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Ende März 1597, Persischer Golf, Westküste bei Abu Dhabi.

Diese Ecke im Südwesten des Golfes sollte später den sinnigen Namen „Piratenküste“ erhalten. Später! Die Arwenacks wußten nichts davon – konnten sie auch nicht, denn bisher hatte noch kein englischer Seefahrer den Persischen Golf durchsegelt. Die Portugiesen und Spanier wußten da schon besser Bescheid, hängten ihr Wissen aber nicht an die große Glocke.

Wenn man nämlich hinauf zum Schatt el Arab wollte, dem Endpunkt des Zweistromlandes, dann blieb man gefälligst auf der Ostseite des Golfes, also auf der persischen Seite. Denn die arabische Westseite hatte seit langer Zeit einen üblen Ruf.

Aber, wie gesagt, die Arwenacks waren ahnungslos.

Um diese Zeit herrschten Nordostwinde vor. Und um nicht in die Abdeckung des persischen Hochlandes auf der Ostseite des Golfes zu geraten, hatte Hasard die Route längs der Westküste vorgezogen. Er verfuhr nach der schlichten navigatorischen Regel, dem Küstenverlauf zu folgen, um ans Ziel zu gelangen. Schließlich war der Golf eine Art Binnenmeer.

Seemännisch und navigatorisch war diese Entscheidung Philip Hasard Killigrews völlig in Ordnung, auch wenn sich diese Route auf der Westseite länger hinzog als die Route an der persischen Küste drüben.

Zur Zeit lief die „Santa Barbara“ beim Verlauf der arabischen Küste nach Südwesten volle Fahrt, nämlich fast platt vorm Laken. Es war das, was Edwin Carberry mit „der Lust des Seefahrers“ bezeichnete. Bei Wind von achtern hatte man nämlich so eine Art Hochgefühl. Da konnte man dem Wind alle Tücher darbieten und „die große Brause“ machen, ohne sich mit viel Segeltrimm abrackern zu müssen – im Gegensatz zum Kreuzkurs.

Der war keine „Lust“, sondern, laut Carberry, „der letzte Scheiß“. Wer sollte da widersprechen? Das war knapp und präzise auf den Punkt gebracht.

Also: feiner Wind von achtern, Sonne, glasklare See von blaugrüner Färbung, mäßig bewegt – da konnte man Däumchen drehen und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. An Backbord zogen Inseln und Inselchen vorbei. Hinter ihnen lag das dünengewellte Land, dazwischen Watt, von Prielen durchzogen. Auf Korallenbänke war zu achten – und auf Sande.

Fast wie an der Nordseeküste, dachte Hasard, wenn man die Korallenbänke ausklammert. Und wärmer war’s hier auch. Trotzdem – der Golf hatte einen erheblichen Tidenhub, also das, was man den Höhenunterschied von einem Niedrigwasser bis zum nächsten Hochwasser bezeichnet. Hier mochte er etwa sechs Yards betragen. Da hieß es aufpassen.

Zur Zeit herrschte Hochwasser. Und die Zeit von einem Hochwasser bis zum nächsten Niedrigwasser – beziehungsweise umgekehrt – betrug etwa zehn Stunden, vielleicht sogar mehr.

Im Ausguck befand sich Paddy Rogers. Er mußte jene Stellen voraus melden, wo das Wasser eine hellere Färbung annahm. Da war mit Sicherheit eine Sandbank anzutreffen. Um ungehinderte freie Sicht nach voraus zu haben, hatte Paddy Rogers den Ausguck im Vormars bezogen. Vom Hauptmars aus hätten ihm die Vorsegel die Sicht versperrt.

Paddy war fleißig am Sichten und Melden.

Zwei andere Arwenacks waren ebenfalls fleißig, nämlich die beiden jüngsten Gentlemen an Bord – Hasard und Philip junior. Sie hatte das gepackt, was man einen jugendlichen Beschäftigungstrieb nennt. Vom Segeln vorm Wind – „der Lust des Seefahrers“ – hielten sie zwar auch eine ganze Menge, aber das betulich Romantische an dieser Art Segelei überließen sie doch lieber den älteren Gentlemen.

Kurz und gut – sie angelten.

Wer hier meint, das Bild des am Ufer sitzenden und auf den Kork im Wasser stierenden Anglers vor sich zu haben, der irrt. Eine Angelrute war auch nicht im Spiel. Die beiden Junioren hatten ein anderes Verfahren ausgetüftelt, das, wie sie meinten, durchaus vom im Fahrt befindlichen Schiff her zu betreiben sei.

Big Old Shane, ehemaliger Schmied auf der Feste Arwenack, hatte ihre Idee zur handwerklichen Ausführung gebracht. Er hatte ihnen aus Kupferblech hübsche Fischchen von der Länge des kleinen Fingers ausgeschnitten, ihre Schwänze mit einem Haken und ihre Köpfe mit einem Ring versehen. An dem Ring wurde eine lange Angelschnur befestigt. Außerdem befanden sich an diesem Schnurende eingeknotete Bleikugeln.

Die Angelschnur selbst war auf einer Handrolle aufgespult. Hasard und Philip junior hatten ihre Überlegungen wie folgt dargelegt: Man müsse davon ausgehen, daß größere Fische die kleineren zu fressen pflegten – im Fluge sozusagen, das heißt, aus der Bewegung heraus. Unstreitig sei die Freßsucht bestimmter Fischarten sowie ihre Neugier. Daraus folgere, daß ein kleiner imitierter Fisch aus Kupfer ihr Interesse erregen werde.

Werfe man nun diesen Kupferfisch an der Angelschnur möglichst weit über Bord – als Gewichte dienten die Bleikugeln –, dann werde die Schnur auf der Rolle abgespult und schwinge mit dem Köderfischlein am anderen Ende wieder zum Schiff zurück. Gleichzeitig müsse man Hand über Hand die Schnur heranziehen oder wieder auf der Rolle aufspulen, womit man den Eindruck erwecke, als schwimme das Fischlein.

Bei der Bewegung im Wasser blinkere das polierte Kupfer, was als günstiger Effekt zu bezeichnen sei, weil es schimmernde Schuppen vortäusche.

Dem Effekt zufolge hatten die Junioren ihr Angelgerät mit dem Namen „Blinker“ getauft. Und als sie jetzt bei der „Sonntagsfahrt“ in der See recht beachtliche Exemplare von Zackenbarschen entdeckten, gab’s kein Halten mehr, die Blinkermethode einmal auszuprobieren.

Im übrigen waren gebratene Fischfilets etwas Leckeres. Und außerdem betonten der Kutscher und Mac Pellew immer wieder, daß „Meeresfrüchte“ gesund seien, nichts kosteten und vor allem den Vorrat an Schiffsproviant nicht belasteten.

Nein, der Kutscher und Mac Pellew hatten überhaupt nichts gegen eine Bereicherung der Bordkost, noch dazu „taufrisch“ aus der See. Das war bei allen Arwenacks so, nur bildete sich da natürlich sofort wieder eine Gilde von Klugscheißern, die alles besser wußte und rundweg erklärte, die Methode mit dem Blinkern sei Käse, weil kein Fisch nach einem Fisch aus Metall schnappen werde.

Der Wortführer dieser Besserwissergilde war Smoky.

Er tönte: „Ihr glaubt doch wohl nicht im Ernst, daß ein Fisch so dusselig ist, auf den Schummel hereinzufallen. Das riecht der doch schon auf ’ne halbe Meile Entfernung, daß da was faul sein muß.“

„Ob Fische einen so feinen Geruchssinn wie Plymmie haben, ist uns nicht bekannt, Mister Smoky“, sagte Hasard junior reserviert. „Das Blinkern ist ein Versuch. Wenn er nicht klappt, haben wir eben Pech gehabt. Aber besser, wir blinkern, als daß wir in der Nase bohren.“

Smoky blinkerte auch, mit den Augen.

„Wie bitte?“ fragte er, weil er nicht kapierte, was die Ersatzhandlung – nämlich das Bohren in der Nase – für einen Sinn haben sollte.

Der Profos feixte.

„Hasard meint das mehr symbolisch, mein lieber Smoky“, sagte er. „Sein Bruderherz und er finden es besser, zu angeln und mit der Beute die Kombüse zu versorgen, als dumm an Deck herumzustehen und sich in der Sonne das verlauste Fell anzuwärmen. Im übrigen stimme ich mit den beiden überein. Sie sind wenigstens tätig, was man von dir nicht gerade behaupten kann. Du siehst nämlich schon so aus wie eingeschlafene Füße. Und deinen Affenarsch habe ich bereits schnarchen hören! Oder waren das Winde? Dann solltest du dich schämen.“

Die beiden Junioren kicherten. Das „Schnarchen“ hatten sie auch gehört. Smoky hatte heute morgen wohl zu viele Zwiebeln gefressen.

„Wetten, daß die Blinkerei nichts wird?“ fragte er wütend.

Der Profos überlegte und erwiderte: „In Ordnung, wetten wir! Ich sage, die Blinkerei wird was. Um was wetten wir?“

Smoky war immer noch wütend. Ohne lange nachzudenken, sagte er: „Wenn ich verliere, kannst du mir ’ne Glatze scheren!“ Und geradezu tückisch fügte er hinzu: „Das gilt auch umgekehrt. Wenn du verlierst, hobel ich dir das Gestrüpp ab, das bei dir Haare darstellen soll – wie vor vier Jahren in Wiborg, als du deine Wette gegen Luke Morgan verloren hattest!“

Bei den Arwenacks ging das Grinsen um, als sie an die damalige Geschichte dachten. Richtig, damals hatten sie in Wiborg, der Hafenstadt am Finnischen Meerbusen, Pelze und Felle einkaufen wollen, aber keiner der Arwenacks hatte einen blassen Schimmer von der „Rauchware“, bis sich Luke Morgan – ganz gegen seine sonstige Art – klein und bescheiden gemeldet hatte.

Carberry hatte in seiner üblichen Freundlichkeit herumgemotzt, Luke könne noch nicht mal ein Kuhfell von einer Roßhaarmatratze unterscheiden, und er würde sich eine Glatze von Luke scheren lassen, wenn der was von Pelzen verstände. Das wurde eine Wette, und Luke gewann sie, denn er hatte bei seinem Vater, einem Kürschnermeister, das Kürschnerhandwerk gelernt, bevor er zur See fuhr.

Smoky war damals der große Wettmacher gewesen, hatte auf Carberry gesetzt – und verloren. Jetzt wollte er gewinnen und dem Profos ein zweites Mal zu einer Glatze verhelfen.

Carberry runzelte die Stirn. Das Gelächter von damals, als ihm Luke die Haare absäbelte, klang ihm heute noch in den Ohren.

Da räusperte sich Hasard junior und sagte: „Keine Sorge, Mister Carberry, Sir. Du gewinnst die Wette!“

Bruder Philip bestätigte das und sagte: „Stimmt, Mister Smoky hat schon jetzt keine Haare mehr, so sicher verliert er die Wette.“

Der Profos grinste jetzt. „Hast du gehört, Smoky? Du verlierst die Wette. Stell dir vor, Gunnhild oder Klein-David sehen dich mit deinem nackten Kürbis! Dein Windelpisserchen wird vor Schreck seinen Schnuller verschlucken!“

„Quatsch!“ fauchte Smoky. „Die Wette gilt!“

„Topp!“ rief der grinsende Carberry. „Die Wette gilt! Aber ich habe dich gewarnt!“

„Halt du lieber deine Haare fest, Mister Carberry!“ blaffte Smoky. „Und schau sie dir noch mal im Spiegel an, bevor der Kahlschlag beginnt!“

So nahm das Ereignis seinen Lauf. Alle waren gespannt.

Hasard und Philip traten ans Schanzkleid der Steuerbordseite. Hasard sollte den ersten Blinkerwurf haben. Gelassen sortierte er sein „Geschirr“, das heißt, er spulte mehrere Fadenlängen der Angelschnur ab und schoß sie in sauberen Buchten wie eine Wurfleine auf.

Dann klemmte er die Handrolle unter den linken Fuß, nahm den aufgeschossenen Teil in die rechte Hand, holte weit nach hinten aus und schleuderte das mit Bleikugeln beschwerte Ende samt Blinker und Haken nach querab in die Luft.

Wie bei der Wurfleine liefen die Buchten aus, ohne zu verheddern, der Blinker sauste etwa knapp vierzig Yards querab ins Wasser. Hasard hatte die Handrolle blitzschnell aufgenommen und ließ den Rest Angelschnur abspulen. Die Schnur zeigte straff nach querab, wanderte aber gleich darauf nach achtern. Hasard holte sie jetzt – ab und zu anruckend – mit der Handrolle ein.

Und da erfolgte der Biß. Die Schnur stand auf der Hälfte des Winkels zwischen Querschiffs- und Längsschiffsrichtung.

Hasard gab wieder Lose, aber nur kurz, und spulte die Schnur erneut auf. Sie stand verdammt unter Zug. Hasard verzichtete auf die Handrolle, nahm die Schnur in beide Hände und zog sie Hand über Hand näher heran.

Etwas durchbrach schäumend und wirbelnd die Oberfläche des Wassers – ein Brocken von Zackenbarsch! Ein richtiger Kaventsmann!

Die Brüllerei an Bord!

Am lautesten röhrte der Profos. Der kriegte sich überhaupt nicht mehr ein, klatschte sich auf die Schenkel und dröhnte: „Ich glaub’, mich knutscht ein Meerweib! Seht euch das an, Leute! Seht euch das an! So einen Molly hat noch keiner von euch an Land gezogen! Keiner!“

Smoky stand da wie bestellt und nicht abgeholt – mit dem Gesicht einer Miesmuschel. Und bei jedem Urschrei Carberrys zuckte er zusammen, als würden ihm bereits jetzt die Haare geschoren, aber mit einem stumpfen, schartigen Messer.

Mit einem Schwung landete inzwischen Hasard den zappelnden Zackenbarsch auf den Planken der Kuhl. Mac Pellew sprang hinzu und hieb dem Zappler die Handkante ins Genick. Plymmie jachterte hin und her und verbellte den Kaventsmann, beschnüffelte ihn dann und verzog sich beleidigt. Der Fischgeruch war wohl nichts für ihre empfindliche Nase.

Der grämliche Mac Pellew grinste wie ein Honigkuchenpferd. Es sah zum Heulen aus. Er zählte im Geist bereits die Portionen. Und dann deklamierte er, weil sich’s so schön reimte: „Das ist ein Superriesenzackenbarsch – und Smokys Haare sind im Arsch!“

Da ging das Gejohle wieder los.

„Nein!“ brüllte Smoky. „Das gilt nicht! Einmal ist keinmal. Das ist überhaupt kein Beweis! Das war Zufall, daß der Arsch – äh – Barsch angebissen hat. Reiner Zufall, da geh’ ich jede Wette ein!“

Der Profos stemmte die Fäuste in die Hüften und pumpte sich derart auf, daß ihm ein Knopf vom Hemd wegsprang.

„Sag mal, spinnst du?“ donnerte er. „Bist du noch zu retten? Willst du hier bescheißen, was, wie? Da hört sich doch alles auf! Na warte, dir zieh’ ich die Haut in Streifen von deiner Rübe …“

„Mister Carberry, Sir“, sagte Philip junior freundlich, „ich muß Mister Smoky zustimmen. Vielleicht war es wirklich Zufall.“

„Die Wette hat gegolten!“ schnaubte Carberry. „Dieser Windmacher namens Smoky hat nichts davon gesagt, daß zweimal gebunkert werden soll, verdammt noch mal!“

„Nein, das hat er nicht“, sagte Philip junior. „Das stimmt. Aber wenn wir fair sein wollen, müssen wir ihm zugestehen, daß ein gelungener Blinkerfang noch gar nichts beweist. Ich lasse mir auch den Vorwurf nicht gefallen, hier sei Glück mit im Spiel gewesen. Hasard und ich wollen beweisen, daß unsere Blinker was taugen. Also bin ich auch noch dran.“

„Gut, noch ein Versuch“, sagte Carberry, wechselte den Blick zu Smoky und fügte drohend hinzu: „Aber dann gilt die Wette. Ist das klar?“

„Einverstanden“, sagte Smoky.

Philip junior verfuhr genauso wie sein Bruderherz, indem er säuberlich einen Teil der Angelschnur Bucht für Bucht aufschoß. Inzwischen entfernte Hasard mit Macs Hilfe den Blinkerhaken aus dem Barschmaul und spulte die Schnur auf die Rolle.

Philip warf. Auch bei ihm liefen die Buchten ohne Komplikationen aus, der Blinker verschwand in der See – ebenfalls in einem Querabstand zum Schiff von etwa vierzig Yards –, und die Schnur wanderte nach achtern aus.

Aber noch früher als bei Hasard ruckte sie ein, und nun begann die gleiche Prozedur. Auch bei Philip saß Gegenzug dahinter, seine Beute kurvte ab, ein undeutlicher Schatten unter Wasser, etwa von gleicher Große wie Hasards Fang. Philip gab Lose und biß die Zähne zusammen, als die Schnur durch seine Hände raste. Der Bursche, den er da am Haken hatte, schien kämpfen zu wollen.

Philip setzte jetzt Gegenzug ein, stemmte ein Bein gegen das Schanzkleid und holte die Schnur Hand über Hand heran. Der Fang schoß zappelnd aus dem Wasser – ja, auch ein Zackenbarsch mit seinem breiten Maul. Er gebärdete sich wie verrückt und klatschte auf das Wasser zurück.

Und in diesem Moment schnitt eine Dreiecksflosse durchs Wasser. Sie raste auf das Gezappel zu.

„Ein Hai!“ brüllte Hasard junior, sprang hinzu und packte mit an. „Schnell!“

Doch da war’s auch schon geschehen. Alle Arwenacks konnten es genau verfolgen, es spielte sich nahezu an der Oberfläche ab. Der Hai drehte sich etwas, riß das Maul mit den messerscharfen dreieckigen Zähnen auf, schnappte zu und verschluckte den Barsch samt Blinkerhaken.

Die Schnur ging dabei zum Teufel.

Und dann gab es einen furchtbaren Stoß, die „Santa Barbara“ stieg mit dem Bug hoch, die Masten ächzten und knarrten, der Kiel schrammte über Widerstand, ein Knirschen drang von unten hoch, die Segel schlugen vor und zurück – und dann war Stille.

Vorbei war die „große Brause“ – die „Santa Barbara“ stand.

Einige Arwenacks, darunter die Zwillinge, hatte es von den Füßen gerissen. Sie rappelten sich auf und sahen reichlich belemmert aus.

Verdattert sagte Smoky: „Ich – ich glaube, wir sind aufgebrummt.“

Carberrys Blick war mörderisch. Aber bevor er loslegen konnte, erklang Hasards scharfe Stimme vom Achterdeck her.

„Weg mit den Segeln, Freunde! Beeilung, wenn ich darum bitten darf! Mister Rogers, bitte aufs Achterdeck!“

Da geriet Bewegung in die Mannen. Sie enterten auf, um die Segel aufzupacken, Paddy Rogers enterte ab und schlich nach achtern. Sein Gesicht hatte die gleiche Farbe wie seine Haare, nämlich rot.

Aus den Laderäumen tauchte Ferris Tucker auf – er war sofort hinuntergestiegen – und meldete: „Kein Wassereinbruch, Sir!“

„Danke, Ferris.“ Hasard atmete etwas auf und musterte den Unglücksraben Paddy Rogers aus schmalen Augen. „Hast du geschlafen, Mister Rogers?“

„N-nein, Sir“, sagte Paddy hilflos, „bestimmt nicht, Sir. Ich – ich wollte den Hai melden, aber da hatte ihn auch Hasard junior schon gesehen. Ich – ich war abgelenkt …“ Paddy verstummte und senkte den Blick. Als er ihn wieder hob, klang seine Stimme fester: „Ich nehme jede Strafe an, Sir, auch Auspeitschen oder Kielholen.“

„Letzteres dürfte kaum möglich sein“, sagte Hasard trocken. „Unter einem aufgebrummten Schiff kann man keinen Mann durchziehen.“

„Ach so.“ Unwillkürlich kratzte sich Paddy hinter dem rechten Ohr. „Nein, das geht nicht.“ Paddy war völlig zerknirscht. „Aber es geht, wenn wir wieder freigekommen sind, Sir. Das wäre doch eine Möglichkeit.“

Jetzt senkte Hasard den Blick und starrte auf seine Stiefelspitzen. Er legte die Hände auf den Rücken, drehte sich ab und marschierte nach Steuerbord. Dort blickte er über die See, wandte sich dann wieder um und marschierte zurück.

Vor Paddy blieb er stehen und sagte: „Geh in die Kombüse zum Kutscher und laß dir einen doppelten Rum einschenken, Paddy!“

Paddy stand da – mit Augen so groß wie Spiegeleier. Und sein Mund war offen.

„Wenn du noch einmal als Ausguck dahin schaust, wo du nicht hinschauen sollst“, sagte Hasard, „holen wir das Kielholen nach. Ist das klar?“

„Aye, Sir.“

„Dann ab in die Kombüse. Und denke immer daran, wie tödlich es sein könnte, wenn ein Schiff auf eine Untiefe zusegelt, während der Ausguck woanders hinschaut, zum Beispiel dorthin, wo eine Wette ausgetragen wird.“

„Aye, Sir. Ich werde es nicht mehr vergessen.“ Und Paddy trabte ab, um seinen doppelten Rum in Empfang zu nehmen.

Als er in der Kombüse verschwunden war, fragte Don Juan de Alcazar: „Du belohnst ihn auch noch?“

„Ja.“

„Kannst du mir das erklären?“

„Ich belohnte seine Ehrlichkeit“, erwiderte Hasard. „Was dagegen?“

„Nein. Aber ob er das begreift?“

„Das spielt keine Rolle. Viel wichtiger ist, daß er seine Rolle als Ausguck begriffen hat. Und das hat er jetzt, darauf kannst du dich verlassen.“

„Keine Bestrafung“, murmelte Don Juan, als könne er das nicht begreifen.

„Dann hätte ich alle bestrafen müssen“, erklärte Hasard.

„Wieso das denn?“

„Weil nicht ein einziger aufgepaßt hat – keiner von uns“, entgegnete Hasard. „Wir alle haben bei dieser verdammten Wette zugesehen – ich auch. Da wäre es billig, einen Sündenbock zu suchen und zu bestrafen. Im Grunde hat die Schiffsführung versagt, weil sie ihre Kontrollfunktion nicht wahrgenommen hat, Kontrolle zum Beispiel des Ausgucks, ob der auch aufmerksam den Voraussektor beobachtet.“

„Verstanden.“ Don Juan nickte. „Du hast mal wieder recht. Allmählich wird mir klar, warum ich dich nicht aufs Kreuz legen konnte, als ich von der Krone auf dich angesetzt worden war.“

Hasard blickte den schlanken, hochgewachsenen Spanier, der vom Saulus zum Paulus wurde, erstaunt an.

„Mann, Mann“, sagte er. „Was hat denn nun das eine mit dem anderen zu tun?“

„Eine ganze Menge“, erwiderte Don Juan. „Du denkst immer schon ein Stück weiter als jeder andere.“

„Ach du lieber Gott!“ Hasard seufzte. „Wenn dem so wäre, säßen wir jetzt nicht fest – womit wir wieder beim Thema wären. Ich habe eben nicht sehr weit gedacht und hätte wissen müssen, daß ein Ausguck, der nach Untiefen Ausschau halten soll, abgelenkt wird, wenn eine Angelart ausprobiert und dabei noch gewettet wird. Von wegen Vorausdenken!“

Carberry meldete, daß die Segel aufgepackt seien. Hasard ließ sofort die Jolle aussetzen. Dann übernahm die Jollencrew den Buganker, pullte etwa vier Schiffslängen voraus und ließ dort den Schiffsanker fallen.

Dann hieß es: Alle Mann ans Spill! Hasard wollte versuchen, die „Santa Barbara“ mittels der gesammelten Kraft aller Arwenacks über Spill, Trosse und ausgebrachten Anker von der Untiefe zu ziehen. Mit langen Bootshaken hatten sie festgestellt, daß die Galeone auf Sand aufgebrummt war – zum Glück!

Keiner mochte daran denken, was passiert wäre, wenn es sich um ein Korallenriff gehandelt hätte.

Allerdings: Smoky hatte die Wette verloren. Aber die Arwenacks hatten was anderes zu tun, als daran jetzt zu denken. Es ging um die „Santa Barbara“. Schließlich sollte sie hier querab von Abu Dhabi keine Wurzeln schlagen.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 542

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