Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 271 - Davis J. Harbord, Fred McMason - Страница 5

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In dieser wüsten Sturmnacht, in der die Seewölfe vor Topp und Takel lenzten und nach Süden getrieben wurden, durch die Straße von Gibraltar hindurch, wo sich Atlantikströmung und Sturm noch steigerten, weil sie wie durch einen Schlauch gepreßt wurden, in dieser Nacht also befand sich noch jemand auf der jetzt nackigen, kurzen See des Mittelmeers.

Allerdings führte er kein Schiff denn das hatten ihm die englischen Christenhunde an dem Nachmittag, bevor diese Nacht begann, buchstäblich unter den Füßen versenkt.

Nein, der Mann hatte kein Schiff mehr, obwohl er für gewöhnlich nur mit dem kleinen Finger zu winken brauchte, um zwanzig, dreißig, vierzig oder noch mehr Schiffe um sich zu versammeln.

Dieser Mann hatte nur eine lumpige Gräting, auf die er sich hatte retten können – allerdings auf die ruppige Art, weil sie bereits besetzt gewesen war.

Da er aber die Gräting für sich allein beanspruchte, hatte er die Kerle darauf – seine eigenen Kumpane – kurzerhand „abgeräumt“. Drei Männer hätten auf dem Ding, wenn auch etwas beengt, bestimmt Platz gehabt, aber hätte er, der Erhabene, die Rettungsinsel mit zwei stinkenden Schakalen teilen sollen?

Niemals! Ihm stand die Gräting zu, nur ihm und sonst niemandem.

Das Leben eines Uluch Ali war ja auch ungleich wertvoller als das eines räudigen, nichtsnutzigen Hurensohnes aus irgendeinem verlausten Hafen Nordafrikas. Sie hätten ja besser und tapferer kämpfen können, diese hündischen Mißgeburten!

Unter seinesgleichen oder bei gefangenen Giaurs bestimmte der erhabene Uluch Ali, Statthalter der Türken im nordafrikanischen Küstenraum und Gebieter über eine kaum schätzbare Zahl von Piraten und Schlagetots, ob man leben durfte oder zu Tode befördert werden sollte. Bei letzterem bestimmte er natürlich auch über die Art des Zutodebringens, was nach vorheriger Folter für die Ärmsten meist eine Gnade bedeutete, endlich davon erlöst zu werden und dieses Jammertal verlassen zu können.

Beim Kampf um die Gräting hatte Uluch Ali sein wahres Gesicht gezeigt, falls es seinen Kerlen noch unbekannt gewesen sein sollte. Aber das nutzte ihnen jetzt auch nichts mehr. Und bestimmt nicht hatte dieses letzte Erkennen vor ihrem Abgang aus dieser ihrer Welt des Mords und Totschlags dazu beigetragen, den Erhabenen in einem verklärten Licht zu sehen.

Aller Wahrscheinlichkeit nach hatten sie ihn in des Scheitans finsterste Hölle verdammt und ihm alle Tode gewünscht, die er über andere verfügt hatte.

Sollte das so gewesen sein, dann ging ein Teil davon in Erfüllung.

Denn über den Mann, der über Tod oder Leben anderer verfügt und bestimmt hatte, entschied jetzt, in dieser höllischen Nacht, etwas anderes, nämlich eine Macht, die stärker und mächtiger als der Erhabene war.

Der Erhabene?

Von diesem Thron hatten ihn die Elemente, sprich Luft und Wasser, bereits hinweggefegt wie ein welkes Herbstblatt. Die Windsbräute und die Wassergeister interessierte dieses kümmerliche Menschlein einen Dreck. Von Erhabensein und Bestimmen, wer leben durfte und wer nicht, war keine Rede mehr.

Uluch Ali, der Oberschnapphahn aller Schnapphähne der nordafrikanischen Küsten, der Mann, dessen Hinterlist, Rücksichtslosigkeit, Menschenverachtung und Brutalität kaum zu überbieten waren, mußte erkennen, daß ihn eine andere, stärkere Macht in den Klauen hatte und mit ihm spielte.

Ja, sie spielte mit ihm.

Sie griff mit leichten Fingern unter seine Gräting, wischte sie hoch und kippte sie um. Da hing er festgekrallt mit Füßen und Händen an dem Holzgitter unter Wasser, über sich die Gräting, um sich tobendes Wasser, aber keine Luft mehr. Nach der schnappte er in seiner Panik – aber er schluckte nichts weiter als salziges Wasser.

In ihm explodierte etwas, und als er sich unter Wasser erbrach, griffen die spielenden Finger wieder zu, warfen die Gräting herum, und er hatte das Glück, nicht mehr Fisch sein zu müssen.

Keuchend, röchelnd, pfeifend saugte er köstliche Luft ein. Gespreizt lag er auf der Gräting, fast wie ein Gekreuzigter. Seine Finger krallten sich um die Holzgitter, seine Füße verklemmten sich in den Würfeln, die das Gitterrost bildete.

Um ihn herum flog das Wasser. Die Gräting war nichts weiter als ein Spielball, der einen Irrsinnstanz aufführte.

Eine Minute brauchte er, um, wenn auch röchelnd, wieder atmen zu können. In der nächsten Minute verfluchte er Allah, Mohammed und alle Propheten, und in der dritten Minute wurde die Gräting wieder umgewischt. Was oben gewesen war, befand sich erneut unter Wasser – er auch, ein Mann unter einem Holzgitter, ein zum Tode Verurteilter, dessen Lebensspanne nur noch von Atemzug zu Atemzug reichte und rapide zusammenschrumpfte, je länger ihm der rettende Atemzug verwehrt blieb. Die Menschen waren nicht dafür eingerichtet, unter Wasser atmen zu können.

Der Mann Uluch Ali wußte nicht, daß ihm die Augen aus dem Kopf quollen. Er wußte auch nicht, daß sich die empfindlichen Organismen in seinem Körper dagegen wehrten, von der lebensspendenden Luft abgeschnitten zu werden. Sie zwangen ihn, nach Luft zu schnappen – und er gehorchte.

Jetzt war seine Lebensspanne nur noch knapp bemessen, eigentlich bestand sie schon gar nicht mehr, denn er saugte Wasser in seine Lungen. Wäre er noch bei Sinnen gewesen, hätte er gewußt, was die Folge sein würde – nämlich Tod durch Erstikken.

Aber er war nicht bei Sinnen, was ihn absurderweise noch einmal vor der letzten Schwelle bewahrte, die, einmal betreten, unwiderruflich war.

Sein Körper unter der Gräting bäumte sich zuckend auf, als das Wasser in seine Lungen trat, seine Hände und Füße lösten sich aus den Würfeln der Gräting, er schwamm, und eine Woge schwemmte sein Floß über ihm weg.

Er schoß an die Oberfläche, spuckte wieder Wasser und röchelte gleichzeitig nach Luft.

Die Elemente kicherten und jaulten und dröhnten um ihn herum. Er würgte und keuchte und lechzte nach Luft. Ja, sie war da und doch wieder weg, sie gönnte ihm ein kurzes Schnappen, aber Sekunden später prallte ihm klatschendes Wasser ins Gesicht und in den aufgerissenen Mund.

Luft – Luft!

Er schlug um sich, ruderte mit Armen und Beinen, raste einen Wellenberg hoch und stürzte in unendliche Tiefen, in Schlünde, die nicht aufzuhören schienen. Aber sie spien ihn auch wieder nach oben, wo die Luft sein mußte, der Himmel, die Sterne, nicht dieses mörderische, erstickende Wasser.

Seine Augen entdeckten keine Sterne und keinen Himmel. Da war nur Schwärze mit wechselnden Weißfetzen, die eigentümlich fluoreszierten und merkwürdige Gestalten zu bilden schienen. Daß dies die kochende See war, begriff er nicht.

Weiße Ungeheuer waren das, Gespenster, die einen Todesreigen um ihn tanzten, aus der Tiefe tauchten sie auf, von der Seite, von vorn, von hinten. Er schlug nach ihnen, weil er meinte, daß sie ihn verschlingen wollten. Aber sie wichen aus, und es waren auch zu viele Ungeheuer, die ihn umwirbelten.

Zu diesem Zeitpunkt war Uluch Ali, der Erhabene, der Herrscher über Leben und Tod in seinem Machtbereich, nahezu dabei, den Verstand zu verlieren.

Zuviel war in der letzten Zeit geschehen, eine Niederlage hatte sich an die andere gereiht – bis zur endgültigen Niederlage, deren letzter Fixpunkt die Gräting war, eine lächerliche, banale Holzkonstruktion, die sich nicht einmal beherrschen, steuern oder bewegen ließ.

Nein, etwas anderes steuerte und bewegte sie – die Elemente. Vielleicht auch das Kismet.

Das Kismet stieß die entschwundene Gräting zu dem halbirren Menschen, der in dem kochenden Hexenkessel herumgewirbelt wurde, zurück. Sie rammte seine rechte Schulter, und der Schmerz brachte ihn halbwegs zur Besinnung – zumindest zum Erkennen, was ihm da unerklärlicherweise dargeboten wurde.

Er griff zu und hielt sich fest.

So waren sie wieder vereint, die Gräting und der Erhabene.

Er schluchzte, weil er zu schwach war, sich hinaufzuziehen. Vielleicht schluchzte er auch, weil er das Gefühl hatte, alles hätte sich gegen ihn verschworen. Noch dazu war er halbblind, denn das Salz im Wasser zerbiß ihm die Augen. Darum wohl auch hatte er die weißen Schaumfetzen für Ungeheuer gehalten.

Aber das alles dachte er nicht. Das waren eher Schreckvisionen, Alpträume oder wirre Phantasien bis hin zu jenem Punkt, an dem seine Sinne abzustumpfen begannen, weil das Maß dessen, was sie noch bereit waren, aufzunehmen, überschritten war.

Nur seine Hände tasteten sich weiter zur Mitte der Gräting, und seine Finger verkrallten sich dort. So konnte er wenigstens den Kopf sinken lassen, daß er auf der Gräting lag und nicht ins Wasser hing, wo das Ungeheuer des Erstickens auf der Lauer lag.

Ja, in dieser Nacht starb Uluch Ali viele Tode und durchlebte noch mehr Höllen. Er erlitt alles das, was er anderen angetan hatte, und das war eine endlose Kolonne von Schandtaten, endlos deswegen, weil er sich bereits in jenem Alter befand, von dem oft behauptet wird, daß es jenseits von Gut und Böse läge. Bei ihm traf das nicht zu, denn das Diesseits des Bösen hatte er noch nie verlassen. Und gut war für ihn immer nur das gewesen, was ihm frommte.

In diesem Sinne war seine letzte Schandtat die brutale Inbesitznahme der Gräting gewesen. Die Opfer kümmerten ihn nicht. Opfer hatten ihn nie gekümmert, es sei denn als Objekte seiner Belustigung, wenn sie gevierteilt wurden oder ihre Köpfe über den Sand rollten.

Zu Einsichten würde er wohl nicht gelangen, falls er überlebte. Das Böse steckte zu tief in ihm drin. Er hatte nur das dumpfe Erkennen, daß er der erbarmungslosen See auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war. Obwohl er seine schlimmsten Untaten auf dieser See vollbracht hatte, war ihm ihre Gewalttätigkeit nie besonders ins Bewußtsein gerückt.

In dieser Nacht empfing er nur eine Ahnung davon.

Nach dem Schluchzen verlegte er sich aufs Wimmern, und es war gut so, daß auch einmal ein Uluch Ali wimmerte – genauso wie viele seiner Opfer, denen der Schmerz das Rückgrat gebrochen hatte.

Einmal in dieser Nacht der Schrekken, Ängste und Panik erlitt er noch einen Schock.

Das war, als etwas Großes, Dunkles zum Greifen nahe an ihm vorbeirauschte, so daß er sogar den Sog spürte, der die Gräting und damit ihn für unbestimmbare Augenblicke mitzog, aber dann wieder zurückstieß und die Gräting zum Kreiseln brachte.

Ein Schiff! Ein Schiff mit einem Mast!

Ein Riese von Mann stand an der Pinne, aber er schaute nicht zu ihm hin. Er hörte und sah nichts, obwohl Uluch Ali tobte und brüllte und winkte.

Und wie ein Spuk verschwand das Schiff wieder in der Dunkelheit, als habe es nie existiert. Wie aus dem Nichts war das Schiff aufgetaucht und hatte sich auch wieder im Nichts verloren – eine unheimliche Erscheinung.

Ein Geisterschiff!

„Allah!“ brüllte Uluch Ali. „Allah, rette mich!“

„Hat da nicht eben jemand geschrien?“ sagte Dan O’Flynn und spähte nach Steuerbord.

„Klar“, sagte Big Old Shane und grinste breit. „Das war ’ne Meerjungfer …“

Dan O’Flynn fuhr zu ihm herum. „Quatsch!“

„… ’ne Meerjungfer“, wiederholte Big Old Shane noch einmal, „die vom Wassermann in den Popo gekniffen wurde. Dein Alter hätte das sofort erkannt, Mister O’Flynn!“

„Mister Shane“, sagte Dan O’Flynn erbittert, „mein Alter hätte das anders formuliert, und zwar etwa in dem Sinne, daß bei einer Meerjungfer dort, wo sonst bei den Ladys der Popo zu sitzen pflegt, bereits der Fischschwanz beginnt. Also kann dort kein Popo im üblichen Sinne sein. Ist das klar?“

„Dann hat der Wassermann der Lady eben in den Busen gekniffen“, erklärte Big Old Shane ungerührt.

„Ha!“ sagte Dan O’Flynn. Und noch einmal: „Ha! Wassermänner, die Meerjungfern in den Busen kneifen! Du spinnst wohl? Ich hab jemanden schreien hören, und er hat um Hilfe geschrien. Meinst du vielleicht, ich hätte Kakerlaken im Ohr?“

„Das krabbelt, und du würdest sie rauspulen. Also mein ich’s nicht“, erwiderte Big Old Shane und spähte über die Schulter nach Steuerbord, wo nichts weiter als Gischt und Dunkelheit zu erkennen war. „Was soll’s? Wir lenzen vor Topp und Takel, und ich versuche, diesen verdammten Kahn mit dem Windchen laufen zu lassen. Bildest du dir vielleicht ein, ich leg Ruder, um diesen Zossen auf den Kopf zu stellen – nur weil du was gehört hast?“

„Du hast es nicht gehört?“

„Nein“, knurrte Big Old Shane.

„Und doch war da was!“

„Rutsch mir über die Rah und küß das Kielschwein, Mister O’Flynn!“

„Ist was?“ Vor ihnen tauchte Matt Davies auf.

„Hau dich in die Koje!“ fuhr ihn Old Shane an.

„Warum brüllt ihr euch denn so an?“ blaffte Mister Davies zurück. „Hier stimmt doch was nicht.“

„Ich hab nicht gebrüllt“, sagte Dan O’Flynn. „Aber im Wasser hat jemand um Hilfe geschrien.“

„Was du nicht sagst!“ Matt Davies kriegte tellergroße Augen. „Im Wasser?“

„Ja, an Steuerbord irgendwo.“

„Irgendwo!“ Big Old Shane war drauf und dran, sich die Haare zu raufen. „Irgendwo! Wo denn, verdammt noch mal? Irgendwo achtern jetzt! In dieser Scheißsee siehst du doch nichts! Soll die ganze Mannschaft hochgepurrt werden, bei diesen irren Westpfeifern die Segel setzen und dann nach Stimmchen suchen, die nur dieser idiotische Mister O’Flynn gehört hat?“

Dan O’Flynn rammte den rechten Fuß auf die Planken. „Aber es hat jemand um Hilfe geschrien!“

„Brüll mich nicht an!“

„Du brüllst doch!“ schmetterte Dan zurück. „Und ich bin kein idiotischer Mister O’Flynn! Was ich gehört habe, das habe ich gehört! Meine Ohren sind genausogut wie meine Augen …“

„Hast du denn was gesehen?“ unterbrach ihn Matt Davies.

„Nein, das nicht.“

„Na also“, sagte Big Old Shane. „Tut mir beide den Gefallen und horcht eure Kojen ab, ihr geht mir hier auf den Geist. Wenn der Kahn am Absaufen ist, weck ich euch. Klar?“

„Aber wenn Dan was gehört hat …“ begann Matt Davies, aber Old Shane unterbrach ihn.

Er sagte und blickte dabei in den nachtdunklen, vom Sturm durchzogenen Himmel: „Lieber Gott, dein Tierreich ist groß, aber die größten Ochsen sind

Mister O’Flynn und Mister Davies. Schenke diesen Ochsen die Gnade, mich hier an dieser Pinne nicht weiter zu belämmern! Gib ihnen Ruhe und Frieden, auf daß sie sich langlegen mögen und den Rudergänger, der auch nur ein armer Hund ist, mit ihren dummen Sprüchen verschonen. Amen!“

„Hier wird gebetet?“ fragte eine Stimme aus dem Dunkel. Und dann stand plötzlich Hasard vor den drei Männern, den rechten Arm angewinkelt, weil Big Old Shane diesen Arm in den Schulterverband mit einbezogen hatte, um die Schulter ruhig zu halten.

„Sir“, sagte Old Shane erbittert, „du brauchst wohl einen vierten Hammer, eh? Ich steh seit Stunden hier am Ruder, damit du deine Ruhe hast und ausschlafen kannst. Du hast es verdammt nötig. Und ich versuche inzwischen, vor dem Sturm herzulaufen und dieses Schiffchen auf Kurs zu halten, bis das Stürmchen aufhört. Dann, das garantiere ich euch, hau ich euch aus den Kojen, damit ihr die Segel wieder setzen und auf Westenkurs gehen könnt. Und dann möchte ich mich in die Koje verholen. Ich steh hier nämlich nicht, um mir das Wischiwaschi von irgendwelchen Kerlen anzuhören, deren Ohren darauf gespitzt sind, nach dem Hopsen von Flöhen zu lauschen, die sie dann als Stimmen zu erkennen meinen, die nach Hilfe schreien. No, Sir!“

„Wie war das?“ fragte Hasard ein kleines bißchen verwirrt. Tatsächlich hatte ihn Old Shanes Stimme vor wenigen Minuten aus der Koje hochgeschreckt. Und jetzt erklärte er was vom Hopsen der Flöhe, was auch immer das bedeuten mochte.

„Da hat wer um Hilfe geschrien!“ platzte Matt Davies heraus.

Hasard runzelte die Stirn. „Das sagte Shane bereits. Und was soll das bitte?“

Big Old Shane fluchte mit Inbrunst. „Der da“, er ließ die Pinne los und stieß den Arm auf Dan O’Flynn zu, „meint, er habe was gehört! Einen Hilfeschrei oder so was.“

„Das hör ich jetzt zum dritten Male. Und weiter?“

„Nichts weiter“, brummte Big Old Shane. „Das ist alles.“

„Und warum hast du gebetet?“

Old Shane stöhnte. „Ich hab den großen Kapitän dort oben im Himmel gebeten, er möge Mister O’Flynn und Mister Davies die Gnade schenken, mich hier an der Pinne nicht weiter zu belämmern. Mir ist völlig gleichgültig, ob da einer im Wasser herumschreit. Ich hab jedenfalls nichts gehört. Und auf eine bloße Vermutung hin wechsle ich nicht den Kurs, ganz abgesehen von der Unmöglichkeit, ein vor Topp und Takel lenzendes Schiff querzulegen. Aber wem sag ich das!“

Hasard nickte. „Völlig richtig. Soll dich jemand an der Pinne ablösen, Shane?“

„Nicht nötig. Haut euch wieder hin. Sobald wir wieder auf Gegenkurs gehen können, wird’s wahrscheinlich ruppig genug.“

Hasard witterte in die Nacht. „Scheint so, als habe der Sturm um eine Idee nachgelassen, hm?“

„Bißchen schon“, erwiderte Old Shane. „Fragt sich nur, wieviel Puste noch drinsteckt. Du kennst ja die Stürme im Atlantik, vor allem die Dinger, die von Westen heranorgeln. Da folgt manchmal ein Sturm dem anderen – ’ne ganze Woche lang. Wenn das hier auch so ist, sind wir bald wieder am Nil.“

Er war ein richtiger Gemütsmensch, dieser graubärtige Riese.

Wütend sagte Dan O’Flynn: „Wir sind aber nicht im Atlantik, und die Stürme, von denen du sprichst, setzen erst im Herbst ein. Jetzt ist Juni.“

„Das ist aber fein, Mister O’Flynn“, sagte Old Shane, und der Spott in seiner Stimme war nicht zu überhören. „Da hab ich wieder was dazugelernt. Wie ich mich jedoch erinnere, erwischte uns der Sturm im Atlantik und wehte auch auf diesem Tümpel noch, wie allseits zu bemerken ist. Für mich ist das kein Mittelmeersturm, sondern immer noch ein Atlantiksturm. Und wenn’s der Teufel will, baut sich hinter diesem Sturm noch einer auf. Damit müssen wir rechnen, ob uns das paßt oder nicht.“

Dan O’Flynn fluchte nur.

Hasard starrte auf den Kompaß, ein kleines Ding, das sie mit der Tartane übernommen hatten. Der Sturm trieb sie ostwärts. Die Fahrt zu loggen, war jetzt in der Dunkelheit nicht möglich. Seit Einsetzen des Sturms hatten sie auch keine Ortsbestimmung mehr vorgenommen, aber Hasard schätzte, daß sie sich noch in der Straße von Gibraltar befanden, aller Wahrscheinlichkeit nach etwa am östlichen Ende. Darauf deutete auch das winzige Nachlassen der Sturmstärke hin. Logischerweise mußte der Winddruck dort, wo sich die Straße trichterförmig zum Mittelmeer öffnete, geringer werden. Vielleicht konnten sie dann ein Sturmsegel setzen und versuchen, nach Norden abzulaufen, um in den Schutz der Leeküste bei Gibraltar zu gelangen und dort zu ankern. Zumindest würden sie dann nicht Meile um Meile weiter ins Mittelmeer getrieben werden.

Er sprach diese Gedanken aus, und Big Old Shane nickte.

„An eine solche Möglichkeit hab ich auch schon gedacht“, sagte er. „Nach Süden in einem solchen Falle abzulaufen, wäre Wahnsinn, denn von diesen Uluch-Ali-Schnapphähnen haben wir wohl alle die Schnauze voll. Dann schon lieber zu den Dons. Die sind mir immer noch lieber als diese schlitzohrigen Dattelfresser, die alle so scharf darauf sind, uns abzumurksen. Gut, legt euch hin. Ich purr euch hoch, sobald der Wind nachläßt.“

„In Ordnung.“ Hasard nickte. „Können wir sonst noch was für dich tun?“

„Klar“, der Riese grinste, „Matt könnte mir ’ne Muck mit Rum bringen. Ich hab einen nötig.“

„Wird besorgt“, sagte Matt Davies und eilte zum Vordeck.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 271

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