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ОглавлениеKapitel 1 Ich bin...
... ausgesprochen erleichtert, dass dieses Treffen endlich beendet ist, denn all die scheinheiligen Kollegen lasse ich gern im Tagungszentrum in Bristol zurück. Natürlich bin ich mir sicher, dass einige von ihnen den Tag erneut nutzen werden, um sich nochmals eifrig um Bischoff Reynolds zu scharen, weil sie ihm den Hintern küssen wollen. Dies jedoch kann mir herzlich egal sein.
Diesen Männern steht deutlich ins Gesicht geschrieben, dass ihnen das Wohlergehen ihrer Gemeindemitglieder nicht wirklich vordergründig am Herzen liegt, lediglich auf die Mehrung ihrer Schäfchen kommt es ihnen an, um den Erhalt ihres Kirchenbezirks zu sichern. Mir wurde während der ganzen Zeit übel dabei, all die Kandidaten zu betrachten, die sich um höhere Posten bemühen. Leider ist damit wieder einmal bewiesen, dass auch in der Kirche das Machtstreben allerorts gegeben ist, dem wir unserem Glauben entsprechend, entsagen sollten.
Connecticuts Bristol, auch Mum City genannt, besticht mich seit jeher mit dem wundervollen, allgegenwärtigen Duft nach Chrysanthemen, die hier gezüchtet werden. Es ist mit seinen einzigartigen kleinen Museen, dem Lake Compounce und einem eigenen Fernsehstudio durchaus sehenswert.
Zumindest, solange man sich hier als Tourist aufhält. Jedoch im zwanghaften Rahmen einer Priestertagung, mit dem Themenschwerpunkt Unzucht und Pädophilie, entgleitet die Freude daran, sich in dieser schönen Stadt umzusehen.
Mit dieser schwerverdaulichen Thematik im Hinterkopf ist offensichtlich ein jeder der Tagungsteilnehmer aus einem inneren Zwang heraus dazu angehalten, fortan an allen Ecken Verführer und Vergewaltiger zu sehen. Zumindest ging dies deutlich bei den gemeinsamen Essen aus ihren Äußerungen hervor. In Zukunft betrachte ich sicherlich die Gesichter der Menschen im Park, die der Gäste und Bedienungen im Café, aller auf der Straße befindlichen Zeitgenossen vor allem aber die meiner Kollegen und ich frage mich dann, ob wohl schon der eine oder jener andere ansatzweise die Gelüste empfunden hatte, sich an einem Kind zu vergreifen. Tatsächlich aber war es nicht das Vergehen der zivilen Bevölkerung gewesen, den menschlichen Fleischeslüsten nachzugeben, das den Ausschlag gegeben hatte, dieses Thema am diesjährigen Treffen aufzugreifen. Viel mehr das von den Medien seit geraumer Zeit in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückte Fehlverhalten so mancher Gottesmänner gestaltete diese drei Tage zum Alptraum all jener, die sich mit Leib und Seele dem Menschen verschrieben haben.
Bischoff Reynolds sah sich während der gesamten Zeit von einem unliebsamen, mehr als unangenehmen Schatten begleitet. Dieser Zeitgenosse hatte Theologie studiert, und als Nebenfach Psychologie belegt. Das machte er sich zunutze, um jeden von uns intensiv zu durchleuchten. Im persönlichen Gespräch betrachtete er unsere Mimik und Gestik, während er es zunächst mit irgendwelchen Belanglosigkeiten eröffnete und dann gezielt seine Fragen lenkte. Dabei versuchte er abnorme Neigungen zu erfühlen und zeigte sich eher enttäuscht als erfreut, wenn wir als völlig gesund und vor allem als offensichtlich enthaltsam lebende Priester aus dem Gespräch entlassen werden mussten.
Meine Freunde, die ich während der drei Tage tief in mir verborgen vor den Kollegen versteckt gehalten habe, riefen mich vehement zur offenen Rebellion auf.
Ja, ja, scheiss Weicheier sind das alle. Zeig den Stinkefinger, Michael und schwing deinen Arsch hier raus!
Natürlich kam ich ihrem Wunsch nicht nach, obwohl es mich schon sehr nach Hause zog. Nach Hause, nicht dorthin, wo ich aufgewachsen war, sondern in das von mir vor einigen Jahren bezogene Pfarrhaus meiner kleinen, von mir betreuten Kirchengemeinde, unweit meines elterlichen Heimes.
Nach dieser völlig unsinnig genutzten Zeit vermisse ich jeden einzelnen meiner Gemeindemitglieder. Auch diejenigen, die scheinbar mit Hörnern ausgerüstet stets gegen mich und meine Glaubensfestung anzustürmen gewillt sind. Ja selbst sie liebe ich bedingungslos und unumstößlich. Es sind eben jene, um die ich mich mit besonderer Hingabe kümmere, weil ich weiß, dass es gute Menschen sind, die nur vorübergehend ein wenig vom rechten Weg abgekommen waren.
***
Als ich endlich in der Einfahrt zum Pfarrhaus parke und die Reisetasche aus dem Kofferraum hebe, steigt mir der wunderbar süße Blumenduft entgegen, der unseren gesamten Vorgarten einnimmt.
Meine Haushälterin Mrs. Carpenter eilt mir entgegen und begrüßt mich freudig. Sicherlich hat sie in den vergangenen Tagen meiner Abwesenheit verzweifelt nach Arbeiten gesucht, um die Zeit bis zu meiner Rückkehr zu überbrücken
„Ich bin ja so glücklich, dass Sie zurück sind, Herr Pfarrer! Wie war es denn?“ Sie verschnauft kurz. „Wurden Sie wenigstens anständig verköstigt?“
Ich lache und freue mich, diese herzliche Frau wiederzusehen.
„Sie glauben ja nicht, wie dankbar ich bin, wieder hier bei Ihnen zu sein Mrs. Carpenter. Es war, nun ja, interessant und aufschlussreich. Und zur Verköstigung kann ich nur sagen: Halleluja, gelobt sei der Herr, ich bin wieder zu Hause!“
Daraufhin strahlt meine Haushälterin mit feurig roten Wangen. Ich lege ihr die Hand auf die Schulter und wir gehen gemeinsam ins Haus.
In der Küche gieße ich mir frisch aufgebrühten Kaffee in meine Lieblingstasse. In die, mit der Karikatur von Jesus. Breit lachend sieht er mir darauf entgegen. Mrs. Carpenter hasst diese Tasse, das äußerte sie schon oft genug, empfindet sie als respektlos dem Herrn gegenüber. Umso mehr erfreue ich mich an ihr, weil ich das Bild eines fröhlichen Jesus sehr viel lieber mag, als das eines leidenden. Ich frage mich, als sie auf den Pott zwischen meinen Händen blickt und dabei den Mund verzieht, wie viele Tage dieser wunderschönen Tasse wohl noch vergönnt sein werden, bevor sie Mrs. Carpenter, natürlich versehentlich, zu Boden werfen wird.
Meine Haushälterin zeigt sich sehr interessiert daran, was wir auf der Tagung zu besprechen hatten, also berichte ich ihr von der Bedeutsamkeit aller Themen, die wir aufgegriffen hatten. In der Hauptsache eben davon, dass wir Priester regelmäßig an die Einhaltung der Gebote und das, uns auferlegte Zölibat erinnert wurden.
Als ob dies nötig wäre, flüstert es ironisch in mir.
Mit meiner Kaffeetasse in der einen Hand und der aktuellen Zeitung in der anderen marschiere ich hinaus in den Garten und setze mich in meinen Rattan Sessel unter meinem Lieblingsbaum.
Endlich müssen wir uns nicht mehr das Gewäsch dieses senilen Tattergreises anhören!
Ich vernehme das erleichterte Stöhnen des in mir wohnenden gefallenen Engels Leviathan und antworte ihm, wie gewohnt, in Gedanken:
Ja, war recht ermüdend das Ganze und dass es etwas gebracht hat, wage ich zu bezweifeln.
Als ich in meiner Zeitung blättere, darin lese und meine Gedanken gänzlich auf die Artikel lenke, verabschiedet sich Leviathan stillschweigend aus meinem Geist.
Nur wenige Minuten verbleiben mir, bis mich Mrs. Carpenter hereinruft.
Das Essen in den vergangenen Tagen war sicherlich nicht zu bemängeln, aber der zarte Braten mit Röstkartoffeln, zubereitet von ihren geschickten Händen, ist mit nichts anderem zu vergleichen.
***
Die Hose spannt sich um meinen Bauch, als ich den letzten Happen herunter schlucke und ich lehne mich nun genüsslich auf meinem Küchenstuhl zurück.
Das Mittagessen nehmen meine Haushälterin und ich für gewöhnlich gemeinsam ein.
Auch sie beendet die Mahlzeit, legt das Besteck zur Seite und tupft sich die Lippen mit der Stoffserviette ab. „Ach übrigens, Herr Pfarrer. Es gab vor zwei Tagen einen heftigen Streit zwischen Nicolettas Ehemann Germaine und Joshua, dem Mann von Esther.“ Verlegen kämpft sie damit, die richtigen Worte zu finden: „Weil Nicoletta und Joshua seit einiger Zeit ein...“ Sie hält kurz inne und flüstert: „...sie haben ein Verhältnis, wussten sie das, Herr Pfarrer?“ Mit roten Wangen hüstelt sie, so, als wollte sie verhindern, dass ein Dritter im Raum davon erfährt. „Jedenfalls prügelten sich die beiden Männer. Dann gingen die jungen Frauen keifend aufeinander los und zuletzt gab es beinahe eine Massenschlägerei zwischen den Verwandten und Freunden beider Seiten.“
Ich stöhne zunächst nur. Als jedoch einige Augenblicke vergehen, spielt mir die Fantasie einen unglaublich amüsanten Film ab. Darum greife ich schnell nach meiner Serviette, drücke sie mir auf den Mund und hoffe, dass die Wegbegleiter in meinem Inneren nicht noch lauter lachen, als jetzt schon und ihre Stimmen nach draußen getragen werden. Leider kann ich plötzlich nicht mehr an mich halten und pruste in den Stoff.
Mrs. Carpenter wirft mir einen bösen Blick zu, weswegen ich jedoch noch mehr lachen muss und die Augen tränen mir bereits, als ich sehe, wie meine Haushälterin die Schürze zum Gesicht hochreißt, um ihr eigenes Kichern darunter zu ersticken.
Mir bleibt nichts anderes übrig, als noch am selben Mittag die Streithähne aufzusuchen. Dabei hatte ich mich auf ein paar ruhige Stunden im Garten gefreut, mit einem guten Buch oder dem alten Kofferradio, auf dem ich so gern …
nein, nicht den religiösen Sender… den Kanal höre, auf dem spannende Hörspiele zum Besten gegeben werden.
***
Eine Stunde später stehe ich in Nicolettas und Germaines kleinem Haus mitten im Wohnzimmer und kann ich es nicht fassen, dass diese Frau, mit der ich mich im Augenblick allein hier befinde, nicht einmal vor einem Gottesmann zurück schreckt. Selbst von mir möchte Nicoletta nicht die Finger lassen.
„Oh, Sie sehen heute wieder fantastisch aus!“ Sie streicht mit dem Finger über mein Ohrläppchen an meinem Hals hinunter und fährt mit dem Fingernagel die Kante meines Kollars ab. Energisch streiche ich ihre Hand fort, fasse sie an den Schultern und drücke sie von mir weg: „Lassen Sie das Nicoletta. Glauben Sie nicht, dass Sie schon genug Ärger angerichtet haben?“
Sie muss sterben, Michael, höre ich entfernt eine Stimme in meiner Brust. Doch schnell vergesse ich sie, als dieses ehrlose Weib erneut auf mich zutritt: „Ich weiß Herr Pfarrer, dass ich ein ganz schlimmes Mädchen war und bestraft werden muss.“ Dabei haucht sie mir verführerisch in mein Gesicht und mir dreht sich fast der Magen um.
Zugegebener Maßen hat mich Gott wohl mit einem gesunden, ansehnlichen Körper ausgestattet, aber man sollte doch glauben können, dass Nicoletta Abstand davon nimmt, mich auf unziemliche Art zu berühren. Mich, einen gläubigen Priester!
Sie muss sterben, hörst du?
Verzweifelt versuche ich die Stimme zu überhören und denke darüber nach, was ich nun zu tun gedenke. Mein Anliegen, zwischen den verstrittenen Parteien zu schlichten, kann ich nicht vorbringen, das muss ich leider erkennen, weil es mir einfach die Sprache verschlägt ob der Dreistigkeit dieses penetranten Frauenzimmers und als ich spüre, wie sich meine Hand zur Faust ballt und mir meine innewohnenden Freunde Bildsequenzen einer blutüberströmten Nicoletta unterjubeln, verabschiede ich mich völlig überhastet. Vor der Garage beobachte ich kurz, wie Germaine an seinem verrosteten Pick-up schraubt. Ich nicke ihm nur zu, als er müde den Kopf hebt und mich ansieht, um dann eilig den Weg hinab zu meinem Wagen zu gehen und nach Hause zu fahren.
Als mich Mrs. Carpenter auch noch darauf anspricht, ob ich etwas hatte erreichen können, flüchte ich kopfschüttelnd und im Eiltempo hinaus in den Garten und verschanze mich hinter meinem Buch.
Ruhe empfinde ich hier. Eine unsagbar wohltuende Stille, die mich umarmt.
Wie war dein Tag?
Erschrocken fahre ich zusammen.
Was willst du schon wieder? Ich gehe Luzifer etwas ungestüm an.
Nichts sonst. Mich verlangt einzig zu erfahren, wie es um dein Befinden steht, antwortet er mir trocken.
Zunächst schweige ich, suche nach einem Anzeichen von Niedertracht. Doch nichts scheint er im Schilde zu führen.
Gut, sage ich knapp.
Lüg´ nicht! Luzifer wirkt erbost und ich besinne mich darauf, wahrheitsgemäß zu erzählen, obwohl ich insgeheim weiß, dass er dies alles ja selbst miterlebt haben musste: Vielleicht nicht ganz so gut wie erhofft. Ich hätte mir mehr intellektuelle Herausforderung gewünscht, stattdessen durfte ich mich mit der Verruchtheit eines ehrlosen Weibsbildes und der Dummheit ihres Mannes herumschlagen.
Luzifer lacht: Ja, die gute Nicoletta treibt es ganz im Sinne von Bruder Asmodeus.
Ich würde eher sagen, sie treibt es im Sinne einiger meiner männlichen Gemeindemitglieder, erwidere ich angeekelt und wundere mich nun gar nicht mehr, als ich zu allem Überfluss eine weitere Stimme vernehmen muss. Vertraut ist sie mir und doch so fremd.
Höre ich da meinen Namen? Fürwahr, ein dralles Vollweib ist sie, diese kleine Mexikanerin. Ich wünschte, sie würde für mich die Beine spreizen, dann könnte ich ihr zeigen, wo des Dämonen Hammer hängt!
Ich verdrehe die Augen und bevor ich antworten kann, kommt mir Luzifer zuvor.
Du neigst all Zeit zu Übertreibungen, Bruder Asmodeus. Wir alle wissen nur zu gut, dass uns der Schöpfer nicht einmal mit dem Geschmeide eines Pinschers ausstattete! Luzifer brummt. Und nun verschwinde einfach wieder!
Ich fühle mich gedemütigt. Reicht es nicht, dass der Lichtengel sich ständig ungefragt Zutritt zu meinem Bewusstsein verschafft, müssen es ihm seine schwarzen Brüder immerzu gleichtun?
Es ist jedes Mal so, als würde sich in mir ein Portal öffnen und wieder schließen, wenn sie mich aufsuchen. Diesmal kann ich beinahe das Knallen der Tür hören, als sich Asmodeus grußlos und wütend aus meinem Geist verabschiedet. Dagegen klingt das Einrasten des Schlosses bei Luzifers Abgang nur sehr leise in mir nach.