Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 1 - Davis J. Harbord - Страница 4

2.

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Sie kamen zu fünft.

Zwei schlichen von der Millbay Road heran – von links, und zwei näherten sich von der St. Mary Street – von rechts. Der Kerl mit dem Ohrring steuerte das Opfer direkt von vorn an. Er stieß den Kopf vor und glotzte verblüfft. Der Riese schwankte ja noch nicht einmal. Der stand da, etwas geduckt, sein schwarzes Haar flatterte in den Böen, wild und verwegen sah er aus – und gefährlich.

Hinter Philip Hasard Killigrew schrie Nathaniel Plymson Zeter und Mordio, und in der „Bloody Mary“ wurden die Zecher rebellisch. Die Katze, die beiden Männer und der Kerl mit dem liederlichen Frauenzimmer schliefen weiter. Nur die Hand des Kerls im Ausschnitt des liederlichen Frauenzimmers zuckte etwas. Und das liederliche Frauenzimmer stöhnte ein bißchen.

Der Kerl mit dem Ohrring stieß einen wüsten Fluch aus und fischte ein Messer aus dem Stiefelschaft.

Messer waren Hasard zuwider. Messer waren Waffen, die hinterrücks und aus dem Dunkel zustießen.

„Weg mit dem Messer!“ Seine Stimme war so scharf und schneidend wie das Messer selbst.

Sie lähmte den Mann mit dem Ohrring für einen entscheidenden Augenblick. Er empfing einen Tritt unter das Handgelenk, das Messer klirrte über die Pflastersteine, und dann explodierte sein Kopf. Diese Faust war aus Eisen. Er flog hinter seinem Kopf her und verschwand hinter der Kaimauer. Ein Aufklatschen verriet, daß er ein kühles Bad nahm.

Die beiden von der Millbay Road nahm Philip Hasard Killigrew geschlossen an. Er stieß ihre Köpfe zusammen und beförderte sie mit zwei kräftigen Fußtritten in den Hintern quer über die Millbay Road. Sie schrammten über die buckligen Katzenköpfe und blieben benommen liegen.

Hasard hörte die Schritte der beiden anderen von der St.Mary Street und fuhr herum. Sie griffen nicht Schulter an Schulter an, sondern umkreisten ihn vorsichtig.

Der Mann mit dem Ohrring planschte hinter der Kaimauer im Wasser und brüllte, er könne nicht schwimmen, und sie sollten ihn, verdammt noch mal, herausholen.

In der Millbay Road wurde ein Fensterladen aufgestoßen. Ein Topf eindeutigen Inhalts klatschte auf die Straße. Die beiden Kerle, deren Köpfe Hasard malträtiert hatte, schossen hoch wie kleine Teufelchen aus der Kiste und brüllten infernalisch.

Der Inhalt des Topfes hing teils in ihren Haaren, teils bahnte er sich einen Weg in die Ausschnitte ihrer Hemden. Aber sie waren auch davor keineswegs peinlich sauber gewesen.

Hasard schnüffelte angewidert.

Der Mann, der Topf samt Inhalt auf die Millbay Road gekippt hatte, hing mit dem Oberkörper aus dem Fenster und schrie: „Mörder! Halsabschneider! Trunkenbolde!“

Und aus der „Bloody Mary“ quollen die Zecher, aufgestachelt von dem hysterischen Geschrei Nathaniel Plymsons, der lamentierte, der blauäugige Teufel aus Cornwall habe ihm die Geldkatze geklaut.

An der Ecke Millbay Road und St.Mary Street entwickelte sich eine jener Schlachten, von denen Großväter ihren Enkeln zu erzählen pflegen – nie bedenkend, daß solcherlei Erzählungen in den Gemütern der unschuldigen Kleinen zwar einiges Erschauern, aber keineswegs Abschreckung hervorriefen. Im Gegenteil.

Denn in jener stürmischen Nacht entstand die Legende vom Seewolf.

Es war Nathaniel Plymson, der den Kriegsnamen Philip Hasard Killigrews aus der Taufe hob. Die Zecher hatten ihn eingekeilt und schwemmten ihn mit nach draußen vor die „Bloody Mary“. Dort schlug er mit dem Knüppel um sich und brüllte – eingedenk der weißen Zähne, die ihn angegrinst hatten –, der „Seewolf“ sei los und räubere unter den braven Bürgern von Plymouth.

Der Sturm pfiff dazu sein Lied.

Seewolf!

Das peitschte die Zecher in die richtige Stimmung. Vielleicht auch hatte ihnen der Sturm ein paar Flöhe unter die Hemden gepustet, und jetzt juckte ihnen das Fell. Prügeln macht Spaß, und jetzt wurde Dampf abgelassen.

Ein Bulle von Kerl rannte mit gesenktem Kopf einfach los und rammte ihn dem Seewolf ins Kreuz. Damit war die Partie eröffnet. Hasard fiel nicht um. Er langte lässig hinter sich, schnappte den Bullen am Kragen und warf ihn über die Millbay Road ins Wasser. Jetzt hatte der Ohrringmann Gesellschaft, und sie brüllten im Duett.

Gebrüllt wurde überhaupt sehr viel.

Der nächste sprang wie ein Affe auf die breiten Schultern des Seewolfes, klammerte sich dort fest, lachte wie ein Irrer und zerrte an Hasards schwarzen Haaren. Das war eine hundsgemeine Art zu kämpfen. Aber vielleicht wollte der Affe feststellen, ob der Seewolf eine Perücke trug. Er hätte es nicht tun sollen. Er hätte ihn ja auch fragen können, und Hasard, höflich, wie es seine Art war, hätte ihm Rede und Antwort gestanden.

So aber explodierte er. Das heißt, er warf sich zurück und quetschte den Affen an die Außenmauer der „Bloody Mary“. Der Affe vergaß sehr schnell, noch weiter an Hasards Haaren zu ziehen. Auch sein verrücktes Lachen brach abrupt ab. Wie ein Mehlsack rutschte er an der Mauer nach unten und fiel auf die Katzenköpfe.

Unfreiwillig stellte er Nathaniel Plymson ein Bein. Er hatte Hasard gerade den Knüppel über den Kopf dreschen wollen. Nathaniel Plymson stolperte und ruderte über die Millbay Road. Er fiel einem der beiden Männer, die nicht nach Rosen dufteten, um den Hals. Zwar fand er Halt, aber dabei griff er in etwas Weiches. Der Duft sagte ihm, was es war.

Von Jubel war Nathaniel Plymsons Entsetzensschrei weit entfernt.

Die Kämpfer zuckten für einen Moment zusammen, stürzten sich aber sofort wieder mit erneutem Ungetüm in wirbelnde Fäuste, Kopfstöße, Magenhiebe und Knierammen.

Jeder kämpfte gegen jeden. Da krachten Fäuste unter Kinnladen, bohrten sich in weiches Fleisch, da wurde geknurrt und geächzt und gestöhnt, da zerbrachen Nasenbeine, schwollen Beulen, wurden Augen dichtgehämmert.

Hasard war schwer in Aktion. Mit dem einen der beiden Männer von der St.Mary Street fuhr er Karussell – das schaffte Raum um ihn herum und senste alles von den Füßen, was ihm zu dicht auf die Pelle gerückt war. Er hatte den Mann bei den Stiefeln gepackt und drehte sich immer schneller im Kreise. Männer stürzten oder wurden einfach hinweggefegt.

Etwa bei der dreizehnten Umdrehung, als Hasard so richtig in Schwung war und überlegte, ob er jetzt loslassen sollte, da passierte das Unglaubliche.

Der Mann war plötzlich weg.

Hasard merkte es daran, daß jählings das Gegengewicht fehlte. Sein eigener Schwung riß ihn herum. Er hatte nur noch zwei Stiefel in den Fäusten. Der Mann, der zu ihnen gehörte, war verschwunden.

Hasard schwankte und stieß mit einem anderen Kerl zusammen. Kurz und hart drosch er ihm beide Stiefel über den Schädel. Von oben. Der Mann seufzte und ging kerzengerade in die Hocke. Dort gurgelte er, weil er sich die eigenen Knie in den Hals gerammt hatte. Und dann kippte er zur Seite.

Der stiefellose Mann bohrte sich – Kopf voran – durch einen Fensterladen. Holz splitterte berstend, und dann waren auch die Strümpfe nicht mehr zu sehen.

Begleitet hatte er seinen Flug mit einem Schrei, der erst abbrach, als der Fensterladen zerbarst.

Etwas Eigentümliches legte sich über die Kampfszene – jene momentane Stille, wie sie im Auge, dem Zentrum eines Wirbelsturms, herrschte.

Das Zentrum bildete der schwarzhaarige, blauäugige Riese, der verblüfft auf die Stiefel in seinen Fäusten starrte. Verdammt, dachte Hasard, der Kerl ist mir doch glatt aus den Stiefeln gerutscht. Dann wurde ihm die Stelle bewußt, und er mußte grinsen, als er sich umblickte.

Sie standen oder lagen um ihn herum und glotzten auf die Stiefel in seinen Fäusten, auf das runde Loch im Fensterladen und wieder auf die Stiefel. Sie sahen alle aus, als seien sie selbst mit den Köpfen gegen den Fensterladen gedonnert.

Als Zeugen eines nicht alltäglichen Kraftaktes spiegelten ihre Mienen ungläubiges Verwundern, Erstaunen, Furcht, Neid, Betroffenheit – und Wut.

Der Schrei aus dem Raum hinter der zerbrochenen Fensterlade zerstörte die Stille. Er war spitz und hoch, drückte aber keineswegs Entsetzen oder Angst aus.

Das Haus bewohnte die Witwe Abigail Adelaide Drummer, zweiundvierzig Jahre alt, adrett, mollig und seit anderthalb Jahren ungetröstet, aber durchaus nicht mehr trauernd, denn der verblichene Archibald Drummer war zeit seines Lebens eine glatte Null gewesen.

Der bestrumpfte, aber stiefellose Mann hatte seinen Flug dort beendet, wo Archibald Drummer sehr zum Kummer von Abigail Adelaide mehr zum Schnarchen als zur nächtlichen Kurzweil geneigt hatte.

Hasard hatte den stiefellosen Mann auf die eheliche Bettstätte katapultiert.

So lag denn, wieder ein Mann bei Abigail Adelaide, und sie war mehr entzückt, als erschrocken. Er lag zwar mit seinen Strümpfen bei ihrem Kopf, weil Abigail Adelaide mit dem Kopf zum Fenster schlief, aber vorsichtig tastend holte sie dieses Geschenk einer mitternächtlichen Straßenschlacht zu sich herum, und dabei stieß sie ihren spitzen Schrei aus.

Für den stiefellosen Mann war der Szenenwechsel zu abrupt. Benommen, wie er war, spürte er sehr viel Weiches, dem sich hinzugeben nichts entgegenstand – vor allem nach der wirbelnden Karussellfahrt. So sank er an den wogenden Busen von Abigail Adelaide.

Indessen hatte der spitze Schrei der Witwe vor allem die Gemüter der Wütenden wieder erhitzt, und einer von ihnen fand es an der Zeit, dem Riesen eine Lektion zu erteilen. Er brüllte urig und ließ die Fäuste wirbeln.

Hasard empfing ihn.

Den Wert der Stiefel hatte er erkannt. Er war mit den Händen hineingefahren wie in einen Handschuh und verpaßte nun – nur so versuchsweise – dem heranstürmenden Brüller einen Tupfer auf die Nase. Der Stiefelabsatz war benagelt. Die Nase des Mannes hatte dem nichts entgegenzusetzen, nur ein Nasenbeinknochen. Und der ging kaputt.

So blieb wieder einer vor Hasard liegen.

Der Kampfeslärm schwoll wieder an.

Von den fünf Kerlen, die angenommen hatten, mit Hasard infolge des andalusischen Schlaftrunkes leichtes Spiel zu haben, lag einer im Bett von Abigail Adelaide und beschäftigte sich in sündiger Art, während der Ohrringmann hysterisch im Wasser herumplanschte und auf seinen bulligen Mitschwimmer zu steigen versuchte. Die drei anderen hatten sich vereint und hielten abseits der kämpfenden Masse Kriegsrat. Zu ihnen stieß Nathaniel Plymson, der dicke Wirt.

„Du Bastard!“ sagte jener Mann, der Nathaniel Plymson den Ledersack mit dem klingelnden Inhalt über den Tresen geschoben hatte. „Du hast uns aufs Kreuz gelegt. Dieser Killigrew ist noch schlimmer als ein Seewolf.“

Und damit feuerte er dem feisten Nathaniel Plymson die Rechte unter das wabbelnde Kinn und die Linke in den Magen.

Nathaniel Plymson suchte die Katzenköpfe auf. Seine Perücke verschwand im Kampfgetümmel und wurde rücksichtslos zertrampelt.

Und links und rechts von dem Seewolf, der mit dem Rücken zur Wand kämpfte, knickten die Männer zusammen oder segelten über die Pflastersteine. Die Stiefel leisteten ganze Arbeit, klatschten in Gesichter, zerdroschen Nasen, rammten sich in zusammengekrümmte Leiber.

„Unfaßbar“, murmelte der Mann, der Nathaniel Plymson zu Boden geschickt hatte.

Und dann erstarrte er.

Neben dem Seewolf, ebenfalls mit dem Rücken zur Wand, war ein schmales Bürschchen aufgetaucht, blondhaarig, vielleicht sechzehn- oder siebzehnjährig, ja, schmal schon, aber wild.

„Arwenack!“ brüllte das Bürschchen begeistert und stach die Rechte vor. Einem Zecher flog der Kopf zurück, und er ging in die Knie.

„Arwenack!“ brüllte auch der Seewolf und drosch einem Angreifer den rechten Stiefel auf den Kopf.

„Wieso Arwenack?“ fragte der Mann.

„Da hausen die Killigrews“, erwiderte einer der beiden, über die sich der Topf ergossen hatte.

„Verdammt, dann hat er jetzt Verstärkung“, sagte der Mann, „aber wir schnappen uns das Bürschchen auch. Dann haben wir gleich zwei von der Sorte.“

„Und wie?“

„Von oben, du Idiot. Dort vom Fenster aus. Ich kenne Plymsons Bude.“

Die drei Männer umkreisten die Kämpfenden und huschten in die „Bloody Mary“. Zwei Minuten später öffnete sich über Hasard ein Fenster. Zwei Männer zwängten sich auf das Fensterbrett. Sie hatten abgebrochene Stuhlbeine in den Fäusten, nickten sich zu und ließen sich wie Säcke nach unten fallen.

Der eine sprang Hasard genau ins Kreuz und ging mit ihm zu Boden. Der andere setzte neben ihnen auf, federte hoch und knallte Hasard das Stuhlbein an die Schläfe – einmal, zweimal und ein drittes Mal.

Da erst erschlaffte der Seewolf.

Der dritte Mann krachte auf den blonden Jungen und begrub ihn unter sich. Das Bürschchen war fast genau so zäh wie der Seewolf. Es schnellte hoch, warf den Mann ab und brüllte: „Arwenack!“

Die zwei anderen machten ihn fluchend mit ihren Stuhlbeinen fertig. Über Hasard brach er blutend zusammen.

Inzwischen standen Millbay Road und St. Mary Street in heller Aufruhr. Aus den Fenstern beugten sich die Bürger und schrien um die Wette. Einige Mutige hatten die Häuser verlassen und bewegten sich auf die „Bloody Mary“ zu. Fackeln erleuchteten die wilde Szenerie.

Bei der Kaimauer stieg eine triefende Gestalt mit baumelndem Ohrring neben einem Poller hoch. Ein bulliger Kerl folgte.

Andere Gestalten lagen zusammengekrümmt oder ausgestreckt, blutend und ächzend oder sehr still auf den Pflastersteinen.

Andere wiederum keilten noch immer aufeinander los und wurden wieder wild, als sich die Fackeln näherten und frische Kämpfer die Lust zum Bolzen verspürten.

„Nichts wie weg!“ stieß der Mann hervor, der für Hasard bezahlt hatte.

Sie schnappten sich die beiden bewußtlosen Kämpfer aus Cornwall und schleiften sie über die Millbay Road in eine Seitengasse.

Hinter ihnen stießen die empörten, aus dem Schlaf gescheuchten Bürger der Millbay Road und St.Mary Street in den keilenden Haufen vor der „Bloody Mary“, und der Kampf setzte sich mit erneuter Wucht fort.

Zwar stand nicht mehr der Seewolf im Zentrum des Kampfgeschehens, aber zwei neue Fronten zeichneten sich ab: Millbay Road gegen St. Mary Street. Die Bewohner der beiden Straßen waren sich von jeher spinnefeind gewesen. Die Leute von der St. Mary Street behaupteten, die Millbay-Roader seien allesamt Tagediebe und Hurensöhne. Und die Millbay-Roader hatten einen Piek auf die Leute von der St. Mary Street, weil die sich einbildeten, sie seien der Nabel von Plymouth.

Das alles sowie alte Fehden und Händel zwischen den Familien der beiden Straßen war Anlaß genug, aufeinander loszugehen.

Der Ohrringmann, den Fluten entronnen, starrte verständnislos auf das Kampfgetümmel. Der Bulle neben ihm genauso. Was da im Gange war, hatte ja bereits die Ausmaße einer Straßenschlacht.

Der Bulle grunzte, denn ihm fiel ein, daß sich der Ohrringmann vorhin im Wasser wie ein Sack an ihn gehängt und ständig versucht hatte, ihn unter Wasser zu treten. Und bei den Steigeisen an der Kaimauer hatte er ihn weggerissen, war als erster hochgeentert und hatte ihn noch dazu mit dem Stiefelabsatz eine Kopfbeule verpaßt.

Kalte Wut stieg in ihm hoch. Er packte den Ohrringmann an der Schulter, zog ihn zu sich herum und feuerte ihm die Pranke zwischen die Zähne.

„Dir zieh ich die Haut vom Hintern“, blaffte er den Ohrringmann an.

Der spuckte ihm einen Zahn aufs rechte Auge, trat ihm vors Schienbein und zahlte zurück.

„Mir die Haut vom Hintern ziehen, wie?“ sagte er und spie einen Strahl Blut durch die Zahnlücke. Seine beiden Schwinger hatten den Bullen ziemlich durchgeschüttelt. Er setzte nach und ging zum Nahkampf über. „Da – und da“, sagte er, und jedesmal empfing der Bulle eine brettharte Faust. „Ich bin London-Jack, verstehst du?“ sagte der Ohrringmann. „Und solche Brummer wie dich hab ich schon als Säugling zum Frühstück verschluckt – da!“ Seine Faust krachte auf die Luftröhre des Bullen.

Der Bulle schnappte nach Luft und griff nach den Sternen, aber an denen konnte er sich nicht festhalten. Mit einem Tritt in den Unterleib segelte er zu Boden.

Über die Pflastersteine kroch Nathaniel Plymson auf der Suche nach seiner Perücke. Der Ohrringmann hievte ihn am Kragen hoch und schüttelte ihn.

„Du dreckige Wanze! Wo ist der Killigrew-Seewolf?“

„Weiß – weiß ich nicht.“

Nathaniel Plymson war völlig derangiert und verfluchte diese stürmische Nacht und seine Idee, diesen Seewolf an die Preßgang verhökern zu wollen.

„Du hast uns beschissen!“ sagte London-Jack grimmig und spie wieder einen Blutstrahl aus – gezielt auf die Glatze von Nathaniel Plymson. „Der hat gar nicht von deinem Wein gesoffen, du fettes Warzenschwein!“

„Das ist es ja“, jammerte Nathaniel Plymson, „diese dämliche Katze ist schuld, die ...“

Der Ohrringmann griff in Nathaniel Plymsons Hemd und zog ihn zu sich heran.

„Katze? Sagtest du Katze? Du denkst wohl, ich bin blöd, he?“

„Wirklich, er hat’s an der Katze gemerkt – bitte, nicht schlagen!“

„Wo ist das Geld? Wo hast du den Ledersack?“

„Den hat – hat der Seewolf.“

Nathaniel Plymson stand dicht vor einem Nervenzusammenbruch, aber vor dem rettete ihn der Ohrringmann, der ihm eine krachende Rechte unter das Kinn hieb.

Nathaniel Plymson träumte, er fahre zwischen blitzenden Sternen gen Himmel, und Petrus habe einen Ohrring und eine dicke Lücke zwischen den oberen Schneidezähnen. Und Petrus sagte: „Sieh einer an, das alte Schlitzohr Nathaniel! Du hast dich in der Tür geirrt, mein Sohn. Zum Bruder Luzifer geht’s rechts um die Ecke.“

Vor Nathaniel Plymsons Nase wurde das Himmelstor mit einem Donnerschlag geschlossen.

Das war der Augenblick, in dem Nathaniel Plymson zum zweiten Male voller Schmerzen mit den Katzenköpfen der Millbay Road zusammenstieß.

Der Ohrringmann mit dem beziehungsreichen Namen London-Jack blies sich über die Handknöchel seiner Rechten, trat Nathaniel Plymson ziemlich sinn- und nutzlos zwischen die Rippen und erhielt dafür von einem Unbekannten ein Stuhlbein hinterrücks über den Schädel. Es war das Stuhlbein, mit dem der Seewolf niedergeschlagen worden war.

London-Jack wachte erst in einem Hospital wieder auf – und da fehlte ihm jegliche Erinnerung. In wirren Sätzen faselte er etwas von einem „Seewolf“, der Schiffe samt Masten, Takelage und Besatzung auffresse und demnach ein Monster sein mußte. Zweifelsohne hatte er einen Klaps, und die frommen Schwestern bekreuzigten sich, wenn sie ihn versorgten und dabei seine Schauermärchen hörten.

Die „Marygold“, zu deren Preßgang er als harter Schläger gehört hatte und auf der er laut Musterrolle Rudergänger gewesen war, lief am nächsten Morgen ohne ihn aus. Und ebenso wurde in der Musterrolle Tom Smith gestrichen, der nicht wieder an Bord fand, weil er an Bord des so lange verwaisten Ehelagers der Witwe Abigail Adelaide Drummer zwar auch stürmisch, aber weitaus angenehmer zuging als an Bord der „Marygold“.

Immerhin aber hatte die Preßgang als Ersatz zwei andere Fische gefangen, von denen der „Seewolf“ ein ganz dicker zu werden versprach, während das blonde Bürschchen, das mit ins Netz gegangen war, auch nicht so ganz ohne zu sein schien.

Außerdem hatte der Vormann der Preßgang, der Segelmacher Patrick Evarts, die Taschen des Seewolfs gefilzt und sich den Ledersack zurückgeholt.

Unterbemannt war die „Marygold“ keineswegs. Die Preßgang hatte in den Tagen zuvor bereits zehn Kerle aufgesammelt – zum Teil mit Hilfe des Plymsonschen Schlaftrunkes, vor allem aber ohne jeweilige Straßenschlacht.

Die Kunde von dieser Straßenschlacht durcheilte Cornwall und gelangte auch nach Arwenack, der Stammfeste der Killigrews über dem Hafen von Falmouth. Seufzend soll Sir John Killigrew gesagt haben: „Dieser Bengel ist der letzte Nagel in meinem Sarg.“

Und dabei muß er an jene Szene gedacht haben, bei der Philip Hasard, siebzehnjährig, seine letzte Ohrfeige von Sir John kassiert und darauf mit jäh zupackender Wildheit reagiert hatte.

Sir John hatte bei der Kunde über die Geschehnisse vor der „Bloody Mary“ sinnend auf das Hirschgeweih geblickt, das seit über hundert Jahren den Kamin in der Halle von Schloß Arwenack zierte.

Denn Sekunden nach der Ohrfeige hatte Philip Hasard zugelangt und den Alten in das Hirschgeweih über dem Kamin gehängt. Und seine drei Brüder, die den zappelnden und brüllenden Alten hatten herunterholen wollen, waren von dem Jüngsten der Sippe nach allen Regeln der Kunst verdroschen worden.

Am nächsten Morgen hatte Philip Hasard Killigrew vor versammelter Familie verkündet, daß er künftig jedem die Knochen zerbrechen werde, der es noch einmal wage, ihn anzufassen. Das gelte auch für den „Alten“, hatte er gesagt und dabei seine Zähne gezeigt.

Von da ab war Frieden auf Arwenack gewesen.

Eindeutig war Philip Hasard Killigrew intelligenter, kampfstärker, gerissener, tollkühner, aber auch charakterfester als seine drei Brüder. Dazu hatte er einen Charme, bei dem die alten Weiber von Falmouth wieder jung wurden, und die jungen Weiber wünschten, älter zu sein, um diesen schwarzhaarigen, blauäugigen, hartgesichtigen Teufel an die Brüste und unter die Bettdecke zu kriegen.

Geschafft hatte es keine.

Sie alle hörten bewundernd die Kunde vom Seewolf Killigrew, der ausgezogen war, um hinter die Horizonte zu schauen. Nur wußte die Kunde nicht zu berichten, was weiter geschehen war. Denn Philip Hasard Killigrew war spurlos verschwunden. Niemand hatte ihn mehr gesehen.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 1

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