Читать книгу Der Regenbogen - D. H. Lawrence - Страница 3

Оглавление

Erstes Kapitel.
Wie Tom Brangwen eine polnische Dame heiratete

Inhaltsverzeichnis

I

Inhaltsverzeichnis

Manche Geschlechter der Brangwens schon hatten auf dem Marschenhofe gelebt, auf den Wiesen, wo der Erewash sich träge durch Ellernbüsche windet, ein Grenzstrich zwischen Derbyshire und Nottinghamshire. Zwei Meilen weiter auf einem Hügel stand ein Kirchturm, zu dem die Häuser der kleinen Landstadt scheinbar eilig hinaufkletterten. Hob einer der Brangwens auf dem Felde den Kopf von seiner Arbeit, so sah er den Kirchturm von Ilkeston gegen den leeren Himmel stehen. Daher blieb ihm, wenn er sich der ebenen Erde wieder zuwandte, das Gefühl von etwas über ihm und weit, weit weg Stehendem.

Der Blick in den Augen der Brangwens war voller Erwartung, voller Sehnsucht nach dem Unbekannten. Sie sahen aus, als wären sie gefaßt auf alles, was da kommen möchte, sicher, erwartungsvoll, wie geborene Besitzer.

Sie waren frische, hellhaarige, schwerfällig redende Leute, die sich vollständig, aber langsam zu erkennen gaben, so daß man in ihren Augen jede Übergangsstufe vom Lachen zum Zorn, von lichtblauem Lachen zu hartem, blitzblauem Zorn, beobachten konnte, durch alle Schwankungen des Himmels bei unbeständigem Wetter.

Dadurch daß sie auf fettem Boden, auf eigener Scholle saßen, dicht bei einer emporblühenden Stadt, hatten sie vergessen, was es heißt, in knappen Verhältnissen zu leben. Reich waren sie nie geworden, weil immer Kinder da waren und das Erbe jedesmal geteilt werden mußte. Aber stets herrschte auf dem Marschenhofe reichliche Fülle.

So kamen und gingen die Brangwens ohne Furcht vor Not, harte Arbeiter aus innerem Lebensdrange, nicht aus Geldmangel. Sie waren aber auch nicht verschwenderisch, über den letzten halben Groschen gaben sie sich Rechenschaft, und ihre Anlage ließ sie keine Apfelschale umkommen, denn sie konnte ja noch zum Viehfutter dienen. Aber Himmel und Erde rund um sie her waren so fruchtbar, und wie sollte das je anders werden? Sie fühlten, wie der Saft im Frühling emporquoll, sie kannten die unaufhaltsame Welle, die jedes Jahr allen Samen zur Zeugung vorwärtstreibt und zurückflutend das Neugeborene auf Erden zurückläßt. Sie kannten die Wechselbeziehungen zwischen Himmel und Erde, wußten, wie diese den Sonnenschein in Brust und Eingeweide einsaugt, wie sie tagsüber den Regen einschlürft, kannten die Nacktheit, die mit den Herbstwinden kommt und alle Vogelnester den Blicken preisgibt, da sie nun keinen Versteck mehr brauchen. Ihr Leben und seine Wechselbeziehungen waren derart: sie fühlten den Puls und den Leib der Erde, die sich in ihren Furchen dem Saatkorn öffnet und unter ihrem Pfluge wieder glatt und eben wurde, die sich mit einem Gewicht an ihre Füße hängte als sehnte sie sich nach ihnen, und hart und unzugänglich dalag, wenn das Korn reif zum Schneiden war. Das junge Korn wogte in seidigem Glanz, der über die Glieder der Männer hinglitt wenn sie es sich ansahen. Sie nahmen das Euter ihrer Kühe, die Kühe gaben Milch und ihr Pulsschlag teilte sich den Händen der Männer mit, der Puls des Blutes in den Zitzen der Kühe ging in den Pulsschlag in der Menschenhand über. Sie stiegen zu Pferde und hielten Leben in der Umklammerung ihrer Knie, sie schirrten ihre Pferde vor den Wagen und lenkten mit der Hand am Zügelring die Zugkraft der Pferde nach ihrem Willen.

Im Herbste schwirrten Rebhühner empor, Vogelschwärme sausten wie ein Sprühregen über das Brachfeld, Krähen erschienen am grauen, wässerigen Himmel und flogen krächzend dem Winter entgegen. Dann saßen die Männer zu Hause am Feuer, wo die Frauen sich voller Sicherheit umherbewegten, und Leib und Seele der Männer waren erfüllt von ihrem Tagewerk, von Vieh und Boden und Pflanzenwuchs und Himmel; sie saßen am Feuer und ihr Denken ruhte, während das Blut müde von der Tageslast durch ihre Adern floß.

Die Frauen waren anders. Auch über ihnen lag eine gewisse Schwerfälligkeit infolge der Beziehungen des Blutes zu saugenden Kälbern und den Scharen umherlaufender Hühner und unruhig flügelschlagender junger Gänse, die unter ihren Händen zitterten, wenn sie ihnen das Futter in die Kehle stopften. Aber die Frauen blickten über das aufgeregte, blinde Hofleben hinweg nach der redenden Welt in der Ferne aus. Sie fühlten, wie Lippen und Sinne der Welt sprachen und Gedanken äußerten, hörten ihren Klang in der Ferne und horchten aufmerksam auf ihn.

Den Männern genügte es, daß die Erde strotzte und ihnen ihre Furchen öffnete, daß der Wind wehte, den feuchten Weizen zu trocknen und die jungen Kornähren sausend im Kreise herumzutreiben; es war genug, wenn sie der Kuh in ihren Wehen beistanden oder die Ratten unter der Tenne wegfingen, oder mit einem scharfen Handschlag einem Kaninchen das Genick brachen. Sie fühlten in ihrem Blute so viel Wärme und Zeugungskraft und Schmerz und Tod, kamen mit diesem in so vielerlei Beziehungen, daß ihr Leben voll und übervoll davon war, ihre Sinne volle Nahrung in ihnen fanden und ihre Gesichter sich dauernd der Hitze des Blutes zuwandten, in die Sonne starrend, betäubt von dem Blick auf die Quellen des Lebens und unfähig, sich von ihnen abzuwenden.

Die Frau aber sehnte sich nach anderer Lebensart; nach etwas über diese Beziehungen des Blutes Hinausgehendem. Ihr Teil des Hauses war von den Hofgebäuden und den Feldern abgekehrt, er überblickte den Weg und die Stadt mit der Kirche und dem Amtshaus und dem was dahinter lag. Sie stand und wünschte die ferne, ferne Welt der Städte zu sehen, mit der Regierung und dem weiten Tätigkeitsfelde der Menschen, einem Zauberlande für sie, in dem alle Geheimnisse gelöst und alle Wünsche erfüllt wurden. Sie blickte nach außerhalb, wo die Männer sich als Herrscher und Schöpfer bewegten, dem heißen Pulsschlag der Zeugung den Rücken kehrten und mit ihr als Rückhalt auf Entdeckung des Jenseits ausgingen, um die eigene Wirksamkeit, ihr Gesichtsfeld, ihre Freiheit zu erweitern; die Brangwen-Männer dagegen blickten nach innen, in das schwellende Leben der Mutter Natur, das sich unverwässert durch ihre Adern ergoß.

Wie sie so notwendigerweise von der Vorderseite ihres Hauses auf die Tätigkeit der Menschen in der großen Welt hinausblickte, während ihr Mann von der Hinterseite aus nach Himmel und Ernte und Vieh und Land aussah, blickte sie angestrengt nach dem, was die Menschen da draußen in ihrem Kampfe ums Wissen vollbrachten; sie horchte scharf auf die Ergebnisse ihrer Eroberungsfahrten; ihre tiefste Sehnsucht hing an diesem Kampf, dessen Toben sie in weiter Ferne, an der Grenze des Unbekannten, vernahm. Sie auch wollte wissen und zum kämpfenden Heere gehören.

In ihrer Heimat, ja ihr ganz nahe, in Cossethay saß der Vikar, der jene andere, jene Zaubersprache verstand und sich so ganz anders, so viel feiner benahm, was sie beides zwar wohl bemerken, sich aber doch nicht angewöhnen konnte. Der Vikar bewegte sich in einer anderen Welt als der, in der ihr Mannsvolk lebte. Kannte sie ihr Mannsvolk etwa nicht: frische, langsame, muskelstrotzende Kerls, herrisch genug wohl, aber auch wieder leichtsinnig, Erdgeborene, denen es an Äußerem, an Bewegungsfreiheit fehlte. Der Vikar dagegen, dunkel und welk und klein neben ihrem Gatten, hatte etwas Rasches, etwas Zielbewußtes in seinem Wesen, das Brangwen mit seiner breiten Fröhlichkeit stumpf und bäurisch erscheinen ließ. In des Vikars Wesen lag aber noch etwas anderes, was über ihr Verständnis hinausging. Wie Brangwen über sein Vieh herrschte, so herrschte der Vikar über ihren Gatten. Was hatte der Vikar denn nur an sich, das ihn so hoch über den gemeinen Mann erhob wie den Menschen über das Vieh? Das hätte sie zu gern gewußt. Sehnlichst gern hätte sie dies höhere Wesen erlangt, wenn auch nicht mehr für sich selbst, so doch für ihre Kinder. Was den Menschen so stark macht, wenn er auch klein und körperschwach ist, just so wie neben einem Bullen jeder Mann klein und schwach dasteht und doch stärker ist als der Bulle, was war das nur? Geld, oder Einfluß, oder Stellung waren es nicht. Welchen Einfluß hatte denn der Vikar wohl auf Tom Brangwen –, gar keinen! Aber zog man beiden die Kleider aus und setzte sie auf einer öden Insel aus, dann war der Vikar der Herr. Sein Geist war Herr über den des anderen. Und warum? – warum? Sie kam zu dem Schlusse, das müsse an seinen Kenntnissen liegen.

Der Kurat war zwar recht ärmlich und als Mann auch nicht weit her, und doch stand er auf derselben Stufe mit jenen anderen, den Oberen. Sie paßte auf, als seine Kinder zur Welt kamen, sah sie als winzige Wesen neben ihrer Mutter herlaufen. Und sofort waren sie ganz ausgesprochen anders als ihre eigenen. Warum trugen ihre Kinder ein Mal, das sie jenen unterordnete? Warum gingen die Kinder des Kuraten unweigerlich den ihren vor, warum war ihnen von Anbeginn an Obmacht gegeben? Geld war es nicht, auch der Stand nicht. Es war Erziehung und Erfahrung, sicherlich.

Das war's, diese Erziehung, diese höhere Lebensart, die die Mutter ihren Kindern zu geben wünschte, so daß auch sie auf Erden ein Leben wie die Oberen führen könnten. Denn ihre Kinder, wenigstens die Kinder ihres Herzens, besaßen vollkommen die Anlagen, um als Ebenbürtige mit allen wirklich Lebenden im Lande zu teilen, und nicht im Dunkel unter Arbeitsleuten zu verschwinden. Warum sollten sie ihr ganzes Leben unbekannt nach Atem ringen, warum sollten sie unter Mangel an Bewegungsfreiheit leiden? Wie konnten sie Zutritt zu den feineren, lebensvolleren Kreisen des Daseins erlangen?

Ihre Einbildungskraft wurde durch die Frau des Gutsbesitzers auf Shelly Hall angefeuert, die mit ihren Kindern in Cossethay zur Kirche ging, kleinen Mädchen in glatten Biberumhängen und hübschen kleinen Hüten; die Frau selbst wie eine Christrose so hell und zierlich. Und doch, ob noch so weiß, so feingliedrig, so strahlend, welche Empfindungen konnte Mrs. Hardy hegen, die sie, Mrs. Brangwen, nicht auch besaß? Inwiefern unterschied sich Mrs. Hardys Veranlagung von der der gewöhnlichen Frauen in Cossethay, worin war sie ihnen überlegen? Alle Frauen von Cossethay redeten eifrig über Mrs. Hardy, über ihren Mann, ihre Kinder, ihre Gäste, ihre Kleider, ihre Dienstboten und ihren Haushalt. Die Herrin von Shelly Hall war der lebendige Traum ihres Lebens, Mrs. Hardys Dasein das Heldengedicht, das dem ihren Seele verlieh. Ihre Einbildungskraft lebte gänzlich in dieser Frau und dem Klatsch über ihren Gatten, der trank, ihren schändlichen Bruder, ihren Freund Lord Bentley, den Parlamentsabgeordneten des Bezirks; eine ganze Odyssee spielte sich vor ihren Blicken ab, sie sahen Penelope und Odysseus mit Circe und den Schweinen und dem nicht zu Ende kommenden Gewebe vor sich.

Also waren die Frauen des Ortes ganz glücklich. Sie erblickten sich selbst in der Herrin des Gutshauses, jede erlebte ihre eigene Erfüllung in Mrs. Hardy. Und die Brangwen-Frau in der Marsch wollte über sich selbst hinaus, verlangte mehr nach dem ihr ferner liegenden Leben der feinen Dame, nach dem ausgedehnten Gesichtskreise, den sie zu erkennen gab, wie ein Reisender seinem Inneren vorschwebende ferne Gegenden durch sein beherrschtes Wesen kundgibt. Warum aber sollte die Kenntnis ferner Gegenden ein Menschenleben zu etwas anderem machen, etwas Schönerem, Größerem? Und warum ist der Mensch mehr als jedes Tier, als das Vieh, das ihm dient? Es ist hier wie dort ganz dasselbe.

Die männlichen Rollen des Heldengedichtes wurden von Leuten wie Lord William und dem Vikar gespielt, mageren, scharfen Leuten mit seltsamen Bewegungen, Männern, die auf ferner gelegenen Gefilden den Befehl führten, deren Leben sich über einen weiten Umkreis erstreckte. Ach, das war noch etwas wonach man sich so heiß sehnen durfte, dies Wissen, die Berührung mit diesen wunderbaren Männern, die solche Macht im Denken und Verstehen besaßen! Die Frauen des Ortes hatten gewiß Tom Brangwen viel lieber und fühlten sich mit ihm viel wohler, und doch, wären der Vikar und Lord William ihrem Leben genommen worden, es wäre ihm damit die Tragrebe abgeschnitten gewesen, sie hätten sich schwer, ohne geistigen Inhalt gefühlt, wären dem Haß anheim gefallen. Solange dies Wunder aus dem Jenseits vor ihnen stand, konnten sie weiterkommen, mochte ihr Los sein, wie es wollte. Und Mrs. Hardy und der Vikar und Lord William, sie alle bewegten sich ja in jenem Wunderland und blieben bei all ihrem Tun den Augen von Cossethay sichtbar.

Der Regenbogen

Подняться наверх