Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 292 - Davis J. Harbord, Fred McMason - Страница 5

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Yves Grammonts Piratenverband hatte aus sechs Schiffen bestanden – dem Flaggschiff „Louise“, der „Coquille“ sowie drei Dreimast-Galeonen und einer Zweimast-Karavelle. Dieser letztere Viererverband war – für Hasards Kampfgruppe unvermutet – von einem Piratenunternehmen bei St. Nazaire zurückgekehrt und hatte sofort an der Seite Grammonts in das Gefecht mit eingegriffen, das sich Hasards drei Schiffe, die „Hornet“, die „Fidelity“ und Thorfin Njals „Eiliger Drache über den Wassern“, mit der „Louise“ und der „Coquille“ bei der Pirateninsel Mordelles lieferten.

Da hatten also plötzlich sechs Schiffe gegen Hasards drei Schiffe im Gefecht gestanden – ein Kräfteverhältnis, das die Schnapphähne Grammonts hatte aufjubeln lassen und allerdings dazu angetan war, für die „Hornet“, die „Fidelity“ und „Eiliger Drache über den Wassern“ das Schlimmste zu befürchten.

Nur – die Kerle hatten zu früh gejubelt. Der Sieg, dessen sie sich so sicher gefühlt hatten, war zu einer totalen Niederlage geworden.

Zu der unerwarteten Wendung hatten die Höllenflaschen gehörig beigetragen, die von Hasard eingesetzt worden waren.

Am Erfolg der Seewölfe und ihrer Mitkämpfer war jedenfalls nicht mehr zu zweifeln. Die Gefechtsbilanz lautete, daß von Grammonts stolzem Sechserverband lediglich noch eine kampffähige Galeone übriggeblieben war – einer der vier Segler, die bei St. Nazaire gewesen waren. Zwar schwamm auch noch die „Louise“, Grammonts Flaggschiff, aber sie war zum Wrack geschossen und außerdem von den Seewölfen geentert worden.

Jene andere Piraten-Galeone, und das hatte Grammont in Raserei versetzt, war auf zurückhaltende Distanz vom Gefechtsfeld gegangen, als sie von der „Hornet“ Zunder gekriegt hatte. Ihr Kapitän war kein rücksichtsloser Draufgänger, dafür aber Realist, der die Gefechtssituation nüchtern betrachtete und zu der Einsicht gelangt war, daß sich Grammont wohl überschätzt hatte, als er sich mit diesen Höllenhunden anlegte.

Er jedenfalls hatte keine Lust, noch einmal von diesen explodierenden Teufelsflaschen beharkt zu werden. Außerdem war ihm der schwarze Viermaster nicht geheuer – ein Schiff, wie er es noch nie gesehen hatte. Da waren sogar behelmte Kerle an Bord, Gestalten, die verdammt an jene Riesen erinnerten, von denen die Sagen und Legenden berichteten. Auf mit Drachenköpfen verzierten Langschiffen waren diese Kerle aus dem hohen Norden über die französische Atlantikküste hergefallen. Und jetzt das!

Nun war die See bei der Insel Mordelles in etwa ein Spiegelbild der wrackreif geschossenen „Louise“, wobei allerdings eine andere der St.-Nazaire-Galeonen drüben an Land auf ein Riff gelaufen war und sich offenbar den Schiffsbauch aufgeschlitzt hatte. Jedenfalls war die auch wrackreif.

Auf der See dümpelte also jener Kram herum, der übrigbleibt, wenn ein Schiff auf Tiefe geht – Spieren, Planken, Grätings, Fässer, Kisten, zum Teil zerborsten und zerfetzt, manchmal noch gut erhalten. Da zeigten sich auch noch Rahen mit aufschwimmenden zerrissenen Segeln und Teilen des Riggs, das schlangengleich um die Torsos herumschwappte und erst sinken würde, wenn es sich mit Wasser vollgesogen hatte.

Ein schlimmes Bild, das noch grausiger wirkte, wenn da und dort plötzlich etwas aus dem Wasser blubbernd aufschoß – ein Faß etwa, das sich aus dem gesunkenen Rumpf gelöst hatte und auftrieb. Schiffe behalten ja nicht alles, wenn sie gesunken sind. Einiges geben sie noch her. Dennoch sind es eigentlich tote Gegenstände.

Nicht tot jedoch waren jene Kerle, die das Gefecht und den Untergang ihres Schiffes überlebt hatten – zum Teil vielleicht verletzt. Solange sie lebten, hielten sie sich über Wasser – schwimmend, wassertretend oder an irgendein Trümmerstück geklammert.

Man nennt solche Menschen Schiffbrüchige. Sind sie verletzt, verkürzt sich ihre Überlebenschance. Sie schrumpft sogar rapide zusammen.

Das Verhalten des Kapitäns jener Galeone, die sich aus dem Gefecht zurückgezogen hatte, war unfaßbar – er kümmerte sich einen Dreck um diese Schiffbrüchigen, und das waren ja eigene Kameraden.

Ein großer Teil von ihnen – jene, die unverletzt geblieben waren und schwimmen konnten – hatte die Wahl gehabt, zu versuchen, schwimmend die Insel Mordelles, die Festlandküste oder diese Galeone zu erreichen. Die Galeone bot sich an, weil sie den Schiffbrüchigen am nächsten war, beziehungsweise ihnen entgegenlaufen konnte. Außerdem hatte sie ja Boote an Bord, die man abfieren konnte, um sie die Schwimmer aufsammeln zu lassen.

So war es nur logisch, daß sich die Schiffbrüchigen der Galeone zugewandt hatten. Von überall bewegten sie sich auf den Dreimaster zu, quer durch das Trümmerfeld hindurch. Sie brüllten dazu und winkten. Sie mobilisierten ihre letzten Kräfte, denn dort war ihre Rettung.

Allen voran schwamm Pierre Servan, einer der Piraten-Kapitäne Yves Grammonts. Er hatte im ersten Gefecht mit den Engländern bereits seine „Antoine“ verloren. Dann hatte er zusammen mit Jean Bauduc die „Coquille“ übernommen, während der eigentliche „Coquille“-Kapitän, nämlich Saint-Jacques, auf die „Louise“ übergestiegen war. Jean Bauduc war tot, Saint-Jacques an Bord der „Louise“ schwerverletzt. Vom harten Kern der Piratenkapitäne Grammonts war also nur noch Pierre Servan übriggeblieben, und das auch noch als Schiffbrüchiger.

Der große, grauhaarige Mann mit dem Schnauzbart rechnete sich dennoch eine Chance aus und war so vermessen, zu glauben, mit der Galeone dort noch einmal entscheidend in das Gefecht eingreifen zu können.

Immerhin wußte er hinter sich einen erklecklichen Teil der Schnapphähne, die gleich ihm noch am Leben waren. Von der „Coquille“-Crew, deren Untergang von „Eiliger Drache über den Wassern“ besiegelt worden war, befanden sich auch noch einige darunter, die meinten, ihr Heil in der Galeone zu sehen.

Pierre Servan reckte sich mehrere Male aus dem Wasser auf und brüllte zu der Galeone, man möge ihnen doch, verdammt noch mal, entgegensegeln.

Aber die Kerle auf dieser Galeone schienen blind oder taub zu sein – ihr Kapitän ebenfalls. Die Männer, die sich schreiend und winkend durchs Wasser wühlten, wurden von ihnen nicht beachtet. Sie starrten über die See zum Flaggschiff Yves Grammonts, wo sich der letzte Akt des Dramas abspielte.

Wäre Pierre Servan näher an der Galeone dran gewesen, dann hätte er an den Mienen der Besatzung ablesen können, wie froh sie waren, keine „Louise“-Crew zu sein, über die das Jüngste Gericht hinwegtobte. Diese Kerle auf der Galeone waren nichts weiter als zuschauendes Publikum, das sich wohlig erschauernd sagen konnte: Wie gut, daß nicht wir es sind, deren letztes Stündlein geschlagen hat. Bei solchem Zuschauen hat man natürlich auch keinen Blick für die armen Würstchen, die bereits bis zum Hals im Wasser stecken.

Dann passierte auch noch, daß der Kapitän dieser Galeone unter vollen Segeln weiter ablief, um sich hinter die Pirateninsel zu verholen. Das heißt, er empfahl sich.

Pierre Servan erlitt nahezu einen Tobsuchtsanfall, als er das bemerkte.

Er schleuderte den rechten Arm hoch, die Hand zur Faust geballt, bäumte sich aus dem Wasser auf und brüllte: „Du Schwein! Du krummer Hund! Warte! Warte auf uns! Gei auf die Segel! Du Dreckskerl! Siehst du uns nicht? Bastard, elender, verfluchter …“

Pierre Servan mußte Luft holen, weil er sich total verausgabt hatte, und sackte aufs Wasser zurück. Jetzt gurgelte er nur noch unverständliches Zeug, sein nasser Schnauzbart hing ihm traurig über die Mundwinkel, seine Hände platschten aufs Wasser, er hatte Mühe, den Kopf gerade zu halten.

Müdigkeit überfiel ihn. Er war bereit, aufzugeben. Die Enttäuschung war zu groß. Diese Scheißer auf der Galeone ließen sie kaltblütig im Wasser verrecken. Die hauten einfach ab und überließen sie ihrem Schicksal. Erst kniffen sie mitten im Gefecht, dann sahen sie aus sicherer Entfernung zu, was sich so tat, und jetzt segelten sie davon, ohne den Schiffbrüchigen zu helfen.

Hinter Pierre Servan heulte einer der Kerle auf wie ein getretener Hund, warf sich vor, schlug die Arme ins Wasser und versuchte, an dem Piratenkapitän vorbei, hinter der Galeone herzuschwimmen. Er benahm sich wie ein Irrer und begriff nicht, daß seine Anstrengungen völlig umsonst waren.

Die Galeone war an die hundert Yards entfernt, und die Distanz wurde größer und größer. Sie war unerreichbar und so weit weg wie der Mond. Aber der Kerl schwamm und schwamm. Und er brüllte hinter der Galeone her.

Idiot, dachte Pierre Servan müde.

Dann sah er eine Gräting und schaffte es, zu ihr hinzuschwimmen und sich hinaufzuziehen. Ihm war kalt, und für einige Augenblicke schwand ihm das Bewußtsein. Es kehrte zurück, als er wieder im Wasser lag. Da stellte er zu seiner Wut fest, daß sich zwei andere Kerle auf der Gräting befanden und damit beschäftigt waren, sie wie eine Burg zu verteidigen.

Der ganze Haufen, der zuvor Pierre Servan gefolgt war, als er noch gemeint hatte, von der Galeone aufgefischt zu werden, war um die Gräting versammelt und versuchte, sie zu entern.

Es ging ziemlich ungesittet zu. Sie pöbelten sich gegenseitig an, und da war an derben Ausdrücken und Schimpfnamen allerlei zu hören. Die beiden Kerle auf der Gräting droschen um sich, was das Zeug hielt. Wo sich eine Hand an einer der vier Seiten festkrallte, da schlugen sie drauf. Fußtritte setzte es ebenfalls. Die Gräting war schwer am Schaukeln.

Zwei besonders Gewitzte untertauchten sie – nicht, um sie umzuwerfen, o nein! Sie hatten Messer bei sich. Mit denen brauchten sie nur durch ein leeres Geviert des Gitterwerks zu pieken – etwa dort, wo einer der beiden Kerle mit dem Hintern hockte.

Nach knapp fünfzehn Sekunden war die Gräting wieder frei, und die beiden Kerle tobten fluchend im Wasser herum. Sie hätten sich gern die Kehrseiten gehalten, aber jetzt brauchten sie ihre Hände wieder zum Paddeln.

Es geschah ihnen recht, denn sie waren es gewesen, die den für Augenblicke weggetretenen Pierre Servan einfach von der Gräting weggekippt und sich selbst hinaufgeschwungen hatten.

Pierre Servan besann sich seiner Führerrolle als Kapitän und bezwang sein Bedürfnis, sich apathisch treiben zu lassen. Als sich die Kerle erneut um die jetzt leere Gräting zu balgen begannen, brüllte er: „Schluß damit, verdammt noch mal! Laßt diejenigen auf die Gräting, die verletzt sind! Die anderen halten sich an ihr fest, verstanden?“

Das war ein durchaus vernünftiger Vorschlag, ein sogar menschlicher Vorschlag. Nur hatte Pierre Servan nicht bedacht, daß Kerle, denen das Wasser buchstäblich bis zum Hals steht, in der Regel auf vernünftige Vorschläge pfeifen, da sie in einem solchen Zustand selbst bar jeder Vernunft sind. Außerdem waren sie nicht diszipliniert, jedenfalls nicht für eine solche Situation, die sie sonst ja stets anderen bereitet hatten. Hier galt nur die Devise: jeder ist sich selbst der Nächste. Und danach handelten sie.

Pierre Servans Vorschlag endete seitens der Schnapphähne mit einem Hohngelächter, dem wilde Verwünschungen und Flüche folgten. Im übrigen hatte er auch zuvor den Fehler begangen, sich als erster auf die Gräting geschwungen zu haben, ohne an die Verletzten zu denken.

Einer der Kerle in seiner unmittelbaren Nähe hob drohend die Faust und brüllte: „Du kannst uns mal, Servan! Auch Grammont kann uns! Wer hat uns denn die Scheiße eingebrockt, he? Aber jetzt das Maul aufreißen, das könnt ihr …“

Weiter gelangte er nicht. Pierre Servan schnellte sich im Wasser vor und hieb dem Kerl die Faust an den Schädel. Blubbernd versackte der Mann.

Das war die Sprache, die von den Kerlen verstanden wurde.

„Braucht noch jemand was vor die Schnauze?“ fragte Pierre Servan wild und schwamm einfach auf den Haufen los.

Sie strebten auseinander und ließen ihm eine Lücke. Keiner wagte, zu rebellieren.

Er hielt sich an der Gräting fest. „Wer ist verletzt?“

Da hoben sich mehrere Arme. Pierre Servan suchte drei Kerle heraus, die schon ziemlich wächsern aussahen. Sie wurden auf die Gräting bugsiert. Die anderen mußten sich um die Gräting herum verteilen und durften sich an ihr festhalten. Wer keinen Platz hatte, hing sich an einen der Männer an der Gräting.

Somit hatte Pierre Servan seine Autorität wiederhergestellt. Er zählte seinen Haufen ab. Mit ihm und den drei Verletzten waren sie noch sechzehn Mann. Im weiten Umkreis schwammen noch einige, die sich an Balken oder Fässer klammerten. Der Mann, dem Pierre Servan die Faust an den Schädel gedonnert hatte, tauchte nicht wieder auf. Und jener, der wie ein Irrer hinter der Galeone hergeschwommen war, blieb ebenfalls unauffindbar. Die unersättliche See mußte ihn zu sich genommen haben.

Da hingen sie also alle an irgendwelchen provisorischen Rettungsmitteln, mehr oder weniger deprimiert, verletzt, ermüdet oder apathisch. Sie klammerten sich an etwas, das ihnen Rettung zu versprechen erschien. Was für eine Rettung, das wußten sie selbst nicht. Auch Pierre Servan wußte es nicht, bislang jedenfalls nicht.

Das änderte sich, als er über die See blickte, die er zu diesem Zeitpunkt haßte, weil sie feindlich war. Aber auf dieser See segelte ein Schiff heran, kein Schiff der Piraten, bewahre! Es war die „Fidelity“, eine der beiden Galeonen dieser verdammten Engländer.

Pierre Servan hob den Kopf, und die Miene in seinem Gesicht verwandelte sich in eine Grimasse der Wut. Jetzt war nicht mehr die See der Feind, sondern jenes Schiff, das auf ihr heransegelte, offenbar majestätisch und unbesiegbar.

Wollte es über den Pulk der Schiffbrüchigen hinwegsegeln? Die Gräting rammen? Auf die Männer im Wasser ein Scheibenschießen veranstalten?

Nein!

Diese Galeone der Engländer schickte sich an, durch den Wind zu gehen und zu wenden. Mit einem Blick sah Pierre Servan, daß die „Fidelity“ über Stag ging, um Kurs auf die „Hornet“ zu nehmen, die über die „Louise“ hergefallen war. Irgendwo hinter der „Fidelity“ tauchte auch der schwarze Viermaster auf, wohl ebenfalls bestrebt, sich dem Flaggschiff der Engländer zu nähern.

So dicht wie die „Fidelity“ war bisher noch kein Schiff den Schiffbrüchigen um Pierre Servan gewesen. Und als sie zu ihrem Wendemanöver ansetzte, schwang sie noch näher heran.

Kein Mann dort an Bord kümmerte sich um die Schiffbrüchigen. Sie schauten alle zu ihrem Flaggschiff hinüber – der Galeone dieses hünenhaften, schwarzhaarigen Engländers mit den eisigen blauen Augen.

Auch die Männer um Pierre Servan hatten die Köpfe gehoben, je nach Temperament oder ihrem schiffbrüchigen Zustand entsprechend – verwundert, wütend, gleichgültig, auch ängstlich.

In diesem Moment begriff Pierre Servan, daß die „Fidelity“ – vielleicht – ihre Rettung sein konnte, so irrsinnig dieser Gedanke war. Aber die „Fidelity“ war der Strohhalm, an den man sich klammern konnte. Sie war zwar Feind, aber der grausamere Feind war die See, die noch jeden, aber auch jeden, ermordet hatte, der auf ihr ohne Schiff herumgeschwommen war. Sie ließ sich zwar Zeit, diese See, aber je länger man auf ihr schwamm, desto mehr zerbrach sie einen.

Sie liebte nämlich den zähen, saugenden Mord. Sie lauerte, um den Mord zu vollbringen. Dazwischen zermürbte sie. Die Kälte war das eine ihrer Mittel. Die Unmöglichkeit, Land zu erreichen, das andere. Mit ihrem dritten Mittel spielte sie je nach Laune. Dieses dritte Mittel war ihre Kraft – im Orkan war es ein tödliches Mittel, ein Zuschlagen mit nur einer Tatze, und dann war alles vorbei.

Zur Zeit tändelte die See mit ihren Opfern, die ihr gewiß zu sein schienen.

Aber da war der rettende Strohhalm, berechenbar, weil die englische Galone Sicherheit versprach, Sicherheit vor der mordenden See.

Und darum überfiel den Kapitän Pierre Servan der Gedanke, die „Fidelity“ entern zu können, zumal sich dieses Schiff dem Pulk der Schiffbrüchigen fast auf Spuckweite genähert hatte.

Ihr Heck schwang kurz vor der Gräting herum.

„Drauf!“ schrie Pierre Servan. „Es ist eure letzte Chance!“

Er hechtete im Wasser vor, und als er es tat, sah er noch aus den Augenwinkeln, daß ihm die Kerle links und rechts folgten. Wie Delphine schnellten sie sich auf das breite, aufragende Heck zu, das in der Mitte vom Ruderblatt und dem Ruderschaft geteilt wurde. Das Ruderblatt ragte mit seinem oberen Teil noch etwa einen Yard aus dem Wasser. Dort waren auch zwei Ketten, eine auf jeder Seite. Sie führten durch Gatts in das Spiegelheck.

Pierre Servan stieß an das Ruderblatt, bäumte sich aus dem Wasser auf, packte mit den Händen die Kette an Steuerbord, zog sich hoch, stemmte sich über die schwankende Kette, griff weiter nach oben zu dem Fingerling, der wie die anderen das Ruderblatt und den Ruderschaft mit dem Heck verband, und konnte sich jetzt hochhangeln, bis seine Füße auf der Kette Halt hatten. Über die anderen Fingerlinge nach oben hin konnte er hochklettern, als seien es Steigeisen.

Beim letzten Steigeisen – das stellte er flüchtig fest – brauchte er nur nach oben zu langen. Dort kragte die untere Galerie über das Heck hervor. Mit einem Klimmzug nach oben mußte das auch zu schaffen sein. Und dann war man auf der Heckgalerie – dem Sprungbrett zum Achterdeck. Das konnte man von achtern aufrollen, im Kampf Mann gegen Mann.

Und wer das Achterdeck eines Schiffes in Besitz nahm, der herrschte über die Decks davor, denn achtern war der Kommandostand.

Pierre Servan beugte sich keuchend nach unten und half dem nächsten Mann, die Kette zu erreichen. Drüben, dicht vor ihm, hatte sich ebenfalls ein Mann bis auf die Kette geschwungen – er hatte ein Messer quer in den Zähnen und blutunterlaufene Augen.

Jetzt schwankten sie zu dritt – zwei an Steuerbord, einer an Backbord – auf den Ketten, die sich verkürzten oder verlängerten, je nachdem, wie das Ruder gelegt wurde.

Der Kerl auf der Backbordseite neigte sich auch nach unten, um den nächsten nach oben zu ziehen.

Das klappte gar nicht mal so schlecht. Unten strudelte das Wasser vorbei. Und ein paar Kerle hatten ebenfalls das Ruderblatt erreicht, klammerten sich an ihm fest und starrten nach oben, um zu sehen, wie’s weiterging.

Pierre Servan exerzierte es ihnen vor. Er griff schräg über sich zur Unterkante der Galerie, umklammerte dort mit beiden Händen einen der Stützposten und zog sich nach oben, während er gleichzeitig die Füße seitlich hochschwang. Mit denen erreichte er den Zwischenraum zweier vorlicher liegenden Stützpfosten und verklemmte sie dort. So lag er waagerecht außen längs der unteren Heckgalerie, aber Sekunden später zog er die Beine an und hockte jetzt wie ein zusammengekrümmter Affe sprungbereit an dem Stützpfosten. Er brauchte nur noch hochzuschnellen und über die Balustrade zu flanken.

Drüben auf der Backbordseite des Ruders tat es ihm der andere Kerl – jener, der das Messer im Mund hatte – gleich. Jetzt hockten bereits zwei, bereit zum Hochschnellen, an den Galeriepfosten. Pierre Servan nickte dem anderen grinsend zu. Der grinste zurück, was fürchterlich aussah, weil er gleichzeitig das Messer mit den Zähnen festhalten mußte.

Pierre Servan blieb für weitere Betrachtungen keine Zeit mehr, denn jetzt turnten auf der Kette noch mehr Kerle herum und drängelten, um nach oben zu gelangen.

Er flankte über die Balustrade, wurde von einem der „Fidelity“-Mannen gesehen, der auf dem Achterdeck stand, und dieser Mann brüllte los und alarmierte die Reeves-Crew. Männer und Köpfe wirbelten zu ihm herum.

Und er brüllte: „Sie entern von achtern!“

Acht Kerle von Pierre Servan schafften es, die „Fidelity“ achtern zu entern.

Und dann war der Teufel los an Bord der „Fidelity“.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 292

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