Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 287 - Davis J. Harbord, Fred McMason - Страница 5

2.

Оглавление

Spionage und Gegenspionage, Aktion und Konteraktion werden von Kennern dieses Metiers, das sich zumeist im Dunkel abwickelt, das Spiel der Füchse genannt. Um bei diesem Bild zu bleiben: Das Spiel wird stets von den ganz großen, den mittleren und den kleinen Füchsen betrieben. Es kann bei der typischen Undurchsichtigkeit des Spiels durchaus passieren, daß die Füchse die Seite wechseln, auf beiden Schultern tragen – also eine Doppelrolle übernehmen, wie es Lucio do Velho für Easton Terry vorgesehen hatte –, oder daß ganz einfach die kleinen Füchse ein eigenes Süppchen zu kochen beginnen.

Ein Füchslein dieses letzteren Typs war Albert, der auch ganz schlicht nur der „Bucklige von Quimper“ genannt wurde, zumal niemand seinen vollen Namen kannte und auch der Vorname Albert vielleicht nur eine Tarnbezeichnung war.

Dieser Albert war ein ziemlich schräger Vogel – hager, häßlich, einen wirren, schwarzen Haarfilz auf dem Kopf. Wer ihn beschreiben sollte, hätte als sein typischstes Merkmal zuerst den Buckel genannt, ohne zu ahnen, daß dieser Buckel nicht echt war. Das war erst zu merken, wenn das Ding mal verrutschte, und das tat es garantiert, wenn Albert aus Versehen oder durch eigenes Pech in eine. Keilerei geriet, in der er durchgebeutelt wurde.

Die Idee zu diesem guten Stück beruhte auf Alberts genialem Einfall, ein bißchen auf das Mitleid zu spekulieren, wobei er sich – psychologisch durchaus richtig – sagte, die Leute würden einen Buckligen nicht antasten und zufrieden lassen.

Diesen Effekt steigerte er noch dadurch, daß er den Trottel spielte, den Blödian, eine Rolle, die jeder intelligente Mensch übernehmen kann, wenn er ein bißchen lallt, das Gesicht hängen läßt und den Augen einen stieren Ausdruck verleiht.

Mit dem Buckeldings hatte Albert schon allerhand Ärger gehabt. Die Konstruktion bestand aus einem den Schultern angepaßten Stück Holz – als Hökker zurechtgeschnitzt –, das mittels Lederriemen auf dem Kreuz festgeschnallt werden konnte. Getarnt wurde der Buckel von einem langen schwarzen Umhang, der natürlich das Groteske von Alberts äußerer Erscheinung noch verstärkte. Auf empfindsame Menschen wirkte Albert unheimlich, für die lieben Kleinen war er der Kinderschreck, rohen Gemütern hingegen diente er als Objekt ihrer Spottlust, wobei ihm auch passieren konnte, einen Tritt in den Hintern zu empfangen.

Solche Scherze erlaubten sich die Saufbolde und Grobiane, die jene Kneipe in Quimper aufsuchten, in der Albert einer Tätigkeit, nachging – sofern er nicht als Füchslein dunkle Wege beschritt –, die überall in der Welt den Dümmsten der Dummen vorbehalten bleibt. Das heißt, Albert rangierte auf der untersten Stufe des dienenden Personals und erledigte jene Arbeiten, für die andere zu faul, zu erhaben oder zu vornehm waren. Er fegte die Kneipe aus, scheuerte die Schanktische, spülte Gläser, entleerte die Nachttöpfe – der Kneipe war ein Etablissement für Liebesdienste angeschlossen –, bediente die Gäste, hackte Holz, versorgte die Ölfunzeln, kurz, er war das sogenannte Mädchen für alles.

Diese Kneipendienste waren die sichtbare Seite im Dasein des Monsieur Albert. Im Dunkel und unsichtbar jedoch blieb die Tätigkeit, die der „Bucklige“ als kleiner Fuchs ausübte. Schlicht gesagt war er der Verbindungsmann zwischen Lucio do Velhos spanischer Agentengruppe und den französischen Piraten unter Yves Grammont. Er war die Kontaktperson zwischen beiden Gruppen. Natürlich empfing er für diese Tätigkeit klingende Münze.

Das hatte bisher alles bestens geklappt – auch an diesem Tage, als er Yves Grammont mit ein paar von seinen Kerlen sowie deren Gefangenen Easton Terry zu dem Kellergewölbe der Burgruine in der Nähe von Quimper geführt hatte, wo sie von Lucio do Velho und seinen vier Begleitern erwartet worden waren.

Er hatte den „Treff“ hergestellt und war wieder in die Kneipe in Quimper zurückgekehrt.

Von da ab allerdings war alles schiefgelaufen. Eine Gruppe von Engländern in Begleitung Le Testus und des furchtbaren Korsen war am Abend in die Kneipe eingedrungen und hatte dort einen handfesten Tanz entfesselt. Und sehr schnell hatte sich herausgestellt, daß er, der „Bucklige“ von Quimper, das Ziel dieses rabiaten Besuchs gewesen war.

Sie hatten ihn in die Mangel genommen – oben, im Etablissement der Kneipe. Viel hatte nicht gefehlt, und sie hätten ihn mit seinem hölzernen Buckel verprügelt. Denn dieses Mal war ihm das bucklige Kunstwerk nicht nur verschoben worden, sondern es hatte sich bei der Beutelei von seinem Rücken gelöst, und da war es aus gewesen mit seiner Rolle als verwachsener Irrer.

Dieser schreckliche Korse – Montbars hieß er – hätte ihm fast den Hals umgedreht. Unter dem Druck dieser rauhen Behandlung hatte Albert alles gestanden und den Kerlen verraten, wo Yves Grammont, der englische Gefangene und die Spanier zu finden wären, nämlich in dem Kellergewölbe der Burgruine.

Albert war überzeugt, daß ihm dieser Verrat das Leben gerettet hatte. Die Engländer waren sofort aus der Kneipe verschwunden, als sie erfahren hatten, was sie wissen wollten.

Das Durcheinander, das sie zurückließen, war total. Der Wirt tobte, die Weiber kreischten, und die Liebhaber verlangten ihr Geld zurück. Die Kerle, die in der Kneipe gesessen und dort von den Engländern blutige Nasen und blaue Augen empfangen hatten, waren ebenfalls sauer und kündigten dem Wirt an, seinen Bums demnächst durch Nichtbesuch zu sabotieren. Schließlich gäbe es in Quimper ja auch andere Schenken, wo man nicht gleich zusammengedroschen würde.

Alles in allem wurde der Zorn von Liebhabern und Gästen auf den Wirt abgeladen, und der gab ihn an Albert weiter. Denn mit Recht hatte er den Buckligen als die Wurzel des Übels erkannt.

Albert wurde achtkantig gefeuert.

Er hatte sich oben im Obergeschoß kaum sein Holzdings wieder umgeschnallt und wankte noch ganz benebelt von der rauhen Behandlung die Treppe zum Schankraum hinunter, da geriet er vom Regen in die Traufe, weil ihn der erboste Wirt abfing.

„Du lausiger Mistkerl!“ wurde Albert angebrüllt. „Sieh dir an, was hier passiert ist! Ich bin ruiniert! Und warum das alles? Weil diese Kerle hinter dir her waren …“

„Aber ich bin unschuldig!“ jammerte Albert. „Ich kenne diese Kerle überhaupt nicht! Ich schwöre es. Noch nie hab’ ich die gesehen.“

„Aber sie kannten dich!“ brüllte der Wirt. „Sie haben ja nach dir gefragt! Da erbarmt man sich einer Mißgeburt wie dir und hat nichts als Scherereien. Was geht hier überhaupt vor? Was wollten die von dir, he? Hast du ihnen was geklaut, du verdammter Galgenstrick?“ Die Rechte des Wirts zuckte vor und krallte sich in Alberts schwarzen Umhang. „Kannst du mir mal verraten, wo du dich immer rumtreibst, wenn du dich von hier verdrückt hast? Heraus mit der Sprache!“ Und Albert wurde ein zweites Mal gebeutelt und durchgerüttelt, daß er um seinen Buckel bangen mußte.

„Ich bin unschuldig!“ zeterte Albert. „Gott ist mein Zeuge …“

„Der Teufel ist dein Zeuge!“ schrie der Wirt außer sich. „Ich will wissen, was hier gespielt wird, verdammt noch mal! Warum waren diese englischen Hundesöhne hinter dir her?“

Albert steckte mal wieder arg in der Klemme. In seinen Nöten verfiel er auf seinen alten billigen Trick, den Blödian zu markieren. In diesem Fall begann er, etwas irre zu kichern, kuhäugig dreinzuschauen und zu lallen.

Er lallte: „Oh-oh-oh! Da tauchen wieder die Nebel auf, in denen sich die Gespenster verbergen, die mit feuchten Fingern nach uns greifen und …“

Bei dem Wirt verfing das nicht mehr. Er unterbrach Alberts Gefasel über die Nebelgespenster mit einer schallenden Ohrfeige und schmetterte auch gleich noch eine Rückhand hinterher. Da er den Umhang losgelassen hatte, kreiselte Albert zur Tür.

Der Wirt benutzte die Gelegenheit und verpaßte Albert einen mächtigen Fußtritt in den Allerwertesten. Albert schoß durch die Tür nach draußen wie eine Rakete. Sein Glück war, daß sie offengestanden hatte. Die Tür war bei der Keilerei zuvor demoliert worden und hing nach draußen schief in den Angeln.

Albert sauste bäuchlings über die Katzenköpfe und schloß mit ihnen unliebsame Bekanntschaft. Den Abschluß seiner Reise bildete eine Kiste, in die er hineinkrachte. Sein Buckel verhinderte, daß er auch noch die Rückseite durchbrach. Als er seinen Kopf befreit und sich aufgerappelt hatte, stand der Wirt in der Tür.

„Laß dich hier nie wieder blicken, du Mißgeburt!“ brüllte er. „Hau ab! Verschwinde, du Strolch!“

„Aber Sie haben mir meinen Lohn für die letzte Woche noch nicht gezahlt!“ rief Albert wütend. „Das ist Betrug! Ausbeutung ist das!“

„Komm her, dann zahle ich dir deinen Lohn, du Ratte!“ schrie der Wirt und schwenkte eine Peitsche. „Hiermit zahl ich dich aus, doppelt und dreifach!“

Albert fluchte und beschimpfte den Wirt als Halsabschneider, Weinpanscher und Zuhälter, der seine „Pferdchen“ versklave und für einen Hungerlohn an die Liebhaber verschachere. Es war, als kläffe ein kleiner Köter gegen eine riesige Dogge an. Und als sich der Wirt in Marsch setzte, um dem Kläffer das Maul zu stopfen, zog es Albert vor, die Flucht zu ergreifen. Mit seinem wehenden schwarzen Umhang entschwand er in einer der Nebengassen.

Damit fand die eine unrühmliche Tätigkeit Alberts ihren ebenso unrühmlichen Abschluß. Aber das Füchslein hatte ja zwei Eisen im Feuer und verzichtete auch gern auf die Dreckarbeit in der Kneipe und den Liebesnestern im Obergeschoß. Das rege Gehirn des kleinen Füchsleins hatte bereits eine Idee entwikkelt, wie aus dem Spiel der großen Füchse Gewinn zu schlagen sei.

Ganz richtig hatte sich Albert gesagt, daß seine Mittlerrolle zwischen der französischen und der spanischen Seite ein Ende finden mußte, sobald der einen oder anderen Seite bekannt wurde, daß er einen ihrer Treffs verraten hatte. Verräter fanden stets ein sehr schnelles Ende, und davor schauderte es ihm, zumal es ihm nicht an der nötigen Phantasie mangelte, wie dieses plötzliche Ende dann aussehen würde. Er stellte sich dieses Ende als eine Sache vor, die der Meuchler mit dem Messer erledigte. An die Variationen mochte er nicht denken. Der Stich ins Herz war wahrscheinlich noch vorzuziehen.

Albert schüttelte diese trüben Gedanken ab, die ihn bedrängten. Es galt, die neue Idee ernsthaft zu prüfen, bevor man sie in die Tat umsetzte.

So führte ihn sein Fluchtweg in eine Kneipe, die abseits in einer Hintergasse lag. Manchmal hatte er sie schon aufgesucht, um in einer stillen Ecke sein Garn zu spinnen. Man fragte dort nicht viel nach dem Woher und Wohin. Die kleinen Gauner verkehrten dort, auch die Hehler und jene „Geschäftsleute“, die es gewohnt waren, im trüben zu fischen.

Er fand sein stilles Eckchen und ließ sich dort mit einer Karaffe Wein nieder, die ihm helfen sollte, das Problem gründlich zu überdenken.

Er erhielt Besuch.

Nach einer knappen Viertelstunde tauchte plötzlich das „Engelchen“ in der Kneipe und an seinem kleinen Tisch auf und setzte sich schlicht, ohne viel zu fragen, ihm gegenüber auf den Hocker, ein verführerisches Lächeln auf den Kußlippen, den sehr schönen Busen keineswegs verbergend.

Lucille!

„Ich habe dich gesucht“, sagte sie und wischte sich aufatmend eine lange, blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich hab’ genau gehört, wie du es dem Hurenbock gegeben hast. Das hat mir gefallen.“ Sie klimperte mit den großen blauen Augen.

Der „Hurenbock“ war der Wirt, der Albert gefeuert hatte. Und Lucille war eines seiner „Pferdchen“ im Stall der Frauenzimmer, die sich dem ältesten Gewerbe der Welt widmeten.

Er stierte auf ihren Busen und von dort in ihr Gesicht, das hübsch engelhaft war, aber nichts destoweniger dem Kenner deutlich verriet, welchem Lebenswandel sie huldigte. Das Gewerbe hinterläßt eben doch seine Spuren.

„Was willst du?“ fragte er mißtrauisch. Mißtrauisch deswegen, weil er sich nicht denken konnte, daß sie darauf aus war, mit ihm das Bettchen zu teilen, vielleicht sogar ohne Bezahlung. Weil er nur in diese Richtung dachte, war er dann doch ziemlich verblüfft.

Sie sagte: „Ich hab die Schnauze voll! Ich mag nicht mehr, verstehst du? Und du hattest recht, als du dem alten Hurenbock vorwarfst, daß er uns verschachert. Er selbst benutzt uns auch und zahlt keinen Nickel dafür. Was meinst du wohl, wie der es mit uns treibt? Weißt du noch, wie ich vor einem Monat so erkältet war?“

„Ja“, sagte Albert etwas verstört.

„Und warum war ich so erkältet?“ Sie klimperte wieder mit ihren blauen Augen. „Weil er wollte, daß ich nackend um den Brunnen im Hinterhof bei Mondschein einen Reigen tanze! Bei der Kälte! Ich sollte eine Nymphe spielen. Weißt du, was ’ne Nymphe ist?“

„Die hat was mit Wasser zu tun“, sagte Albert noch verstörter und überlegte, ob er noch einmal die Flucht ergreifen sollt.

„Richtig.“ Ihre Zunge erschien im Kußmund und verschwand wieder. „Er wollte mit mir in dem Brunnen baden, dieser Molch.“

„Und habt ihr gebadet?“

„Ja.“ Sie wurde wütend. „Darum war ich ja so erkältet.“

„Aha.“ Albert peilte zur Tür. „Du hättest ja wegrennen können, nicht?“ Er wäre jetzt auch gern weggerannt.

„Er ließ mich ja nicht, dieser Wüstling. Im Brunnen schon gar nicht. Fast wäre ich ertrunken. Heute nachmittag sagte er, ich sollte nach Mitternacht für ihn wieder die Nymphe spielen. Ich könnte das so gut. Darum bin ich vorhin weggelaufen und hab dich gesucht. Ich spiel’ keine Nymphe mehr. Ich hab’ das satt – bis hierher!“ Sie zeigte Albert, bis wohin sie es satt hatte. Bis zum Hals war das. Es war ein sehr schöner Hals über einem sehr schönen Busen.

„Warum hast du mich gesucht?“ fragte er mit zusammengekniffenen Augen.

Sie zierte sich ein bißchen – oder tat so. Dann sagte sie: „Die Engländer hatten nach dir gefragt. Und dann hab ich gelauscht. Da hab ich gehört, was du ihnen erzählt hast. Du bist auch gar kein Krüppel.“ Sie kicherte. „Aber schlau bist du. Und weil ich auch nicht dumm bin, finde ich, daß wir uns zusammentun sollten. Ich weiß jetzt, daß du für Grammont, den bretonischen Seeräuber, arbeitest. Darum bist du auch manchmal in der Nacht heimlich verschwunden.“ Sie dämpfte ihre Stimme. „Ich will dir bei deinen Geschäften helfen. Bei manchen Sachen erreicht eine Frau mehr als ein Mann.“

Da war etwas Wahres dran. Albert nippte von seinem Wein und dachte nach. Eins stimmte: Lucille hatte mehr Verstand in ihrem hübschen Köpfchen als die anderen Huren, die für den verdammten Wirt arbeiteten. Eigentlich hätte sie sich längst einen Mann angeln und einwickeln können. Aber vielleicht wollte sie ungebunden sein.

„Hm“, murmelte er. „Du warst unten in der Kneipe, als die Engländer auftauchten. Weißt du, wie der Mann hieß, der sie führte?“

„Der schwarzhaarige Riese mit der Narbe im Gesicht und den eisblauen Augen?“

Albert nickte. „Ja, genau der.“

Sie reckte den Busen heraus. „Ich hab mich sogar auf seinen Schoß gesetzt. Natürlich weiß ich, wie er heißt. Sie nannten ihn Hasard, und der Franzose mit dem dünnen Oberlippenbärtchen redete ihn einmal mit ‚Monsieur Killigrew‘ an. Die anderen sagten auch ‚Sir‘ zu ihm.“ In ihre Augen trat ein eigenartiges Glitzern. „Ein sehr aufregender Mann ist das – und gefährlich, das merkt man sofort. Warum fragst du nach ihm?“

„Ich war mir nicht sicher, ob ich seinen Namen richtig verstanden hatte. Jetzt weiß ich, daß er stimmt: Philip Hasard Killigrew, von seiner Königin zum Ritter geschlagen und mit einem Kaperbrief ausgestattet. Ich war vor einigen Jahren in Südengland und habe über diesen Mann allerlei gehört. Man nennt ihn auch den Seewolf. Als Korsar soll er von den Spaniern sagenhafte Schätze erbeutet haben.“ Er trank wieder einen Schluck Wein.

„Sagenhafte Schätze erbeutet haben“, wiederholte Lucille andächtig. Ihre Augen glitzerten wieder, aber anders als zuvor. Ihr Busen hob und senkte sich, weil sie heftiger atmete. „Wo er die Schätze wohl hat?“

„Natürlich bei sich an Bord“, erwiderte Albert.

„Bist du sicher?“

„Völlig sicher. Würdest du einen Schatz irgendwo verstecken oder vergraben und dabei riskieren, daß ihn ein Fremder zufällig findet? Außerdem: wenn du ihn versteckst oder vergräbst, kann dir auch passieren, daß du dabei beobachtet wirst. Dann bist du den Schatz garantiert los. Nein, so dumm ist dieser Killigrew nicht. Der ist viel zu gerissen. Er hat ihn an Bord, weil er ihn dort am besten bewachen kann.“

„Und wenn sein Schiff untergeht?“

Albert runzelte die Stirn. „Wenn er mit untergeht, hat er sowieso nichts mehr davon.“

Der Einwand war richtig, aber Lucille blieb zäh beim Thema.

„Er braucht ja nicht mit unterzugehen“, sagte sie. „Und dann ärgert er sich, daß sein Schatz futsch ist.“

Albert starrte sie an und sagte wütend: „Was würdest du denn an seiner Stelle mit dem Schatz tun?“

„Einen Teil würde ich bestimmt als Reserve irgendwo an Land verstekken. Dann hätte ich immer noch was, wenn mein Schiff mit dem anderen Teil des Schatzes untergeht.“

„Na schön, aber an Bord hat er bestimmt was, da freß ich meinen Bukkel.“ Er grinste schief.

Sie beugte sich vor und gestattete ihm einen recht ergiebigen Blick in den tiefen Ausschnitt ihrer Bluse.

„Albert“, sagte sie leise, „du planst, ihm den Schatz abzunehmen, stimmt’s?“

Er zuckte etwas zusammen. Konnte dieses hübsche, verführerische Weib Gedanken lesen? Ja, genau das plante er. Das Füchslein wollte sein eigenes Süppchen kochen. Wenn die großen Füchse sich stritten, mußte für die kleinen etwas abfallen. Außerdem konnte er dann jederzeit behaupten, er habe den Engländern schaden wollen. Das würde auch seinen Verrat in einem anderen Licht erscheinen lassen. Natürlich würde er dann von seiner Beute an Grammont und Lucio do Velho etwas abführen müssen, um seine Loyalität unter Beweis zu stellen. Aber er würde schon dafür sorgen, daß sein Anteil nicht zu knapp ausfiel. Es war eben nicht mehr dagewesen – basta!

Und Lucille? Die würde auch kassieren wollen. Er starrte in das Tal zwischen den beiden Hügeln, und seine Gedanken flatterten wie Schmetterlinge durcheinander. Er versuchte sich vorzustellen, wie sie bei Mondschein nackend um den Brunnen tanzte, und konnte nicht verhindern, daß seine Ohren rot wurden. Überhaupt: Als „Buckliger“ in der Kneipe hatte er sich als Neutrum verhalten müssen, aber er war ein Mann, und es war ihm in dem sündigen Etablissement keineswegs leicht gefallen, die Rolle der Keuschheit zu spielen.

„Du siehst süß aus mit den roten Ohren“, sagte Lucille schelmisch und drohte mit dem Finger. „Hast du ein bißchen an Liebe gedacht?“

Das Weib konnte tatsächlich Gedanken lesen. Allerdings vergaß Albert dabei, daß Lucille aufgrund ihres Gewerbes über ein gerüttelt Maß an Erfahrungen verfügte, um das Mienenspiel ihrer Liebhaber richtig zu deuten. Außerdem war sie sich ihrer Wirkung auf Männer auch bewußt. Sie brauchte nur dies oder das etwas zur Geltung zu bringen, und schon wurde der Köder geschluckt.

Auch Albert hing bereits am Angelhaken. Daß er vorhin zusammengezuckt war, als sie seinen Plan angedeutet hatte, war ihr ebenfalls nicht entgangen. Jetzt war sie fester denn je entschlossen, an dem großen Fischzug teilzunehmen.

Gurrend sagte sie: „Zuerst habe ich wegen deines Buckels Mitleid mit dir gehabt. Aber als ich wußte, daß er falsch war, habe ich dich bewundert. Du bist schon ein ganzer Kerl, daß du so etwas auf dich genommen hast. Das imponiert mir. Du hast dich hänseln und verspotten lassen und keine Miene dabei verzogen. Das soll dir mal einer nachmachen! Ich glaube, wir passen beide gut zusammen – auch in der Liebe!“

Das häßliche Gesicht Alberts wurde rot wie eine Tomate.

„Danke“, sagte er verlegen und trank hastig von seinem Wein. Er konnte sich nicht erinnern, jemals bewundert worden zu sein – und dann noch von einer so verführerischen Frau, die zwar eine Hure war, aber einen echten Mann zu erkennen wußte. Er war eben ein echter Mann. Jemand, der in die Rolle eines Buckligen schlüpfte, war etwas ganz Besonderes und nicht Alltägliches, jawohl, Lucille hatte das bestätigt.

Er stand auf, holte vom Tresen noch einen Becher und schenkte ihr von seinem Wein ein. Sie tranken sich zu – auf den Schatz, den sie sich aneignen wollten, auf die Liebe, die sie ihm versprochen hatte, auf die Zukunft, die sie meinten, rosig vor sich liegen zu sehen. Das Problem war nur, wie man sich des Schatzes bemächtigen sollte.

„Hast du schon einen Plan?“ fragte Lucille.

Ja, den hatte Albert. Er wollte in den anderen Kneipen – er kannte sich in Quimper bestens aus – etwa zwanzig wilde Kerle zusammentrommeln, mit ihnen das Schiff des Seewolfs überfallen und es ausplündern.

„Aber dann müssen wir mit diesen Kerlen teilen“, sagte Lucille.

Albert schüttelte den Kopf. „Wir müssen nicht. Das hängt ganz davon ab, wie geschickt wir uns verhalten. Wir könnten zum Beispiel vorher mit den Kerlen einen Festpreis vereinbaren. Für ein paar Münzen tun die alles. Wir sagen natürlich nichts von einem Schatz, sondern erklären, daß die Engländer mit zwei Schiffen hierher vorgedrungen seien, um ein Landeunternehmen vorzubereiten oder französische Handelsfahrer zu kapern – irgend so etwas, verstehst du?“

Lucille lächelte ihn an. „Ich wußte doch, daß du ein schlauer Fuchs bist.“

„Man muß nur an den richtigen Fäden ziehen“, sagte Albert etwas überheblich. Er fühlte sich sehr geschmeichelt, daß Lucille ihn einen schlauen Fuchs genannt hatte.

Allerdings – mit den „richtigen Fäden“, an denen er ziehen wollte, hatte er sich etwas zuviel zugemutet. Er würde nicht an den Fäden ziehen, sondern sich in sie verstricken.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 287

Подняться наверх