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SAR 312

12. September 2019

Im Unglück finden wir meistens die Ruhe wieder, die uns durch die Furcht vor dem Unglück geraubt wurde. Marie von Ebner-Eschenbach

Die Sonne brennt erbarmungslos auf die „Hanna“. Es ist fast windstill und von den letzten Sturmtagen ist nichts mehr zu spüren. Eine bleierne Schwere liegt in der Luft. Die Dünung lässt das Boot monoton von Luv nach Lee und wieder zurück schaukeln. Die Sturmfock hängt regungslos herunter. Im grellen Sonnenlicht ist kaum zu sehen, dass seit dem Vorabend, als die Wellen das Schiff trafen, noch immer die Positionslichter brennen und durch die Fenster und Luken der „Hanna“ die Innenbeleuchtung zu erkennen ist. Die hässliche Radarschüssel, welche für die elegante Silhouette der edlen Yacht nicht gerade förderlich ist, hängt nur noch an einer der zwei Befestigungen sowie den Kabeln und schwingt mit den Bewegungen der „Hanna“ mit.

*****

David hatte sich bei der Auswahl des Zubehörs für die Schüssel entschieden, obwohl sie durch das GPS eigentlich überflüssig ist. Das GPS gibt fortlaufend den Schiffsort auf 10 Meter genau an und das AIS zeigt die umliegenden Schiffe mit Kurs und Geschwindigkeit, nebst vielen anderen Details über mögliche Kollisionsgegner. Die Ruder-Automatik hält auf ein paar Grad genau den gewünschten Kurs.

"Was brauche ich denn da noch ein Radargerät?“, fragte David Jens.

„Auch heute ist Radar immer noch das präziseste Navigationsinstrument: Fast so gut wie die Augen. Bei Nebel sogar besser. Denn Schiffe ohne Radar sind im Nebel blind, mit Radar sind sie mindestens einäugig! Aber ein Radargerät ist nicht nur nachts oder im Nebel eine gute Navigationshilfe. So sind auch die meisten Blauwasseryachten trotz der hässlichen und störenden Radarantenne mit der Schüssel ausgestattet, in der sich die Antenne dreht. Und diese Yachten segeln ja im Normalfall nicht gerade in nebelgefährdeten Gegenden“, antwortete ihm Jens damals.

David liess sich überzeugen und gab den Auftrag, die Schüssel zu montieren.

*****

Die ganze Szenerie wirkt gespenstisch und unwirklich. Die Ruhe mutet trügerisch an. Eine Gruppe von mehr als zehn Delfinen zieht vorbei. Die Tiere interessieren sich nicht für die treibende Yacht. Bald sind sie ausser Sichtweite. Einige Gelbschnabelsturmtaucher, deren eigentümliche Rufe in den Frühlings- und Sommernächten überall widerhallen, drehen ihre Kreise über dem Schiff. Diese an Land eher plump wirkenden Vögel erweisen sich als ungemein flugfertig, wenn sie die Wellen des Ozeans streifen und dabei an ihren Fischfangtechniken feilen. Als Zugvögel legen sie problemlos weite Strecken über der See zurück.

Die Stille wird durch das laute Knattern eines SAR-Hubschraubers der maltesischen Marine gestört, der im Anflug ist. Insgesamt drei Hubschrauber des Search and Rescue Dienstes sind im Einsatz, um grossflächig nach havarierten Schiffen zu suchen. Vor zwei Tagen briste der moderate Wind zu voller Sturmstärke auf.

„Zwei sehr nasse Tage laufen wir bei 9 bis 10 Beaufort nur unter Sturmfock mit 8,5 Knoten vor dem Wind. Häufig brechen schwere Seen an und über Deck, das Cockpit ist fast ständig überflutet“, berichten zwei sichtlich verstörte, englische Segler, die von ihrem Boot gerettet werden.

Wassereinbruch, Schäden an Maschinen und Riggs sowie verletzte Personen an Bord, veranlassen die Crews, Hilfe zu rufen. Insgesamt werden bei der grossangelegten Rettungsaktion, an der sich neben SAR-Hubschraubern auch in der Nähe befindliche Frachtschiffe beteiligen, zwölf Segler von ihren Schiffen, aus Rettungsinseln und auch direkt aus der See geborgen.

Der Hubschrauber mit einer Reichweite von rund 1000 Kilometern kreist über der „Hanna“. Der Co-Pilot versucht über Funk und mit einem Megafon Kontakt aufzunehmen. Keine Antwort. Der mitfliegende Notarzt und der Sanitäter bereiten eine Bergung mit der Rettungsschlinge vor. Nur 130 kg Gesamtgewicht kann, das am maximal 75 Meter langen Bergungsseil befestigte Geschirr, verkraften. Der Pilot starrt konzentriert auf seine Anzeigen und knurrt enttäuscht:

„Wir müssen zurück zur Basis. Ich habe nur noch eine Reserve für fünf Minuten. Das reicht nicht einmal für eine Person.“

Ein Albtraum für die Helfer. Der Co-Pilot meldet die Position der „Hanna“ an seine Basis. Der Hubschrauber dreht ab und nach kurzer Zeit verschwindet er mit der Reisegeschwindigkeit von 290 km/h am Horizont.

Jenna versucht verzweifelt auf sich aufmerksam zu machen. Aber ihr fehlt die Kraft dazu. Getragen durch ihre Weste mit dem lebensrettenden Kragen liegt sie auf dem Rücken liegend im Wasser. Die Sicherheitsleine hat ihr das Leben gerettet. Seit Stunden treibt sie im Wasser. Sie erinnert sich an die Erklärungen von David während einer der Übungen zum Verhalten bei Notfällen.

„Bei einer Wassertemperatur von 10 Grad überlebst du knapp zwei Stunden, bei 15 Grad naht das Ende nach gut sechs Stunden, bei zwanzig Grad sind es bereits 16 Stunden und ab 25 Grad kannst du drei Tage oder länger überleben.“

„Was passiert, wenn ich länger im Wasser bin?“, fragte Jenna damals.

„Du bist unterkühlt und fällst in tiefe Bewusstlosigkeit. Den Tod spürst du nicht mehr.“

„So möchte ich sterben“, reagierte Jenna unerwartet.

„Zuerst geniessen wir das Leben und erst dann sterben wir. Dieser Zeitpunkt ist bestimmt noch lange entfernt“, erwiderte David lächelnd.

Jenna schätzt die momentane Wassertemperatur auf gut 20 Grad. Das beruhigt sie etwas. Trotzdem fühlt sie sich sehr müde. Eine bleierne Schwere hat sich über sie gelegt und sie kann sich kaum bewegen. Aufgeben ist aber für sie ausgeschlossen und sie sagt zu sich:

„Jenna, du schaffst das. Du hast drei Jahre lang in Kriegsgebieten überlebt, hast so manche schwierige Situation gemeistert, um am Schluss elend im Wasser treibend zu verrecken. Nein, nein und nochmals nein.“

Die Augenlider von David zittern. Langsam versucht er die Augen zu öffnen, um sie gleich wieder zu schliessen. Er erträgt das gleissende Sonnenlicht nicht, das durch eine der Dachluken direkt in sein Gesicht scheint. Erst als sich vorbeiziehende Wolken für kurze Zeit vor die Sonne schieben, wagt er einen neuen Versuch. Was er erblickt, gefällt ihm gar nicht. In seinem Blickfeld nimmt er ein unglaubliches Tohuwabohu wahr. Er hasst Unordnung, aber im Moment hat er andere Sorgen, die ihm bedeutend wichtiger erscheinen. Er liegt verkrümmt auf dem Boden und versucht aufzustehen. Ein stechender Schmerz hält ihn davon ab. Er versucht es noch einmal. Unsicher steht er da und klammert sich an der Lehne des Fernsehstuhls fest. Ihm wird schwindlig und er merkt, dass er sich übergeben muss. Er versucht, tief ein- und auszuatmen.

Das verschlimmert den Schmerz noch mehr. Er geht in die Knie und das Unheil nimmt seinen Lauf. Erst jetzt realisiert David die katastrophale Situation in der ganzen Dimension und denkt als erstes an Jenna.

„Jennnnaaa. Bist du da?“, ruft David laut.

Keine Antwort. Nichts. Er geht zum Treppenaufgang der Kajüte und nur unter fast unerträglichen Schmerzen kämpft er sich ins Cockpit der „Hanna. Er sucht das Wasser nach Jenna ab und sieht nichts als die Weite der See. Als das Schiff in der Dünung schaukelt, verliert er das Gleichgewicht und prallt mit dem Oberkörper an die Steuersäule. Er schreit laut auf. Eine abgrundtiefe Hilflosigkeit legt sich über ihn und leise und von Schmerz erfüllt denkt er:

„Ich habe sie verloren. Für immer. Wieso nur bin ich mitten in einem Sturm in die Kajüte gegangen. Ich bin schuld an ihrem Tod.“ Tränen laufen über sein Gesicht und er schreit:

„Neiiiin!“

Jenna erwacht aus ihrer Lethargie und fragt sich, ob sie halluziniert. Werde ich bald sterben? Nein, ich bin sicher, ich habe einen Schrei gehört. Hoffnung keimt in ihr auf. Da ist es wieder!

„Neiiiin. Neiiiin. Bitte nicht Jenna!“, hört sie erneut den Ruf.

Ihre Euphorie ist nicht mehr zu bremsen. Sie überlegt fieberhaft, wie sie sich bemerkbar machen kann. Sie kann sich erinnern, dass in einer kleinen Tasche der Rettungsweste eine Pfeife an einer Kordel steckt, die genau für solche Fälle vorgesehen ist. Nach mehreren Versuchen ertastet sie die Pfeife. Mehrmals scheitert sie, der Pfeife einen Ton zu entlocken. Sie ist zu schwach. Sie muss sich Zeit nehmen, um sich wieder zu erholen. Bei ihrem nächsten Versuch klappt es. Fünf Sekunden lang ist der schrille Pfeifton zu hören. Beflügelt davon versucht sie es das dritte Mal. Es ist nicht mehr nötig, weil sie David erblickt, der im Cockpit steht, sich gekrümmt an die Steuersäule klammert und fassungslos zu ihr schaut. Jenna wird von einer unbeschreiblichen Welle der Erleichterung und Freude überrollt.

David ruft Jenna zu: „Bist du verletzt?“ Geht es dir gut?“

Sie nickt und schaut ihn an, ohne ein Wort über die vom Salzwasser gesprungenen und verkrusteten Lippen zu bringen. Die Kehle ist trocken und fühlt sich an wie bei einer schweren Angina.

*****

David schleppt sich in den hinteren Teil des Cockpits. An der Steuersäule drückt er auf einen Knopf. Mit gelber Schrift steht darauf „Plattform“. Jetzt sollte sich die Badeplattform am Heck der „Hanna“ senken und den Niedergang freigeben. Nichts passiert. David drückt noch einmal mit ganzer Kraft auf den Knopf und wartet. Immer noch nichts. Wütend haut er die Faust auf die Steuersäule. Die Schmerzen rauben ihm fast den Verstand. Vorsichtig drückt er noch einmal auf den Schalter.

„Bitte, komm schon. Du hast immer funktioniert!“

Ohne Verzögerung setzt ein Surren ein und die Plattform senkt sich langsam, bis sie wenige Zentimeter über dem Wasser hörbar einrastet. Was für ein unsagbar schönes Geräusch. Eine enge Treppe mit einem Handlauf führt vom erhöhten Mittelcockpit auf die Badeplattform. David überlegt, wie er am besten vorgehen soll. Er sieht die gespannten Lifelines, die an einer Öse im Cockpit eingeklickt sind. Mit den Schmerzen, die er hat, kann er Jenna unmöglich mit reiner Muskelkraft an die Badeplattform ziehen. Jenna liegt nicht weit von der „Hanna“. Das ist auch der Grund, wieso er sie vom hochgelegenen Mittelcockpit nicht sehen konnte. Er steigt zurück ins Cockpit. Er muss Jenna etwa einen halben Meter heranziehen, damit er den nötigen Spielraum hat, den Karabiner aus der Öse zu klicken, das Ende der Lifelines um die Winsch zu wickeln und Jenna mit Hilfe der Winsch heranzuziehen. Alles muss schnell gehen, denn sonst riskiert er, dass die Verbindung der Leine mit Jenna unterbrochen wird und sie weiter weg vom Schiff getrieben wird. Er atmet tief durch -was ihm heftige Schmerzen verursacht- und beginnt Jenna mit Hilfe der Winsch näher an die „Hanna“ zu ziehen. Nachdem der Anfangswiderstand gebrochen ist, gelingt dieses Vorhaben. Er klinkt den Karabiner aus, greift an die Enden der ungespannten Lifelines und klickt diese wieder an der Öse ein. Nur Augenblicke später sind sie wieder gespannt.

David dreht am Hebel der Winsch und Jenna wird nun in Richtung der Yacht gezogen. Kurz bevor sie die Badeplattform erreicht, stoppt David die Winsch und steigt so schnell wie möglich die Treppe herunter. Jenna ist erleichtert, dass sie kurz davorsteht, aus dem Wasser zu kommen und sich an der wärmenden Sonne zu erholen. Sie findet kaum die Kraft mitzuhelfen, um sich auf das Boot zu hieven. David hilft ihr dabei, schreit laut auf, als der Schmerz wie ein scharfes Messer in seinen Körper schiesst. Er gibt trotzdem nicht auf und mit letzter Kraft gelingt es ihm schliesslich, Jenna auf die rettende Plattform zu ziehen. Während Jenna aus Erleichterung zu einem Freudenschrei ansetzt, der ihre Lippen endgültig an mehreren Stellen aufreissen und bluten lässt, lehnt sich David erschöpft und schwer atmend an das Heck der „Hanna“. Jenna bemerkt, dass es David nicht gut geht. Sie schaut ihn fragend an, ohne ein Wort aus dem Mund pressen zu können.

„Es geht schon, gib mir nur etwas Zeit“, beantwortet David die nicht formulierte Frage. Nach kurzer Zeit sagt David zu Jenna:

„Es ist ein Wunder, ich habe geglaubt, dich für immer verloren zu haben.“

Jenna nickt, zeigt mit dem Finger auf ihn und dann zu sich. Obwohl ihr Körper ausgetrocknet ist, fliessen die Tränen wie kleine Bäche nach einem starken Gewitter über ihre Wangen. Sie zeichnet mit dem Finger ein Herz in die Luft. David nimmt es nicht mehr wahr. Er ist aus Erschöpfung eingeschlafen.

Nach einer Stunde fühlt sich Jenna so weit erholt, dass sie sich zutraut, über die kleine Treppe ins Cockpit zu steigen. David ist inzwischen aufgewacht und mit Hilfe von Jenna schafft auch er den Weg zurück ins Cockpit. Beide sind erschöpft und setzen sich auf die gepolsterten Cockpitbänke. Jenna lehnt sich an David an. Beide nehmen immer wieder einen Schluck Tee aus der Wärmeflasche, die sie vor dem Sturm im Cockpit verstaut hatten. Jenna erzählt David vom Helikopter, den sie gesehen hat.

„Ich glaube, wir sollten Valletta verständigen, dass es uns so weit gut geht“ meint er.

„Aber wie kommen wir beide ohne Unterstützung nach Malta?“ fragt Jenna.

„Ich kann fragen, ob sie einen erfahrenen Skipper einfliegen können, der uns unterstützt“, entgegnet David.

*****

In diesem Moment taucht am Horizont ein Hubschrauber auf.

Die knatternden Rotoren sind immer besser zu hören. Der Hubschrauber nähert sich und kreist dann über der „Hanna“. Jenna steigt in den Salon und geht an das Funkgerät.

„SAR 312 an Yacht „Hanna“, kommen.

„Hier Jenna von der Yacht „Hanna“, kommen.

„Hier spricht Gregor, der Pilot von SAR 312. Geht es ihnen gut? Wir haben einen erfahrenen Segler an Bord, der ihr Schiff übernehmen kann.“

Jenna presst die Muschel des Funkgerätes an den Mund und antwortet:

„Das sind gute Neuigkeiten. Wir sind dankbar für die Hilfe, kommen.“

„Verstanden, sie sind dankbar für die Hilfe. Wir werden den Mann an der Seilwinde auf die Yacht abseilen, kommen.“

„Verstanden, sie werden den Mann direkt auf die Yacht abseilen, kommen.“

„Verstanden, wir beginnen damit. Over and out.“

Der Pilot kreist über dem Schiff und positioniert den Hubschrauber schwebend über der „Hanna“. Die Schiebetür öffnet sich und eine Person wird mit der Seilwinde langsam heruntergelassen. Bevor der Mann im Cockpit ankommt, erkennt David ihn. Er trägt jetzt einen Bart und seine blonden Haare, die er länger als früher trägt, flattern im Wind. Der Mann steigt aus dem Abseilgeschirr und zeigt mit seinem rechten Arm, der schnelle, kreisende Bewegungen macht, dass das Abseilgeschirr nach oben und zurück in den Hubschrauber gezogen werden kann. Der Hubschrauber macht einige Bewegungen nach rechts und links, die Rotoren heulen auf und der Pilot nimmt Kurs zurück nach Valletta.

„Hey, Hey David“, begrüsst Jens David.

„Ich bin gerade für die Übergabe einer Yacht aus unserer Werft in Valletta und hörte, dass eines unserer Schiffe, die „Hanna“, ein Problem hat. Ich habe mich sofort gemeldet und offeriert, dass ich das Schiff, was immer passiert ist, in den Hafen von Valletta zurückbringen kann.“

In David macht sich Erleichterung breit und er sagt:

„Das ist wunderbar, eine bessere Lösung kann ich mir nicht vorstellen. Herzlich willkommen an Bord! Vielen Dank, dass du uns helfen kannst, Jens.“

„Das ist doch selbstverständlich. Wann haben wir uns das letzte Mal gesehen?“

„Das war vor ungefähr vier Jahren in Brisbane. Wir sind von Neuseeland über die Fidschiinseln dort angekommen und du bist zusammen mit einem Spezialisten aus Schweden angereist, um sich der Sache mit den Störungen im Motor anzunehmen“, sagt Jenna, die aus dem Salon kommt.

„Hallo Jenna. Ja, das ist wohl richtig“, gibt Jens etwas verhalten Antwort.

*****

Nur Jenna und Jens wissen über einen Vorfall Bescheid, der sich in Brisbane ereignet hat. David war in der Stadt, um dort einige Sachen für das Schiff einzukaufen. Jenna und Jens waren zusammen mit einem Techniker, der im Motorraum arbeitete, allein auf dem Schiff. Jenna sonnte sich im Bikini auf dem Vordeck. Plötzlich hielt ihr jemand die Augen zu und versuchte sie zu küssen. Jenna erkannte Jens.

„Was soll das, Jens?“, fragte sie empört.

„Ihr seid schon lange unterwegs und immer nur das gleiche Menü serviert zu bekommen ist sicher langweilig. Jetzt steht das Dessert vor dir.“

Er starrte immer wieder auf die nur knapp durch das Bikini Oberteil verdeckten Brüste von Jenna. Er lächelte und seine Hände verirrten sich wie zufällig auf den Stoff des Bikinis. Eine klatschende Ohrfeige von Jenna verdarb Jens den Spass.

„Bist du verrückt geworden? Nimm sofort Vernunft an. Habe ich mich deutlich ausgedrückt?“, wollte Jenna wissen.

Jens zog sich murrend zurück und ging beleidigt und frustriert zurück in die Kajüte, um sich zusammen mit seinem Kollegen um den Motor zu kümmern. Die Abfuhr empfand er als eine Erniedrigung für ihn und er dachte daran, sich irgendwann zu rächen. Jenna beschloss, David nichts über den unerfreulichen Vorfall zu erzählen. Sie wusste, dass David viel von Jens hielt und sie wollte die Männerfreundschaft nicht gefährden.

Was weder Jenna noch Jens wussten: Auf dem Balkon des Yachtklubs beobachtete eine dritte Person den Vorfall mit einem Fernglas. Sie trug eine tief ins Gesicht gezogene Mütze und eine dunkle Sonnenbrille. Nur die runden Wölbungen unter dem T-Shirt liessen erahnen, dass es sich um eine Frau handelte, die der Statur nach Petra Eckert ähnelte.

*****

„Ich checke das Schiff auf Schäden, komme zurück ins Cockpit, starte den Motor und wir nehmen Kurs auf Valletta. Wenn Wind aufkommt, setze ich die Segel. Ihr ruht euch in der Zwischenzeit aus. Einverstanden?“, erkundigt sich Jens bei den beiden.

„Klar sind wir einverstanden“, antwortet David.

„Wir beide sind dir dankbar, dass du uns hilfst. Ist doch so, Jenna?“

„Ich muss nach unten und mich hinlegen, ich bin sehr müde.“

Sie verschwindet mit ausdrucksloser Miene in die Kabine.

„Kann ich dich allein lassen, wenn du zurück bist?“, wendet sich David Jens zu.

„Ich werde alles im Griff haben“, sagt Jens und ein Grinsen überzieht sein Gesicht.

Nach wenigen Minuten kommt Jens zurück.

„Ausser der gewaltigen Unordnung scheint alles in Ordnung zu sein. Ich überprüfe noch das gesamte Rigg. Der Radar scheint teilweise abgerissen und die Segel sind futsch. Aber die Yacht schwimmt, hat kein Leck und mit Motor und den Ersatzsegeln schaffen wir es problemlos bis Valletta.“

David folgt Jenna in die Bugkabine. Jenna liegt zugedeckt auf dem Bett und weint. Die noch immer nassen Kleider liegen ungeordnet auf dem Boden.

„Ich weiss, es war hart für dich. Aber bitte weine nicht, ich kann das nicht ertragen. Ich fühle mich schuldig. Ich hätte das Cockpit niemals verlassen dürfen.“

David ist erschüttert über den Zustand von Jenna und hat völlig unberechtigt Schuldgefühle, dass er Jenna ans Ruder der „Hanna“ gerufen hat. Auch wenn er am Ruder geblieben wäre, nichts hätte sich geändert. Er hat Jen in den letzten sieben Jahren noch nie so niedergeschlagen, traurig und verletzlich erlebt.

„Setz dich zu mir, ich muss dir etwas erzählen. Ich hätte es schon lange tun müssen“, schluchzt eine sichtlich mit sich ringende Jenna.

„Das hat Zeit für später. Nicht jetzt.“

„Nein, David. Jetzt. Ich kann und will ein Geheimnis nicht länger in mir tragen.“

„Was immer es ist, sag mir einfach die Wahrheit!“, antwortet David etwas irritiert.

„Die Wahrheit tut manchmal so weh, dass man sie lieber nicht hört. Das gilt besonders dann, wenn man von einem anderen Menschen verletzt wird und es nahe geht, weil die Enttäuschung so gross ist.“

„Du machst es aber spannend. Komm, sag schon, was dir auf dem Herzen liegt. Bitte, Jen.“

„Es fällt mir nicht leicht, aber ich bin froh, dass ich die Last des Stillschweigens endlich loswerden kann.“

Jenna erzählt David lückenlos von den Erlebnissen mit Jens in Brisbane und zählt die Gründe auf, wieso es bis heute ihr Geheimnis geblieben ist. David ist enttäuscht und macht Jenna Vorwürfe, dass sie ihm nichts erzählt hat. Aber schnell merkt er, dass es eigentlich das Verhalten von Jens ist, das ihn wütend macht. Jenna ist völlig erschöpft.

„Kannst du mir verzeihen, Daffy?“, fragt sie besorgt. „Du hättest mir sofort davon erzählen müssen. Ich kenne deine Gründe. Wir sollten uns immer die Wahrheit erzählen, auch wenn es manchmal weh tut.“

„Wir machen alle Fehler, ich kann dich verstehen. Es tut mir aufrichtig leid.“

„Auch ich mache Fehler, Jen. Leg dich jetzt wieder hin und erhole dich von den Strapazen.“

David gibt Jenna einen Kuss auf die Stirn. Sie blickt ihn dankbar an, rümpft die Nase und meint:

„Du hast eine Dusche nötig, mein Lieber.“

„Das gleiche habe ich von dir “

Jen ist eingeschlafen. Für eine kurze Zeit beobachtet er sie. Mit regelmässigen Zügen atmet sie tief ein und aus. Ihr bleiches Gesicht mit einem sanften und ruhigen Ausdruck wirkt engelhaft.

„Du bist mein Engel“, denkt David und entfernt sich

leise.

David erinnert sich an die Aufforderung von Jenna. Obwohl er noch immer starke Schmerzen verspürt, holt er aus dem Kleiderschrank frische Wäsche. Er wählt die rote Unterhose mit Disney Figuren und muss kurz schmunzeln. Jenna war derart amüsiert, als sie David das erste Mal in diesem Prunkstück sah, dass sie gemeinsam lauthals lachten, bis die Tränen kamen. Gerne erinnert er sich an viele glückliche und unbeschwerte Momente. Jenna kann solche Momente viel ausgelassener als er geniessen. Er beneidet sie dafür. Er greift sich eine kurze, blaue Hose und ein weisses T-Shirt. Auf dem T-Shirt ist in roter Schrift aufgedruckt:

„Navigation ist, wenn man trotzdem ankommt.“

Astrid hat ihm ein Jahr vor der Yachtübernahme dieses Shirt zusammen mit einer teuren Sportuhr zum Geburtstag geschenkt.

Im Spiegel neben der Dusche sieht David einen Mann, dem die Strapazen der letzten zwei Tage anzumerken sind. Seine unzähligen Schürfungen, die Blutergüsse am ganzen Körper und die verkrustete Wunde an der Stirn zeugen von der Wucht, mit der er aufgeprallt ist. Aber viel mehr schmerzen die Rippen. Nach dem Duschen sieht David etwas besser aus und mit Pflastern hat er die schlimmsten Stellen abgedeckt. Das Duschen hat ihn zusätzlich ermüdet und er fühlt sich schlapp.

„Ich werde mir Jens vorknüpfen, wenn die Schmerzen etwas nachlassen.“

David holt sich aus der Bordapotheke starke Schmerzmittel, füllt ein Glas mit Wasser und schluckt zwei Tabletten. Die Wirkung erfolgt nach kurzer Zeit und er merkt, dass er müder und müder wird. Er kann die Augen kaum mehr offenhalten, beginnt zu gähnen und schläft wie Jenna ohne Vorwarnung ein.

Jens wartet auf die Rückkehr von David. Nach einer Stunde beschliesst er nachzusehen, wo David bleibt. Er schaltet den Autopiloten ein und steigt die Treppe zur Kabine herunter. Er sieht David auf der Bank liegend. Er reagiert nicht auf den Versuch von Jens, ihn zu wecken. Jens begibt sich leise durch das Schiff schleichend in den Bugbereich. Dort schläft Jenna eng zusammengerollt auf dem Bett. Neben dem Bett liegen die nassen Kleider, die sie ausgezogen hat. Nur eine dünne Sommerdecke verhüllt ihre Nacktheit. Jens geht näher heran und glotzt Jenna an. Er greift nach der Ecke der Sommerdecke und zieht sie langsam weg. Eine gute Gelegenheit!

„Bitte nicht, ich friere“, murmelt Jenna.

*****

Jenna ist durch das kaum hörbare Rascheln der Decke aus dem tiefen Schlaf aufgewacht. Die Augen öffnen sich langsam. Was sie sieht, versetzt ihren Körper schlagartig in Kampf- und Fluchtbereitschaft. Das Herz pumpt, die Finger werden kalt und der Mund trocken. Immer noch der gleiche verschlagene, gierige Blick, der einem nie direkt in die Augen geht, sondern so knapp daran vorbei, dass man sich nach einer Weile unwillkürlich umdreht, um zu sehen, ob hinter einem jemand Grimassen schneidet. Es sind die Augen und das Gesicht von Jens.

„Lass mich sofort in Ruhe! Sonst ….“

„Was sonst?“

„Dann schreie ich laut und dann kommt ….“

„David?“, antwortet Jens mit einem finsteren Lächeln und fährt fort:

„Er wird nicht kommen, er schläft tief und fest. Niemand wird dich hören, Mäuschen.“

Er verstärkt mit seinen Armen den Druck und presst die Handgelenke von Jenna fest auf das Bett.

„Jens, bitte hör sofort auf. Ich will das nicht!“

„Ach, du willst nicht? Ich frage dich auch nicht. Ich glaube, du hast keine Wahl. Du musst zwischen zwei Möglichkeiten abwägen. Entweder du machst mit oder es folgt die harte Tour.“

Das Gesicht von Jens wird je länger je mehr zu einer hässlichen Fratze.

David erwacht instinktiv aus seinem Schlaf. Etwas stimmt nicht, aber er weiss im Moment nicht, was es sein könnte. Die jahrelange Erfahrung auf See haben ihn gelehrt, auch während dem Schlafen spezielle Vorkommnisse wahrzunehmen. Er hat kein gutes Gefühl und ein mulmiges Empfinden beschleicht ihn. Leise erhebt er sich und schaut sich im Schiff um. Als er den Bugbereich in Augenschein nimmt, erstarrt er. Was er sieht, lässt unsägliche Wut in ihm aufsteigen. Nur kurz überlegt er. Dann schleicht er zurück in den Wohnbereich, greift nach dem kleinen Feuerlöscher, der an der Verankerung des Salontisches befestigt ist. Vorsichtig löst er die Halterungsriemen, nimmt den Feuerlöscher und geht Richtung Bug.

Jenna spuckt Jens ins Gesicht. Das erhöht die Erregung von Jens nur noch mehr. Sein Gesicht ist gerötet und er atmet schwer.

„Na komm schon, kleine Wildkatze, du willst es auch.“

Jens sitzt mit offener Hose rittlings auf Jenna. Er versucht mit aller Kraft, die wild um sich schlagende Jenna zu bändigen.

David geht nahe an Jens, der ihn nicht hört. Davids Gefühle steigern sich in blinde Wut, Hass, Brutalität und Grausamkeit. Er hat keine Scheu davor. Es ist wie ein Rausch nach der Einnahme von Drogen. David sagt laut:

„Jens, das solltest du bleiben lassen“.

Jens dreht sich erschrocken um. Noch bevor ein Laut über seine Lippen kommt, schlägt David ihm den Feuerlöscher mit voller Wucht ins Gesicht. Das Nasenbein und der Kiefer von Jens können den wuchtigen Schlag nicht verkraften und brechen geräuschvoll. Jens sinkt bewusstlos auf das Bett.

Jenna schlägt weiterhin um sich und beginnt panisch zu schreien. In den Augenwinkeln kann sie David erkennen, der mit dem Feuerlöscher in der Hand regungslos dasteht. Sein Gesichtsausdruck und seine Augen lösen noch mehr Angst in ihr aus. Sie kann die Enttäuschung und den Zorn förmlich spüren. Sie wird von einem Augenblick zum anderen ruhig und fragt David beherrscht:

„Hast du ihn getötet?“

„Nein, ich bin gerade noch rechtzeitig gekommen. Wenn Jens dich vergewaltigt hätte, würde er nicht mehr leben.“

Er handelt völlig irrational und vergisst dabei, Jenna zu fragen, wie es ihr geht.

„Steh auf und ziehe dir etwas an. Dann gehst du ins Cockpit und bleibst dort, bis ich komme.“

„Mach nichts, dass du später bereuen wirst. Versprichts du es mir?“, fragt Jenna.

„Ich werde den elenden Saukerl mit Kabelbindern fesseln und dafür sorgen, dass er uns keinen Ärger mehr macht.“

Diese Antwort trägt nicht zur Beruhigung von Jenna bei. Sie bittet David erneut keine Dummheiten zu machen und verlangt sein Versprechen. Auf das geht David ein. Während Jenna sich fertig anzieht, dreht sie sich zu David um und sagt:

„Danke, David. Manchmal lässt sich die Dankbarkeit, die wir empfinden, nicht mit Worten ausdrücken.“

„Ich liebe dich über alles, du musst mir nicht danken.“

„Ehrlich gesagt…ich habe dein Gesicht und deine Augen gesehen und bin erschrocken, ich hatte Angst, David.“

David nähert sich Jenna und will sie in die Arme nehmen.

„Fass mich nicht an! Nicht jetzt, bitte!“

„Ich bin es doch.“

„Ich weiss, aber trotzdem….“

„Entschuldige bitte, ich habe dich gar nicht gefragt, wie es dir geht.“

Er will nach der Hand von Jenna greifen. Aber sie zieht die Hand sofort zurück und beginnt leise zu erzählen:

„Es war furchtbar. Ich habe mich wie gelähmt gefühlt. Es war so….“

„Lass dir Zeit, beschreibe deine Gefühle. Es wird dir helfen.“

„Ich habe nichts mehr gefühlt. Auch meine Seele nicht. Es war wie eine emotionale und körperliche Betäubung. Meine Seele war ausserhalb von mir. Kannst du das verstehen?“

„Ich war noch nie in einer ähnlichen Situation, aber ich kann es mir vorstellen.“

„Nein, ich glaube nicht. Ich hatte Todesangst.“

„Es tut mir so leid, Jen. Ich hätte nicht einschlafen dürfen. Alles hätte nie stattgefunden.“

„Nein, mache dir keine Vorwürfe. Bitte! Jens ist der Übeltäter, ganz sicher nicht du.“

„Danke, Jen.“ Aber etwas beschäftigt mich.“

„Was ist es?“, will Jenna wissen.

„Es ist nicht der richtige Zeitpunkt. Ich erzähle es dir später.“

„Komm, spuck es aus. Es bring nichts, wenn du es für dich behältst.“

„Die Emotionen, die ich empfunden habe, machen mir Angst. Ich wäre aus Liebe zu Dir fast zum Mörder geworden. Ich fühlte mich wie ein zerstörter Mensch, als ich Jens auf dir sah. Ein Moment der gewaltigen Enttäuschung. Ein Augenblick der kompletten Kränkung. Keine Perspektiven. Das waren Bruchteile von Sekunden, in denen ich wie ein Vulkan explodierte und alle Wut auf einmal hochgekommen ist.“

„Aber du bist nicht zum Mörder geworden. Ich kenne dich nun seit sieben Jahren, David….“

„Du glaubt nicht, dass ich töten könnte?“

„Töten? Nein, dazu bist du nicht fähig, David.

„Hast du Argumente dafür, ich habe sie nicht.“

„Dein Leben, dein Handeln, deine Vorstellungen und deine Werte bauen auf Respekt und Vertrauen auf.“

„Aber auch ich habe dunkle Seiten.“

„David, überleg dir doch. Wir alle sind nicht immer perfekt in unserem Tun.“

„Ja, das stimmt. Aber was unterscheidet ….?“

„Versuchen ich oder du uns gegenseitig zu ändern? Nein, das funktioniert nicht. Man kann einen anderen Menschen nicht grundlegend ändern. Wer das will, der akzeptiert nicht wirklich den Menschen, den er vor sich hat, sondern versucht ihn nach seinem Wunschbild zu ändern.

„Aber ich muss mich ändern. Ich habe mich nicht im Griff“, interveniert David.

„David, das ist doch Quatsch! Ich liebe dich so, wie du bist. Ich möchte keinen anderen.“

„Du meinst, ich kann bleiben, wie ich bin?“

„Auf jeden Fall, du Dummkopf!“

*****

David erinnert sich an eine Geschichte, die ihm Jen etwa ein Jahr nach der gemeinsamen Abreise erzählt hat.

„Ich muss dir etwas erzählen, dass bis heute nur meine Mutter und meine Schwester erfahren haben. Ich habe mit 19 Jahren nach einer Vergewaltigung abgetrieben!“

„Abgetrieben? Warum nur?“, fragt David entsetzt.

„Er war 42. Er war verheiratet und hatte zwei nette Kinder und eine Frau, die ich sehr geschätzt habe. Sie war meine Lehrerin. Ich wollte sie besuchen, aber nur Gustav war zuhause. Wir haben geredet, er war sehr nett. Er wollte mir zwei Gläser mit selbst gemachter Konfitüre schenken und hat mich in den Keller gelockt. Dort ist es passiert und er hat mich brutal vergewaltigt.“

„Furchtbar. Was hast du gemacht?“, fragt David mitfühlend.

„Gustav hat mir gedroht, dass meiner Schwester etwas passieren wird, wenn ich etwas erzähle.“

„Wie hast du reagiert?“

„Erst als ich merkte, dass ich schwanger bin, habe ich es meiner Mutter und später auch Astrid erzählt. Zusammen mit meiner Mutter gingen wir zur Polizei, um Gustav anzuzeigen. Zwei Wochen später wurde er verhaftet. Seine Frau sagte damals zu mir, dass es ihr sehr leid tue und sie dankbar sei, dass ich Gustav bei der Polizei gemeldet habe.“

„Ach, Jenna. Ich verstehe jetzt, du musstest eine Entscheidung treffen wegen dem ungeborenen Baby in deinem Bauch.“

„Ja, das musste ich. Einige Tage habe ich dafür gebraucht. Dann habe ich mich für eine Abtreibung entschieden.“

„Das war sicher schwierig und hat dich belastet.“

„Ja, das war es. Weil man hinter einer Entscheidung steht, fällt sie einem nicht automatisch leichter. Ebenso kann man nicht alles im Leben erreichen, wenn man es nur ganz doll will.“

„Man kann auch trauern, ohne die eigene Entscheidung zu bereuen. Ein Schwangerschaftsabbruch ist eine individuelle Entscheidung, die niemand einfach fällt. Nur die Person, die schwanger ist, kann entscheiden, ob sie es schafft, ein Kind grosszuziehen oder eben nicht“, meint David verständnisvoll. „Die Zeit nach der Abtreibung war hart für mich und ich sehnte mich nach Halt und Verständnis. Viele Menschen in meinem Umfeld verstanden nicht, wieso ich mich so mies fühlte und nichts damit zu tun hatte, dass ich meine Entscheidung bereute.“

„Du hattest damals deine Gründe und ich verstehe deine Entscheidung.“

„Nach der Abtreibung hat mir der Arzt mitgeteilt, dass ich nie mehr Kinder bekommen kann.“

„Jen, eine furchtbare Geschichte. Es tut mir so weh, was du erlebt hast.“

Zurück aus seinen Erinnerungen kann David die Gefühle von Jenna gut nachempfinden. Das Verhalten von Jens muss die Seele von Jenna tief getroffen haben. David umarmt Jenna und sie lässt es zu.

„Du riechst gut. Frisch geduscht?“, fragt Jenna.

„Ja, und ein paar Spritzer deines Lieblingsparfüms. Vielleicht solltest du dir auch überlegen …“

„Ich bin schon unterwegs“, antwortet Jenna und versucht zu lächeln.

Er schaut ihr direkt in die blauen Augen. Jenna erwidert den Blick. Beide empfinden das Gleiche. Die Augen sind der Spiegel der Seele.

*****

Nach dem Duschen verlässt Jenna die Kabine und steigt die Treppe ins Cockpit hoch. David holt Kabelbinder und wendet sich Jens zu, der stöhnt und langsam zu sich kommt. Er kann kaum sprechen. David versteht trotzdem, was er artikuliert:

„Lass mich erklären, es ist nicht so, wie du denkst“.

David gibt grob und gereizt zurück:

„Halt deine Klappe und hör mir zu. Du machst alles nur schlimmer. Streck mir die Hände entgegen. Ich werde deine Handgelenke fesseln.“

Jens will protestieren, sieht den eiskalten Blick von David und ergibt sich wortlos seinem Schicksal. David zurrt die Kabelbinder fest und sagt zu Jens:

„Für dich wäre es am besten, wenn du liegen bleibst und dich ruhig verhältst. Ich bringe dir Schmerz- und Schlafmittel. Nutze die Zeit, darüber nachzudenken, was du getan hast.“

„David, wir bleiben doch Freunde“, bettelt Jens. Die Antwort von David ist klar:

„Nein Jens, das werden wir nie mehr sein.“

David sperrt die Kabinentür zu und sichert den Drehgriff durch ein Tau. Danach schreitet er zum Tresor, gibt den Code ein und öffnet die Türe. Er nimmt die kleine Schatulle mit dem Ring heraus und schliesst den Tresor. Zum Glück haben weder Jenna noch Jens den Ring und die Schatulle entdeckt, die nach dem Sturm gut versteckt unter einer Seekarte am Boden lagen. Er braucht keine Zeit, um sich zu überlegen, was er Jenna sagen will.

*****

Jenna kauert auf den weichen Kissen der Cockpitbank und starrt mit leerem Blick auf das ruhige Wasser. Die Ereignisse der letzten zwei Tage haben sie mitgenommen. Sie ist verunsichert, ob sie je wieder an das Gute im Menschen glauben kann. David geht zu Jenna und streicht gefühlvoll durch ihre Haare. Er steht vor Jenna, kniet sich nieder, nimmt die Schatulle aus dem Hosensack und sagt zu ihr:

„Seit ich dich kenne, gibt es für mich kein Ich mehr, sondern immer nur ein Wir. Ein gemeinsames Leben mit dir ist die schönste Vorstellung für mich. Ich habe lange nach einer Liebeserklärung für dich gesucht, doch leider fehlen mir die Worte, die beschreiben könnten, was du für mich bedeutest.“

„David, sprich bitte nicht weiter. Nicht jetzt und nicht nach dem, was in den letzten Tagen passiert ist.“

„Du weißt gar nicht, was ich dir sagen will.“

„Oh doch, eine Frau hat ein sicheres Gefühl dafür. Bitte nicht jetzt!“

„Nimmst du diesen Ring als Zeichen unserer Eheschliessung an?“

Jenna ist tief berührt. Es ist genau das, wovon sie geträumt hat. Ein gemeinsames und gesichertes Leben mit David. 2017, kurz nach dem Auslaufen in Darwin waren die Rollen umgekehrt. Sie bat David darum, dass sie ihn heiratet. Bis heute bot sich nie die passende Gelegenheit, die Ehe formell bestätigen zu lassen. David klärt Jen darüber auf, was er am 11. September im Salon holen wollte.

„Du hättest mir den Ring bei Windstärke 9 übergeben?“

„Wieso nicht? Es soll ein besonderes Ereignis sein.“

„Du überrascht mich immer wieder.“

„Daffy, ich danke dir von ganzem Herzen. Können wir traditionell feiern? Mit weissem Hochzeitskleid, vielen Gästen, Kutsche und vielen, vielen Blumen?“

„Wir machen es so, wie du es dir vorstellst.“

„Ja, Ja, Ja“, stimmt Jenna zu.

„Du meinst, wir sollten dreimal heiraten und feiern?“

„Jedes Jahr feiern wir unseren Hochzeitstag, viel mehr als dreimal.

*****

„Was machen wir mit Jens?“, will David zwei Stunden später wissen und holt Jenna in die Realität zurück.

„Ich bin mir nicht sicher, was wir tun sollen. Wenn wir ihn in Valletta der Polizei übergeben, dann ist er mit Bestimmtheit seinen Job los und wird viel Ärger bekommen. Einfach so können wir ihn auch nicht davonkommen lassen.“

„Da stimme ich dir zu“, meint David.

„Ich hätte eine Idee. Wir fragen Jens nach den Gründen für sein Verhalten, bevor wir uns entscheiden. Vielleicht können wir ihn dann etwas besser verstehen.“

„So nach dem Motto: er hatte eine schwere Jugend, seine Freundschaften haben nie geklappt, er ist ein armer Kerl und deshalb müssen wir verstehen, dass er an dir herumgefingert hat und weiter gegangen wäre, wenn ich ihn nicht rechtzeitig davon abgehalten hätte.“

David, der wenig begeistert von der Idee ist, hat sich in Rage geredet. Jenna fragt nun David sachlich und bestimmt:

„Du bist Jurist und Strafverteidiger. Hat nicht jeder Mensch das Recht angehört zu werden? Selbst vor Gericht wird einem Mehrfachmörder die Gelegenheit gegeben zu reden, sich zu erklären und auszudrücken.“

„Das stimmt und ich danke dir, dass du mich einmal mehr daran erinnerst, dass es auf der Welt doch noch ethisches Verhalten gibt.“

“Leider ist es oft nur in den Köpfen vorhanden.“

„Genau wegen solcher Argumente bin ich dir dankbar!“

„Dann ist es beschlossene Sache, dass wir Jens morgen eine Chance geben, sich zu erklären.“

„Ja, im Sinne von in dubio pro reo. Du kennst diesen Ausdruck im Juristen Deutsch?“

„Was denkst du bloss von mir? Im Zweifel für den Angeklagten!“

„Gleiche Rollenverteilung?“, lässt sich David bestätigen. „Klar, du spielst den Bösen und aggressiven Ankläger. Ich das untergeordnete Weib, das anderen eine Chance geben will.“

„Perfekt, hat immer geklappt.“

David spielt damit auf störrische Beamte hin, die ihnen die Einreise und den Aufenthalt während ihrer Reise nicht genehmigen wollten. David reagierte gespielt aggressiv, Jenna gab ihm die Schuld, dass es nicht klappte. Er protestierte, warf eine Büchse Cola an die Wand, ein heftiger Streit begann. Jenna schluchzte und liess -wenn möglicheinige Tränen über die Wangen tropfen, um den dramatischen Höhepunkt folgen zu lassen. Sie sprach leise zu David. Er wisse, dass sie herzkrank sei und nur noch ein paar Monate zu leben hätte. Sie ergänzte, dass sie so gerne an Land gegangen wäre. Ein letzter Wunsch.

Die Beamten zeigten immer Mitleid, betonten, dass sie eine Ausnahme machen könnten und sie selbstverständlich keine Gebühren erheben würden.

Ein Schauspiel, auf das David und Jenna nicht stolz sind. Aber was macht man nicht alles für sein Glück?

*****

Am nächsten Morgen schaut Jenna trotz Protesten von David selber nach Jens. Er ist aufgewacht und sitzt auf dem Bett. Er hört, wie die Türsicherung entfernt und das Türschloss geöffnet wird. Als er bemerkt, dass es Jenna ist, senkt er den Kopf beschämt nach unten.

„Jens, wir wollen dir die Gelegenheit geben, dich zu äussern. Danach werden wir entscheiden, wie wir nach der Ankunft in Valletta vorgehen. Bist du einverstanden?“

Jens nickt.

„Wenn du mir versprichst ruhig zu bleiben, dann kannst du ins Cockpit kommen. Wir versuchen dann, dir etwas zu Trinken und zum Essen zu geben.“

Jens garantiert durch ein Nicken, sich vernünftig zu verhalten.

Im Cockpit bugsiert David, der unter starken Schmerzen leidet, ihn an einen Ort auf der Sitzbank, wo er ein Tau mit einem Karabiner mit den Kabelbindern, mit denen die Hände von Jens gefesselt sind, zusammenfügt. Jenna hat inzwischen ein Glas mit Orangensaft und eine offene Konservenbüchse mit Apfelmus geholt.

„Jens, sieh es als Chance an und erkläre uns deine Beweggründe“, beginnt David das Gespräch.

David sieht sich in der Rolle des Juristen und Anklägers. Er geniesst diese Rolle. Er zeigt eine Maske, die leider oft genug zu seinem eigenen Gesicht wird. Bartlos das regelmässige, ernste und undurchdringliche Gesicht mit den wulstigen und fest verschlossenen Lippen. Man könnte auch sagen, die beste Maske, die ein Schauspieler machen will, um einen bis ins kleinste Detail korrekten, übertrieben vorsichtigen, zurückhaltenden, seiner Würde und Verantwortung bewussten Ankläger darzustellen. Er wirkt dabei teilnahmslos, ungerührt, nüchtern und unnahbar. Sehr schnell kann er aber eine andere Maske anziehen. Dann wird er aggressiv, schnodderig in der Sprache und seinem Verhalten, erpicht darauf sein Gegenüber einzuschüchtern, gefügig zu machen und die Wahrheit zu hören. Diesem David wird Respekt gezollt.

Jens überlegt einige Zeit und beginnt dann mit leiser Stimme seine Gründe darzulegen:

„Ihr wisst sicher, was Frustration ist. Aber wisst ihr auch, wie es sich anfühlt? Frust begleitet mich schon das ganze Leben.“

„Was bedeutet Frustration für dich und was heisst das gesamte Leben?“, erkundigt sich Jenna.

„Wie soll ich das am besten erklären?“

„Versuch es, wir wollen es wissen!, interveniert David.

„Ein emotionaler Zustand, den ich nicht beeinflussen kann und der bei mir dann auftritt, wenn eine Situation nicht wie erhofft verläuft.“

„Kennen wir alle. Aber mach weiter“, wirft David ein. „Werden meine eigenen Erwartungen nicht erfüllt, entsteht dieses Gefühl der Frustration. Mein ganzes Leben lang fühle ich mich benachteiligt.“

„Jen, kannst du mir ein Taschentuch reichen, mir kommen die Tränen!“

„Daffy, bitte!“

„Erfüllst du deine eigenen Erwartungen nicht? Oder sind es andere Personen, die den Frust hervorrufen?“

David geht in seiner Maskenrolle auf.

„Wer frustriert ist, durch den anhaltenden Stress im Beruf oder der Partnerschaft, entwickelt Verhaltensmuster, um dem Ärger Luft zu machen.“

„Und du verschaffst dir Luft, indem du versuchst, mich zu vergewaltigen?“ Die Stimme von Jenna wird lauter und energischer.

„Nein.. vielleicht manchmal.., es tut mir leid, aber ich bin krank. Oftmals sind es Süchte, die dabei entstehen. Bei mir steht Alkohol ganz oben auf der Liste, aber auch das Verlangen nach Frauen kann gefährlich für mich werden. Die Befriedigung, die durch den Konsum von Alkohol hervorgerufen wird, kann schnell zur Sucht werden.“

„Du denkst also, dass deine Süchte und die Krankheit dich berechtigen zu saufen und Frauen ungebührlich zu nahe zu treten, um es mal diplomatisch auszudrücken?“

David hat die Hälfte der zweiten Maske übergestülpt.

„Könnt ihr es nicht verstehen? Das Gefühl, eine Frau zu besitzen und die Macht über sie zu haben, ist noch viel stärker als beim Alkohol. Natürlich halten die Erleichterung und das Glück nur kurz an, und schnell bist du wieder am Ausgangspunkt angelangt. So entsteht leicht ein Teufelskreis.“

„Dann suchst du dir einfach das nächste Opfer?“

Jenna zeigt sich empört und David ergänzt:

„Machst du es dir nicht zu leicht? Wir alle sind manchmal frustriert. Deshalb fallen wir aber nicht über Frauen her.“

Jenna fragt:

„Weshalb hast du gerade mich ausgesucht?“

„Ich wollte David kränken. Er ist ein netter Kerl. Aber vor neun Jahren taucht er bei mir auf, kauft, ohne auf Kosten und zusätzlichen Aufwand zu achten, eine teure Yacht. Eine Yacht, die ich mir nie werde leisten können.“

„Und du hast dir eingeredet, dass dieser David nie mehr arbeiten muss. Er hat schon genug Kohle. Mit ehrlicher Arbeit verdient? Ich bin mir nicht sicher. Nein, ich weiss, dass es nicht so ist.“

David ist nun endgültig mit seiner zweiten Maske bestückt.

„Und es ist nicht nur David. Nein, es sind die meisten meiner Kunden. Junge Schnösel, die noch nie in ihrem Leben gearbeitet haben, ältere Damen und Herren, die alle zu viel Geld haben und mich wie einen Durchlauferhitzer brauchen, bis ihre Yacht bereit ist“, klagt Jens.

Jenna unterbricht:

„Die Frage lautete: Wieso ich?.“

„Ich kenne dich aus den Zeitungen. Ich schaue zu, wenn du im TV Interviews gibst oder über deine Fotografien berichtet wird. In Brisbane traf ich dich persönlich. Die Frustration richtet sich nicht gegen dich. Du bist süss und ich bewundere dich. David hingegen kann sich alles erlauben, mustert seine Frau Astrid aus und kauft sich eine andere.“

„Jetzt gehst du zu weit!“ ärgert sich ein zorniger David.

Jens ist erschöpft, hat heftige Schmerzen und will sich hinlegen. David aber hat überhaupt keine Lust, Jens einfach so springen zu lassen.

„Was meinst du?“, fragt David und schaut zu Jenna. „Ich denke, jeder Mensch hat eine Chance verdient. Wir sollten ihm diese gewähren und nicht verurteilen, was er gemacht hat. Er ist krank….“

„Du denkst also, in ihm steckt ein guter Mensch? Ausgerechnet du?“

„In jedem von uns ist Gutes vorhanden. Das ist alles, was ich sagen will. Und bitte, halte dich etwas zurück.“

„Was soll das heissen?“ David ist nun auch gegenüber Jenna aggressiv.

„Das wirst du selber am besten wissen“, kontert Jenna. „Verdammt Jenna, ich bin überzeugt, Jens belügt uns und hat ein gutes Schauspiel abgeliefert. Gute Menschen finden ihr Glück nicht in der Lüge, im Verrat oder im Betrug, gute Menschen leben auch nicht leicht und locker, sie haben viele Steine auf dem Rücken.“

„Aber das hat Jens doch auch“, erwidert Jenna. David fährt unbeirrt fort.

„Gute Menschen haben auf ihrem Weg viele Stiche in den Rücken erhalten und viele Schlangenbisse an ihren Händen, weil sie falschen Menschen die Hand reichten. Gute Menschen sind optimistisch und lächeln, obwohl sie weinen müssten. Ihr Charakter ist durch Loyalität, Vertrauen und Warmherzigkeit geprägt. Du gehörst ohne Abstriche zu diesen Menschen, Jenna. Aber Jens? Nein, ich kann wenig davon erkennen.“

Jens hat den Schlagabtausch mitbekommen. Es geht für ihn um alles oder nichts. So fleht er voller Selbstmitleid:

„Bitte zerstört nicht meine Existenz. Habt Mitleid und gebt mir eine Chance. Ich muss jeden Tag viele Medikamente schlucken. Die sind schuld an meinem Verhalten. Bitte, ich verspreche….“

„Was versprichts du?“ David ist genervt.

„Ich werde versuchen, ein anderer Mensch zu werden. Ich gebe zu, es wird nicht leicht sein, vielleicht wird es auch zu Rückfällen kommen….“

„Geh zum Arzt und lass dich behandeln. Friss noch zusätzliche Tabletten, dann wird es dir besser gehen. Ich glaube dir kein Wort, du elender Lügner. Für mich bist du ein krankes Ar….“

„David, es reicht. Hast du verstanden? Es ist genug. Kapiert? Ist meine Botschaft angekommen?“

David schweigt. Er spielt ab sofort die Rolle der beleidigten Leberwurst. Auch diese Maske gehört zu seinem Repertoire.

Jenna muss erkennen, dass David wohl recht hat. Trotzdem versucht sie es noch einmal nach und bittet David mit treuherzigem Ausdruck, das Leben von Jens nicht endgültig zum Horror werden zu lassen.

David lässt sich durch die erneute Bitte von Jenna erweichen. Er sagt zu Jenna:

“Das ist nicht fair, du weisst, wenn du mich anschaust wie jetzt und mich um etwas bittest, dann kann ich nicht nein sagen.“

„Du bist ein guter Mensch, David“, meint Jenna schmunzelnd.

Das Eis ist gebrochen und die Würfel sind gefallen. Jens begibt sich zusammen mit Jenna zurück in die Bugkabine. Er ist zufrieden, erleichtert und zeigt sich dankbar.

„Herzlichen Dank für deine Unterstützung, Jenna.“

„Danke nicht mir, bedanke dich bei David. Wenn ich alleine hätte entscheiden können, dann wärst du jetzt auf dem Weg in die Hölle und würdest im Fegefeuer qualvoll und langsam zu Asche werden.“

„Aber ich dachte…“

„Falsch gedacht. Wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich mich hinlegen und etwas schlafen.“

„Kannst du mir die Hände von den Kabelbindern befreien?“

„Vergiss es!“

Jenna verlässt die Kabine und schliesst ab. David steht bereit und der Drehgriff wird gesichert.

*****

„Möchtest du etwas essen?“, fragt Jenna David.

„Nein, die Lust ist mir vergangen. Ich gehe schlafen. Du übernimmst das Ruder!“ David spielt seine Rolle weiter und Jenna geht darauf ein.

„Zu Befehl, Skipper. Wann darf ich sie zum Apéro wecken?“

Diese simple Frage von Jenna lässt David zu David werden. Das gespielte, beleidigte Kind wird zum sympathischen Erwachsenen.

„Was meinst du zu einem Tomatensalat mit etwas Käse und mit zwei kühlen Bieren dazu? Zum Dessert etwas Obst?“

„Das tönt fantastisch. Ich freue mich darauf. Du kommst in der Küche klar? Ich muss das Ruder übernehmen! Befehl vom Kapitän!“, grinst Jenna.

Am nächsten Tag werden sie Valletta erreichen. Die Yacht steht unter vollen Segeln. Eine leichte Brise schiebt das Schiff durch die gekräuselte See.

Ein Schwarm Delfine begleitet das Schiff. Die eleganten Säugetiere lieben die Bugwellen von Schiffen. Sie reiten ähnlich wie Surfer auf und in den Wellen. Dafür brauchen sie kaum Kraft. Jenna und David schauen dem Treiben der Delfine zu. Diese lassen sich zurückfallen, um dann die Yacht mit Geschwindigkeiten bis 40 km/h wieder zu überholen. Dabei springen sie für kurze Zeit aus dem Wasser, ohne an Geschwindigkeit zu verlieren.

*****

„Hast du die Flipper-Filme in deiner Jugendzeit gesehen?“, fragt Jenna.

„Nein, Jen, ich war damals noch zu jung und meine Eltern haben es nicht erlaubt. Und du?“

„Nein, ich auch nicht. Ich habe mir immer wieder die Filme von Jaques Costeau angesehen. Das ist der Mann, der zusammen mit seinem Sohn Philippe die Ozeane erforscht hat.“

„Ich glaube, ich kann mich erinnern. 1964 durfte ich als 12-jähriger mit meinem Vater an die Landesausstellung nach Lausanne fahren. Zusammen mit meinem Vater konnte ich…“

„mit dem U-Boot Mesoscaphe von Jaques Costeau fahren. Darüber weiss ich Bescheid, mein lieber Daffy.“

„Du warst noch gar nicht auf der Welt damals!“

„Ja, ja, ich kenne mein Geburtsjahr.“

„Du hast es von jemanden gehört?“

„So ist es.“

„Und von wem?“

„Das verrate ich dir nicht!“

„Ein ehemaliger Freund, ein Liebhaber?“

„Nein, vielleicht….doch es geht in diese Richtung.“

„Aha. Habe ich dich ertappt! Wer war es?“

„Lass mich überlegen. Ja, jetzt kann ich mich erinnern. Ein schlanker, sportlicher und gut gebauter Mann. Gross und mit wirrem Haar. Etwas älter als ich, aber gut im Schuss.“

„Das muss weit vor der Zeit liegen….“

„Nein, überhaupt nicht. Ich würde sagen, ein paar Wochen.“

„Du hattest eine Affäre auf den Bahamas?“

„Ja, es war wunderbar.“

„Und wie heisst der Kerl?“

„David!“

„Wie ich?“

„Genau, wie du!“

„Warum hast du mir nichts davon erzählt?“

„Weil du dabei warst.“

„Ich, dabei?“

„Daffy, du stehst auf der Leitung! Du hast mir an einem schönen Abend auf den Bahamas von deinem Vater erzählt und was ihr gemeinsam erlebt habt….“

„Du kleines Luder! Ich erinnere mich und danach …“

„folgte der gemütliche Teil“, ergänzt Jen.

Geige am Ende des Seins

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