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Lovehotel gegen Langeweile?

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Ohrenbetäubender Beat dröhnt aus den Lautsprechern, die Stroboskopscheinwerfer zucken über die brechendvolle Tanzfläche. Sich windende, teils halb nackte Männerleiber locken mit ihrem vielfältigen Angebot. Ich stehe auf der oberen Empore, direkt vor dem Büro. Von hier aus habe ich den gesamten Club im Blick.

Mein Geschäftspartner und bester Freund tanzt dort unten mit seinem Lebensgefährten Julian. Eine Weile beobachte ich die beiden, die sinnlichen, grazilen Bewegungen des schmächtigen Blonden, der in Sergios Armen beinahe verschwindet. Ein wirklich heißes Kerlchen und eine Granate im Bett. Ich seufze. Vor gut einem Jahr hatte ich ein einziges Mal das Vergnügen, den Kleinen zu vögeln, bereute es hinterher jedoch sofort. Nicht, dass es nicht geil war, doch ich konnte mich des Verdachts nicht erwehren, dass Juli nur Sergio zuliebe mitmachte. Ich sprach diesen darauf an, aber er lachte nur über meine Befürchtungen und meinte, dass würde ich mir einbilden. Eine Wiederholung schlug ich dennoch aus.

Heute Abend scheint er ebenfalls wieder auf der Suche nach einem dritten oder sogar vierten Mann zu sein. Ich folge seinem Blick zu den beiden Auserkorenen, zwei Tops, die ihrerseits das Angebot checken. Sergio beugt sich zu Julian hinab, flüstert ihm ins Ohr und dessen Kopf ruckt hoch. Ich erwarte, dass er grinst und die Typen ermuntert, die bereits auf sie zusteuern, doch genau das Gegenteil ist der Fall. Erstaunt und besorgt beobachte ich das Drama, das dort unten seinen Verlauf nimmt.

Juli ist offenbar aufgebracht, gestikuliert wild mit den Händen. Sergio versucht ihn zu beruhigen, fasst ihn am Arm, aber sein Freund reißt sich los. Er schreit ihn an, die dröhnende Musik schluckt die Worte, doch das „Nein!“ ist deutlich von den Lippen zu lesen. Einer der Neuankömmlinge macht den Fehler, Julian umzufassen und dann geht alles rasend schnell. Der aufdringliche Typ bekommt einen Ellbogen in die Weichteile, und während der sich zusammenkrümmt, klatscht Julis Faust in Sergios Gesicht. Er trifft ihn unvorbereitet und Sergio taumelt tatsächlich einen Schritt zurück. Der Kleine dreht ohne ein weiteres Wort um und stürmt durch die wogende Menge zum Ausgang.

Ich stoße mich von der Balustrade ab, eile die breite Treppe hinunter. Unsere Security ist bereits auf dem Weg, hindert den zweiten Kerl daran, einen Aufstand zu machen und beruhigt die Typen. Sie verziehen sich nervös an die Bar. Ihre Blicke Richtung meines Geschäftspartners sind eindeutig feindselig. Ich bedeute Rick, einem unserer Türsteher die beiden im Auge zu behalten. „Hey Mann, alles klar? Was war denn los?“

Ich klopfe ihm auf die Schulter und zucke leicht zusammen, als ich seine Wange sehe. Eine blutende Schramme zieht sich übers Jochbein, Julian hat ihn wohl mit einem der Ringe erwischt, die er immer trägt. Mein Freund reagiert gar nicht, ist unter seiner olivfarbenen Hauttönung leichenblass. „Komm mit hoch. Das muss verarztet werden“, spreche ich beruhigend auf ihn ein.

Widerstandslos lässt er sich die Treppe nach oben führen. Im Büro drücke ich ihn auf die breite Couch an der Wand. „Bin gleich zurück.“ Im angrenzenden Bad hole ich den Erste-Hilfe-Koffer.

Sergio sitzt noch genauso da, als ich wiederkomme und allmählich mache ich mir ernsthaft Sorgen. Ich setze mich neben ihn, desinfiziere zunächst den Schnitt, der zum Glück nur die obere Hautschicht aufgerissen hat. Mein Freund zischt durch die Zähne, als das Jod auf der Haut brennt. Dann: „Ich hätte auf dich hören sollen.“

Ich verstehe nicht, was er meint, wische das restliche Blut weg und klebe ein Pflaster auf die Wunde. „Wobei?“, frage ich ruhig. So dunkle braune Augen, dass sie beinahe schwarz wirken, schauen mich schmerzerfüllt an. „Wegen Julian. Mit den ganzen fremden Kerlen. Den Callboys. Warum habe ich es nicht gesehen? Ich dachte, es macht ihm Spaß, ja, dass er es braucht. Er ist doch immer so experimentierfreudig. Vor unserer Zeit hatte er ständig wechselnde Typen, blieb nie lange bei einem. Ich war überzeugt, ich müsste ihm Abwechslung bieten, damit er sich nicht auf Dauer mit einem einzigen Partner langweilt.“

Oh je. „Mann, Sergio, du Trottel.“ Entgeistert starre ich meinen besten Freund an. Das ist wirklich eine Überraschung. Ich war eigentlich der Meinung, er steht darauf, wenn fremde Kerle seinen Kleinen flachlegen, aber anscheinend hat er völlig andere Motive. Und anstatt, dass es Julian Spaß macht, hat der wohl eher nicht gewagt, aufzubegehren - bis jetzt. Fuck!

„Was mache ich denn nun?“, hilflos schaut er mich an. Ich widerstehe dem Drang ihn kräftig durchzuschütteln und packe das Verbandszeug weg. Dann stehe ich auf, gehe hinüber zur Bar und schenke ihm und mir erst mal einen großzügigen Schluck Whiskey ein.

„Hier“, ich halte ihm das Glas unter die Nase. „Ich sag dir, was du tun wirst. Du schwingst deinen Arsch jetzt nach Hause, gehst auf die Knie und bettelst so lange, bis Julian dir verzeiht.“ „Tut er nicht.“ Die goldbraune Flüssigkeit verschwindet in einem Zug.

„Fuck, ich bin so ein Versager. Weißt du, was er mir an den Kopf geworfen hat? Dass ich ein egoistischer Bastard sei und immer alles nach meinem Willen ginge. Ich würde ihn nie fragen, was er möchte, sondern nur bestimmen. Was soll der Scheiß? Nach zwei Jahren fällt ihm plötzlich ein, dass ich ihm zu dominant bin? So ein Schwachsinn!“

Er springt von der Couch auf, marschiert aufgeregt auf und ab. „Als wir uns kennenlernten, war es noch genau das, worauf er abfuhr. Jemand, der anpackt, nicht lange fackelt und ihn beschützt. Fuck, ich hab ihm doch alles gegeben! Alles, was ich besitze gehört auch ihm. Und was wirft er mir an den Kopf? Dass ich ihn nicht lieben würde.“

„Also, Sergio, ich will dir ja nicht zu nahetreten, aber ist dir wirklich nie der Gedanke gekommen, dass diese Orgien ihm etwas ausmachen könnten?“, erkundige ich mich behutsam. Mir ist irgendwie unverständlich, wie man so riesige Scheuklappen tragen kann.

Zornig funkelt er mich an. „Nein. Er war immer mit Begeisterung dabei. Mann, er hat die Typen mit ausgesucht.“ „Bevor oder nachdem du auf sie gezeigt hast?“, frage ich milde.

Sergio sackt in sich zusammen. „Oh Gott, ich hab’s echt vermasselt oder?“ Er sinkt auf die Couch, rauft sich die Haare. Es ist etwas befremdlich, meinen sonst vor Selbstbewusstsein und Arroganz strotzenden Freund so fertig zu sehen. Seufzend setze ich mich neben ihn.

„Hör mal. Du hast einen Fehler gemacht. Das kann man wieder geradebiegen.“ Er schaut mich zuerst hoffnungsvoll an, schüttelt aber den Kopf. „Nein Tarek. Da ist zu viel zerbrochen. Ich hab Julis Blick gesehen. So eine abgrundtiefe Enttäuschung darin ... Wie konnte ich nur so blind sein? Nein, er wird mir das nie verzeihen.“

Ächzend steht Sergio auf, schwankt gefährlich, lehnt jedoch meine helfende Hand ab. „Ich geh hoch in die Wohnung. Würdest du ...“

„Ich sammle ihn ein, keine Bange. Er ist zu Fuß und wird noch nicht weit gekommen sein. Hat er sein Handy dabei?“ Ich greife mir meine Lederjacke von der Garderobe, suche die Autoschlüssel und klopfe meinem Freund aufmunternd auf die Schulter. „Ich glaube nicht.“ Mutlos lässt Sergio den Kopf hängen. Er ist wirklich fertig.

Ein Grund, wieso ich mich nicht auf Beziehungen einlasse. Man kann sich nicht auf ewig verbiegen, um dem Partner in allen Bereichen zu gefallen und irgendwann knallt’s. Siehe Sergio und Julian. Ich hoffe, der Zwerg macht keine Dummheiten. „Hey, das wird schon. Ich bringe ihn erst mal zu mir, er schläft eine Nacht darüber, du auch und morgen redet ihr vernünftig und in Ruhe miteinander. Mach dir nicht allzu viele Sorgen. Der Kleine liebt dich, sonst hätte er sich bestimmt nicht von fremden Kerlen vögeln lassen, nur weil du das wolltest.“ Meine Worte sind schlecht gewählt, dass merke ich im gleichen Moment, als er noch mehr in sich zusammensackt.

„Und genau deshalb wird er mir wohl kaum verzeihen können.“ Wir verlassen gemeinsam das Büro, und während Sergio die Treppe zu seiner Wohnung hinaufschlurft, mach ich mich auf den Weg, um Julian zu suchen. So ein Desaster!

***

Die Luft im Club ist zum Durchschneiden. Und damit meine ich nicht die Atemluft. Sergio ist mies gelaunt und lässt das immer öfter an den Angestellten aus, die sich im Gegenzug bei mir beschweren. Eine Ermahnung von meiner Seite an meinen Geschäftspartner endete dann beinahe in einer Prügelei, die unser gemeinsamer Freund Daniel gerade so verhindern konnte.

Jetzt sitze ich mit diesem in einem Bistro in der Innenstadt und mein Blut ist immer noch weit über dem Siedepunkt. Zu den Problemen mit Sergio kommt meine eigene Lustlosigkeit. Ich habe alles so satt. Nichts scheint mehr zu passen.

„Tarek. Tarek! Hey, hörst du mir überhaupt zu?“ Ungehalten schnippt Daniel mit den Fingern vor meinem Gesicht. Reflexartig schnappe ich danach, verdrehe den Zeigefinger. „Hey, spinnst du?“ Mein Freund keucht. Erschrocken lasse ich los. Was ist nur in mich gefahren? Ich erinnere mich leider zu gut an die Zeiten, wo ich so unter Druck stand, dass mich die geringste Provokation ausrasten ließ. Eine Phase, in der ich es mit dem Gesetz nicht so genau nahm, um meine Mutter und Schwester zu unterstützen. Na ja, zumindest Mama, Nati war zu stolz, um Almosen anzunehmen, wie sie es nannte. Ist sie auch heute noch. Hm, ich sollte sie und meinen Neffen Milo mal wieder besuchen.

„Sorry, ich ... ich steh momentan etwas neben mir. War keine Absicht.“ Verschämt grinse ich mein Gegenüber an, der mein Lächeln erwidert. „Vergiss es. Du müsstest schon schwerere Geschütze auffahren, um mich zu beeindrucken.“ Er wird ernst. „Okay, raus mit der Sprache. Was ist los?“

Unwohl schaue ich auf runter auf die Tischplatte, weiche dem verständnisvollen Blick aus. Daniel ist der inoffizielle Therapeut unserer Gruppe, wenn einer von uns Probleme hat, kann man prima mit ihm reden. Aber seit er in einer festen Beziehung ist, sind wir öfter wegen meiner Einstellung gegenüber diesen aneinandergeraten.

Wie soll ich ihm erklären, dass mir im Moment alles zu viel ist? Dass mir das Drama von Sergio und Julian auf den Magen schlägt, dass mich alles langweilt, die ganze Szene nur noch ankotzt? Er wird mich mit einem wissenden Lächeln bedenken und dann verkünden, was mir fehlt. Ein Partner. Hah, das ich nicht lache!

„Ich glaub, ich brauch eine Pause. Vom Club, von dem Stress mit Sergio und Juli. Von den Typen, die mich belagern, um einen Fick zu ergattern. Das kotzt mich nur noch an, Daniel. Ich will einfach mal einen Abend meine Ruhe. Ach, was sag ich? Mehr als nur einen Abend.“ Jetzt ist es raus und ich ... bin irgendwie erleichtert. Vorsichtig schaue ich zu Daniel, der mich forschend mustert.

„Erinnerst du dich daran, wie obsessiv ich bei der Gründung meiner Firma war, wie sehr mich die Agentur in ihren Klauen hielt? Nur sie zählte, mein Privatleben war praktisch inexistent.“ Ich grinse unwillkürlich. „Oh ja. Du kamst mir vor wie auf Speed. Du konntest gar nicht mehr abschalten. Aber so fühle ich mich nicht“, wehre ich eilig ab.

Daniel sieht mich ernst an. „Bist du sicher?“ Um eine Antwort verlegen - mein Freund hat ein Gespür dafür, jemanden sprachlos zu machen -, schaue ich aus dem Panoramafenster neben unserem Tisch. Obwohl mit Ausblick heute nicht viel ist. Der Himmel ist wolkenverhangen, in der Ferne grollt es bedrohlich, stürmische Böen treiben ihren Schabernack mit allem, was keinen festen Stand hat. Tja, das Wetter passt irgendwie zu meiner Stimmung. In mir scheint sich ein Orkan zusammenzubrodeln und ich sollte wohl alles dransetzen, diesen Ausbruch zu verhindern. Denn hinterher die Scherben zusammenzukehren gehört nicht gerade zu meinen Stärken.

Also wende ich mich wieder meinem Freund zu, der geduldig abwartet, bis ich auf seine Frage eine Antwort gefunden habe. Zuneigung überflutet mich. Egal, wie wir uns manchmal in die Haare kriegen, weil er meinem Lebensstil skeptisch gegenübersteht, er hat mich auch nie dafür verurteilt.

„Du hast recht. Ich bin ausgebrannt. Früher war das ‚Fever‘ mein Ein und Alles und jetzt? An manchen Abenden graut es mir regelrecht davor, da oben zu stehen, die Twinkparade zu beobachten, wie sie meine Gunst ergattern möchten. Und am Schlimmsten ist es dann, wenn ich nachgebe. Was ich bisher jedes Mal tat. Ich fühle mich manchmal wie ein Roboter. Diese Typen, die sich an mich ranschmeißen, die wollen nicht mich, Tarek, sondern nur die legendäre Fickmaschine, die es ihnen besorgen kann wie kein anderer.“

Einmal angefangen sprudelt alles aus mir heraus, was sich in den letzten Wochen und Monaten angestaut hat. „Es ist nicht so, dass ich auf Sex verzichten will. Im Gegenteil. Mönch sein ist einfach keine Option für mich. Ich möchte einen Partner, mit dem ein bisschen mehr anzufangen ist, als Gymnastik zwischen den Laken, der aber dennoch genau wie ich nicht an einer Beziehung interessiert ist. Ich ... Was?“

Daniels breites Grinsen ist mir unheimlich. Und noch ehe er den Mund aufmacht, schüttel ich abwehrend den Kopf. „Oh nein, das kannst du vergessen! Ich fahre ganz bestimmt nicht in dieses Liebeshotel nach Cornwall. Auf keinen Fall!“ „Wetten doch?“

***

Tja, Daniel hat die Wette gewonnen. Ich stehe tatsächlich an der Rezeption von ‚The key‘ mit so einer dämlichen Maske im Gesicht. Worauf habe ich mich da nur eingelassen? Zuerst hab ich Daniel noch ausgelacht, dann Argumente geliefert, warum so ein Urlaub für mich nie funktionieren könnte, aber mein Freund hat jedes Einzelne entkräftet.

Und jetzt bin ich hier gestrandet - zumindest fühlt es sich so an. Ich bin irgendwie meilenweit aus meiner Komfortzone geschleudert worden und der Weg zurück wird wohl ein Spießrutenlauf. Was fand Daniel bloß so toll hier? Ja okay, Jan, sein Lebensgefährte, ist für ihn dabei rausgesprungen, aber mal ehrlich? Wie oft passiert so etwas schon? Einmal in Billionen Fällen? Außerdem bin ich ja nicht auf der Suche nach einer Beziehung, Gott bewahre!

„Sir, das ist Shinzou, ihr Page. Er bringt Sie zu Ihrer Suite.“ Ich drehe mich zum Concierge um und mir stockt der Atem. Neben ihm steht eine Offenbarung. Ein kleiner, zierlicher - ja, ich weiß Männer sind nicht zierlich, sie sind höchstens schmächtig oder schmal - Junge mit eindeutig asiatischem Einschlag schaut mit einem scheuen Lächeln zu mir auf. Ich falle kopfüber in goldbraune Mandelaugen, die ein leicht rundliches Gesicht dominieren. Volle perfekt geschwungene Lippen wecken in mir sofort das Verlangen, sie zu kosten. Ob der Süße an einem Stelldichein interessiert ist? Ich schlage mir die Idee schnurstracks wieder aus dem Kopf. Wenn ich mich richtig entsinne, ist laut Hausordnung die intime Interaktion zwischen Gästen und Angestellten unerwünscht. Schade! Der Kleine wäre bestimmt lecker!

Der strebt nun mit einem Gepäckwagen, wo mein Trolley und das Handgepäck ihren Platz gefunden haben, den Fahrstühlen zu. Ich schlendere gemächlich hinter ihm her, genieße den Ausblick. In der engen schwarzen Pagenuniform macht er eine formidable Figur und dieser süße runde Po ... ‚Ach, komm schon, Tarek, schalt das Kopfkino ab und zerr‘ dein Gehirn aus der Gosse. Wenn morgen dein Spielpartner eintrifft, kannst du dich austoben. Der niedliche Page ist tabu.‘

Auf dem Weg nach oben hämmere ich mir das energisch in den Schädel, was durch die Nähe zu dem Kerlchen zu einem beinahe aussichtslosen Kampf mutiert. Sein Duft steigt mir in die Nase, ich bemühe mich möglichst flach zu atmen, doch vermag nicht zu verhindern, dass es in meinem Schritt ziemlich eng wird. Verdammt, seit wann bin ich denn so triebgesteuert? Immer schon gebe ich mir gleich darauf selbst die Antwort. Dachte ich Zuhause noch völlig übersättigt zu sein, reicht anscheinend ein wackelnder Hintern aus, um mich in einen sabbernden, hirnlosen Idioten zu verwandeln. Na, das fängt ja gut an.

***

Um den ausschweifenden Fantasien zu entfliehen, die seit dem Anblick des süßen Kerlchens in mir herumschwirren, mache ich noch diesen Abend einen Ausflug nach Newquay. Die Kleinstadt soll ein abwechslungsreiches Nachtleben bieten und es lohnt sich bestimmt, mal zu schauen, wie das hier so läuft. Die Toleranz im Ort scheint ziemlich hoch zu sein, da viele Hotelangestellte von dort kommen. Das hat mir mein Chauffeur George bereitwillig erzählt, ebenso das mit den Bars.

So wandere ich also nun in der einsetzenden Dämmerung durch die engen Gassen der Altstadt, vorbei an dezent beleuchteten Eingängen zu Pubs und anderen Lokalitäten. Ab und zu dringt Musik oder Gelächter auf die relativ leeren Straßen. Bisher verspüre ich nicht den Drang, diesem Ruf zu folgen. Stattdessen schlendere ich ziellos in der Gegend umher, bis verschiedene Pärchen vor einem schummrigen Pub meine Neugier wecken. Angezogen von der spürbaren Lockerheit betrete ich die Bar. Wie erwartet treffe ich auf ein gemischtes Publikum und es dauert nur einige Herzschläge, bis sich ein süßer Typ neben mich an den Tresen stellt. Einen halben Kopf kleiner als ich, schlank, ein verwegenes Lächeln auf den einladenden Lippen. Zu meinem Unmut spüre ich, dass ich sofort zurück in meine Rolle falle und ehe ich mich versehe, bin ich schon mit ihm in ein Hinterzimmer verschwunden, stecke in seinem engen Arsch. Die Ernüchterung folgt auf dem Fuß und grußlos haue ich ab. Durch die lachenden, trinkenden Menschen in der Bar hinaus in die dunkle Nacht.

Angewidert von mir selbst stehe ich einige Minuten regungslos auf dem Bürgersteig, ehe ich mich auf die Suche nach einem Taxi mache. Dieser verdammte Urlaub war eine ganz beschissene Idee und auf dem Weg zurück ins Schloss spiele ich kurz mit dem Gedanken, einfach abzureisen. Nur die Erinnerung an goldbraune Mandelaugen, die mich verfolgen, hält mich davon ab. Wie ich diese scheinbare Vernarrtheit wieder loswerden soll, ist mir allerdings schleierhaft. Ich hab den Jungen doch nur einmal gesehen! Da kann es ja wohl nicht angehen, dass er in meinem Hirn herumspukt und sogar bei dem Fick gerade eben vor meinen geschlossenen Lidern erschien. Verrückt. Und absolut nichts, was ich gebrauchen könnte.

Okay, ich ziehe den Urlaub durch. Sobald mein Partner für die Woche eintrifft, bin ich hoffentlich genug abgelenkt. Dann werde ich mir das scheue Lächeln und die seelenvollen Augen wohl aus dem Kopf geschlagen haben. Außerdem wird er mir ja kaum über den Weg laufen, höchstens bei meiner Abreise.

***

Bereits am nächsten Morgen im Frühstückssaal erweist sich die Einschätzung, Shinzou vor meiner Abfahrt nicht mehr zu begegnen, als Illusion. Offenbar rotieren die Mitarbeiter des Hotels und heute ist er hier bei mir. Okay, nicht bei mir, er bedient die Gäste im Saal, flitzt geschäftig hin und her, füllt das Buffet immer wieder auf.

Verträumt beobachte ich ihn, vollkommen fasziniert von den geschmeidigen Bewegungen. Obwohl es sehr voll und hektisch ist, er keine ruhige Minute hat, schwebt er graziös zwischen den Anwesenden, scheint regelrecht zu tanzen. Er sticht aus der anonymen Menge der maskierten Männer heraus wie ein schillernder Schmetterling und ich bin völlig in seinem Bann. Vermutlich dauert es deshalb auch eine halbe Ewigkeit, bis mir auffällt, dass er direkt vor mir steht und mich etwas gefragt hat. Ich bin zum ersten Mal in meinem Leben verlegen - und sprachlos. Shinzou fragt erneut, ob ich noch Kaffee mag, und lächelt mich dabei scheu von unten herauf an. Oh Mann, versucht der Kleine etwa mit mir zu flirten oder ist er nur freundlich?

Als ich nämlich nur mit einem knappen Nicken reagiere, verrutscht das süße Lächeln. Er schenkt mir mit einem „Bitte sehr, Sir“, ein und huscht eilig davon. Was war das denn? ‚Das warst du, der sich wie ein Idiot aufführt‘, schelte ich mich. Falls das niedliche Kerlchen tatsächlich an mir interessiert ist, habe ich ihm gerade eine deutliche Abfuhr erteilt. Und das ist besser so, versuche ich mich während des Frühstücks selbst zu überzeugen. Gelingt mir auch ganz passabel. Nur, dass ich dabei ziemlich obsessiv nach meinem Schmetterling Ausschau halte, passt nicht in dieses Bild. Verflucht, es wird Zeit, dass Adrian anreist. Dann ist Schluss mit dem völlig hirnrissigen Anschmachten eines mir unbekannten Jungen.

***

Einige Stunden später wird mir klar, dass ich mich wohl gewaltig verrechnet hab. Was nicht an Adrian liegt. Wir sind sofort auf einer Wellenlänge. Er ist genau mein Typ: sexy, forsch, eindeutig erfahren und zu jeder Schandtat bereit. Ganz im Gegensatz zu einem schüchternen japanischen Jungen, der vermutlich schreiend wegrennen würde, falls ich ihn anbaggere. Dass ich, obwohl mein Partner längst da ist, weiter Ausschau nach Shinzou halte und sogar Erkundigungen über ihn einziehe - diskret natürlich - sollte mir wirklich zu denken geben. Ich ignoriere diese Tatsache jedoch geflissentlich und beschließe, mich ausschließlich auf meinen Begleiter zu konzentrieren. Das fällt mir allerdings schwerer als gedacht.

Die Konversation mit Adrian ist von Anfang an voller sexueller Innuendos, was mich unter normalen Umständen freuen würde. Wir wissen beide genau, was wir wollen und worauf es hinausläuft. Ein vages Gefühl von Enttäuschung flattert am Rand meines Bewusstseins, doch wieso erwartete ich eigentlich etwas anderes? Den Grundstein für den Verlauf der Woche hab ich selbst gelegt, als ich den Fragebogen nur oberflächlich ausfüllte, meine wahren Wünsche und Bedürfnisse außer Acht ließ. Der mir zugewiesene Partner ist selbstverständlich ebenfalls nur auf der Suche nach einem lockeren Abenteuer, will seinen Spaß, ganz so, wie mein Profil es suggeriert.

Ach, was soll’s. Ich wusste von Anfang an, nach welchem Schema der Urlaub abläuft. Daran kann auch ein scheuer Junge, der mich bezaubert, nichts ändern. Deshalb gehe ich routiniert auf das Spiel ein und werde wieder zu dem, was ich im Grunde verabscheue: eine seelenlose Fickmaschine - vollkommen schwanzgesteuert.

Und als Adrian in der Nacht nach der zweiten Runde selig schnarcht, erhebe ich mich ächzend von dem doch etwas unbequemen Teppich - das Bett war zu weit weg - und verlasse lautlos das Separee. In meiner Suite husche ich zunächst unter die Dusche. Ich fühle mich irgendwie dreckig. Dazu auch leer und unbefriedigt, obwohl ich gerade zweimal gekommen bin.

Aber was mich am meisten verstört, ist die Tatsache, dass ich - genau wie im Pub die Nacht davor - während ich Adrian fickte, jemand anderen vor Augen hatte. Mandelaugen, die mich bewundernd anschauen, schwebten vor meinem Antlitz. Stöhnend reiße ich mir die Maske herunter, erkenne kaum das Gesicht, das mir entgegenstarrt. Ein gehetzter Ausdruck liegt auf meinen Zügen. Zudem rast mein Puls, die Kehle ist ausgedörrt und mir bricht der Schweiß aus. Meine Selbstdiagnose: Ich bin verliebt und stehe deshalb kurz vor einer Panikattacke.

Das ist so was von verrückt. Vollkommen bescheuert. Nur, weil ich an einen süßen Kerl denke, während ich einen anderen flachlege, muss dass doch nicht bedeuten, dass dieses blöde Organ in meiner Brust involviert ist. Ich finde den Jungen eben heiß, na und? Mehr ist da nicht. Ich bin nicht verliebt! Das ist nur eine kurzfristige Verwirrung. Ich werde mich ab morgen nur noch auf Adrian konzentrieren. Der Typ ist pflegeleicht und man kann mit ihm eine Menge Spaß haben. Wenn die Woche vorbei ist und ich wieder Zuhause bin, vergesse ich ganz schnell, dass ein wunderschöner Schmetterling namens Shinzou direkt in den nervigen Muskel in meiner Brust geflattert ist.

***

Die ersten zwei Tage funktioniert die Verdrängungstaktik auch prima. Obwohl mir Adrian bereits mächtig auf die Nerven fällt. Er ist zwar eine Granate im Bett, aber sonst? Fehlanzeige. Sind die Typen, mit denen ich in die Kiste springe tatsächlich alle so hohl in der Birne? Das ist ja grauenvoll. Okay, ich suche sie mir jetzt nicht unbedingt nach ihrem IQ aus, doch ein Mindestmaß an Grips anstelle von Stroh ist ja wohl keine unmenschliche Erwartung.

Und so ertappe ich mich dabei, mich nach meinem Schmetterling umzusehen. Morgens beim Frühstück ist er nicht aufgetaucht, dafür hab ich nun Glück auf dem Tennisplatz. Die Spieler bekommen für ihr Match einen Balljungen zugeteilt, und wie es der Zufall so will, übernimmt Shinzou unsere Partie. Ich verliere haushoch, da meine Konzentration eher auf dem hin und her flitzenden Jungen liegt, doch stören tut es mich nicht sonderlich. Adrians offensichtliches Interesse an meinem Schmetterling dagegen schon. Er scheint zu glauben, die Maske würde seine eindeutig lüsterne Miene verbergen, aber ich bin ein aufmerksamer Beobachter. Da etwas, dass sich verdächtig nach Eifersucht anfühlt, in mir hochsteigt und ich ein merkwürdiges Kribbeln im Nacken spüre - ein untrügliches Zeichen bei mir, dass Ärger heraufzieht - verzichte ich auf eine Revanche. Stattdessen überrede ich meinen Partner zu einer Massage im Spa. Den sehnsüchtigen Blick, den mir Shinzou hinterherwirft, will ich nicht wahrhaben und ignoriere ihn standhaft. Vermutlich ist das auch nur Einbildung. Der Kleine hat tagtäglich mit unzähligen Gästen zu tun, Männer, die hier eine Auszeit vom Alltag erleben möchten. Wieso sollte er ausgerechnet an mir interessiert sein? Das bilde ich mir einfach nur ein, weil mein Herz standfest behauptet, verliebt zu sein, egal wie sehr mein Verstand dagegen rebelliert.


The key - Tarek

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