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ОглавлениеSobald Luzia am nächsten Morgen, nach der etwas gequälten Verabschiedung von Matthias und nach der Morgensuppe mit ihrem redseligen Onkel, etwas Zeit erübrigen konnte, betrat sie den Innenhof der Apotheke. Niemand würde ein solches Kleinod inmitten der Stadt vermuten, aber Luzia konnte sich auch nach den vielen Jahren, in denen sie nicht mehr hier gewesen war, noch gut an den Garten erinnern. Die alte Linde stand noch genau in der Mitte. Noch größer als vor einigen Jahren beherrschte sie den Garten. In den Ecken gediehen Wachholder, eine Eibe und ein verwilderter Holunder. Auf Perchtas heilige Pflanzen muss ich also auch hier nicht verzichten, dachte Luzia erleichtert.
Die Kiste von Pater Wendelin hatte Matthias am Vorabend auf den kleinen Tisch unter der Linde gestellt. Luzia wollte keine Zeit verlieren, die Pflanzen mussten schleunigst in die morgenfeuchte Erde. Sie kniete sich vor das mit einer niedrigen Buchshecke umgebene Beet in der südlichen Ecke des Gartens. Kurz entschlossen riss sie die verblühten Ringelblumen gemeinsam mit dem sie umgebenden Unkraut heraus. Zwischen die letzten Seiten des Pflanzenbuches hatte Pater Wendelin die gekürzte Abschrift des Hortulus geschoben, die sie nun entfaltete, obwohl sie das Lehrgedicht auswendig kannte und genau wusste wo sie die einzelnen Pflanzen einsetzen musste.
Sie begann mit dem Salbei, den Walahfrid Strabo als Erstes nannte, gefolgt von Muskatellersalbei, Liebstock und Frauenminze. Durch die Fahrt waren ein paar Blättchen umgeknickt. Luzia entfernte sie ganz vorsichtig. Dann legte sie einen Setzling nach dem anderen in die Erde. Voller Wehmut ließ Luzia ihre Gedanken schweifen. Der würzige Duft der Kräuter mischte sich mit dem tiefen Aroma des feuchten Erdreichs. Sie sah Pater Wendelin vor sich, wie er in seinem schwarzen Habit vor ihr stand und sie unermüdlich die lateinischen Bezeichnungen der einzelnen Pflanzen abfragte. Seine warmen Augen glänzten vor Lehrer-Stolz. Als ihr Mund trocken wurde und ihr Herz zu schmerzen begann, vermischte sich die Erde mit ihren Tränen. Sie vermisste ihren weisen Lehrer, den väterlichen Freund und geistigen Mentor sehr. Stets hatten die wunderbaren Gespräche ihren Geist genährt und ihrer Seele Flügel verliehen. Schnell wischte sie die Tränen fort. Basilius sollte nicht sehen, wie sie weinte.
Luzia setzte Andorn, Schlafmohn und Katzenminze. Von dem verführerischen Duft angelockt sprang Nepomuk durch die offene Tür in den Innenhof. Er streifte genießerisch um die kleine Pflanze herum, ehe er sich wieder aus dem Staub machte.
Als alle Pflänzchen eingesetzt waren, hob sie die leere Holzkiste vom Tisch herunter. Sie war schwer, und doch hatte Matthias sie ohne jede Mühe getragen. Matthias, der die Sonne in ihrem Herzen gewesen war … Durch die Umarmung zum Abschied hatte Luzia seine Trauer gespürt, wie ein Leichentuch hatte sie ihn umgeben. Er hatte sich bemüht, seine Kränkung zu verbergen, doch die Blicke, mit denen er Luzia ansah, verrieten ihn. Immerhin waren sie als Freunde auseinandergegangen. Luzia seufzte, sie wünschte ihm nur das Beste und hoffte für ihn, dass er schon bald sein Glück finden würde.
Am späten Abend würde Matthias Seefelden erreichen. Sein erster Weg würde ihn zu Jakob und Elisabeth führen, um ihnen von der Reise zu berichten. Elisabeth … Erleichtert vernahm sie die Stimme ihres Onkels, der in den Garten hinaus gekommen war.
»Kaum ist eine Frau im Haus, schon beginnt sie meine kluge Ordnung zu zerstören!«, sagte Basilius in gespielter Empörung.
Luzia lachte. »Das nennst du Ordnung? Unkraut hast du hier gepflegt. Ich habe in dieses Beet meine Heilpflanzen gesetzt. Du wirst sie auch noch zu schätzen wissen.«
Basilius hob mahnend den Zeigefinger. »Wage es nicht, Hand an meine Apotheke zu legen.«
Luzia legte die Hand auf ihr Herz. »Niemals würde ich das wagen«, versicherte sie ernsthaft und legte den Arm auf seine Schulter. Zufrieden betrachtete sie ihr Werk und füllte den Ledereimer mit frischem Brunnenwasser. Nachdem sie das Beet gewässert hatte, beschloss sie, Seefelden und alles, was sie zurückgelassen hatte, tief in ihrem Herzen zu bewahren, jetzt aber entschieden nach vorn zu blicken.
Nachdem Luzia am Grab der Mutter ein Gebet gesprochen hatte, machte sie sich daran, die schmuddelige Hebammentasche die sie ihr hinterlassen hatte, genauer in Augenschein zu nehmen. Es fiel ihr schwer zu glauben, was sie mit spitzen Fingern zutage förderte. Neben einem silbernen Kreuz befand sich noch eine alte Taufspritze in den Tiefen des alten Beutels. Alles andere war völlig wertlos. Schmutzige Leinenstreifen, die über und über mit Stockflecken bedeckt waren, und zerpflückte Scharpie, die bereits nach Schimmel roch. Eine Flasche, deren Inhalt mehr als zweifelhaft war und ein kleines, blutverkrustetes Messer. Luzia nahm das Kreuz an sich, die Wundmaterialien verbrannte sie im Herdfeuer und den Rest schob sie im Keller in die hinterste Ecke eines Regals. Die Tasche war eine Schande für ihren Berufsstand.
»Seitdem meine Annegret nicht mehr ist, gab es neben meiner Arbeit in der Apotheke keine großen Freuden mehr. Doch du hast das Licht in meinem Herzen wieder entzündet«, sagte Basilius als er sich zum Mittagsmahl niederließ. »Seit du bei mir bist, entdecke ich das Leben wieder jeden Tag aufs Neue. Ich bin wieder neugierig wie ein Fünfjähriger«, erklärte er mit einem Lächeln. Dabei leuchteten seine wachen, braunen Augen tatsächlich wie die eines kleinen Jungen. Sein eisgraues Haar wirkte immer ein wenig zerzaust genau wie seine buschigen Augenbrauen. Dagegen wirkte Basilius’ kurz gestutzter Bart geradezu modisch. Doch im Gegensatz zu den anderen wohlhabenden Bewohnern der Marktstrasse achtete er weniger darauf, was das modebewusste Italien oder das feine Frankreich denen, die es sich leisten konnten, diktierte. Basilius war eher praktisch veranlagt und ließ sich von Äußerlichkeiten nicht so schnell beeindrucken.
»Heute zur zweiten Mittagsstunde habe ich eine Verabredung mit Johannes von der Wehr. Gemeinsam treffen wir uns im Kontor der Fernhandelsgesellschaft. In den frühen Morgenstunden ist ein Handelszug aus Genua eingetroffen und nun hoffen wir auf die bestellten Waren aus Afrika«, sagte Basilius und lehnte sich satt in seinem Stuhl zurück.
»Johannes von der Wehr?«, fragte Luzia lauernd. Ihr war nicht entgangen, dass ihr Onkel keine Gelegenheit ausließ den jungen Medicus zu erwähnen. Nachdem sie Jakobs Vorhaben entgangen war, fürchtete Luzia bereits Basilius’ Heiratspläne. Noch in diesem Jahr würde sie zwanzig werden. Nicht mehr lange, und sie würde als alte Jungfer gelten. Sie sah bereits die besorgten Gesichter und hörte die wohlmeinenden Ratschläge.
»Leider hattet ihr immer noch keine Gelegenheit euch kennenzulernen, dabei habe ich Johannes schon so viel von dir erzählt. Immer wenn er zu mir in die Apotheke kommt, bist du gerade ausgegangen. Aus diesem Grund sollte ich ihn recht bald auf ein Nachtmahl zu uns nach Hause einladen.«
Es läutete zwei Uhr, und Luzia reichte ihm seinen schwarzen Talar und das Barett. In der Tracht des Gelehrten machte Basilius einen sehr respektablen Eindruck. Nachdem sie ihren Onkel zur Tür gebracht hatte, schloss sie die Apotheke für die Dauer seines Fortseins ab.
Luzia machte sich daran den Boden aus schweren Eichenbrettern zu kehren. Zuerst in der großen Küche, weiter im behaglichen Wohnraum. Hier rückte sie die mit Schaffellen gepolsterten Scherenstühle um den großen, runden Tisch zurecht. Im offenen Kamin hatte Basilius bereits das Feuerholz aufgeschichtet. Entlang der weißgekalkten Wände standen einige Truhen und halbhohe Schränke. Als alles fertig war, ging sie über die reich geschnitzte Treppe in die Schlafkammern. Ihren Raum hatte Basilius besonders gemütlich eingerichtet. Neben einem schmalen Bett aus Kirschholz befand sich eine kleine Nachtkommode, und an der Wand stand ein zierlicher Schreibtisch, auf dem das Herbarius Maguntie Impressus, welches ihr Pater Wendelin zu Abschied geschenkt hatte, darauf wartete, bewundert zu werden. Luzia setzte sich und blätterte ein wenig darin.
Unter dem Fenster standen zwei Truhen für ihre Kleidung. Auf dem Boden lagen dicke Wollteppiche und an der Wand hatte Basilius einen gestickten Wandteppich befestigt.
Eine schmale Stiege mit knarrenden Stufen führte in den zweiten Stock. Hier, in einem schmalen, aber hohen Dachraum mit kleinen Fenstern befand sich die Bibliothek ihres Onkels. Langsam öffnete sie die Tür und sah hinein. An jeder Wand standen Regale, die bis unter die Decke reichten. Lediglich die bleiverglasten Fenster waren freigelassen. Sie waren schon lange nicht mehr geöffnet worden. Es roch nach Bienenwachs, Leder und vergilbtem Pergament. Wohl geordnet nach Themen standen die unvorstellbar vielen Bücher und Schriftrollen auf den grob gezimmerten Brettern. Voller Ehrfurcht ließ Luzia ihre Finger über die großen schweinsledergebundenen Folianten gleiten. Mit äußerster Vorsicht berührte sie die kleineren Quart- und Oktavbände. Eine Abschrift des Libellus de aegritudinibus infantum, ein Werk über Kinderkrankheiten von Paolo Bagellardi aus dem Jahre 1472, erregte Luzias Aufmerksamkeit. Vorsichtig öffnete sie die Abschrift und las ein wenig darin. Daneben stand das Regiment der jungen Kinder, ein Werk des Doktor Mettler aus dem Jahre 1473, welches ebenfalls die Kinderkrankheiten behandelte. Noch niemals hatte Luzia so viele Bücher gesehen. Selbst die Benediktiner auf dem Martinsberg zu Altdorf beneideten ihren Onkel um einige Werke, und wenn sie sich umsah, mochte sie das gerne glauben.
Nachdem sie sich in der Bibliothek ausgiebig umgesehen hatte, stieg Luzia wieder ins Erdgeschoß des großen Hauses, um sich die Apotheke vorzunehmen. Auf den Regalbrettern des hinteren Raumes, in den keine Kunden kamen und wo ihr Onkel seine Mixturen herstellte, lag der Staub vergangener Monate. Luzia machte sich daran, die mannshohen Wandgerüste davon zu befreien. Die bleiverglasten Butzenscheiben ließen das Innere der Apotheke in einem geheimnisvollen Licht erscheinen. Sie säuberte die vielen Schränke aus dunklem Holz. Luzia wischte über die Knäufe der unzähligen Schubladen, dann zog sie einige davon auf und warf einen Blick hinein. Exotische Düfte von Zimt, Nelken, Pfeffer und anderen seltenen Gewürzen strömten ihr entgegen und erfüllten den hohen Raum. Sie verstärkten die geheimnisvolle Stimmung der Apotheke. Auch die scharfen Gerüche heilbringender Arzneien lagen in der Luft, und als Luzia ihre Augen schloss, um die schweren, leicht schwindelerregenden Aromen auf sich wirken zu lassen, erinnerte sie sich daran, dass sie all diese Gerüche bereits aus ihrer Kindheit kannte. Den hinteren Teil der Apotheke liebte Luzia ganz besonders. Hier befand sich über einer gemauerten Feuerstelle der Alambik. Während sie im kupfernen Destillierhelm ihr Spiegelbild betrachtete, überlegte sie, ob Basilius immer noch die Bestandteile seines Theriak darin braute.
Basilius traf nach einer guten Stunde wieder in der Apotheke ein, als Luzia gerade herumstehende Flaschen zusammenstellte und ein paar Becher ausrieb.
»Johannes lässt dich herzlich grüßen«, sagte der Onkel mit einem listigen Lächeln. »Und du bringst schon wieder meine heilige Unordnung durcheinander.«
»Was so alles zum Vorschein kommt, wenn erst der Staub beseitigt ist.« Luzia schwenkte die Vergrößerungsgläser, die Basilius schon seit einer Ewigkeit vermisste. »Die lagen zwischen den Seiten dieses Buches«, sagte Luzia und deutete lachend auf einen dicken Wälzer.
»Was würde ich ohne dich tun? Dafür lasse ich dich jetzt mein Elixier probieren.«
Er goss eine Winzigkeit auf den kleinen Probierlöffel aus Horn. »Koste es. Edles Theriak ist kaum mit Gold aufzuwiegen«, forderte er seine Nichte auf.
Bittere Süße breitete sich in ihrem Mund aus. Warm und rund schmiegte sich die dunkelbraune Flüssigkeit an ihren Gaumen. »Na, kannst du mir ein paar der Inhaltsstoffe nennen?«, fragte er herausfordernd. Als Luzia sah, wie seine Augen vor Freude leuchteten, wusste sie, dass er nicht einen Augenblick an ihren Fähigkeiten zweifelte.
»Mmh, mal sehen, ob ich das kann, bitter und aromatisch … Engelwurz, Baldrian und vielleicht Myrrhe.«
Basilius nickte. »Kennst du auch die lateinischen Entsprechungen?«
»Angelica archangelica, Valeriana und Commiphora myrrha.«
»Ganz meine Nichte«, lobte Basilius, und seine Augen leuchteten voller Zufriedenheit.
Aufgeregt verließ Luzia das große Apothekerhaus. Obwohl ihr Basilius mehrfach versichert hatte, dass sie sich vor der Einschreibung ins große Buch der Stadt Ravensburg nicht zu fürchten brauche, beschlich sie ein mulmiges Gefühl. Sie wandte sich nach links, wo die Straße zum Marktplatz hin abfiel. Hier in der Marktstraße wohnten die wohlhabenden Patrizier. Ihre Häuser waren allesamt groß, prächtig und aufwendig verziert. Auf dem Katzenkopfstein hallten ihre Schritte unüberhörbar. Eine Frau öffnete die Fensterläden im ersten Stock und blickte hinaus. Luzia grüßte freundlich, die andere nickte nur. Nach wenigen Minuten öffnete sich die feine Marktstraße zum Marktplatz, an dessen Ende das Rathaus stand. Der Staffelgiebel mit seinen Zinnen erinnerte an eine mächtige Burg. An der Nordwand klebte der kleine Gerichtserker mit den Wappen der Stadt und des Reichs. Und auf dem Dach saß der Glockenturm, von wo aus die Stadträte zur allwöchentlichen Ratsversammlung gerufen wurden.
Zwei Frauen standen bereits im Eingangsbereich und führten ein angeregtes Gespräch. Sie warteten darauf, dass sie der Ratsknecht einließ. Beide trugen Kleider aus feinem Tuch. Mit Luzias Ankunft verstummten sie und musterten sie voller Neugier.
»Die neue Hebamme«, sagte die Ältere von beiden, wobei sie sich keine große Mühe gab, ihre Stimme zu senken.
»Sie hat ja rotes Haar«, bemerkte die Jüngere spitz.
»Natürlich hat sie rotes Haar. Das hatte sie schon, als sie noch ein Kind war.«
»Du kennst sie?«
»Ja, und ich bin gespannt, ob sie genauso grob ist, wie ihre Mutter es war«, überlegte die Ältere.
»Ich hoffe nicht«, gab die andere zur Antwort. »Mein Monatsblut ist bereits zum dritten Mal gestockt, langsam glaube ich, guter Hoffnung zu sein.« Die hübsche junge Frau lächelte bei diesem Geständnis.
Luzia wandte sich ihr zu und sagte freundlich: »Ihr seid guter Hoffnung, das erkenne ich gleich. Trinkt den Sud aus gekochten Himbeerblättern mit Fenchel und Frauenmantel, das ist wichtig, besonders wenn es das erste Mal ist.«
Die junge Frau schnappte nach Luft. »Das erste Mal! Wie könnt Ihr das wissen?«
In diesem Augenblick schwang die Tür auf, und Luzia ging an den beiden vorbei hinein. Hinter sich hörte sie erregtes Geflüster.
Das Innere des Rathauses umfing sie mit feuchter Kühle. Luzia stieg die große Treppe hinauf und klopfte an die schwere Eichentür, die viel höher war als sie selbst. Der Stadtmedicus, der sie empfing, war nicht Johannes von der Wehr, den sie vorzufinden erwartet hatte, sondern sein älterer Amtskollege, Doktor Friedrich Sauerwein. Der dicke Mann war ihr auf Anhieb unsympathisch. Seine feisten Wangen und sein Doppelkinn zeugten nicht gerade von Askese. Und die rote Gesichtsfarbe wies auf ein zorniges Gemüt.
»Wie ist Euer Name, Frau?«, fragte Sauerwein eisig, »und was wollt Ihr?«
Luzia knickste: »Luzia Gassner, ich bin die neue Hebamme, und als solche möchte ich mich bei Euch vorstellen.
»So, so, Ihr seid also die Gassnerin?«, entgegnete Sauerwein. Widerwillig betrachtete er ihr rotes Haar.
Luzia nickte und senkte züchtig den Blick.
Der Stadtmedicus überprüfte Luzias Wissen mit ein paar Fragen zur Geburtshilfe, und weil sie seiner Befragung mit den richtigen Antworten begegnete, hatte er keinen Anlass, ihr die Arbeit in der Stadt zu verwehren. Mit saurer Miene holte er das Register hervor, in das er Luzia als neue Hebamme registrieren musste.
»Wann seid Ihr geboren?«, wollte Sauerwein mit der Feder in der Hand wissen. Luzia räusperte sich, dann fasste sie Mut und antwortete mit fester Stimme:
»Wenn Ihr gestattet, ich kann mich selbst ins Register einschreiben.«
»Ihr seid des Schreibens mächtig? Ach, richtig, Kaplan Grumper hat mir ja bereits erzählt, welch fleißige Schülerin Ihr wart.« Ein böses Lächeln umspielte seine Lippen. Als sie den Namen des Schulmeisters hörte, erschrak Luzia. Für kurze Zeit drehte sich der Raum um sie. Erst als ihr Sauerwein die Feder reichte, stand die Erde wieder still.
Luzia Gassner, von Beruf Hebamme, geboren am Stephanstag, dem 2. Tag des elften Monats im Jahre des Herrn 1464, schrieb sie in das große Pergament. Sauerwein beobachtete sie misstrauisch und prüfte ihre Eintragung. Der Amtsmedicus übertrug Luzias Angaben sorgfältig auf eine Urkunde. Dann setzte er für die erfolgte Überprüfung seine Unterschrift darunter, siegelte das Schreiben mit dem Wappen Ravensburgs und überreichte ihr das Dokument. Jetzt war sie die neue Hebamme der Stadt. Sauerwein würdigte sie nicht eines Blickes mehr, sondern begann in einem Buch zu blättern.
»Gibt es eigentlich noch eine weitere Hebamme in der Stadt?«, wagte Luzia zu fragen. »Laut meinem Onkel, dem Apothekarius Basilius Gassner, zählt die Stadt immerhin um die viertausend Einwohner.«
»Befürchtet Ihr jetzt schon unter Eurer Arbeit zu ersticken?«
Luzia schüttelte den Kopf und schalt sich eine Närrin, den Medicus gefragt zu haben. Sie wandte sich ab, um zu gehen.
Doch Sauerwein lehnte sich in seinem Stuhl zurück und legte die Kuppen seiner Finger aneinander. »Grete Muntz solltet Ihr vielleicht kennen, sie sorgt dafür, dass die Stadt nicht ganz verlottert. Ihre Art der Geburtshilfe ist auch im Sinn der heiligen Kirche, und wenn Ihr klug seid, lasst Ihr Euch von ihr unterweisen.«
»Also gibt es eine zweite Wehmutter?«
»Eine Wehmutter«, wiederholte Sauerwein abfällig. »Nun, die Muntzin ist doch wohl ein wenig mehr. Sie empfiehlt die Seelen in den Himmel. Wenn so viele Kinder unter der Geburt den Tod finden, nicht zu reden von den Weibern, ist es das einzig Sinnvolle«, entgegnete er kalt.
Luzia schüttelte den Kopf. »Deshalb ist es ja so wichtig, dass die Frauen eine Hebamme holen lassen und nicht unter den unwissenden Händen irgendwelcher Nachbarsfrauen niederkommen.«
Sauerwein musterte sie mit zusammengekniffenen Augen. »Merkt Euch eins, Jungfer Muntz ist nicht irgendeine Nachbarsfrau. Sie ist ohne Fehl und Tadel und sicher die ehrbarste Frau der ganzen Stadt.«
»Das bezweifle ich nicht. Dennoch sollte die Geburt von einer ausgebildeten Wehmutter mit Erfahrung begleitet werden.«
»Unsinn!«, fuhr ihr Sauerwein über den Mund. »Den Weibern ist die Fähigkeit, ihren Nachwuchs zu gebären, eigen. Wir sehen es schließlich täglich bei Kühen und Schafen. Sie beherrschen es wie das Atmen, oder musstet Ihr erst lernen, wie man Luft holt?«, fragte er belustigt.
»Aber …«
»Spart Euch Eure Widerworte für einen anderen. Für störrische Weiber, wie Ihr eines seid, fehlt mir die Zeit«, sagte er scharf und wies ihr die Tür.
Ehe sich Luzia versah, hatte ihr der Stadtmedicus die Tür vor der Nase zugeschlagen. Sie spürte, wie ihr vor Empörung der Schweiß ausbrach.
Wütend machte sie sich auf den Heimweg. Einige Fremde kreuzten ihren Weg. Sie betrachteten sie mit einer Mischung aus Neugier und verhaltener Freundlichkeit. Die Ankunft der neuen Hebamme hatte sich in Ravensburg herumgesprochen, und durch ihr rotes Haar war sie leicht zu erkennen.
Luzia griff zum Henkelkorb und verließ die Apotheke. Sämtliche Vorräte waren aufgebraucht und so nutzte sie den Markttag, um sich mit frischen Lebensmitteln einzudecken. Basilius hatte wirklich einen verwöhnten Gaumen, und Luzia gab sich große Mühe, ihn zufriedenzustellen. Als sie ihm an einem der ersten Tage eine grobe Dinkelgrütze zum Morgenmahl vorgesetzt hatte, hatte ihr Onkel sie lange angesehen, war aufgestanden und hatte dann den Honig geholt. »Wenn schon Brei, dann wenigstens gesüßt«, hatte er gesagt. Seither servierte Luzia morgens eine warme Milchsuppe mit Dörrobst, was dem alten Mann besser schmeckte.
Nepomuk begleitete sie ein Stück weit, besann sich aber bald eines Besseren und verschwand in einer Seitengasse, aus der es schon nach Gekochtem roch.
Der Morgen war noch jung, dennoch lag bereits eine ungewöhnliche Schwüle über dem frühen Herbsttag. Als Luzia am Rathausbrunnen vorbeikam, schöpfte sie eine Handvoll Wasser. Kühl und frisch benetzte es ihre Lippen.
Wie ein großer, bunter Teppich breitete sich der Marktplatz vor ihr aus. Die Stimmen der geschäftstüchtigen Marktschreier erfüllten den gesamten Platz. Lautstark boten Bäuerinnen und Bauern ihr Obst und Gemüse feil. Bäcker und Metzger priesen ihre Waren als die besten. Hühner gackerten um ihr Leben, die Tautropfen auf den grüngrauen Wirsingköpfen glänzten in der Sonne. Vom Rand des Platzes kam wildes Hundegebell. In einer Ecke des Marktes hörte man das Klopfen und Hämmern der Kesselschmiede und Scherenschleifer. Korbflechter hatten ihre Waren vor sich aufgebaut und boten ihr Können feil. Es herrschten Lärm und Gedränge, die für Luzia ungewohnt waren. In Seefelden hatte es solche Menschenmengen nicht gegeben, nicht einmal sonntags in der Kirche.
»Aber, das ist doch Luzia! Gott zum Gruße, kennst du mich nicht mehr?«
Luzia drehte sich herum und fand sich in den Armen einer kleinen, älteren Frau wieder. Liebevoll drückte sie sie an ihren vollen Busen, und Luzia spürte ihre Wiedersehensfreude wie wärmende Sonnenstrahlen um sich.
»Johanna! Sei gegrüßt. Wie ich mich freue. Wie geht es dir?« Luzia kannte die Frau des Baders bereits aus Kindertagen. Früher waren Johannas Tochter Susanne und sie Freundinnen gewesen.
»Du trittst also in die Fußstapfen deiner Mutter, Gott hab sie selig?«
Luzia nickte. »Ich werde mir alle Mühe geben, Ravensburg eine gute Hebamme zu sein.«
Johanna sah sich vorsichtig nach Mithörern um, dann wisperte sie: »Versprich mir, dass du dich vor der alten Grete in acht nimmst. Seit deine Mutter nicht mehr lebt, sieht sie sich als Hebamme der Stadt. Jetzt fürchtet sie sicher um ihre Arbeit, deshalb nehme ich nicht an, dass Grete Muntz sich besonders freut, dass du zurückgekommen bist.«
Schon wieder diese Grete, dachte Luzia. »Dann ist diese Frau also ebenfalls als Wehmutter tätig?«
Johanna schüttelte den Kopf. »Nein, sie hat den Beruf nie erlernt, aber sie geht schon seit vielen Jahren in die Häuser der Frauen. Nebenbei richtet sie unserem Kaplan Grumper den Haushalt.«
Luzia zuckte zusammen. Seit sie ihren Fuß wieder in diese Stadt gesetzt hatte, verfolgte sie Grumper, wenn auch nur mit seinem Namen.
»Manche glauben sogar, der Kaplan schickt die alte Vettel in die Häuser, damit ihm ja nichts entgeht und er immer weiß, was in der Stadt geschieht. Du musst wissen, für Grumper gibt es den Beistand Gottes im Gebet, alles andere verteufelt er als lasterhafte Sünde. Er droht den Frauen sogar mit ewiger Verdammnis, sollten sie gegen den Willen der heiligen Kirche handeln, und Grete achtet peinlich genau auf die Einhaltung der kirchlichen Verbote.«
Urplötzlich hatte Luzia das Gefühl, als würde der Boden unter ihren Füßen wanken. Und wieder schwoll das gefährliche Flüstern, das Zischeln aus ihrer Vergangenheit, in ihrem Kopf an. Diesmal vernahm sie noch eine weitere Stimme, die ihr wie ein glühendes Schwert durch die Eingeweide fuhr. Luzia fühlte Todesangst, und schlagartig wusste sie, dass sie im Begriff war, Stimmen aus der Zukunft zu hören. Quälend und eiskalt verlangten sie nach Antworten. Etwas abgrundtief Böses fraß sich durch ihren Leib, bis es schließlich ihre ungeschützte Seele erreichte. Sie spürte, dass sie dem niemals würde entrinnen können. Als am Rand ihres Blickfeldes leckende Flammen auftauchten, wich der Albtraum wieder.
Luzia legte den Handrücken über die Augen und holte einmal tief Luft. Dann war sie wieder in den Gegenwart. Wie lange war sie in jener anderen Welt gewesen? Lange konnte es nicht gewesen sein, denn Johanna hatte nichts bemerkt und sprach zu ihr, als sei nichts gewesen.
»… Grete kam erst vor wenigen Jahren nach Ravensburg. Anfangs wohnte sie als Pfahlbürgerin außerhalb der Stadt.«
Luzia vernahm Johannas leise Stimme noch immer wie durch einen Nebelschleier.
»Sie kam morgens zur Öffnung der Tore und half tagsüber im Seelhaus bei der Zubereitung der Mahlzeiten für die Pilger. Vor Sonnenuntergang musste sie wieder verschwinden. Damals hatte sie keinerlei Rechte. Erst als Kaplan Grumper auf ihre gottesfürchtige Jungfräulichkeit aufmerksam wurde, erwirkte er für sie das Bürgerrecht und nahm sie bei sich auf. Kurze Zeit später begann Grete, in die Häuser zu gehen.«
Luzia atmete tief durch. Langsam verschwand das unangenehme Schwindelgefühl. »Mit welcher Begründung?«, wollte sie wissen.
Johanna hob ihre Schultern.
»Genau weiß das wohl keiner, aber Grumper sagte ihr schon bald eine besondere Verbindung zur Muttergottes nach, und du weißt ja selbst, dass die Frauen in ihren schwersten Stunden gern auf die Schmerzensmutter vertrauen.«
Luzia nickte. Natürlich wusste sie das. »Göttlicher Beistand kann nie schaden. Aber durch das Beten allein kommt es selten zu einem guten Ende. Jetzt verstehe ich auch, was Doktor Sauerwein vor einigen Tagen meinte. Er erwähnte die hohe Sterblichkeit der Frauen und Kinder.«
»Da hat er wahrlich nicht übertrieben«, entgegnete Johanna traurig und raffte ihr Schultertuch vor der Brust zusammen.
»Aber bis vor wenigen Wochen gab es doch auch noch meine Mutter, sie hat den Beruf der Hebamme erlernt.«
Johannas Blick verhieß nichts Gutes, dann sagte sie: »Deine Mutter machte sich ungern ihre schönen Hände schmutzig, da kam ihr Gretes Art der Geburtshilfe gerade recht. Sie selbst hat auch gern auf die Gnade des Allmächtigen verwiesen.«
Luzia nickte, sie erinnerte sich noch gut an die Ansichten ihrer Mutter. Dass sie sich allerdings so weit von ihrem Weg entfernt hatte, erschreckte Luzia.
»Grete betet für das Seelenheil von Mutter und Kind, ansonsten behindert sie die Nachbarsfrauen eher. Doch niemand wagt der Muntzin zu widersprechen. Sie trägt ja alles zum Kaplan. Dabei schimpft sie jeden förderlichen Handgriff eine schwere Sünde. Allein wenn die Nabelschnur nicht mit einem geweihten Messer durchtrennt wird, meldet sie das dem Herrn Kaplan. An irgendeine Arznei, die gar den Schmerz lindert, darfst du erst gar nicht denken!«
Luzia war entsetzt. Wie oft hatte der Einsatz von Bilsenkraut oder Mutterkorn Leben gerettet!
»Über diese alte Vettel könnte ich dir noch einige Geschichten erzählen, bei denen dir das Blut in den Adern gefriert, aber ich muss jetzt weiter«, sagte Johanna mit einem Blick auf den Sonnenstand. »Möchtest du uns die nächsten Tage nicht einmal besuchen? Rochus und Nanne würden sich sehr freuen.«
Nachdenklich setzte Luzia ihren Einkauf fort. Sie dachte an diese alte Frau, diese Grete. Eine Begegnung mit ihr würde sich nicht vermeiden lassen, spätestens wenn man sie zu ihrer ersten Niederkunft rufen ließ. Und dann würde es darauf ankommen, wer von ihnen beiden sich durchsetzen würde. »Und jetzt genug damit«, schalt sie sich selbst. Sie hatte bisher weder Gemüse noch Äpfel, noch frisches Brot gekauft, von dem sie wusste, wie gern es der Onkel mochte. Und einen Topf Honig brauchte sie auch noch …
Die Gemüsehändler standen vor dem stattlichen Lederhaus, in dem Gerber, Schuhmacher und Sattler ihre Waren verkauften. Die hölzernen Flügeltüren waren weit geöffnet und luden die Kaufwilligen ein.
Der Marktplatz hatte sich mittlerweile gefüllt. Vor jedem Stand drängten sich Frauen und Männer und feilschten mit den Händlern um den besten Preis. Viele Frauen grüßten Luzia, und den anderen schenkte sie wenigstens ein freundliches Lächeln. Ganz zu ihrer Freude sah sie genügend Frauen, die ein Kind unter dem Herzen trugen. Ihren wohlgerundeten Bäuchen nach würde bis zur Niederkunft nicht mehr allzu viel Zeit vergehen. Hoffentlich lassen sie dann nach mir rufen, überlegte Luzia.
Sie warf einen prüfenden Blick in ihren Korb, dann machte sie sich auf den Heimweg. Am Anfang der Marktstraße erreichte sie der Duft frischgebackenen Brotes. Für einen Augenblick schloss Luzia ihre Augen und überlegte: der Duft von Buchenholzfeuer mit einem Hauch Honig, einer Winzigkeit Kümmel sowie einer Spur Koriander und Anis. Das alles in der Himmelsröte, des herannahenden Tages gebacken – so würde sie vielleicht jemandem das einzigartige Aroma frischgebackenen Brotes beschreiben. Mit großen Schritten eilte sie zur Brotlaube, einem Tordurchgang, der die Marktstraße fast gegenüber der Marienapotheke mit der Herrengasse verband. Dort lagen in großen Weidenkörben die warmen haselnussbraunen Laibe. Luzia kaufte zwei runde Einpfünder mit knuspriger Rinde.
Auch an diesem Stand spürte Luzia die neugierigen Blicke der Leute auf sich.
»Das ist die neue Hebamme«, flüsterte jemand in der Schlange hinter ihr.
Als sie bezahlt hatte, hört Luzia, wie der Brothändler zu seiner Frau sagte: »Hübsch ist sie ja, aber sie sollte ihr rotes Haar verbergen.«
Eilig strich Luzia sich ein paar lose Strähnen unter die Haube und setzte ihren Weg fort. Ganz am Schluss kaufte sie bei einem dürren, alten Weiblein ein Pfund gedörrte Zwetschgen. Ihr süßer Duft lockte selbst jetzt noch Wespen an.
»Seid Ihr neu in der Stadt?«, wollte die Obstfrau wissen.
Luzia nickte und antwortete: »Ich bin Luzia Gassner, die neue Hebamme.«
»Dann nehmt noch diese Birnen, sie sind besonders saftig und halten sich noch bis Weihnachten im Keller.« Dabei schob sie Luzia eine kleine, gelbe Frucht in die Hand. »Kostet sie, ich will sie Euch schenken.« Das leicht körnige, süße Fruchtfleisch schmiegte sich an ihren Gaumen und entlockte ihr ein zufriedenes Lächeln. Luzia nickte anerkennend und kaufte bereitwillig einige der reifen Früchte.
Am Abend saß sie mit ihrem Onkel vor dem wärmenden Kaminfeuer in der Stube.
»Und«, fragte er. »Wie war dein erster Markttag in Ravensburg?«
»Aufschlussreich«, antwortete Luzia eifrig. »Und ich habe einige Leute von früher wieder getroffen.« Dass sie auch unangenehme Begegnungen gehabt hatte wie die mit dem Medicus Sauerwein, erwähnte sie nicht.
»Die Leute reden über dich«, sagte Basilius mit einem feinen Lächeln. »Du hast einige von ihnen aufgeschreckt und ihre Welt durcheinandergebracht.«
»Du meinst Grete?«, fragte Luzia schnell.
Das Lächeln auf dem Gesicht des Onkels verschwand und machte einer Sorgenfalte auf der Stirn Platz. »Was hast du über sie gehört?«
»Dass einige in der Stadt große Stücke auf sie halten und dass sie das Pfarrhaus bestellt.«
»Sie wird versuchen, dir das Leben schwer zu machen.«
Luzia nickte. »Solche gibt es immer und wird es immer geben«, sagte sie mutiger als sie sich fühlte.
»Grete darfst du aber nicht unterschätzen«, entgegnete ihr Onkel und in seiner Stimme lag eine dunkle Warnung, die Luzia Angst machte.
Dann erzählte er von einer Geburt, bei der die junge Apollonia Häberlin ein Kind mit sechs Fingern an jeder Hand geboren hatte.
»Ja, das kommt schon einmal vor, wenn die überzähligen Fingerchen gleich nach der Geburt stramm abgebunden werden, fallen sie nach ein paar Wochen, ähnlich wie der Nabel, von ganz alleine ab«, sagte Luzia leise.
»Apollonia wusste das nicht, und ihr Entsetzen über die Hexenfinger war groß. Also band sie dem Kind einen kleinen Blutstein ums Handgelenk, um das Unheil abzuwenden. Zwei Tage später war ihr Kind tot. Grete behauptete daraufhin, Apollonia habe ihr eigenes Kind getötet. Es gab eine Anhörung und Kaplan Grumper trat als Notar auf. Das Blutgericht beauftragte Grumper damit, mögliche Verbindungen Apollonias mit dem Bösen zu entlarven.«
»Wieso ausgerechnet Kaplan Grumper?«, wollte Luzia wissen.
Basilius sah sie lange an, bevor er antwortete.
»Grumper soll bereits vor einigen Jahren zusammen mit einem hohen Würdenträger des Dominikanerkonvents zu Schlettstadt eine Frau des Kindsmords überführt haben. Der Unbekannten aus Waldshut wurde ein Pakt mit dem Teufel vorgeworfen. Sie wurde hingerichtet. Ich will dir die Einzelheiten ersparen, jedenfalls wurde dank Gretes Aussage und Grumpers Dafürhalten auch Apollonia vom Gericht für schuldig befunden und draußen beim Galgenbühl gehängt.«
Luzia starrte ihn voller Entsetzen an. »Das Gericht hat sie wegen Kindsmord zum Tode verurteilt? Und das nur, weil sie ihrem Kind einen Blutstein ums Handgelenk gewunden hatte?«
Basilius seufzte tief. »Ich will dich nicht beunruhigen, aber vor Grete solltest du dich in acht nehmen. Die Alte kann dir sehr gefährlich werden!« Ohne ein weiteres Wort stand Luzia auf und trat näher ans Feuer. Ihr war plötzlich kühl, und das nicht nur, weil es bereits später Abend war.