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ОглавлениеVorwort
Es gibt wenige Arbeiten, die sich intensiver und so praktisch dicht mit den seelischen Komplexen beschäftigen, wie dieses Buch von Daniel Reinemer. Grundlage dafür ist das Komplexverständnis der Analytischen Psychologie C. G. Jungs. Diese Theorie der Komplexe von Jung ist die einzige differenziert ausgebildete psychologische und psychodynamische Theorie hinsichtlich Bildung und Auswirkung von Komplexen. Der Begriff wie das allgemeinere psychologische Verständnis (im Sinne einer schwierigen und konflikthaften psychischen Konstellation) finden zwar auch in anderen Psychologien Verwendung, so zum Beispiel beim Ödipuskomplex in der kindlichen Entwicklungstheorie Sigmund Freuds oder beim Minderwertigkeitskomplex Alfred Adlers. Und auch im psychologischen Alltagsverständnis ist das Komplexverständnis seit Längerem gebräuchlich, um eine heikle und affektiv überladene Persönlichkeitsseite zu bezeichnen.
Die Komplextheorie Jungs findet allerdings im Mainstream der heute dominierenden psychodynamischen und verhaltenstherapeutischen Konzepte wenig Beachtung. Dies liegt auch daran, dass Jungs Verständnis der Komplexbildungen kein einfaches ist und in seinen Schriften Veränderungen erfahren hat. Diese mehrschichtige Komplextheorie ist denn auch nicht so direkt in eine operationalisierte Therapiepraxis umzusetzen. Hier ist zudem die Interpretation und der persönlich-subjektive Stil des Therapeuten maßgeblich.
Daniel Reinemers Arbeitsstil ist ein direkter, persönlicher, fast leidenschaftlicher. Auch sollen die Darstellung und Sprache in diesem Buch gut zugänglich sein und insbesondere zur eigenen Nachdenklichkeit anregen. Dem Leser will der Autor Begleiter sein und nicht nur Empfänger.
Daniel Reinemer vermag uns dafür zu sensibilisieren, was bei Jung so zentral in seinem Komplexverständnis ist: Der Kern eines Komplexes ist ein Schmerz, eine Verletzung oder Verwunderung, eine Beschämung oder Angst. Oder eine Art Legierung davon. Der Komplex als Ganzes ist wie eine schützende Ummantelung eines tiefen Seelenschmerzes. Der Komplex will und soll uns schützen vor der Wiederkehr des Unerträglichen. Doch diese (wie jede) Schutzbildung hat ihren Preis. Vermeidung und Verleugnung generiert Unwahrheit im seelisch Ganzen und bedeutet Verlust an Lebendigsein. Und vor allem bedeutet es Einschränkung im offenen »in Verbindung Sein« mit anderen. In Daniel Reinemers Darstellungen ist dieses Doppelgesicht eines Komplexes nah. Nur wenn wir mit einem solchen Blick uns anerkennend unseren eigenen Komplexen nähern, beginnen diese, sich auch uns, unserem Ich und Bewusstsein, (wieder) zu nähern. Daniel Reinemers Buch will Begleiter sein auf einem solchen Weg.
Dr. phil. Roland Huber