Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 523 - Davis J. Harbord, Fred McMason - Страница 6
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ОглавлениеVon guter Laune an Bord der „Santa Barbara“ zu sprechen, wäre stark geprahlt gewesen.
Philip Hasard Killigrew ärgerte sich über den verdammten Kompaß, den er erheblicher Mißweisungen verdächtigte. Und das Kartenmaterial an Bord dieser ehemals spanischen Galeone entsprach auch nicht den Idealvorstellungen eines verantwortlichen Lotsen, der sein Schiff sicher ans Ziel bringen möchte.
Dan O’Flynn, zuständig für die Navigation, bezeichnete die paar Seekarten schlicht als „Sauerei“, dies um so mehr, weil sie sich in einem ruinösen Zustand befanden.
Vermutlich waren sie von dem früheren Lotsen oder dem Kapitän zweckentfremdet worden – zum Beispiel als Tischdecke. Zu den zahlreichen Fettflecken gesellten sich rötliche Kringel, die darauf hindeuteten, daß die Señores dem Rotwein gehuldigt hatten. Der Durchmesser dieser Kringel entsprach dem Fuß eines Rotweinglases.
Da war ferner auf der jetzt maßgeblichen Karte die Inselgruppe der Karolinen. Nur hatte man sie ertränkt. Dan tippte auf Suppe, die über den Inseln ausgelaufen war. Die Insel Ponape war noch sichtbar, aber deren Standort brauchten sie nicht mehr, weil sie bereits hinter ihnen im Osten lag.
Mit den Palau-Inseln weiter im Westen zwischen dem 130. und 140. Längengrad war das auch so ein Kreuz. Dort prangte nämlich ein Loch, genauer gesagt, ein Brandloch, was darauf schließen ließ, daß Lotse oder Kapitän oder beide dem Genuß des Tabakrauchens gefrönt hatten.
Dieser Verdacht bestätigte sich, als Dan in einem der Schapps Tonpfeifen und Tabak entdeckte. Da mußten also bei der Arbeit an der Karte glühende Tabakteilchen auf die Palau-Inseln gefallen sein und hatten sie gewissermaßen ausgebrannt.
Einziger Lichtpunkt auf dieser trostlosen Karte waren die Philippinen am westlichen Kartenrand zwischen 116 und 127 Grad östlicher Länge. Sie waren erhalten geblieben und keinem Brand, keiner Suppe, keinem Fettfleck oder Rotwein zum Opfer gefallen.
Den Kutscher und Mac Pellew plagten andere Sorgen, die mit einer rapiden Abnahme des Trinkwassers zusammenhingen. Allerdings konnten sie etwas aufatmen, als die „Santa Barbara“ jetzt, Anfang August des Jahres 1596, den 140. Längengrad hinter sich ließ und in ein Gebiet geriet, über das der Himmel seine Schleusen öffnete.
Bei Old O’Flynn hatte eh seit mehr als dreizehn Stunden das Holzbein gezwackt und damit verkündet, daß was im Anmarsch sei.
„Ein kleiner Taifun oder so“, hatte er gesagt.
Natürlich – die Verniedlichung und das „oder so“ hatten dann wieder den Profos auf die Palme gebracht, der stets prompt reagierte, wenn der alte Zausel großklotzige Sprüche klopfte und so tat, als seien Stürme von Orkanstärke für ihn nichts weiter als laue Frühlingswinde.
Sie hatten sich beide angestänkert und allerlei Freundlichkeiten gesagt, aber es war nicht zu verkennen gewesen, daß sie dabei so richtig bissig wurden. Klar, Old Donegal war gereizt, weil ihn die Schmerzen im Beinstumpf plagten. Und der Profos hatte schlechte Laune, weil sie seit Verlassen von Ponape den Wind gegenan hatten und nach Westen aufkreuzen mußten.
Sie hatten alle das Gefühl, nicht vom Fleck zu kommen. Dazu trug bei, daß sie an manchen Tagen bekalmt wurden.
Die beiden Streithammel hatte Hasard ziemlich hart anfahren müssen, um sie zur Räson zu bringen.
Aber was Old Donegal mit „oder so“ gemeint hatte, traf nun ein, nämlich ein wolkenbruchartiger Regen. Es schüttete in Kübeln vom Himmel, und die Arwenacks flitzten nur so, um Fässer an Deck aufzustellen und den Regen über ausgespreiztes Segeltuch in die Fässer zu leiten.
Anschließend fand eine Badeorgie statt – mit gleichzeitiger Wäsche der schmutzigen Plünnen. Das war alles möglich, weil es so herrlich goß, aber gleichzeitig flappten die Segel, weil der Wind mal wieder geruhte, eine Schlaf pause einzulegen.
Da sich die riesigen Seegebiete östlich der Philippinen in den Sommermonaten „bis zur Weißglut“ aufheizen, waren die Regenmassen jetzt zwar eine herrliche und willkommene Erfrischung, dafür aber dampfte die „Santa Barbara“ wie ein überkochender Wasserkessel, als der Regen nach etwa drei Stunden abrupt aufhörte.
Der Wind schlief weiter.
„Schöne Scheiße“, lautete der Kommentar Edwin Carberrys.
Es war nicht genau zu ergründen, was er damit meinte. Er wrang gerade ein Hemd aus, das er zu einer Riesennudel zusammendrillte – und da ratschte es. Zweifellos war der Stoff mürbe – oder der Profos hatte mit seiner urigen Kraft des Guten zuviel getan.
Als er die Riesennudel von Hemd ausschüttelte, war das Ergebnis zu sehen: der rechte Hemdsärmel hing nur noch an ein paar Fäden, und übers Kreuz zog sich von der rechten Schulter zur linken Hüfte ein prachtvoller Riß.
Noch während der Profos dieses Ergebnis seines Auswringens stirnrunzelnd betrachtete, begann Mac Pellew, dieser Sauertopf, den Ziegenbock zu spielen.
Er meckerte. Er meckerte so richtig aus Herzenslust und Schadenfreude.
„Hä-hä-hä!“ schallte es über die Kuhl. „Hö-hö-hö! Da sieht man’s mal wieder! Kann vor Kraft kaum laufen, dieser Profos, aber daß man zum Auswringen von Hemden auch Köpfchen braucht, ist bei ihm nicht drin. Der muß erst alles zerreißen, dieser Wüterich, bis auch sein letztes Hemd nur noch zum Putzlappen taugt. Hä-hä! Die mieseste Waschfrau von Plymouth kann’s besser, aber die hat ja auch Grips im Kopf – und Gefühl in den Händen!“
„Ach ja?“ Carberry hatte den tückischen Blick drauf. „Erzähl mir noch mehr über die Waschfrauen von Plymouth, die Grips im Kopf und Gefühl in den Händen haben. Haben sie dich mal gekitzelt, diese Waschfrauen?“
„Gekitzelt? Wieso?“
„Weil du von Gefühl in den Händen sprichst, mein guter Mac. Denn davon müssen sie wirklich eine Menge haben, um bei dir herumzugrabbeln, damit du das lustig findest. Ich meine, die müssen dich schon mächtig unter den Fußsohlen kitzeln, damit bei dir der Nieselregen aufhört. Und was flötest du dann? Du flötest: Huch – nein! Was seid ihr heute stürmisch, aber euer lieber Mac mag’s gern noch stürmischer! Und nicht nur an den Fußsohlen! Und darum müssen die Waschfrauen mit Grips im Kopf und Gefühl in den Händen soviel Zeit aufbringen – und wenn sie das tun, dann fängst du erst zwei Tage später an zu kichern. Aber da sind auch den Waschfrauen die Gefühle längst vergangen.“
„Bei mir noch nie!“ empörte sich Mac Pellew. „Noch nie! Das kann ich beschwören!“
„Aha!“ Der Profos nickte zufrieden. „Daraus ist zu schließen, wo du dich rumtreibst, wenn du in Plymouth an Land schießt! Du raubst ehrbaren Waschfrauen die Unschuld! Das ist es! Schämen solltest du dich!“ Und der Profos hob die Stimme: „Ein Waschfrauenverführer bist du! Jetzt wissen wir es! Du – du Waschfrauentröster! Du Waschschürzenjäger, du lotteriger!“
Es war mal wieder hanebüchen, wie der Profos die Dinge auf den Kopf stellte und vom Thema ablenkte. Außerdem hatte er die Lacher auf seiner Seite – dies um so mehr, weil Mac Pellew den Fehler beging, auf den Unsinn einzugehen.
Erbost schrie er: „Du bist ja nur neidisch, weil du bei den Waschfrauen nicht landen kannst! Die laufen ja schon weg, wenn sie dich nur von weitem sehen!“
Der Profos winkte erhaben ab und entgegnete unverfroren: „Ich pflege keinen Umgang mit Waschfrauen, mein Guter. Ich verkehre in besseren Kreisen, wie sich das für einen Profos ziemt. Waschfrauen sind mir zu vulgär. Bei dir ist das etwas anderes, du paßt zu ihnen. Gleich und gleich gesellt sich gern, nicht wahr?“
Mac Pellew war außer sich und mußte nach Luft schnappen. Als er sie wieder hatte, schrie er: „Jedenfalls sind sie sauberer als deine Schlampen!“
Der Profos rümpfte die Nase. „Sauberer? Sie stinken nach Schmierseife, das ist alles. Außerdem sind sie so dick wie ihre Waschzuber und sehen selbst so aus, als würden sie den ganzen Tag gekocht. Nein, nein, für einen Mann von Welt, wie ich einer bin, ist das nichts. Ich habe eben gehobene Ansprüche und liebe eine gepflegte Unterhaltung, die natürlich weit über dem Niveau eines Waschbottichs liegt. Kannst du mir noch folgen, mein lieber Mac?“
Mac stieß ein hysterisches Gelächter aus.
„Mann von Welt!“ stammelte er. „Gehobene Ansprüche! Gepflegte Unterhaltung! So gepflegt wie die ordinären Sprüche, die du deiner Plärrkrähe beibringst, hä?“
Wo war denn das Vieh? Mac spähte zum Rigg hoch. Richtig, Sir John trippelte längs der Großrah, plusterte sich auf, fühlte sich angesprochen und krakeelte: „Hosianna-hallerhollerluja!“
Der Profos nickte fromm, blickte bieder drein und kommentierte: „Von wegen ordinäre Sprüche! Bei mir doch nicht! Bei mir lernt Sir Jöhnchen nur Worte der Erbauung, Andacht und Demut, die dem Seelenheil förderlich sind.“
„Gloria-Kruzifix-Marsbrassenkabelgatt!“ plärrte Sir John. Es klang wie das Geknatter von Pistolenschüssen.
Mac Pellew war restlos geschafft. Er gurgelte etwas Unverständliches, warf sich herum und verschwand in der Kombüse. Mit einem fürchterlichen Krach donnerte er das Schott hinter sich zu.
Bei dem Donnerschlag flatterte Sir John erschreckt auf, erboste sich, vergaß die „Worte der Erbauung, Andacht, und Demut“, und schrie: „Saufsack-verdammter-hol’s-der-Teufel-fier-weg-die-Scheiße!“
Aber das hörte Mac Pellew nicht mehr. Und er sah auch nicht, daß der Profos bis zu den Ohrläppchen grinste.
Indessen sagte der Kutscher so ein bißchen tiefsinnig: „Jaja, bei einem mit Gewalt zerrissenen Hemd hat’s angefangen, und geendet hat’s bei ‚fier-weg-die-Scheiße‘, ganz abgesehen von verschiedenen Exkursionen über die Waschfrauen im allgemeinen und besonderen, die laut Aussage eines gewissen Mister Carberry einerseits ehrbar und unschuldig, andererseits jedoch vulgär und für gepflegte Unterhaltungen ungeeignet sein sollen. Wie das unter einen Hut paßt, weiß wohl nur ein Märchenerzähler, der aber natürlich ein Mann von Welt sein muß, einer, der in den besseren Kreisen verkehrt und gehobenere Ansprüche hat.“ Und der Kutscher lächelte freundlich.
„Kutscher“, sagte der Profos mit leisem Grollen in der Stimme, „Kutscher, halt dich da ja raus und bleibe verdammt noch mal sachlich. Diese Essiggurke von Mister Pellew hat die Behauptung aufgestellt, zum Auswringen von Hemden brauche man Köpfchen und Gefühl – wie die mieseste Waschfrau. Ich hingegen behaupte, daß auch die beste Waschfrau dieses Hemd beim Auswringen zum Putzlumpen verarbeitet hätte. Es ist nämlich mürbe – bitte sehr!“ Und der Profos nahm einen Hemdzipfel zwischen Daumen und Zeigefinger beider Hände, hob ihn hoch und bewegte die Hände entgegengesetzt.
Ratsch!
„Leinen!“ sagte der Profos. „Gutes englisches Leinen, aber wohl nicht so gut wie das deutsche. Gleichviel, es ist mein ältestes Hemd, gut sechs Jahre alt und hunderte Male gewaschen und ausgewrungen, gebleicht und getrocknet im Seewind, in der Sonne, versalzen, was weiß ich! Wir werden ja auch älter, nicht wahr? Und eines Tages sind wir nicht mehr zu gebrauchen – oder so morsch wie dieses verdammte Hemd. Wenn dann dieser Griesgram daherkommt und mich dumm anlabert, da habe ich wohl das Recht, ihm passend zu antworten. Ist das klar, Kutscher?“
Der Kutscher hatte mit Erstaunen zugehört. Schau einer an, dachte er, dieser Poltermann von Profos stellt Vergleiche an, die fast philosophisch zu nennen sind. Außerdem stimmen sie. Ob Mensch oder Materie, alles ist vergänglich.
So sagte er: „Entschuldige, Ed, schon klar, was du meinst. Es war verkehrt von Mac, dich auf diese Weise anzugehen.“
„Na also“, brummte der Profos. „Bleibt nur festzustellen, daß ich das Hemd umsonst gewaschen habe. Braucht ihr einen Lappen in der Kombüse?“
Statt des Kutschers antwortete Mac Pellew – er hatte wohl am Schott gelauscht. Wie ein Kastenteufel fuhr er aus der Kombüse und schrie: „Schmierige Profos-Lappen haben in meiner Kombüse nichts zu suchen …“
Er wollte noch mehr herausposaunen, aber da hatte Carberry längst reagiert. Sein noch feuchtes Hemd flog zielgenau in Macs griesgrämiges Gesicht und blieb dort hängen, wobei sich die Ärmel um seinen mageren Hals schlangen. Unterm Hemd schimpfte Mac zwar weiter, aber das war nur als Blubbern zu hören. Das Hemd war so um Macs Kopf drapiert, daß er wie ein Butzemann aussah.
Die Wirkung war entsprechend, und Lachsalven dröhnten über das immer noch dampfende Deck der „Santa Barbara“. Sie steigerten sich, als Mac wild – und blind – zu fuchteln begann, um seinen Kopf von dem Hemd zu befreien. Prompt rammte er den rechten Ellbogen gegen die Schottkante. Der sehr heftige Stoß traf jene Stelle, die mit Mäuschen oder Musikantenknochen bezeichnet wird.
Da hatte der gute Mac Grund zum Jubilieren. Das heißt, er jaulte den Himmel an, was wiederum Sir Jöhnchen verstörte und ihn veranlaßte, in den Spektakel voll einzusteigen. Vom lieblichen Nachtigallengesang war Carberrys Liebling weit entfernt. Seine Stimme war schrill, zeternd und das reinste Höllengelächter.
Arwenack erregte sich an dem hüpfenden Butzemann und führte seinerseits auf der Kuhl einen Affentanz auf, wobei er schnalzende und keckernde Laute ausstieß und seinen Bauch betrommelte. Und auch Plymmie hielt sich nicht zurück und ließ ihr „Wuff-wuff“ hören.
Zirkus Killigrew!
Zum Glück war die See einsam. In der Flaute konnte eh keine Begegnung mit einem anderen Schiff stattfinden. Aber hätte jetzt ein anderes Schiff die „Santa Barbara“ passiert, dann wäre aus der Begegnung schleunigst Flucht geworden. Schließlich will man mit Verrückten nichts zu tun haben, weder an Land noch auf einem Schiff, da erst recht nicht, weil dann auch das Schiff verrückt sein muß.
„Mein Gott!“ stöhnte Philip Hasard Killigrew und hielt sich die Ohren zu.
Carberry sah es und fand wie sein Kapitän, daß der Krach nicht mehr zum Aushalten war.
Und so donnerte er: „Ruhe an Bord, verdammt noch mal! Sir John, halt deine Kotterschnauze, oder ich polier dir den Affenarsch …“
Mac schrie dazwischen – jetzt hatte er sich befreit. Das Hemd war nun endlich total in Fetzen, nur die Ärmel hingen ihm noch um den Hals. Es sah aus, als habe er einen feuchten Umschlag wegen Mumps umgelegt.
„Papageien haben keinen Affenarsch!“ schrie er.
„Das ist mir völlig Wurscht!“ brüllte Carberry zurück. „Außerdem hast du eben mit Gewalt mein Hemd zerrissen …“
„Herrschaften, jetzt ist Schluß“, donnerte Philip. Hasard Killigrew und markierte ein wildes Gesicht, obwohl er Mühe hatte, ernst zu bleiben. „Mac, du hast Ed provoziert und warst dabei unsachlich – und du, Ed, brauchst gar nicht zu grinsen, du warst genauso unsachlich. Auffallend ist dabei, mit welchem Geschick ihr die Tatsachen auf den Kopf stellt, um dem anderen was am Zeug flicken zu können. Außerdem fällt auf, daß immer ihr beiden es seid, die sich in die Haare geraten. Jedenfalls seid ihr in der Crew die beiden Streithammel vom Dienst. Vertragt euch, oder ihr bekommt mit mir Krach. Ist das klar?“
„Aber Sir!“ ereiferte sich der Profos. Und er sah so fromm aus, als gelte es, jetzt einen Choral anzustimmen. „Du irrst dich ganz sicher, Sir. Mac und ich sind keine Streithammel vom Dienst, überhaupt nicht. Mac ist mein Freund, seit wir uns kennen. Nicht, Mac, stimmt doch?“
„So isses!“ bestätigte Mac und hatte auch ein Choralsängergesicht, allerdings mehr mit Tendenz zum Klagelied. „Seit langen Zeiten sind Ed und ich einander in unverbrüchlicher Freundschaft zugetan. Durch dick und dünn gehen wir, einer ist der Schild des anderen – und seien der Feinde noch so viele!“
„Jawohl“, sagte der Profos und war ganz gerührt, weil Mac so schön und so gesalbt gesprochen hatte.
„Mir kommen gleich die Tränen“, sagte Philip Hasard Killigrew. „Aber glaubt bloß nicht, mir was vorschwindeln zu können, ihr scheinheiligen Schlitzohren. Es bleibt dabei – beim nächsten Krach bin ich der Knüppel aus dem Sack, und ich schätze, da wird auch der Schild des anderen wenig Deckung geben.“
„Sir“, versicherte der Profos mit seiner bekannten Treuherzigkeit, „es gibt keinen Krach zwischen Mac und mir – es hat nie einen gegeben, ehrlich!“
„Und was war das eben, mein lieber Ed?“
„Eben? Oh, das war eine Unterhaltung, weißt du? Wir unterhalten uns viel, Mac und ich, weil das für uns beide so anregend ist. Nicht, Mac?“
Auch das bestätigte Mac, und er fügte hinzu: „Es ist nicht nur anregend, Sir, wir tauschen auch Erfahrungen aus, wie sich das für gute Freunde gehört.“
Hasard nickte. „Über Waschfrauen, nicht? Über Schlampen und Ladys aus den besseren Kreisen. Ich erinnere mich, daß du bei eurer Unterhaltung, die dem Erfahrungsaustausch galt, viel geschrien hast, Mac.“
„Ich?“ Mac Pellew wirkte etwas durcheinander. Hilfesuchend blickte er zu Carberry.
Klar, daß der seinem „Freund“ beisprang, wiederum mit einem ziemlich faulen Ei.
„Sir!“ dröhnte er. „Mein Freund Mac muß ab und zu bei unserer anregenden Unterhaltung etwas schreien, weil ich zeitweise Störungen beim Zuhören habe.“
Der Kutscher räusperte sich, hatte einen düsteren Blick drauf und sagte: „Typischer Fall von Verstopfung des meatus auditorius externus mit cerumen auris.“ Er nickte dazu und runzelte die Stirn.
„Was, wie?“ schnappte Carberry. „Was hast du gesagt, Himmel-Ar… Äh, Arche Noah! Mußt du immer so kariert daherreden?“
„Ich sprach“, sagte der Kutscher gemessen, „von einer Verstopfung des äußeren Gehörgangs mit Ohrenschmalz – cerumen auris –, welchselbiges vermutlich in reichlicher Anhäufung, verdickt und verklumpt vorhanden ist und zumeist zu Schwerhörigkeit, Ohrensausen, Kopfschmerzen und Schwindel führt. Klar, daß mit einem solchen Leiden behaftete Menschen sehr leicht von der Rah fallen, ganz abgesehen davon, daß sie bei temporärer Taubheit möglicherweise wichtige Befehle überhören.“ Der Kutscher blickte zu Hasard. „Ein sehr ernster Fall, Sir!“
„Das ist mir klar geworden“, sagte Hasard, grinste innerlich, weil er sehr genau wußte, daß der Kutscher den schlitzohrigen Profos nageln wollte, und hieb in die gleiche Kerbe: „Du denkst an einen operativen Eingriff zur Heilung dieses Leidens, nicht wahr?“
„So ist es, Sir. Ich kann es in meiner Eigenschaft als Feldscher hier an Bord nicht verantworten, wenn ein Mann der Crew mit einem Ohrenleiden dahinsiecht oder sich womöglich das Genick bricht …“
„Ich habe kein Ohrenleiden!“ brüllte der Profos, dem längst schwante, daß es ihm jetzt an den Kragen ging. Das fehlte noch, daß ihm dieser Knochenflicker im Ohr herumfummelte und nach angeblich vorhandenen Dingsbums-Schmalz pulte.
„Was brüllst du denn so, Mister Carberry?“ fragte der Kutscher freundlich. „Ich bin nicht schwerhörig.“ Er betonte das „Ich“. Und er fügte hinzu: „Du sagtest eben selbst, du habest zeitweise Störungen beim Zuhören. Hast du sie nun, oder hast du sie nicht?“
Damit schnappte die Falle zu, eine Falle, die der Profos selber aufgebaut hatte. Und nun zappelte er und schwitzte Blut und Wasser. Was sollte er jetzt antworten? Dem dusseligen Mac Pellew fiel auch nichts ein, der schielte auf seine Latschen, die er mit den Spitzen nach innen gestellt hatte. Der stand da, als habe er sich in die Hosen gemacht. Der Profos knurrte.
„Ja?“ fragte der Kutscher aufmerksam. „Wolltest du etwas sagen – oder hast du meine Frage nicht verstanden? Hm-hm, offenbar ist der Fall noch ernster, als ich dachte. Vermutlich sind beide Gehörgänge verklumpt.“ Er trat ein paar Schritte zurück und flüsterte: „Kannst du mich hören, Mister Carberry?“
„Ja.“ Das klang ziemlich gequetscht.
„Hm. Drehe mir mal das rechte Ohr zu. Welche Zahl nenne ich jetzt?“ Und er flüsterte: „Sechs!“
„Sechs!“
„Jetzt bitte das linke Ohr. Welche Zahl?“ Eine geflüsterte „Acht“ folgte.
„Acht!“ sagte der Profos wütend.
„Wenn es sich um temporäre Störungen handelt“, sagte der Kutscher, „dann hast du zur Zeit eine Phase des Scharfhörens, Mister Carberry. Trotzdem muß ich deine Gehörgänge untersuchen und eine Sonde einführen.“
„Sonde?“
„Richtig. Du hörst im Moment wirklich sehr gut. Ja, eine Sonde. Das ist ein dünnes, rundes und sehr langes Stäbchen aus Silber oder Fischbein, das den Arzt in die Lage versetzt, tiefere Wunden und Eitergänge sowie Kanäle und Höhlen des Körpers zu untersuchen. Es dient auch als Leitungsinstrument für Skalpelle, falls geschnitten werden muß.“
„Bei mir wird weder eingeführt noch geschnippelt“, entschied der Profos.
„Das wird sich nicht umgehen lassen“, entgegnete der Kutscher kühl. „Mac, hol die Sonde! Ich werde den Eingriff gleich hier an Deck vornehmen – wegen des besseren Lichtes, das mir in der Krankenkammer nicht gut genug ist. Könnte sonst passieren, daß ich mit der Sonde das Trommelfell durchstoße und bis ins Gehirn vordringe.“ Der Kutscher räusperte sich. „Das nennt man dann einen Kunstfehler, wie er immer mal passieren kann.“
Mac Pellew und der Profos wechselten stumme Blicke.
Na, wie war das jetzt? Wenn Mac losschlurfte, um die verdammte Sonde zu holen, die „bis ins Gehirn“ vordringen konnte, dann war’s Essig mit der „unverbrüchlichen Freundschaft durch dick und dünn.“
Mac straffte sich und sagte pampig: „Ich geh nicht! Hol doch selbst die Sonde, Mister Kutscher. Ich will nicht schuld sein, wenn dir bei meinem Freund Ed ein Kunstfehler passiert. Ich nicht! Wer bin ich denn? Außerdem ist das alles ein Scheiß! Jawohl, ein Scheiß! Ich“, Mac tippte sich auf die Brust, „ich habe nur geschrien, weil ich dachte, mein Freund Ed sei schwerhörig. Ich dachte das, aber beim Denken kann man sich ja mal irren oder so. Nicht? Und nun hab ich mich geirrt, was noch lange kein Grund ist, meinem Freund Ed ’ne Sonde ins Gehirn zu rammen.“
Da schritt der Profos mit ausgebreiteten Armen auf seinen lieben Freund Mac zu, quetschte ihn an seinen mächtigen Brustkasten und dröhnte: „Du bist mein Blutsbruder, Mackileinchen, du gehst durch dünn und weniger dick mit mir – und seien der Feinde unzählige, wir treten sie in den Boden wie unzüchtiges Gewürm!“
„Geschmeiß!“ gurgelte Mac an der breiten Brust des Profos.
„Natterngezücht!“ tönte der Profos und strahlte wie die Posaune von Jericho, blankgeputzt, versteht sich.
In die Stille nach dem Lachsturm klang Hasards Stimme. Er sagte: „Fürwahr, meine Bemerkung über unsere beiden Streithammel vom Dienst muß ich wohl revidieren, dafür erlaube ich mir, hiermit festzustellen, daß sich die beiden größten Lügenbolde in unserer Crew gesucht und gefunden haben. Und es ist als ein Wunder zu bezeichnen, daß das Kielschwein vor Empörung noch nicht gehustet hat. Bleibt nur festzustellen, ob sich die Decksbalken gebogen haben, wie das ja passiert, wenn Lügendrescher am Werk sind und uns erzählen, daß Kühe Eier legen und Hühner Milch geben können!“
„Das, Sir, würde ich nie zu behaupten wagen“, versicherte der Profos mit treuherziger Miene. „Das wäre wirklich ein dicker Hund.“
„Richtig, ein so dicker Hund wie deine Schwerhörigkeit, mein lieber Ed“, sagte Hasard.
Da hielt der Profos doch lieber das Maul.