Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 353 - Davis J. Harbord, Fred McMason - Страница 6
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ОглавлениеVon den einhundertachtzig Minenarbeitern, die zur Zeit in der spanischen Goldmine von Punta Roca Partida im Schweiße ihres Angesichts schufteten, ahnte nicht ein einziger, was sich an diesem Mittag unten im Hafen abgespielt hatte. Und Don Julio gab an den Rest seiner Soldaten auch den Befehl aus, den Abzug der zwanzig Kameraden vor den Minenarbeitern streng geheimzuhalten.
Dennoch waren die Vorgänge gegen Mittag am Hafen aufmerksam beobachtet worden.
Die beiden Männer lagen bereits seit dem Vormittag in guter Deckung zwischen den Felsen, von denen das Lager und die Mine auf der Landseite umgeben waren. Hier war ein Bergland vulkanischen Ursprungs, das sich bis an den Golf von Campecke heranschob. An der Küste ragten also Steilfelsen auf, durchbrochen von Buchten und fjordartigen Kesseln.
Die beiden Männer lagen auf der nordwestlichen Seite der Mine, und zwar in überhöhter Deckung, so daß sie von oben einen guten Überblick hatten. Außerdem waren sie mit Spektiven ausgerüstet. So war ihnen nichts entgangen. Sie hatten die heransegelnde Galeone bemerkt, waren Augenzeugen des Disputs unten im Hafen geworden, hatten gesehen, wie die zwanzig Soldaten an Bord der Galeone marschierten und wie die Galeone dann an der Küste entlang nach Nordwesten segelte.
Daß der spanische Kommandant und sein Sargento sauer waren, hatten sie ebenfalls registriert – ebenso wie den erregten Wortwechsel zwischen dem Kommandanten der Galeone und dem Lagerkommandanten.
Als die Galeone nach Nordwesten abzog, grinsten sie sich beide an. In diesem Moment ähnelten sie zwei Wölfen, die sich ihrer Beute sicher sind.
Sie waren Wölfe – Küstenwölfe.
Sie waren sogar die Rudelführer einer vierzigköpfigen Meute, die im Golf von Campeche bis hinüber nach Cuba dem Handwerk der Piraterie nachging, in diesem Falle aber den ganz großen Coup hier bei der Goldmine von Punta Roca Partida landen wollte.
Vor ein paar Wochen waren sie mit ihrem 300-Tonnen-Dreimaster „Vergulde Sonne“ an dieser Küste entlanggesegelt und hatten aus reinem Zufall die Minenanlage entdeckt. Da waren sie stutzig geworden. Daß hier eine Mine der Spanier liegen sollte, war ihnen bisher unbekannt gewesen.
Jan Ledebur, ein Holländer und der Häuptling dieser Meute, war ein ausgekochter Schnapphahn, ausgekocht insofern, daß er nie wild drauflosschlug, sondern seine Beutezüge exakt plante, ohne dabei ein allzu großes Risiko einzugehen. Das hatte sich bisher bewährt, und er hatte keinen Grund, von dieser Methode abzugehen.
Im Fall der Goldmine hatte er gründlich recherchiert, das heißt, erst durch eine mehrtägige Beobachtung hatte er erfahren, daß hier Gold abgebaut und gleich an Ort und Stelle in Barren umgegossen wurde.
Gleichzeitig war von den heimlichen Beobachtern festgestellt worden, wie viele Sklaven in der Mine arbeiteten und von wie vielen Soldaten die Mine bewacht wurde. Der Gedanke an die Goldbarren, die in der Mine zum Zugreifen lagerten, hätte bei den meisten Schnapphähnen die Reaktion zum sofortigen Beutereißen ausgelöst. Nicht so bei Jan Ledebur, der völlig kalt blieb, solange er plante.
Er hatte sich also Zeit gelassen, um über sein Vorgehen in Ruhe nachzudenken. Gleichzeitig war die Mine ständig weiter beobachtet worden. In der ganzen Zeit lag die „Vergulde Sonne“ in einer versteckten Nebenbucht eine halbe Meile nordwestlich von Punta Roca Partida.
Jan Ledebur hatte eine Skizze von Punta Roca Partida und der Umgebung angefertigt, er hatte die Zeiten der Wachablösungen notieren lassen, er hatte die Punkte markiert, wo sich die Posten tagsüber und bei Nacht aufhielten, er hatte feststellen lassen, wann der Lagerkommandant die Posten und die Mine kontrollierte – kurz, er hatte sich mit geradezu penetranter Gründlichkeit ein Bild über die spanische Goldmine verschafft.
Und jetzt war sein Warten sogar noch belohnt worden.
Der andere Mann, der neben ihm lag und den Vormittag über die Mine mit beobachtet hatte, war sein Unterführer Mordekai, ein Kerl, der gleich ihm ausgefuchst, aber auch geduldig war. Als Schnapphähne waren sie ein gutes Gespann.
Jan Ledebur schob sich das Kopftuch, das er zu tragen pflegte, etwas aus der Stirn und sagte grinsend: „Na, ist das nicht ein schöner Tag? Und wie gut, daß wir noch nicht zugepackt haben!“
Mordekai, ein Kerl mit zynischen Augen und einem harten Kinn, grinste zurück.
„Zwanzig Soldaten weniger!“ sagte er. „Bleiben noch sechzehn und der Kommandant. Ein feines Spielchen, wenn du mich fragst!“
„Nicht übermütig werden, mein Guter!“ Jan Ledebur drohte schelmisch mit dem Finger.
„Dennoch verdient der Galeonenkommandant einen Kuß!“
„Von dir, eh? Der wird sich bedanken.“ Sie grinsten sich wieder an. Dann wurde Jan Ledebur sachlich. „Was meinst du, warum er dem Kommandanten zwanzig von seinen behelmten Kürbishosen abgezwackt hat?“
Mordekai wiegte den Kopf. „Die Galeone war ziemlich abgetakelt, was vermuten läßt, daß sie von dem Hurrikan erwischt wurde. Das waren keine Gefechtsschäden. Könnte also sein, daß die Olivenfresser Ersatz für Leute brauchten, die ihnen im Sturm außenbords gegangen waren. Der Lagerkommandant war jedenfalls nicht sehr entzückt darüber, daß er zwanzig Kürbishosen abgeben mußte.“
„Wäre ich an seiner Stelle auch nicht“, sagte Jan Ledebur nachdenklich. „Sechzehn Soldaten, ein Sargento und ein Kommandant gegen einhundertachtzig Sklaven – mein lieber Mann! Wenn die wild werden, können wir unseren Coup hier vergessen.“
„Der Kommandant wird nicht so dämlich sein und ihnen auf die Nase binden, daß sie nur noch von sechzehn Kürbishosen bewacht werden“, sagte Mordekai.
„Das nicht“, erwiderte Jan Ledebur, „andererseits sind aber auch Gefangene nicht dämlich, die tagtäglich dieselben Visagen ihrer Bewacher sehen. Plötzlich fehlen genau zwanzig. Das merken die doch. Versetz dich mal in deren Lage. Wenn ich dort unten in dieser verdammten Mine arbeiten müßte, wäre mein ständiger Gedanke, wie ich ausbrechen könnte. Und ich würde lauern, wann sich mir die Chance bietet. Mein ganzes Denken wäre nur noch darauf ausgerichtet. Und da würde ich ziemlich schnell spitzkriegen, daß sich die Bewachung vermindert hat.“
„Hm.“ Mordekai nickte. „So gesehen, hast du recht. Dann sollten wir noch in dieser Nacht zuschlagen.“
„Nein, in der nächsten Nacht.“
„Warum das?“
Jan Ledebur zeigte wieder sein Grinsen. „In dieser Nacht ist die Situation noch neu für die restlichen Soldaten. Um so schärfer werden sie auch aufpassen. In der nächsten Nacht sollten sie sich an die veränderte Situation bereits gewöhnt haben. Wird schon nichts passieren, werden sie denken. Außerdem werden sie müde sein – weniger Posten bedeutet, daß sie häufiger aufziehen müssen. Bisher haben sie ihre Wachen recht gut aufteilen können, so daß immer eine Gruppe wachfrei hatte und sich auspennen konnte. Das hat sich jetzt radikal geändert. Ich bin also nicht für diese, sondern für die nächste Nacht.“
„Und warum nicht die übernächste oder überübernächste? Da sind die dann doch noch müder und lahmer.“
„Vergiß nicht die Galeone“, erwiderte Jan Ledebur. „Sie hatte ziemliche Sturmschäden. Wo werden die repariert? Ich schätze, in Vera Cruz, dem nächstgelegenen Stützpunkt der Olivenfresser, wo es auch eine Werft gibt. Die Galeone ist nach Nordwesten gesegelt – mit den zwanzig Soldaten, die hier abgezogen wurden. Ich glaube auch, daß sie bis Vera Cruz als Ersatz einspringen mußten. Das bedeutet aber, daß sie wieder hierher zurückkehren müssen, und zwar schleunigst, denn hier sind ja immerhin an die einhundertachtzig Sklaven zu bewachen. Es ist also damit zu rechnen, daß diese zwanzig Kürbishosen innerhalb der nächsten drei, vier Tage wieder in Marsch gesetzt werden. Und da müssen wir bereits verschwunden sein – obwohl ich den Plan hatte, länger zu bleiben!“
„Länger zu bleiben?“ fragte Mordekai verblüfft. „Wieso denn das?“
„Ich hatte die Absicht“, sagte Jan Ledebur mit der Sachlichkeit eines kühl rechnenden Pfeffersacks, „die Nigger und diese anderen Wilden eine Weile für uns das Gold abbauen und in Barren gießen zu lassen. Man muß eine Kuh melken, solange sie Milch gibt, verstehst du? Das bisher abgebaute Gold fällt uns sowieso zu. Aber in der Mine ist noch mehr.“ Der Ausdruck in seinem Gesicht wurde noch zynischer. „Was meinst du wohl, wie schnell und ertragreich wir melken können, wenn wir mal ein bißchen die Peitsche einsetzen oder drei, vier von diesen miesen Arbeitsläusen über die Klinge springen lassen, damit die anderen sehen, wo’s langgeht, wenn gefaulenzt wird? Dieser Stützpunktkommandant ist ein Vollidiot. Der hätte längst mehr herausholen können, wenn er härter wäre. Wir haben das doch lange genug beobachtet! Diese Burschen kriegen genug zu fressen und von einer Peitsche war nichts zu sehen. Die Kerle arbeiten im Trott, zwar bewacht, aber keiner reißt sich ein Bein aus. Bei mir wäre das anders!“
Mordekai hatte glitzernde Augen. Ihm war erst jetzt bewußt geworden, welche Reichtümer ihnen entgingen, wenn die Goldmine nicht restlos ausgebeutet wurde. Bildlich gesehen hatten sie die Türklinke zu einer Schatzkammer in der Hand, schlugen die Tür aber wieder zu, um sich mit der kleinen Vorkammer zu begnügen.
„Sind wir Idioten?“ sagte er aufgebracht.
Jan Ledebur warf ihm einen kühlen Blick zu. „Der Sperling in der Hand ist mir lieber als die Taube auf dem Dach, Mordekai. Außerdem gibt es immer noch die zweite Möglichkeit, nämlich die, daß wir hier abräumen, was es abzuräumen gibt, dann verschwinden, ein Weilchen abwarten, bis sich die Gemüter beruhigt haben, und nach diesem Weilchen noch einmal zuschlagen. Du mußt immer nach dem Prinzip vorgehen, andere für dich arbeiten zu lassen. Wir legen uns nach dem Coup wieder auf die Lauer, schauen zu, wie der Stapel der Goldbarren wächst, und wenn wir ihn für hoch genug halten, wird er von uns ein zweites Mal abgeholt, vielleicht sogar ein drittes Mal. Das wird sich aus der Situation ergeben. Aber vergiß dabei nie, daß nur Narren ein Risiko eingehen. Mein Plan, die Mine zu besetzen und die Kerle eine Weile für uns arbeiten zu lassen, birgt ein gewisses Risiko, aber natürlich auch die Gewißheit, mehr einsacken zu können. Jetzt jedoch hat sich unser Gesamtrisiko durch den Abzug der zwanzig Kürbishosen erheblich vermindert, und wir werden uns das holen, was bisher abgebaut wurde. Das muß uns genügen – in der Gewißheit, fast gar nichts aufs Spiel zu setzen. Es ist der Spatz in der Hand, aber wir alle haben dabei kaum etwas riskiert. Bei der Taube auf dem Dach jedoch könnte es uns passieren, daß wir ganz gehörig Federn lassen müssen. Ist das klar?“
„Verstehe.“ Mordekai nickte. „Dennoch schmerzt es, auf das noch nicht abgebaute Gold in der Mine verzichten zu müssen.“
„Vergiß es“, sagte Jan Ledebur, und es klang wiederum so, als spräche er nicht von Gold, sondern von roten Rüben oder einem fettarmen Käse, die auf dem Markt von Vlissingen oder Zwolle zwar angeboten wurden, aber für die Geldkatze der Ledeburs viel zu teuer waren.
Tatsächlich steckte eine solche Denkart sehr tief in Jan Ledebur drin, dessen Vorfahren im heimatlichen Holland – genauer gesagt in Vlissingen – den Gulden zehnmal umdrehten, bevor sie ihn ausgaben. Die Ledeburs zählten zu den Geizhälsen der Stadt. Zum Geiz hatte sich bei Jan Ledebur noch eine Portion Skrupellosigkeit samt berechnender Kühle hinzugesellt – Eigenschaften, die in dem brodelnden Kessel von Totschlägern, Galgenvögeln, Abenteurern und Glücksrittern des gesamten karibischen Raumes recht selten waren.
Jan Ledebur sagte fast etwas unwirsch: „Man muß sich mit dem begnügen, was sich einem anbietet.“ Und er wiederholte: „Anbietet! Das ist die Garantie dafür, daß man nicht riskiert, am Halse in die Länge gezogen zu werden, damit man sich totzappelt. Und ich habe auch keine Lust, milder ausgedrückt, mein weiteres Leben einäugig, einarmig oder einbeinig zu verbringen. Ich möchte in einem Stück und ein munteres Kerlchen bleiben, um die Früchte meiner Arbeit genießen zu können – und das sehr lange.“
Mordekai seufzte, starrte sehnsüchtig dorthin, wo die Goldbarren in einer vergitterten Felsgrotte aufgestapelt waren, und sagte: „Du hast recht, Jan. Mit dem Kopf am Hals und auf den Schultern lebt sich’s länger, vor allem, wenn man’s versteht, sich die Goldbarren einzuteilen.“
„So ist es“, sagte Jan Ledebur. „Und wenn wir genug eingesackt haben, verschwinden wir hier und setzen uns in Holland zur Ruhe.“
„Und lassen die Puppen tanzen!“ sagte Mordekai. In seinen Augen glitzerte es wieder.
„Dummkopf“, sagte Jan Ledebur unwirsch. „Du hast eben doch selbst erklärt, daß man sich die Goldbarren einteilen müsse. Das werden wir auch tun. Aber wir werden auf Gewinn bedacht sein. Wir werden als seriöse Kaufleute arbeiten, mal hier, mal dort, unauffällig natürlich, nie darf jemand erfahren, daß wir auf einem Goldschatz sitzen. Nur so vermehrt sich das Geld. Aber darüber werden wir uns später noch unterhalten. Es bleibt dabei, wir greifen nicht in dieser, sondern in der nächsten Nacht an. Ich verschwinde jetzt und arbeite den genauen Plan dafür aus. Beobachte weiter und versuche festzustellen, auf welche Punkte sie ihre Wachen verteilen. Ich lasse dich in zwei Stunden ablösen. Wir werden auch die Nacht über und morgen weiter beobachten, um die Schwerpunkte der Bewachung zu erfahren. Und morgen nacht schlagen wir dann zu.“
„Alles klar“, sagte Mordekai und nickte seinem Häuptling zu.
Jan Ledebur kroch auf dem Bauch zurück, stand in der Deckung der Felsen auf und verschwand lautlos.