Читать книгу Imke, Träume - Tränen - Meistercup - Corinna Behrens - Страница 7
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Getrennte Wege
Die meisten Winkelbacher Spielerinnen besuchten dieselbe Schule. Auf dem Pausenhof gab es nur ein Thema: das Pfingstturnier – und der Traum vom gemeinsamen Training mit den Nationalspielerinnen.
»Mädels«, mahnte Karin, die immer einen kühlen Kopf bewahrte. »Wir müssen das Turnier erst gewinnen!«
»Ach, du.« Tanja winkte ab. »Lass uns doch ein bisschen träumen. Außerdem muss man uns erst besiegen.«
»Na ja, das war in der letzten Zeit nicht so schwer«, sagte Imke. »Wir sollten schnell wieder auf die Erfolgsspur kommen.«
»Tina, was meinst du?«, fragte Karin die Torhüterin, die schweigend dabeisaß und vor sich hinstarrte. Sie hob den Kopf. Ihre sonst so strahlenden Augen sahen glanzlos aus. »Was ist?«
»Was ist deine Meinung zum Meistercup? Packen wir das?«
Tina hob die Schultern und stand auf. »Mir egal.«
Ihre Mitspielerinnen sahen sich erstaunt an.
»Was ist los?«, fragte Imke. »Bist du sauer?«
»Nein«, brummte Tina. »Lasst mich einfach in Ruhe.«
Langsam drehte sie sich um und schlenderte davon.
»Mann, hat die eine super Laune.« Lydia schüttelte den Kopf.
Nachdenklich sah Imke ihrer Freundin hinterher.
Tina blieb schweigsam und in sich gekehrt.
»Hast du Lust, dass wir uns später treffen?«, fragte Imke sie nach der Schule. »Wir könnten gemeinsam lernen oder später Fahrrad fahren.«
»Nee, lass mal!« Tina winkte ab, drehte sich um und ließ ihre Freundin stehen.
Beim Training wirkte Tina lustlos. Einen harmlosen Schuss von Imke ließ sie durch die Hände ins Tor gleiten.
»Mensch, Tina, wir haben doch gemeinsam besprochen, dass wir uns anstrengen«, sagte Imke leise zu ihr.
»Jaja, euer blöder Meistercup. Ich weiß.« Ihre Stimme klang missmutig. Sie holte den Ball mit den Händen aus dem Netz und schlug ihn mit dem Fuß weit weg hinter das Tor.
»Was soll das denn?«, motzte Imke. »Du spinnst ja wohl!«
»Du läufst doch so gerne. Bitte, so nervst du mich wenigstens nicht.«
»Ach, ich nerve dich? Du nervst mit deinem Verhalten!« Imke stemmte die Hände in die Hüften.
»Was ist da los?«, fragte Hannah und lief zu den Mädchen.
»Die schießt einfach meinen Ball weg.«
»Jetzt fang nicht an zu flennen«, sagte Tina und lehnte sich an den Torpfosten.
»Du holst deinen Ball und Schluss«, forderte Hannah Imke auf.
»Ich? Wieso ich?«
»Darüber werde ich jetzt nicht diskutieren.« Hannah reagierte ungewohnt streng. Imke stampfte mit dem Fuß auf, drehte sich um und lief los. Sie hörte, wie Hannah Tina sanft fragte, ob alles in Ordnung sei. Das steigerte ihre Empörung. »Klasse«, maulte sie vor sich hin. »Tina hat voll die schlechte Laune und ich kann es ausbaden.«
Imke griff zu ihrem Ball und drehte sich um. Hannah hatte das Schusstraining beendete und rief die Mädchen zusammen. Tina schlenderte Richtung Kabinenhäuschen.
Was ist bloß mit Tina los? Imke schwankte zwischen Ärger und Sorge um ihre Freundin.
Nach dem Training zog sich Imke eine Jacke über ihren Trainingsanzug und verließ die Kabine.
Sie sah sich einige Zeit das Training der Frauenmannschaft an.
Die Sportanlage des SV Winkelbach war großzügig gebaut. Auf dem Hauptplatz mit einer Tribüne fanden meistens die Punktspiele der Herrenmannschaft statt.
Trainiert wurde auf einem großen Trainingsplatz und einen kleineren Jugendplatz. Zudem stand den Teams noch ein roter Ascheplatz zur Verfügung. Dieser war auch bei schlechten Witterungsbedingungen bespielbar. Auf diesem spielten und trainierten die wenigsten gerne, denn durch die steinige granulare Oberfläche kam es häufig zu Schürfwunden und Verletzungen.
Der SV Winkelbach war kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet worden und hatte mit seinem Herrenteam erfolgreiche Zeiten erlebt. Doch der Verein hatte sich finanziell übernommen, die erste Mannschaft war innerhalb weniger Jahre von der Landesliga in die Kreisklasse abgestiegen. Seitdem versuchte der SV Winkelbach, an alte Zeiten anzuknüpfen.
Vor vier Jahren hatte sich der Verein auch für den weiblichen Fußball geöffnet. Schnell etablierte sich die Frauenmannschaft in der Kreisliga.
Mädchen mit Spaß am Kicken gab es immer mehr. Neben der C-Jugend spielten inzwischen auch jüngere Mädchen im Verein. Die herausragende Jugendarbeit beim SV Winkelbach sprach sich herum.
Norbert Kampe, der Trainer der Frauenmannschaft übernahm das Amt in der Winterpause. Der bisherige Trainer Rolf Müller hatte aus beruflichen Gründen den Verein verlassen.
Norbert ließ die Frauen um den Platz laufen. Imke beobachte, dass sich Hannah angeregt mit Lisa Wimmer, Tinas Mutter, unterhielt.
Nach einer Weile rief Norbert seine Spielerinnen zusammen. Eva, die sich erst nach der Winterpause dem Verein angeschlossen hatte, schnaufte schwer. Sie war über dreißig, etwas fülliger und hatte lange kein Fußball mehr gespielt.
Imke sah sich um. Meistens schaute Tina auch beim Frauentraining zu, aber diesmal schien das nicht der Fall zu sein. Die Kälte kroch durch die verschwitzte Trainingskleidung. Besser wäre es, sie würde nach Hause fahren. In diesem Moment hörte sie Norbert lautstark schreien: »Eure Trainingsdisziplin ist unterirdisch. Gerade von dir bin ich enttäuscht, Hannah. Du bist doch selbst Trainerin!«
»Norbert, wir laufen bei dir nur. Wir müssen uns aber auch taktisch und technisch verbessern«, antwortete Hannah verärgert.
»Ihr schnauft doch alle, wenn ihr ein paar Runden rennen müsst. Ohne Grundkondition brauche ich euch nichts anderes beizubringen.«
»Anhand von Spielformen könnte man sich auch die nötige Fitness erarbeiten.« Hannah verschränkte die Arme vor der Brust. »Die Trainingszeit für Rundenrennen ist viel zu kostbar.«
»So, zu kostbar. Ich bin lange genug Trainer und lasse mir von dir keine Trainingsmethoden erklären. Ist das klar!«
Hannah hob die Schulter. »Okay, Norbert, du bist der Trainer.«
»Genau. Deswegen lauft ihr jetzt alle noch einige diagonale Steigerungsläufe. Bedankt euch dafür bei Hannah.«
»Halt nächstes Mal einfach den Mund«, murrte Eva.
»Sie hat doch recht«, flüsterte Lisa.
»Klar stimmt es. Aber besprecht so etwas nach dem Training. Ich bin fix und fertig. « Marion wischte sich über die Stirn. »Ich fall gleich tot um. Mit jedem Schritt spüre ich meine zweiunddreißig Lenze!«
»Was soll ich sagen?«, stöhnte Lisa. »Ich werde fünfunddreißig!«
»Wer bietet mehr?« Hannah knuffte Lisa beim Vorbeilaufen in die Seite.
»H a n n a h!«, brüllte Norbert über den Platz. »Noch ein Wort und wir hängen noch einige Sprints dran.«
Imke hatte die Diskussion erbost angehört.
Wie unfair behandelte Norbert ihre Trainerin? Warum ließ Hannah sich das überhaupt gefallen?
Ausgerechnet er sprach von fehlender Kondition, mit seinem dicken Bauch, den er vor sich her trug. Nie sah Imke ihn mitlaufen. Stattdessen trieb er mit lauten Kommandos seine Spielerinnen über den Platz.
Es war inzwischen dunkel und nur das Fluchtlicht spendete Helligkeit. Imke wandte sich ab und schlendert zurück zum Ausgang, doch dann vernahm sie Tinas Stimme. Einen Moment überlegte sie, weiterzugehen. Aber in ihr brodelte es wegen Norberts Verhalten gegenüber Hannah. Wenn sie Glück hatte, erwischte sie Tina in einem gutgelaunten Moment und sie könnten sich darüber unterhalten.
Jäh hielt sie inne, denn Tina stand mit Sabrina, der Tochter von Norbert, zusammen. Sabrina betonte ihre schlanke Figur mit enger moderner Kleidung, ihr Gesicht war geschminkt und die langen blonden Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. In der Hand hielt sie eine Zigarette. Sabrina fuhr öfter mit ihrem Vater zum Training. Ihr Interesse galt aber mehr den Jungen der A-Jugend, die noch eine Stunde parallel mit den Frauen trainierten. Die beiden Mädchen schienen sich angefreundet zu haben, dabei war Tina drei Jahre jünger.
Die zwei standen auf der Terrasse des Vereinsheims.
Im Hintergrund erkannte sie Stefan, der ständige Schatten von Sabrina. Er hielt seinen Helm unter dem Arm und lehnte an der Terrassenbrüstung. Stefan war bereits volljährig. Der großgewachsene junge Mann wirkte durchtrainiert. Meistens trug er Lederklamotten, weil er ein Mini-Motorbike fuhr.
Einige aus ihrer Mannschaft erzählten, dass Stefan für Sabrina schwärmte. Er hatte seine Lehre abgebrochen und verdiente sich sein Geld mit Nebenjobs. Sabrina besuchte dieselbe Schule wie Tina, Tanja und Imke.
Sabrina zog an der Zigarette und gab sie Tina, die ebenfalls einen Zug inhalierte. »Oh, wenn das meine Ma sehen würde.«
»Bleib locker. Du bist wie ein Baby, wie deine kleine Freundin.«
Imkes Herz schlug schneller. War etwa sie gemeint?
Tina nahm einen weiteren tiefen Zug und fing an zu husten.
Sabrina lachte laut auf. »Mann, du bist echt noch ein Baby!« Sie griff zu der Zigarette. »Wenn du auf Bens Party mitkommen willst, musst du cooler auftreten!«
Noch immer hustend nickte Tina eifrig mit dem Kopf.
»Du musst dich von deinem Kindergartenimage lösen.«
»Was meinst du damit?«
»Wenn du mit deinem Fußballzwerg ankommst, nimmt dich doch keiner mehr für voll.«
Sabrina blies Tina den Rauch ins Gesicht.
»Iiih, lass das«, hustete Tina erneut. »Imke ist meine -«
»Sie ist ein Kind«, fiel ihr Sabrina ins Wort.
»Na ja, ein bisschen kindlich ist sie schon«, gab Tina zu.
»Na bravo, endlich merkst du es auch.« Übertrieben klopfte die Ältere Tina auf die Schulter. »Denk dran, ich kann dich am besten verstehen. Schließlich habe ich das alles durchgemacht.«
»Ja, ich weiß.« Tina starrte auf den Boden.
»Ben ist echt ein süßer Typ.« Sabrina schnippte die Kippe weg. »Du kannst dir was drauf einbilden, dass du mitkommen darfst!«
»Hat er mich echt eingeladen? Der kennt mich doch kaum!«
»Du starrst ihn doch immer an, wenn die Jungs trainieren. Das bekommt er mit. Na ja, und ein bisschen gesteckt habe ich ihm das auch.«
»Du hast was?«, fragte Tina aufgebracht.
»Ha, du bist echt niedlich. Denkst du, ein cooler Typ wie Ben kommt auf dich zu und lädt dich zu seiner Party ein? «
Imke kannte diesen Ben, der Benjamin hieß und in der A-Jugend Winkelbachs kickte. Tina hatte einmal erzählt, dass sie ihn total süß fände. Imke hatte damals entgegnet, dass er vor allem selbstverliebt und überheblich wäre. Zudem könne er nicht ordentlich Fußball spielen, denn seine Stärken beschränkten sich auf Schnelligkeit und Grätschen.
Was meint Sabrina damit, dass nur sie Tina versteht, weil sie das alles durchgemacht hat? Und warum hat Tina mich nicht verteidigt? Imke wischte sich Tränen aus den Augen und schlich im Schutz der Dunkelheit zu ihrem Fahrrad.
Am Freitag war das Training intensiv, aber nicht zu anstrengend, denn am nächsten Tag würde das Spiel gegen den Tabellennachbarn TSV Otterbach stattfinden. Der Sieger dieser Begegnung besaß die Chance, um die ersten drei Plätze in der Tabelle mitzuspielen.
Imke trainierte verbissen. Sie trickste auf engstem Raum, glücklich, den Ball am Fuß zu führen, ihn zu streicheln. In den Momenten vergaß sie sogar die Probleme mit Tina.
Nach dem Training auf dem Weg in die Kabine kam ihnen Benjamin entgegen, nickte Tina aber nur kurz zu. Imke sah, wie sich das Gesicht ihrer Freundin verfinsterte.
In diesem Moment fragte Tanja: »Ist euch auch aufgefallen, dass Hannah angespannt wirkte?«
Imke nickte. »Ja, am Mittwoch hat Norbert sie angemotzt. Vielleicht setzt ihr das noch zu.«
»Davon hast du ja gar nichts erzählt.« Tina runzelte die Stirn.
Wütend drehte sich Imke zu ihr und entgegnete: »Woher soll ich wissen, was dich noch interessiert? Du hast ja sowieso nur noch Benjamin und die blöde Fete im Kopf!«
Tina hielt ihre Freundin am Arm fest. »Was hast du denn?«
»Na, hat uns der Zwerg belauscht?« Sabrina kam wie aus dem Nichts und stellte sich zu Tina. Provozierend legte sie den Arm um ihre Freundin und sagte: »Tina ist einfach viel reifer als du.« Sie musterte Imke: »Du musst bestimmt noch fünf Jahre warten, bis dich jemand zu einer Feier einlädt! Wenn überhaupt …«
»Sei nicht so fies.« Tina sah verlegen aus.
»Ach, ich bin fies? Wolltest du nicht auf Bens Feier kommen? Bist du nächste Woche eingeladen, oder nicht? Du musst dich entscheiden, der Zwerg oder ich!«
Imke schaute Tina an und sah die Unentschlossenheit in deren Gesicht. Das war zu viel.
»Du brauchst dich nicht entscheiden«, sagte Imke. »Ab jetzt gehen wir getrennte Wege.« Sie drehte sich um und entfernte sich mit schweren Schritten. Ihre Hände zitterten. Starr den Blick nach vorne gerichtet, stapfte Imke in die Kabine, schnappte ihren Rucksack und eilte wieder hinaus. Sie vernahm weder Tanja, die ihr nachlief, noch die anderen Mitspielerinnen. Ihr Magen krampfte sich zusammen und sie hörte sich laut aufschluchzen.
Die Tränen liefen ihr über das Gesicht. Zu Hause stürmte sie an ihrem Vater vorbei zur Treppe. Er versperrte ihr den Weg und weinend fiel sie in seine Arme. Behutsam führte er sie in die Küche, wo Imkes Mutter am Abendbrottisch saß.
»Imke, was ist mit dir los?«, fragte sie und sprang vom Stuhl auf.
Martin Strobel, Imkes Vater, hob die Schultern. »Sie ist so nach Hause gekommen.«
Irene Strobel fuhr Imke über das kurze schwarze Haar: »Kleine, beruhige dich. Am besten erzählst du uns, was los ist.«
Imke schluchzte einige Male laut vor sich hin. Dann erzählte sie ihren Eltern von dem Streit mit Tina.
»Seit einigen Wochen … hat sie sich total verändert«, sagte sie und schnäuzte sich die Nase. »Jetzt ist diese Sabrina ihre Freundin. Sie hat sich gegen mich entschieden!«
Imke bemerkte nicht die Blicke, die sich ihre Eltern hinter ihrem Rücken zuwarfen. Irene Strobel hob fragend die Schultern, doch ihr Mann schüttelte mit dem Kopf.
»Freundinnen streiten sich auch mal«, sagte er. »Es wird bestimmt alles wieder gut werden!«