Читать книгу Das Eidolon - David Pawn - Страница 3
Januar
ОглавлениеWenn wir dem Grauen gegenüberstehen, erkennen wir es zunächst in den seltensten Fällen. So erging es auch den Einwohnern des Ortes St. Michael, als das Schreckliche im Januar des Jahres 1992 zum ersten Mal zu ihnen kam. Erst in den folgenden Monaten wurde langsam deutlich, was da über das beschauliche Dorf am Michaelisbach hereingebrochen war. Das neue Jahr hatte mit Schneefall begonnen. Seit dem Neujahrsmorgen waren vier Tage vergangen und es schneite noch immer. Es würde nicht mehr lange dauern und St. Michael war völlig von der Außenwelt abgeschnitten. Es sah aus, als stecke das ganze Dorf in einer Schachtel voll Watte.
Auf der Straße zogen die Kinder mit ihren Schlitten zum Anger. Dort hatte tags zuvor eine inoffizielle Weltmeisterschaft im Schneemannbauen stattgefunden, die Daniel Seele gewonnen hatte. Gemeinsam war von ihm und seiner drei Jahre älteren Schwester Tilli ein Riese von fast zwei Metern Höhe errichtet worden, der jetzt mit seinen braunen Kastanienaugen nach Süden über den Michaelisbach blickte. Auf der anderen Seite des Baches sah der kalte Geselle die wenigen Autos über die Straße nach Neustadt schlittern. Von Fahren konnte man schon seit Freitag nicht mehr reden. Allerdings konnte sich die Straße nach Neustadt, als Einzige die St. Michael passierte, rühmen, noch benutzbar zu sein. Alle anderen endeten irgendwo kurz nach dem Ortsausgang in einer Schneewehe.
Direkt am Ortsausgang, noch im Blickfeld des Schneemannes lag das Haus der Binders. Um genau zu sein, müsste man sagen, dass es das Haus von Theo Binder war. Seine Frau besaß in der Nähe der Kirche ein weiteres Anwesen, das zu einem Mehrfamilienhaus umgebaut worden war, als die Landwirtschaft nichts mehr abwarf. Früher war dieses Haus der Alptraum Elvira Binders gewesen. Jetzt setzte sie viel Hoffnung darauf, denn jetzt war ein Haus wieder ein Besitz, keine Last.
Theo Binder fegte vor seinem Haus Schnee. Es war eine Sisyphusarbeit, denn immer wieder jagte der Wind Schneewirbel vor sich her über die Straße und deckte die gerade davon befreite Fläche erneut mit der weißen Pracht zu. Herr Binder ging in sein fünfzigstes Lebensjahr und die Arbeit ging ihm nicht gerade flott von der Hand. Er war Buchhalter in einem Textilbetrieb in Thurm. Er hatte das, was man eine sitzende Tätigkeit nennt. Ausgleichssport war ihm nie ein besonderes Bedürfnis gewesen, also rosteten die Gelenke langsam ein.
Frau Elvira Binder saß vor dem Spiegel ihrer Frisierkommode und überlegte, welches ihrer Kleider sie heute anziehen sollte. Sie hatte vor, mit Theo nach Zwickau zu fahren. Erst wollten die beiden in einem guten Restaurant essen gehen, und danach stand ein Besuch bei Elke auf dem Programm. Elke war die Tochter der Binders. Sie hieß nun schon seit drei Jahren, seit ihrem zwanzigsten Geburtstag, Elke Dombrowski und wohnte mit ihrem Mann in Zwickau. Zwickau war für Frau Binder immer der Inbegriff einer hässlichen, von der Industrie verdorbenen Stadt gewesen. Sie redete seit dem erfolgten Umzug ihrer Tochter daher auch auf diese ein, wieder nach St. Michael zurückzukehren. Jetzt hatte dieser Wunsch auch eine reale Basis gefunden, denn schließlich hatte Frau Binder ein Haus.
Das Haus, mein Gott, wenn sie daran dachte. Noch vor drei Jahren war ihr dieses Anwesen eine solche Last gewesen, dass sie nahe daran war, es für ein Butterbrot zu verkaufen. Die LPG hatte damals großes Interesse gezeigt. Natürlich hatte Rübsamen dahingesteckt. Dieser feiste, rotgesichtige, rotärschige, rotsockige Kerl, der noch immer mit seinem breiten Hintern in ihrem Treppenhaus furzte, wenn er die Stufen rauf fiel, weil er wieder zu viel gesoffen hatte.
Frau Binder brauchte zwei der drei Wohnungen ihres Hauses für ihre Tochter. Im Erdgeschoss könnte Elke sich dann eine Boutique einrichten. Frau Binder wusste genau, dass ihre Tochter von so einer Möglichkeit träumte, seit die Marktwirtschaft Einzug gehalten hatte. Die zweite Wohnung würde dann als Wohnung für die jungen Leute und das Enkelkind (es wurde langsam Zeit) dienen. Frau Binder musste auf Eigenbedarf klagen. Dessen war sie sich ganz sicher. Keine der drei Mietparteien würde freiwillig aus dem ausgezeichnet in Schuss befindlichen Haus ausziehen.
Die Rübsamens wohnten ganz oben. Er war der Parteisekretär der LPG gewesen, bis es keine Partei mehr gab, die einen versoffenen Sekretär nötig gehabt hätte. Bei ihm würde es vielleicht am leichtesten sein, ihn hinauszubekommen. Man musste nur tief genug wühlen, dann würde schon genügend Dreck fliegen. Dieser Kerl war bestimmt bei der Stasi gewesen. Die Familie war sowieso eine Schande für jedes ehrbare Haus. Er trank, sie hurte herum. Es gab wohl keinen Bauern der LPG, der nicht schon diese Stute gedeckt hatte. Wahrscheinlich wartete sie nur darauf, dass ihr Alter endlich ins Gras biss, was bei seinem Lebenswandel nicht mehr allzu lange dauern konnte.
Markus Rübsamen hatte sich gleich nach der Schule von zu Hause verpisst. Es war kein Wunder bei diesen Eltern. Nicht mal die wussten, wo sich ihr Sohn aufhielt, der bereits mit vierzehn im Ort dadurch glänzte, dass er bei jeder Diskoschlägerei dabei war. Einmal hatte ihn die Verkäuferin des KONSUMs dabei erwischt, wie er zwei Flaschen Schnaps mitgehen lassen wollte. Bestimmt saß Markus im Knast. Da war er mit Sicherheit auch am besten aufgehoben.
Du lieber Himmel, warum bin ich nur mit solchen Mietern gestraft, hatte sich Frau Binder schon in früherer Zeit des Öfteren gefragt. Es gab so viele nette, bescheidene, freundliche Leute im Ort und ausgerechnet in ihrem Haus fand man solch ein Panoptikum vor. Nun gut, sie war nach ihrer Hochzeit vor siebenundzwanzig Jahren nicht mehr in der Kirche gewesen, aber war das ein Grund, sie so hart zu strafen? Im Erdgeschoss (diese Wohnung musste sie unbedingt frei bekommen) wohnte Katrin Weiß. Fräulein Weiß wohlgemerkt! Sie würde Fräulein bleiben bis an ihr Lebensende. Es gibt Mädchen, die werden als alte Jungfern geboren, Katrin Weiß gehörte mit Sicherheit dazu.
Wenn Frau Binder versuchte, sich an Katrin Weiß zu erinnern, dann dachte sie immer an einen Fisch. Die Gestalt, die sie vor ihrem geistigen Auge sah, hatte einen rundlichen Kopf, der ohne jeden Übergang auf sehr schmalen Schultern saß. Der folgende Oberkörper verbreiterte sich bis zu den Hüften gleichmäßig. Die Brüste wirkten darauf geradezu unecht, wie angepappte Schneebälle. Unterhalb der Hüften lief der Körper zu den Füßen hin wieder, spitz zusammen. Alles in allem eine Form wie ein Fisch. Aber das war nicht das einzig unschöne an Fräulein Weiß. Ihr Gesicht war sehr blass, die Augen saßen in tiefen Höhlen, so dass dunkle Schatten auf die Jochbeine fielen. Der Blick von Katrin Weiß war daher stets abweisend und böse. Der Mund war verhärmt, Falten, die strahlenförmig von den Mundwinkeln wegführten, ließen das Gesicht wesentlich älter wirken als fünfundzwanzig.
Vielleicht hatte Katrin Weiß eine viel schönere Seele, als ihr Gesicht auswies, aber den Menschen konnte sie diese mit Sicherheit nicht entgegenbringen, denn man mied sie, als hafte ein Pesthauch an ihr. Die Leute im Dorf behandelten sie wie eine Hexe. Das einzige Wesen, das ihr wahrlich Liebe entgegenbrachte, war Max. Er war ein prachtvoller Schäferhund, stämmig, aber gut durchtrainiert. Seine Muskeln zeigten Kraft und Lebensfreude. Sein Gebell erscholl selten, doch wenn, so war es energisch genug, andere Hunde im Umkreis zum Verstummen zu bringen. Dieser Max liebte Katrin und vielleicht hatte nur darum auch noch nie jemand wirklich eine Gemeinheit ihr gegenüber begangen. Frau Binder fragte sich, ob Max vielleicht auch Katrins Jungfernschaft geraubt hatte. Wenn überhaupt, war Max der Einzige, von dem sich Frau Binder vorstellen konnte, dass er Katrin Weiß gevögelt hatte. Bei dieser Überlegung musste Frau Binder schallend lachen. Sie stellte sich vor, wie es Max mit einem gigantischen Fisch trieb, der seine Schwanzflosse in wilder Ekstase hin und her warf. Ihr erschien es eine irrsinnig komische Vorstellung zu sein. Dann plötzlich fiel ihr Theo ein und das Lachen versiegte in ihrer Kehle.
Schließlich wandte sie ihre Gedanken der dritten Mietpartei im Hause zu. Das war die Familie Seele. Die konnte sie wohl schlecht vor die Tür setzen, denn es war eine Familie mit drei Kindern. Natürlich waren drei Kinder eine lästige Lärmquelle im Haus, aber ihre Popularität im Ort würde gewiss darunter leiden, wenn sie versuchte, die Seeles vor die Tür zu setzen. Das würde zweifelsohne schlechte Auswirkungen auf das Geschäft ihrer Tochter haben. Darauf konnte und wollte sie sich auf keinen Fall einlassen.
Frau Binder befestigte vorsichtig ihre Ohrringe mit den Granatsteinen und blickte in den Spiegel. Sie sah mit Sechsundvierzig noch sehr ansehnlich aus. Ihre Gesichtshaut war durch intensive Pflege straff und frei von Altersflecken. Die Augen glänzten noch immer hellblau. Das Klimakterium hinterließ weder Spuren an ihrem Körper noch auf ihrer Seele. Sie wusste, dass sie unter den neuen Verhältnissen noch einmal alle Chancen auf eine zweite Blütezeit ihres Lebens hatte. Sie musste es nur richtig anpacken.
Mit diesem Gedanken im Hinterkopf griff Elvira Binder nach einem ihrer Parfumflakons, von denen wenigstens acht vor ihr auf der Kommode standen. Sie wollte nur noch rasch einen Blick in den Spiegel werfen, ehe sie das feine Duftwasser auftrug. Damit begann ihre ganz persönliche Katastrophe.
Vor Elvira Binders Augen verschwamm das sie umgebende Zimmer. Alles wurde unscharf wie ein mit falscher Brennweite aufgenommenes Foto. Nur ihr eigenes Spiegelbild hob sich scharf und kontrastreich von der Umgebung ab. Dieses Bild schlingerte. Es war, als sähe sie sich gar nicht in einem Spiegel sondern in einer Wasserfläche, in die ein Kind Steine warf. Sie sah ihr Gesicht auseinanderfließen und sich wieder zusammenfinden. Aber war das noch länger ihr Gesicht, das Gesicht, an dessen beinahe noch makelloser Schönheit sich gerade erfreut hatte.
Elvira Binders Augen weiteten sich. Ein Schreckensschrei fuhr aus ihr heraus.
„Nein ... Neiiin!“, schrie sie.
Risse bildeten sich auf dem Gesicht, das dort im Spiegel zu sehen war. Es schien, als öffneten sich Spalten in vertrocknetem Erdreich. Wasser quoll aus diesen Spalten. Dann wurde dieses Wasser rot. Es war Blut. Blut lief aus allen Poren über das Gesicht im Spiegel, das doch Elvira Binders Gesicht war. Das Blut sammelte sich und tropfte von ihrem Kinn.
Die Lippen zogen sich zu einem hämischen Grinsen zurück, gaben den Blick frei auf eine Reihe verfaulter, schwarzer Zähne. Die Zähne wurden aus dem Mund, der sich leicht öffnete, als wolle das Spiegelbild etwas sagen, herausgeschleudert. Sie prasselten scheinbar von innen her an den Spiegel. Es hörte sich an wie Hagel auf dem Fensterbrett.
Der Mund des Monsters im Spiegel schloss sich wieder. Das Gesicht verlor mehr und mehr seine ursprüngliche Gestalt, doch noch immer war deutlich zu erkennen, dass es einmal Elvira Binder gehört hatte. Frau Binder wagte nicht, ihr Gesicht zu betasten, um zu fühlen, ob Wirklichkeit war, was sie dort im Spiegel sah.
Große Beulen blühten auf Stirn und Wangen auf, platzten wie zu stark aufgeblasene Ballons und schütteten Eiter über das Gesicht aus. Die gelblichen und die roten Fließe in dem Spiegelbild vereinigten sich und tropften unablässig am Kinn ab.
Das Spiegelbild begann zu lachen. Es war ein böses, ein hämisches Lachen, das einer Märchenhexe gehören mochte. Elvira Binder ertrug nicht länger, was sie sah und hörte. Wieder entrang sich ihr ein verzweifeltes “Nein!“ Dann schleuderte sie den Parfumflakon, den sie die ganze Zeit umkrampft gehalten hatte, in den Spiegel hinein. Es klirrte laut. Scherben fielen nach vorn auf die Frisierkommode und nach hinten auf den Boden. Der Flakon hatte den Spiegel ohne Schaden zu nehmen durchschlagen. Er schlug gegen die Wand, zerbarst dort und streute Scherben und Parfum in alle Richtungen. Ein wegspritzender Scherben verfehlte Elvira Binders Augen nur knapp. Aber es hätte Frau Binder wohl auch nicht gerührt, wenn dieser Scherben getroffen hätte. Sie war wie im LSD-Rausch.
Langsam, fast als genieße sie den Augenblick, griff Frau Binder nach einem großen Spiegelscherben, der auf der Frisierkommode lag. Bedächtig hob sie ihn auf. Sie wollte sich offenbar nicht die Finger verletzen. Dann schnitt sie mit dem Scherben die Pulsader des linken Unterarmes auf. Sie tat es nicht, wie viele es tun, die nur einen Selbstmordversuch vortäuschen wollen, aber Wert legen auf eine Chance gerettet zu werden, also quer zum Arm. Natürlich ist auch in diesem Fall die Möglichkeit gegeben, dass man zu spät gefunden wird und der Blutverlust tödlich ist, aber die Sache ist unsicher. Frau Binder schnitt die Pulsader in Flussrichtung des Blutes über drei Zentimeter auf. Blut schoss aus der sich öffnenden Wunde wie eine Fontäne. Es spritzte ihr ins Gesicht, besudelte die Frisierkommode und den Fußboden.
Frau Binder sah das Ergebnis ihrer Tat und lächelte beseligt wie ein satter Säugling. Sie nahm den Spiegelscherben in die linke Hand. Dann öffnete sie auch die Pulsader an ihrem rechten Arm. Als sie ihr Werk der Selbstvernichtung erledigt hatte, erhob sie sich von ihrem Platz und wankte in Richtung Schlafzimmertür. Blut spritzte nun in alle Richtungen. Es landete auf dem blütenweißen Damastbettbezug, an der teuren Strukturtapete und auf den Möbeln aus massivem Holz. Die Binders waren wirklich nicht arm gewesen. Nur im Herzen.
Immer mehr Blut floss aus den Wunden aus. Frau Binder begann zu wanken. Mit letzter Kraft gelang es ihr noch, die Tür zum Korridor zu öffnen, dann kippte sie wie ein gefällter Baum nach vorn und blieb liegen.
So fand sie etwa fünfzehn Minuten später Herr Binder. Er war in den Korridor getreten, hatte seine Handschuhe auf die Garderobe gelegt, die Stiefel ausgezogen und den schweren Arbeitsmantel an einen Haken gehängt. Danach wandte er sich um und sah die Gestalt im Korridor liegen. Der Oberkörper lag bäuchlings dort, während sich der Teil von den Hüften abwärts noch im Schlafzimmer befand. Im Korridor war verhältnismäßig wenig Blut verspritzt, auch lag er mehr in einem trüben Dämmerlicht, und so sah Herr Binder nicht sofort, was wirklich vorgefallen war. Er nahm an, seine Frau sei aus einem ihm unklaren Grund ohnmächtig geworden. Herr Binder lief mit großen Schritten zu seiner Frau. Er drehte sie auf den Rücken, und nun erkannte er, was wirklich geschehen war.
„Elvira!“, schrie er die Leiche in seinen Armen an. „Warum hast du das getan? Habe ich nicht immer alles gemacht, was du nur wolltest?“
Er schüttelte die Tote wie ein ungezogenes Kind. „Warum? Warum hast du so etwas getan? Antworte mir, Elvira.“
Tränen rannen über seine Wangen und tropften auf das blasse Gesicht der Verstorbenen. Der Blutstrom, der aus beiden Pulsadern noch austrat, war nur noch ein spärliches Rinnsal. Das Herz hatte seine Tätigkeit als Pumpstation bereits eingestellt, der Blutdruck war damit auf null zurückgegangen. Herr Binder warf sich in wilder Verzweiflung über die Tote und umarmte sie, als könne er sie mit seiner Lebenskraft von neuem erwecken. Trauer überflutete seinen Verstand. Er blickte mit tränenverschleiertem Blick in das blutbesudelte Schlafzimmer. Dort erblickte er den zertrümmerten Spiegel, sah die Scherben, die überall herumlagen, und wusste, wie es geschehen war. Sekundenlang starrte er mit hypnotisiertem Blick auf das Bild im Schlafzimmer und sah dabei den Suizid seiner Frau wie in einem Film vor sich ablaufen. Als er sah, wie sie den Spiegelscherben zum ersten Mal ansetzte, um ihre Pulsader zu öffnen, schrie er laut auf, als könne er so aufhalten, was bereits vor einer Viertelstunde geschehen war. Aber das Trugbild hörte ihn nicht, das grausige Schauspiel lief bis zum Ende vor ihm ab.
Herr Binder wusste in seiner Trauer und Verzweiflung nicht, was er tat. Wie trunken erhob er sich, wankte zur Vordertür und dann auf die Straße. Er torkelte die Hauptstraße entlang in Richtung Dorfzentrum und rief dabei fortwährend den Namen seiner Frau, als hätte diese sich lediglich im Ort verirrt und läge nicht ausgeblutet im Türrahmen zwischen Korridor und Schlafzimmer der heimatlichen Wohnung. Ein Auto passierte Herrn Binder, der Fahrer zeigte dem offenbar sinnlos betrunkenen Fußgänger den Vogel, ehe er Gas gab und sich entfernte. Als Herr Binder in Höhe der Fleischerei Friedrich war, wurden die ersten Dorfbewohner auf sein merkwürdiges Verhalten aufmerksam. Herr Binder galt als sehr korrekter Mitbürger. Man war es von ihm keineswegs gewöhnt, dass er am Sonntagvormittag auf der Straße randalierte.