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Der Todbringer

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Die letzten Sonnenstrahlen verschwanden hinter den mächtigen Baumkronen, die vor Balthasars kleiner Holzhütte in den Himmel ragten, und warfen ein glänzendes Licht auf die blattlosen Äste. Und wie Balthasar schon vermutet hatte, kündigte sich der Winter langsam an. Der Zauberer hatte schon alles vorbereitet, damit sie nach Urta aufbrechen konnten, wo ein Todbringer sein Unwesen trieb. Doch die Fertigstellung des zweiten Zaubertranks nahm mehr Zeit in Anspruch, als der Zauberer eingeplant hatte, und so konnten sich Kaspar und seine Freunde noch ein wenig die Zeit in Feuerland vertreiben.

Kaspar lehnte stumm am Brunnen vor der alten Holzhütte, sah sich die Sterne an und hörte Niko und Lars reden, die abseits auf der kleinen Lichtung vor der Hütte standen und irgendetwas ausheckten.

Niko stieß ein leises Schnauben aus und schüttelte sich, als er zu Lars sagte: »Es ist verdammt kalt geworden.«

»Ja, verdammt kalt«, bestätigte Lars mit einem heftigen Nicken und warf einen Blick zu den Sternen. »Unsere Felljacken hätte Balthasar ja auch mit einem Wärmezauber belegen können«, murrte Lars laut.

»Ein Wärmezauber?«, stutzte Niko.

»Also, es gibt doch in dieser Welt für alles Mögliche einen Zauber«, fing Lars an, »und da habe ich mir gedacht, es müsste ja auch etwas gegen die Kälte geben – einen Wärmezauber zum Beispiel«, ergänzte er.

Niko grinste und sagte: »Das war gut, Lars! Das gefällt mir!«

Niko hielt den rechten Daumen hoch.

Für einen Augenblick war es still.

»Was war das?«, fragte Niko plötzlich.

»Was war was?«, wollte Lars sofort wissen.

»Ich habe einen Luftzug gespürt. Du etwa nicht?«, fragte Niko irritiert.

Lars schüttelte den Kopf und warf einen stummen Blick zu Kaspar.

»Hast du das auch gespürt?«, rief Niko Kaspar zu.

»Was soll ich gespürt haben?«, rief Kaspar zurück.

»Ach, vergiss es und träume weiter«, winkte Niko ab und wandte sich wieder Lars zu.

»Balthasar hat gesagt, dass es bald schneien wird«, schnaufte Niko.

»Hoffentlich nicht«, bibberte Lars.

»So schlimm ist der Schnee nun auch wieder nicht«, fing Niko an, »dann können wir einen Schneemann bauen.«

»Ja, prima«, schwärmte Lars und lästerte: »Einen Schneemann mit schneeweißem Bart ...«

»... und Brille«, beendete Niko den Satz von Lars.

»Und mit langen, weißen Haaren ...«, grinste Lars, und Niko hielt sich den dicken Bauch vor Lachen.

»... und faltigem Gesicht und mit einem Zauberstab, den er in der rechten Hand hält ...«, ergänzte Niko.

»... und ... «, fing Lars an, und Kaspar rief: »Findet ihr das etwa komisch?«

»Ja«, rief Niko zurück.

»Was hat er denn nur für miese Laune?«, fragte Lars an Niko gewandt.

Niko zuckte mit den Schultern.

»Vielleicht hat er ja Langeweile«, antwortete Niko schließlich.

»Habe ich nicht«, rief Kaspar.

»Oder vielleicht hat er ja auch Liebeskummer«, hänselte Niko und grinste Kaspar dabei breit an.

»Sei vorsichtig, mit dem was du sagst«, drohte Kaspar.

»Was sonst?«, rief Niko. »Willst du mich etwa mit deiner miesen Laune erschlagen?«, brummte er. »Das könnte dir glatt gelingen«, sagte er noch.

»Was ist mit dir los?«, wollte Lars von Kaspar wissen.

»Nichts«, knurrte Kaspar.

»Das glaube ich dir nicht«, rief Lars. »Komm zu uns, und sag, was dich bedrückt. Wir sind schließlich deine Freunde«, forderte Lars Kaspar auf.

Kaspar sah, wie Lars dünne Beine zitterten.

»Ist dir kalt?«, fragte Kaspar.

»Ja, ich würde gerne reingehen«, antwortete Lars.

»Da rein?«, fragte Niko und deutet in Richtung Hütte.

Lars nickte.

»Für alles Gold dieser Welt gehe ich da nicht rein, bis Balthasar seinen Zaubertrank fertig hat«, entgegnete Niko.

»Aber heute wollte Balthasar doch mit dem Zaubertrank fertig werden«, sagte Lars.

»Ist er aber noch nicht«, fauchte Niko.

»Da drinnen ist es schön warm«, sagte Lars.

»Das mag schon sein, Lars, mein Freund«, stöhnte Niko und verdrehte die Augen dabei, »aber es stinkt nach totem Wiesel.«

»So schlimm ist es nun auch wieder nicht.«

»Dann kannst du ja hineingehen, Lars.«

»Hmmm«, brummte Lars.

»Was ist? Keinen Bock auf die Stinkhütte?«, fragte Niko mit lauerndem Blick.

Lars schüttelte sich, dann sagte er: »Bleiben wir lieber noch etwas hier draußen.«

»Wenn Balthasar fertig ist, müssen wir die Hütte gut durchlüften«, schlug Niko vor.

»Ja«, nickte Lars.

»Ich weiß gar nicht, wie Juana das da drinnen aushält«, schüttelte Niko den Kopf.

»Tja, wüsste ich auch mal gerne«, kratzte sich Lars am Kinn.

»Sie wollte ja unbedingt wissen, wie der Zaubertrank gemacht wird«, stöhnte Niko.

»Ob Balthasar seine alten Socken im Kessel mitkocht?«, lästerte Lars.

Niko lachte laut und sagte fröhlich: »Das war gut, Lars!«

Kaspar schüttelte verständnislos den Kopf und griff nach einer braunen Wollmütze, die in der Tasche seiner Felljacke steckte. Er setzte die Mütze auf seine lockigen, rotbraunen Haare und zog sie dann bis weit über die Ohren.

»Habt ihr eigentlich Nox gesehen?«, rief Kaspar und rieb sich die Hände vor Kälte.

»Nö, der hat sich ebenfalls verdrückt, als Balthasar anfing den Zaubertr... die Stinkbombe zu brauen«, antwortete Niko.

»Meine Hände frieren ein«, schimpfte Kaspar und steckte sie in die Tasche seiner Felljacke.

»Der Alte hat uns warme Mützen gegeben«, schimpfte Niko zurück, »aber die warmen Handschuhe hat er vergessen – Senilität, sage ich da nur.«

»Sollen wir etwas spielen, damit uns warm wird?«, fragte Lars vorsichtig.

»Was schwebt dir denn da so vor?«, fragte Niko schnell.

»Wir können Drachenjäger spielen«, antwortete Lars begeistert.

»Tolle Idee«, schwärmte Niko sofort und war mit voller Begeisterung bei der Sache. »Was ist mit dir, Kaspar? Spielst du auch mit oder willst du weiter schmollen?«, sprach Niko ihn laut an.

»Ich habe jetzt keine Lust zu spielen«, verzog Kaspar genervt das Gesicht.

»Egal, dann spielen wir ohne dich Drachenjäger«, schimpfte Niko und wandte sich Lars zu: »Komm, Lars, fangen wir an mit dem Drachenjägerspiel und lassen der Spaßbremse ...«, Niko deutete auf Kaspar, »... seine Ruhe.«

Lars nickte freudig.

»Dann legen wir mal los«, sagte Niko. »Hast du dein Schwert bei dir? Ach ja, ich sehe du trägst es bei dir«, sagte er.

»Und dieses Mal haben wir richtige Schwerter«, sagte Lars und deutete auf sein Schwert, das an seiner rechten Seite in der Scheide steckte.

»Ja«, grinste Niko und umfasste seinen Schwertgriff, dann fuhr er mit verstellter Stimme fort: »Der Nordwald ist sehr alt, älter als jeder Drache auf dieser Welt, und er breitet sich weiter aus, denn an seinen Rändern wachsen neue Bäume heran.« Niko vollzog eine Geste mit der rechten Hand und sagte dann: »Inmitten dieses dunklen Waldes, wo oft ein dämmeriges Zwielicht herrscht, versteckt sich ein bösartiger ...«, Niko überlegte, »... Schwarzdrache«, hauchte er und fuhr mit fester Stimme fort, »der ein ganzes Dorf mit einem einzigen Feuerball vernichtet hat. Es ist unsere Aufgabe als Drachenjäger, dass wir uns in den finsteren Nordwald begeben, um den Drachen aufzuspüren und zur Strecke zu bringen.«

»Ja, und wir werden ihn zur Strecke bringen, darauf kannst du dich verlassen, mein Freund«, bekräftigte Lars und zog sein Schwert.

»Komm, mein Freund«, sagte Niko und zog ebenfalls sein Schwert, »folgen wir diesen Drachenspuren hier«, sprach er mit verstellter Stimme und deutete mit der Spitze seines Schwertes auf den Boden, wo tiefe Drachenspuren zu sehen waren.

»Inmitten dieses Waldes gibt es eine Reihe von Lichtungen«, sagte Lars und schwang sein Schwert, »auf einer von ihnen werden wir diesen Schwarzdrachen finden.«

»Das werden wir, mein Freund«, nickte Niko voller Leidenschaft, »und wir werden ihm sein schwarzes Drachenherz aus seiner Drachenbrust schneiden.«

Kaspar beobachtete stumm das Schauspiel.

»Hast du immer noch keine Lust Drachenjäger zu spielen?«, rief Lars Kaspar zu.

Kaspar schüttelte lustlos den Kopf, dann rief er: »Nein, wirklich nicht, Lars. Aber ich bin gespannt, wie ihr den bösartigen Schwarzdrachen vernichten wollt.«

Niko winkte ab und sprach weiter: »In diesem Wald erheben sich die letzten, gewaltigen Urbäume dieser Welt«, Niko legte die linke Hand auf die Schulter von Lars, »genau an diesen Bäumen müssen wir vorbei, um auf die große Lichtung zu kommen, wo sich der Drache aufhalten soll.«

Niko und Lars taten so, als würden sie durch einen Wald schleichen, vorbei an den mächtigen Urbäumen, an denen Niko ab und an aufblickte, um die imaginären, gewaltigen Baumkronen zu bewundern.

»Da vorne ist die Lichtung«, flüsterte Niko.

»Ja, ich sehe sie«, flüsterte Lars zurück.

»Wir müssen leise sein, damit uns der Schwarzdrache nicht kommen hört«, sagte Niko leise.

»Ja«, murmelte Lars.

Niko und Lars gingen nebeneinander ein paar Schritte vor.

»Es ist kein Drache auf dieser Lichtung zu sehen«, flüsterte Niko und schwang sein Schwert.

»Wir warten auf ihn«, Lars schwang ebenfalls sein Schwert, »bis er kommt, und dann kämpfen wir und werden die Bestie besiegen.«

Niko und Lars sahen sich an und riefen zur gleichen Zeit mit erhobenem Schert: »Wir sind die unbezwingbaren Drachenjäger.«

Kaspar spürte einen Luftzug im Nacken und sah empor zu den Sternen. Er legte die Hand auf den Schwertgriff, als er einen großen Schatten bemerkte, der schnell über ihn hinwegglitt. Kaspar lächelte vergnügt und ließ den Schwertgriff wieder los. Dann wandte er den Blick seinen beiden Freunden zu und verfolgte gespannt das Schauspiel. Dabei stieß er ein leises Seufzen aus, als er sah, dass die beiden Drachenjäger nicht bemerkten, wie sich ein gewaltiges Ungetüm ihnen von oben näherte. Kaspar beugte den Oberkörper leicht vor und wollte seine Freunde warnen, doch aus irgendeinem Grund ließ er es.

»Der Schwarzdrache wird bald kommen. Ich spüre es«, flüsterte Lars Niko zu, und Kaspar dachte: Damit liegst du völlig richtig, Lars, mein Freund.

»Wer wagt es mich zu jagen?«, donnerte eine mächtige Stimme vom Himmel herab. »Ah, da sind ja meine Todfeinde, die beiden Drachenjäger«, sagte die Stimme, und Niko und Lars warfen gleichzeitig den Kopf in den Nacken und blickten in das Gesicht eines zornigen Schwarzdrachens, der über ihnen kreiste.

»Ich werde euch das Fürchten lehren«, brummte der Drache, streckte seinen Kopf den Sternen entgegen und ließ ein gewaltiges Drachenfeuer ab.

Niko war der Erste der einen Schrei abließ, dann folgte Lars. Als Niko einen Schritt zurücktrat und prompt stolperte, fiel er auf den Po und ließ dabei das Schwert fallen.

Kaspar lächelte, als er Nikos ängstliche Miene sah.

Lars stand wie festgefroren und hatte das Schwert erhoben, als der Drache auf ihn zuflog und brummte: »Dein Mut wird dir nichts nützen, Drachenjäger, denn mit einem Schwert kannst du mich nicht töten. Du wirst mein Drachenfeuer zu spüren bekommen.«

Lars bewegte sich immer noch nicht.

»Hast du mich nicht verstanden, Lars?«, brummte der Drache. »Du wirst gleich mein Drachenfeuer zu spüren bekommen.«

»Lars ist vor Angst erstarrt«, rief Kaspar dem Drachen zu, »lass ihn einen Augenblick durchatmen, Numba. Lars und Niko haben dich wahrscheinlich nicht sofort erkannt.«

Kaspar vermutete, dass die kühle Nacht Numba heimkehren ließ, der nun lautlos dahinglitt und vor Balthasars Hütte landen wollte. Numba schüttelte den Kopf, und Kaspar glaubte dabei ein Lächeln über das Drachengesicht huschen zu sehen.

»Sag deinen Freunden, dass sie etwas Platz machen sollen. Ich werde nämlich gleich landen, und wir wollen ja nicht, dass deine Freunde Mus werden«, sprach Numba Kaspar an.

Lars löste sich aus der Starre und rannte zu Kaspar.

»Willst du dem Dicken nicht auf die Beine helfen?«, brummte Numba Lars hinterher. »Er versperrt mir den Landeplatz.«

»Wer ist hier dick?«, entgegnete Niko und kam auf die Beine. Gemächlich hob Niko sein Schwert auf.

»Komm endlich zu uns, Niko!«, schimpfte Lars, der wohl tatsächlich glaubte, Numba würde landen, während Niko auf der Lichtung stand.

Als Niko neben Kaspar trat, landete Numba. Obwohl Kaspar und seine Freunde Numba kannten und wussten, dass der Schwarzdrache ein guter Freund von Balthasar war und ihnen nichts antun würde, standen Niko und Lars ohne die kleinste Rührung und jeglichen Mucks vor ihm.

Der Erdgeist Nox erschien wie aus dem Nichts in einem leichten Nebel an Kaspars linker Seite und fragte: »Was ist das für ein Krach hier draußen? Balthasar will in Ruhe arbeiten.«

»Wir waren ganz leise«, wimmerte Lars.

»Ja, das waren wir«, schimpfte Niko laut, »erst als der da aufgetaucht war, ging der Lärm los.« Niko deutete mit der Schwertspitze auf Numba.

»Wähle deine Worte mit Bedacht«, sagte Numba lässig, »denn du könntest den Zorn eines Drachen auf dich ziehen«, ergänzte er und trat einen Schritt vor.

Niko zuckte unwillkürlich zurück und sagte kleinlaut: »Jetzt sei mal nicht gleich beleidigt.«

»Mensch, Niko, du sollst deine Worte mit Bedacht wählen, hat Numba doch gerade gesagt«, schimpfte Lars.

»Ich muss zurück zu Balthasar«, sagte Nox schnell.

»Ich dachte, du hättest dich auch verdrückt?«, fragte Kaspar.

»Habe ich ja auch, aber dann hat Balthasar doch noch nach mir gerufen«, jammerte Nox und hob seine Wurzelhände über den Kopf.

»Warte, Nox!«, sagte Niko laut, als er sah, wie sich Nox langsam in einer kleinen Nebelwolke auflöste. »Du willst uns doch nicht mit dem Ungetüm hier alleine lassen?«

»Ihr werdet das schon unter euch ausmachen müssen«, sagte Nox und schon war er verschwunden.

»Jetzt hast du wohl die Hosen voll?«, sagte Lars an Niko gewandt.

»Ach, sei still, Dumpfbacke«, fuhr Niko ihn scharf an.

»Selber Dumpfbacke«, entgegnete Lars.

»Sag du doch auch mal 'was, Kaspar!«, forderte Niko ihn auf.

Kaspar wandte den Kopf zur Seite und blickte zur Hütte. Durch das kleine Fenster sah er, wie Nox neben Balthasar stand, der sich mit der rechten Hand durch den langen weiße Bart fuhr und lachte. Juana kam rasch hinzu, und als Nox etwas zu ihr sagte, sah Kaspar, wie auch sie lachte.

»Also, ich weiß nicht, was ihr beiden jetzt macht, aber ich gehe jetzt zu Balthasar«, sagte Kaspar.

»Was? Du willst doch nicht in diese Stinkhütte gehen?« Niko war sichtlich entsetzt.

Kaspar nickt nur und wandte sich von seinen Freunden ab.

»Gute Nacht, Numba«, sagte Kaspar noch, als er ging.

»Ich wünsche dir auch eine gute Nacht, Kaspar«, sagte Numba sanft.

»Warte auf mich, Kaspar!«, rief Lars ängstlich und lief Kaspar hinterher.

»Feigling«, rief Niko seinem Freund nach. Doch als Numba den Kopf senkte, sah Kaspar von der Hütte aus, wie Niko geschwind das Schwert in die Scheide steckt und zur Hütte rannte.

»Alleine macht es draußen keinen Spaß«, sagte Niko, als er rasch an Kaspar vorbei in die Hütte trat.

»Natürlich macht es das nicht«, lächelte Kaspar und schloss die Tür hinter sich. »Aber du warst da draußen doch nicht allein«, ergänzte er.

Niko warf Kaspar einen zürnenden Blick zu.

Lars stand schon neben Juana und ließ sich von ihr erklären, was Balthasar für einen Zaubertrank braute.

»Komm, Niko, bin gespannt, wie weit Balthasar mit dem Zaubertrank gekommen ist«, sagte Kaspar.

»Hoffentlich kennt Balthasar einen Entstinkungszauber«, lästerte Niko und hielt sich die Nase zu. Balthasar rührte mit einer Kelle im Kessel, der über dem Feuer im offenen Kamin hing.

»Du kannst ja zu Balthasar gehen. Ich bleib lieber hier in der Nähe der Tür, dann kann ich zwischendurch noch mal frische Luft schnappen«, sagte Niko zu Kaspar und blieb stehen.

»Okay«, sagte Kaspar und ging zu den anderen.

Kaspar sah, wie Niko schmollend zum Fenster ging und hinausblickte.

»Was habt ihr gemacht?«, fragte Nox an Kaspar gewandt.

»Niko und Lars haben mit Numba Drachenjäger gespielt«, Kaspar lächelte, »und ich habe zugesehen.«

»Gib mir mal das Fläschchen dort«, sagte Balthasar an Nox gewandt.

»Bin schon unterwegs«, nickte Nox ihm zu.

»Verdammt, ich kann die beiden gar nicht mehr verstehen«, fluchte Niko laut, der immer noch am Fenster stand und sich nun seinen Freunden zugewandt hatte.

»Du hast doch nicht etwa den Transkribierer verloren?«, fragte Kaspar entsetzt.

Niko griff in seine Hosentaschen, dann in seine Jackentaschen, und nickte aufgeregt: »Doch, ich habe ihn verloren.«

»Das ist mal wieder typisch Niko«, schimpfte Juana.

»Jaja«, winkte Niko ab und ging zu seinen Freunden.

»Du solltest besser auf den Stein aufpassen«, tadelte Balthasar Niko.

»Jetzt kann ich Sie wieder verstehen«, sagte Niko freudig.

Balthasar schwieg und zog nur die Augenbrauen hoch, dann wandte er sich wieder dem Zaubertrank zu.

»Das liegt daran, dass Juana und Lars den Stein bei sich tragen«, erklärte Kaspar.

»Hier!«, sagte Lars und hielt den winzigen, runden, smaragdgrünen Transkribierer in der Hand, der an einem Lederband befestigt war, und den er wie auch Juana um den Hals trug.

»Ich hab' es ja kapiert, Lars«, sagte Niko genervt.

»Du hast es gut, Kaspar ...«, fing Niko an und winkte ab.

»Wie meinst du das?«, fragte Kaspar, als von Niko keine weitere Erklärung kam.

»Na, weil du ein Zauber-Gen besitzt und diesen blöden Stein nicht brauchst.«

»Hast du den Transkribierer vielleicht beim Drachenjägerspiel verloren?«, fragte Balthasar.

Niko überlegte angestrengt: »Also, beim Drachenjägerspiel habe ich ihn noch gehabt, weil ich mit Numba geredet habe.«

»Komm, wir gehen ihn suchen«, schlug Lars vor.

Niko nickte.

»Ich habe ihm schon so oft gesagt«, wandte sich Juana an Kaspar, als Niko und Lars die Tür hinter sich geschlossen hatten, »dass er auf den Stein gut aufpassen soll.«

Kaspar zuckte nur mit den Schultern.

Ein Augenblick verging, als Niko und Lars wieder eintraten, und Niko rief: »Wir haben ihn gefunden.« Er hielt das Lederband in der Hand, an dem der Stein befestigt war.

»Da habt ihr ja Glück gehabt«, warf Nox ein.

»Pass in Zukunft besser darauf auf!«, ermahnte Juana ihn.

»Ja«, sagte Niko nur und hing sich das Lederband um den Hals.

»So, der Zaubertrank ist gleich fertig«, sagte Balthasar.

»Da fehlt noch eine Zutat«, stellte Nox fest und blickte mit einer großen Portion Neugier über den Kesselrand.

Kaspar fiel auf, dass Balthasar etwas in den Taschen seines Umhangs suchte.

»Wo hab ich es denn nur?«, sprach Balthasar und wirkte auf Kaspar etwas zerstreut. »Ach ja, dort auf dem Regal steht die letzte Zutat für den Zaubertrank.« Als Balthasar den unförmigen Klumpen mit den Fingern zerkleinerte und die kleinen Stücke in den Kessel bröckelten, funkelten die glasklaren Augen in dem faltigen Gesicht.

»Sieht verdammt eklig aus, was Balthasar da in den Kessel tut«, flüsterte Lars Niko zu.

»Ja, es sieht wie gefrorene Froschkotze aus«, flüsterte Niko zurück.

»Euer Benehmen ist unmöglich«, ermahnte Juana die beiden.

Niko winkte ab und sagte zu Lars: »Lass die mal reden.«

»Jetzt kann es doch eigentlich nicht mehr lange dauern, bis der Zaubertrank fertig ist«, wandte sich Nox Balthasar zu.

»Hab noch ein wenig Geduld, alter Freund«, antwortete Balthasar in ruhigem Ton und sah Nox dabei über den Rand seiner Brille an, die er immer dann trug, wenn er an einem Zaubertrank arbeitete.

Nox zuckte mit den Schultern. »Geduld hab ich genug, Balthasar. Ich wollte nur wissen, ob ich schon mal das Abendessen vorbereiten soll.«

»Ich bin gleich fertig, Nox, dann überlasse ich dir die Feuerstelle, damit du kochen kannst«, nickte Balthasar.

»Ich habe Kohldampf«, sagte Niko, als Nox auf Nikos knurrenden Magen blickte.

»Kohldampf?«, wiederholte Nox verstört.

»Hunger«, sagte Niko nur.

»Ach so«, nickte Nox ihm zu.

Kaspar lächelte in sich hinein, als er sah, wie Lars einen ängstlichen Blick durch das kleine Fenster neben der Tür warf, durch das ein riesiges Drachenauge blickte.

»Numba ist aber sehr neugierig«, bemerkte Kaspar.

»Ja, in der Tat, das ist er«, bestätigte Balthasar ihm.

»Hoffentlich behält Numba sein Drachenfeuer für sich«, flüsterte Lars.

»Was meinst du denn damit?«, fragte Kaspar.

»Na, wenn der Drache jetzt niesen muss, dann werden wir gegrillt«, antwortete Lars.

»Wieso sollte er jetzt niesen?«, schüttelte Niko den Kopf.

»Kann doch sein, dass der Gestank von hier durch das undichte Fenster zieht und ihm in der Nase kitzelt«, antwortete Lars. »Und außerdem macht mir der Drache Angst«, gab er zu.

»Numba ist ganz friedlich«, wollte Nox Lars beruhigen, doch als er dann sagte: »Obwohl Numba ein Schwarzdrache ist, wird er euch nichts antun«, zitterten Lars' Storchbeine.

Lars fragte nervös: »Was heißt hier ›obwohl‹?«

Nox zwinkerte ihm zu und antwortete lässig: »Na ja, Lars, du musst wissen, ein Schwarzdrache ist eigentlich launisch und kämpferisch. Sie brennen schon mal Dörfer nieder und jagen Königsarmeen in die Flucht. Sie vernichten Festungen, wenn ihnen danach ist, und sie ...«

»Hör auf, Nox! Lars hat schon genug Angst«, ermahnte Balthasar ihn mit erhobenem Zeigefinger.

Aus dem Gewand des Erdgeistes, das aus sich ständig erneuernden Wurzeln bestand, wuchs aus dem rechten Ärmel eine neue Wurzel.

»Er hat mich gefragt«, entgegnete Nox und zeigte mit seinem Wurzelzeigefinger auf Lars.

»Numba ist ein friedlicher Drache«, erklärte Balthasar in einem sanften Ton. »Du brauchst wirklich keine Angst vor ihm zu haben«, ergänzte er.

Balthasar rührte mit einem großen Holzlöffel im Kessel.

»Ich bin gleich fertig«, sagte Balthasar. »Du kannst dann das Abendessen vorbereiten, Nox.«

Nox schwebte ein Stück empor und lugte über Balthasars Schultern und fragte ihn dann: »Warum bereitest du eigentlich einen ganzen Kessel zu, wenn wir nur wenig davon brauchen?«

»Wenn dieser Trank richtig wirken soll, muss er in dieser Menge zubereiten werden«, antwortete Balthasar, »ansonsten geht seine Wirkung verloren, und er ist nicht mehr als eine Suppe«, erklärte Balthasar.

»Ja, eine sehr schmackhafte Froschkotzstinksuppe«, flüsterte Niko an Lars gewandt und fing sich dabei einen zornigen Blick von Juana ein.

Balthasar zog seinen Zauberstab aus einem Lederköcher hervor, den er an einem Stoffgürtel trug und sprach: »Tempore!«

Es blitzte im Kessel, dann sagte er freudig: »So, der Trank ist nun fertig.«

»Soll ich den Kessel von der Feuerstelle nehmen?«, fragte Nox schnell.

Balthasar nickte ihm zu und sagte: »Du kannst ihn dort in die Ecke stellen und nachher wie auch den ersten Zaubertrank in einen kleinen Lederbeutel füllen.«

Geschwind wuchsen Nox Wurzeln an den Ärmeln heraus, die seine kleinen Wurzelhände verstärkten, und schwuppdiwupp stand der Kessel in der Ecke.

»Wieso zauberst du ihn nicht dorthin?«, fragte Lars.

»Er könnte dabei umkippen, und das wollen wir doch nicht, oder?«, entgegnete Nox.

»Warum brauchst du denn die Feuerstelle?«, fragte Niko neugierig. »Reicht der Herd nicht aus?«

»Auf dem Herd will ich eine Suppe zubereiten, und über der Feuerstelle will ich grillen«, antwortete Nox.

Kaspar sah, wie Nikos Augen vor Freude ganz groß wurden, und Niko fragte prompt: »Was willst du denn grillen?«

Juana runzelte die Stirn, und Kaspar konnte ihr ansehen, dass Niko ihr mit seiner Fragerei nach dem Abendessen auf die Nerven ging.

»Lass dich überraschen«, antwortete Nox und zwinkerte Niko zu.

Kaspar warf einen flüchtigen Blick durch das kleine Fenster, neben der Tür. Das Drachenauge war verschwunden.

»Numba ist eben zu seinem Schlafplatz gegangen«, klärte Nox Kaspar auf und deutete mit dem Wurzelfinger auf das etwas größere Fenster, durch das Kaspar einen Blick auf Numba werfen konnte.

Nox eilte zum kleinen Tisch, der mitten im Raum stand, wandte sich dann Niko und Lars zu und sagte: »Ihr beiden könnt schon mal die Stühle holen.«

Das ließ sich Niko kein zweites Mal sagen und stand schon bei den Stühlen, die Nox neben der Tür gestapelt hatte, damit er die Hütte besser säubern konnte. Lars folgte seinem Freund gemächlich.

Nox wandte sich wieder dem kleinen Tisch zu und sprach einen Vergrößerungszauber aus, und der kleine, runde Tisch dehnte sich schnell aus.

»Ein toller Zauber«, schwärmte Niko, als er den ersten Stuhl an den Tisch stellte.

Nox eilte zum Herd und zündete das Holz mit einem Feuerzauber an.

»Kann ich dir helfen, Nox?«, fragte Juana.

»Gerne«, nickte Nox, »du kannst schon mal den Tisch decken. Aber vorher sollten wir hier mal durchlüften.«

Juana begab sich sofort an die Arbeit.

»Und was soll ich machen?«, fragte Kaspar.

»Wir beide setzen uns dort drüben hin, dann stören wir Nox und deine Freunde nicht bei der Arbeit«, schlug Balthasar vor.

Balthasar setzte sich in den Schaukelstuhl, und Kaspar holte sich einen Holzstuhl vom Stapel neben der Tür und nahm neben dem Zauberer Platz.

»Das gibt wieder ein Festessen«, freute sich Niko und rieb sich die Hände.

***

Ein Springbockschenkel hing an einem Spieß über der Feuerstelle und drehte sich wie von Geisterhand. Ein Kessel mit Suppe stand auf dem Herd. Nox schnitt gerade das Brot, während Kaspar und seine Freunde am Tisch Platz nahmen. Balthasar öffnete die Schranktür und trat mit zwei Flaschen an den Tisch, die er in die Mitte stellte.

»Warum machst du dir eigentlich soviel Arbeit mit dem Essen? Du kannst es doch auch einfach fertig zaubern?«, rief Niko Nox zu.

»Das macht doch keinen Spaß«, winkte Nox ab.

»Der Springbockschenkel dreht sich doch auch durch einen Zauber von dir«, sagte Niko voller Ungeduld.

»Du kannst ihn ja auch drehen, wenn du willst«, sagte Nox.

Niko sah zum Kamin und sagte: »Das ist mir zu langweilig.«

»Na, siehst du, mir auch«, rief Nox und nahm den Suppenkessel vom Herd.

Nox stellte den Kessel auf den Tisch und setzte sich auf den freien Stuhl zwischen Balthasar und Niko. Niko wandte sich nach rechts Lars zu und sagte: »Wenn die Suppe so schmeckt wie sie riecht –«

Niko machte eine Pause, denn Juana, die neben Lars saß, warf Niko einen zornigen Blick zu.

»– dann nehme ich mir zwei oder drei Teller davon«, lächelte Niko sie an.

Kaspar wandte sich nach links Juana zu und sah, wie sich ihr zorniger Blick in ein Lächeln verwandelte.

Dann wandte sich Kaspar nach rechts Balthasar zu, als Balthasar sagte: »Morgen werden wir nach Urta aufbrechen und ...«

»Wer möchte Suppe?«, unterbrach Nox und hielt einen hölzernen Schöpflöffel in seiner Wurzelhand bereit.

»ICH«, rief Niko sofort.

Kaspar lächelte in sich hinein und flüsterte Juana zu: »Niko wird sich in dieser Beziehung wohl nicht mehr ändern.«

»Er ist und bleibt ein Egoist und Vielfraß«, sagte sie zornig, doch Niko ignorierte ihre Bemerkung.

Nox füllte Nikos Holzschale mit zwei Kellen Suppe, dann stand Nox auf und ging zu Juana und füllte ihre Schale.

»Setz dich wieder hin, Nox«, sagte Kaspar. »Wir können das auch selber machen, sonst kannst du ja nicht in Ruhe essen.«

»Ein bisschen Bewegung wird mir guttun«, sagte Nox, und auf seinem Wurzelgesicht zeichnete sich ein kleines Lächeln ab.

»Schmeckt gut«, schwärmte Niko, und seine Holzschale war schon halb leer.

Als Nox an alle Suppe verteilt hatte und wieder neben Niko Platz nahm, fragte Niko vorsichtig: »Kann ich noch etwas Suppe haben?«

»Es ist genug Suppe da«, sagte Nox und deutete auf den Kessel. »Nimm dir, soviel du willst«, ergänzte er.

»Das hätte Nox nicht sagen dürfen«, wandte sich Lars nach rechts Juana zu. »Jetzt bekommen wir keinen Nachschlag mehr.«

Juana nickte.

»Dann nehme ich mir noch schnell einen Löffel, bevor Niko seine zweite Schale Suppe aufgegessen hat«, bemerkte Kaspar.

Juana lobte das Essen, das Nox so liebevoll zubereitet hatte, und schon bald beteiligten sich alle an dem Gespräch. Nur Kaspar kehrte in sich und dachte über seine neue Aufgabe nach. Eigentlich hatte Balthasar ihm ja noch nicht viel darüber gesagt, und was ein Todbringer war, wusste er bis heute noch nicht. Balthasar war ihm auf viele seiner Fragen ausgewichen. Eigentlich waren sie ja auf der Suche nach den goldenen Drachentränen, doch der Zauberer hatte darauf bestanden, dass sie vorher nach Urta reisen mussten, um dieses Dorf von dem Todbringer zu befreien. Kaspar wandte sich Balthasar zu und wollte ihn gerade nach dem Todbringer ausfragen. Als er Juana laut lachen hörte und einen Augenblick später Nikos Lachen wahrnahm, wandte er sich stumm seiner Suppe zu.

»So, jetzt genehmige ich mir dieses besondere Tröpfchen«, sagte Balthasar und griff nach einer der beiden Flaschen auf dem Tisch.

»Was ist denn da drin?«, fragte Niko neugierig.

»Bier«, antwortete Balthasar und setzte die Flasche an die Lippen. Balthasar genoss den Schluck in vollen Zügen, und als er die Flasche auf den Tisch stellte, blickte er zu Kaspar: »Das Rezept für dieses ganz besondere Bier habe ich von deinem Großvater«, erklärte er.

Nox schielte auf die Flasche in Balthasars Hand.

»Die andere Flasche ist für dich, Nox«, sagte Balthasar.

»Danke.« Nox leckte sich die Wurzellippen. »Das Bier von den Menschen ist eines meiner Lieblingsgetränke.«

»Mein Großvater hat Ihnen das Rezept gegeben?«, hakte Kaspar nach.

Balthasar nickte vergnügt: »Ja, ich habe ihn darum gebeten.«

Nox reichte Niko eine Schüssel mit Brot. »Hier, nimm dir etwas und gib sie weiter.«

»Danke, Nox«, sagte Niko und griff zu.

»Morgen früh brechen wir nach Urta auf«, fing Balthasar an, während Nox aufstand und zum Kamin ging. »Mit deiner magischen Karte und meinen beiden Zaubertränken werden wir Gohr besiegen.«

»Ist das der Name des Todbringers?«, fragte Lars ängstlich.

»Ja«, bestätigte Balthasar.

»Schon wieder ein Monster, das einen Namen trägt«, warf Niko ein.

»Welches Monster mit Namen meinst du?«, fragte Lars.

»Na, dieses Pflanzending«, fing Niko an, »Odo«, sagte Niko.

»Odo ist kein Monster«, empörte sich Juana.

Niko zog die Augenbrauen hoch.

»Ist er denn nun gefährlich, dieser Gohr?«, lenkte Lars auf das eigentliche Thema zurück.

Balthasar nickte und sagte: »Sehr sogar.«

»Warum müssen wir Gohr denn unbedingt aus Urta vertreiben? Sollten wir uns nicht besser auf die Suche nach den goldenen Drachentränen machen?«, fragte Kaspar.

»Gohr ist ein Diener von Drawen. Er besitzt einen Gegenstand, den wir für die Suche nach den Drachentränen benötigen«, erklärte Balthasar.

»Und was ist das?«, wollte Kaspar wissen.

»Das weiß ich nicht.«

»Aber wie können Sie sich sicher sein, dass dort wirklich etwas ist, dass wir für die Suche benötigen?«, fragte Juana.

»Das dort etwas ist, kann ich mit Bestimmtheit sagen. Nur was es ist, das ist mir noch nicht bekannt. Wenn ich in meinen Visionen Urta sehe, dann enden sie immer abrupt.«

»Gut, dann werden wir tun, was wir tun müssen«, sagte Kaspar.

»Cooler Satz von dir«, sagte Niko mit erhobenem Daumen.

Nox kam mit einer Schüssel Springbockfleisch zurück und verteilte es auf die Teller.

»Jetzt wissen wir immer noch nicht genau, wer oder was Gohr ist«, wandte Lars ein.

»Lass dich überraschen«, grinste Niko ihn an.

»Dir wird das dämliche Grinsen im Hals stecken bleiben, wenn du diesem Gohr gegenüberstehst«, brummte Lars.

Niko nahm ein Stück Springbockfleisch vom Teller und biss hinein.

»Wie werden wir nach Urta reisen?«, fragte Lars, obwohl er die Antwort schon wissen musste.

»Numba wird uns dorthin bringen«, sagte Balthasar beiläufig, als er ein Stück Springbockfleisch nahm.

»Muss das wirklich sein?«, hakte Lars nach.

»Ja«, nickte Balthasar, »es ist sehr weit, bis nach Urta.«

Niko schob sich ein Stück Fleisch in den Mund und schwieg.

»Willst du noch etwas Springbockfleisch?«, fragte Nox an Niko gewandt.

»Ja, gerne«, antwortete Niko schnell und wandte sich dann Juana zu. »Das ist ja schließlich unsere Henkersmahlzeit, da muss ich nochmal zuschlagen.«

Juana verzog die Mundwinkel.

»Und du, Kaspar, solltest endlich mal lernen mit dieser verdammten magischen Karte umzugehen. Dann könnten wir uns den Drachenflug ersparen«, murrte Niko.

***

Es war noch früh am Morgen, als Balthasar Kaspar und seine Freunde mit einem fröhlichen, »Habt ihr gut geschlafen?«, weckte.

Von wegen gut geschlafen, dachte Kaspar. Immer wieder war er aufgewacht, weil er von irgendwelchen Monstern geträumt hatte. Kaspar fühlte sich gerädert und wäre gerne noch etwas länger liegen geblieben.

Niko war der Erste, der aufstand. »Die Sonne ist ja noch nicht einmal aufgegangen«, brummte Niko, als er verärgert zum Fenster hinaussah.

Juana reckte sich und gähnte kurz, bevor sie sich aus ihrer Schlafstätte erhob, dann half sie Balthasar das Frühstück zuzubereiten.

Kaspar trat gähnend an den Tisch und setzte sich auf einen Stuhl. Schweigend beobachtet er seine Freunde.

»Wo ist Nox?«, fragte Juana.

»Er ist draußen bei Numba«, antwortete Balthasar.

Lars stand schweigend auf und ging zur Tür.

»Wo willst du denn hin?«, fragte Niko.

»Ich will mich waschen«, antwortete Lars.

»Was? Da draußen?«, fragte Niko verstört.

»Ja, natürlich da draußen«, sagte Lars.

»Es ist bitterkalt«, schüttelte Niko den Kopf.

»Wenn du rechts um die Hütte herum gehst, gibt es ein kleines Bad«, sagte Balthasar, der am Herd stand und mit einem Holzlöffel in einer Schüssel rührte.

»Seit wann ist denn da ein Bad?«, staunte Niko.

»Seit dieser Nacht«, antwortete Balthasar. »Nox hat es extra für euch gebaut«, erzählte Balthasar.

»Prima«, freute sich Lars.

»Warte, Lars! Ich komme mit dir«, sagte Niko.

»Ist es dort auch warm?«, rief Niko Balthasar zu.

»Nox hat dort einen Wärmezauber ausgesprochen«, antwortete Balthasar.

»Ladys First«, sagte Juana und trat mit erhobener Nase an Niko und Lars vorbei.

Bevor Niko oder Lars etwas sagen konnten, verschwand Juana durch die Tür.

»Seit wann ist die 'ne Lady?«, fragte Niko an Lars gewandt.

Lars zuckte nur mit den Schultern.

»Ich darf gar nicht daran denken«, schüttelte Niko den Kopf.

»Woran?«, fragte Lars schnell.

»Mit Numba zu fliegen«, antwortete Niko.

»Davor graust es mir auch schon«, sagte Lars.

»Ich werde mit einem Zauber dafür sorgen, dass uns während des Fluges nichts geschehen wird«, bemerkte Balthasar.

»Warum bloß können mich diese Worte nicht beruhigen?«, nuschelte Niko.

***

»Das Frühstück war wirklich gut«, lobte Niko.

»Danke«, lächelte Balthasar zufrieden.

»Das Bad und das Wasser waren schön warm«, schwärmte Lars.

»Ja, vielen Dank für alles, Nox«, sagte Juana freudig.

»Oh, bitte, bitte«, sagte Nox, »es freut mich, wenn es euch gefallen hat.«

Kaspar war schweigsam geworden.

»Bist du auch satt?«, fragte Nox an Kaspar gewandt.

»Ja«, sagte Kaspar beiläufig.

Balthasar nahm die beiden Lederbeutel, in denen die Zaubertränke waren, vom Regal und befestigte sie an seinem Gürtel.

Juana stand auf und wollte den Tisch abräumen, doch Nox sagte: »Lass alles stehen, Juana. Ich mach nachher den Abwasch, wenn ihr fort seid.«

»Du kommst nicht mit uns?«, fragte Lars irritiert.

»Nein«, schüttelte Nox heftig den Kopf, »ich bin doch nicht verrückt.«

»Wie meinst du das?«, wollte Niko sofort wissen.

»Ich fliege doch nicht mit einem Drachen«, winkte er ab, »viel zu gefährlich«, ergänzte er, und Kaspar sah, wie die Gesichter von Niko und Lars an Farbe verloren.

»Aber Balthasar schützt uns doch mit einem Zauber«, stotterte Lars.

Nox beugte sich vor, sah kurz zu Balthasar, der am Herd stand und ein wenig Proviant für die Reise einpackte, und flüsterte dann: »Also, beim letzten Mal, als ich mit Numba geflogen bin, hat Balthasar den Schutzzauber vergessen ...«

Nox schwieg, als Balthasar zu ihm blickte.

»Was ist dann passiert?«, fragte Lars schnell, als sich Balthasar wieder dem Herd zugewandt hatte.

Nox legte die Stirn in Falten und flüsterte: »Was glaubst du denn, was ohne Schutzzauber passiert?«

»Ihr seid doch nicht etwa heruntergefallen?«, fragte Niko besorgt.

Nox nickte heftig.

»Oh, doch, ganz gewiss ...«, fing Nox an, und ihm blieb das Wort im Mund stecken, als Balthasar hinter ihm stand und ihn ermahnte: »Erzähl' ihnen die ganze Geschichte, Nox!«

»Jaja, das habe ich doch getan.« Nox wurde verlegen.

»Hast du da nicht eine Kleinigkeit vergessen?«, sprach Balthasar mit tiefer Stimme.

»Nun ja«, fing Nox an und kratze sich verlegen mit seinem Wurzelzeigefinger am Hinterkopf, »also, ich ...«

»Nox hat zu mir gesagt, dass er den Schutzzauber aussprechen wollte«, erklärte Balthasar, »und deswegen habe ich es nicht mehr getan.«

»Nun ... ja, ... also«, stotterte Nox, »dieses kleine Missgeschick – du hättest es merken müssen, dass ich es vergessen hatte«, schimpfte Nox und schwebte zur Küche.

Kaspar legte etwas Proviant in seinen Rucksack zu den Schätzen. Der Rucksack hatte mit der Zeit an Gewicht zugenommen, dachte Kaspar. Es befanden sich mittlerweile eine goldene Kugel, ein Fläschchen mit dem magischen Gebirgswasser, ein kleiner Rubinschädel, ein Beutel Goldmünzen, ein goldenes Medaillon mit dem königlichem Wappen und ein goldenes Pferd darin.

Kaspar schulterte den Rucksack.

Balthasar verließ die Hütte.

Kaspar und seine Freunde standen bei Nox.

»Bis später, Nox«, murmelte Niko zum Abschied.

»Bis später«, sagte Lars.

»Bis bald, Nox«, lächelte Kaspar ihm zu und verabschiedete sich mit einem Handzeichen.

»Sei nicht böse auf Balthasar«, sagte Juana und gab Nox einen kurzen Kuss auf die rechte Wurzelwange, und Kaspar glaubte ein schimmerndes Rot in Nox' Gesicht zu sehen.

»Kommt, Freunde! Balthasar wartet auf uns«, sagte Kaspar und ging voraus.

»Jetzt mach mal keinen Stress hier«, schimpfte Niko und folgte Kaspar durch die Tür.

Kaspar wandte sich der Hütte zu.

Lars verabschiedete sich noch einmal von Nox: »Also, dann, Nox, bis später.«

Lars trat hinaus.

Juana folgte ihm.

***

Numba beugte bereitwillig seinen Kopf zu Boden. »Sollen wir wirklich mit dem Drachen fliegen?«, fragte Lars gequält, als Balthasar sie aufforderte auf Numbas Nacken zu steigen.

»Er wird uns sicher nach Urta bringen«, erklärte Balthasar in einem ruhigen Ton.

Balthasar machte den Anfang und nahm vorne Platz. Kaspar folgte ihm schnell.

»Kommt schon!«, drängte Kaspar seine Freunde und sagte zu Niko gewandt: »Du willst doch bestimmt zum Abendessen wieder hier sein?«

»Natürlich will ich das«, brummte Niko und folgte Kaspar.

Kaspar sah, wie Lars zögerte und ängstlich in Numbas Drachenaugen blickte. Und als Juana ihn aufforderte auf Numbas Nacken zu steigen, kletterte Lars vorsichtig an der schuppigen Drachenhaut empor. Juana schüttelte den Kopf und folgte ihm. Balthasar umschloss sie alle mit einem Schutzzauber, der verhindern sollte, dass sie während der Reise herunterfielen.

»Das Wetter meint es gut mit uns, aber der Schnee wird sicherlich noch kommen«, vermutete Balthasar.

Kaspar schaute in die blasse, kalte Sonne am morgendlichen Himmel, die ihre Strahlen über die Vulkanlandschaft sandte.

Die Sonne schaffte es noch nicht die nächtliche Kälte zu vertreiben. Und überall dort, wo die Sonne noch nicht hinkam, konnte Kaspar den Reif der Nacht erkennen.

Balthasar umschloss alle noch mit einem Wärmezauber, dann gab er einen Befehl, und Numba startete sofort. Niko und Lars hielten sich krampfhaft an der schuppigen Drachenhaut fest, während Kaspar und Juana freudig grölten.

»Flieg nicht so rasant«, ermahnte Balthasar den Drachen.

Numba drehte eine Ehrenrunde über Balthasars Hütte.

»Da unten ist Nox«, sagte Juana und winkte ihm zu.

Nox winkte zurück, und Numba beschleunigte schneller als ein Ferrari.

»JUHU«, schrie Kaspar.

»JEH«, schrie Juana.

»Wir sind am Arsch«, stöhnte Niko, und Lars hielt sich die Hand vor den Mund. »Kotz' mir bloß nicht ins Kreuz, Lars!«, ermahnte Niko seinen Freund.

Zu Fuß oder zu Pferd hätte die Reise wahrscheinlich Tage gedauert, ging es Kaspar durch den Kopf. Numba flog schnell, und schon bald hatten sie Feuerland hinter sich gelassen. In einer grandiosen Bergwelt hoch oben auf einer Bergspitze stand ein altes Kloster. Kaspar erfuhr von Balthasar, dass noch nie ein Fremder diese Anlage betreten hatte. Das Kloster war nach allen Seiten gesichert und uneinnehmbar. Die dort lebenden Mönche hüteten einen wertvollen Schatz. Schon oft hatten Diebe versucht, die verschlungenen Bergpfade zu passieren, wo auf Schritt und Tritt Gefahren lauerten. Die Gier nach dem Schatz war so groß, dass sie die Warnungen der Mönche missachteten und auf den schmalen Bergpfaden den Tod fanden. Kaspar warf einen letzten Blick auf das Kloster.

Eine gefühlte Stunde später folgten Kaspars Augen einer Herde Springböcke, die eine Ebene durchstreiften. Kaspar hielt sich fest, als Numba plötzlich an Höhe verlor und dem Erdboden entgegen raste.

»Nicht so schnell, Numba!«, ermahnte Balthasar.

Numba steuerte auf einen Wald zu und flog dicht über ihn hinweg.

»Wie weit ist es noch?«, fragte Niko, nachdem sie schon einige Stunden geflogen waren.

»Wir sind bald da«, sagte Balthasar.

»Wird ja auch langsam Zeit. Ich habe keine Lust im Dunkeln zu fliegen«, brummte Niko.

Juana lachte.

»Was gibt's denn da zu lachen?«, murrte Niko.

»Ach, nichts«, winkte Juana ab.

»Lande da unten auf der Lichtung zwischen den Bäumen, Numba«, sagte Balthasar. »In Urta ist kein Platz für dich«, ergänzte er noch.

Obwohl Numba aus großer Höhe auf Fels landete, machte er nicht mehr Lärm als Wassertropfen, die zu Boden fielen. Numba verharrte einige Sekunden, bevor er den Nacken senkte.

Lars war der Erste, der vom Drachen stieg, schnell folgte Niko, dann Juana und Kaspar. Bevor Balthasar abstieg, lobte er Numba, dass er sie wohlbehalten ans Ziel gebracht hatte.

»Es ist schon Nachmittag, und wir haben noch nichts gegessen.« Niko schielte auf den Beutel Proviant, den Balthasar an einem Riemen über der Schulter trug. »Ich hab vielleicht einen Kohldampf«, ergänzte Niko.

»Du musst dich noch etwas gedulden, Niko.« Balthasar klopfte mit der flachen Hand auf den Beutel. »Später, wenn die Arbeit getan ist, werden wir zusammen essen.«

»Na toll, bis dahin falle ich ja vom Fleisch«, schimpfte Niko. Balthasar übernahm mit Kaspar und Juana die Führung.

Niko und Lars folgten widerwillig. Numba blieb zurück und sollte hier auf ihre Rückkehr warten.

Sie passierten eine kleine Holzbrücke. Kaspar sah hinunter zum kleinen Bach, dessen kristallklares Wasser schnell unter ihnen dahinfloss. Der Wald endete, und die ersten Häuser kamen zum Vorschein. Ein schmaler Weg führte sie direkt auf den breiten Hauptweg, der quer durch Urta verlief. Es war still, nur in der Ferne hörte Kaspar ein Knurren, und irgendwo schloss jemand eine knarrende Tür. Rauchschwaden stiegen aus Kaminen empor.

Kaspar blieb stehen.

»Es ist unheimlich hier«, bemerkte Lars.

»Ja, es sieht hier aus wie in einer Geisterstadt«, hauchte Niko.

»Eigenartig«, sagte Juana.

»Ja«, bemerkte Kaspar.

Balthasar zuckte nur mit den Schultern, als Kaspar ihn fragend ansah.

»Ob Gohr angegriffen hat und deswegen niemand zu sehen ist?«, fragte Kaspar an Balthasar gewandt.

»Es liegt ein Schutzzauber über Urta, der in einem Obelisken steckt. Gohr kann Urta nicht gefährlich werden. Der Obelisk steht da hinten, mitten auf dem Dorfplatz. Agilon der Zauberer hatte ihn erschaffen«, erklärte Balthasar.

»Dann muss Agilon ein mächtiger Zauberer sein«, staunte Kaspar.

»Warum hat er Gohr nicht schon längst von hier vertrieben?«, fragte Juana schnell.

»Diese Frage lag mir auch gerade auf der Zunge«, sagte Kaspar.

»Er ist leider verstorben«, bedauerte Balthasar.

»Oh, das tut mir leid«, sagte Juana betrübt. »Wann ist er denn gestorben?«, wollte sie wissen.

»Schon vor einigen hundert Jahren. Steinalt ist er geworden – aber kommt jetzt, wir müssen weiter!«

Zwei Männer kamen aus einem Seitenweg. Sie waren gut bewaffnet. Jeder von ihnen trug ein Schwert auf dem Rücken, und am Gürtel einen langen Dolch, der in einer ledernen Scheide hing. Sie waren dem Wetter entsprechend gekleidet – wärmende Jacken mit Fell gefüttert. Der größere Mann sprach Balthasar an, während der kleinere, etwas untersetzte, Mann seine Hand auf den Dolchgriff legte.

»Seid gegrüßt, Fremde«, sagte der größere Mann. »Was führt euch hierher?«

»Mein Name ist Balthasar, und das sind meine Freunde«, antwortete Balthasar.

»Balthasar der Zauberer?«, fragte der kleinere Mann.

Balthasar nickte.

Der kleinere Mann nahm sofort seine Hand vom Dolchgriff und sagte: »Ja, jetzt erkenne ich Sie wieder. Es ist lange her, dass Sie in Urta waren.«

»Ja, eine Ewigkeit«, nickte Balthasar.

»Entschuldigen Sie, Balthasar, aber der Todbringer hat Söldner angeheuert, die Urta vor ein paar Tagen überfallen haben«, sagte der größere Mann. »Mein Name ist Shark«, verneigte er sich leicht vor Balthasar.

»Aber wir haben sie in die Flucht geschlagen«, sagte der kleinere Mann und klopfte dabei auf den Dolch. Er machte eine kurze Atempause. »Ihr könnt mich Thinky nennen«, sagte er beiläufig.

»Kommt ihr von Arasin?«, fragte Shark.

»Nein, wir sind von meiner Hütte in Feuerland aufgebrochen«, antwortete Balthasar.

»Seid ihr zu Fuß gekommen?«, fragte Thinky erstaunt.

»Nein wir sind mit Numba gereist«, antwortete Balthasar.

»Numba?«, fragte Thinky.

»Ja, einem Drachen«, brummte Niko.

Thinky lächelte leicht, als er in Nikos Gesicht blickte.

»Er wartet vor dem Dorf auf uns«, erklärte Balthasar.

»Was wollt ihr in Urta?«, fragte Shark und sagte dann: »Ich frage zu viel. Ihr seid bestimmt hungrig von der langen Reise und möchtet bestimmt ins Wirtshaus«, sagte er.

»JA«, kam es spontan aus Niko heraus.

»Dann wollen wir euch nicht länger aufhalten. Wir müssen unsere Runde drehen«, sagte Thinky.

»Wir sind wegen dem Todbringer hier«, erklärte Balthasar noch.

»Und wenn wir mit ihm fertig sind, braucht ihr euch nicht mehr um ihn zu kümmern«, prahlte Niko.

»Ach so, ja?«, sagte Shark und zog die Augenbrauen hoch, als er Niko ansah.

Niko kratzte sich verlegen am Kopf. Balthasar verabschiedete sich von den Männern und beschloss das Wirtshaus aufzusuchen. Eine Mahlzeit würde ihnen guttun, und außerdem wäre es nicht verkehrt dort zu übernachten. Müde und hungrig sollte man nicht in den Kampf ziehen, sagte der Zauberer zu Kaspar und seinen Freunden.

***

Ausgeschlafen und satt gegessen, verließen sie am frühen Morgen das Wirtshaus, das in der Nähe des Dorfplatzes lag. Kaspar und seine Freunde bekamen noch den Obelisken aus der Nähe zu sehen, der Urta vor dem Todbringer schützte. Natürlich lag Niko wieder eine Bemerkung auf den Lippen, und er fragte, ob Obelix den Hinkelstein dort abgestellt hatte. Lars bekam sich nicht mehr ein vor Lachen. Juana verzog genervt das Gesicht und schimpfte über die Kindereien von Niko und Lars. Niko stellte natürlich wie immer klar, dass sie schließlich noch Kinder waren. Doch Juana machte deutlich, dass nach all den Abenteuern, die sie zusammen durchgestanden hatten, er und Lars sich etwas erwachsener benehmen könnten.

»Komm schon, Juana. Das Leben ist ernst genug, da sollte man ab und zu mal Späße machen dürfen«, fuhr Niko sie an.

»Was weißt du schon vom Leben, Niko?«, zischte Juana.

»Ich denke, ich weiß ...«, fing Niko an, und Kaspar fuhr ihm ins Wort: »Wir sollten uns auf unsere Aufgabe konzentrieren!«

Niko schwieg und schmollte.

Sie verließen Urta westwärts auf dem Hauptweg und folgten dann einem schmalen Pfad.

»Schützt uns der Obelisk hier auch noch?«, fragte Lars.

Balthasar schüttelte den Kopf.

»Nein«, sagte er nur und ging voraus.

Kaspar und Juana folgten ihm.

»Nein? Das war alles, was er uns zu sagen hatte?«, schimpfte Niko.

Niko und Lars folgten schnell.

Wasser gab es in dem bewaldeten Gelände genug. Überall flossen kleine Bäche an ihnen vorbei oder kreuzten ihren Weg. Kaspar sah zum Himmel. Ein Bergadler kreiste hoch über ihnen und begleitete sie. Der schmale Pfad führte den bewaldeten Hügel hinauf.

»Bergauf«, stöhnte Niko.

»Ein bisschen Bewegung tut deiner Figur ganz gut«, fuhr Juana ihn an.

»Wir wollten uns doch nicht streiten, Juana«, sagte Kaspar mit Nachdruck.

Juana schwieg einen Moment, bevor sie zaghaft sagte: »Entschuldigung, Niko.«

Kaspar lächelte zufrieden, als Niko die Entschuldigung annahm.

Rechts, wo die Berge nicht so bewaldet waren, sahen sie eine Herde Bergziegen. Kaspar schaute nach links. Fast senkrecht wuchs dort eine Steilwand hoch, aus ihr schäumte ein kleiner Wasserfall. Nach der zweiten Biegung verließen sie den schmalen Pfad und wanderten durch hohes Gras.

»Es ist verzaubert, deswegen richtet es sich von selbst wieder auf«, erklärte Balthasar und beantwortete die Frage, die Kaspar gerade stellen wollte. »Dort oben auf dem Hügel befindet sich ein alter Kultplatz. In den dahinter liegenden Höhlen hat sich Gohr eingenistet.«

Schritt für Schritt näherten sie sich ihrem Ziel. Sie gingen auf einen Pfad zu, der steil aufwärts führte. Balthasar wollte eine kurze Rast einlegen, bevor sie die letzte Strecke zurücklegten. Auf einem Steinfeld, neben dem Pfad, fanden sie Platz.

»Puh, endlich sitzen«, schnaufte Niko und wandte sich dem steilen Weg zu. »Scheiße! Müssen wir da wirklich rauf?«, stöhnte er laut.

»Also, meine Freunde«, fing Balthasar an, »wenn wir die Kultstätte erreicht haben, ist höchste Vorsicht geboten. Gohr ist sehr gefährlich, tückisch und listig.«

»Wir haben schon gegen dämonische Hexen gekämpft«, protzte Niko, »und sie besiegt.«

Daran konnte sich Kaspar nur zu gut erinnern. Unendlich viele blaue Flecken hatte er bei diesem Kampf davongetragen. Haarscharf waren er und seine Freunde dem Tod entkommen. Sie hatten eine große Portion Glück gehabt, dass sie heute noch am Leben waren und hier beisammen sitzen konnten.

»Du solltest auf Balthasar hören«, ermahnte Kaspar seinen Freund Niko.

»Ach, komm schon, Kaspar. Da oben erwartet uns ein Gegner, und wir sind zu fünft. Was soll da schon schiefgehen?«, sagte Niko. »Was sagst du dazu, Lars?«, sprach Niko seinen Freund an.

Lars bohrte in der Nase, während Niko auf Antwort wartete.

»Ich sehe, du denkst über meine Frage scharf nach«, zischte Niko, während er immer noch auf Antwort wartete. »Du übst wohl schon für die Beamtenprüfung? Oder willst du mal Politiker werden?«, fragte Niko scharf.

»Was?«, flüsterte Lars abwesend.

»Kennst du die Beamtenprüfung nicht, Lars?«

»Nein.«

»Die ist ganz einfach.«

»Ach ja? Und wie ist die Politikerprüfung?«, fragte Lars interessiert.

»Ist gehopst wie gesprungen.«

»Sag schon! Wie ist sie!«

»Du schaust zwei Stunden aus dem offenen Fenster und denkst an nichts und bohrst dabei ab und zu in der Nase.«

»Hast schon mal bessere Witze gemacht«, schimpfte Lars.

Balthasar reichte ein Brot herum, von dem sich jeder ein Stück abbrach – Niko nahm natürlich das Größte. Als Balthasar den Lederbeutel Wasser herumgereicht hatte, brachen sie auf. Der steile Bergpfad führte durch kahles Gelände, und sie hatten einen tollen Blick auf die Berge ringsum. Während des Aufstiegs sprachen sie nicht miteinander, sondern wanderten durch die geheimnisvolle Stille der grandiosen Bergwelt.

Nach einem langen Aufstieg hörten sie plötzlich ein Rauschen, das vermutlich von einem Wasserfall stammte. Der Pfad machte eine Biegung, und Augenblicke später bot sich ihnen ein spektakulärer Anblick. Der Pfad führte weiter geradeaus in einen Tunnel hinein, rechts vom Pfad ging es steil abwärts. Ein mächtiger Wasserfall schoss über den Tunnel hinweg, fast senkrecht den Berghang hinab. Vor dem Tunneleingang blieben sie stehen. Kaspar trat an den Abgrund und schaute in die Tiefe und sah, wie sich das Wasser in einem gigantischen Steinbecken sammelte. Von da aus floss das Wasser über den felsigen mit tiefen Rinnen durchsetzten Untergrund weiter hinab.

Niko trat an Kaspars linke Seite. »Boah, voll cool«, schwärmte er. »Schau dir das an, Kaspar!«, sagte Niko und deutete in Richtung Felsrinnen.

Nachdem das Wasser über die Felsrinnen geflossen war, sammelte es sich am Fuß des Berges zu einem reißenden Strom, der an einem mit Bäumen gesäumten Ufer vorbeifloss.

»Ein schöner Ausblick«, schwärmte auch Juana, die jetzt an Kaspars rechter Seite stand.

»Ja, es ist wunderbar«, sagte Kaspar und lächelte sie an.

Juana blieb ernst. Kaspar vermutete, dass es wegen Niko war, der still dastand und horchte.

Kaspar wandte sich Balthasar zu, der sich mehr für den Tunnel interessierte als für die schöne Landschaft. Lars stand neben Balthasar. Kaspar vermutete, dass Lars Angst hatte zu nahe an den Abgrund zu treten.

»Kommt, wir müssen weiter«, sagte Balthasar.

Kaspar und seine Freunde wandten sich nun auch dem Tunneleingang zu. Das Ende des Tunnels war nicht zu erkennen.

»Müssen wir wirklich da durch?«, zitterte Lars.

»Es ist völlig ungefährlich, Lars«, wollte Balthasar ihn beruhigen, »der Tunnel schützt uns vor dem Wasserfall.«

Einen Augenblick später traten sie in den dämmrigen Tunnel ein, der schon bald einen Knick nach links machte. Es wurde heller, denn in der rechten Felswand befanden sich große Öffnungen, durch die Tageslicht in den Tunnel eindrang. Durch die Öffnungen sahen sie, wie das schäumende Wasser in die Tief stürzte. Das tosende Geräusch des Wasserfalls ließ nach, nachdem sie den Tunnel verlassen hatten. Als der Pfad eine Linksbiegung machte, kehrte die geheimnisvolle Stille zurück.

»Komme mir vor wie auf einem Friedhof«, bemerkte Niko.

»Warum?«, fragte Lars.

»Grabesstille«, hauchte Niko.

Als die Sonne ihren Höchststand erreicht hatte, machte der Pfad noch einmal eine Linksbiegung, und endlich erreichten sie die alte Kultstätte. Auf merkwürdige Art und Weise schien es hier noch stiller zu sein als auf dem schmalen Bergpfad. Der Wind spielte mit dem Geäst der uralten Bäume, die gespenstische Schatten über sie warfen. Es schien Kaspar so, als ob die Schatten nach ihnen greifen wollten. Die fast vier Meter hohen Steinquader auf dem runden Platz vor ihnen bildeten einen Ring, in dessen Mitte sich ein Steintor befand.

»Es ist unheimlich hier«, flüsterte Lars, und Niko bestätigte ihm das mit einem schweigsamen Nicken.

Neben der Kultstätte befand sich ein gewaltiger Steinwall, hinter dem eine steile Felswand aufragte. Dort war eine breite Höhlenöffnung zu sehen. Kaspar vermutete, dass der Todbringer in dieser Höhle zu finden war. Kaspar ließ den Blick schweifen und suchte nach einem Weg, um über den Wall zu gelangen, aber er fand keinen.

»Ihr wartet bei den Steinquadern. Ich werde mir die Höhle ansehen«, sagte Balthasar.

»Viel Spaß beim Klettern«, scherzte Niko.

»Ich werde doch nicht über den Steinwall klettern«, schüttelte Balthasar den Kopf. »Das ist mir viel zu gefährlich. Die Steine sehen locker und brüchig aus«, ergänzte er.

»Und wie wollen Sie über den Steinwall kommen?«, fragte Lars.

»Mensch, Lars«, atmete Juana schwer. »Balthasar ist ein Zauberer, da wird er bestimmt eine Möglichkeit finden. Er könnte den Steinwall zum Beispiel mit einem Zauber überwinden.«

»Na, toll. Das ist ja ganz toll«, brummte Niko laut. »Dann hätte Balthasar uns ja auch hierher zaubern können, anstatt mit uns den Berg hoch zu kraxeln.«

Balthasar lachte herzlich und schüttelte den Kopf, als er sagte: »Für einen Ort zu Ort Zauber habe ich nicht die richtigen Zutaten dabei.«

»Also hätten Sie es tun können«, stellte Niko fest.

Balthasar nickte.

Niko schmollte.

Lars verzog das Gesicht.

»Aber die Zutaten für diesen Zauber sind schwer zu besorgen«, stellte Balthasar klar. »Es ist eine ganz besondere Pflanze dazu nötig, die wir vorher hätten suchen müssen. Sie muss nämlich frisch benutzt werden.«

»Hmmm«, stutzte Lars. »Warum sind wir nicht mit dem Drachen hierher geflogen?«, fragte er. »Platz dafür wäre hier ja genug.«

»Über dieser Stätte liegt ein Drachenabwehrzauber, deswegen ging es nicht«, erklärte Balthasar.

»Schade«, jammerte Lars.

»Wie wollen Sie den Wall bezwingen?«, fragte Juana gespannt.

»Ich nehme diesen Weg dort. Er führt durch den Steinwall hindurch«, grinste Balthasar freundlich und deutete nach links.

Kaspar und seine Freunde mussten sich anstrengen, damit sie den Weg erkennen konnten.

»Ich werde das Gefühl nicht los«, flüsterte Niko Kaspar zu, »dass der Zauberer uns manchmal verarschen will«, sagte er barsch.

»Was sollen wir tun, während Sie in die Höhle gehen?«, fragte Juana.

»Ihr wartet hier, bis ich euch ein Zeichen gebe, dann kommt ihr nach«, sagte Balthasar und machte sich auf den Weg.

»Der behandelt uns als wären wir noch Kinder«, knurrte Niko, als Balthasar außer Hörweite war.

»Er ist besorgt um uns«, verteidigte Juana ihn. »Außerdem sagst du doch immer wieder, dass du noch ein Kind bist«, stellte Juana klar.

»Ja, das stimmt, wir sind noch Kinder«, warf Lars ein.

»Ja, du vielleicht, Lars«, brummte Niko ihn so laut an, dass Lars einen Schritt zurücktrat.

Kaspar sah, wie Balthasar im Steinwall verschwand.

»Und nun?«, fragte Lars.

»Jetzt warten wir«, sagte Kaspar.

»Langweilig«, sagte Niko.

»Besser Langeweile haben, als in eine Falle zu tappen«, kam es von Juana.

Kaspar kramte aus seinem Rucksack etwas hervor, das in ein Tuch eingewickelt war. Unter den neugierigen Blicken seiner Freunde faltete er das Tuch auf und überreichte ihnen je ein Stück Springbockfleisch. Nikos Miene hellte sich sofort auf, als er den ersten Bissen nahm. Sie tranken Wasser aus einem ledernen Beutel. Niemand sprach ein Wort. Kaspar sah zum Steinwall, aber von Balthasar war noch immer nichts zu sehen. Es vergingen viele Minuten. Langsam machte sich Kaspar Sorgen um den Zauberer. Hoffentlich hatte der Todbringer ihm keine Falle gestellt.

»Wenn Balthasar nicht bald auftaucht, gehe ich zu ihm«, sagte Kaspar nach weiteren Minuten fest entschlossen.

»Aber er hat gesagt, dass wir hier warten sollen«, wandte Lars ein.

»Er ist schon lange fort«, sagte Kaspar.

»Ja, zu lange.« Niko kratzte sich am Kinn. »Also, ich bin auch dafür, dass wir mal nachsehen sollten, wo der Zauberer bleibt.«

»Okay«, sagte Juana, »wenn er nicht bald kommt, gehen wir zur Höhle.«

Kaspar lächelte zufrieden, als seine Freunde seinem Vorschlag zustimmten.

»Jaja, schon gut«, brummte Lars, »natürlich werde ich mit euch kommen«, sagte er, als Kaspar ihn ansah.

»Ich habe das Gefühl, dass da etwas nicht stimmt ...« Kaspar spürte eine Hand an seinem rechten Fußgelenk. Kurz darauf griff eine andere Hand nach seinem linken Fußgelenk. Ehe Kaspar reagieren konnte, fiel er bäuchlings zu Boden. Die Wucht mit der Kaspar auf dem Boden auftraf, ließ ihn Sterne sehen.

Juanas heller Schrei zerriss die Stille. Niemand hatte die Kreatur kommen sehen. Sie hatte sich lautlos herangeschlichen.

»Kacke«, schrie Niko.

»Ein Werwolf«, rief Lars. »Was sollen wir jetzt bloß tun? Wo ist Balthasar?«, winselte Lars. »BALTHASAR!«, schrie er aus voller Kehle.

»Ob das der Todbringer ist?«, fragte Niko und stolperte vor Schreck rückwärts, als die Kreatur, die einem Werwolf ähnlich sah, den Kopf hob und knurrte.

»Es muss der Todbringer sein«, hauchte Juana.

»Wo ist denn Balthasar?«, fragte Niko laut. »Verdammt! Wenn man ihn braucht, ist er nie da.«

»Der Werwolf hat ihn gefressen«, winselte Lars.

»Rede keinen Blödsinn, Lars«, sagte Niko und stutze. »Vielleicht hast du ja ...«

»Tu doch was!«, forderte Lars Niko auf. »Er wird Kaspar fressen.« Das Entsetzen stand Lars ins Gesicht geschrieben.

»Was soll ich denn deiner Meinung nach tun?«, fuhr Niko Lars an.

Juana schwieg und rannte fort.

»JUANA!«, rief Lars ihr nach. »Wo willst du denn hin?«

»Scheiße«, sagte Niko nur.

Kaspar strampelte mit den Beinen und konnte das rechte Bein aus dem eisernen Griff des Werwolfs lösen. Kaspar lag nun keuchend auf dem Rücken. Er musterte seinen Bezwinger, während er weiter strampelte und versuchte sich ganz zu befreien. Die Kreatur fletschte die spitzen Zähne, die gefährlich nahe an Kaspar herankamen.

»Ist ja eklig ... Werwolfrotz«, sagte Niko, als Schleim aus dem Maul des Todbringers auf Kaspars Kleidung tropfte. Als Juana mit einem dicken Ast angelaufen kam und ihn mit voller Wucht gegen den Hinterkopf des Todbringers schlug, konnte sich Kaspar aus dem eisernen Griff des Monsters befreien.

»Ja, das hat gesessen, Juana«, jubelte Niko.

Kaspar griff nach seinem Schwert, und die Schwertspitze deutete auf den Kopf seines Feindes.

»Komm nur«, knurrte Kaspar ihn laut an.

»Fordere ihn besser nicht heraus«, winselte Lars.

»Sei still, Angsthase«, fuhr Niko Lars an und zog ebenfalls sein Schwert.

Voller Zorn schwang Kaspar das Schwert. Als der Todbringer auf ihn zukam, sauste Kaspars Schwert seinem Gegner entgegen. Der Todbringer wich geschickt zurück. Doch Juana verpasste ihm mit einem Schwertstreich eine Wunde am Hinterbein. Der Todbringer wandte sich ihr knurrend zu und setzte zum Sprung an. Doch Kaspar war schneller und stach zu. Mit der Spitze seines Schwertes verletzte Kaspar den Todbringer am Rücken. Irritiert und zähnefletschend zog er sich ein Stück zurück.

»Da hast du dich mit den Falschen angelegt«, jubelte Niko.

Kaspar wandte sich Niko zu.

»Jetzt sind wir nicht nur Drachen- sondern auch Werwolfjäger«, sagte Niko begeistert.

»Was machen wir nun?«, fragte Lars, der nun neben Niko stand und mit zitternden Händen sein Schwert hielt.

Die pechschwarzen Augen des Todbringers nahmen Kaspar ins Visier. Er setzte zum Sprung an. Kaspar regte sich nicht. Erst als der Todbringer ihn fast erreicht hatte, duckte er sich geschwind und rollte sich nach vorne über die rechte Schulter ab. Die scharfen Krallen verfehlten ihn um Haaresbreite. Schnell war Kaspar wieder auf den Beinen und stand direkt hinter dem Todbringer. Kaspars Schwert sauste dem Todbringer entgegen, der geschickt auswich, so dass Kaspar die Schwertspitze in den Boden rammte. Kaspar und der Todbringer standen sich Auge in Auge gegenüber. Kaspar blickte kurz zu Juana, die sich rechts von ihm befand. Niko und Lars standen einige Meter hinter Kaspar.

»Nur du und ich«, zischte Kaspar seinen Feind an.

»He, was soll das, Kaspar?«, rief Niko und machte einen Schritt vorwärts. Als Kaspar ihm ein Handzeichen gab, blieb Niko stehen.

»Bist du jetzt total übergeschnappt?«, rief Niko.

Kaspar schwieg und ließ den Todbringer nicht mehr aus den Augen. Kaspar lächelte zufrieden und sagte lässig, als er sein Schwert senkte: »Kleine Überraschung.«

Niemand außer Kaspar hatte Balthasar bemerkt, der hinter dem Todbringer am Steinwall stand und seinen Zauberstab kreisen ließ. Ein leuchtend glühender Feuerball raste auf den Todbringer zu und schleuderte ihn von Kaspar und seinen Freunden fort.

»Der Zauberer lebt«, jubelte Niko. »Du hast Balthasar gesehen, nicht wahr?«, trat Niko an Kaspars Seite.

Kaspar nickte.

»Und ich dachte schon, dir wäre das Heldentum zu Kopf gestiegen«, klopfte Niko Kaspar auf die Schulter.

Kaspar lächelte.

Balthasar kam schnell näher, und wieder raste ein Feuerball dem Todbringer entgegen, der ihn jedoch dieses Mal verfehlte und knapp neben seinem Kopf in den Boden einschlug. Erde spritze dem Todbringer entgegen.

»Hier, Kaspar«, sagte Balthasar und überreichte ihm einen Lederbeutel. »Du musst den Zaubertrank unter dem Steintor verteilen. Mit deinem Schwert oder meinen Feuerbällen können wir Gohr nicht bezwingen«, erklärte Balthasar, »nur mit den beiden Zaubertränken ist dies möglich. Ich muss diesen Zaubertrank«, Balthasar hielt den anderen ledernen Beutel in der linken Hand, »über Gohr verteilen.«

Kaspar nickte und rannte zum Steintor. Balthasar näherte sich dem Todbringer und hielt ihn mit Feuerbällen in Schach. Als Balthasar vor dem Feind stand, ließ er den Zauberstab sinken.

»Was macht er denn da? KASPAR!«, rief Niko, als der Todbringer zum Sprung ansetzte und Balthasar dastand, als wäre er von einem Zauber gelähmt worden. Der Todbringer sprang. Balthasar bewegte sich geschmeidig wie eine Raubkatze. Die scharfen Krallen verfehlten Balthasars Gesicht nur um Zentimeter. Balthasars Körper kippte um fünfundvierzig Grad, ohne dass er zu Boden fiel.

»Ich bin fertig«, rief Kaspar Balthasar zu.

Der Todbringer merkte gar nicht, wie Balthasar den Zaubertrank über ihn verteilte.

»Eno esa enom«, rief Balthasar mit kreisendem Zauberstab.

Aus den Augenwinkel sah Kaspar, wie sich eine Windhose rechts von ihm bildete und auf den Todbringer zuraste. Der Todbringer versuchte zu entkommen. Vergebens. Die Windhose erfasste ihn.

Kaspar trat vom Steintor zurück. An der Stelle, an der er den Zaubertrank verteilt hatte, fing der Boden an zu brennen. Kurze Zeit später stand das ganze Steintor in Flammen. Die Windhose fegte mit dem Todbringer durch das brennende Steintor hindurch und verschwand.

»Krass«, staunte Niko.

Das Feuer erlosch langsam.

»Wo waren Sie denn nur solange?«, fragte Juana an Balthasar gewandt.

»Ich habe in der Höhle diesen goldenen Spiegel gefunden.« Balthasar hatte den leeren Lederbeutel an seinen Gürtel gehangen und hielt einen Spiegel in der Hand.

»Na toll, das ist ja wirklich ganz prima«, fauchte Niko. »Und dafür wären wir hier fast gestorben?«, schimpfte er.

»Das ist kein gewöhnlicher Spiegel«, fing Balthasar an betonte: »Es ist ein magischer Spiegel. Mit diesem Spiegel konnte Gohr Kontakt zu Drawen herstellen. Außerdem hätte Gohr den Zauberer mit diesem Spiegel befreien und ihn in diese Welt zurückholen können. Dafür musste er nur die richtige Sternenkonstellation abwarten.«

»Das wäre ja furchtbar gewesen«, sagte Juana.

Balthasar nickte.

»Der Spiegel war magisch geschützt«, fuhr Balthasar fort, »doch es gelang mir den Bann zu brechen. Leider habe ich da eine Kleinigkeit übersehen, und plötzlich war ich in einem magischen Kreis gefangen«, Balthasar sah zu Niko, »und deswegen hat es ein wenig länger gedauert.«

»Wo ist denn der Todbringer jetzt?«, fragte Lars leise und sah zum Steintor. Die Flammen waren erloschen.

Balthasar zuckte mit den Schultern.

»Er ist besiegt«, erklärte Balthasar.

»Ist er tot?«, fragte Lars vorsichtig.

»Nein«, schüttelte Balthasar den Kopf. »Gohr ist in der Leere gefangen. Von dort wird er nicht mehr zurückkehren können.«

»Hier, Kaspar, der Spiegel gehört dir.« Balthasar überreicht Kaspar den goldenen Spiegel.

»Mir?«, fragte Kaspar erstaunt.

Balthasar nickte nur.

»Was ist denn eine Leere?«, fragte Lars an Niko gewandt.

»Keine Ahnung«, antwortete Niko. »Ist auch egal, Hauptsache das Ungeheuer ist fort.«

Kaspar verstaute den goldenen Spiegel in seinem Rucksack.

»Wofür brauche ich ihn?«, fragte Kaspar an Balthasar gewandt.

»Wenn die Zeit kommt, dann wirst du es wissen«, antwortete Balthasar. »Unsere Aufgabe ist erfüllt. Wir sollten nach Feuerland zurückkehren«, schlug Balthasar vor.

»Ja«, sagte Kaspar, »aber vorher sollten wir den Bewohnern von Urta sagen, dass sie den Todbringer nicht mehr fürchten müssen.«

Balthasar nickte zufrieden.

***

Das Abenteuer in Urta war überstanden, und sie reisten am nächsten Morgen nach Feuerland zurück. Die ersten Schneeflocken fielen vom Himmel, als sie am Nachmittag Balthasars Hütte erreichten. Nox begrüßte sie vor der Hütte und wischte sich mit seinen Wurzelfingern Schneeflocken aus dem Gesicht. Er war sichtlich erleichtert, dass sie unversehrt heimgekehrt waren.

»Heute Abend bereite ich ein Festessen zu«, versprach Nox.

»Was willst du denn kochen?«, wollte Niko sofort wissen.

»Das ist eine Überraschung, mein Freund«, antwortete Nox.

Nox stand neben Niko, als er sich mit einem breiten Lächeln in einer kleinen Nebelwolke auflöste. Durch das Fenster konnten Kaspar und seine Freunde sehen, wie Nox am Herd wieder auftauchte.

»Ich muss sofort zu Nox«, sagte Niko und eilte zur Hütte.

»Warte auf mich«, rief Lars ihm nach und folgte seinem Freund schnell.

Juana lächelte Kaspar an.

»Dann gehe ich auch mal rein. Mir ist nämlich kalt.« Juana sah kurz zum wolkenverhangenen Himmel, aus dem jetzt dicke Schneeflocken fielen.

Numba war schon um die Hütte zu seinem Schlafplatz gegangen. Kaspar blieb zusammen mit Balthasar noch ein wenig draußen.

»Einen goldenen Spiegel haben wir gefunden, aber das Wichtigste haben wir noch nicht ... die goldenen Drachentränen«, sagte Kaspar.

»Geduld, Kaspar«, rügte Balthasar ihn freundlich, »auch die Drachentränen werden wir finden ... ganz bestimmt.«

»Ich könnte einen Schutzzauber gegen den Schnee aussprechen«, schlug Balthasar vor.

»Ich würde lieber die Schneeflocken spüren.«

Kaspar und Balthasar sahen noch eine Weile dem Schneetreiben zu, bevor auch sie in die warme Hütte gingen.

Kaspar - Das Geheimnis von Eduan

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