutch der Feind, das Gesicht der wachsenden Macht der Rechten und der Faschisten, die eine Generation zum Gehorsam zwingen wollten, die sich nicht zähmen oder bestechen ließ. Als sozial benachteiligtes Kind identifizierte ich mich eher mit diesen Bands als mit dem guten alten Dutch. Und so wurde Amerikas Dad der nörgelnde Vater, den ich von Anfang an nicht gehabt hatte und jetzt auch nicht mehr wollte. Dazu kam noch der Eindruck, den Terry Branstad hinterließ, der republikanische Gouverneur von Iowa, der keine Anstalten machte, aus dem Amt zu scheiden (und der schockierenderweise kürzlich noch einmal gewählt worden ist) – und für mich stand fest, dass ich mit der GOP nichts am Hut hatte.

Aber dessen ungeachtet sollte man die Macht guter PR nie unterschätzen, wenn sie mit dem ganzen Arsenal aus Laserstrahlen, Mythen und Pyrotechnik zu Werke geht. Reagan räumte zwar den Sessel neben dem roten Knopf, aber die Republikaner blieben an der Macht. George Bush Senior rückte vom Vizepräsidenten zum echten Präsidenten auf und wurde Bush der Erste. Er hatte das Knowhow, die Erfahrung und ein Gespür für Menschenführung. Mehr noch, er hatte es als echter Texaner auch super drauf, uns gleich als erstes in einen Krieg zu verwickeln (eine Tradition, die Johnson mit dem Vietnamkrieg begründet hatte). Der erste Golfkrieg begann. Aber Bush fehlte Reagans Feuer. Der gute alte Ronnie hätte es mit einem Augenzwinkern und einem Lächeln geschafft, die ganze Nation hinter sich zu versammeln und umgeben von Flaggen und Feuerwerk und flankiert von Seeadlern und Berglöwen loszumarschieren, um Amerika wieder ganz nach vorne zu bringen. Weil ihm der richtige Biss fehlte, schaffte Bush nur eine Amtszeit und musste in den Neunzigern den Platz für Clinton räumen. Acht Jahre später nahm dann Bush Junior die Fahne wieder auf und versuchte, den Drachen zu erschlagen, wobei ihm aber der ganze Scheiß in die Quere kam, mit dem die GOP inzwischen in Verbindung gebracht wurde.

Das war schließlich der Punkt, als das Selbstbewusstsein der Republikaner gründlich erschüttert wurde. Längst war immer deutlicher zu erkennen, dass Botschaft und Realität bei ihnen nicht mehr übereinstimmten. Vielmehr handelte es sich offenkundig um eine konservative Partei, die versuchte, die Wähler aus der Mittel- und Arbeiterklasse für sich zu gewinnen, obwohl sie gerade dadurch, dass sie den Einfluss und das Geld milliardenschwerer Unternehmen zur Deregulierung des Staates benutzte, genau diese Wählermilieus an den Rand des Existenzminimums brachte. Trotzdem hielten die Leute der Partei die Treue. Meiner Meinung nach hat das verschiedene Gründe: Zum einen haben die Republikaner es verdammt gut drauf, ein ordentliches Special-Effects-Feuerwerk abzubrennen und völlig ironiefrei „AMERIKA! SCHEISSE, WARUM NICHT!“ zu brüllen. Zum anderen gibt es bei ihnen weniger offensichtliche Herablassung durch, ich zitiere, „Eliten, Liberale und progressive Intellektuelle“, und dann haben sie auch keinerlei Hemmungen, ordentlich auf die Kacke zu hauen und Stärke zu zeigen, was dann letztlich auch zu den ekligen Einschüchterungsversuchen der Trump-Fanatiker führte. Dazu später mehr. Aber das sind offenbar gute Gründe, um eine Partei zu unterstützen, die auf alles scheißt, wofür der ehrliche amerikanische Arbeiter einsteht. Manchmal hat man im Trailer wirklich schon alle guten Szenen gesehen, und der Film an sich ist dann eine echte Enttäuschung und rausgeschmissenes Geld.

Spulen wir mal ein bisschen vor. Jetzt sehen wir uns in einer Welt, in der die GOP schwer angeschlagen dasteht, nachdem sie zuließ, dass ein verzogener quietschorangener Wichser das Ruder übernahm, der sich vielleicht – man weiß es ja nicht genau – überhaupt nur deswegen als Präsident aufstellen ließ, um Werbung für seinen neuen Fernsehsender zu machen, und sich dabei eigentlich die ganze Zeit sicher war, dass er diese Wahl verlieren würde. Das jedenfalls denken die linken Verschwörungstheoretiker. Die Rechten schütteln einfach nur den Kopf. Und die noch weiter am rechten Rand stehenden (nein, ich werde diesen neuen Begriff, den die Nazis so geil finden, nicht benutzen), die schütteln allerdings nicht mehr den Kopf, die freuen sich alle auf eine neue Zeit weißer Vorherrschaft. Dazu aber später mehr, es kommt noch ein ganzes Kapitel über Donald Trump (daran kann man wohl erkennen, wie sehr er uns in die Scheiße geritten hat); erst einmal ging es mir um ein klares Bild der Situation nach Reagan. Heute, 36 Jahre später, ist nicht nur die Amerika-Vision befleckt, die Lincoln einmal hatte, sondern wir erleben auch, was dabei rauskommt, wenn man sich seinen Präsidenten nach der Optik und nicht nach seiner Politik aussucht und wenn man, um unbedingt zu gewinnen, seine Werte hintenan stellt.

Lasst euch von diesem Kapitel nicht in die Irre führen: Die Schuld liegt nicht nur bei den Reagans und Trumps. Da ist auch noch ein so ein Ex-Präsident aus Arkansas. Denn es war ja so: Wenn Ronnie das Gottesgeschenk für die GOP war, dann wurde William Jefferson Clinton zum großen Star der Demokraten. Ich ließ mich auch total davon blenden. Zuerst wurde ja allgemein befürchtet, dass Bill Jeff, weil er nun mal aus Arkansas war, sich entweder als Südstaaten-Rassistensau entpuppen würde oder dass man ihn neutralisieren würde wie Carter, auch wenn inzwischen alle wussten, dass Jimmy ein verdammter Heiliger gewesen war. Aber Bill Clinton – oder, wie ich immer sage, Clinton I., wobei Hillary dann natürlich Clinton II. ist – wickelte uns alle ein, indem er Bürger jeder Hautfarbe ansprach und dann noch über einen Charme verfügte, den man Carter nur hätte wünschen mögen. Außerdem KONNTE ER AUCH NOCH SAXOFON SPIELEN. Sowas hatte die Welt noch nicht gesehen. Der konnte echt Saxofon spielen! Wie konnte das denn angehen? Eigentlich geht man bei Präsidenten doch immer davon aus, dass sie gar nichts können!

Also sprang ich nur zu gern auf den Clinton-Zug auf, wie zuvor die vielen Konservativen auf den Reagan-Zug, und es wurde eine tolle Fahrt! Es gab Rockmusik und MTV und Arbeitsplätze und das Internet und jede Menge anderer cooler Sachen. Clinton war der perfekte Präsident für die Neunziger: jung, rebellisch, witzig und, ich muss es mal sagen, cool. Er tat sein Bestes, für uns das Beste zu tun. Wir erlebten einen Wirtschaftsboom, wie es ihn zu meinen Lebzeiten noch nie gegeben hatte. Die Menschen waren glücklich – zumindest die Demokraten. Und diese Zeit war der überzeugende Beweis dafür, dass man die ganze Flaggenschwenkerei, die Adler und den ganzen anderen patriotischen Quatsch überhaupt nicht brauchte. Wir konnten auch einfach so Amerika sein, weil unser Land schlicht das beste der ganzen Welt war. Das mussten wir den anderen auch nicht dauernd unter die Nase reiben, schließlich waren wir vollauf damit beschäftigt, in diesem tollen Land zu leben.

Und dann platzte die verdammte Blase, im wörtlichen wie auch im übertragenen Sinn. Die Dotcom-Blase machte die Leute fast im gleichen Augenblick reich und arm. Die Republikaner fanden die Außenpolitik von Clinton I. nicht so klasse, vor allem seine Krisenbewältigung bei der Somalia-Mission, und nachdem sie 1994 im Kongress wieder die Mehrheit erlangt hatten, begannen sie mit einer Blockadepolitik, die Clintons Regierung zweimal völlig lahmlegte. Dann folgten eine Zigarre, ein Geständnis und ein fleckiges Kleid – die verdammte Lewinsky-Affäre. Zwar kam es nicht zu einer Amtsenthebung, aber Clintons Glaubwürdigkeit war danach komplett hinüber. Sein Vermächtnis bestand hauptsächlich darin, dass er den Demokraten die Wiederwahl erheblich erschwerte. Das fand ich besonders enttäuschend, weil er meiner Meinung nach ein ebenso guter Präsident gewesen war wie Reagan. Unter Clinton I. gab es für kurze Zeit sogar einen Haushaltsüberschuss – das hatte es in den USA zuletzt in den Sechzigern gegeben. Clinton I. war, ganz ähnlich wie Reagan, ein passendes Symbol seiner Zeit: entspannt und locker, wohlmeinend, aber letztlich eben doch nur menschlich und alles andere als fehlerlos. Eine Erkenntnis und eine Frage drängen sich mir deshalb auf. Die Erkenntnis, dass wir keine Partei wählen, sondern eine Person. Sagt, was ihr wollt, es stimmt doch. Es gewinnt der, den die Leute am liebsten mögen. Und wenn das stimmt, dann frage ich mich: Wozu brauchen wir eigentlich überhaupt politische Parteien?

Ich weiß, sie machen die Dinge leichter. Die meisten von uns können sich nicht mal dazu aufraffen, die Geheimzahl für ihre Bankkarte auswendig zu lernen. Und sich mit dem ganzen Politikkram auseinanderzusetzen, dazu haben die Leute noch weniger Lust. Aber bei Parteien weiß man: Republikaner sind normalerweise für weniger Staat, Steuersenkungen und mehr Rechte für die Bundesstaaten, und sie vertreten konservativere Einstellungen, sind beispielsweise gegen Abtreibung, für gute christliche Werte und die Stärkung des klassischen Familienbilds. Die Demokraten sind eher Futuristen, glauben an die Freiheit und daran, dass man auf einander und auf sich selbst achten soll, sie vertrauen auf den stärkenden Einfluss des Staates und wollen Gesetze schaffen, die Freiheiten schützen statt sie zu beschneiden, und sie sind für gleiche Rechte, egal in welchem Bereich. Diese beiden Parteien bestimmen seit Mitte des 19. Jahrhunderts unsere Politik und mussten sich kaum gegen Bedrohungen von außen durchsetzen (auch wenn die Tea Party das jetzt bestimmt nicht gern hören wird); wir sind sie so gewohnt, dass wir sie für selbstverständlich halten. Oder vielleicht sollte ich das anders formulieren: Sie halten uns für selbstverständlich. Sie wissen einfach, dass sie über das meiste Geld und die meisten Werbemöglichkeiten verfügen, und dass wir damit gezwungen sind, für den zu stimmen, den sie ausgewählt haben. Aber inzwischen kann ich bei beiden Parteien keine einzige neue Idee erkennen. Was spielt es also noch für eine Rolle, aus welchem Lager sie stammen? Warum sollte man also nicht mehr auf Sympathie und Charme achten?

Ich sage euch, warum, und das, was bei den Vorwahlen der Demokraten geschah, beweist das auch: Solange die Parteien über Geld verfügen, ist Politik ein Geschäft. Es war völlig offensichtlich, dass das Democratic National Committee Bernie Sanders zugunsten von Hillary Clinton aus dem Weg räumte. Das war höchst unethisch und zudem noch irre peinlich, weil Bernie die große Nummer war. Bernie war meine erste Wahl. Mir war scheißegal, ob er so alt war wie Jesus, mich interessierte nicht, ob er lila anlief, wenn man ihn provozierte, und ich hatte kein Problem damit, dass er früher parteilos war und nur deshalb zu den Demokraten stieß, damit er als Präsident kandidieren konnte. Bernie Sanders ist ein großartiger Typ, der Klartext redet und schon seit Jahren gegen die Verschwendung von Steuergeldern und die Aushöhlung von Bürgerrechten kämpft. Der war echt mein Macker – scheiße, er war für alle die erste Wahl. Das wussten auch die Typen vom Democratic National Committee, und deswegen starteten sie ein paar echt verrückte Aktionen, um ihm ein Bein zu stellen. Es ist noch immer nicht ganz klar, wie viel Clinton II. tatsächlich davon wusste, aber Tatsache ist, dass die Partei dafür verantwortlich war, genau wie den Republikanern vorzuwerfen ist, dass sie Trump mit seinen Hassbotschaften so lange eine Plattform boten und zuließen, dass er bis an die Spitze kam. Diese Parteien glauben, sie wären an sich wichtiger als ihr Kandidat, wer auch immer das ist, und sorry, das ist einfach nur blöd. Ich wähle nicht die Republikaner oder die Demokraten, meine Wahlentscheidung ist beeinflusst von dem, was ich bin, und ich bin ein bisschen von beidem. Und ich bin davon überzeugt, dass es den meisten Amerikanern so geht – die extremen Positionen an den äußeren Rändern spielen gar keine so große Rolle. Damit meine ich gar nicht die Fanatiker, sondern all die anderen Leute, die nicht unbedingt sofort zu irgendeiner Gruppe gehören wollen. Aber so ist Amerika: Hinter verschlossenen Türen fällt jeder seine Entscheidungen entsprechend den Erfahrungen, die er im wahren Leben gemacht hat. Wenn also die Wahlentscheidungen der meisten Amerikaner nicht so klar ausfallen, wieso gibt es dann diese antiquierten politischen Parteien, die von fanatischen Sackgesichtern geführt werden, die dafür Millionengehälter beziehen? Wenn wir schon wissen, dass wir denjenigen wählen, den wir mögen, können wir doch noch einmal ganz von vorn anfangen. Überlegen wir uns doch einfach mal, wie es sein könnte, wenn wir diese zwei abgehangenen Parteien abschaffen würden.

Zurzeit von Reagan und Clinton I. kam tatsächlich schon einmal Bewegung in die alten Lager. Reagan repräsentierte den neuen Konservativen: einen auf Freiheit bedachten Familienmenschen, sauber und ordentlich und bodenständig, in eine Flagge gewickelt wie ein Schwein in eine Decke und etwas wacklig beim Management von Steuerthemen. Clinton I. war genauso, er orientierte sich an einer neuen, demokratischen Parteilinie, dem so genannten Dritten Weg. Damit sollte die Partei wieder stärker zur Mitte finden und konservativer werden, aber gleichzeitig ihre liberale Haltung in Menschenrechtsfragen beibehalten. Dass Politiker ihre Standpunkte verschieben oder ändern, das hat es immer schon einmal gegeben. Aber meiner Meinung nach brauchen wir diese ganze Scheiße nicht. Wir brauchen ein völlig neues Regelwerk. Wollt ihr, dass wir zu der Zeit zurückfinden, in der man bei der Regierungsarbeit noch das Motto „aus dem Volk, für das Volk und durch das Volk“ beherzigte? Dann, liebe Freunde, habe ich einen Vorschlag für euch. Passt gut auf, denn ich erzähle das alles nur einmal. Es mag ein bisschen verrückt klingen, aber es ist ja nur ein schmaler Grat zwischen verrückt und kreativ, auch wenn die Entwickler solcher Ideen dann oft an der Praxis scheitern. Aber ich habe eine Idee und eine Lösung.

Zwischen den Präsidentschaftswahlen liegen vier Jahre. Das bedeutet, wir haben vier Jahre Zeit, um nach einer besseren Option zur Regierungsführung zu suchen. Mein Vorschlag wäre, dass wir in diesen vier Jahren im ganzen Land – an jeder Küste, in jedem Staat, jeder Stadt, jedem Vorort – nach Menschen Ausschau halten, die bereit sind, gegeneinander anzutreten. Wir stellen Gruppen von Kandidaten zusammen und lassen über das Internet und im Fernsehen darüber abstimmen, wen wir wirklich mögen. Im Laufe der Zeit werden immer mehr Leute „herausgewählt“, bis nur noch zehn übrig sind. Diese zehn machen ein Jahr lang „Wahlkampf“, an dessen Ende die „große Auswahl“ steht. So ganz ähnlich wie in diesen beschissenen Fernsehshows, die mir das Fernsehen und die Musik inzwischen gleichermaßen verleidet haben. Und am Ende lassen wir Amerika per SMS darüber abstimmen (das ist meiner Meinung genauso verlässlich wie die Stimmzettelabgabe in der Wahlkabine), welche zwei ihnen am besten gefallen. Damit ist das Rennen eröffnet. Anschließend reisen diese beiden vom Volk nominierten Kandidaten sechzig Tage lang Seite an Seite durch das ganze Land, diskutieren, reden und beantworten Fragen. Dann wird gewählt, und wer die meisten Stimmen bekommt, wird die nächsten vier Jahre Präsident. Aber der Trick bei der Sache ist: Es gibt keine Verlierer, denn derjenige, der nicht gewinnt, wird Vizepräsident. Die acht anderen aus der letzten Runde werden Teil des Kabinetts, und alle anderen zuvor Beteiligten werden Sonderbeauftragte für ihre Bundesstaaten in beiden Häusern des Kongresses, im Senat und im Repräsentantenhaus. Ihre Aufgabe wird es sein, die Berufspolitiker an den Willen des Volkes zu erinnern, für dessen Durchsetzung sie überhaupt in diesem Gremium sitzen. Eine wirklich demokratische Regierung sollte nie vergessen, dass die Bevölkerung, die sie vertritt, sie in jedem Augenblick abberufen kann.

Ich kann mir schon vorstellen, wie mich die Sozialen Medien für solche Ideen grillen werden. „Pah, was für ein Scheiß“, wird es heißen, „der saubere Herr Taylor hat null Ahnung, wie ein wirklich demokratischer Prozess abläuft. Ein derart verdorbenes System würde heutzutage nie funktionieren, sondern schon allein wegen der albernen Vorgehensweise zum Scheitern verdammt sein.“ Meine Antwort würde natürlich lauten: Wieso? Was macht die aktuelle Auswahlmethode so viel besser als die, die ich gerade präsentiert habe? Wir haben doch gerade gesehen, dass das Democratic National Committee bei der eigenen Kandidatenkür Scheiße gebaut hat, und ich würde mit ziemlicher Sicherheit behaupten, dass es der republikanischen Konkurrenz heute noch leid tut, diese Arschkanone Trump jemals ernst genommen zu haben. Sie haben nichts anderes gemacht, als nach der etablierten Vorgehensweise „die Besten aus unserem Zweiparteiensystem“ zu ermitteln. Jetzt kann man zu den beiden stehen, wie man will, sie wurden jedenfalls allgemein als die schlimmsten Kandidaten für die Präsidentschaftswahl seit Gottweißwielange betrachtet (gebräuchliche Zeiteinheit im zirkulären Maya-Kalender, bezieht sich hier auf „das letzte Mal, dass die Weißen den Eindruck machten, als hätten sie den richtigen Durchblick“).

Das wäre jedenfalls mein Vorschlag für die Lösung des ganzen Präsidentschafts-Fiaskos. Ich weiß schon, was die meisten von euch dazu sagen werden: „Ey, Arschgesicht, bleib bloß beim Singen und überlass die Politik den Profis.“ Oder: „Es kotzt mich nichts so sehr an wie diese Typen aus der Unterhaltungsbranche, die keine Ahnung von Politik haben, aber dauernd davon quatschen.“ Ich antworte dann meistens: „Du hast da gerade den Typen beschrieben, den du höchstwahrscheinlich gewählt hast, du hinterwäldlerische Muschibürste.“ Aber ihr kennt mich ja: Ich hasse Irritationen auf geistiger Ebene. Außerdem hasse ich Leute, die meinen, weil ich ein bisschen Erfolg hatte und sogar etwas Geld verdient habe, hätte ich plötzlich jede Art von Überblick über die Politik in meinem Land verloren und kein Recht mehr, darüber zu reden. Das ist eine echte Scheiß-Reaktion auf eine Meinung, mit der man nicht übereinstimmt, und mich kotzt es echt an, dass so viele Leute damit durchkommen. Das sind normalerweise dieselben, die damit rumgeprotzt haben, dass sie vor „den Wahllokalen gelauert haben, um alle einzuschüchtern, die nicht für Trump stimmen wollten“. Ist denn das zu glauben – im Jahr 2016 gibt es Amerikaner, die meinen, sie müssten zu Taktiken greifen, die in den 1920er-Jahren von den Nazi-Braunhemden etabliert wurden? Mich beruhigt lediglich, dass es dagegen auch reichlich Widerstand gab und gibt. Die Menschen in Amerika haben die Schnauze voll davon, sich bedrohen zu lassen, und schlagen jetzt zurück.

Reagan hätte all das auch nicht gefallen. Von all den republikanischen Präsidenten, die ich bisher erlebt habe, war keiner so nahe bei den Menschen wie er. Er hatte begriffen, dass man ein Land nicht regieren kann, indem man die Bevölkerung auseinanderdividiert – es läuft alles nur dann, wenn man die Menschen zusammenbringt und dafür sorgt, dass sie auch miteinander auskommen. Deswegen bekennen sich die erfolgreichsten Politiker weder zum linken noch zum rechten Lager, sondern arbeiten mit der Mitte. Da spielt sich das Leben nun mal ab. Klar, natürlich gibt es auch bei uns Ärsche mit extremen Positionen, die nicht mehr wissen, wo der Hammer hängt, aber die Mehrheit kommt eben doch in der Mitte des Spektrums zusammen, wo sich die guten Ideen von beiden Seiten treffen und verbinden. Erfolgreiche Politiker wissen: Um die Massen zu begeistern, muss man die „Hits“ präsentieren – rhetorische Ideale, grundsätzliche Anziehungskraft und eine einfache Botschaft. Wenn man den Einzelnen erreichen will, die Leute mit ihren persönlichen Sorgen und Nöten, dann pendelt man sich besser irgendwo in der Mitte ein, denn letztlich ist das der Ort, an dem wir uns alle wiederfinden. Am Ende verbindet uns doch viel mehr, als uns trennt, auch wenn man das vielleicht anders sieht, wenn man gerade seine Band auflösen möchte. Wir neigen wohl alle zu Extremen, aber die beziehen sich nicht ausschließlich auf Schlagworte wie Hass und Rassenideologie, Steuergesetzgebung, konservativ oder progressiv, Friedensstifter oder Kriegstreiber und dergleichen, manchmal bestehen Extreme auch nur aus extrem viel Lust auf Chocolate Fudge Ice Cream.

Reagan hatte das besser begriffen als alle anderen. Er verstand sich hervorragend darauf, das ganze Arsenal des Republikanerstolzes, Waffen, Gott und Fahnentreue, zu beschwören, eine Menge richtig aufzustacheln und dafür zu begeistern, ihr Kreuz bei seiner Partei zu machen. Aber anschließend konnte er sich umdrehen und mit den Demokraten diskutieren, irgendein gemeinsames Thema finden, ihren Standpunkt nachvollziehen und das alles in seine Politik einfließen lassen, um dann einen ursprünglich konservativen Standpunkt durch liberale Ideen zu ergänzen und einen Gesetzesentwurf vorzulegen, der plötzlich ganz und gar der Mitte entsprach. Deswegen konnte er beispielsweise mit Tip O’Neill arbeiten, dem damaligen Fraktionsvorsitzenden der Demokraten im Senat. Das Zauberwort lautete, wie der alte Dutch eben genau wusste, Kompromisse eingehen. Das war von Anfang an die Grundlage für jede brauchbare amerikanische Politik. Natürlich sagen einige von euch gleich wieder, Quatsch mit Soße, aber es stimmt. Das ist natürlich ein langsamerer Prozess, aber auf diese Weise wird tatsächlich der Wille des Volkes umgesetzt. Das dauert eben so lange, gerade weil es der Wille des Volkes ist, und den kann man nicht so auf die Schnelle definieren. Man könnte es wohl auch den Willen des Zeitgeists nennen. Wir sind eben manchmal ein Volk von Egomanen und Idioten, und deswegen braucht es seine Zeit, bis man in dem ganzen Müll die Diamanten findet.

Inzwischen schreiben wir 2017, und noch immer bestimmt der Geist von Ronald Reagan das Bild dessen, was sich die Stammtisch-Republikaner für ihre Partei wünschen: ein wissendes Lächeln, volles Haar, ein kantiges Kinn, das gut zu klarer Kante bei Verhandlungen passt – die Konservativen hatten immer die beste Image-Vorlage zu bieten. Bei den Liberalen ist es wesentlich schwerer, die Ideale und Ideen postergerecht aufzuarbeiten. Die Konservativen hingegen wissen, welche Soße ihren Quatsch am besten zudeckt. Deswegen halten sie Reagan auch immer noch so hoch: Er sah halt aus wie ihr perfekter Anführer. Leider kann man das vom aktuellen Personal überhaupt nicht sagen. Die Rechten haben inzwischen nur noch Leute in ihren Reihen, die den Eindruck erwecken, als würden sie sich in ihren Reihen als Zeitarbeiter verdingen, weil sie beim Ku-Klux Klan nichts geworden sind: kein bisschen Charme, kein bisschen Hintergrundwissen oder Allgemeinbildung, aber jede Menge sturer Dummheit, wie sie sich eben daraus speist, wenn man immer glaubt, im Recht zu sein, und sich weigert, sich auch mal mit Fakten, Zahlen oder zwangsläufigen Entwicklungen zu beschäftigen. Das sage ich nicht nur, weil ich mit dem, was diese Typen sagen, zum größten Teil nichts anfangen kann – sie sind einfach so VERDAMMT EINGEBILDET, dass sie glauben, wenn sie nur lange genug große Töne spucken, würden die anderen irgendwann genervt nachgeben, und sie bekämen ihren Willen. Aber das klappt jetzt nicht mehr so. Die Leute haben keinen Bock mehr auf eine solche Einschüchterungstaktik. Sie haben keinen Bock mehr darauf, dass man sie mit einer vergifteten Politik ausknockt, die zwar so tut, als wäre sie das Sprachrohr des arbeitenden Durchschnittsbürgers, dabei aber nur einem einzigen Prozent der Bevölkerung einen Vorteil bringt.

Ja, die Republikaner haben wirklich lange nach dem größten Ding seit Onkel Ronnie gesucht. Mit Romney klappte es leider nicht, obwohl er zumindest optisch für die Rolle gut geeignet schien (auch wenn er auf mich persönlich immer eher wie ein Schurke aus einem James-Bond-Film wirkte). McCain und Dole waren einfach ein bisschen zu alt, und George Bush Junior hatte zwar den Charme (deswegen wurde er wahrscheinlich auch zweimal gewählt), aber weder den Respekt noch die Stärke der alten Schule. Mit jedem Jahrzehnt, das vergeht, werden die Republikaner verzweifelter. Was man ja zum Beispiel daran sieht, dass sich jemand durchgesetzt hat wie Mike Pence, der verbissene Ex-Gouverneur von Indiana und jetzige Vizepräsident, der für die Kürzung von Staatsausgaben und für die Konversionstherapie eintritt – ihr wisst schon, diese von Evangelikalen gepriesene Methode, jungen Homosexuellen zu „helfen“, indem man sie solange foltert, bis sie ihre sexuelle Identität aufgeben, bloß, damit es nicht mehr wehtut. Klingt super, oder? Das zeigt ja wohl schon, wie tief man inzwischen buddeln muss, wenn so ein Typ als ernsthafter Kandidat fürs Vizepräsidentenamt infrage kommt. Damit lebt man nicht einmal mehr auf derselben Hemisphäre wie die republikanische Partei der Achtzigerjahre. So, wie es aussieht, werden Gerichtsurteile jetzt nach dem eigenen Geschmack gefällt – das ist ein bisschen so, als würde man eine Riesenstatue der Bibel vorm Gericht aufstellen und trotzdem so tun, als gäbe es keine Vorbehalte gegen Leute, die nicht an den Christengott glauben.

Ich muss mich echt zusammenreißen, hier nicht wirklich sauer zu werden. Immerhin soll dieses Buch ja nicht nur eine spannende Botschaft enthalten, sondern auch humorvoll sein. Bisher habe ich noch nicht allzu viel gesagt, worüber ihr hättet lachen können, aber noch hatte ich ja auch kein lustiges Thema. Damit lasse ich mir noch ein bisschen Zeit; ich bin der Meinung, ein paar Witze machen kann man immer noch, wenn man seinen Standpunkt klar gemacht hat. Okay, Moment mal, was wollte ich in diesem Kapitel überhaupt noch mal erklären? Angefangen habe ich mit den Superhelden, dann kam Ronald Reagan und der Untergang politischer Idole … Johnny Thunders sang einmal: „You can’t put your arms around a memory“, und ich denke, das war’s, was ich eigentlich sagen wollte. Denn genau darin besteht das große Problem der Republikaner: Sie kämpfen seit fast vierzig Jahren mit einem Geist, der die Kraft einer riesigen Boa Constrictor besitzt. Reagan war für sie ein echtes Geschenk, weil er zur damaligen Zeit so hervorragend funktionierte. Er spiegelte perfekt, welches Bild Amerika damals von sich selbst haben und auch langfristig beibehalten wollte. Nur hat sich seitdem in seiner Partei kaum noch etwas getan, was Entwicklung oder Diversität angeht. Wenn es mal wieder Zeit für die Entgegnung zur Regierungserklärung ist, holen sie ihre Vorzeige-Minderheiten raus oder suchen sich irgendeinen neuen Blödsinn, den sie Menschen anderer ethnischer Herkunft vorwerfen können. Als Partei haben die Republikaner genau deswegen stagniert, weil sie nur einen sehr eingeschränkten Teil der Bevölkerung repräsentieren. Okay, sie haben das Weiße Haus erobert (wenn auch nur knapp), aber so entwickelt sich keine Politik. Deswegen haben die Demokraten als erste einen schwarzen Präsidenten ins Rennen geschickt – weil das viel mehr dem entspricht, was Amerika heute ist und sein möchte. Wie kann es sein, dass die Partei, die einst die Sklavenbefreiung durchsetzte, die Menschen heute wieder wie Sklaven behandelt?

Vielleicht liegt es daran, dass ich ein unerschütterlicher Optimist bin, aber ich habe ja das Gefühl, der Zusammenbruch der GOP könnte auch sein Gutes haben. Natürlich, zunächst einmal muss das jedem, der sich für einen echten Republikaner hält, geprägt von einem Amerika der Freiheit und der Pancakes und all sowas, als eine Katastrophe erscheinen. Diese Prägung hat allerdings mit den Republikanern gar nichts zu tun, damit ist man einfach nur amerikanisch, wenn auch vielleicht von einer bestimmten Art. Die Rechten haben diesen Scheiß immer benutzt, um Menschen an sich zu binden, obwohl sie selbst sich schon seit Jahren nicht mehr damit identifizieren, falls sie das überhaupt jemals taten. Wie ich schon sagte: Wenn man sich mal die Schmutzwäsche der Republikaner vornähme, wäre kein einziger Blaumann dabei, dafür jede Menge Schlipse und Kragen, dreckiger als bei jeder anderen Partei auf dem ganzen Planeten. Von daher ist es schon völlig in Ordnung, dass ihr Lügengebäude jetzt in sich zusammengefallen ist. Aus der Asche kann vielleicht etwas erwachsen, das ehrlicher, ehrgeiziger und anständiger daherkommt und sich, wie wir uns das alle wünschen, mehr an der Mitte orientiert. Vielleicht eine Rückbesinnung auf die Anfänge: Freiheit für alle, unabhängig von Hautfarbe, Religion, Geschlecht oder Geschichte. Vielleicht genügt auch schon die Rückbesinnung auf die Zeit vor drei, vier Jahrzehnten: Unterstützung für alle, die selbst etwas auf die Beine stellen wollen, Hilfe für unabhängige Unternehmen und Geld für die Gemeinden vor Ort. Vielleicht halten sie dann auch mal die Religion aus der Gesetzgebung raus. Und sie verzichten auf ihre unglaublich antiquierten Ansichten … oder, noch besser, sie hören mal zu! Und kriegen mit, warum diese Vorurteile unvertretbar und nicht mehr gewollt sind. Wieso die Welt es sich nicht mehr leisten kann, so zu denken und so zu leben. Bei Menschen aller Hautfarben findet man wunderbare Leute und Arschlöcher gleichermaßen. Zu behaupten, dass nur ein einziger Teint das Wahre ist, das ist einfach lächerlich.

Ihr Konservativen könnt doch nicht so blind gegenüber der eigenen Entwicklung sein. Ihr entsprecht jedem Klischee aus Footloose. Das kann euch doch nicht entgangen sein. Deswegen sprecht ihr auch nur noch Menschen mit einer einzigen Hautfarbe an, die Weißen, und so ziemlich der ganze Rest hält euch für unwählbar. Das war euch früher egal, denn früher waren die Weißen ja die einzigen, die von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht haben. Als sich das änderte, wart ihr ganz schnell dabei, die Wahlgesetzgebung zu ändern und die Grenzen der Wahlbezirke neu zu ziehen, damit ihr nicht an Macht verliert. Aber das klappt jetzt nicht mehr. Jetzt haben die Leute gemerkt, welch ein Spiel ihr spielt. Jetzt werden eure alten Gesetze gekippt, weil sie – ÜBERRASCHUNG! – nicht der Verfassung entsprechen. Jetzt strömen die Wähler plötzlich in Scharen an die Urnen, hauptsächlich, weil ihr zugelassen habt, dass ein verdammter Schwachkopf für euch antritt, aber auch, weil es jahrelang immer nach eurer Nase gegangen ist und ihr dafür gesorgt habt, dass alle anderen die Arschkarte ziehen. Jetzt bleiben die Leute nicht länger stumm. Nein, sie schreien laut, und sie schreien euch an. Eure Partei liegt in Trümmern, und es wäre an der Zeit, die Lage wieder in den Griff zu bekommen. Wenn ihr in Zukunft auch nur irgendwas Gutes für das amerikanische Volk tun wollt, dann dürft ihr nicht vergessen, dass das amerikanische Volk AUS EINEM HAUFEN VERSCHIEDENER MENSCHEN besteht. Wenn ihr das nicht in eure Köpfe bekommt, dann müssen diese Köpfe wohl mal rollen!

Aber ich gebe die Hoffnung noch nicht auf. Ich bin im Mittleren Westen aufgewachsen, und daher steckt auch ein kleiner Konservativer in mir, obwohl ich gleichzeitig erkannt habe, dass ein bisschen Sozialhilfe nicht schlecht ist, um Menschen dabei zu helfen, wieder auf die Beine zu kommen. Immerhin ist mir das auch selbst so gegangen. Ich bin mit Lebensmittelmarken und den kostenlosen Käserationen der Reagan-Ära großgeworden. Ich profitierte von den Schulküchen und Sponsorenprogrammen, bei denen reiche Leute mit Kindern Ausflüge machen und ihnen Geschenke kaufen. Ich kenne die andere Seite – und ich weiß, dass es da nicht nur Sozialschmarotzer und Leistungsverweigerer gibt. Die Leute an den Schaltstellen lieben solche verallgemeinernden Ausdrücke, weil man dann nicht mehr den Menschen und das Menschliche hinter solchen Hilfsprogrammen sieht. Ich zähle nicht zu den Leuten, die glauben, man könne auf einem freien Markt und in einer kapitalistischen Nation eine total kostenlose Gesundheitsversorgung anbieten. Aber ich denke auch, dass es keinen guten Grund gibt, um nicht trotzdem Hilfsprogramme für Menschen in Not anzubieten. So etwas muss man natürlich genau im Blick behalten, damit kein Missbrauch damit getrieben werden kann. Aber wir sind doch in der Lage, Mitgefühl und Freundlichkeit zu empfinden, gerade gegenüber Menschen aus unserer Mitte, die in Not geraten sind. Manchmal vergessen wir wohl, dass es hier darum geht, anderen Amerikanern zu helfen. Reagan wäre sicher ganz meiner Meinung, dass man sich um die eigenen Leute kümmern muss und nicht alle Energie darauf verwenden sollte, einen Keil in die Gesellschaft zu treiben. Schmerzen empfindet jeder von uns gleichermaßen, da gibt es keine Ausnahmen. Und da können wir entweder helfen oder uns abwenden. Eine andere Möglichkeit sehe ich nicht.

Onkel Ronnie hätte das nicht gewollt. Ich weiß nicht, was er über Trump an der Spitze seiner Partei gedacht hätte, aber er hätte es nicht gut gefunden, Teilen des amerikanischen Volkes die kalte Schulter zu zeigen. Letzten Endes war er doch durch und durch ein überzeugter Amerikaner. Er war nicht der Held, den wir uns zeitweise gewünscht hatten, aber dennoch hat er heute den Status einer Legende: Er streckte uns die Hand hin, damit wir wieder aufstanden, und gab uns dann einen ordentlichen Anschiss, damit wir uns weniger leidtaten. Das war nicht leicht. Ich könnte mir vorstellen, dass wir jetzt gern wieder jemanden hätten, der das tut. Reagan ist schon lange abgetreten, Trump kann so etwas nicht, und auch sonst ist niemand mehr da. Aber ich halte weiter unverdrossen Ausschau nach einem Silberstreif am Horizont. Vielleicht mögt ihr mich ja begleiten.

Zertrumpelt

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