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Petron: Die Nachtvögel
ОглавлениеTitus Petronius (ca. 14–66 n. Chr.) gehörte genau wie die Schriftsteller Lucan und Seneca zum Hofstaat von Kaiser Nero. Wie auch diese beiden schloss sich Petron einer Verschwörung zur Ermordung Neros an, und wie die anderen Verschwörer bezahlte er seine Beteiligung mit dem Leben: Er wurde zum Selbstmord gezwungen. Tacitus beschreibt ihn in diesem Zusammenhang folgendermaßen: „Er war ein Mann, der seine Tage im Schlaf verbrachte und seine Nächte den sozialen Verpflichtungen und Annehmlichkeiten des Lebens widmete; andere treibt der Fleiß zur Größe – Petron gelangte durch Trägheit zum Ruhm“ (ann. 16.18). Genauso starb er, laut Tacitus, auch: Er öffnete sich mehrmals die Pulsadern und verband sich dazwischen immer wieder die Handgelenke, um noch in aller Ruhe seine letzten Geschäfte tätigen zu können.
Petron hinterließ der Nachwelt einen einflussreichen Roman, den man heute vor allem durch Fellinis Verfilmung von 1969 kennt: Satyricon (heute leider nur noch teilweise erhalten) ist der Prototyp des Schelmenromans und zugleich eine literarische und gesellschaftliche Satire. Der Leser begleitet einen jungen Mann namens Encolpius, der vom Fruchtbarkeitsgott Priapus geplagt wird – als Parodie auf Odysseus, dem in der Odyssee Poseidon nach dem Leben trachtet. Der Höhepunkt des Romans ist das oft auch als einzelner Text herausgegebene Essen bei Trimalchio; diese Darstellung eines Gelages ist zum Sinnbild römischer Dekadenz geworden. Auch der folgende Abschnitt entstammt dieser Gelage-Szene. Das Szenario der Hexengeschichte (sat. 63) könnte ebenso gut einem modernen Horrorfilm entstammen. Es fehlte nur noch, dass der Kappadokier sagt: „Ich bin gleich zurück!“ (Zur Erklärung für alle Leser, die den Film Scream nicht kennen: Das bedeutet gemäß den Regeln des Genres, dass er eben nicht mehr wiederkommt.)
„Nachtweib“ ist eine interessante Bezeichnung für ein Monster und gemahnt an nachtaktive Gestalten wie Vampire, genau wie das zuvor im Text gebrauchte Wort „Nachtvögel“ (auch Vampire können ja in der modernen Vorstellung oftmals fliegen). All das wiederum verweist auf die natürliche Bedrohung, die die Dunkelheit der Nacht für die Menschen bedeutete. Immerhin war in der Antike an die Lichtverschmutzung der modernen Zivilisation noch nicht zu denken – wenn es Nacht wurde, gingen zumeist nicht die Lichter an, sondern es war einfach finster. Aber trotz elektrischen Lichtes ängstigen wir uns noch heute vor der Nacht und der Dunkelheit, und vor allem der Film spielt damit, mit Titeln wie Alone in the Dark, Der Fluch von Darkness Falls oder Die Nacht der lebenden Toten.
Das Wort „Nachtvogel“ ist eine Übertragung des lateinischen striga – eine besondere Art von Hexe, die in der antiken Literatur als vogelartige Blutsaugerin beschrieben wird, die vor allem Kinder anfällt; erwähnt werden diese Wesen u.a. bei Ovid und Plinius d. Ä. Das lateinische Wort striga ist von strix abgeleitet, und das heißt einfach „Eule“. Auch wenn die Eule in Griechenland als Vogel der Weisheitsgöttin Athene zumindest den Bewohnern der Stadt Athen heilig war (Stichwort: „ Eulen nach Athen tragen“), so war sie im Volksglauben doch von jeher dazu angetan, als schlechtes Omen oder Verkörperung des Bösen zu gelten – als nachtaktiver Vogel mit großen Augen und markantem Schrei, den man noch dazu meist nur hört und gar nicht sieht. Spuren der Eule als Unglücksbote finden sich vom Alten Testament (Jes 13.21) bis in die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm (KHM 174). Und als Überbringerin von Botschaften von Hexe zu Hexe (wofür man die Eule im Mittelalter hielt) hat sie es bis in die Harry-Potter-Romane geschafft.
Die im Folgenden verwendete Petron-Übersetzung erschien 1804 in Leipzig und wurde von Adolf Gröninger (1772–1815) angefertigt, einem Mediziner aus dem Münsterland, der in Philologenkreisen vor allem für seine Übertragung der Bekenntnisse des Augustinus bekannt ist.
Auch ich will euch nun eine schreckliche Sache erzählen – wunderbar wie ein Esel auf dem Dache! Als ich noch behaart war (denn vom Knaben auf führte ich ein chiisches Leben), starb mein geliebter Iphis – eine Perle! So klug! So ein Ausbund!
Als nun die arme Mutter wehklagte und wir Übrigen alle voll Traurigkeit waren, begannen plötzlich Nachtvögel zu schreien, ein Hund verfolgte einen Hasen, hätte man glauben sollen.
Damals hatten wir einen Kappadokier im Haus, einen langen sehr kecklichen Mann, der es hätte mit dem erzürnten Jupiter aufnehmen können. Dieser zog sein Schwert, umwickelte mit Vorsicht die Linke, sprang zur Tür hinaus, und ein Weib, so wie ich es hier zeige (die Götter mögen behüten, was ich berühre!), stach er mitten durch. Wir hörten ein Geächze, und (ich lüge nicht!) sahen doch niemand.
Unser Mann trat wieder zu uns hinein und warf sich aufs Bett – sein ganzer Leib war bläulich wie von Geißelhieben, denn eine böse Hand hatte ihn berührt. Wir schlossen die Tür und fingen unsre Trauer wieder an. Doch als die Mutter ihres Sohns Leib umfasste – siehe da, es war ein Bündel Stroh! Da war kein Herz mehr, kein Eingeweide, nicht das Mindeste, denn die zauberischen Nachtvögel hatten den Leichnam gestohlen und dafür einen Strohsack untergeschoben.
Ich bitte euch, glaubt mir, es gibt dergleichen kundige Nachtweiber, und sie verkehren drunter und drüber!
Übrigens: jener lange Mensch, nie erhielt er seine Farbe wieder, ja nach einigen Tagen starb er rasend.