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Prolog

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„Jetzt zieh es schon raus!“, schreit die Stimme.

„Nein!“, fleht er. „Nein, ich kann das nicht. Das … darf ich doch nicht.“

„Aber du musst! Du hast es doch schon angefasst. Sieh nur deine Hände an. Jetzt gibt es kein Wenn und Aber. Du musst.“

Er betrachtet seine Hände. Sie zittern so stark, dass das Blut nicht mehr die Handflächen hinunterläuft, sondern links und rechts in dicken Tropfen abfällt. Dunkelrote Farbkleckse klatschen auf den Dielenboden.

Er kann das nicht sehen. Er spürt, wie sich ihm der Magen umdreht. Er schließt die Augen. „Ich … kann das aber nicht … da rausziehen … aus … aus dem da!“

„Der ist doch längst sonst wo“, zischt die Stimme. „Wer weiß, wie lange der hier schon liegt. Mann, gleich kommt noch einer. Und dann bist du dran. Hast doch sowieso schon genug Ärger am Hals. Jetzt zieh das verdammte Ding da raus.“

Er spürt, wie sein Atem immer schneller wird, wie er geatmet wird, rasend schnell, alles ein wahnwitziges Auf und Ab. Immer lauter. Immer schneller.

Wieder die Stimme: „Wer weiß, vielleicht warst du es ja sogar selbst …“

„Was, ich? Wieso, aber … das … kann ich doch gar nicht. Oder? … Oder? … Nein, das kann ich … nicht!“

Es durchzuckt ihn. Der ganze Raum dreht sich und der sterbende Körper vor ihm gleich mit. Er fliegt wie ein Todeskarussell um ihn herum und glotzt ihn matt an. Er kneift die Augen zusammen und rechnet. Siebenhundertvierundzwanzig mal dreihundertsiebzehn. Die Wurzel aus Viertausenddreihundertfünfundzwanzig, auf fünf Kommastellen genau. Er schafft nur vier.

„Es wird nicht aufhören, begreifst du das denn nicht?“, schreit die Stimme. Sie galoppiert schrill stampfend durch seinen ganzen Kopf. „Das Drehen wird nicht aufhören, und mit dem bisschen Rechnerei erreichst du überhaupt nichts. Du musst es rausziehen. Jetzt!“

Irgendwo knarrt eine Tür.

„Da, hab ich es nicht gesagt? Jetzt kommt einer. Jetzt bist du gleich dran, du blöder kleiner Idiot. Und ich gehe mit unter.“

Zweihundertfünfzehn geteilt durch siebenundzwanzig mal neunhundertfünf. Wo bleibt die Lösung, wo bleibt die Lösung, wo bleibt die Lösung? Wieder ein Knarren. Dann Schritte.

Und der Raum, der sich immer schneller dreht.

Und er, der fast das Bewusstsein verliert.

Und ungelöste Aufgaben. Viel zu viele Aufgaben … ungelöst. Und sein heller Schrei gegen die Welt: „Halt an!“

Und die Stille. Und das Messer. Und seine rechte Hand. Und ein Ruck. Und das Blut. Und wenige Meter. Und sein Zimmer. Und seine Tür. Und die drei Schlösser daran. Und die Nacht, die ihn nicht schlafen lässt.

Und der Mann im Wohnzimmer, der langsam und einsam verblutet.

Frau Herzog und der Mann im Schatten

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