Читать книгу Kaspar - Der magische Rubinschädel - Dan Gronie - Страница 6

Alles kommt anders

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Niko und Lars standen da wie versteinert, als Numbas riesiger Drachenschädel sich aus der Dunkelheit herausschälte und über einer Baumkrone zum Vorschein kam.

Kopfschüttelnd trat Kaspar aus Balthasars bescheidener Hütte heraus und beobachtete seine beiden Freunde. Als Juana an seine Seite kam, murrte er: »Warum kommen die beiden denn nicht? Die wissen doch jetzt, dass der Drache ein Freund von Balthasar ist und ihnen nichts antun wird.«

»Es sieht so aus, als wären sie vor Angst am Boden festgefroren«, sagte Juana mit einem abwertenden Blick. »Sollen wir wieder reingehen?«, fragte sie.

»Einen Moment noch, Juana«, antwortete Kaspar, »es ist eine schöne, klare Nacht«, schwärmte er.

Kaspar hob den Kopf. Unendlich viele Sterne funkelten am Himmelsgewölbe.

»Ja«, nickte Juana und blickte ebenfalls hinauf zu den Sternen.

Die Reise nach Feuerland war beschwerlich gewesen, erinnerte sich Kaspar mit einem tiefen Atemzug. Er und seine Freunde mussten viele gefährliche Abenteuer bestehen. Sie waren auf mächtige Gegner gestoßen, gegen die sie sich behaupten mussten. Aber nicht nur Feinde waren ihnen auf ihrer Reise begegnet, sie hatten auch viele neue Freunde gefunden.

»Komm, Niko! Hier in der Hütte wird es dir bestimmt gefallen«, rief Juana in die Dunkelheit hinein und unterbrach Kaspars Gedankengang. »Und bring deinen Freund Lars mit, sonst steht er morgen früh noch dumm herum.«

Kaspar und Juana sahen zu, wie Numbas glühend rote Augen Niko und Lars ins Visier nahmen.

»Hallo, lieber Drache«, winselte Lars, und seine dünnen Beine zitterten vor Angst.

»Lieber Drache? Was soll das heißen, Menschenkind?«, brummte Numba ihn böse an. »Hast du schon mal einen lieben Drachen gesehen?«, fragte er, und sein Drachenkopf senkte sich leicht Lars entgegen.

»Ähm ... ja ... also ...«, stotterte Lars.

Schnell hob Numba den Kopf und spie ein so gewaltiges Feuer den Sternen entgegen, dass es so aussah, als würden sie gleich Feuer fangen und verbrennen. Dann senkte der Schwarzdrache wieder seinen gewaltigen Kopf, und gleichzeitig traten Niko und Lars einen Schritt zurück.

Der Drache schaute auf sie herab. »Du bist für meinen Geschmack ein bisschen zu fett – zu schwer verdaulich«, schnaufte Numba Niko an, dann wandte er sich Lars zu, »aber du, mein Junge, dein Fleisch ist bestimmt ganz zart«, fügte er hinzu, und Lars sah wie hypnotisiert auf die spitzen Drachenzähne.

»Du bist definitiv kein lieber Drache«, unterbrach Niko ihn schnell. »O, nein, ganz und gar nicht. Du bist böse – ein ganz böser Drache.« Niko zog ein grimmiges Gesicht dabei. »Ein wirklich ... wirklich ganz ... ganz böser Drache«, bestätigte er noch einmal.

»Wie kannst du nur so etwas zu ihm sagen?«, empörte Lars sich. »Er ist ein lieber ...«

»Sei endlich mal still, Lars Dumpfbacke«, fuhr Niko seinen Freund an, »genau das will der Drache bestimmt nicht hören.«

Numba schüttelte den Kopf.

»Lass Niko und Lars zufrieden, Numba«, rief Balthasar mahnend über die Köpfe von Kaspar und Juana hinweg.

»Menschenkinder«, wieder schüttelte Numba den Kopf. »Jaja, ist ja schon gut – ich werde mich dann mal besser schlafen legen.«

Numba wandte sich träge von Niko und Lars ab und ging hinter die Hütte zu seinem Schlafplatz.

»Kommt ihr jetzt oder wollt ihr draußen übernachten?«, rief Kaspar angespannt.

»Jaja, Sebastian, du hast gut reden«, rief Niko erbost, »du stehst ja auch keinem ausgewachsenen Drachen gegenüber.«

»Ich heiße hier in dieser Welt Kaspar«, rief er genervt zurück. »Oder hast du das etwa wieder vergessen?«

»Jetzt komm mir bloß nicht mit solchen Kleinigkeiten ... nicht in so einer Situation, Kaspar!«, schimpfte Niko laut, wobei er das letzte Wort stark betonte.

Und endlich kamen Niko und Lars in die Hütte.

»Boh!«, staunte Niko, und seine Augen waren weit aufgerissen.

»Alles in Ordnung mit dir, Niko?«, stutzte Kaspar besorgt, als er in das Gesicht seines Freundes blickte.

Juana winkte ab und deutet in Richtung Tisch. »Ich sagte Niko doch, dass es ihm hier gefallen wird.«

»Ich habe mir erlaubt, eine Kleinigkeit vorzubereiten«, sagte Nox, der wie aus dem Nichts in einer kleinen Nebelwolke neben Niko erschien.

»Schlaraffenland«, brachte Niko nur heraus und fasste sich an seinen dicken Bauch. »Hunger«, sagte er noch.

»Gesprächigkeit war noch nie Nikos Stärke«, flüsterte Juana Kaspar zu.

»Ich freue mich, dass es dir gefällt, Niko«, nickte Nox ihm zufrieden zu.

Aus dem Gewand des Erdgeistes, das aus sich ständig erneuernden Wurzeln bestand, wuchs aus dem rechten Ärmel eine neue Wurzel. Schlängelnd bewegte sie sich, bis zur Spitze des Zeigefingers.

»Komm, Niko, nimm dort Platz«, schlug Nox vor und tippte ihm mit dem Wurzelfinger auf die Schulter.

»Gerne«, sagte Niko schnell, und seine Augen waren ganz groß vor Gier.

»Eure Rucksäcke könnt ihr in die Ecke dort legen«, schlug Balthasar vor.

Niko zögerte einen Moment.

»Was hast du Niko?«, fragte Juana. »Etwa Angst um deinen Schatz?«

Niko hielt seinen hellen, ledernen Rucksack fest in der Hand, während Kaspar, Juana und Lars ihre Rucksäcke zusammen mit ihren Schwertern in die Ecke legten.

»Niko hat Angst um seinen Goldschatz«, wandte sich Juana an Balthasar.

»Ihr habt einen Goldschatz bei euch?«

»Ja«, nickte sie, »den Schatz haben wir auf einem Piratenschiff gefunden, zusammen mit einem goldenen Pferd und den Schwertern.«

»Auf diese Geschichte bin ich sehr gespannt. Ihr müsst sie mir gleich beim Essen erzählen«, schwärmte Balthasar.

»Wo sollen wir unsere Jacken hinlegen?«, fragte Juana und hielt ihre braune Felljacke in der Hand, die sie von Shans Großmutter bekommen hatte.

»Dort drüben, rechts neben der Tür, sind ein paar Haken«, antwortete Balthasar.

Juana und Kaspar hingen ihre braunen Felljacken und Lars seine blassblaue Felljacke an die Haken.

Niko legte endlich seinen Rucksack und sein Schwert in die Ecke und stürmte auf den Holzstuhl zu, der vor einem großen, runden Tisch stand, der fast den ganzen Raum einnahm.

»Willst du nicht deine Jacke ausziehen?«, fragte Juana ihn. »Unsere Wollhemden sind doch hier drinnen warm genug«, ergänzte sie.

Niko stand auf und ging zur Tür. Als er seine giftgrüne Felljacke in der Hand hielt, sagte er: »Das ist wirklich ein krasses Ding – scheußliche Farbe«, dann hing er seine Jacke an den Haken und setzte sich wieder an den Tisch.

»Shans Großmutter hat es nur gut mit uns gemeint, als sie uns die Kleidungsstücke besorgt hat«, verteidigte Juana sie.

»Ich hätte doch lieber meine Sachen behalten sollen, statt diese komischen Klamotten anzunehmen«, schimpfte Niko.

»Mit unserer Kleidung wären wir hier aber sofort aufgefallen.«

»Ja, ich weiß«, brummte Niko, »dann tragen wir halt dieses krasse Zeug – ist mir doch egal.«

Juana schmunzelte.

Kaspar gefielen die Kleidungsstücke. Er fand, dass Juana in der fein gewebten, braunen Hose mit weiten Beinen und dem sandfarbenen Wollhemd eine gute Figur machte. Die grob gewebten, braunen Hosen und die hellbraunen Wollhemden, die er und seine Freunde von Shans Großmutter bekommen hatten, passten ihnen wie angegossen. Nikos Jacke war schon etwas krass, das musste er ja schon zugeben. Die gewebte Unterwäsche und handgestrickten Socken waren weich und angenehm zu tragen. Wenn Niko mal nichts zu meckern hatte, dann ging es ihm nicht gut, schoss es Kaspar durch den Kopf.

»Das ist wirklich ein schöner Stein«, sagte Juana und fasste den winzigen, runden, smaragdgrünen Transkribierer an, der an einem Lederband befestigt war und um ihren Hals hing.

»Wo ist eurer?«, sprach Juana Niko und Lars an.

»Den habe ich in der Hosentasche«, antwortete Niko.

»Ich auch«, sagte Lars.

»Verliert ihn nicht«, ermahnte Juana die beiden, »denn falls wir mal getrennt werden sollten und ihr diesen Stein nicht bei euch habt, könnt ihr die Sprachen dieser Welt nicht verstehen.«

Lars hing sich den Stein sofort um den Hals. Kaspar brauchte den Transkribierer nicht. Er konnte die Sprachen in dieser Welt auch ohne diesen Stein verstehen, weil er ein Zauber-Gen in sich trug.

»Wer kommt denn noch alles zum Essen?«, wandte sich Juana Balthasar zu.

Balthasar lächelte ihr zu. »Nox hat es mal wieder zu gut gemeint.«

»Ich glaube, Niko würde das schon alles alleine verputzt bekommen«, grinste Lars. »Wir sollten aufpassen, sonst kriegen wir nichts mehr ab«, Lars machte eine ernste Miene dabei.

Balthasar lachte herzlich.

»Bist du immer noch böse auf deinen Freund?«, fragte Balthasar an Lars gewandt.

»Ach – nein, eigentlich nicht«, winkte Lars verlegen ab.

»In dieser Hütte sind wir uns in einem Traum von mir begegnet«, wandte sich Kaspar Balthasar zu. »Obwohl einiges hier im Nebel vor mir verborgen blieb, erkenne ich doch vieles wieder.«

Kaspar schaute sich um, und sah den Kamin, in dem ein loderndes Feuer brannte, den Schrank und den Schaukelstuhl den er in seinem Traum gesehen hatte. Und die Stühle auf denen sie gesessen und sich unterhalten hatten.

»Den Tisch habe ich kleiner in Erinnerung«, stellte Kaspar fest.

Nox kam mit einer Platte gegrillter Würstchen vorbeigehuscht. »Vergrößerungszauber«, warf er Kaspar an den Kopf und stellte die Platte mitten auf den Tisch.

»Was für einen Zauber?«

»Ich habe den Tisch mit einem Vergrößerungszauber belegt«, erklärte Nox schnell und verschwand in Windeseile.

»Wir sollten uns jetzt alle zu Tisch begeben«, schlug Balthasar vor.

Balthasar nahm links neben Niko Platz. Kaspar setzte sich neben Balthasar und blickte zu Juana, die sich neben ihn setzte.

Lars stand da und brummte verärgert.

»Was hast du, Lars?«, fragte Juana.

»Nichts«, schmollte er und setzte sich links neben ihr, dann sah er mit finsterer Miene nach links zu Niko.

»Wo soll denn Nox sitzen?«, fragte Kaspar.

»Ich muss kochen«, entgegnete Nox.

»Komm zu uns, Nox. Das Essen reicht vollkommen aus«, sagte Kaspar.

»Ich mach noch schnell einen Nachtisch – einen leckeren Nachtisch, den ihr unbedingt probieren müsst«, schwärmte Nox ihnen vor, »dann werde ich zu euch kommen – versprochen.«

»Es fehlt ein Stuhl«, stellte Kaspar fest.

»Dort steht noch einer.« Balthasar deutete in die Ecke neben dem Kamin.

»Ich hole ihn«, sagte Lars schnell und stand auf, schnappte sich den Stuhl mit beiden Händen, den er dann links neben seinem Stuhl abstellte.

»Danke, Lars«, rief Nox vom Herd herüber und rührte mit einem Holzlöffel in der Schüssel.

»Gern geschehen«, sagte Lars und setzte sich mit zufriedenem Gesichtsausdruck neben Juana.

»Er ist doch noch böse auf Niko«, flüsterte Balthasar Kaspar und Juana mit einem leichten Lächeln zu.

»Das wird sich bestimmt bald legen«, sagte Juana und blickte an Kaspar vorbei.

Balthasar sah sie freundlich an.

»Wir werden ja sehen«, schmunzelte Balthasar.

Niko nahm sich mit der Holzzange zwei Würste vom Teller – natürlich die Größten.

»Das Knollenpüree musst du unbedingt probieren, Niko.« Nox tauchte mit einem großen Löffel neben Niko auf und deutete auf die weiße Schüssel vor ihm. Niko nahm erwartungsvoll den Löffel entgegen.

»Das Knollenpüree sieht verdammt lecker aus«, sagte Niko, doch als er sich Nox zuwandte, war er schon wieder verschwunden und stand bereits am Herd, um den Nachtisch weiter vorzubereiten.

Niko nahm sich zwei randvolle Löffel Knollenpüree. Lars verzog die Mundwinkel.

»Typisch, Niko«, murmelte Lars, als er angewidert auf den Berg Knollenpüree auf Nikos Teller starrte.

»Hast du was gesagt, Lars, mein Freund?«, wandte sich Niko ihm langsam zu. Mit der linken Hand rückte Niko seinen Teller zurecht, während er mit dem rechten Zeigefinger kurz in der Nase bohrte.

Lars verzog wieder die Mundwinkel.

»Nö«, sagte er nur und schüttelte angewidert den Kopf.

Niko nahm sich eine dicke Scheibe Brot vom Teller und biss hinein.

Kaspar sah zu dem kleinen, runden Fenster neben der Tür. Draußen war es mittlerweile stockfinster geworden. In der Hütte spendete ein Kronleuchter, der über dem Tisch an der Decke hing und mit zehn Kerzen bestückt war, ein angenehm warmes Licht.

»Du hast wirklich sehr gut gekocht«, lobte Juana Nox, der sich vom Herd abwandte und zu Juana freudig sagte: »Danke, junges Fräulein.«

Niko grinste.

Und nun grinste auch Lars.

»Junges Fräulein«, lachte Niko.

Und nun lachte auch Lars.

»Oh – ich hoffe, ich habe nichts falsches gesagt?«, Nox wurde verlegen. »Ich habe das Wort in der Menschenwelt aufgeschnappt.«

Juana winkte ab. »Nein, Nox, du hast nichts falsches gesagt«, sagte Juana und warf Niko und Lars einen finsteren Blick zu. »Die beiden sind bloß ein bisschen albern. Nicht wahr, Kinder?«, betonte Juana die letzten Worte hart.

»'tschuldigung, Juana«, sagte Niko und nahm sich gleichzeitig gebratene Pilze von einem Teller.

»'tschuldigung, Juana«, sagte auch Lars, dann wandte er sich Niko grinsend zu und flüsterte: »Junges Fräulein.«

Wieder lachten die beiden los.

»Ich habe ja eben zu Ihnen gesagt, dass sich der Streit der beiden bald legen wird«, sagte Juana an Balthasar gewandt.

»Und jetzt bist du mit den beiden böse?«, fragte Balthasar.

»Ich bin ja kein Kind mehr«, betonte Juana wieder. »Von mir aus können die beiden 'rumalbern so viel sie wollen«, sagte sie abwertend und zog dabei die rechte Augenbraue hoch, als sie zu Niko und Lars blickte.

»So, der Nachtisch kann alleine vor sich hin köcheln.« Nox kam und nahm zwischen Niko und Lars Platz.

Lars sah aus dem etwas größeren Fenster, das hinter Balthasar war, und schrie erschrocken auf: »Draußen brennt es!«

Balthasar wandte sich in Seelenruhe dem Fenster zu.

»Numba hat wohl wieder einen Alptraum«, klärte er Lars auf.

»Hoffentlich steckt der blöde Drache dabei nicht die Hütte an«, schimpfte Lars.

»Lars, wie kannst du nur so etwas sagen!«, ermahnte Juana ihn und strafte ihn mit einem lehrerhaften Blick.

»Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen«, fing Balthasar an, »ja, das Dach stand lichterloh in Flammen. Du musst wissen, Lars, es war wirklich ein Versehen von Numba. Er hat in dieser Nacht sehr schlecht geträumt.«

Niko fiel vor Schreck die Wurst von der Holzgabel.

»Aber keine Angst«, sagte Balthasar, »ich habe mit einem Zauber vorgesorgt, dass dies nicht mehr geschehen kann.«

Ein Feuerstrahl schoss dem Fenster hinter Balthasar entgegen – Lars sprang vom Stuhl empor – das Feuer wurde noch vor der Hütte umgelenkt, so als würde es von einer unsichtbaren Glaswand aufgehalten.

»Nimm wieder Platz, Lars«, nickte Balthasar ihm freundlich zu. »Wie du siehst, ist mein Zauber stärker als Drachenfeuer.«

Balthasar wandte sich Kaspar und seinen Freunden zu.

»So jetzt will ich aber alles über das Piratenabenteuer erfahren«, forderte Balthasar sie auf, und so begann ein unterhaltsamer Abend, an dem Balthasar nicht nur von dem Piratenabenteuer erfuhr, sondern auch von all ihren Abenteuern, die sie bisher in der Anderen-Welt erlebt hatten.

Balthasar wandte sich Kaspar zu.

»Jetzt zu dir, Kaspar. Du weißt ja schon einiges über meine Welt und über mich. Du hast ja schon erfahren, dass in meiner Welt der schwarzmagische Zauberer Drawen die Macht über alle Königreiche und alle Zauberwesen wie Elfen, Feen und Zwerge, sowie die Drachen an sich reißen will.« Balthasar machte eine Pause und trank einen Schluck, während Kaspar ihm schweigsam zunickte, dann fuhr Balthasar fort: »Aber du kennst noch nicht das ganze Gebilde – wie es sich zusammenfügt.«

Kaspar schüttelte den Kopf.

»Also, ich habe einen Weg gesucht, um das bevorstehende Unheil abzuwenden und fand mit Hilfe eines Orakels heraus, dass in der Menschenwelt ein Junge namens Sebastian Kaspar Addams geboren wurde, der das Zauber-Gen in sich trägt und somit die Kraft besitzt, zusammen mit mir, Drawens Macht zu brechen«, schweifte Balthasar ab. »Dann habe ich Nox, der die Fähigkeit besitzt in die Menschenwelt zu reisen, mit einer Botschaft zu dir geschickt ...«

»Das wissen wir doch alles schon«, flüsterte Niko an Nox vorbei Lars zu, »der soll endlich mal auf den Punkt kommen ...«

Balthasar sah mit ernster Miene zu Niko, der sofort schwieg, dann wandte er sich wieder Kaspar zu: »Du hast eine magische Karte mit der du von deiner Welt in meine reisen kannst. Außerdem bringt dich die Karte an Orte, an denen du Schätze finden wirst ...«

»Ja, genau«, unterbrach Kaspar, »ich habe ein goldenes Pferd gefunden und von meinem Großvater habe ich eine goldene Kugel bekommen ... aber ich weiß nicht, was ich damit machen soll.«

»Diese Schätze brauchst du, damit du bestimmte Aufgaben lösen kannst«, erklärte Balthasar.

Kaspar sah kurz zu Niko, der schmatzend an einem hühnerartigen Schenkel knabberte, bevor er fragte: »Was sind das für Aufgaben? Ich denke, ich bin hier, um gegen Drawen anzutreten.«

»Lass alles auf dich zukommen, Kaspar, und denke nicht zu viel darüber nach, was geschehen oder nicht geschehen wird. Ich weiß auch nicht auf alles eine Antwort und in die Zukunft blicken kann ich nicht.«

Kaspar nickte.

»Woher soll ich wissen, wohin ich reisen muss, um die Schätze zu finden, die ich dann irgendwann für irgendetwas brauchen werde?«, fragte Kaspar aufgewühlt.

Balthasar zuckte mit den Schultern.

»Nimm dir noch ein Stück Fleisch, Kaspar«, sagte Niko, »und denk nicht so viel über das nach, was kommen wird.«

»Ja, denke lieber daran, dir den Bauch vollzustopfen«, höhnte Lars.

»Das hier ist ein vorzügliches Essen, Lars. Du solltest es genießen, bevor wir wieder auf Reisen gehen«, sagte Niko in ruhigem Ton.

»Sie wissen auch nicht, was meine nächste Aufgabe ist?«, fragte Kaspar an Balthasar gewandt und nahm sich eine Wurst vom Teller.

»Nein«, sagte Balthasar knapp. »Ich bin ein Zauberer und kein Wahrsager«, ergänzte er.

Lars warf den Kopf in den Nacken und fuhr vor Schreck zusammen, als ein weiterer Feuerstrahl auf das Fenster zuraste und wieder von Balthasars Abwehrzauber zurückgehalten wurde.

»Was werden wir nun machen?«, fragte Kaspar an Balthasar gewandt.

»In einer Vision ist mir der Ort Urta erschienen«, fing Balthasar an. »Vielleicht sollten wir uns dort einmal umsehen.«

»Und was glauben Sie, werden wir in Urta finden?«, fragte Juana vorsichtig.

»In meiner Vision bin ich Gohr begegnet.«

»Wer ist Gohr?«, wollte Lars wissen, als Balthasar den Namen in den Raum stellte, ohne näher auf ihn einzugehen.

»Das willst du bestimmt nicht wissen, Lars.« Niko sah an Nox vorbei und grinste Lars an.

»Meinst du, ich hätte lieber nicht nachfragen sollen?«, fragte Lars ängstlich.

Niko nickte.

»Gohr ist ein Todbringer«, erklärte Balthasar.

»Was ist denn ein Todbringer?«, hauchte Lars mit zittriger Stimme.

»Hey, Lars«, brummte Niko und warf Lars einen strengen Blick zu. »An deiner Stelle würde ich nicht zu viele Fragen stellen.«

»Er ist ein Verbündeter von Drawen«, sagte Balthasar.

Kaspar wartete auf eine weiterführende Erklärung, die aber nicht kam. Kaspar wandte sich Juana zu. Sie zog die Augenbrauen hoch und zuckte mit den Schultern.

»Ich gehe dann mal den Nachtisch holen«, lenkte Nox ab. Nebel hüllte seinen Körper ein und schon war er verschwunden.

Lars wandte sich Niko zu und beugte sich vor. »Ich glaube, der Zauberer weicht meinen Fragen aus«, flüsterte er.

»Ja, das tut er«, bestätigte Niko ihm.

»Ob ein Todbringer etwas gefährliches ist?«, fragte Lars.

»Ich denke – nein, ich weiß es – mit Sicherheit ist er sehr gefährlich«, antwortete Niko leise. »Sonst würde er doch Lebensbringer oder Freudenbringer heißen – aber nicht Todbringer«, flüsterte er Lars zu.

Kaspar musste an seinen Großvater denken, der sich bestimmt schon große Sorgen um sie machen würde. Er und seine Freunde waren schließlich schon einige Tage von zu Hause fort. Mit Sicherheit hatte Großvater schon seine Eltern und die Eltern seiner Freunde benachrichtigt.

»Unsere Eltern machen sich bestimmt schon Sorgen um uns«, warf Kaspar plötzlich ein.

»Wir können den Todbringer ja ...«, hörte Kaspar Niko sagen, dann fragte Niko ihn: »Was hast du da gerade gesagt?«

»Ich sagte, dass unsere Eltern sich bestimmt schon große Sorgen um uns machen. Wir sind schon lange von zu Hause fort.«

»Die kommen schon ohne uns klar«, winkte Niko ab.

»Wir sollten in unsere Welt zurückkehren, bevor wir nach Urta reisen«, stand Lars Kaspar bei.

Kaspar wandte sich Juana zu, die etwas sagen wollte, doch Balthasar kam ihr zuvor: »Ihr braucht euch keine Gedanken darum zu machen, denn ... wie soll ich es erklären? Die Zeit in eurer Welt ist von der Zeit in meiner Welt getrennt ...«

Alle warteten auf eine weiterführende Erklärung des Zauberers – vergebens.

»Können Sie das etwas konkretisieren?«, fragte Juana nach.

»Natürlich«, nickte Balthasar. »Also, wenn eine gewisse Zeit in meiner Welt vergangen ist –«

Balthasar überlegte.

»– also, unserer beiden Welten sind ...«

»... temporal voneinander getrennt«, rief Nox von der Küche aus.

»Und was bedeutet das nun für uns?«, wollte Lars von Balthasar wissen.

»Also, wenn hier Tage vergangen sind, heißt das nicht, dass in eurer Welt auch Tage vergangen sind«, erklärte Balthasar.

»Sind Sie sich da auch völlig sicher?«, hakte Lars nach.

Balthasar zuckte mit den Schultern und sprach langsam: »Das war nicht ganz richtig, was ich eben gesagt habe. Ich hätte es euch vielleicht anderes erklären sollen. Es ist eigentlich ganz einfach ...«

»Ist schon gut, Balthasar«, unterbrach Kaspar den Zauberer. »Wir müssen sowieso hierbleiben, denn ich kann die magische Karte nicht kontrollieren.« Kaspar atmete schwerfällig. »Also, bleibt uns ja gar nichts anderes übrig«, ergänzte er.

»Dann ist ja alles geklärt. Wir bleiben hier«, sagte Niko erleichtert. »Da kriegt man ja Kopfschmerzen, wenn man über das Zeitparadoxon nachdenkt«, schüttelte Niko den Kopf.

»Macht euch da mal nicht so viele Gedanken darüber«, rief Nox von der Küche aus, »wenn ihr in die Menschenwelt zurückkehrt, werdet ihr so ziemlich genau an dem Zeitpunkt ankommen, an dem ihr die Menschenwelt verlassen habt, so ist das nämlich und nicht anders.«

»Ja, genauso hätte ich es euch auch erklären sollen. Es ist die magische Karte, die euch an den Ausgangspunkt zurückbringt«, ergänzte Balthasar.

»Wenn wir nach Hause gehen, kehren wir also an den Zeitpunkt zurück, an dem wir unsere Heimat verlassen haben?«, wollte Kaspar noch einmal bestätigt bekommen.

»Ja, genauso ist es«, antwortete Nox, »die magische Karte sorgt dafür«, bestätigte Nox.

»Dann ist ja alles in Butter«, jubelte Niko.

Balthasar wandte sich Niko zu. Kaspar sah, das dem Zauberer eine Frage auf der Zunge lag.

Doch Niko kam der Frage zuvor und sagte: »Ich meinte, es ist alles in Ordnung! Alles bestens!«

»Ach so«, sagte Balthasar lächelnd.

»Und cool ist, dass wir nicht älter werden«, gab Niko fröhlich von sich.

»Wie kommst du denn darauf?«, fragte Nox von der Küche aus.

»Wir kehren doch an den Zeitpunkt zurück, an dem wir von zu Hause fortgegangen sind. Also, altern wir nicht, oder?«, stutzte Niko.

»Wenn das so einfach wäre, würde ich nur noch zwischen meiner Welt und der Menschenwelt hin und her reisen«, antwortete Nox lachend. »Natürlich werdet ihr älter«, schüttelte Nox den Kopf.

»Ja, aber ...«, fing Niko an.

»Mit dieser Tatsache musst du dich abfinden, Niko«, fiel Juana ihm ins Wort.

»Ja, muss ich wohl. Schade«, stöhnte Niko.

»Funktioniert die magische Karte wirklich nur bei Vollmond?«, fragte Lars an Balthasar gewandt.

»Ja, wenn ihr von der Menschenwelt in die Andere-Welt reisen wollt und umgekehrt, geht das nur bei Vollmond ... und«, antwortete Balthasar und überlegte kurz, »der Hüter dieser magischen Karte kann damit natürlich auch in meiner Welt von Ort zu Ort reisen ...«

»Also, brauchen wir hier keinen Vollmond, um mit dieser Karte reisen zu können?«, unterbrach Niko.

»Doch, einen Vollmond braucht ihr dazu. Eines Tages wird Kaspar die magische Karte kontrollieren können, aber dazu muss er lernen sie zu beherrschen, das ist nicht so einfach«, Balthasar atmete tief ein, »Kaspar wird es spüren, wenn es soweit ist, denn er und die Karte sind miteinander verbunden.«

Niko kratzte sich am Kopf.

Lars zog die Augenbrauen hoch.

Juana überlegte angestrengt, und Kaspar fragte: »Wie werde ich es spüren?«

Balthasar zuckte mit den Schultern.

»Ich habe die ganze Zeit geglaubt, dass man mit der magischen Karte nur zwischen den Welten hin und her reisen kann«, staunte Kaspar.

Balthasar lächelte wissend und bestätigte Kaspar noch einmal: »Du kannst sie in meiner Welt benutzen. Nun, ja, im Augenblick entscheidet die Karte, wohin die Reise geht.«

»Da kriegt man ja auch Kopfschmerzen, wenn man über dieses Paradoxon nachdenkt«, schüttelte Niko den Kopf.

Balthasars Miene war ernst, als er sagte: »Morgen werden wir zusammen nach Urta reisen.«

Niko atmete schwer.

»Die ganze Lauferei geht mir allmählich auf die Nerven«, sagte Niko laut.

»Wer sagt denn, dass wir laufen werden?«, sagte Balthasar und lächelte wieder.

»Wie werden wir denn reisen? Mit einem Wegzauber, oder durch ein Portal, oder werden wir ...«, fragte Niko hastig mit neugierigem Blick.

»Weder das Eine noch das Andere«, antwortete Balthasar langsam. »Wir werden fliegen.«

»Womit sollen wir den fliegen?«, schüttelte Lars den Kopf. »Also, ich habe hier noch kein einziges Flugzeug gesehen.«

Niko wurde bleich im Gesicht.

»Was hast du, mein Freund?«, fragte Lars erschrocken.

»Ich ahne schon, was uns Balthasar gleich auf deine bescheuerte Frage antworten wird.«

»Wieso ist meine Frage bescheuert?«

»Numba wird uns nach Urta bringen«, erklärte Balthasar in ruhigem Ton.

»Na, Lars, beantwortet das deine Frage?«, warf Niko ihm an den Kopf.

»Was? Wir sollen mit dem Monster da fliegen?«, Lars deutete auf das Fenster hinter Balthasar, das wieder hell aufleuchtete, als ein weiteres Drachenfeuer ihm entgegenschoss.

»Ja«, nickte Balthasar und sagte: »Numba wird uns sicher nach Urta bringen.«

Juana hatte es die Sprache verschlagen. Sie sagte kein Wort mehr.

»Werden wir nicht herunterfallen?«, fragte Kaspar.

»Davor brauchst du keine Angst zu haben, Kaspar«, antwortete Balthasar gelassen. »Es ist völlig ungefährlich, solange mein Zauber über uns wacht.«

»Also, hat die ganze Sache doch einen Haken«, flüsterte Lars Niko zu. »Wenn Balthasars Zauber erlöschen sollte, während wir dort oben irgendwo zwischen den Wolken auf dem Drachen sitzen, fallen wir herunter.«

Niko schwieg. Seine Gesichtsfarbe war aschfahl vor Angst.

»Müssen wir denn wirklich nach Urta?«, fragte Kaspar.

»Ich denke schon«, fing Balthasar an, »auf jeden Fall ... ich habe euch ja noch nicht alles erzählt«, sagte er, fuhr sich mit der Hand durch seinen langen Bart und sah kurz zu Niko, bevor er sich wieder Kaspar zuwandte. »Was uns in Urta erwarten wird und was wir vielleicht finden werden, weiß ich nicht«, gab Balthasar zu, »aber eins kann ich euch sagen, es wird uns bei der Suche nach den goldenen Drachentränen behilflich sein.«

»Boh, goldene Drachentränen«, donnerte Niko los, »die sind bestimmt sehr wertvoll«, sagte er und spitzte die Ohren.

»In der Tat«, sagte Balthasar, »sie sind unbezahlbar.«

Es wurde still am Tisch.

»Aber noch hat niemand eine goldene Drachenträne gefunden – sie sind nur eine Legende«, rief Nox von der Küche aus.

»Dann werden wir eben die Ersten sein, die sie finden werden«, rief Niko zurück.

»Wofür brauchen wir denn die goldenen Drachentränen?«, fragte Kaspar.

»Mit ihnen können wir Drawen ein für allemal besiegen«, antwortete Balthasar. »Drawen ist zwar noch in der Zwischenwelt gefangen, aber ich denke, dass er eines Tages einen Weg finden wird, um sie zu verlassen«, ergänzte er.

»Okay«, sagte Juana, »dann sollten wir sie unbedingt finden.«

»Das denke ich auch«, sagte Kaspar.

»Ja«, nickte Niko.

»Ich weiß nicht«, kam es von Lars.

»Was weißt du nicht?«, fuhr Niko ihn an.

»Na, das wird bestimmt eine gefährliche Suche werden«, brachte Lars stotternd hervor.

»Na und«, zuckte Niko mit den Schultern, »dann wird sie halt gefährlich.«

»Du hast ja nur das Gold vor Augen, Dicker«, fuhr Lars ihn an.

»Pass auf, was du sagst, Storchbein!«

»Hört auf zu streiten!«, befahl Kaspar.

Niko und Lars schwiegen, als Balthasar sagte: »Morgen werden wir nach Urta reisen und dann sehen wir weiter.«

»Warum sagt er nicht gleich, dass wir fliegen werden?«, flüsterte Lars Niko zu.

»Weil du ein kleiner Hosenscheißer bist«, fuhr Niko ihn barsch an.

»NIKO!«, ermahnte Juana ihn laut.

Es wurde wieder still am Tisch.

»'tschuldigung, Lars«, wandte Niko sich kleinlaut Lars zu.

Nox kam zurück, nahm zwei leere Schüsseln vom Tisch und ging. Mit einem kleinen Kupferkessel kam er zurück.

»So, hier ist der Nachtisch – der ist wirklich vorzüglich – es ist mein Lieblingsnachtisch«, gab Nox begeistert zu. »Lasst es euch schmecken, meine Freunde.« Nox verteilte kleine Holzschalen und Holzlöffel.

Niko lugte neugierig über den Kesselrand.

»Sieht aus wie Grünrotzpudding«, sagte er barsch.

»Niko, du bist unverschämt ... du ... du«, warf Juana ein und fand nicht die richtigen Worte.

»Tut mir leid, Nox. Wollte dich nicht beleidigen«, sagte Niko mit gesenktem Blick und kratzte sich verlegen am Nacken.

»Jaja, schon gut, Niko. So langsam kenne ich dich ja und deine Bemerkungen auch«, leierte Nox herunter. »Jetzt probiert die Creme. Sie muss heiß gegessen werden, sonst schmeckt sie nicht mehr.«

Niko nahm sich eine Kelle voll.

»Also, sollten wir nicht besser nach Urta laufen?«, fragte Niko vorsichtig.

»Ich will auch lieber laufen«, warf Lars ein.

»Nein, das dauert viel zu lange«, schüttelte Balthasar den Kopf.

»Jetzt stellt euch nicht so an«, schimpfte Juana. »Balthasar würde uns doch keiner Gefahr aussetzen.«

»Ach, nein«, brummte Lars. »Und was ist mit dem Todbringer? Ist der etwa keine Gefahr für uns?«

Juana schwieg.

»Die Creme ist gut, Nox«, lobte Kaspar ihn. »Ihr solltet sie endlich probieren«, wandte er sich Niko und Lars zu.

Niko seufzte. »Okay.«

»Worauf wartest du denn noch?«

Niko starrte auf seine volle Schale. »Okay, dann mal los! Löffel voll und rein damit«, leierte er herunter.

»Und?«, fragte Kaspar, als Niko einen Löffel gegessen hatte.

»Schmeckt gut.«

Niko löffelte seine Schale leer und kleckste dabei seine grob gewebte, braune Hose voll.

»Das kannst du dir leicht mit etwas Wasser wieder auswaschen«, sagte Nox und stand auf, um den Tisch abzuräumen.

»Warte, Nox, ich helfe dir«, sagte Juana.

»Warum zauberst du den Tisch nicht einfach leer?«, fragte Niko.

»Ja, ein Tischlein-Abräumzauber«, lachte Lars und aß den letzten Löffel Creme.

»Das ist gut, Lars«, lachte Niko. »Tischlein-Abräumzauber«, wiederholte er.

Nox winkte ab und schon stand er in der Küche.

»Nach dem Essen brauche ich etwas Bewegung«, rief Nox.

»Das würde dir sicherlich auch nicht schaden, Niko«, warf Juana ihm an den Kopf.

Niko seufzte. »Nach dem Essen brauche ich erst einmal ein wenig Ruhe.«

Juanas Blick traf Niko wie ein Hammerschlag.

»Faulpelz«, schimpfte sie und ging mit vollen Händen zu Nox.

»Wo sollen wir denn diese Nacht alle schlafen?«, fragte Lars und sah sich um.

»Nebenan wird Nox uns ein Lager einrichten.« Balthasar deutete auf eine kleine Tür.

»So richtig mit Lagerfeuer und so?«, schwärmte Lars.

»Wenn du ein Lagerfeuer haben möchtest ...«

»Ja«, unterbrach Lars lautstark.

»Nox wird sich gleich darum kümmern.«

»Prima«, schwärmte auch Niko, wandte sich Lars zu und hob den Daumen. »Hast du gut gemacht, Lars«, lobte Niko ihn.

***

Sie saßen um ein gemütlich prasselndes Lagerfeuer. Balthasar hatte die Feuerstelle mit einem Entqualmungszauber belegt, so dass der aufsteigende Rauch sich nicht im Raum ausbreiten konnte, sondern sofort über der Feuerstelle verschwand.

Kaspar unterhielt sich mit Balthasar, Juana sprach mit Nox und Niko mit Lars.

»Wie gefällt es dir in meiner Welt, Kaspar?«, fragte Balthasar.

»Sie ist wunderschön«, antwortete Kaspar, »aber auch sehr gefährlich«, zögerte er.

»Ist es nicht genau das, was du vom Leben erwartet hast?«

»Was meinen Sie?«

»Dein größter Wunsch war es doch schon immer, magische Welten zu entdecken.«

»Ja, das schon, aber ...«

»Aber, was?«

»Ich habe von magischen Welten und Abenteuern geträumt. Ich wollte das Ungewöhnliche entdecken, aber ...«, Kaspar atmete durch, »... ich wollte niemals dabei mein Leben riskieren.«

»Tut es dir leid, dass du hier bist?«

»Nein.«

»Willst du lieber wieder nach Hause? Es gäbe da vielleicht doch noch eine Möglichkeit, wie du und deine Freunde ...«

»He, was soll das?«, fuhr Niko dazwischen. »Da haben wir ja auch noch ein Wörtchen mitzureden.«

Balthasar horchte.

»Wir werden unsere Aufgabe zu Ende bringen«, sagte Niko energisch. »Nicht wahr, Kaspar?«, fragte er vorsichtig.

Kaspar nickte ihm zu.

»Natürlich werden wir das tun«, antwortete Kaspar leise.

»Wir können doch jetzt nicht nach Hause gehen«, wandte Juana ein.

»Nein, das tun wir nicht«, sagte Lars. »Einer für alle ...«, rief Lars.

»... und alle für einen«, beendete Niko den Satz. »Ja, zusammen besiegen wir alle Feinde ... und alle Drachen«, brüllte Niko.

»Einen Drachen kannst du nicht so einfach besiegen«, fing Balthasar an, »da gehört schon ein wenig Köpfchen zu.«

»Dann ist das nichts für Niko«, warf Juana ein.

»Jaja, gib's mir nur – hau auf mich drauf, Juana«, brummte Niko und stocherte mit einem kleinen Ast im Feuer.

Juana schwieg.

»Wenn du zum Beispiel einen Zwergdrachen besiegen willst, musst du ihm das Feuer nehmen«, erklärte Balthasar und schwieg, als er in das Lagerfeuer starrte.

»Und wie macht man das?«, wollte Kaspar wissen.

»Was?«, fragte Balthasar geistesabwesend, wandte sich vom Lagerfeuer ab und Kaspar zu.

»Dem Zwergdrachen das Feuer nehmen.«

»Ach so, das«, antwortete Balthasar rasch, »unter seinem langen Drachenhals gibt es ein kleines, graues Mal, wo er verletzlich ist. Genau dort musst du mit einem Schwert oder Dolch hinein stechen, damit nimmst du ihm das Feuer«, erklärte Balthasar.

»Das ist ja einfach«, höhnte Niko, »man braucht nur unter seinem Drachenhals zu treten und zuzustoßen.«

»Ich habe nicht gesagt, dass es einfach ist, Niko«, entgegnete Balthasar.

»Stirbt der Drache an dem Stich?«, fragte Lars.

»Nein«, schüttelte Balthasar den Kopf, »du hast ihm dann nur das Feuer genommen. Und noch etwas, Kaspar, nehme dich vor Zwergdrachen in Acht, die ein rotes Mal auf ihrer Drachenstirn haben, sie dienen dem Zauberer Drawen. Wenn du so einen Drachen zu Gesicht bekommst, dann hat Drawen ihn vermutlich geschickt, um dich zu töten.«

Kaspar schwieg und musste die Worte von Balthasar erst einmal verdauen.

»He, Kaspar, du siehst ein wenig müde aus«, sprach Niko seinen Freund an.

»Bin ich auch.«

Nox legte ein Holzstück ins Feuer.

»Nun, ja«, sagte Balthasar. »Ich glaube, ich werde auch so langsam schläfrig.«

»Also, ich bin noch wach«, sagte Niko munter.

»Ich auch«, kam es von Lars.

Juana schwieg immer noch.

Alle Blicke ruhten auf Nox.

»Was habt ihr?«, fragte Nox.

»Willst du schon schlafen gehen, Nox?«, flüsterte Lars so leise, als befürchtete er, Nox könnte seine Frage hören.

»Was hast du mich gefragt, Lars?«

»Willst du in die Heia gehen?«, fragte Niko an Nox gewandt.

»In die was?« Nox schüttelte verständnislos den Kopf, als Niko ihm eine kurze Erklärung gab. »An die menschliche Ausdrucksweise muss ich mich noch gewöhnen. Also zu eurer Frage: Ich bin ein Erdgeist, Menschenkinder«, erklärte er, »und als solcher brauche ich nicht viel Schlaf.«

Niko zog die Schultern hoch.

»Ist er jetzt nun müde oder nicht?«, flüsterte Lars, als Nox losging, um noch ein Holzstück zu holen.

»Keine Ahnung, Lars«, antwortete Niko.

Nox tauchte in einer kleinen Nebelwolke, direkt neben dem Lagerfeuer wieder auf und legte ein Stück Holz ins Feuer.

»Pass auf, dass du dir deine Wurzelfinger nicht verbrennst«, scherzte Niko.

»Die sind Feuerfest.«

»Oh, tatsächlich?«, staunte Niko.

Nox nickte ihm zu.

»Ich werde mich jetzt schlafen legen«, sagte Balthasar. »Ihr könnt ja noch etwas hier sitzen bleiben, aber denkt daran, dass wir morgen einen anstrengenden Tag vor uns haben.«

Kaspar nickte.

»Ein Stündchen halten wir noch durch«, war sich Niko sicher.

»Ja«, sagte Lars. »Was ist mit dir, Juana?«, fragte er.

»Ich bleibe auch noch etwas auf.«

Balthasar legte sich etwas abseits vom Lagerfeuer schlafen.

»Schlaft gut«, sagte er noch.

»Ich finde es urgemütlich hier«, stellte Niko fest.

»Ich auch«, bestätigte Lars ihm und legte die Hand auf den Schwertgriff.

»Sollten wir die Schwerter nicht wieder ablegen?«, fragte Juana.

»Nein«, schüttelte Niko den Kopf, »die gehören dazu, wenn wir um ein Lagerfeuer sitzen.«

»Und die Rucksäcke auch?«, fragte Juana.

»Ja«, nickte Niko, »sollen wir sie etwa nebenan liegen lassen – ohne Aufsicht?«

»Wer sollte sie denn hier schon stehlen?«, verzog Juana das Gesicht.

»Weiß nicht«, zuckte Niko mit den Schultern, »aber dass sie hier bei uns liegen, kann ja auch nicht so verkehrt sein.«

Kaspar gähnte.

»Du wirst doch wohl nicht schlapp machen, Kumpel?«, sprach Niko ihn an.

»Nein«, sagte Kaspar mit halb geschlossenen Augen, »aber lange bleibe ich auch nicht mehr auf.« Halt endlich mal die Klappe, Niko!, dachte Kaspar. Bitte, rede nicht soviel.

»Ich gehe etwas nach draußen«, sagte Nox.

»Wo willst du denn hin?«, fragte Juana.

»Ich sehe mal nach Numba«, antwortete Nox, »dann bis gleich, Freunde.«

»Bis nachher, Nox«, sagte Juana.

Kaspar runzelte die Stirn, als er Niko ansah. »Was heckst du aus, Niko?«

»Nichts.«

»Ach, komm, sag schon!«, forderte Kaspar ihn auf.

»Ich hecke nichts aus, Kaspar. Ich mache mir nur große Sorgen wegen«, fing Niko an, »morgen«, betonte er.

»Hast du Angst mit einem Drachen zu fliegen?«

»Ja.«

Kaspar lächelte.

»Du etwa nicht?«

»Doch ... natürlich habe ich auch Angst«, gab Kaspar zu, »aber nur ein bisschen.«

»Balthasar wird schon auf uns aufpassen«, mischte sich Juana ein.

»Wo ist eigentlich deine magische Karte?«, fragte Lars.

»Hinter mir, unter meinem Rucksack«, antwortete Kaspar und griff nach dem ledernen Köcher, in dem er die Karte aufbewahrte. Er öffnete den Köcher und holte das dunkelbraune Pergament heraus.

»Ich hätte nie gedacht, dass mein Leben sich einmal total verändern würde ...«, fing Kaspar an.

»Du meinst unser Leben«, unterbrach Juana ihn.

»Ja«, nickte Kaspar und rollte die Karte auf.

Kaspar, Juana, Niko und Lars rückten näher zusammen.

»Fantastisch«, sagte Juana mit glänzenden Augen, als sie einen Blick auf die magische Karte warf.

»Ja«, hauchte Lars, »pass aber auf, Kaspar, dass du sie nicht aktivierst.«

»Du bist mir vielleicht ein Angsthase, Lars«, lachte Niko laut. »Wenn die Karte funktionieren soll, brauchen wir einen Vollmond«, stöhne Niko. »Schau mal aus dem Fenster. Siehst du einen?«, sagte er noch.

Lars warf einen vorsichtigen Blick zum Fenster. »Kein Vollmond.« Lars Stimme klang erleichtert.

»Nox bleibt aber lange fort«, stellte Juana fest.

»Vielleicht war er ja doch müde und wollte es nur nicht zugeben«, lachte Niko. »Jetzt liegt er bei Numba und schläft.«

Kaspar blickte auf die fremdartigen Symbole am Kartenrand.

»Was sie wohl bedeuten mögen?«, fragte er in die Runde.

Juana wandte sich Kaspar zu. »Du kannst ja Balthasar morgen danach fragen.«

Kaspar berührte die Sonne rechts oben auf der Karte und sah zur Mitte, wo sich ein großes, halbrundes Tor befand, das geschlossen war.

»Lass die Finger von der Karte!«, fuhr Lars ihn scharf an.

»Sag ›bitte‹.«

»Mach jetzt keine blöden Sprüche, Kaspar«, ermahnte Lars ihn.

»Ist schon gut, Lars. Reg dich ab.« Kaspar nahm den Finger von der Karte.

»Seht!« Lars erschrak.

Ein kurzer Windstoß streifte Kaspars lockigen, rotbraunen Haare und wirbelte sie durcheinander.

»Das ist Magie«, flüsterte Niko.

Unter dem geschlossenen Weltentor befanden sich drei Symbole: die goldene Kugel, das goldene Pferd und das Fläschchen mit dem magischen Gebirgswasser, die plötzlich leuchteten.

»Berühre bloß nicht das Tor, Kaspar!«, ermahnte Lars ihn.

Gleichzeitig fingen drei Symbole am rechten Kartenrand an zu leuchten. In dem runden weißen Feld über dem Tor tauchte plötzlich ein Königspaar auf.

»Wer ist denn das?«, fragte Juana erstaunt.

»Ist mir doch egal, wer das ist«, fuhr Lars sie energisch an. »Leg endlich die Karte weg, Kaspar! SOFORT

»Es ist doch kein Vollmond, Kumpel«, leierte Niko herunter. »Es kann nichts passieren.«

»Mir egal. Leg sofort die Karte weg!«

»Sieh her, Lars«, sagte Niko und schnappte sich Kaspars Zeigefinger, mit dem er das Weltentor berührte. »Na, siehst du, Lars, nichts passiert.«

Kaspar lauschte, als er eine zarte, weibliche Stimme vernahm.

»Kaspar, Kaspar nun wird es Zeit,

ein neues Abenteuer steht für dich bereit.«

»Zu spät, ich höre wieder diese Stimme«, hauchte Kaspar.

Ein leuchtend roter Vollmond tauchte im oberen Winkel des Fensters auf, und ein geisterhaftes Licht breitete sich im Zimmer aus.

»Scheiße!«, fluchte Niko laut.

Das Tor glühte, als würde es von einem Feuer angestrahlt.

»Ja, Scheiße!«, sagte Lars. »Du blöder ... blöder ... dicker Bär«, schimpfte er.

»Scheiße, Scheiße, Scheiße!«, fluchte Niko laut.

Als das Weltentor sich öffnete, erloschen die drei Symbole am rechten Kartenrand und auch das Königspaar verschwand aus dem weißen Kreis, dann gab das geöffnete Tor einen Blick auf ein Meer aus Sternen frei, und Kaspar brüllte: »Schnell, nehmt eure Sachen!«

Kaspar warf einen Blick auf Balthasar, der von all dem nichts mitbekam. Er schlief tief und fest wie ein Toter.

»Das gibt's doch nicht. Der Alte schnarcht hier herum und kriegt von allem nichts mit«, schimpfte Niko laut.

Juana, Niko und Lars schnappten sich ihre Rucksäcke und im gleichen Moment wölbte sich das Weltentor vor und breitete sich blitzschnell aus. Wie der Schlund eines riesigen Monsters, verschlang es Kaspar und seine Freunde. Sie glitten in einen dunklen Trichter hinein.

Das Tor bekam haifischartige Zähne und schnappte schließlich zu. Das Leuchten der goldenen Kugel, des goldenen Pferdes und des Fläschchens erloschen, und das Weltentor auf der Karte war wieder geschlossen. Die Karte flatterte dem Lagerfeuer entgegen, doch kurz bevor sie die lodernden Flammen erreichte und zu verbrennen drohte, verschwand auch sie.

Kaspar - Der magische Rubinschädel

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